Das „In-Ring“-Reaktionsmikroskop für den CSR Kai-Uwe Kühnel und Joachim Ullrich Max-Planck-Institut für Kernphysik Saupfercheckweg 1, D-69117 Heidelberg Am Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg wird zurzeit ein neuer elektrostatischer Speicherring aufgebaut, der bei einer Temperatur von 1,8 K betrieben werden soll. Durch diese niedrige Temperatur ergeben sich zwei wichtige Effekte: Zum einen wird ein extrem niedriger Restgasdruck erzielt, wodurch lange Lebensdauern des gespeicherten Ionenstrahls erreicht werden. Des Weiteren wird die Schwarzkörperstrahlung drastisch reduziert, was, in Kombination mit den langen Speicherzeiten, die Präparation von Molekülionen in ihrem Rotations-Grundzustand ermöglicht. Durch kontrollierte Veränderung der Temperatur ist es dann z.B. möglich, Reaktionsraten unter genau bekannten Temperaturbedingungen zu untersuchen. Die Strahlenergie kann mit einer internen Hochfrequenz-Cavity zwischen 20 und 300 keV variiert werden. Da alle Strahlführungselemente im Ring elektrostatisch ausgeführt werden, gibt es keine Limitierung für die Masse der gespeicherten Ionen. Somit können sowohl Molekülionen, Cluster oder auch schwere hochgeladene Ionen wie z.B. U90+ aus der Heidelberger EBIT gespeichert werden. Höchstgeladene Ionen sind interessant für die Präzisionsspektroskopie sowie für die Untersuchung von Umladungsprozessen. Der Cryogenic Storage Ring (CSR) ist nicht zuletzt eine Pilotanlage für den elektrostatischen Antiprotonen-Speicherring USR, der im Rahmen des FLAIR-Projekts bis zum Jahre 2011 an der GSI gebaut werden soll. Abbildung 1: Layout des elektrostatischen Speicherrings CSR Der CSR (Abb. 1) ist mit einem Umfang von ca. 35 m geplant. Zwei der vier geraden Sektionen sind der Strahldiagnose vorbehalten. Die Biegesektionen sind segmentiert in je zwei 39°und zwei 6°-Deflektoren, um die Detektion von umgeladenen Ionen und Neutralteilchen zu ermöglichen. Desweiteren sind in jeder Sektion zwei Quadrupol-Dupletts zur Fokussierung des Strahl eingebaut. In den verbleibenden zwei Sektionen sind zunächst drei Experimente vorgesehen. Entlang der Strahlachse kann ein geschwindigkeitsangepasster Neutral- teilchenstrahl parallel zum gespeicherten Strahl eingeschossen werden. Der Elektronenkühler kann sowohl zur Kühlung des Strahls als auch als Target zur Untersuchung der Wechselwirkung mit Elektronen verwendet werden. Das dritte Experiment ist das Reaktionsmikroskop mit einem kalten Überschallgastarget. Abbildung 2: Prinzip des Reaktionsmikroskops mit Rückstoßion (rot) und Elektron (blau) Im Reaktionsmikroskop (s. Abb. 2) kann die Wechselwirkung gespeicherter Ionen mit Atomen oder Molekülen untersucht werden. Dazu wird der umlaufende Projektilstrahl mit einem kalten Überschallgasjet gekreuzt und die dabei entstehenden Rückstoßionen und Elektronen mit einem homogenen elektrischen Feld abgesaugt. Die Teilchen werden dann mit ortsauflösenden Mikrokanalplatten- (MCP) Detektoren nachgewiesen und aus Ort und Flugzeit der jeweilige Startimpuls rekonstruiert. Bei den vorgesehenen Projektilenergien wird die dominierende Reaktion der Einfang von Elektronen aus dem Target sein. Durch den Nachweis des Rückstoßions und umgeladenen Projektilions können solche Prozesse kinematisch vollständig untersucht werden [2]. So führt der Einfang eines Elektrons in Abhängigkeit vom jeweils besetzten Zustand zu einem definierten Impulsübertrag in Richtung der Projektilgeschwindigkeit [3]. Des Weiteren sollte das Reaktionsmikroskop in Kombination mit Photonennachweis neue Möglichkeiten für die Präzisionsspektroskopie an höchstgeladenen schweren Ionen bis hin zum U92+ eröffnen, da der Einfangszustand über das Rückstoßion exakt bestimmt und die störende Dopplerverschiebung aufgrund der niedrigen Projektilenergie praktisch vollständig unterdrückt ist. Weiterhin soll die Dynamik des simultanen Einfangs mehrerer Elektronen in angeregte Zustände höchstgeladener Ionen vermessen werden und die darauf folgenden Mehrelektronen-Relaxationsprozesse, wie Auger-Übergänge und Photonenemission, durch den koinzidenten Nachweis des Rückstoßions und aller Elektronen kinematisch vollständig verfolgt werden. Zum Design des Spektrometers wurde das Programm Tosca verwendet. Ziel war es eine möglichst homogene Verteilung der zur Extraktion von Rückstoßion und Elektronen benötigten elektrischen Felder zu erreichen. Dies ist notwendig, um aus dem Ort auf dem Detektor und der Flugzeit der Rückstoßionen den Impuls der Teilchen am Ort der Reaktion präzise rekonstruieren zu können. Dazu wurde das Spektrometer aus Ringelektroden aufgebaut, die über einen linearen Spannungteiler auf verschiedene Potentiale gehoben werden. Für die Detektion der an der Reaktion beteiligten Elektronen ist ausserdem ein homogenes Magnetfeld parallel zur Achse des Spektrometers notwendig. Mit diesem werden die Elektronen auf Zyklotronbahnen gezwungen. Ohne Magnetfeld wäre die transversale Geschwindigkeit der Elektronen zu groß um sie im gesamten Raumwinkel detektieren zu können. Abbildung 3: Tosca-Simulation eines Viertelringsegment mit Reaktionsmikroskop, Helmholtzspulen und Korrekturelementen Da der gespeicherte Projektilstrahl eine stabile Bahn beschreiben muss, ist das Spektrometer so anzuordnen, dass die Störung des umlaufenden Strahls minimiert wird bzw. entstehende Störungen mittels geeigneter Elemente korrigiert werden. Um die Auswirkung auf den Projektilstrahl zu untersuchen wurde ein Viertel des gesamten Speicherrings berechnet (Abb. 3). Als Resultat sind in Abbildung 4 für einen Protonenstrahl mit einer Energie von 20 keV die vertikale Abweichung von der Strahlachse und die Winkelabweichung aufgrund der magnetischen Streufelder der Helmholtzspulen des Reaktionsmikroskops und der Korrekturelemente gezeigt. Abbildung 4: Abweichung von der Sollbahn und Winkelabweichung des umlaufenden 20 keV Protonen-Strahls. Neben der Berechnung der elektrischen und magnetischen Felder von Strahlführungselementen und Spektrometer bietet Tosca auch die Option, die Bewegung geladener Teilchen in den zuvor berechneten Feldern zu simulieren. Damit ist es zum Beispiel möglich, die Nachweiseffizienz des Spektrometers für bestimmte Klassen von Reaktionen zu simulieren. Betrachtet man so z.B. den Stoß eines Protons mit einem Heliumatom, so sieht man charakteristische Impulsüberträge entlang der Strahlrichtung, die den Zustand, in den das Elektron eingefangen wird, charakterisieren. In Abbildung 5 sind sowohl die im Experiment gemessenen Longitudinalimpulse [4] als auch das Detektorbild aus der Simulation mit Tosca gezeigt. Hier wurden die jeweiligen Longitudinalimpulse festgehalten und die Transversalimpulse zwischen 0 a.u. und 3 a.u. variiert (a.u.: atomic unit). Für die berechnete Spektrometergeometrie mit einer Extraktion senkrecht zur Projektilrichtung ergeben sich für die einzelnen Impulsüberträge Streifen, die sich auf dem ortsauflösenden Detektor gut unterscheiden lassen. Abbildung 5: Charakteristische Impulsüberträge für den Einfang eines Elektrons und die dazugehörigen simulierten Spuren auf dem Detektor. Der Einbau des Reaktionsmikroskops in den kalten Speicherring erfordert einen hohen technischen Aufwand. So muss die gesamte Strahlkammer des Rings in ein Isoliervakuum gebettet werden, um Wärmeeintrag durch Konvektion zu vermeiden und somit das Erreichen der niedrigen Temperatur zu gewährleisten. Damit eine Aufheizung der Kammer durch Schwarzkörperstrahlung verhindert wird, werden im Vakuum zwei thermische Schilde eingebracht, die auf Temperaturen von 80 K bzw. 40 K liegen. Für das Reaktionsmikroskop sind inbesondere die Detektoren kritisch, da bisher wenig über die Funktionsweise von Mikrokanalplatten bei derart tiefen Temperaturen bekannt ist. Um die Eignung für den Tieftemperatureinsatz dieser Detektoren zu untersuchen, wurde ein Teststand aufgebaut, an dem zurzeit die temperaturabhängige Nachweiswahrscheinlichkeit für geladene Teilchen bestimmt wird. Literatur [1] D. Zajfmann et al., Journal of Physics. Conference Series 4 (2005) 296-299 [2] J. Ullrich et al., Rep. Prog. Phys. 66 (2003) 1463-1545 [3] D. Fischer et al., J. Phys. B.: At. Mol. Opt. Phys. 35 (2002) 1369-1377 [4] D. Fischer, Aufbau eines Reaktionsmikroskops zur Untersuchung von Ion-Atom-Stößen, Diplomarbeit 2000