Das Human Brain Project - Gesundheitsindustrie BW

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Das Human Brain Project
Im größten Forschungswettbewerb der Europäischen Union war das „Human Brain Project“
erfolgreich, ein auf zehn Jahre mit einem Volumen von über einer Milliarde Euro angelegtes
Großvorhaben. In ihm sollen das menschliche Gehirn elektronisch nachgebaut und seine
Funktionen in neu entwickelten Supercomputern simuliert werden.
Ein von Heidelberger Wissenschaftlern unter Leitung von Professor Karlheinz Meier konstruierter „neuromorpher“
Chip. © Kirchhoff-Institut für Physik, Universität Heidelberg
Am 28. Januar 2013 stellte Neeli Kroes, EU-Kommissarin für die Digitale Agenda und
Vizepräsidentin der Kommission, die beiden Gewinner der Ausschreibung der „FlaggschiffInitiative“ (FET-Flagship: „Future and Emerging Technologies Flagship“) vor. Es sind die
größten Förderungen für wissenschaftliche Projekte, die jemals in Europa finanziert worden
seien, verkündete die Kommissarin. Als Flaggschiffe, die mit je etwa einer Milliarde Euro für die
nächsten zehn Jahre ausgestattet werden und Europa zur „Supermacht des Wissens“ machen
sollen, wurden zwei Großprojekte ausgewählt, die sich in einem mehrere Jahre dauernden
Begutachtungsverfahren gegen 19 konkurrierende Projekte durchgesetzt hatten: erstens die
Erforschung des "Wundermaterials" Graphen, einer erst 2004 beschriebenen Modifikation des
Kohlenstoffs, und zweitens das „Human Brain Project“, mit dem die Funktionen des
menschlichen Gehirns im Supercomputer simuliert werden sollen.
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Prof. Dr. Karlheinz Meier, Ko-Direktor des Human Brain Project © Kirchhoff-Institut für Physik, Universität Heidelberg
Das Human Brain Project (HBP), an dem über 80 Institutionen aus 19 europäischen Ländern
sowie den USA, Israel, Argentinien, Japan und China beteiligt sind, war in mehr als dreijähriger
Vorarbeit entwickelt worden. Entscheidend vorangetrieben wurde es von dem
Neurowissenschaftler Prof. Dr. Henry Markram von der École Polytechnique Fédérale de
Lausanne (EPFL), der jetzt das Gesamtvorhaben koordiniert, und Prof. Dr. Karlheinz Meier vom
Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg, der als Ko-Direktor den
naturwissenschaftlich-physikalischen Bereich des Projektes leitet.
Gegenwärtig beteiligen sich am HBP 256 führende Wissenschaftler und ihre Mitarbeiter in den
Forschungsgebieten der Molekularen und Zellulären Neurowissenschaften , der Kognitiven und
der Theoretischen Neurowissenschaften sowie - als Kern des Projektes - sechs großen
Plattformen der Informations-und Kommunikationstechnologien (ICT). Hinzu kommen die
Abteilungen Ethik und Gesellschaft sowie das Management des Gesamtprojektes. Die ICTPlattformen sind: (i) Neuroinformatics; (ii) Brain Simulation; (iii) Medical Informatics; (iv) High
Performance Computing; (v) Neuromorphic Computing; und (vi) Neurorobotics. Aus
Deutschland sind 55 Arbeitsgruppen in das Projekt eingebunden, oft an entscheidender Stelle.
So werden – neben der vom Heidelberger Kirchhoff-Institut koordinierten Plattform
Neuromorphic Computing – die Plattformen High Performing Computing vom
Forschungszentrum Jülich und die Plattform Neurorobotics von der Technischen Universität
München koordiniert.
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Vorarbeiten
Als Vorläufer des HBP gilt das von Markram am EPFL entwickelte „Blue Brain Project“, in dem
ein Grundbaustein des Gehirns einer Ratte, eine aus 10.000 Neuronen bestehende
(neo)kortikale Säule, auf zellulärer Ebene im Computer simuliert wird. Die im Modell
ablaufenden Prozesse werden von experimentell erzeugten Daten angetrieben und in einem
Supercomputer mit achttausend IBM-Prozessoren („Big Blue“) automatisch ausgeführt.
Inzwischen zeigt das Modell Verhaltensweisen, die denen der neurowissenschaftlichen
Experimente am Rattenhirn entsprechen. Diese Bausteine sollen als Grundlage dienen, um im
HBP in großem Maßstab Simulationsmodelle zu entwickeln, die zu einem vollständigen
virtuellen Gehirn hinführen.
„Eine Vision, jedoch realistisch“, meint Markram. Was sich hinter dieser Zuversicht verbirgt,
sollen ein paar Zahlen verdeutlichen: Von den stecknadelkopfgroßen Elementareinheiten der
kortikalen Säulen gibt es im Rattenhirn etwa 100.000; das entspricht einer Milliarde
miteinander verschalteter Neuronen. Kaum vorstellbar werden die Dimensionen beim
Menschen. Seine Großhirnrinde ist aus etwa zwei Millionen kortikaler Säulen aufgebaut, von
denen jede 100.000 Neuronen, also zehnmal mehr als bei der Ratte enthält. Das ergibt 200
Milliarden Neuronen.
Das BrainScaleS Project am Kirchhoff-Institut © Universität Heidelberg
Die Arbeitsgruppe von Karlheinz Meier am Kirchhoff-Institut verfolgt einen anderen Ansatz, um
hochkomplexe neuronale Netzwerke zu simulieren. Sie baut elektronische Schaltungen, die wie
Neuronen und ihre synaptischen Verbindungen funktionieren. Mit modernen ChipTechnologien können elektronische Schaltungen hergestellt werden, die neuronalen
Netzwerken entsprechen. Der erste entwickelte „Heidelberger Netzwerkchip“ war 5x5 mm
groß und besaß 384 künstliche Neuronen mit 100.000 Synapsen. In ihrem "BrainScaleS
Project" haben die Forscher das Herstellungsverfahren revolutioniert. Sie verwenden jetzt
große Siliziumscheiben (Wafers), auf denen Chips in großer Dichte miteinander verbunden
sind. Dieses „neuromorphe“ System umfasst bereits 200.000 Neuronen und 50 Millionen
Synapsen. Es ähnelt in seinem Verhalten bereits stark dem biologischen Vorbild neuronaler
Netze: Es zeigt Lernfähigkeit, Fehlertoleranz und Plastizität, das heißt, es kann sich (teilweise)
selbst organisieren. Meier strebt an, die Leistung des Systems im Rahmen der Projektplattform
für neuromorphes Rechnen des HBP weiter um ein Vieltausendfaches zu erhöhen. Am Ende der
Aufbauphase stünde das bei Weitem größte neuromorphe System der Welt zur Verfügung,
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dessen Leistungsfähigkeit dem Gehirn eines mittelgroßen Säugetiers entspricht, und an dem
auch die anderen Partner Experimente durchführen können.
Diese Entwicklungen setzen voraus, dass die gewaltigen Datenmengen auch verarbeitet
werden, um die Kommunikation der Millionen künstlichen Nervenzellen zu verstehen. Die
Plattform Neuromorphic Computing ist daher eng mit der High Performance Computing
Plattform verknüpft, in deren Rahmen am Forschungszentrum Jülich die für das HBP
benötigten Supercomputer aufgebaut werden.
Finanzierung und Aufbau der HBP-Infrastruktur
Allerdings ist die Finanzierung des neuen, auf 80 Milliarden Euro für die Jahre 2014-2020
geplanten EU-Forschungsrahmenprogramms (genannt „Horizon 2020“), in dem die FETFlagship-Projekte angesiedelt sind, noch nicht gesichert. Bislang haben sich die europäischen
Staats- und Regierungschefs angesichts der Finanzkrise nicht auf den von der EU-Kommission
vorgeschlagenen Gesamt-Finanzrahmen einigen können. Der HBP-Antrag sieht für die
zehnjährige Projektlaufzeit ein Gesamtvolumen von 1,190 Milliarden Euro vor, von denen 643
Millionen Euro durch Horizon 2020 und die restlichen 547 Millionen Euro von den
Projektpartnern bereitgestellt werden sollen. Zusicherungen von den beteiligten
wissenschaftlichen Einrichtungen, Industriepartnern und nationalen Institutionen in Höhe von
etwa 300 Millionen Euro liegen bereits vor. Neben 27 kleinen und mittleren Unternehmen aus
zwölf europäischen Ländern und den USA haben auch Großkonzerne aus den medizinischpharmazeutischen und biotechnologischen Bereichen sowie der Informations- und
Kommunikationstechnologie ihre Unterstützung zugesagt.
Vernetzte Neuronen im Blue Brain Project. © EPFL
Während der zweieinhalbjährigen Startphase, deren Kosten Meier mit 54 Millionen Euro
veranschlagt, kann noch auf die bereits bestehenden Strukturen der Projektpartner
zurückgegriffen werden. Später werden zur Erreichung der Ziele teure
Infrastrukturmaßnahmen notwendig. So soll am Forschungszentrum Jülich für 130 Millionen
Euro eine neue Supercomputing Infrastruktur für das HBP aufgebaut werden, die im Rahmen
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der „Partnership for Advanced Computing in Europe“ installiert wird. Das Land BadenWürttemberg wird an der Universität Heidelberg ein neues Forschungsgebäude für die
Plattform „Neuromorphes Computing“ errichten; die Planungen dafür sind bereits
abgeschlossen. Die Schweizer Regierung steuert für die von Henry Markram geleitete „Brain
Simulation-Plattform“ 160 Millionen Euro bei, und in Lausanne wird unter dem Namen
„Neuropolis“ eine neue, um das HBP zentrierte Infrastruktur für die in silico
Lebenswissenschaften aufgebaut. So soll das HBP zur Schaffung eines CERN für das Gehirn
führen.
Zunächst aber geht es darum, die Mitglieder des Forschungsverbundes und ihre Teilprojekte
miteinander zu vernetzen und die gemeinsame Arbeit aufzunehmen. Die für die Startphase
vorgesehenen Schritte sind im Antrag detailliert festgelegt worden. In der nächsten Evaluation
nach 18 Monaten entscheidet die EU über die weitere Förderung im Zeitraum bis 2023, in dem
pro Jahr bis zu hundert Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.
Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg. © Universität Heidelberg
Wenn es um so viel Geld geht, kann es an warnenden Stimmen nicht fehlen. Kritik kommt
nicht nur von Wissenschaftlern, die bei der Fördermittelvergabe zu kurz gekommen sind. Je
größer die Konsortien sind, umso mehr Aufwand verschlingen Management und Bürokratie.
Auch Professor Meier wird seine Arbeitszeit mehr in auswärtigen Meetings zubringen müssen
als am Kirchhoff-Institut, vor dem in Riesenlettern das Motto der Universität Heidelberg
installiert ist: „Dem lebendigen Geist.“
Manche Experten bezweifeln, ob die Konstruktion eines Netzwerks aus Millionen künstlicher
Neuronen dazu führen wird, die Arbeitsweise des menschlichen Gehirns zu verstehen und das
Problem zu lösen, wie Gedanken entstehen und sich in komplexen Verhaltensweisen
ausdrücken. Unumstritten ist aber, dass man von dem HBP eine Menge lernen wird - über die
Funktionsprinzipien neuronaler Informationsverarbeitung ebenso wie über die Entwicklung
neuer Computer- und Robotiktechnologien. Ohne Risiko sind die großen Fortschritte in der
Wissenschaft nicht zu haben, und, wie EU-Vizepräsidentin Neelie Kroes sagte: „Europas
Wettbewerbsfähigkeit kann nur gesichert werden, wenn wir das Undenkbare denkbar
machen.“
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Fachbeitrag
11.02.2013
EJ (05.02.2013)
BioRN
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
The Human Brain Project
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Neurowissenschaften
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