Touristentrends 2020 ‐ Dynamik des Kundenverhaltens und Herausforderungen für Politik und Marketing. Martin Lohmann Thesenpapier zum Vortrag auf der Konferenz “Tourismus im europäischen und nationalen Wettbewerb“ im Rahmen der „Frankfurt Global Business Week“ am 17. Mai 2011 in Frankfurt Die Thesen: 1) Menschliches Handeln braucht die Zukunftsperspektive. Trendkenntnis und Prognosen sind Alltag, keine Zauberei. 2) Zukunft ist kein „Buch mit sieben Siegeln“ Konsumentenverhalten ist relativ stabil und verlässlich, gerade im Tourismus. 3) Unerwartetes kommt mit großer Sicherheit. Die Zukunft der touristischen Nachfrage ist nicht völlig vorhersehbar und nicht erwartete Ereignisse werden immer wieder eine neue Situation schaffen. 4) Die Möglichkeit des Unerwarteten ist keine Entschuldigung für mangelhafte Zukunftsplanung. Es ist vernünftig und möglich, absehbare Entwicklungen, zu identifizieren und zu analysieren. Trend‐Kenntnis schafft die Voraussetzung, sich besser auf die Zukunft einzustellen. Sie senkt das Risiko zukunftsbezogener (Fehl‐)Entscheidungen. Trendkenntnis ist die Basis für dynamische Kundenorientierung. 5) Tourismus ist besonders in Europa ein Bereich von hoher gesellschaftlicher Relevanz und großer wirt‐ schaftlicher Bedeutung. Deswegen muss man sich in Europa um die Zukunft des Tourismus kümmern. 6) Die Zukunft des Tourismus wird von exogenen (Rahmenbedingungen) und endogenen Faktoren (Dynamik von Angebot und Nachfrage) bestimmt. Dazu zählen z.B. die gesellschaftliche Situation und Dynamik (Wohlstand, Altersentwicklung, Migration), Res‐ sourcen (Energie, Wasser) als Rahmenbedingungen, als endogene Faktoren z.B. Kapazitätsplanungen, Mar‐ ketingstrategien oder Kundenmotivation und –kompetenz. Die Zahl dieser Faktoren ist sehr groß, weswegen Entwicklungen in einzelnen Faktoren oft nur eine begrenz‐ te Wirkung auf das Gesamtsystem haben. 7) Wenn die Branche sich mit ihrer Zukunft befasst, dann tut sie das gerne mit einer eher kurzfristigen Per‐ spektive, reizgesteuert (irgendwas ist passiert, was einen aufgeschreckt hat) und mit einer Tendenz zur Vereinseitigung. 8) Bedeutende Treiber der Zukunftsentwicklung im Tourismus auf der Seite der Konsumenten sind a) der demographische Wandel (nicht nur Alter, auch Migration, Beschäftigung, etc.) b) die zunehmende Differenzierung, c) die Multi‐Optionalität bei der Auswahl von Angeboten, d) und neue Informations‐ und Entscheidungsstrategien. © Martin Lohmann, Lüneburg/Kiel, 2011 N.I.T., Fleethoern 23; D- 24103 Kiel; email: [email protected] Sie bedeuten im Einzelnen: a. Neue Zielgruppengewichte durch demographischen Wandel: i. Beibehalten des Reiseverhaltens im Alter– Problem für Ziele, die jetzt vornehmlich von einem älteren Publikum besucht werden ii. Zunahme der Zahl von gebrechlichen, aber reisewilligen hochbetagten Personen iii. Wachsende Bedeutung von nicht‐familiären kleinen Reisegruppen iv. Migration schafft zunehmende Reiseanlässe, national und international. Schon 2010 reisten die in Deutschland lebenden Ausländer deutlich häufiger als Inländer. v. Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt ausreichend (Fach‐)Kräfte für den Tourismus zu finden, und das an Orten wo man sie braucht. b. Differenzierung, ein Megatrend im Tourismus: Alles wird differenzierter, fragmentierter: Ziel‐ gruppen, Motive, Reiseverhaltensmuster etc., aber auch die Angebote. Wenn im Tourismus et‐ was Neues hinzukommt, dann löst es in der Regel das Alte nicht völlig ab, sondern ergänzt die Palette der Möglichkeiten. Das gilt z.B. für Informations‐ und Buchungswege (+ Internet), Reise‐ ziele (Karibik kommt dazu, Tirol bleibt), Urlaubsformen (Wellness kommt, Kur bleibt), und Sportaktivitäten (Mountainbiken kommt, Wandern bleibt). c. Multi‐Optionalität meint den Trend, dass der Kunde selbst zunehmend mehr Wahlmöglichkei‐ ten sieht, mit denen er einen für ihn positiven Urlaub gestalten kann. Das spannende auf der Kundenseite ist, dass die potenziellen Urlauber so breit gestreute Interessen und Motive haben, dass sie mit ganz verschiedenen Angeboten glücklich werden können. d. Neue Informations‐ und Entscheidungsstrategien: Starke Informationsüberlastung und aus‐ tauschbare Produkte im Tourismus führen zu potenzieller Konsumentenverwirrtheit. Das Invol‐ vement der Kunden bei ihren Entscheidungen sinkt. Das bedeutet, dass sie für rationale Argu‐ mente bei der Produktauswahl nur begrenzt zugänglich sind und viele Entscheidungen mehr aus dem Bauch heraus treffen. Der Kunde sucht nicht mehr die Information, sondern die Information sucht seine Aufmerksamkeit. 9) Die verschiedenen Trends im Konsumentenverhalten wirken nicht isoliert, sondern in ihrer Gesamtheit auf die Zukunft des Tourismus. So lassen sich aus den einzelnen Trends auch keine allgemeinen Handlungser‐ fordernisse für die Tourismusbranche ableiten. Für die Zukunftsplanung, sei es im Marketing, in der Politik oder in der Verwaltung braucht es neben der Trendkenntnis die sorgfältige Analyse weiterer Rahmenbe‐ dingungen, vor allem aber der eigenen Zielsetzungen und Ressourcen. 10) Zusammen mit den sich wandelnden Rahmenbedingungen für den globalen Tourismus führen die Nach‐ fragetrends zu einer Reihe von Herausforderungen. Diese liegen in der Globalisierung (die Gewichte zwischen Quell‐ und Zielmärkten in der Welt verschieben sich), in der Sicherung der positiven Effekte des Tourismus (wirtschaftlich, aber auch Kundennutzen) und der Verminderung negativer Begleiterscheinungen (Ressourcenverbrauch; Treibhausgase), im Halten der Balance, z.B. zwischen der touristischen Nutzung der Schätze einer Destination und ihres Schutzes in der Anpassung an und Nutzung von neuen Gegebenheiten (z.B. Technologien; Klimawandelfolgen) und schließlich in einer effektiven Selbst‐Kontrolle in der Branche (z.B. bei Überkapazitäten; Banalisierung von Destina‐ tionen, Pflege des Arbeitskräftepotenzials) ‐ 2 ‐ 11) Das Herausfordernde an den Herausforderungen sind die darin enthaltenen Zielkonflikte. Touristische Trendforschung kann helfen, die Herausforderungen zu identifizieren und zu analysieren und damit kompe‐ tentere Entscheidungen zu treffen. Die Entscheidungen ersetzen kann sie nicht. 12) Konflikthafte Zielsetzungen ergeben sich im Tourismus häufig aus politischen Zielsetzungen, die unvereinbar nebeneinander stehen (z.B. Tourismus zur Stärkung der wirtschaftlichen Entwicklung von Entwicklungslän‐ dern vs. Flugreisen vermindern zur Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen). Es ist auch eine politi‐ sche Aufgabe, divergierende Ziele zu gewichten oder in Einklang zu bringen. 13) Die Zukunft des Tourismus bietet Gestaltungsspielraum (wirtschaftlich, gesellschaftlich, ökologisch). Die Trends im Tourismus sind keine Naturgesetze. Gesellschaft und Wirtschaft können gegen diese Entwicklun‐ gen an arbeiten (wozu wurde das Marketing erfunden?) oder sie nutzen. Die Trends sagen nicht, was man tun oder lassen sollte. Sie sind eine Entscheidungshilfe für die eigenen Planungen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. 14) Fortschritte und Erfolge im Tourismus werden in den kommenden Jahren eher im Detail und eher langsam stattfinden. Für eine sensationslüsterne Branche und auf PR bedachte Politik kann das ein Problem sein, dem man Aufmerksamkeit schenken sollte. Der Referent Martin Lohmann, Prof. Dr., Diplom‐Psychologe, ist Leiter des N.I.T., Institut für Tourismus‐ und Bäderforschung in Nordeuropa, in Kiel. Als Professor ist er am Departement für Wirtschaftspsychologie der Leuphana Universität Lüneburg zuständig für Marktpsychologie, Konsumforschung und Touris‐ muspsychologie. Außerdem unterrichtet er als Gastprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien und an der Modul Universität Wien. Er ist wissenschaftlicher Berater für die deutsche „Reiseanalyse“ der FUR (Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V.). Mehr Informationen unter www.nit‐kiel.de, www.fur.de und www.leuphana.de, www.modul.ac.at/Lohmann Kontakt: Institut für Tourismus‐ und Bäderforschung in Nordeuropa, Fleethörn 23; D ‐ 24103 Kiel; info@nit‐kiel.de ‐ 3 ‐