Entzündungen erkennen im Einweg-Labor

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Entzündungen erkennen im Einweg-Labor
Depression, Rheuma, Sichelzellenanämie – Substanz P im Blutplasma kann ein Alarmsignal
sein. Das Molekül wird im Körper vermehrt gebildet, wenn eine entzündliche Reaktion in
Gang gekommen ist. Die kommerziellen Tests in der Mikrotiterplatte sind zeitaufwendig und
teuer. Dr. Hüseyin Bakirci und sein Team vom Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der
Universität Freiburg haben einen fingerkuppengroßen Chip entwickelt, auf dem eine
quantitative Messung des Neuropeptids und anderer Biomarker in Patientenproben möglich
ist – billig, schnell und hochsensibel.
Die Entdeckung des kleinen Peptids war eine schmerzhafte Angelegenheit. Substanz P ist ein
Neurotransmitter, aufgebaut aus elf Aminosäuren. Es überträgt Signale zwischen
Nervenzellen, wenn uns etwas weh tut. Aber das Molekül ist auch ein Vermittler von
entzündlichen Reaktionen des Immunsystems. Es wird bei bakteriellen Angriffen von
Immunzellen ausgeschüttet und lockt weitere Immunzellen an – eine Überreaktion des
Abwehrsystems kann die Folge sein, mit pathologischen Symptomen. Bei Rheuma oder bei
entzündlichen Erkrankungen des Nervensystems, aber auch bei psychiatrischen Störungen
spielt es eine Rolle, zum Beispiel bei Depressionen oder Angstzuständen. Medizinern kann die
Anwesenheit des Neurotransmitters im Blut oder im Speichel eines Patienten daher einiges
über die Hintergründe bestimmter Symptome verraten. „Es ist ein großes Anliegen der Kliniker
und der Industrie, handliche Systeme zu haben, mit denen sich Biomarker wie Substanz P
schnell und zuverlässig in Körperflüssigkeiten von Patienten messen lassen“, sagt Dr. Hüseyin
Bakirci vom Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) an der Universität Freiburg.
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Die Mitarbeiter des Lehrstuhls für Sensoren am IMTEK Freiburg von links nach rechts: Prof. Dr. Gerald Urban
(Lehrstuhlinhaber), Dr. Hüseyin Bakirci (Gruppenleiter Bioanalytische Mikrosysteme), Dipl.-Ing. Josef Horak, Dipl.-Ing.
Can Dincer und Dipl.-Ing. Jochen Kieninger (Gruppenleiter Sensortechnologie). © Dr. Hüseyin Bakirci.
Zwei Tage auf das Ergebnis warten, das war mal
Dr. Bakirci ist Forschungsgruppenleiter am Lehrstuhl für Sensoren von Prof. Dr. Gerald Urban
am IMTEK. Die Wissenschaftler in seinem Team haben in den letzten Jahren einen
Plastikstreifen entwickelt, der so groß ist wie eine Fingerkuppe. Dieses unscheinbare Etwas
erinnert ein bisschen an Lackmuspapier, das man in eine Flüssigkeit tauchen kann und das
sich in saurem Milieu rot färbt. Bei näherem Hinsehen sind jedoch ein Labyrinth aus
mikroskopischen Kanälen und mehrere Platinelektroden in seinem Inneren zu erkennen. Es
handelt sich im Prinzip um ein miniaturisiertes Labor. „Als ich vor drei Jahren zur Gruppe von
Professor Urban stieß, war man gerade in einem großen Netzwerkprojekt dabei,
Immunoassays für den Nachweis bestimmter Biomarker von der Mikrotiterplatte auf einen
kleinen Chip zu übertragen“, sagt Dr. Bakirci. Der Forscher sollte das Prinzip des sogenannten
Immunoassays in einem mikroskopisch kleinen System aus Kapillaren etablieren und mit
einem elektrochemischen Sensorsystem koppeln. Das ganze sollte Platz finden auf dem oben
beschriebenen Plastikstreifen und möglichst billig zu produzieren sein.
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Mit dem am IMTEK Freiburg in der Gruppe Bioanalytische Mikrosysteme entwickelten Lab on a Chip können zum
Beispiel Neuromarker wie Substanz P innerhalb von 1,5 Stunden quantitativ nachgewiesen werden. © Dr. Hüseyin
Bakirci.
Zehn Pikogramm Substanz P pro ein Gramm Blutplasma, -serum oder Speichel können die
Mikrosystemtechniker vom IMTEK mit ihrem Chip heute messen. Damit ist eine genauso hohe
Sensitivität erreicht wie bei den kommerziell erhältlichen Testsystemen für die Mikrotiterplatte.
Die Kosten betragen nur einen Bruchteil, das Material auf Polyimidbasis ist billig, und die
nötigen Mengen an Probenmaterial sind wesentlich kleiner. Und dann gibt es da noch das
Zeitargument. Zwei Tage dauerte ein herkömmlicher Test – der Chip macht es in 1,5 Stunden,
wesentlich schneller als konventionelle ELISA-Testverfahren auf Mikrotiterplatten. Optimal für
den Arzt in der Klinik, der möglichst rasch an ein Ergebnis kommen will, am besten ambulant.
Migräne, Epilepsie und Doping im Radsport
Das Prinzip des Testverfahrens ist nicht kompliziert: Auf der Wandoberfläche des
Kapillarsystems im Chip sitzen sogenannte Antikörper. Diese Moleküle binden die Substanz P,
die sich in der in das Kapillarsystem eingebrachten Patientenprobe befindet (also im
Blutserum, Blutplasma oder Speichel). In das Kapillarsystem wird aber noch eine zusätzliche,
in ihrer Konzentration bekannte Menge von Substanz-P-Molekülen injiziert. Diese Moleküle sind
künstlich verändert: Ihnen ist das Enzym Glucose-Oxidase (GOD) angehängt. Die so beladenen
Moleküle und die unbeladenen konkurrieren um die Bindestellen an den Antikörpern. Je mehr
Substanz P in der Probe ist, um so weniger markierte Moleküle können Bindestellen belegen.
Gibt man zu der Lösung nun einfache Glucose dazu, dann wird diese durch das an die
Antikörper gebundene GOD oxidiert, es entsteht als Nebenprodukt Wasserstoffperoxid. Und
dieses wird an den Elektroden umgesetzt, die in die Kapillaren hineinreichen. In der an der
Platinoberfläche ablaufenden elektrochemischen Reaktion entsteht Strom, der sich messen
lässt und der in seiner Stärke einen Rückschluss auf die Menge von Substanz P in der Probe
erlaubt.
„Der schwierigste Schritt bei der Entwicklung dieses chipbasierten Messsystems war es, ein
Verfahren zu etablieren, die Antikörper in den Kapillaren reproduzierbar zu immobilisieren“,
sagt Dr. Bakirci. Die Forscher mussten aber auch verschiedene Eigenschaften der Kapillaren
testen, damit Parameter wie die Wandergeschwindigkeit der Reaktionsflüssigkeiten oder die
Inkubationszeit für das Testverfahren optimal sind. Und damit der Benutzer nur noch die Probe
einfüllen muss, um nach 1,5 Stunden das Ergebnis auf dem Bildschirm ablesen zu können.
Die Einsatzgebiete, die sich für eine solche Technologie ergeben, liegen sofort auf der Hand.
Abgesehen vom klinischen Bereich, für den Dr. Bakirci und sein Team jetzt schon verschiedene
andere Biomarker-Testverfahren für die Diagnostik von Meningitis, Migräne, Herzkrankheiten
oder Epilepsie entwickeln, sind auch mobile Teststationen für Dopingmittel etwa im Radsport
denkbar. Die Forscher um Dr. Bakirci wollen ihr System in Zukunft automatisieren, sodass alle
Arbeitsschritte unkompliziert und standardisiert ablaufen können, ohne dass viel menschliche
Arbeitszeit anfällt. Die Testverfahren für jeden neuen Biomarker erfordern zahlreiche
Validierungsversuche, und das geht nicht ohne die Industrie. Die Forscher vom IMTEK
kooperieren eng mit verschiedenen Firmen, der Substanz-P-Chip wird in naher Zukunft auf den
Markt kommen. Und andere Biomarker-Chip könnten folgen.
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Glossar
Fachbeitrag
12.12.2011
mn (06.12.2011)
BioRegion Freiburg
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Dr. Hüseyin Bakirci, PhD
Gruppenleiter Bioanalytische Mikrosysteme
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
IMTEK – Institut für Mikrosystemtechnik
Lehrstuhl für Sensoren
Georges-Köhler-Allee 103
79110 Freiburg
Tel.: +49 761/ 203 7264
Fax: +49 761/ 203 7262
E-Mail: huseyin.bakirci(at)imtek.de
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Entwicklung neuer molekularer Biomarker
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