So nah, so gut? - Slow Food Deutschland eV

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DOSSIER
Regionalität als Trend
So nah, so gut?
Brot vom Dorfbäcker, Eier aus dem Hofladen und Fleisch von den Schafen
des Nachbarn: Wer Glück hat, ist mit solch einer Infrastruktur gesegnet.
Wer weniger hat, kauft im Supermarkt ein – zum Beispiel regionale Lebensmittel. Die haben derzeit nämlich Hochkonjunktur. Heidi Tiefenthaler hat
für uns recherchiert, was dran ist am Geschäft mit der Nähe.
Regionalität – nur ein Marketingtrick?
Das Fazit der Recherchen: Regional kann derzeit heißen, dass ein
Lebensmittel zu 100 Prozent aus der angegebenen Region stammt,
genauso aber, dass es lediglich dort verarbeitet wurde. Für den
Kunden ist der Unterschied meist schwer bis gar nicht zu erken-
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nen. Selbst die Herkunftszeichen der Bundesländer wie etwa
»Qualität aus Bayern« oder »Bewährte Qualität Sachsen« haben
sehr unterschiedliche Ansprüche an die Regionalität. Oft suggerieren sie auch, dass die beworbenen Produkte besonders hochwertig sind. Tatsächlich aber bieten sie neben der Herkunft selten zusätzliche Qualitäten, fand die Verbraucherzentrale heraus.
Das grundsätzliche Problem: Begriffe wie »regional«, »aus der
Region« oder »von hier« sind nicht geschützt. Und auf verarbeiteten Produkten wie etwa Marmelade oder Wurst schreibt das
Gesetz noch nicht einmal vor, das Herkunftsland anzugeben. Es
reicht die Information, für wen die Ware hergestellt, beziehungsweise, wo sie verpackt wurde.
Foto:© Panthermedia, Ingeborg Knol
E
in »regionaler« Gurken-Wurst-Salat, für den die Gurken
aus dem ganzen Bundesgebiet herangeschafft wurden; eine
»thüringische« Pfirsichkonfitüre, hergestellt in Frankreich:
Erwartungen und Realität liegen bei regionalen Produkten im
wahrsten Sinne des Wortes oft Hunderte von Kilometern auseinander. Das haben Recherchen von Ökotest, Stiftung Warentest
und der Verbraucherzentrale ergeben. So hat die Stiftung Warentest vor zwei Jahren Eier, Milch und Apfelsaft aus den Regionen
um Berlin, Köln und München überprüft. Nur 11 von 29 Produkten stuften die Tester schließlich als besonders glaubwürdig ein.
Noch drastischer fiel das Ergebnis bei Ökotest aus: 80 von 106
Erzeugnissen überzeugten nicht. Lediglich 26 bezeichnete die
Redaktion als »lupenrein regional«, das heißt, die Rohstoffe
stammten aus dem angegebenen Gebiet, wurden dort verarbeitet, verpackt und vertrieben.
Wichtiger als Bio oder Fair Trade
Dass viele Produzenten ihren Waren derzeit gerne das Regional-Etikett anheften, ist kein Zufall. Sie gehen davon aus, dass mit
der Nähe gute Geschäfte zu machen sind. Zahlreiche Verbraucherbefragungen der letzten Jahre kommen nämlich zu dem Schluss,
dass Regionalität der Megatrend im Bereich Lebensmittel ist. Den
Verbrauchern sei sie inzwischen sogar wichtiger als Nachhaltigkeit, Bio oder Fair Trade. Besonders bei frischen Produkten wie
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REGIONALE LEBENSMITTEL
Obst oder Gemüse legten sie Wert auf Nähe
zum Produzenten. Laut Befragungen sind
die Verbraucher sogar bereit, für Waren
aus der Nachbarschaft tiefer in die Tasche
zu greifen. Preisaufschläge bis zu 20 Prozent halten sie für akzeptabel – zumindest
laut Umfragen. Denn: Die Aussagen über
das boomende Geschäft mit regionalen
Lebensmitteln basieren im Wesentlichen
auf Verbraucherbefragungen. Wie oft die
Konsumenten sich dann tatsächlich aus
dem Regio-Regal bedienen, bleibt unklar.
Verkaufszahlen liegen nicht vor. »Das ist
das Problem«, sagt Ilonka Sindel vom Bundesverband der Regionalbewegung. »Was
nicht definiert ist, kann auch nicht erhoben werden.«
Der Wunsch nach Klarheit
Bleibt trotzdem die Frage, warum die Kunden Regionalität heute offenbar so groß
schreiben. Wenig überraschend: Laut
Umfragen geht es Regio-Käufern darum,
die Wirtschaft vor Ort zu stärken und
wegen der kurzen Lieferwege ökologischer
und frischer einzukaufen. Aber es geht
auch um Orientierung: Je voller die Regale,
je variantenreicher das Angebot, desto
dankbarer sind die Verbraucher für Pro-
dukte, die ihnen den Einkauf erleichtern. »Viele Verbraucher sehnen sich nach einem Gefühl von mehr Transparenz und Ehrlichkeit, Authentizität und klaren Verhältnissen im Food-Sektor«, so
die Autoren einer Verbraucherstudie. Das Trendthema Regionalität greife die latente Sehnsucht der Konsumenten nach Überschaubarkeit und Vertrauen auf.
Regionalität als Synonym für eine heile Welt? Nachvollziehbar
wäre dieser Wunsch, bedenkt man die zahlreichen Lebensmittelskandale der letzten Jahre, die geballte Marktmacht einiger
weniger Lebensmittelkonzerne und nicht zuletzt die geltende
Gesetzeslage, die immer noch davon auszugehen scheint, dass
der Kunde am wenigsten über das Produkt wissen muss, das er
in seinen Einkaufskorb legt. Doch Stiftung Warentest warnt: »Die
ländliche Idylle hat ihre Grenzen.« Regionale Lebensmittel garantierten in der Regel eine bestimmte Herkunft – mehr nicht. Verbraucher sollten daher nicht zu viel erwarten. Fachwerkhäuser,
frei laufende Schweine, glückliche Hühner – nach den Recherchen
der Verbraucher ist das meist Fehlanzeige, auch wenn die Verpackungen mit dem Bauern von nebenan werben.
men und die Erzeugnisse von einer unabhängigen Stelle kontrolliert werden.
Die Ansprüche des Bundesverbandes der Regionalbewegung
gehen sogar noch weiter. Er erwartet von regionalen Produkten
auch Qualitäten wie handwerkliche Fertigung, Gentechnikfreiheit
oder die Verwendung einheimischer Futtermittel. Wo der Verbraucher so hochwertige regionale Waren kaufen kann, erfährt
er vorerst allerdings noch nicht über ein entsprechendes Warenzeichen. Das Logo »Geprüfte Regionalität« des Bundesverbandes
ist noch in der Entwicklungsphase.
Auch die Politik hat mittlerweile auf den Wunsch nach mehr Klarheit reagiert. Seit 2014 informiert das sogenannte Regionalfenster Kunden über die Herkunft von rund 3 250 bisher ausgezeichneten Produkten. Verbraucherschützer, der Bundesverband der
Regionalbewegungen und Ökotest sind allerdings unisono der
Meinung, dass Verbraucherministerin Aigner mit dem Logo kein
großer Wurf gelungen ist. Von »ein Anfang ist gemacht« bis hin
zu »lasche Vorschriften« reichen die Beurteilungen. Ökotest ist
sogar überzeugt, dass die Lebensmittelindustrie bei der Entwicklung des Siegels »den Stift geführt hat«. Kritisiert wird, dass nicht
der Trägerverein, sondern die Hersteller festlegen, was sie als
Region bezeichnen. Einzige Vorgabe: Sie muss kleiner als die Bundesrepublik Deutschland sein. Außerdem reicht es, wenn die
Zutaten zu 50 Prozent aus ebenjener Region stammen.
Wie gut sind die Kennzeichnungen?
Die Willkür im Umgang mit dem Qualitätsversprechen Regio ist
nicht nur den Verbraucherschützern, sondern auch dem Bundesverband der Regionalbewegungen ein Dorn im Auge. Beide fordern eine klare Definition von Regionalität und damit mehr Durchblick für den Verbraucher. Ihrer Meinung nach muss die Region,
aus der ein Produkt stammt, klar definiert und für den Käufer
sofort erkennbar sein. Lebensmittel wie Milch oder Kartoffeln
(Monoprodukte) müssen zu 100 Prozent aus diesem Gebiet stam-
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Reiner Wechs
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Dreamteam Bio und Regio?
Foto: Katrin Schießl
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Schatzkammer Weingut
Trockene Schmitts
Zaghafter Anfang
Obstbauern aus der Nachbarschaft statt anonymer
Massenware: Regionalität
bietet Orientierung.
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Gewölbekeller und Weinkellerbau
für privat und Gewerbe
Einer der Grundsätze der Biobewegung ist die regionale Erzeugung. Dementsprechend müssten eigentlich regionale Ökoprodukte die Supermarktregale füllen. Laut Ökobarometer gaben Biokäufer 2013 auch erstmals an, dass die regionale Herkunft und die
Unterstützung regionaler Betriebe ihre wichtigsten Gründe für
den Bioeinkauf ist. Also Dreamteam Bio und Regio? Dem ist leider nicht so. Regionalinitiativen und Biohandel arbeiten nicht so
eng zusammen, wie man vielleicht erwarten könnte. So fällt es
dem bayerischen Biogroßhändler Ökoring nicht immer leicht,
genügend Bioware in der Region aufzutreiben. Marketingleiterin
Karin Romeder: »Wir sind immer händeringend auf der Suche
nach regionalen Biospezialitäten.« Immerhin 60 Prozent seiner
Frischeware (Obst, Gemüse, Fleisch, Käse, Milchprodukte) liefert
der Großhändler aber in Regio-Qualität aus.
Hat die Ökobranche die Entwicklung also verschlafen? Studien
belegen jedenfalls, dass Regio zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für Bio herangewachsen ist. So ist Regionalität vielen Verbrauchern inzwischen wichtiger als die ökologische Erzeugung.
Ein Trend, der wohl auch in der Politik wahrgenommen wurde.
Aktueller Fall: Im Januar reichte die CSU-Fraktion im Münchner
Stadtrat unter dem Motto »Regional ist das neue Bio« einen Antrag
ein. Er zielt darauf ab, regionale Produkte bei den Zulassungsverfahren für das Oktoberfest oder den Christkindlmarkt Bioproduk-
ten gleichzustellen. Nach Meinung der Christsozialen sind Lebensmittel mit dem Gütesiegel »Qualität und Herkunft aus Bayern«
ähnlich hochwertig wie Ökoprodukte. Das bestätigt eine Sorge
Karin Romeders: »Viele Verbraucher meinen, Regio sei gleich Bio.
Aber dem ist nicht so«. Inzwischen liegt ein Gegenantrag der Grünen im Münchner Rathaus vor. Ausgang offen.
Für den Kunden jedenfalls wäre es wünschenswert, dass Bio
und Regio noch öfter als bisher gemeinsame Sache machen. Denn
wenn sich eine umweltschonende, pestizidfreie Produktion,
artgerechte Tierhaltung und faire Erzeugerpreise mit kurzen
Lieferwegen, Frische und guter handwerklicher Herstellung vermischen, kann dabei eigentlich nur ein hervorragendes Lebensmittel herauskommen.
Eine Regio-App zum Finden
von Regional-Initiativen in Ihrer Nähe:
→ regioportal.regionalbewegung.de/aktuelles
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