Integrierter europäischer Strommarkt

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RUBRIK
Ein großer Schritt auf dem Weg
zum integrierten europäischen
Strommarkt
Seit November 2009 sind der nordische und der deutsche Strommarkt miteinander gekoppelt. Im November
2010 ist die zentralwesteuropäische Marktkopplung sowie das Bindeglied zwischen Skandinavien und Europa,
das Interim Tight Volume-Coupling, gestartet. Damit ist ein Marktgebiet einzigartigen Ausmaßes entstanden.
Wie die Markkopplung funktioniert, welche Schwierigkeiten überwunden werden mussten und welche Vorteile
Marktkopplung langfristig bringt, beschreibt dieser Artikel.
und den Niederlanden verlaufende NorNed
alle Parteien und insbesondere die invol-
Kabel (vgl. Abb.1). Im Zuge der fortschrei-
vierten Strombörsen beteiligt waren, von
tenden Entwicklung der zentralwesteuropäi-
Beginn an ohne besondere Vorkommnisse.
Seit November 2009 funktioniert die Markt-
schen Marktkopplung zwischen den Benelux-
Damit integrieren die beiden Initiativen nun
kopplung zwischen Dänemark und Deutsch-
Ländern, Frankreich und Deutschland (CWE)
einen Day-ahead-Markt mit etwa 1.816 TWh
land. Im Mai 2010 ist auch das Baltic Cable
musste ein System geschaffen werden, das
Stromproduktion. Dies entspricht 55 Prozent
zwischen Schweden und Deutschland einbe-
eine Integration der CWE-Preiskopplung mit
des europäischen Stromverbrauchs pro Jahr
zogen worden. Seither berechnet die Euro-
der von EMCC betriebenen Volumenkopp-
und stellt somit den größten derart zusam-
pean Market Coupling GmbH (EMCC) täglich
lung zwischen Deutschland und Skandina-
menhängenden Markt weltweit dar. Mit dem
20 Preiszonen und 29 Interkonnektoren, um
vien ermöglicht. EMCC wurde von den in
ITVC-Projekt wurde ein großer Schritt in
auf den drei Kabeln den optimalen Stromfluss
beiden Regionen vertretenen Strombörsen
Richtung der europäischen Vision eines inte-
zwischen Skandinavien und Deutschland zu
und Übertragungsnetzbetreibern damit be-
grierten Strommarktes Realität.
bestimmen.
auftragt, sein IT-System an die notwendigen
VON ENNO BÖTTCHER
schnittstellentechnischen Anforderungen an-
Funktionsweise der Marktkopplung
Im Laufe des Jahres 2010 stand das nächste
zupassen und gemeinsame Geschäftsprozes-
Vor der Einführung der Marktkopplung
große Projekt vor der Tür: Der skandinavische
se zu entwickeln. Die Optimierungssoftware
führten Preisunterschiede in den beteiligten
und der westeuropäische Strommarkt haben
sollte mathematisch erweitert werden für die
Ländern oder Marktgebieten dazu, dass die
Überschneidungspunkte sowohl in Deutsch-
interregionale Marktkopplung zwischen CWE
Nachfrage nach grenzüberschreitendem Han-
land als auch durch das zwischen Norwegen
und Nordic, dem von den Projektpartnern
del größer war als die verfügbare Kapazität.
genannten „Interim
Dadurch kam es regelmäßig zu Engpässen
Tight Volume-Coup-
auf den Interkonnektoren. Zudem mussten
ling“ (ITVC),
sich Händler zunächst die Übertragungsrech-
Abb. 1
Stromleitungen zwischen den skandinavischen und dem
westeuropäischen Strommarkt
te beim Netzbetreiber sichern, um im AnAm
1 DK1: Interconnector DK West -Deutschland
(950/1.500 MW)
TenneTTSO GmbH, Energinet.dk
2 DK2: KONTEK DK Ost -Deutschland
(585/600 MW)
Energinet.dk, Vattenfall AB, 50 Hertz Transmission
1
4
3
2
3 Baltic Cable Schweden- Deutschland
(600 MW)
Statkraft
4 NorNed Norwegen-Niederlande
(700 MW)
Statnett SF, TenneT TSO B.V.
November
schluss am Handel zwischen den Marktge-
2010, genau ein Jahr
9.
bieten teilnehmen zu können. Dazu mussten
nach
sie die Preise in den einzelnen Regionen zwei
dem
reichen
erfolg-
Start
von
Tage im Voraus prognostizieren und Kapa-
EMCC, wurden bei-
zitäten in der erwarteten richtigen Richtung
de
beim Netzbetreiber erwerben.
Projekte,
CWE
und ITVC, gleichzeitig in den operativen
EMCC betreibt nun als unabhängiges Auk-
Betrieb
überführt.
tionshaus die Schnittstelle zwischen den
funktionierten
beteiligten Übertragungsnetzbetreibern und
dank der guten Zu-
den Strombörsen im CWE-Gebiet und Skan-
sammenarbeit
dinavien.
Sie
und
Die
Übertragungsnetzbetreiber
der intensiven Test-
stellen EMCC die verfügbaren Grenzkapa-
reihen,
zitäten (ATC=Available Transfer Capacity)
an
denen
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RUBRIK
Abb. 2
Preiszonen und Interkonnektoren
NO4
NO3
SESAM
SESAM
Preiszonen der Börsen
NO5
virtuelle Preiszonen mit dem Preis
der benachbarten „echten” Preiszone
SESAM
FIN
SESAM
virtuelle Preiszonen
NO2
SE
NO1
SESAM
SESAM
SESAM
regionale Interkonnektoren
EST
SESAM
EMCC-Interkonnektoren
700
R-im
SESAM
SEA
DK1
A
SESAM
L-ex
SESAM
SESAM
L-im
SESAM
DK1
DK2
SESAM
NL
EL -S*
SESAM
950/1500
585/600
600
PL
EL-S**
rechnungsalgorithmus wurde von EMCC und
der Tag mit der Stun-
dem IT-Dienstleister Deutsche Börse Systems
de x eintritt, müssen
entwickelt und als „Optimiser“ bezeichnet.
Käufer
Strom
Durch die optimierten grenzüberschreitenden
obwohl
Stromflüsse werden auch die vorhandenen
hierfür kein zusätz-
Kapazitäten besser genutzt, wodurch lang-
licher Strom im glei-
fristig der Ausgleich von Angebot und Nach-
chen
frage über Ländergrenzen hinweg effizienter
den
abnehmen,
Marktgebiet
produziert
SESAM
GE/
AT
BE
Preisen erhöht. Wenn
wurde.
wird und bei hoher Nachfrage in Deutschland
diese
zum Beispiel Strom aus norwegischer Was-
Strommenge in das
serkraft genutzt werden kann. Die bei der
Hochpreisgebiet
hi-
Marktkopplung entstehenden Engpasserlöse
neinfließen. Folglich
werden von EMCC an die Betreiber der Kabel
regeln physikalische
weitergereicht und müssen laut EU-Vorgaben
Daher
ETS
FR
muss
ETS
Gesetze automatisch
in den Ausbau und die Instandhaltung der
treuhänderisch zur Verfügung und nach Han-
den Stromfluss, nachdem EMCC die zusätzli-
Übertragungsnetze investiert sowie zur De-
delsschluss senden die Strombörsen ihre ano-
chen Verkaufs- und Kaufgebote an die Börsen
ckung der Netzkosten herangezogen werden.
nymisierten Orderbücher. Im Anschluss wird
gestellt hat. Der günstige Strom aus dem Nied-
Somit sorgt Markkopplung sowohl produk-
aus Kapazitäten und Preisen der optimale
rigpreisgebiet fließt in das Hochpreisgebiet.
tions- als auch netzseitig für Effizienz und
Transparenz und kommt letztlich auch dem
Stromfluss vom Marktgebiet mit dem niedri-
Endverbraucher zugute.
berechnet. Um den Stromfluss tatsächlich zu
Mittelfristige Auswirkungen von
Marktkopplung
realisieren, werden zusätzliche, preisunab-
Um Angebot und Nachfrage in den nationa-
Die Komplexität der Entwicklung eines funk-
hängige Gebote an den Börsen gestellt. Diese
len Märkten optimal zu verteilen, wird die
tionierenden Systems hat dabei alle Erwar-
Gebote werden im Matching der Börsen Nord
günstigere Erzeugung in einem Land dazu
tungen von Experten übertroffen. Die Schwie-
Pool Spot (NPS), APX-ENDEX und EPEX Spot
genutzt, die höhere Nachfrage in einem an-
rigkeit lag vor allem darin, die verschiedenen
für ihre Marktpreisberechnung berücksichtigt.
deren Land zu decken. Die Berechnung ba-
Algorithmen, Regeln und Rahmenbedingun-
Zusätzlich bestimmt Nord Pool Spot die Strom-
siert dabei auf dem Prinzip der Ökonomi-
gen der Börsen im Maktkopplungssystem
flüsse innerhalb Skandinaviens und CWE die
schen Wohlfahrt. Demnach wird nicht das
bestmöglich zu reproduzieren. So rechnet
Flüsse zwischen den Benelux-Ländern, Frank-
gehandelte Volumen maximiert, sondern der
die Nord Pool Spot etwa in einer Preisspanne
reich und Deutschland (vgl. Abb. 2).
Nutzen von Käufern und Verkäufern durch
von -200 Euro/MWh bis +2.000 Euro/MWh
die Angleichung der Preise in den verschie-
während die CWE-Börsen Preise von -3.000
denen Marktgebieten. Der dazu nötige Be-
Euro/MWh bis +3.000 Euro/MWh zulassen.
geren Preis in das Gebiet mit höherem Preis
Vereinfacht funktioniert die Marktkopplung
wie folgt (Abb. 3): Für eine Stunde x an einem
bestimmten Tag wird in dem Marktgebiet mit
Abb. 3
Täglicher Ablauf des Market Coupling
niedrigem Preis ein preisunabhängiges Kauf-
Kabel betreiber
gebot an der Börse gestellt. Dadurch wird an
Strombörsen
ATC
dieser Börse die Nachfrage um die entspre-
Orderbücher
Fahrpläne
chende Menge Strom von Produzenten im
Engpasserlöse
Niedrigpreisgebiet erhöht. Am Ausführungs-
Service Fee
Info
tag müssen demnach die Produzenten genau
diese Menge zusätzlich produzieren, obwohl
kein Verbrauch, der Strommenge besteht. Daher wird die Strommenge aus dem Niedrig-
ATC auf
Website*
Analog wird in dem Marktgebiet mit dem hö-
ATC von
Netzbetreibern /
CACS/Nord Pool
Spot
heren Preis für die gleiche Stunde x ein preis-
10:30
unabhängiges Verkaufsangebot an der Börse
gestellt. Dadurch wird an dieser Börse in eben
diesem Preisgebiet das Angebot zu günstigen
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finanzieller
Ausgleich
Website*
in diesem Preisgebiet keine Nachfrage, also
preisgebiet herausfließen.
Bids
Kalkulation
10:30
gate
closure
Versand der zusätzlichen
Bids an die Strombörsen
Start Market
Coupling
Anonyme
Orderbücher der
Börsen
12:00
by 12:05
Börsenhandel
Confirmation
VeröffentVeröffent- lichung
lichung Preise
CWE Nord Pool
Spot
Börsen preise
by 12:25 by 12:55
Cross Border-Flow
auf Website*
Fahrpläne
afterwards 13:15 before 14:00
ATC = verfügbare Grenzkapazitäten; CASC = Capacity Allocation Service Company for the Central West European Market
* EMCC veröffentlicht ATC und Coss-Border- Flow für EMCC Interkonnektoren (DK1, DK2, Baltic Cable, NorNed)
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Darüber hinaus gibt es Unterschiede in der
Ausführung von Blockgeboten und minimale
Volume Coupling
Differenzen bei der Währungsumrechnung,
die gelegentlich zu Flüssen ins Niedrigpreisgebiet führen. Auch das Ramping, bei dem
aus Sicherheitsgründen der Wechsel der
Flussrichtung reduziert wird, erzeugt vereinzelt Flüsse in die scheinbar falsche Richtung.
Abgesehen von den technischen Raffinessen
stellte das ITVC-Projekt auch alle Beteiligten
vor organisatorische Herausforderungen: ein
so großes europäisches Projekt mit 16 Unternehmen aus acht Ländern, darunter zwölf
Übertragungsnetzbetreiber und vier Börsen,
sowie zusätzlich einige Beratungsunternehmen und die Wirtschaftsministerien und Regulierungsbehörden aller beteiligten Staaten
und der EU, erfordert ein hohes Maß an Koordination, Disziplin und enge Kooperation.
Fazit
Zweifelsohne, Marktkopplung ist ein wichtiger
Die Volumenkopplung ist eine Art der
Marktkopplung. Sie ist eine koordinierte
Day-ahead-Auktion für zwei oder mehr
Marktgebiete. Die grenzüberschreitenden
Stromflüsse auf den Interkonnektoren
werden von einem Auktionshaus berechnet und an die beteiligten Strombörsen
geschickt. Die Berechnung basiert auf
den zur Verfügung stehenden Grenzkapazitäten (Available Transmission Capacity, ATC) der Netzbetreiber und den
anonymisierten Orderbüchern der Börsen. Das Auktionshaus berechnet für
jede Stunde des Folgetages somit sowohl
einen optimalen Preis pro Preiszone als
auch die optimale Flussmenge zwischen
den Interkonnektoren. Die Flüsse werden als preisunabhängige Gebote in der
Preisberechnung der Börsen berücksichtigt. Das Auktionshaus veröffentlicht die
Flussmenge für die entsprechenden Inter-
konnektoren, Die Preishoheit und -veröffentlichung verbleibt bei den beteiligten
Strombörsen.
EMCC Tight Volume-Coupling:
EMCC hat die Volumenkopplung weiterentwickelt und betreibt das „tight volume
coupling“, bei dem den Börsen standardisierte Informationen aus benachbarten
Preisgebieten zur Verfügung gestellt werden können. Damit werden die genannten
Ungenauigkeiten der Volumenkopplung
reduziert und die Stromflüsse noch genauer berechnet.
CWE-Preiskopplung:
Im Gegensatz zur Volumenkopplung verbleibt die Preishoheit bei der Preiskopplung
nicht bei den beteiligten Strombörsen, wodurch verschiedene Marktgebiete zu einer
Zone zusammengeführt werden können.
Baustein in der Entwicklung der europäischen
Energiewirtschaft. Zu den Voraussetzungen
für das Gelingen gehört die Vereinheitlichung
Die Großprojekte CWE und ITVC tragen in
bisher autarker Systeme, politische, organisa-
einem erheblichen Maße dazu bei, die Effi-
torische, gesellschaftsrechtliche und wettbe-
zienz des Marktes zu erhöhen und die Inte-
werbsrechtliche Aspekte, eine zunehmende
gration der lokalen beziehungsweise regiona-
Harmonisierung zwischen den Börsen und
len Märkte in Richtung eines europaweiten
den Übertragungsnetzbetreibern sowie eine
Strommarktes voranzutreiben. Durch das
enge Kooperation. Ohne die Unterstützung
weitere Engagement wird das Ziel des integ-
und das Engagement von allen beteiligten Un-
rierten europäischen Strommarktes der EU in
ternehmen sowie den Regulierungsbehörden
absehbarer Zeit zu erreichen sein.
zur Person
Enno Böttcher
• Studium der Betriebswirtschaft und der
Elektrotechnik
• 1998-2008 leitende Funktionen bei der Vattenfall Europe AG
• seit 2008 Geschäftsführer der European Market Coupling Company GmbH, Hamburg
wäre das kaum möglich gewesen.
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