Mittagessen mit dem deutschen Botschafter in Kathmandu, Matthias Meyer am 13. Juli 2015 im Übersee-Club, Neuer Jungfernstieg 19, 20354 Hamburg Vorsitz: Herr Peter Clasen, i.Fa. Wilhelm G. Clasen, Hamburg Gast: Herr Matthias Meyer, Deutscher Botschafter, Kathmandu Innenpolitik Die neuere politische Entwicklung in Nepal wird als Horizont für Stabilität angesehen. Als Zäsur gilt die Erdbebenkatastrophe Ende April 2015: Davor zeichnete sich zwischen den politischen Parteien keine Einigung ab und über Jahre hinweg fand keine Annäherung hinsichtlich eines gemeinsamen Verfassungsentwurfs statt. Nach dem Erdbebenschock kam es mit den Maoisten und anderen Oppositionsparteien zu einem Kompromiss. Für den neuen Verfassungsentwurf setzen sich in der Verfassunggebenden Versammlung (VV) über 90 Prozent der Vertreter ein, nur kleinere Oppositionsparteien, überwiegend aus dem südlichen Terai, sprechen sich dagegen aus. Der Bevölkerung soll der neue Verfassungsentwurf nun zur Kommentierung freigegeben werden. Tatsächlich ähnelt der Verfassungsentwurf der deutschen Verfassung: Ein gemischtes Wahlsystem ist vorgesehen, außerdem eine Quotenregelung für den Einzug in die VV. Die Zahl der Abgeordneten soll von 601 auf 275 reduziert werden. Das Oberhaus, das dem deutschen Bundesrat entspricht, soll aus 45 Mitgliedern bestehen, davon fünf von der Regierung ernannte Vertreter. Als Herausforderung stellt sich die im Verfassungsentwurf festgelegte Einführung des Föderalismus dar. Ziel ist es, den benachteiligten Parteien dadurch mehr Mitbestimmungsrechte zu geben und sich von der auf Kathmandu fokussierten Entscheidungsstruktur zu lösen. Diesbezüglich gibt es Streit um die Festlegung der acht geplanten Provinzen. Eine ursprüngliche Aufteilung sah im Süden (Terai) nur zwei Provinzen und im Norden sechs Provinzen vor, dabei sah sich der Süden mit nur 25 Prozent der Stimmen allerdings unterrepräsentiert. Aktuell wird diskutiert, jeweils drei Provinzen im Süden und im Norden, sowie jeweils eine Provinz im Osten und im Westen zu bilden. Die Frage der Aufteilung der Provinzen muss vor der Verabschiedung der Verfassung gelöst werden. Deutschland unterstützt Nepal bei den aktuellen Debatten durch das Angebot einer rechtlichen Beratung. Als schwierig gestaltet sich auch die Frage der Machtverteilung. Hinter den Kulissen fanden bereits Absprachen hinsichtlich der Neubesetzung der Posten statt. Um möglichst schnell die besprochene Rollenverteilung umzusetzen, wird nun Druck auf die amtierende Regierung ausgeübt. Die aktuelle Planung sieht vor, die Verfassung Ende August / Anfang September 2015 zu verabschieden und Anfang Oktober 2015 die neue Regierung zu wählen. Gemäß der Absprachen soll der Vorsitzende der Communist Party of Nepal (Unified Marxist-Leninist) – CPN-UML, Khadga Prasa Oli, das Premierminister-Amt übernehmen. Hinsichtlich des Präsidenten-Amts wurde noch keine Entscheidung getroffen. Auch die Maoisten sollen in der neuen Regierung vertreten sein. Der aktuelle Premierminister wird nach Verabschiedung der Verfassung sein Amt dem Koalitionspartner zur Verfügung stellen. 1 Das in Kathmandu akkreditierte diplomatische Corps hat die Fortschritte im Verfassungsgebungsprozess gelobt, zugleich aber darauf hingewiesen, dass die Verfassung allen Volksgruppen sowie Frauen Gleichberechtigung sichern müsse. Lokale Wahlen sollen innerhalb des nächsten Haushaltsjahres (16. Juli 2015 bis 15. Juli 2016) stattfinden. Die Armee gilt als Rückgrat des Landes. Nach dem Erdbeben haben die Streitkräfte als Erste substantielle Hilfe geleistet. Dies ist in der Öffentlichkeit auf große Anerkennung gestoßen. Die Armee hält sich im Hintergrund und erkennt die Spielregeln der Demokratie im Land an. Die Eingliederung von circa 1.500 maoistischen Kämpfern im Rahmen des Friedensprozesses ins zivile Leben verlief gut. Die Bundesregierung unterstützte die Aussöhnung durch Finanzierung eines Prozesses zur Förderung der Integration. In Nepal unterhalten die Konrad-Adenauer-Stiftung sowie die Friedrich-Ebert-Stiftung Büros mit lokalen Repräsentanten. Während die KAS stark auf SAARC-Themen der regionalen Integration fokussiert ist, richtet die FES ihren Fokus mehr auf den gesellschaftspolitischen Dialog und Föderalismus. Die Zusammenarbeit im südasiatischen Staatenbündnis SAARC wird durch die gespannten Beziehungen zwischen Indien und Pakistan belastet. Ein Transportabkommen unter Ausschluss von Pakistan und Sri Lanka konnte vor kurzem von den übrigen Mitgliedsstaaten abgeschlossen werden. Insgesamt hat sich die politische Situation seit dem Erdbeben positiv entwickelt. Beobachter hoffen, dass bis Ende 2015 die politischen Strukturen einverständlich geregelt werden können. Die starke Rolle der Parteien wird von manchen als hinderlich angesehen, zumal diese über keine wegweisenden Parteiprogramme verfügen. Nepal steht auch vor einem Generationenproblem, das den Entwicklungsprozess erschwert. Alteingesessene Politiker zeigen wenig Bereitschaft, ihre Positionen an junge mögliche Nachfolger abzugeben. Erdbeben Das Erdbeben, das das Land am 25. April 2015 erschütterte, und dem über 8.700 Menschen zum Opfer fielen, war das schwerste Erdbeben seit über 80 Jahren. Das Zentrum lag im Nordwesten von Kathmandu, in der Nähe von Gurkha, wo viele Dörfer zerstört wurden. Aber auch das Kathmandutal war betroffen und mehr als 500.000 Gebäude kamen zum Einsturz, darunter Regierungsgebäude, Krankenhäuser und Schulen. Im Süden des Landes hingegen blieb so gut wie alles intakt, die dortige Infrastruktur trug kaum Schäden davon und die Straßen sind weiterhin befahrbar. Die deutsche Entwicklungshilfe legt den Fokus auf Gesundheit, Energieversorgung, und Infrastrukturmaßnahmen, darunter Beiträge zum Wiederaufbau von Bakthapur. Von den deutschen Hilfswerken sind neben anderen die Malteser (Verteilung von Hilfsgütern, Zelten, aktiv im Krankenhausbereich) und die Johanniter vor Ort. Der THW leistete in den ersten vier Wochen vor Ort Hilfe, vorrangig im Bereich Wasseraufbereitung. Die vom OAV unterstützte Spendenaktion der Hamburger Stiftung Asien-Brücke generierte über 30.000 Euro, die in zwei Projekte in den Bereichen Wiederherstellung/Wiederaufbau von Trinkwasseranlagen sowie Abwassersystemlösungen fließen sollen. 2 Wirtschaft Auch die Wirtschaft ist vom Erdbeben schwer getroffen. Immer mehr nepalesische Gastarbeiter, derzeit circa fünf Millionen, kehren ihrem Land den Rücken. Rücküberweisungen machen über 25 Prozent des Haushalts aus. Der Tourismus verzeichnete infolge des Bebens große Einbußen. Der Handel mit Nepal ist schon seit Jahren eingebrochen. In den 90er Jahren stellten Teppiche das Hauptexportgut Nepals in westliche Länder dar. Derzeit bieten medizinische Kräuter, Honig und Senf Potential, das ausgebaut werden kann. Nepal kann allerdings häufig die hohen EU-Standards nicht erfüllen. Ein Beispiel für ein erfolgreiches Projekt der Exportförderung ist das deutsch-französische PPP-Vorhaben, bei dem Kräuter in Nepal zur Herstellung von Parfüms angebaut und in Europa vermarktet werden. Auch Ingwer, der zum größten Teil nach Indien exportiert wird, könnte unter anderem in Deutschland vermarktet werden, wo die Nachfrage in letzter Zeit erheblich gestiegen ist. Im Rahmen eines PPP-Projekts von Tee Gschwender wurde ein Ingwer-Tee aus Nepal ins Sortiment aufgenommen. Das Projekt mit Nepal lief erfolgreich an, so dass zwischenzeitlich noch weitere Ingwer-Tees von Tee Gschwender verkauft werden. Ayurvedische Medizin aus Nepal stellt ebenfalls einen Bereich mit Potential dar. Dass im Westen eine entsprechende Nachfrage vorhanden ist, zeigt das Beispiel von MERCK USA, die in ihrer Schweizer Niederlassung 700 Angestellte alleine für den Bereich Heilmedizin beschäftigen. In der IT-Branche verfügt Nepal über gute Grundlagen. Allerdings wurde die Infrastruktur durch die Erdbebenkatastrophe beeinträchtigt. Auch ist der Sektor nicht mit dem Niveau in Indien, weder nach Größe noch Qualität vergleichbar. Dennoch gibt es gut ausgebildete ITFachkräfte in Nepal, die zumeist im informellen Sektor beschäftigt sind. Nepal verfügt über zwei Softwareverbände. Die Commerzbank AG ist als einzige deutsche Bank aktiv in Nepal engagiert. Sie unterhält Geschäftsbeziehungen zu 19 Korrespondenzbanken, die von der Commerzbank AG zweimal im Jahr zur Pflege der Geschäftsbeziehung in Kathmandu aufgesucht werden. Zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs führen nepalesische Banken ihre EUR Konten bei der Commerzbank AG. Bei handelsbezogenen Zahlungen schalten die nepalesischen Banken die Commerzbank AG ein. Eine Liste der Partnerbanken kann über den OAV erfragt werden. Hinsichtlich des Bürokratieabbaus ist kaum Verbesserung zu verzeichnen. Projekte werden nach Ausschreibungen in der Regel nicht beim ersten Mal vergeben, bisweilen nicht einmal beim zweiten Mal. Dies ist auf die Forderung von Schmiergeldern zurückzuführen, die bei internationalen Partnern nicht immer erwartet werden können. Die von der Regierung nach dem Erdbeben ins Leben gerufene „Reconstruction Authority“ ist beauftragt, den Wiederaufbau voranzutreiben und soll Entscheidungen auch ohne Ausschreibungsverfahren treffen können. Posten werden in Nepal häufig aufgrund von Beziehungen und nicht nach Leistung vergeben. Die Bürokratie erweist sich als Hindernis, ebenso wie der häufige Wechsel von Ansprechpartnern in den Behörden. Beobachter gehen davon aus, dass kurzfristig keine großen Veränderungen in der Wirtschaft zu erwarten sind, mittel- bis langfristige Prognosen für Nepal jedoch durchaus positive Tendenzen in Aussicht stellen. 3 Infrastruktur / Logistik Die Elektrizitätsversorgung im Lande stellt sich weiterhin – und insbesondere auch nach dem Erdbeben – als problematisch dar. Bis 2020 sollen die Stromausfälle in Kathmandu nach Aussagen der Regierung auf sechs Stunden pro Tag begrenzt werden. Pläne zum Ausbau der Stromerzeugung im Bereich Wasserkraft werden vorangetrieben, der Bau einer Vielzahl neuer Staudammprojekte ist in der Planung. Der Straßenzustand hat insbesondere in ländlichen Gegenden durch das Erdbeben stark gelitten. Ein Tunnel aus dem Kathmandutal nach Süden ist derzeit in Zusammenarbeit Nepals mit der Asian Development Bank angedacht, der Bau einer Schwebebahn ist ebenfalls im Gespräch. Der geplante Bau einer Eisenbahnlinie nach Indien (via Grenzübergang bei Birganj) wirft zudem die Frage auf, ob Nepal künftig als Transitmarkt nach China in Betracht kommt. Im Süden des Landes (Lumbini) ist der Bau eines neuen internationalen Flughafens geplant, was auch den Ausbau einer Schnellstraßenverbindung nach Kathmandu zur Folge haben wird. Zudem wird der Bau eines internationalen Flughafens in Pokhara geplant, beide Projekte sollen bis 2020 fertiggestellt werden. Die Nepal Airlines Corporation hat den Kauf mehrerer Flugzeuge von Airbus bekanntgegeben und möchte damit mittelfristig Frankfurt, London und Paris direkt anfliegen. Inlandsflüge sind unter dem Sicherheitsaspekt nach wie vor kritisch zu sehen. Da künftig größere Zahlen an Touristen erwartet werden, ist zudem der Ausbau von Hotels geplant. Barbara Schmidt-Ajayi, Regional Manager South Asia, Tel: 040-357559-16, Email: [email protected] 4