auf der Suche nach mehr Toleranz

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Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen – auf der
Suche nach mehr Toleranz
Die Darmflora spielt bei der Entstehung eines Morbus Crohn oder einer Colitis ulcerosa eine
zentrale Rolle. Warum einige dieser eigentlich harmlosen Bakterien plötzlich zu schwersten
Entzündungen führen, untersucht die Tübinger Mikrobiologin Dr. Julia-Stefanie Frick. Ihre
kürzlich mit einem Preis ausgezeichneten Forschungsarbeiten könnten nun den Weg zu
einer präventiven Behandlung ebnen.
Als Embryo im Mutterleib ist der Darm des Menschen noch vollkommen keimfrei. Bereits
während der Geburt aber gelangen die ersten Bakterien in den Verdauungstrakt – und im
Erwachsenenalter sind es schließlich mehrere Billionen, die dort für den Aufbau der Darmflora
verantwortlich sind. „Wir leben mit diesen Mikroorganismen in einer wunderbaren Symbiose“,
weiß Dr. med. Julia-Stefanie Frick vom Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene des
Universitätsklinikums Tübingen, „sie unterstützen uns bei der Verdauung, produzieren
Vitamine und bauen zahlreiche Giftstoffe ab.“ Auch vom Immunsystem des Darms werden die
fleißigen Helfer problemlos toleriert.
Bei Vorliegen einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung wie Morbus Crohn oder Colitis
ulcerosa ist dieses friedliche Miteinander allerdings massiv gestört. „Wir wissen, dass
bestimmte Bakterien der Darmflora, die normalerweise vollkommen harmlos sind, bei
Menschen mit einer entsprechenden genetischen Veranlagung zu einer Entzündung der
Darmschleimhaut führen“, so Frick. Die Folge sind immer wiederkehrende Episoden
schmerzhafter Durchfälle, die mit zum Teil lebensbedrohlichen Komplikationen einhergehen
können.
Keine Entzündung ohne Bakterien
Andererseits beherbergt die Darmflora auch eine Vielzahl von Keimen, die die Fähigkeit
besitzen, die beschwerdefreien Intervalle zwischen zwei Krankheitsschüben deutlich zu
verlängern. Einige dieser als Probiotika bezeichneten Mikroorganismen sind bereits identifiziert
und als Medikamente bei der Therapie zugelassen. „Uns interessiert jetzt, wie sich diese 'guten'
und 'schlechten' Bakterien in ihrem Aufbau und ihrer Wirkweise unterscheiden", umreißt Frick
das Forschungsgebiet ihrer Arbeitsgruppe. Das Augenmerk der Medizinerin liegt hierbei vor
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Dr. med. Julia-Stefanie Frick erforscht die Ursachen chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen. © privat
allem auf den immunologischen Prozessen, die in der Darmschleimhaut vonstatten gehen.
Für ihre grundlegenden Arbeiten greift die Tübinger Wissenschaftlerin auf ein etabliertes
Tiermodell zurück. Genetisch veränderte Mäuse, bei denen das für die T-Zell-Differenzierung
wichtige Zytokin Interleukin -2 (IL-2) inaktiviert wurde, entwickeln im Laufe ihres Lebens eine
Darmentzündung (Kolitis) - vorausgesetzt, sie kommen in ihrer Umwelt mit Bakterien in
Berührung. „Werden diese Tiere in speziellen Isolatoren keimfrei aufgezogen, bleiben sie
hingegen gesund", so Frick. Eine Beobachtung, die einmal mehr deutlich macht, welche
zentrale Rolle die Mikroorganismen bei der Entstehung einer chronisch-entzündlichen
Darmerkrankung spielen.
Zusammenspiel mehrerer Faktoren
Diese sterilen, IL-2-defizienten Mäuse eignen sich nun hervorragend, um die Wirkung einzelner
Bakterienstämme gezielt zu untersuchen. „Im Darm der Tiere treffen die über das Trinkwasser
verabreichten Keime auf die zur angeborenen Immunabwehr gehörenden dendritischen
Zellen“, erklärt Frick.
Diese sitzen in der oberen Schicht der Darmschleimhaut, wo sie über verschiedene Rezeptoren
mit den Strukturmolekülen der Bakterien interagieren. Von Bedeutung sind hierbei vor allem
die sogenannten Toll-like- und NOD-Rezeptoren. Je nachdem, ob diese nun von Bakterien
aktiviert werden, die eine Entzündungsreaktion hervorrufen oder eine solche unterdrücken
können, kommt es zur Ausschüttung ganz unterschiedlicher Zytokin-Kombinationen.
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Die im Darm lokalisierten dendritischen Zellen (rot) sind Bestandteil der angeborenen Immunabwehr. © Frick/UKT
Doch auch das in der Zellwand von gramnegativen Bakterien verankerte Endotoxin weist
deutliche Unterschiede auf. Stammt dieser als Antigen wirkende Baustein von
entzündungsfördernden Bakterien, bewirkt er eine bis zu 10.000-fach stärkere RezeptorStimulation. „Man vermutet inzwischen, dass mehrere Faktoren gemeinsam für die Entstehung
einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung verantwortlich sind", so Frick, „dazu gehören
neben einer genetischen Veranlagung und den Bakterien der Darmflora auch eine
Dysregulation des Immunsystems, das bei den Betroffenen zu überschießenden Reaktionen
neigt."
Prävention durch Toleranz
Die Forschungsarbeiten von Fricks Arbeitsgruppe förderten in diesem Zusammenhang kürzlich
einige äußerst interessante Aspekte zutage: „Wir konnten zeigen, dass dendritische Zellen, die
in vitro mit einer sehr geringen Menge Endotoxin stimuliert wurden, nur IL-6 produzieren und
sonst kein weiteres Zytokin.“ Diesem Botenstoff wurden bisher ausschließlich
entzündungsfördernde Eigenschaften zugeschrieben. Doch in Abwesenheit anderer
Immunmodulatoren wie TNF-alpha und IL-12 ist genau das Gegenteil der Fall. „IL-6 alleine
lässt die dendritischen Zellen unempfindlich werden. Stimuliert man diese nach 24 Stunden
erneut, dann geben sie kein Signal mehr ab - unabhängig davon, welchen Rezeptor man
aktiviert und wie hoch die eingesetzte Endotoxin-Konzentration ist“, berichtet Frick.
Offensichtlich haben die dendritischen Zellen gegen die bakteriellen Antigene eine Toleranz
entwickeln können.
Fricks wissenschaftliche Ergebnisse, für die sie bei der letzten Jahrestagung der Deutschen
Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) mit dem Förderpreis ausgezeichnet wurde,
eröffnen jetzt plötzlich ganz neue Perspektiven. „Vielleicht gelingt es uns, über diesen
Mechanismus bei Personen mit einer genetischen Veranlagung für eine chronisch-entzündliche
Darmerkrankung präventiv einen Schutz zu induzieren“, so die Medizinerin, die an dem
Tübinger Institut als Funktionsoberärztin tätig ist. Frick ist optimistisch, warnt aber dennoch
vor übereilten Hoffnungen: „Momentan betreiben wir reine Grundlagenforschung – vom
Mausmodell bis zur Anwendung beim Menschen ist es erfahrungsgemäß noch ein weiter Weg.“
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Fachbeitrag
12.03.2009
sb
BioRegio STERN
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Universitätsklinikum Tübingen
Institut für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene
Dr. med. Julia-Stefanie Frick
Elfriede-Aulhorn-Str. 6
72076 Tübingen
Tel.: 07071 29-81528
Fax: 07071 29-54 40
E-Mail: julia-stefanie.frick(at)med.uni-tuebingen.de
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