DOSSIER Regionalität als Trend So nah, so gut? Brot vom Dorfbäcker, Eier aus dem Hofladen und Fleisch von den Schafen des Nachbarn: Wer Glück hat, ist mit solch einer Infrastruktur gesegnet. Wer weniger hat, kauft im Supermarkt ein – zum Beispiel regionale Lebensmittel. Die haben derzeit nämlich Hochkonjunktur. Heidi Tiefenthaler hat für uns recherchiert, was dran ist am Geschäft mit der Nähe. Regionalität – nur ein Marketingtrick? Das Fazit der Recherchen: Regional kann derzeit heißen, dass ein Lebensmittel zu 100 Prozent aus der angegebenen Region stammt, genauso aber, dass es lediglich dort verarbeitet wurde. Für den Kunden ist der Unterschied meist schwer bis gar nicht zu erken- 52 Slow Food | 04/2015 nen. Selbst die Herkunftszeichen der Bundesländer wie etwa »Qualität aus Bayern« oder »Bewährte Qualität Sachsen« haben sehr unterschiedliche Ansprüche an die Regionalität. Oft suggerieren sie auch, dass die beworbenen Produkte besonders hochwertig sind. Tatsächlich aber bieten sie neben der Herkunft selten zusätzliche Qualitäten, fand die Verbraucherzentrale heraus. Das grundsätzliche Problem: Begriffe wie »regional«, »aus der Region« oder »von hier« sind nicht geschützt. Und auf verarbeiteten Produkten wie etwa Marmelade oder Wurst schreibt das Gesetz noch nicht einmal vor, das Herkunftsland anzugeben. Es reicht die Information, für wen die Ware hergestellt, beziehungsweise, wo sie verpackt wurde. Foto:© Panthermedia, Ingeborg Knol E in »regionaler« Gurken-Wurst-Salat, für den die Gurken aus dem ganzen Bundesgebiet herangeschafft wurden; eine »thüringische« Pfirsichkonfitüre, hergestellt in Frankreich: Erwartungen und Realität liegen bei regionalen Produkten im wahrsten Sinne des Wortes oft Hunderte von Kilometern auseinander. Das haben Recherchen von Ökotest, Stiftung Warentest und der Verbraucherzentrale ergeben. So hat die Stiftung Warentest vor zwei Jahren Eier, Milch und Apfelsaft aus den Regionen um Berlin, Köln und München überprüft. Nur 11 von 29 Produkten stuften die Tester schließlich als besonders glaubwürdig ein. Noch drastischer fiel das Ergebnis bei Ökotest aus: 80 von 106 Erzeugnissen überzeugten nicht. Lediglich 26 bezeichnete die Redaktion als »lupenrein regional«, das heißt, die Rohstoffe stammten aus dem angegebenen Gebiet, wurden dort verarbeitet, verpackt und vertrieben. Wichtiger als Bio oder Fair Trade Dass viele Produzenten ihren Waren derzeit gerne das Regional-Etikett anheften, ist kein Zufall. Sie gehen davon aus, dass mit der Nähe gute Geschäfte zu machen sind. Zahlreiche Verbraucherbefragungen der letzten Jahre kommen nämlich zu dem Schluss, dass Regionalität der Megatrend im Bereich Lebensmittel ist. Den Verbrauchern sei sie inzwischen sogar wichtiger als Nachhaltigkeit, Bio oder Fair Trade. Besonders bei frischen Produkten wie Slow Food | 04/2015 53 DOSSIER REGIONALE LEBENSMITTEL Obst oder Gemüse legten sie Wert auf Nähe zum Produzenten. Laut Befragungen sind die Verbraucher sogar bereit, für Waren aus der Nachbarschaft tiefer in die Tasche zu greifen. Preisaufschläge bis zu 20 Prozent halten sie für akzeptabel – zumindest laut Umfragen. Denn: Die Aussagen über das boomende Geschäft mit regionalen Lebensmitteln basieren im Wesentlichen auf Verbraucherbefragungen. Wie oft die Konsumenten sich dann tatsächlich aus dem Regio-Regal bedienen, bleibt unklar. Verkaufszahlen liegen nicht vor. »Das ist das Problem«, sagt Ilonka Sindel vom Bundesverband der Regionalbewegung. »Was nicht definiert ist, kann auch nicht erhoben werden.« Der Wunsch nach Klarheit Bleibt trotzdem die Frage, warum die Kunden Regionalität heute offenbar so groß schreiben. Wenig überraschend: Laut Umfragen geht es Regio-Käufern darum, die Wirtschaft vor Ort zu stärken und wegen der kurzen Lieferwege ökologischer und frischer einzukaufen. Aber es geht auch um Orientierung: Je voller die Regale, je variantenreicher das Angebot, desto dankbarer sind die Verbraucher für Pro- dukte, die ihnen den Einkauf erleichtern. »Viele Verbraucher sehnen sich nach einem Gefühl von mehr Transparenz und Ehrlichkeit, Authentizität und klaren Verhältnissen im Food-Sektor«, so die Autoren einer Verbraucherstudie. Das Trendthema Regionalität greife die latente Sehnsucht der Konsumenten nach Überschaubarkeit und Vertrauen auf. Regionalität als Synonym für eine heile Welt? Nachvollziehbar wäre dieser Wunsch, bedenkt man die zahlreichen Lebensmittelskandale der letzten Jahre, die geballte Marktmacht einiger weniger Lebensmittelkonzerne und nicht zuletzt die geltende Gesetzeslage, die immer noch davon auszugehen scheint, dass der Kunde am wenigsten über das Produkt wissen muss, das er in seinen Einkaufskorb legt. Doch Stiftung Warentest warnt: »Die ländliche Idylle hat ihre Grenzen.« Regionale Lebensmittel garantierten in der Regel eine bestimmte Herkunft – mehr nicht. Verbraucher sollten daher nicht zu viel erwarten. Fachwerkhäuser, frei laufende Schweine, glückliche Hühner – nach den Recherchen der Verbraucher ist das meist Fehlanzeige, auch wenn die Verpackungen mit dem Bauern von nebenan werben. men und die Erzeugnisse von einer unabhängigen Stelle kontrolliert werden. Die Ansprüche des Bundesverbandes der Regionalbewegung gehen sogar noch weiter. Er erwartet von regionalen Produkten auch Qualitäten wie handwerkliche Fertigung, Gentechnikfreiheit oder die Verwendung einheimischer Futtermittel. Wo der Verbraucher so hochwertige regionale Waren kaufen kann, erfährt er vorerst allerdings noch nicht über ein entsprechendes Warenzeichen. Das Logo »Geprüfte Regionalität« des Bundesverbandes ist noch in der Entwicklungsphase. Auch die Politik hat mittlerweile auf den Wunsch nach mehr Klarheit reagiert. Seit 2014 informiert das sogenannte Regionalfenster Kunden über die Herkunft von rund 3 250 bisher ausgezeichneten Produkten. Verbraucherschützer, der Bundesverband der Regionalbewegungen und Ökotest sind allerdings unisono der Meinung, dass Verbraucherministerin Aigner mit dem Logo kein großer Wurf gelungen ist. Von »ein Anfang ist gemacht« bis hin zu »lasche Vorschriften« reichen die Beurteilungen. Ökotest ist sogar überzeugt, dass die Lebensmittelindustrie bei der Entwicklung des Siegels »den Stift geführt hat«. Kritisiert wird, dass nicht der Trägerverein, sondern die Hersteller festlegen, was sie als Region bezeichnen. Einzige Vorgabe: Sie muss kleiner als die Bundesrepublik Deutschland sein. Außerdem reicht es, wenn die Zutaten zu 50 Prozent aus ebenjener Region stammen. Wie gut sind die Kennzeichnungen? Die Willkür im Umgang mit dem Qualitätsversprechen Regio ist nicht nur den Verbraucherschützern, sondern auch dem Bundesverband der Regionalbewegungen ein Dorn im Auge. Beide fordern eine klare Definition von Regionalität und damit mehr Durchblick für den Verbraucher. Ihrer Meinung nach muss die Region, aus der ein Produkt stammt, klar definiert und für den Käufer sofort erkennbar sein. Lebensmittel wie Milch oder Kartoffeln (Monoprodukte) müssen zu 100 Prozent aus diesem Gebiet stam- Käsereifekeller Affinage Reiner Wechs Barriquegewölbe Weingut Espe, Kenzingen Genuss aus dem Naturkeller für privat und Gewerbe Neuschwander GmbH - Ziegelfertigteilwerk D - 74336 Brackenheim · Tel. 07135 - 961090 www.neuschwander.de Dreamteam Bio und Regio? Foto: Katrin Schießl Slow Food | 04/2015 Schatzkammer Weingut Trockene Schmitts Zaghafter Anfang Obstbauern aus der Nachbarschaft statt anonymer Massenware: Regionalität bietet Orientierung. 54 Gewölbekeller und Weinkellerbau für privat und Gewerbe Einer der Grundsätze der Biobewegung ist die regionale Erzeugung. Dementsprechend müssten eigentlich regionale Ökoprodukte die Supermarktregale füllen. Laut Ökobarometer gaben Biokäufer 2013 auch erstmals an, dass die regionale Herkunft und die Unterstützung regionaler Betriebe ihre wichtigsten Gründe für den Bioeinkauf ist. Also Dreamteam Bio und Regio? Dem ist leider nicht so. Regionalinitiativen und Biohandel arbeiten nicht so eng zusammen, wie man vielleicht erwarten könnte. So fällt es dem bayerischen Biogroßhändler Ökoring nicht immer leicht, genügend Bioware in der Region aufzutreiben. Marketingleiterin Karin Romeder: »Wir sind immer händeringend auf der Suche nach regionalen Biospezialitäten.« Immerhin 60 Prozent seiner Frischeware (Obst, Gemüse, Fleisch, Käse, Milchprodukte) liefert der Großhändler aber in Regio-Qualität aus. Hat die Ökobranche die Entwicklung also verschlafen? Studien belegen jedenfalls, dass Regio zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für Bio herangewachsen ist. So ist Regionalität vielen Verbrauchern inzwischen wichtiger als die ökologische Erzeugung. Ein Trend, der wohl auch in der Politik wahrgenommen wurde. Aktueller Fall: Im Januar reichte die CSU-Fraktion im Münchner Stadtrat unter dem Motto »Regional ist das neue Bio« einen Antrag ein. Er zielt darauf ab, regionale Produkte bei den Zulassungsverfahren für das Oktoberfest oder den Christkindlmarkt Bioproduk- ten gleichzustellen. Nach Meinung der Christsozialen sind Lebensmittel mit dem Gütesiegel »Qualität und Herkunft aus Bayern« ähnlich hochwertig wie Ökoprodukte. Das bestätigt eine Sorge Karin Romeders: »Viele Verbraucher meinen, Regio sei gleich Bio. Aber dem ist nicht so«. Inzwischen liegt ein Gegenantrag der Grünen im Münchner Rathaus vor. Ausgang offen. Für den Kunden jedenfalls wäre es wünschenswert, dass Bio und Regio noch öfter als bisher gemeinsame Sache machen. Denn wenn sich eine umweltschonende, pestizidfreie Produktion, artgerechte Tierhaltung und faire Erzeugerpreise mit kurzen Lieferwegen, Frische und guter handwerklicher Herstellung vermischen, kann dabei eigentlich nur ein hervorragendes Lebensmittel herauskommen. Eine Regio-App zum Finden von Regional-Initiativen in Ihrer Nähe: → regioportal.regionalbewegung.de/aktuelles Slow Food | 04/2015 55