KIRCHENBAU ALS AVANTGARDE Über Werterhalt, Verantwortung und Baukunst: im Gespräch mit dem Kölner Architekten Prof. Ulrich Königs, Sieger des Fritz-Höger-Preises 2008 für Backstein-Architektur und Martin Struck, Diözesanbaumeister im Erzbistum Köln. 6 Öffentliche Bauten WARUM IST ES EINE BESONDERE HERAUSFORDERUNG konflikte austarieren, dass das Gebäude rechtlich dem FÜR EINEN ARCHITEKTEN, EIN ÖFFENTLICHES GE- Bauherren gehört, aber für die Öffentlichkeit einen BÄUDE, WIE EINEN SAKRALBAU, ZU ENTWERFEN? Mehrwert hat. Das unterscheidet das Bauen für die Ulrich Königs: Das Bauen für die Öffentlichkeit, oder Öffentlichkeit von dem Bauen für rein private Auf- ein öffentlicher Bau grundsätzlich, ist mit der Heraus- traggeber. Die Kirche versteht sich als öffentlicher forderung verknüpft, dass man über den Bauherrn Bauherr und stellt sich dieser verantwortungsvollen hinaus auch der Öffentlichkeit verpflichtet ist. Als Rolle. Aus meiner persönlichen Erfahrung hat die Kir- Architekt übernehmen wir Verantwortung dem Bau- che auch eine dafür nötige, große Sensibilität. herren gegenüber, seine Wünsche zu erfüllen und das Martin Struck: Ich denke, dass sich das in den letzten Budget einzuhalten. Darüber hinaus sind wir aber 50 Jahren gewandelt hat. Es ist nicht mehr so klar, dass auch Anwalt der Öffentlichkeit. Wir müssen also Ziel- die Kirche die Öffentlichkeit ist. Früher war Kirchen- bau gleichbedeutend mit öffentlichem Bau für die All- verbunden als das heute der Fall ist. Daraus hat sich MARTIN STRUCK gemeinheit. Das Wort Gemeinde kommt ja daher. ergeben, dass die Kirche immer schon bewusst den „EIN ÖFFENTLICHES Heute muss man unterscheiden zwischen Zivilge- Umgang mit der Architektur und das Ausprobieren GEBÄUDE WIRD MIT meinde und Pfarrgemeinde. Früher hat die Gemeinde gepflegt hat. Von daher ist die Kirche, obwohl sie HOHEM ÖFFENTLICHEN am Ort gebaut und war als Gemeinschaft daran inte- als Bewahrer traditioneller Werte begriffen wird, AUFWAND ERSTELLT. ressiert den neuesten Stil, die neueste Technik zu be- eigentlich aus Sicht der Architektur ein echter Vor- DA WILL MAN NATÜR- kommen. Das ist heute anders. Kirche ist privater als reiter. Das macht es für uns Architekten natürlich LICH EIN GEBÄUDE, früher. Wir sehen natürlich nach wie vor unseren öf- sehr interessant, weil wir uns in dieser Kontinuität DAS WENIG UNTERHAL- fentlichen Auftrag. Ein Beispiel ist das Kölner Diöze- verstehen. Es ist eine Herausforderung und ein Privi- TUNGSAUFWÄNDIG IST.“ sanmuseum Kolumba und die Höhenentwicklung des leg, sich in dieser Kontinuität zu bewegen. Gebäudes. Wenn wir hier als privat angesehen wor- Martin Struck: Von den 1.200 Kirchen im Bistum Köln den wären, hätten wir die obersten zehn Meter nicht sind 500 nach 1920 gebaut worden. Unsere Kölner Kir- bauen dürfen. Da hätten wir uns nach Baurecht ein- chentradition hat sich auch darin begründet, dass die fügen müssen. Insofern ist das ein öffentliches Ge- Leute hier sehr früh erkannt haben, dass der Sakral- bäude, das wir dort gebaut haben. bau modern sein muss, um zeitgenössisch zu sein. Bis 1912 hatte der damalige Kardinal Fischer noch den An- DIE KIRCHE ALS BAUHERR ZEIGT SICH IMMER WIEDER spruch, alles müsse romanisch oder gotisch gebaut AUFGESCHLOSSEN GEGENÜBER NEUEN FORMEN UND werden. 1924 gab es die ersten Überlegungen von MUTIGER ARCHITEKTUR. BEFINDET MAN SICH ALS dem damaligen Kunstverein, neue Materialien und KIRCHENBAUHERR UND ALS ARCHITEKT IN EINER Formen auszuprobieren. Daraus hat sich dann die VERPFLICHTUNG HINSICHTLICH INNOVATION UND Tradition mit bedeutenden Kirchenbaumeistern be- WERTIGKEIT? gründet wie z. B. Gottfried Böhm, Rudolf Schwarz, Ulrich Königs: Für uns ist das Bauen für die Kirche na- Emil Steffann, Fritz Schaller, Joachim Schürmann und türlich deswegen eine besondere Verpflichtung, da Hans Schilling. man sich in einer bestimmten Tradition befindet, die sich aus der Aufgabe des Bauens von Gotteshäusern WAS IST NACHHALTIGE ARCHITEKTUR FÜR SIE? ergibt. Sie sind ja historisch gesehen schon immer Martin Struck: Da spielen viele Faktoren eine Rolle. Bauten von besonderem Interesse gewesen. Ich würde Von der Formfindung bis zum Grundriss. Multifunk- sogar sagen, dass Kirchenbauten, historisch bedingt, tionale Architektur ist für mich ökologisch sinnvoll schon immer die Avantgarde darstellten. Jegliche Art und nachhaltig. Ich habe es einmal erlebt, dass ein von Experimenten, ob es nun Experimente mit Raum Kindergarten in ein Altenheim umgewandelt werden waren oder mit Materialien, sind über die Kirche als sollte und man stand dann vor betonierten Wänden, Bauherr zeitlich entwickelt worden. Früher war das die man nicht so einfach versetzen konnte. Da war es Bauen für die Kirche, neben dem Bauen für die Herr- dann billiger, das Gebäude abzureißen und neu zu scher, das Betätigungsfeld für Architekten. Es gab ja bauen. Das ist natürlich ultra-unökologisch. Man vor der Renaissance kaum Architekten, die für private sollte daher schon bei der Grundrissgestaltung über- Bauherren gebaut haben. Deswegen war Architektur legen, wie man diesen einerseits funktionsfähig und das Bauen von Kirchen viel enger miteinander entwickelt, und andererseits später vielleicht ein VITA Martin Struck *1957 1977 –79 Tischlerausbildung 1980–84 Architekturstudium RWTH Aachen 1983–84 DAAD-Stipendium Bristol University, GB 1985–87 2. Staatsprüfung 1988–2000 Entwurfsarchitekt, Leitung Hochbauamt Stadt Meerbusch seit 2001 Diözesanbaumeister im Erzbistum Köln Die Vita von Ulrich Königs finden Sie auf Seite 42 in dieser Ausgabe. Öffentliche Bauten 7 Erst in der Annäherung sind die einzelnen Steine des Pfarrzentrums St. Franziskus (Regensburg) zu erkennen. Beim Bau des KolumbaMuseums (Architekt Peter Zumthor) in Köln treffen alte Bestandsmauern auf die neuen, hellen Steine. Eine besonders hohe Fuge prägt die Fassade. 8 Öffentliche Bauten Wohnhaus daraus machen kann. Das ist langfristig Ziegelbautradition. „Und der Dominikus Böhm in und multifunktional gedacht. Das sind ökologische Köln-Riehl mit seiner St. Engelbert-Kirche.“ Ich bin in Anstrengungen, die gemacht werden müssen. Ein öf- Köln aufgewachsen und habe diese Gebäude, ob nun fentliches Gebäude wird mit hohem öffentlichen Auf- als Ministrant oder im Stadtraum, natürlich wahrge- wand erstellt, da will man natürlich ein Gebäude, das nommen. Aber das ist dann einfach irgendwo im Hin- wenig unterhaltsaufwändig ist. Da machen uns die terkopf geblieben, ohne dass man es explizit bewusst Betonbauten teilweise größere Sorgen als die Ziegel- genutzt hätte. Wir sind nicht hingegangen und haben bauten. gesagt: „Wir mischen jetzt Kölner Kirchenbauweise Ulrich Königs: Der Begriff der Nachhaltigkeit ist seit mit bayrischem Barock.“ Im Nachhinein merkt man ca. 20 Jahren in aller Munde, wobei die Ziele, die da- dann doch, dass all diese Dinge mit einfließen, auf hinter stehen, ja nicht wirklich neu sind. Wenn man mehr oder weniger subtile Art und Weise. das Bauen der Kirche betrachtet, muss man zumindest aus meiner Sicht sagen, dass die Perspektive und WARUM HABEN SIE ST. FRANZISKUS SO MASSIV die Geschwindigkeit, mit der die Kirche Projekte über GEBAUT? die Jahrhunderte entwickelt hat, dahingehend schon Ulrich Königs: Das hat etwas mit der Bedeutung des immer nachhaltig waren. Den Begriff der Nachhaltig- Kirchenbaus aus religiöser Sicht zu tun. Wir können keit gab es nur noch nicht. Man hat das eher mit lang- uns Kirche nicht als leichtes Gebäude vorstellen. Für fristigem Denken oder Werthaltigkeit formuliert. uns sind Kirchen in irgendeiner Weise mit dem Begriff Wenn man ein Gebäude für den langfristigen Ge- Festigkeit verknüpft. Wir gehen von diesem Bild des brauch denkt, plant und entwickelt, dann muss das Felsens aus, auf dem Kirche aufbaut. Die Bauweise soll gar nicht damit zusammenhängen, wie dick eine das Steinerne und Massive des Gotteshauses ausdrü- Wand gedämmt ist, sondern dass man einfache Werte cken. Das heißt aber nicht, dass alles schwer und dun- schafft, die auf Dauer bestehen. Dieses langfristige kel sein soll. Aus dem Massiven lässt sich trotzdem Denken entspricht nicht dem privaten Bauen der Im- Leichtigkeit und Öffnung inszenieren. mobilienwirtschaft. Die schauen, wann sich das Ge- Martin Struck: Es gibt auch die Tradition des Stein- bäude rechnet, das ist eine ganz einfache Dynamik. baus, weil sich die Gemeinde in dem Bau symbolisiert. Die Kirche kalkuliert natürlich auch. Aber sie hat ge- Das sagt das Wort Gemeindehaus ja schon. Und man lernt mit der Langsamkeit umzugehen. Ich muss da kann beispielsweise im ersten Petrusbrief lesen: „Lasst immer an das Buch „Die Entdeckung der Langsamkeit“ Euch als lebendige Steine zu einem geistigen Haus von Sten Nadolny denken. Man kommt eigentlich bes- aufbauen …“ Das war früher ein normales Wohnhaus. ser zu seinen Zielen über das Beharrliche und nicht Dort wo man sich in der Erinnerung an Jesus Christus über das Hastige, Schnelle. Standards und Zeichen in versammelt hat, dort ist Kirche. In der bildlichen Richtung Langlebigkeit und Qualität zu setzen, das ist Tradition, ist jedes Gemeindemitglied ein Stein der die Verantwortlichkeit, die ich für sehr wichtig halte. Kirche. STEHT DIE ARCHITEKTUR VON ST. FRANZISKUS IN ALS BETRACHTER IST MAN VERWUNDERT UND FAS- REGENSBURG IN EINER BESTIMMTEN KIRCHENBAU- ZINIERT ZUGLEICH VON DER KREATIVITÄT, DIE EIN TRADITION? JAHRTAUSENDEALTES BAUMATERIAL BIS HEUTE ER- Ulrich Königs: Das Gebäude wurde im Wettbewerb MÖGLICHT. SOWOHL DAS DIÖZESANMUSEUM KO- entwickelt. Wir haben das Bestmögliche daraus ge- LUMBA ALS AUCH ST. FRANZISKUS BEEINDRUCKEN macht, was uns zu diesem Zeitpunkt als Idee zur Ver- DURCH IHRE MAUERWERKSKUNST. fügung stand und engagiert gearbeitet, ohne jetzt Ulrich Königs: Auf den ersten Blick nimmt man den bewusst einen Bezug auf eine Kirchenbautradition zu Gesamtbau von St. Franziskus ja als weißen Baukör- nehmen. Im Nachhinein hat man an uns herangetra- per wahr. In einer Annäherung und bei genauerer Be- gen, dass doch sehr viel von einer traditionellen Wei- trachtung erkennt man, dass es sich um einzelne terentwicklung in diesem Bau steckt. Oder zumindest Steine mit unterschiedlichen Oberflächen handelt. hineininterpretiert werden kann. Man hat uns dann Der Stein symbolisiert hierbei den menschlichen Maß- gesagt: „Ach, Sie kommen ja aus Köln“, Stichwort: stab. Wir versuchen große Bauwerke zu schaffen und die Maßstäbe des Menschen im Auge zu behalten. liche Formate. Die Maurer mussten sich jeden Stein MARTIN STRUCK Auch Kolumba ist ein kraftvoller Klotz, der in der An- genau anschauen, seine Form und die Grundstruktur. „DER MAURER BRINGT näherung einzelne Steine sichtbar macht und seine Hier braucht man Erfahrung, wie etwas kombiniert DEN GEIST INS WERK.“ luftige Bauweise offenbart. werden kann. Da ich die Handwerkskunst sehr ernst Martin Struck: Auf den ersten Blick dachte ich, St. Fran- nehme, ist meine große Sorge, dass ich in einigen ziskus sei aus Beton gegossen. Als ich feststellte, dass Jahren Probleme habe, auch qualifizierte Steinmetze das „gebogene“ Ziegel sind, war ich arg überrascht. und Dachdecker zu finden, die mir die Gebäude und Wie, als wenn man sich einem Geheimnis nähert. Die deren Tradition in Ordnung halten. Viele junge Leute Form bricht sich selbst immer wieder. scheuen die Mühen der Baustelle und arbeiten lieber Ulrich Königs: Das Material ist unerwartet und die in einem warmen Büro. Da sehe ich einen großen Qua- Verwendung lässt ein Geheimnis entstehen. Die Geo- litätsbruch auf uns zukommen. Wer kann denn heute metrie ordnet das Ganze. Hätte man diese Form in noch ein richtiges Schieferdach decken? Das Hand- Beton gegossen, wäre womöglich ein Element an der werk spielt bei der Traditionspflege eine ganz ent- Wand, wie z. B. ein Lichtschalter, als Fehler aufgefallen. scheidende Rolle. Beim Ziegel darf ruhig etwas herausspringen. Er lässt Fehler zu, ohne diese als solche zu definieren. Als Ma- UND DIE ALTERUNGSFÄHIGKEIT DES MATERIALS. terial lässt sich Backstein sehr leicht argumentieren. Martin Struck: Der Kolumba-Stein zum Beispiel war Die Schwierigkeit besteht darin, einen guten Hand- ja ein Zufallsfund. Steine mit Fehlbrand aus einem werker zu finden. Viele handwerkliche Qualitäten wer- defekten Ofen fielen Herrn Zumthor (Architekt des den einfach nicht mehr gelehrt und vermittelt. Wir Kolumba-Museums, A. d. Hrsg.) bei einem Besuch einer hatten einfach Glück, in Bayern eine Firma zu finden, Ziegelei auf. Diese kamen dem Wunschziegel des Ar- in der der 65-jährige Senior-Chef diese Handwerks- chitekten sehr nahe. Als Vorbild für den gesuchten kunst noch beherrscht. Er sah die Ausschreibung und „Kolumba-Ziegel“ diente nämlich ein alter, gelblicher dachte sich: „Diesen Bau will ich noch machen!“ Er Abbruchklinker, mit dem der Kölner Pater Gabriel 1967 hat das ganze Gebäude zum Gelingen gebracht. Bei ein Loch in der Kapellenwand zugemauert hatte. Das solchen Projekten hängt das Gelingen vom Maurer- alles passt im Nachhinein sehr gut zusammen, das meister ab. Wir haben zwar einzelne Steine und Alte mit dem Neuen. In vielen Jahren wird man die Elemente gezeichnet, aber den Geist der Steine, die Spuren der Zeit auch auf den neuen Steinen sehen, Idee, die muss weitergetragen werden. Das kann sie aber nicht als Mangel empfinden. Meisterhafte Handwerkskunst: das Pfarrzentrum St. Franziskus. Ausführliche Projektvorstellung auf den Seiten 40–45. man in keine Planung schreiben. Martin Struck: Das stimmt. Der Maurer bringt den Das Gespräch führte Gerhild Bellinghausen. Geist ins Werk. Bei Kolumba gab es drei unterschied- Öffentliche Bauten 9