München 1963 - Volk Verlag

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München 1963
München 1963
Der König kehrt in sein Theater zurück
Von der Bronzestatue, die einst Ferdinand von Miller für das
monumentale Landesdenkmal König Ludwigs II. auf der
Corneliusbrücke in München geschaffen hatte, war nur das
edle Haupt übrig geblieben. Es lag eine bewegte Geschichte
hinter ihm, die in Hamburg begann, wohin die Statue im
Mai 1942 zur Einschmelzung geliefert werden musste.1
nicht übers Herz gebracht habe, das königliche Haupt in den
Schmelzofen zu werfen. Er habe es unter Lebensgefahr beiseite geschafft, so daß es den Krieg unbeschädigt überdauerte. Rationalisten mögen an Zufall glauben, weil sie sich nicht
vorzustellen vermögen, daß ein Hamburger vom bayerischen
Ludwigsmythos ergriffen werden könnte.“3
Die Legende von der Rettung des Denkmalhauptes
Was soll aus des Königs Kopf werden?
Ein Hafenarbeiter, den man noch bis in die 1960er Jahre
vergeblich suchte, soll den königlichen Kopf gerettet haben.
Während man das Standbild auf dem berühmten Glockenfriedhof in Hamburg-Veddel für die Einschmelzung vorbereitete und zerlegte, ergriff der weitsichtige Mann den Kopf
und schaffte ihn beiseite. Er vergrub ihn und beförderte ihn
nach dem Krieg wieder ans Tageslicht. Manche meinen, es
handelt sich um eine Legende, aber sie passt so schön zu
den Anekdoten um den „Märchenkönig“, dass sie bis heute
weitererzählt wird. Auch am 15. Dezember 1963 wurde sie
anlässlich eines feierlichen Aktes in der nördlichen Eingangshalle des Münchner Nationaltheaters wiederbelebt. Der „Verein zur Wiedererrichtung eines Denkmals für König Ludwig II. von Bayern e. V.“ enthüllte hier sein erstes Denkmal,
nachdem seine Bemühungen, eine große Statue unterhalb des
Friedensengels aufzustellen, gescheitert waren.2 Der Vereinsvorsitzende und Festredner Dr. mult. Keller erklärte seinen
erstaunten Zuhörern, „daß ein wackerer Lagerverwalter es
In Bayern selbst muss der Ludwigsmythos dann aber weit
weniger Wirkung gezeigt haben. Denn obwohl der Kopf im
März 1948 zurück nach München gelangte,4 ruhte er nun jahrelang auf dem Städtischen Bauhof in Obersendling. Es ist
Hannes Heindl, dem späteren Gründer des „König-LudwigJugend-Clubs München“ zu verdanken, dass er wieder ins
Licht der Öffentlichkeit rückte. Heindl, der Ziseleur, streifte
im Mai und Juni 1956 aus Interesse für die deponierten Bronzeskulpturen oft über den Bauhof. Dabei suchte und fand er
schließlich das königliche Haupt und nahm es mit Genehmigung der Stadt in rettende Verwahrung. Aber auch der Denkmalverein bemühte sich um Ludwigs Bronzekopf und brachte
ihn schließlich in seinen Besitz.5 Am 14. November 1957 hielt
er Einzug ins Vereinslokal in der Sendlinger Straße, wurde
aber am 14. März 1959 dem Historischen Stadtmuseum übergeben. Dort stellte man ihn für eine kurze Zeit im Rittersaal
aus. Wie die Büste danach wieder auf einem Städtischen Bauund Gerätehof landen konnte, diesmal in Dirnismaning, ist
bislang ungeklärt. Der unwürFund auf dem städtischen Bauhof: das Haupt Ludwigs II. vom Landesdenkmal (Aufn. 1956)
dige Zustand muss selbst im
Haus Wittelsbach Anstoß erregt
haben, denn Seine Königliche
Hoheit Prinz Joseph Clemens
schlug dem Denkmalverein
1960 vor, den Kopf im Park von
Schloss Nymphenburg aufzustellen.6 Das Vorhaben wurde
nicht realisiert, aber die Münchner bekamen das Königshaupt
nun doch zu sehen, denn Hannes
Heindl präsentierte es 1960 bei
einer Ludwig-Ausstellung im
„Valentin-Musäum“ und auch
für einige Tage im Denkmaltempel auf der Corneliusbrücke.
Ein Jahr später zum Ludwigstag
am 25. August 1961 wiederholte
er die Aktion. Diesmal stand die
Büste für längere Zeit auf der
Corneliusbrücke, um der Forderung zur Wiederherstellung des
Landesdenkmals Nachdruck zu
verleihen. Danach verstaubte
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Aufstellung des originalen Königshauptes vom Landesdenkmal in der nördlichen Eingangshalle des Münchner
Nationaltheaters
der Kopf erneut im städtischen Lager, nun in Freising, aber
seitens des Stadtmuseums bestanden ernsthafte Absichten,
ihn im Innenhof des Museumsneubaus aufzustellen.
Mitte 1962 brachte der Schriftsteller und Ludwig-Autor
Anton Sailer im Rahmen des Münchner Denkmalstreits
das Ludwig-Denkmal erstmals mit dem Nationaltheater in
Verbindung: „Muß es denn überhaupt ein Denkmal sein?
Richtiger (und durchaus nicht kostspielig) wäre es doch, im
Nationaltheater, das seiner Vollendung entgegengeht, ein
König-Ludwig-II.-Foyer zu schaffen, oder dort einen entsprechenden Raum nach ihm zu benennen. An dieser Stätte
fühlte sich der König schließlich am Innigsten mit München
verbunden. […] Mit einem Ludwig-II.-Foyer könnten jedenfalls Staat und Stadt, Bürgertum und Künstlerschaft dem
Märchenkönig die würdigste und zugleich lebendigste, sinnfälligste Ehrung erweisen.“7 Die Idee fand keine Realisierung, aber vielleicht kam durch sie der Denkmalverein auf
den Einfall, das Nationaltheater für ein Ludwig-Denkmal zu
nutzen.
Endlich eine Lösung
Das einst königliche Opernhaus und Theater hatte man seit
1958 rekonstruiert, am 21. November 1963 sollte mit der
Oper von Richard Strauss „Die Frau ohne Schatten“ Wiedereröffnung gefeiert werden. Dieses Ereignis erschien
dem Denkmalverein als würdiger Rahmen, die königliche
Büste zum Denkmal zu erheben. Es klappte nicht zur Premiere, aber drei Wochen später kehrte Ludwig II. symbolisch in die Stätte zurück, zu der er zeit seines Lebens ein
ganz besonderes Verhältnis hatte. Für die Wiedererrich-
tung des Denkmals auf der Corneliusbrücke war der Kopf
damit allerdings verloren, was der „König-Ludwig-Club
München“ und besonders sein Vorsitzender beklagten.
Der Theaterfürst
Am 2. Februar 1861 durfte der 15-jährige Kronprinz zum
ersten Mal das königliche Hof- und Nationaltheater, wie es
damals hieß, besuchen. Man brachte Wagners „Lohengrin“
zur Aufführung, und Ludwig soll „Tränen höchsten Entzückens“ über den Vortrag Ludwig Schnorr von Carolsfelds
als Lohengrin vergossen haben.8 Sein zweiter Opernbesuch
fand am 22. Dezember 1861 statt, diesmal stand „Tannhäuser“ auf dem Spielplan. Im Juni 1862 wurde „Lohengrin“
eigens für ihn wiederholt, seit dieser Zeit war Ludwig
„theatersüchtig“. Aber erst ab seinem 18. Geburtstag war
der Kronprinz auch „theatermündig“ und durfte selbst entscheiden, wie häufig er die von ihm ausgewählten Opern
und Schauspiele sehen wollte. Damit nahm die Anzahl der
Theaterbesuche zu, die nun auch das Residenztheater einbezogen, und noch 1863 erlebte er drei Aufführungen mit
Schiller-Dramen.9
Nach Ludwigs II. Thronbesteigung wurde das Hof- und
Nationaltheater zur Stätte der Triumphe Richard Wagners.
Am 10. Juni 1865 fand nach 21 Orchesterproben die Uraufführung von „Tristan und Isolde“ statt, am 21. Juni 1868 die
Uraufführung der „Meistersinger von Nürnberg“, während
der der König den Komponisten zu sich in die Loge einlud. Am 22. September 1869 ließ Ludwig gegen den Willen
Wagners erstmals „Rheingold“ aufführen und am 26. Juni
1870 die „Walküre“, was erneut zu Differenzen mit Wagner
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führte.10 Danach erlaubte es der Meister nicht mehr, dass andere Hand an sein Werk legten, und nahm die Inszenierungen seines Monumentalwerkes „Der Ring des Nibelungen“
und des Bühnenweihfestspiels „Parsifal“ in Bayreuth unter
eigene Kontrolle.
So sehr Ludwig II. das Theater liebte, mit der Zeit konnte
er Publikum im Zuschauerraum nicht mehr ertragen. Dem
Hofschauspieler und späteren Generalintendanten des Hofund Nationaltheaters Ernst von Possart erklärte er: „Ich
kann keine Illusion im Theater haben, solange die Leute
mich unausgesetzt anstarren und mit ihren Operngläsern
jede meiner Mienen verfolgen. Ich will selbst schauen, aber
kein Schauobjekt der Menge sein.“11 Fortan saß der König
allein im Theater. Die Separatvorstellungen begannen am 6.
Mai 1872 mit der „Gräfin du Barry“, einem Lustspiel „nach
dem Französischen“ von L. Schneider und endeten am 12.
Mai 1885 mit „Urvasi“, einem Schauspiel in fünf Akten von
Kalidasa. Insgesamt 209 Vorstellungen fanden statt, davon
162 im Hof- und Residenztheater. Nur wenigen Menschen
war es vergönnt, einer Vorstellung beizuwohnen. Das war
Anlass zu fantastischen Schilderungen, aber auch boshaften
Übertreibungen. Ernst von Possart als jahrelanger Intendant
sollte ein kompetenter und glaubhafter Zeitzeuge sein. Er
äußerte sich 1916: „Für mich sind diese Vorstellungen in
ihrem äußeren Verlauf das Weihevollste und Ungetrübteste
geblieben, was ich als Darsteller während meiner fünfzigjährigen Bühnentätigkeit miterlebt habe.“12
Haupt der Königsstatue von Ferdinand von Miller, 1910
Denkmal im „Lieferanteneingang“
Man kann Herrn Dr. mult. Keller nicht widersprechen,
wenn er in seiner Festrede vom 15. Dezember 1963 feststellte, dass man sich für ein König-Ludwig-Denkmal „einen
sinnigeren Standort […] ja schwerlich denken“ kann und
dass sich „König Ludwig II. […] in seinem Nationaltheater selber das großartigste Denkmal gesetzt“ hat. Die Büste
des Königs wurde bei der Restaurierung im Korpus seitlich
reduziert und entsprach damit nicht mehr genau dem von
der Statue abgetrennten Kopf, was mancher Seite Anlass
zur Kritik gab. Sie wurde auf einer kostbaren Marmorsäule
befestigt, die der Stuttgarter Mäzen Adolf Lauster stiftete.
Wunsch war es gewesen, das Denkmal in der Eingangshalle
des Theaters inmitten der vier dorischen Marmorsäulen zu
platzieren,13 aufgestellt wurde es im „Lieferanteneingang“,
wie es der Denkmalverein empfand, weil es nicht einmal
von der Führungslinie durch das Nationaltheater berührt
wird. Festzustellen bleibt, dass es dem großen Engagement
und der privaten Initiative von traditionsbewussten Bürgern
zu verdanken ist, dass die gerettete Büste vom einstigen
Landesdenkmal wieder zur Aufstellung gelangte.
Anmerkungen
1 Vgl. Kapitel München 1910.
2 Vgl. Kapitel München 1959.
3 K eller 1967, S. 156. In den Nachkriegsjahren erhielt die Stadt München nach einem Angebot aus Hamburg offiziell mehrere Denkmalhäupter zurück, die im Krieg nicht eingeschmolzen wurden. So gesehen handelt es sich beim Ludwig-Kopf wohl doch um eine Legende.
4 K eller 1967, S. 149. Vorher datierte Widemann 1960, S. 21 auf 1945.
5 Die weit zurückliegenden Vorgänge sind schwer recherchierbar. Laut
Führer „Die Portrait-Galerie im Nationaltheater“ hat der Denkmalverein
den Kopf bei einer Hamburger Metallverwertungsfirma erworben, vgl.
Lenz/Huber 1996, S. 33.
6 Vgl. Widemann 1960, S. 21.
7 „Münchner Merkur“ vom 18. Juli 1962.
8 Böhm 1924, S. 42.
9 Vgl. Schweiggert 1995, S. 186–193.
10 Der Gesamtspielplan in: Hommel 1963, S. 46–54.
11 Zit. n.: H acker 1966, S. 226–227.
12 Zit. n.: H acker 1966, S. 258–259.
13 Vgl. K eller 1967, S. 156, Zitat ebd.
Daten: Denkmal auf Initiative des „Vereins zur Wiedererrichtung eines
Denkmals für König Ludwig II. von Bayern e. V.“, München. Büste von
Ferdinand von Miller, München, 1910, Bronze, 0,66 x 0,43 x 0,45 m. Postament aus Marmor, 1,9 x 0,3 m. Enthüllung am 15. Dezember 1963
Standorthinweis: Nationaltheater München, Max-Joseph-Platz 2. Besichtigung nur bei Theaterbesuch oder mit Sondererlaubnis. Parken im Stadtzentrum problematisch (Parkhäuser)
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