14 Strategie & Management Digitalisierung Über den richtigen Umgang mit einem neuen Normalzustand Die Digitalisierung und die damit verbundene digitale Transformation gehören zu den meist diskutierten Themen. Daraus abgeleitete Szenarien spielen zwischen Hype, Veränderungsdruck und Unsicherheit. Ein nüchterner Blick hilft, das unternehmerische Koordinatensystem zu justieren. ››Marcel Stocker Über digitale Themen wird in den letz­ten Monaten so viel geschrieben, philosophiert und wachgerüttelt, dass viele dem Thema schon fast überdrüssig sind. «Digital ist das nächste grosse Ding!», heisst es. Dabei liegen Hysterie und Euphorie oft eng beieinander. Wer das objektiv betrachtet, erkennt nüchtern: Digital ist das neue Normal. Eine Begriffsklärung Wichtig ist, zwischen der Digitalisierung und der digitalen Transformation zu unterscheiden. Obwohl beide Begriffe oft synonym verwendet werden, beschreibt die Digitalisierung einen Prozess, in welchem wir schon seit der «Internet-Revolution» stecken: digitale Technologien im Unternehmen implementieren, Prozesse effizienter und das Kundenerlebnis besser gestalten. Neu an der Digitalisierung ist die Vielfalt der Möglichkeiten aufgrund der Informatik und die damit immer schneller drehende Innovations-Spirale. Vor diesem Hintergrund wird die Agilität, mit welcher ein Unternehmen die Digitalisierung weiter vorantreibt, zentral. Es geht nicht mehr nur darum, grosse Bro- KMU-Magazin Nr. 3, März 2017 cken wie die Einführung von ERP-Systemen zu stemmen, sondern weitere digitale Elemente schrittweise in die Prozesse ! ›› einzufügen. Begünstigt wird diese Entwicklung durch immer besser und flexibler werdende Schnittstellen, die es er­ lauben, neue Lösungen mit bestehenden zu verbinden. kurz & bündig Die Digitalisierung beschreibt den Prozess, in welchem wir uns seit der «Internet-Revolution» befinden. Die digitale Transformation geht einen Schritt weiter und adaptiert das Geschäftsmodell oder die Organisation eines Unternehmens an die Anforderungen des digitalisierten Umfelds. Wenn man die digitale Transformation angeht, beginnt man mit der Reduktion auf Kern-Kompetenzen sowie den Kern-Nutzen und baut darauf neu auf. Eine detaillierte, mehrjährige Planung des Geschäftsmodells wird zunehmend schwieriger. Die strategischen Ziele sowie die Leitplanken haben eine wichtige Leuchtturm-Funktion, deren Umsetzung muss künftig aber agil angegangen werden. ›› ›› Zwei Beispiele von Digitalisierungs-Projekten, welche die Vertriebsaktivitäten unterstützen: Eine Applikation, die es Verkaufsmitarbeitern erlaubt, Informationen aus verschiedenen Quellen wie ERP und CRM zentral dargestellt abzurufen. Auch Änderungen und Aufträge können in dieser Applikation erfasst werden. Anschliessend werden die Daten über Schnittstellen wieder in die entsprechenden Programme übertragen. Ein weiteres Beispiel ist der Aufbau einer Self-ServicePlattform für den Aftersale. Kunden finden online Videos und Anleitungen, welche sie bei der Nutzung eines Produktes unterstützen, und können bei Bedarf via Chat ergänzende Informationen bei einem Mitarbeitenden abfragen. Strategie und Ziele festlegen Die digitale Transformation geht einen Schritt weiter und adaptiert das gesamte Geschäftsmodell oder die Organisation 15 Strategie & Management des Unternehmens an die Anforderungen eines digitalisierten Umfelds. Hier handelt es sich um Themen, welche die strategische Ausrichtung eines Unternehmens beeinflussen. Auch hier empfiehlt sich ein agiles Vorgehen bei der Umsetzung, wie beispielsweise die Schaffung von Testmärkten. Vorher gilt es aber, Strategie und Ziele festzulegen. Geht man die digitale Transformation aus Produktsicht an, so geht es zuerst darum, das Produkt oder die Dienstleistung auf ihren Kern-Nutzen zu reduzieren. Beim Autohändler ist das beispielsweise die Mobilität, beim Gärtner ist es der gepflegte Garten. Diesen Kern-Nutzen gilt es, in der für den Kunden optimalsten Art und Weise zu erbringen, wobei sich dank digitalen Hilfsmitteln und Tools oft völ­lig neue Möglichkeiten ergeben – dann, wenn man den Mut hat, traditionelle Muster und Prozesse zu ersetzen. Ein Beispiel dafür ist Catch-a-Car von Amag und Mobility: In gewissen Städten können Autos für die Fahrt von A nach B genutzt werden, ohne sie vorgängig zu reservieren oder wieder an den Ausgangort zurückbringen zu müssen. Möglich wurde dieser Service durch die Technologien Smartphone, mobiles Internet und GPS. Den Kern-Nutzen, die Mobilität, hat man befreit vom Besitz eines Autos und fixen Standorten. Geht man die digitale Transformation aus der Organisations-Perspektive an, so beginnt man auch mit deren Reduktion auf Kern-Aufgaben und Kompetenzen. Am Beispiel des vorgängig erwähnten Gärtners kann dies die Ausführung von anspruchsvollen Gartenarbeiten und die Vorratshaltung von Pflanzen und professionellem Werkzeug sein. Der Gärtner baut eine Online-Plattform für die Vermittlung von Hobby-Gärtnern für ein­ fachere Arbeiten im Garten auf, denen er Material ausmietet und sie mit entsprechenden Pflanzen beliefert. Er kann so seine Maschinen besser auslasten und sich einen Kundenkreis erschliessen, welcher sich keinen professionellen Gärtner leisten will. Agilität statt Big Bang Die digitale Innovationsspirale dreht sich und eine detaillierte, mehrjährige Planung wird immer schwieriger oder verkommt zum Glaskugel-Lesen. Auch wenn strategische Ziele und Leitplanken noch immer eine wichtige Leuchtturm-Funk- tion haben, muss deren Umsetzung agil angegangen werden. Über Jahre dauernde Mega-Projekte riskieren in diesen Zeiten immer mehr, am Ziel vorbeizu­ schiessen. Unterteilen Sie ein Projekt deshalb in möglichst viele Teilprojekte, von welchen Sie jedes einzeln lancieren können. Dieses Vorgehen erlaubt es Ihnen, schon früh Erfahrungen am Markt zu sammeln und diese für die weiteren Teilprojekte zu nutzen. Neue Ideen und Technologien können laufend ins Projekt integriert werden. Ein bildliches Beispiel: Sie haben das strategische Ziel, zwei Städte verkehrstechnisch miteinander zu verbinden. Anstatt in jahrelanger Arbeit eine Autobahn zu bauen, eröffnen Sie schon nach wenigen Wochen einen Feldweg für ausgesuchte Einwohner. So haben Sie bereits erste zufriedene Nutzer und lernen vielleicht, dass die Qualität des Feldwegs den SUVfahrenden Städtern sogar genügt, aber die Kapazität des Weges zu gering ist. Deshalb schieben Sie das geplante Asphaltieren zeitlich auf und bauen eine zweite Spur. Schlussendlich landen Sie dennoch bei der Autobahn, doch Sie gewinnen auf dem Weg dorthin bereits zufriedene Kunden und haben zudem Er- Anzeige Weniger Unfälle, weniger Ausfälle: Von Unfällen in der Freizeit oder auf dem Arbeitsweg kann auch Ihr Unternehmen betroffen sein. Ausfälle führen zu organi­ satorischen Umtrieben und höheren Kosten. Mit den SafetyKits der bfu können Sie sofort Unfälle verhüten. Die SafetyKits sind kostenlos, aber garantiert nicht umsonst. Bestellung und weitere Informationen: safetykit.bfu.ch tyKit Neues Safe / Roller» «Motorrad stellen ecktube be mit Gratis -N solange Vorra t Lass dich nicht abschiessen. stayin-alive.ch KMU-Magazin Nr. 3, März 2017 16 Strategie & Management Die Konkurrenz wird also grösser, während die Kunden gleichzeitig besser in­ formiert sind und höhere Ansprüche an Produkt und Service entwickeln. Wer in digitalisierten Märkten Kunden gewinnen und halten will, muss diesen Faktoren Rechnung tragen und sein Angebot konsequent auf die Kunden und deren Bedürfnisse ausrichten. Das bedingt aber, dass man seine Kunden und deren aktuelle Bedürfnisse kennt und sie in die Entwicklung neuer Produkte mit einbezieht. Hier ist wiederum Agilität gefragt: Umfassende Studien und Befragungen sind viel weniger aufschlussreich als persönliche Gespräche mit Kunden oder die Beobachtung eines Anwenders. Oftmals wird in diesem Zusammenhang Henry Ford zitiert: «Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt schnellere Pferde.» Natürlich stimmt es, dass die Vorstellungskraft der Kunden diesbezüglich eingeschränkt ist, da sie die Möglichkeiten gar nicht kennen. Deshalb sind Prototypen so wichtig, mit welchen Sie den Kunden schon sehr früh die Idee vom neuen Produkt zeigen und deren Reaktionen abholen können. Gerade bei digitalen Produkten sind Prototypen relativ einfach realisierbar. Denn für den Anfang reichen schon einfache Skizzen. fahrungswerte gesammelt, wo Ausfahrten sowie Rastplätze am optimalsten zu platzieren sind. Der Kunde im Mittelpunkt Digitalisierung steht für Transparenz, Individualisierung, Effizienz sowie den Abbau von geografischen Grenzen. Als bereits bekanntes Beispiel kann der Gebrauchtwagenmarkt dienen. KMU-Magazin Nr. 3, März 2017 Früher hat man bei den umliegenden Händlern sowie in den Tageszeitungen nach einem einigermassen passenden Auto gesucht. Heute findet man das landesweite Angebot (Abbau von Grenzen) online und mit einigen wenigen Klicks (Effizienz) in einer Vielfalt, welche es erlaubt, die persönliche Wunsch-Ausstattung zu wählen (Individualisierung) und dabei auch noch den besten Preis (Transparenz) zu erzielen. Lassen Sie dabei nicht ausser Acht, dass für den Kunden auch der ganze Prozess der Entscheidungsfindung sowie der Aftersale zum Produkt gehört. Hier eröffnen sich aufgrund der Digitalisierung eine Vielzahl neuer Informations- sowie Kommunikationskanäle. Und der Kaufentscheid entwickelt sich oftmals nicht zu Bürozeiten. Nur wer rund um die Uhr Informationen online verfügbar hat, digitale Kanäle für Anfragen offenhält und diese auch rasch und professionell beantwortet, wird vom Kunden überhaupt in seine Auswahl mit einbezogen. Dieser Anspruch hält sich auch nach dem Kauf. Bei Fragen und Problemen will der Kunde rasch und direkt eine Lösung. Er erwartet auch, dass man ihn und sein Produkt erkennt und er sein Problem nicht mehr- 17 Strategie & Management mals vortragen muss. Auch dabei helfen digitale Hilfsmittel wie Self-Service-Portale und CRM-Systeme. Effizienzsteigerung «Dank» der Frankenstärke, hohen Personalkosten und weiteren Faktoren waren wir in der Schweiz schon immer motiviert, unsere Prozesse auf Effizienz zu trimmen, um die Margen in einem kompetitiven Umfeld zu sichern. Die Digita­ lisierung führt diese Tradition nun in die nächste Runde: Sie ermöglicht die Prozesse bezüglich der Qualität, der Benutzerfreundlichkeit sowie der Geschwindigkeit nochmals entscheidend zu optimieren. Die einzelnen Aufgaben können automatisiert werden, wobei sogenannte Bots in Verbindung mit künstlicher Intelligenz in naher Zukunft die Spanne der automatisierbaren Tätigkeiten nochmals entscheidend verbreitern können. So werden beispielsweise Kundendienstanfragen bezüglich Kontostand oder Liefertermin von einem Bot beantwortet. Die Mitarbeiter kümmern sich um die anspruchsvolleren Aufgaben, überwachen die Prozesse und prüfen Abweichungen. Dabei kann auch das Erkennen von Abweichungen mit künstlicher Intelligenz automatisiert werden. Im Produktionsbereich wird diese Entwicklung von der immer günstiger werdenden Sensortechnik unterstützt. So kann eine komplette Produktion vollautomatisch auf Toleranzen geprüft werden, was eine Qualitätssteigerung gegenüber manueller Stichproben erlaubt. tition ist kaum sinnvoll, da sie neben den hohen Kosten eine Unternehmung stark beansprucht und die Möglichkeiten der Individualisierung trotzdem nur unwesentlich verbessert. Viel sinnvoller ist die Nutzung der Schnittstellen dieser Systeme, über welche individuelle SoftwareLösungen für Teilprozesse angebunden werden können. Diese sogenannten Lean-Enterprise-Applikationen sind schlank, auf ihren jeweiligen Einsatz optimiert und kostengünstig zu realisieren. So kann beispielsweise ein Handelsunternehmen eine Applikation für den Telefon-Verkauf nutzen, über welche Mitarbeitende aus dem ERP-System die aktuellen Preise und Bestände der Waren beziehen. Die Auftragskalkulation sowie die Frachtpapiere werden direkt in der Applikation erstellt, bevor die Daten via Schnittstelle wieder zurück ins ERP exportiert werden. Solche flexiblen Software-Lösungen erhöhen die Effizienz und Benutzerfreundlichkeit eines Prozesses erheblich, ohne dass kostspielige Anpassungen an den Kernsystemen vorgenommen werden müssen. Fazit Unter dem Begriff der Digitalisierung findet man somit altbekannte Themen wie Effizienzsteigerung, Kundenfokus und Innovation wieder. Jedoch mit dem Unterschied, dass das Tempo digital beschleunigt wird und die Adaptionen deshalb als stetig laufender Prozess betrachtet werden müssen. Gleichzeitig gilt es, die Augen offenzuhalten für grundlegende Veränderungen, welche eine Transformation des Geschäftsmodelles erlauben, um die Marktposition nachhaltig zu sichern oder auszubauen. « Veranstaltung Digital Enterprise Forum Lucerne «Digitalisierung im KMU – jetzt mal konkret!» KMU-Führungskräfte, welche digitale Themen aktiv angehen wollen, können sich am 2. Mai 2017 im KKL Luzern von Keynotes und konkreten Praxisbei­ spielen inspirieren lassen. Daneben treffen sie auch Partner für die Umsetzung ihrer eigenen Projekte. Informationen und Anmeldung unter: www.defl.ch Porträt Marcel Stocker Geschäftsführer, Digital Enterprise AG ERP und die Digitalisierung In den letzten Jahren wurden in vielen Unternehmen mächtige Systeme eingeführt, allen voran die ERP-Systeme. Diese bilden die Kernprozesse eines Unternehmens ab und sind zu dessen Rückgrat geworden. Die Kehrseite der Medaille besteht allerdings darin, dass sie schwerfällig und kostspielig anzupassen sind. Oftmals kommt deshalb der Wunsch auf, ein ERP-System auszutauschen. Diese Inves- Kontakt [email protected], www.digitalenterprise.ch KMU-Magazin Nr. 3, März 2017