Prähistorische Dörfer an den Luzerner Seen Die «Pfahlbauer» von Dr. Ebbe H. Nielsen., Stv. Kantonsarchäologe, Luzern 2004 wurde das 150-Jahr Jubiläum der Schweizer Pfahlbauforschung mit zahlreichen Anlässen, Ausstellungen und Publikationen gewürdigt. Die Bedeutung der Schweizer Ufersiedlungen für die Menschheitsgeschichte ist durch die ebenfalls 2004 erfolgte und vom Schweizer Bundesrat unterstützte Kandidatur für den Status als UNESCO-Weltkulturerbe bestätigt worden. Die Erforschung der Luzerner Feuchtbodensiedlungen hat ebenfalls eine lange Vorgeschichte, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begann und in den späten 1980-er Jahren vorläufig (?) zu Ende ging. Die ersten Fundmeldungen gehen sogar auf das Jahr 1806 zurück, als der Sempachersee abgesenkt wurde und zahlreiche archäologische Objekte aufgelesen werden konnten. Aus den Luzerner Seen und Mooren kennen wir heute etwa 40 Feuchtbodensiedlungen («Pfahlbauten»), die mit Unterbrüchen in die Zeit zwischen 4300 und 900 v.Chr. datiert werden können. Die etwas missverständliche Bezeichnung «Pfahlbauten» erhielten die prähistorischen Seeufersiedlungen als man im 19. Jahrhundert Überreste von Siedlungen in den Seen der Schweiz und des angrenzenden Auslands entdeckte. Zur selben Zeit haben Reisende über Dörfer in Asien berichtet, die auf Pfählen in den seichten Uferzonen des Meeres errichtet waren und der Vergleich mit den europäischen Funden war somit nahe liegend. Im Laufe Tauchsondierung im Sempachersee. Pfähle aus der Spätbronzezeit ca. 1000 Jahre v.Chr. 64 Das Leben in einem jungsteinzeitlichen Haus der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert zeigten Grabungsbefunde wiederholt, dass die Vermutung, dass auch die prähistorischen europäischen Häuser auf Pfählen im Wasser gebaut wurden, nicht zutreffen konnte. Insbesondere Ausgrabungen im luzernischen Wauwilermoos, wo früher besonders gute Erhaltungsbedingungen herrschten, lieferten Belege für eine bodenebene Bauweise. Hier wurden nämlich Böden und Feuerstellen direkt auf der Seekreide angebracht. Die zahlreichen Pfähle stammten von Wänden und tragenden Pfosten der Häuser. Das Gemeinsame dieser Siedlungen ist, dass sie im Bereich der Strandplatten gebaut wurden und zwar vorwiegend auf der weichen und feuchten Seekreide. Dies war selbstverständlich nur bei tiefem Wasserstand möglich. Naturwissenschaftliche Untersuchungen haben denn auch gezeigt, dass die Schweizer Seen bis in die Neuzeit massiven natürlichen Schwankungen ausgesetzt waren. Erst mit den Seeabsenkungen ab dem 16. Jahrhundert blieben die Seespiegel relativ stabil. Bei höheren Pegelständen wurde das Seeufer als Siedlungsplatz aufgegeben und die Dörfer wurden in etwas höher gelegene Gebiete verlegt. Es muss aber auch erwähnt werden, dass gleichzeitig mit den Pfahlbauten auch zahlreiche Siedlungen bestanden haben, die nicht ans Wasser gebunden Ein sehenswertes jungsteinzeitliches Dorf im Wauwilermoos waren. Wir gehen heute von einer mehr oder weniger flächendeckenden urgeschichtlichen Besiedlung der Schweiz aus und zwar bis relativ hoch in die Alpen hinauf. Warum ausgerechnet im eher feuchten Bereich gesiedelt wurde, ist nicht klar. Versuche haben gezeigt, dass sich Pfähle vergleichsweise einfach in die Seekreide eintiefen lassen, und Häuser somit relativ schnell errichtet werden können. Nötig waren aber Isolationsschichten aus Ästen, Lehm und anderen Materialien. In Egolzwil hat man sogar aufwändig konstruierte Prügelböden feststellen können. Ein weiterer Nachteil war die kurze Lebensdauer der benutzten Hölzer, da sie im feuchten Ambiente nach wenigen Jahren verrotteten. Manche Siedlungen standen weniger als 10 Jahre bevor sie endgültig aufgegeben und z.T. um nur einige wenige hundert Meter versetzt wurden. Wie Grabungen es zeigten, haben die prähistorischen Menschen ihre Abfälle nicht entsorgt sondern einfach in der Siedlung liegen lassen. Vielleicht war die kurze Lebensdauer der Siedlungen und der frühe Auszug deshalb auch aus hygienischen Gründen notwendig. Seit einiger Zeit wird unter Archäologen wieder diskutiert, ob es nicht doch auch Siedlungen mit einer abgehobenen Bauweise gegeben habe. Wie erwähnt gibt es eindeutige Belege für die bodenebene Bauweise, während die abgehobene Bauweise noch nirgends zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte. Die Luzerner Seen und Moore waren lange ein Zentrum der Pfahlbauforschung. Bis in die späten 1980er Jahre hat das Schweizerische Landesmuseum in Zürich intensiv Forschungen im Wauwilermoos betrieben. Während der Krisenzeit Ende der 1930er und Anfang der 1940er Jahre konnten ausserdem im Rahmen von Arbeitsbeschäftigungsprogrammen, einige wenige Untersuchungen am Sempacher- und Baldeggersee vorgenommen werden. Seit 1988 ruht mit einigen eher bescheidenen Ausnahmen die Luzerner Pfahlbauforschung. Wenn die Erhaltungsbedingungen gut sind, ist der Boden der beste Aufbewahrungsort für archäologische Funde. Leider muss aber festgestellt werden, dass die Luzerner Pfahlbauten stark bedroht sind. Im Gegensatz zu einigen anderen Kantonen ist dies hier meistens weniger auf Bautätigkeiten, als auf das Austrocknen und die Erosion der Fundschichten zurückzuführen. Hauptursache ist die erwähnte Absenkung und z.T. gar vollständige Trockenlegung der Seen (z.B. der ehemalige Wauwilersee). Funde aus Holz, Knochen und Textilien können nur in einer feuchten und sauerstofffreien Umgebung überleben. In den noch existierenden Seen werden die Seeufer und somit auch die Fundschichten von Strömung und Wellenschlag abgetragen. Im Wauwilermoos wurden mehrere Meter Torf abgebaut und die Fundschichten somit den Umwelteinwirkungen ausgesetzt. Eine erste zaghafte Wiederbelebung erfuhr die Erforschung der Luzerner Pfahlbauten im Jahr 2004, als die Tauchequipe der Zürcher Stadtarchäologie im Auftrag der Kantonsarchäologie Luzern Unterwasserprospektionen im Sempachersee durchführte. Es gelang, etliche Ufersiedlungen zu orten und z.T. gar neu zu entdecken. Leider musste aber auch ein durchwegs schlechter Erhaltungszustand zur Kenntnis genommen werden. 2005 führte das Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Bern in Zusammenarbeit mit der Kantonsarchäologie Luzern eine kleine Ausgrabung im Bereich der Zellmooshalbinsel bei Sursee durch. In dieser vollständig trocken gelegenen Ufersiedlung aus der Spätbronzezeit und der Jungsteinzeit konnte u.a. der mit Steinen unterlegte Lehmboden eines Hauses freigelegt werden. In den bis jetzt untersuchten oberen Schichten sind alle Hölzer der Trockenlegung zum Opfer gefallen. Punktuell lassen sich jedoch Negativabdrücke von Balken erkennen. Warum ist das Prädikat «UNESCO-Weltkulturerbe» angesagt? 65 Bild links: Ein jungsteinzeitlicher Netzbeutel mit Inhalt aus Egolzwil Die Pfahlbauten bieten dank den meist guten Erhaltungsbedingungen für Funde aus organischen Materialien, wie Holz, Textilien, Knochen und sogar Pflanzenresten, einmalige Einblicke in das Leben der prähistorischen Menschen. Archäologen aus anderen Gebieten können von solchen Bedingungen nur träumen. Die Pfahlbaufunde bieten eine reiche Quelle für das Verständnis der jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Kulturen. Im Folgenden werden einige wichtige Luzerner Pfahlbaufunde vorgestellt: Bronzezeitlicher Schmuck aus Baldegg Aus der frühbronzezeitlichen Seeufersiedlung von Hochdorf-Baldegg am Baldeggersee, die in die Zeit um 1550 v.Chr. datiert werden kann, stammen neben zahlreichen Gegenständen des Alltags auch einige Schmuckgegenstände ((Bild unten). Eine jungsteinzeitliche «Damentasche» aus Egolzwil. Ein besonderer Fund aus der Siedlung von Egolzwil 3, die um 4300 v.Chr. datiert werden kann, stellt ein Netz mit einem ungewöhnlichen Inhalt dar (Bild oben). Das geflochtene Netz war birnenförmig und in Zwirnbindung hergestellt und enthielt folgende Gegenstände: -14 Anhänger sind aus den Gehäusen von Tritonhörnern gefertigt, die aus dem Mittelmeerraum stammen. -1 Flussmuschelschale, wobei es unsicher ist, ob es sich auch hier um einen Anhänger handelt. -10 durchbohrte Anhänger («Flügelperlen» und «tropfen förmige Perlen») aus einem marmorartigen Kalkstein bzw. aus Marmor -21 Ring- und Röhrenperlen aus Kalkstein -12 unretuschierte Silices Beim Inhalt handelt es sich wahrscheinlich um den Schmuck und einige Geräte einer jungsteinzeitlichen Frau. Wichtig sind die durch den Fund belegten Verbindungen von Egolzwil bis zum Mittelmeergebiet vor mehr als 6000 Jahren. 66 Frühbronzezeitlicher Schmuck aus Hochdorf-Baldegg Nadeln aus Bronze, die wahrscheinlich für die Befestigung der Kleidung verwendet wurden, liegen in verschiedenen Ausführungen vor. Einige sind mit grossen Kugeln versehen, andere dagegen nur mit einem gerollten Kopf. Ebenfalls aus Bronze wurden Armringe mit Spiralenden gefertigt. Durchbohrte Perlen aus Bernstein zeigen nicht nur, dass sich der frühbronzezeitliche Mensch seine Eitelkeit etwas kosten liess sondern auch, dass Handelsverbindungen bis zum Ostseegebiet bestanden haben. Jungsteinzeitlicher Dolch aus Kupfer, gefunden in Hitzkirch Seematte Das erste Metall Während der Jungsteinzeit wurden primär Silex, Stein und Knochen für die Geräteherstellung verwendet. Um 3600 v.Chr. tauchte erstmals Metall auf, nämlich in Form von Kupfer. Dieses Metall gibt es zwar in der Schweiz, jedoch haben es die jungsteinzeitlichen Menschen, wie Metallanalysen gezeigt haben, aus den Ostalpen eingetauscht. Kupfer ist ein weiches Metall und somit eher ungeeignet für Arbeitsgeräte. Dass trotzdem z.B. Dolche, wie das hier gezeigte Exemplar aus Hitzkirch, Seematte am Baldeggersee (Bild oben), gefertigt wurden, hängt wohl damit zusammen, dass der Besitz von Kupfer nur wenigen Menschen vorbehalten und deshalb mit Prestige verbunden war. Holz Die Bearbeitung von Holz hatte bereits in der Steinzeit ein hohes Niveau erreicht. Die hier gezeigten Gefässe stammen aus der Siedlung Egolzwil 2 im Wauwilermoos und somit aus dem 4. Jahrtausend v.Chr. (Bild unten) Obwohl nur einfache Geräte aus Silex (Feuerstein) und Stein zur Verfügung standen, weisen die Gefässe eine fast moderne Fertigungsqualität auf. Jungsteinzeitliche Erntemesser mit Silexklingen, aus Egolzwil Die Tatsache, dass Holz erhalten ist, gibt ausserdem wichtige Informationen über die Schäftung und somit auch die Verwendung der Silexgeräte. Die beiden hier gezeigten Erntemesser stammen ebenfalls aus der Siedlung Egolzwil 2 (Bild oben). Schlussfolgerung Wie gezeigt wurde, stammen viele wichtige Funde und Befunde aus den Luzerner Pfahlbauten. Die Luzerner Seen und Moore liegen im Grenzbereich zwischen den gut untersuchten Gebieten der Ost- und der Westschweiz. Viele Fragen können nur hier beantwortet werden, und die uns anvertrauten Pfahlbauten stellen somit nicht nur einen wichtigen Teil unserer Geschichte dar, sondern sind auch eine grosse Verpflichtung. Die unaufhaltsame Zerstörung dieser historischen Bodendenkmäler ist für die zuständige Luzerner Kantonsarchäologie ein grosses Problem. Diese Behörde ist beauftragt, archäologische Fundstellen zu schützen und wenn dies nicht möglich ist, sie auszugraben und zu dokumentieren. Die heutigen Mittel reichen aber nicht einmal für eine erste Bestandesaufnahme der Schäden aus, und das ständig kleiner werdende Budget macht eigentliche Schutzmassnahmen und Untersuchungen erst recht illusorisch. Museen Jungsteinzeitliche Holzgefässe aus Egolzwil Eine interessante Ausstellung kann im Wiggertaler Heimatmuseum in Schötz besucht werden. Schwerpunkt der Ausstellung ist das Wauwilermoos mit den reichen Funden aus der Steinzeit aber auch aus jüngeren Epochen. Die Ausstellung kann nach Absprache besucht werden. Funde aus den Pfahlbauepochen sind ausserdem im Historischen Museum in Luzern ausgestellt. 67 Die Räumlichkeiten der Luzerner Kantonsarchäologie und Denkmalpflege in der alten Schild-Fabrik am Rotsee. Funde aus aktuellen Grabungen werden auf Tischen platziert und wissenschaftlich untersucht. Archäologischer Verein Luzern Der Archäologische Verein Luzern setzt sich zum Ziel, das Wissen über die Kulturgeschichte des Kantons Luzern einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen und das Interesse an der archäologischen Forschung im Kanton Luzern zu fördern. Der Verein unterstützt die Aktivitäten der Kantonsarchäologie und der archäologischen Abteilung im Historischen Museum Luzern. Der Archäologische Verein Luzern bietet seinen Mitgliedern: • Vorträge über aktuelle Grabungs- und Forschungspro jekte im Kanton Luzern • Workshops in experimenteller Archäologie • Exkursionen zu archäologischen Stätten und Ausgra bungen im Kanton Luzern • Kinderclub mit einem speziellen Angebot für Kinder und Jugendliche • und vieles andere mehr Sind Sie interessiert und möchten Mitglied werden? Kantonsarchäologie Luzern Libellenrain 15 6002 Luzern Tel. 041 228 65 95 www.da.lu.ch 68 Luzern. Bauen am Fluss Das von Fabian Küng verfasste Buch erschien in der Reihe «Archäologische Schriften Luzern», Band 10/2006.