68 Marketing & Management Produktesicherheit: «Auch Händler müssen ihren Beitrag leisten» Um eine Harmonisierung der schweizerischen und europäischen Vorschriften im Rahmen der Produkteherstellung und des -handels zu erreichen, hat die Schweiz eine Angleichung an die Rechtsordnung der EU beschlossen. Demnach haben sich sowohl die Hersteller als auch die Importeure und Händler von Produkten nach demselben Sicherheitsstandard in der Schweiz wie in der EU zu richten. Doch was heisst das genau? HANDEL HEUTE: Die Rechtslage in Sachen Produktesicherheit und Schweiz – einen hohen, EU-kompatiblen Sicherheitsstandard. Lebensmittelgesetz hat sich verän- rüstungen zur Benützung durch Dritte muss das gleiche Sicherheitsniveau gewährleistet werden, wie beim Verkauf dieser Objekte in einem Laden. Mit anderen Worten müssen alle im Bereich der Kommerzialisierung eines Produktes involvierten Personen dafür sorgen, dass die Benutzer- und Konsumentensicherheit gewährleistet ist. Welches sind die Auswirkungen des neuen Produktesicherheitsgesetzes dert. Wie genau? Wie sieht der Anwendungsbereich auf die Hersteller und «Inverkehrbrin- Barbara Klett*: Das neue Produktesicherheitsgesetz (kurz: PrSG), das an die Stelle des Bundesgesetzes über die Sicherheit von technischen Einrichtungen und Geräten (kurz: STEG) am 1. Juli 2010 in Kraft trat, übernimmt inhaltlich weitgehend die Bestimmungen der EURichtlinie über die allgemeine Produktesicherheit von 2001. Das PrSG wird so zur zentralen Rechtsvorschrift für die technische Sicherheit von Geräten, Produkten und Anlagen und gewährleistet somit – in Ergänzung des geltenden Produktehaftpflichtgesetzes in der des neuen Produktesicherheitsgeset- ger»? zes aus? Das Produktesicherheitsgesetz legt die Messlatte für die Produktesicherheit nicht neu an, sondern vereinheitlicht und kodifiziert denjenigen Standard, der im Sinne einer risiko- und sicherheitsbewussten Herstellung von Produkten schon gelten sollte. Ziel des Produktesicherheitsgesetzes und Ziel jedes Unternehmens stimmen überein: Schäden durch fehlerhafte Produkte und die damit verbundenen Folgeschäden zu vermeiden. Die Hersteller und «Inverkehrbringer» können daher grundsätzlich auf bestehende Strukturen zurückgreifen und diese, falls notwendig, ergänzen. Das Inverkehrbringen von Produkten erfordert ja bereits heute ein Qualitätssicherungssystem, einen Prozess zur «Lenkung fehlerhafter Produkte» und ein Beschwerdemanagement. «Händler müssen Massnahmen ergreifen, welche eine effiziente Zusammenarbeit mit dem Hersteller oder dem Importeur und den Vollzugsbehörden ermöglichen», erklärt die Rechtsanwältin Barbara Klett im Interview. Der Anwendungsbereich geht weiter, als es nach einer nur summarischen Lektüre des Gesetzestextes erscheinen könnte. Das Produktsicherheitsgesetz deckt nicht nur den Herstellungsvorgang, sondern vielmehr auch das Inverkehrbringen auf einen Markt im weiteren Sinn ab. Die Sicherheitsnormen sind auf das gewerbliche oder berufliche Inverkehrbringen von Produkten seitens Hersteller, Importeuren, Händler oder Dienstleistungserbringer anwendbar. Ausserdem stellt das Gesetz die gewerblich oder berufliche Verwendung eines Produktes innerhalb eines Unternehmens dem Inverkehrbringen gleich. Das Kriterium der Produktesicherheit gilt deshalb auch im Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Mitarbeitende für alle Produkte, welche Letzteren seinen Mitarbeitern zur Verfügung stellt (z. B. Kantineverpflegung einer Lebensmittelfabrik). Zudem betrachtete es der Gesetzgeber als notwendig, das Inverkehrbringen der Verwendung oder Anwendung eines Produktes im Rahmen des Erbringens einer Dienstleistung gleichzustellen. Beim Bereithalten eines Lasergerätes oder von Trainings- und Sportaus- Welche Akteure sind vom Anwendungsbereich des Produktesicherheitsgesetzes erfasst bzw. welches sind die Auswirkungen für den Händler? Das Gesetz auferlegt nicht nur dem Hersteller und dem Importeur Pflichten. Auch der Händler muss seinen Beitrag bei der Aufsicht über die Sicherheit der Marketing & Management 69 werkstätten, die Logistikunternehmungen und all diejenigen, die ein Produkt ausarbeiten oder umbauen, vom Anwendungsbereich des Produktesicherheitsgesetzes miterfasst. Ebenfalls angesprochen ist beispielweise der Händler, der Veränderungen an Verpackung oder Etikettierung eines Produkte anbringt. Welches sind die entscheidenden Neuerungen im Zusammenhang mit dem neuen Produktesicherheitsgesetz? in den Verkehr gebrachten Produkte leisten. Das Gesetz beauftragt ihn ausdrücklich mit der Aufgabe, Massnahmen zu ergreifen, welche eine effiziente Zusammenarbeit mit dem Hersteller oder dem Importeur und mit den zuständigen Vollzugsbehörden ermöglichen. Der Gesetzgeber äussert sich jedoch nicht dazu, was der Händler konkret zu unternehmen hat. Darüber geht aus dem Produktesicherheitsgesetz indirekt eine Verpflichtung hervor, wonach der Händler Meldung an die zuständige Behörde zu erstatten hat, wenn er feststellt oder zumindest Grund zur Annahme hat, dass von seinem Produkt eine Gefähr für die Sicherheit oder die Gesundheit der Verwenderinnen und Verwender oder Dritter ausgeht. Zudem auferlegt das neue Produktsicherheitsgesetz demjenigen, der «das Produkt wiederaufbereitet oder deren Tätigkeit die Sicherheitseigenschaften eines Produktes anderweitig beeinflusst», Pflichten zur Sicherheitsgewährleistung des Dienstleistungserbringers. Somit werden die Reparatur- Weder das bis heute geltende Bundesgesetz über die Sicherheit von technischen Einrichtungen und Geräten (kurz: STEG) noch das schweizerische Produktehaftpflichtgesetz kennen eine Aufsichts- oder Rückrufpflicht von Konsumprodukten nach deren Inverkehrbringen. Die Aufsicht über Konsumprodukte ist nur implizit in der Generalklausel enthalten, wonach das in Verkehr gebrachte Produkt sicher sein muss. Das Produktesicherheitsgesetz schliesst nun diese Lücke und statuiert für Produkte, die für Konsumenten bestimmt sind, explizite «Nachmarktpflichten». Der Hersteller muss – den Produkteeigenschaften angemessene – Massnahmen treffen, damit er imstande ist, allfällige Gefahren zu erkennen und zweckmässige Vorkehrungen zur Gefahrenvermeidung, wie Rücknahme vom Markt, Warnung oder Rückruf, zu ergreifen. Dazu gehört auch eine Meldepflicht an die Vollzugsorgane, wenn der Hersteller oder ein anderer Inverkehrbringer feststellt, dass ein Produkt die Sicherheit oder Gesundheit von Personen gefährdet. Diese «Nachmarktpflichten» betreffen – analog dem EU-Recht – nur Produkte, die für Konsumentinnen und Konsumenten bestimmt sind oder unter vernünftigerweise vorhersehbaren Bedingungen auch von Konsumentinnen und Konsumenten benutzt werden könnten. Welche Sanktionen sind möglich? Das Produktesicherheitsgesetz bestimmt nicht nur die Pflichten, mittels derer die Widerrechtlichkeit allfälliger Nichteinhaltungen festgestellt werden kann. Vielmehr sieht es für diejenigen Sanktionen vor, die ein Produkt in den Verkehr bringen, welches die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt oder die Pflicht zur Mitwirkung und Auskunft missachtet. Eine allfällige Busse beträgt 20 000 Franken bei fahrlässigem Handeln resp. bis zu 40 000 Franken bei vorsätzlicher Begehung. Wie steht es um die Haftung? Umstritten ist bislang inwiefern bei einem Verstoss gegen das PrSG auch eine zivilrechtliche Haftung gegeben ist. Das Produktesicherheitsgesetz greift präventiv, indem es Schäden durch feh- 70 Marketing & Management lerhafte Produkte und die damit verbundenen Folgeschäden vermeiden will. Wenn ein Schaden hingegen bereits eingetreten ist, ist eine allfällige Haftung des Herstellers nach dem Produktehaftpflichtgesetz (kurz: PrHG) zu beurteilen. Da das PrHG jedoch einerseits nur die Haftung der Hersteller erfasst und somit keine Regelung in Bezug auf die Händler enthält und andererseits der Haftungstatbestand im PrSG von demjenigen im PrHG abweicht, könnte durchaus auch im PrSG selber eine Haftungsgrundlage erblickt werden. Dies könnte dann der Fall sein, wenn z. B. der Händler gegen die Produktebeobachtungspflicht verstösst oder die Pflicht verletzt, bei Gefahr die erfoderlichen Masnahmen zu treffen und hierdurch ein Schaden entsteht. Wagen wir noch einen Ausblick zur Revision des Lebensmittelgesetzes, die parallel zur Harmonisierung im Bereich Produktesicherheit sicherheit im Vordergrund. Durch die Angleichung der schweizerischen Regelungen an das System der Lebensmittelsicherheit der EU wird insbesondere auch der Gesundheitsschutz erleichtert. Bevor das Lebensmittelgesetz in revidierter Fassung (voraussichtlich 2013) in Kraft treten wird, werden jedoch diverse Verordnungen zur Lebensmittelgesetzgebung an das europäische Recht angeglichen. Wie weit gehen die Änderungen? Die Tragweite des neuen Lebensmittelgesetzes sind generell noch nicht überblickbar. Weiter drohen Überschneidungen dem Produktesicherheitsgesetz, da das Lebensmittelgesetz nicht nur Lebensmittel im engeren Sinn umfasst, sondern auch Gebrauchsgegenstände (wie z.B. Verpackungsmaterial, Utensilien und Kleidungsstücke). Es bleibt abzuwarten, wie die Praxis respektive die Rechtsprechung diese Probleme lösen wird. läuft. Was steht hier an? Auch hier stehen der Abbau von Handelshemmnissen, die Erleichterung des freien Warenhandels und die Produkte- Man wird den Eindruck nicht los, dass das neue Produktesicherheitsgesetz für Unsicherheiten sorgt. Stimmt das? Durchaus. Das neue Gesetz ist wenig systematisch und beinhaltet verschiedene mehrdeutige oder wenig klare Formulierungen. Es lässt einige Auslegungsfragen offen, die bei dessen Anwendung beantwortet werden müssen. Insbesondere ist der Personenkreis, welchem das Gesetz Pflichten auferlegt, nicht klar definiert. Es wird somit von jeder in der Kommerzialisierung eines Produktes involvierten Person verlangt, dass sie genau feststellt, welche Pflichten in Bezug auf die angebotenen geschäftlichen Tätigkeiten ihr im konkreten Fall zustehen. Um allfälligen Pro- blemen vorzubeugen, soll sich darum jeder in der Kommerzialisierungskette eines Produktes involvierte wirtschaftliche Akteur absichern. Die Vollzugsbehörden und die Gerichte werden die Reichweite und die Umrisse des neuen Gesetzes klären müssen. Welche Reaktion empfehlen Sie den Händlern? Die Kodifizierung der Pflichten, die sich auf das Inverkehrbringen von nur sicheren Produkten und auf das Ergreifen vorbeugender Massnahmen zur Gefahrenidentifizierung beziehen, steigert und erweitert die Aufgaben der im Geschäft involvierten Unternehmer. Ein systematisches und effizientes Risikomanagement zielt auf die Einschränkung der Verantwortlichkeit der Inverkehrbringer ab. Da insbesondere die «Nachmarktpflichten» für die in die EU exportierenden Betriebe nicht neu sind, können viele Unternehmer auf schon vorhandene Strukturen zurückgreifen und sie notwendigenfalls mit einem beschränkten Aufwand ergänzen. Jedenfalls ist es unabdingbar – insbesondere auch für Händler – beim Vertrieb von Produkten deren Sicherheit umfassend zu prüfen und die notwendige vetraglichen Absicherung in der Vetriebskette vorzusehen. Bestehen diesbezüglich Unsicherheiten, so empfiehlt es sich, mit der zuständigen Behörde Kontakt aufzunehmen. Um der gesetzlich vorgeschriebenen Pflicht zur Beobachtung der in Verkehr gebrachten Produkte nach- Marketing & Management zukommen, müssen betriebsintern die entsprechenden Massnahmen ergriffen werden. Darüberhinaus sollte auch der geeignete Versicherungsschutz nicht ausser Acht gelassen werden. Worauf soll man hier achten? Massgebend ist die Feststellung der Risiken und somit die Identifizierung der vom Gesetz den Verantwortlichen der verschiedenen Teile der Produktionsund Handelskette auferlegten Pflichten. Die Einrichtung eines betrieblichen Verfahrens zur Risikomessung und -verwal- tung, einschliesslich des juristischen Risikos, ist darum grundlegend. Dies geschieht mittels vertraglicher Reglementierung und Koordinierung der Pflichten und der Prioritäten der Kommerzialisierungskette, ausgehend von der Herstellung bis zur Produktverteilung. Dank einer Reglementierung und Koordinierung zwischen den verschiedenen Akteuren (Hersteller, Importeur, Händler, Logistikunternehmungen, Vertreter usw.) kann man sowohl Lücken als auch Duplikate im System der Risikoerkennung und in 71 der Feststellung der zu ergreifenden Massnahmen vermeiden. Ein globales Risikomanagement erlaubt zudem im Notfall die Ausführung eines effizienten und koordinierten Apparates unter Beachtung der gesetzlichen Voraussetzungen, jedoch auch zum Schutz des Unternehmensimages. Interview: Reto Wüthrich * Barbara Klett ist Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Haftpflicht- und Versicherungsrecht bei der Kaufmann Rüedi Rechtsanwälte AG in Luzern (www.krlaw.ch.) Die Bilder zeigen verschiedene Produkte, die jüngst von einem Rückruf betroffen waren (Quellen: Coop / Migros). Shops, die man liebt ASSMANN Ladenbau Leibnitz GmbH, A-8430 Leibnitz, Ottokar-Kernstock-Gasse 16, Tel +43 3452 700-202, [email protected], www.assmann.at Member of the Umdasch Shopfitting Group