Zur Beilage - Universitätsspital Basel

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Schach dem Krebs.
Eine Verlagsbeilage der Basler Zeitung.
| Freitag, 25. September 2015
Dem Schwarzen Hautkrebs entronnen
Wie ein Patient eine Immuntherapie als Wunder erlebte
Von betäubten Wächtern und getäuschten Killern
Wie uns unser Immunsystem gegen Krebs schützen sollte
Mit Impfen und gespendeten Stammzellen gegen Krebs
Forschung und Erfahrung mit Immunstrategien am Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel
Revolution in der Krebsmedizin
Wie das Tumorzentrum Basel sich auf die neue Entwicklung ausrichtet
Zellen eines Lungenkarzinoms.
Verglichen mit einem roten Blutkörperchen, ist die
Grösse der orange kolorierten Tumorzellen enorm.
Bild Martin Oeggerli / www.micronaut.ch
Editorial
Das Tumorzentrum Basel setzt auf Immuntherapie
Von Astrid Beiglböck
und Christoph Rochlitz*
In der Behandlung von Krebs wird zur
Zeit ein neues Kapitel aufgeschlagen.
Mehr und mehr gelingt es, das Wachstum von Tumoren wirkungsvoll zu bekämpfen, indem man neu die körpereigene Abwehr der Patientinnen und
Patienten gegen fremdes und bösartiges Gewebe zu wecken versteht. Diese
von hoffnungsvollen Resultaten beflügelte Strategie heisst Immuntherapie.
Das Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel, das hier ganz vorne
mithält und forschend aktiv ist, will
Ihnen in dieser Beilage Einblicke in
dieses spannende Feld geben.
Die Immuntherapie etabliert sich
derzeit als starke Säule in der Krebsmedizin (Onkologie) und hat zu
einem Wandel in der Behandlung
geführt. Zum einen beobachtet man bei
verschiedensten Tumorerkrankungen
hohe Ansprechraten. Dies sogar auch
bei Tumoren, die sich vorher gegen eine
Behandlung resistent zeigten. Zum andern hält eine erzielte Wirkung oft dauerhaft an. So scheint es bei einem Teil
von Patienten, die bisher eine sehr
schlechte Prognose hatten, zu gelingen, die Krankheit in einen chronischen Zustand zu überführen und ihnen dadurch wieder ein normales Leben zu ermöglichen. Am weitesten ist
die Entwicklung derzeit beim Schwarzen Hautkrebs (Melanom) und beim
Lungenkrebs.
Die Immuntherapie ist
ein neuer Lichtblick in
der Behandlung von
Krebserkrankungen.
Kein Wunder also, dass weltweit
die weitere klinische Entwicklung
durch viele Studien vorangetrieben
wird. Ihre Zahl nimmt derzeit rasant
zu. Dabei versucht man zu ermitteln,
welche Behandlungsstrategien («Protokolle») gegen welche Krebsformen
die besten Resultate erzielen. Es wird
aber auch erforscht, wie die Immuntherapie mit den anderen bisher angewendeten und bewährten Krebsbehandlungen wie Chemo- und Radiotherapie kombiniert werden kann, um
optimale Resultate zu erzielen.
Das Tumorzentrum am Universitätsspital Basel verfügt mit seinen Spezialistinnen und Spezialisten über eine
hohe Expertise in der präzisen, auf den
einzelnen Patienten oder die Patientin
abgestimmten Behandlung. Aber auch
in der Beherrschung der Nebenwirkungen. Diese unterscheiden sich in der
Immuntherapie von jenen bisher etablierter Therapien.
Zu den in dieser Beilage behandelten Formen der Immuntherapie zählen
auch Impfstoffe, mit denen man seit
längerem auf anderem Wege versucht,
die Immunabwehr gegen Tumoren zu
mobilisieren. Sehr vielversprechend
scheinen zudem erste Versuche zu sein,
Patientinnen und Patienten mit eigenen
Immunzellen zu behandeln. Sie werden
entnommen, ausserhalb des Körpers
aufgerüstet, vermehrt und dem Patienten zurückgegeben, wo sie nun die
Tumore energisch bekämpfen können.
Solche Techniken sind sehr aufwändig,
müssen sehr präzise sein, und werden
derzeit erst in wenigen Zentren erforscht und angeboten.
Insgesamt ist die Immuntherapie
ein neuer Lichtblick in der Behandlung
von Krebs, wenn auch gesagt sein
muss, dass diese Behandlung nicht bei
allen Patienten und Patientinnen zum
Tragen kommt. Derzeit wird energisch
daran gearbeitet, das Potenzial weiter
auszuschöpfen.
In dieser Beilage erzählen wir Ihnen die Geschichte, wie sich die Immuntherapie bei Krebserkrankungen
zu dem entwickelt hat, was sie derzeit
ist. Wir berichten von einem Patienten,
dem man wegen seines Schwarzen
Hautkrebses mit Metastasen nur noch
wenige Monate zu leben in Aussicht
stellte und der nun – dank Immuntherapie – gute Aussicht hat, für Jahre
beschwerdefrei zu leben. Geschildert
wird, wie man am Tumorzentrum in
Basel mit neuen Impfungen die Abwehr gegen Krebs stärkt und mit einer
Vakzine die Wiederkehr von Blasenkrebs erfolgreich verhindern kann.
Wir berichten, wie man mit Hilfe und
dank gespendeter Stammzellen einem
Patienten ein neues Immunsystem
schenken kann. Zudem versuchen wir
zu erklären, wie das komplexe und
vielfältige Immunsystem funktioniert,
was man zu dessen Stärkung tun oder
nicht tun kann, und geben Gedanken
weiter, die sich ein Grundlagen-
forscher auf diesem Gebiet macht.
Schliesslich wird dargestellt, wie das
Tumorzentrum sich auf die Zukunft
und die neuen Entwicklungen eingestellt hat und sich laufend verbessert.
Wir wünschen Ihnen eine gute Lektüre und wissen, dass da kein einfacher
Stoff angeboten wird. Aber wir hoffen,
dass Sie etwas für sich mitnehmen können und mit uns die vorsichtige Freude
über eine Entwicklung teilen, die uns
im täglichen Umgang mit Menschen,
die mit der Diagnose Krebs leben müssen, neue Möglichkeiten gibt.
* Dr. med. vet. Astrid Beiglböck ist Geschäftsführerin des Tumorzentrums,
Prof. Dr. med. Christoph Rochlitz ist
Vorsitzender des Tumorzentrums.
Foto Dominik Plüss
Geschichte der Immuntherapie.
| Freitag, 25. September 2015 | Seite 2
Dem Immunsystem die Fesseln
gegen Tumore lösen
Eine kurze Geschichte der Immuntherapie oder wie ein alter Traum der Medizin wahr wird
Von Alfred Zippelius
In der Krebsmedizin ist vieles in Bewegung geraten. Mehr und mehr zeigt
sich, dass es gelingen kann, unser Immunsystem gegen bestimmte Krebsarten zu mobilisieren und sie bekämpfen
zu lassen. Nach Jahren intensiver Forschung enthüllt sich, wie Tumore die
Immunabwehr blockieren und deren
Waffen ausser Kraft setzen können.
Die Hoffnung, der
Mensch könne Krebs
dereinst besiegen, hat
neue Nahrung erhalten.
Löst man diese Bremsen, kann sich das
Blatt völlig wenden. Der Tumor wird
jetzt von der körpereigenen Abwehr
erkannt und bekämpft. Die «Immuntherapie des Krebses» und ihre neuen
Strategien sind entsprechend hoch im
Kurs. Bereits 2013 waren sie vom
führenden amerikanischen Wissenschaftsjournal «Science» zum Durchbruch des Jahres erklärt worden. Eine
wachsende Anzahl an klinischen Studien ist derzeit am Laufen, die das Potenzial verschiedener Wirkstoffkandidaten und ihrer Kombinationen ausloten wollen. Die Hoffnung, der Mensch
könne dereinst mal Krebs besiegen
oder zu einer chronischen Krankheit
machen, hat neue Nahrung erhalten.
William Coley durch Niederlage
beflügelt
Es war schon früh ein Traum der
Medizin, das Immunsystem gegen Tumore einzuspannen. Der erste, der dies
vor über hundert Jahren hartnäckig
verfolgte, war der New Yorker Krebsarzt und Chirurg William Coley (1862–
1936). Am Memorial Hospital hatte er
als junger Arzt Anfang der Neunzigerjahre des 19. Jahrhunderts eine junge
Frau wegen eines Knochenkrebses
(Sarkoms) behandelt und hilflos zusehen müssen, wie sie jämmerlich starb.
Die Niederlage motivierte ihn, nach
neuen Wegen der Behandlung zu suchen. Er studierte unzählige Krankengeschichten und forschte nach Auffälligkeiten und Hinweisen auf erfolgrei-
Titelbild. Das Titelbild des mehrfach
prämierten Wissenschaftsfotografen
Dr. Martin Oeggerli ist in Zusammenarbeit mit einer Forschungsgruppe am
Institut für Pathologie des Universitätsspitals Basel entstanden. Im Rahmen
eines Forschungsprojekts zum Lungenkarzinom, wurden Tumorzellen mit
einem Raster-Elektronen-Mikroskop
tausendfach vergrössert aufgenommen
und pixelgenau koloriert. Oeggerli,
auch als Micronaut (www.micronaut.ch)
bekannt, hat sich mit seinen fotorealistischen Nachbearbeitungen von
Mikroskopie-Aufnahmen international
einen Namen gemacht. Fotos von ihm
erschienen bisher unter anderem in
Publikationen wie National Geographic,
GEO, Focus oder Reader’s Digest.
Impressum
Schach dem Krebs.
Eine Verlagsbeilage der Basler Zeitung
in Zusammenarbeit mit dem Tumorzentrum des Universitätsspitals Basel.
Verlag und Redaktion:
Basler Zeitung
Inhalt: Tumorzentrum
Universitätsspital Basel
Redaktion: Martin Hicklin
Gestaltung: Reto Kyburz
Druck: DZZ Druckzentrum Zürich AG
Neue Hoffnungen.Immuntherapie erweitert das Arsenal der Waffen gegen Krebs.Foto Derek Li Wan Po
chere Wege der Tumorbehandlung.
Dabei stiess er auf den Fall des Patienten Frank Stein, dessen Sarkom in der
Wange verschwunden war, nachdem
es sich nach der Operation mit Streptokokken infiziert hatte. Sieben Jahre
später forschte Coley erneut nach Stein
und fand ihn lebend ohne Spur von
Krebs. Der Patient hatte die Infektion
überlebt, der Tumor nicht. Die Beobachtung, dass nach einer Infektion
sich Krebsgeschwulste zurückbilden
konnten, elektrisierte Coley. Er beschaffte sich Streptokokken, begann
Patienten mit Gemischen lebender und
abgetöteter Bakterien zu impfen und
dokumentierte jeden Fall. Am Ende
waren es über 1000. Die «ColeyToxine» bewirkten eine – allerdings
geringe – Verbesserung der Überlebenschancen, gingen dann aber wieder für
lange Zeit vergessen, als Chemotherapie und Bestrahlung ihre Wirkung zu
zeigen begannen.
Immunüberwachung gegen Tumore
Coley gilt dennoch als Vater der Immuntherapie von Krebs. Er hatte gezeigt, wie sich die gegen Bakterien
alarmierte körpereigene Abwehr auch
vermehrt gegen Tumorzellen wenden
konnte. Dass das Immunsystem nicht
nur Bakterien und Viren, sondern auch
Tumorzellen bekämpfen und beseitigen kann, hatte auch der Pionier der
Immunologie und Medizinnobelpreisträger von 1908, Paul Ehrlich, postuliert. Aber erst in den Siebzigerjahren
griff der australische Mediziner Frank
MacFarlane Burnet Ehrlichs Thesen
wieder auf und sprach von einer «Immunüberwachung»: Das System der
Immunabwehr des Körpers sei darauf
ausgerichtet, Tumorgewebe als fremd
zu erkennen und abzutöten. Dabei
sprach Burnet einer Gruppe von weissen Blutkörperchen, die T-Zellen genannt werden, eine Hauptrolle zu. Er
sollte Recht behalten. Doch dass das
Immunsystem tatsächlich Tumore erkennt und bekämpft, blieb lange umstritten. Erst recht als Laborexperimente an Mäusen zu beweisen schienen,
dass die Rolle des Immunsystems unbedeutend sei. Dafür erhielt die Chemotherapie, die sich gegen die Zellteilung und damit gegen das Wuchern
der Tumore wendet, dank ihren erklär-
baren Erfolgen Auftrieb und liess vorerst die Ideen einer Immuntherapie in
den Hintergrund treten.
Erst in den späten Neunzigerjahren
wurde der erste Beweis dafür erbracht,
dass es eine Immunüberwachung gibt.
Bei Patienten und Patientinnen mit
dauerhaft geschwächtem Immunsystem beobachtete man eine höhere
Krebshäufigkeit. Das war ein indirekter
Beleg dafür, dass mit geschwächter Abwehr auch eine Barriere gegen Krebs
wegfällt oder durchlässiger wird.
Krebszellen hemmen Immunzellen
Jetzt wurde mehr und mehr erforscht, anhand welcher Besonderheiten Zellen von der Abwehr als Krebszellen identifiziert werden. Und doch
waren die Anfänge der modernen Immuntherapie von Krebs nicht gleich von
Erfolgen belohnt. Das kam auch daher,
dass Tumore sich auf verschiedene Weise dagegen wehren können. Krebszellen, so realisierte man beim geduldigen Forschen, können sich verstecken.
Sie verstehen sich darauf, die Aktivität
der ihnen gefährlich werdenden TZellen zu unterdrücken.
Um sie zu mobilisieren, hat man
zum Beispiel beim Melanom oder
Schwarzen Hautkrebs über Jahre
einen Stoff eingesetzt, der Interleukin-2 (IL-2) heisst und das Wachstum
von T-Zellen anregt. Er wird von alarmierten und durch die Begegnung mit
fremden aktivierten T-Zellen ausgeschüttet und sorgt als Wachstumsfaktor für die Vermehrung der T-Zellen.
Verabreicht man einem Patienten
grosse Mengen von IL-2, sollte eine
rasch wachsende Schar von T-Zellen
eigentlich die Tumorzellen besser erkennen und attackieren können. Doch
trotz allen wunderbaren Potenzials
führte IL-2 nur bei einer Minderheit aller Melanom-Patienten zu Rückbildungen der Tumore. Anderseits hatte
der ausgelöste Wachstumsschub der
T-Zellen auch unangenehme und zum
Teil gefährliche Nebenwirkungen.
Eine andere Strategie, das Immunsystem gegen Tumore zu mobilisieren,
besteht in einer Impfung, bei der man
das Immunsystem mit gegen für den
Tumor typischen Bestandteilen der
Zelle bekannt macht und hofft, dass es
dagegen eine rasche Abwehr aufbaut.
Am Beispiel von Gebärmutterhalskrebs hat sich das als sehr erfolgreich
erwiesen. Doch ist die Krankheit
schon ausgebreitet und liegen Metastasen vor, sind die meisten Ansätze
bisher erfolglos geblieben. Die einzige
von der amerikanischen Arzneimittelkontrollbehörde zur Behandlung bereits vorhandenen Krebses zugelassene Vakzine richtet sich gegen Prostatakrebs. Die Behandlung ist kompliziert
und teuer, ob sie einen signifikanten
Vorteil für Patienten bringt, ist noch
unklar.
Allerdings muss betont
werden, dass zurzeit
nur ein Teil der Patienten
profitieren kann.
Der Trick mit den Kontrollposten
Der eigentliche Erfolg und Durchbruch in der Immuntherapie von Krebs
stellte sich dann ein, als man entdeckte, dass Tumorzellen besonders gern
eine vorhandene Bremse auf den
T-Zellen nutzen, die eigentlich normale Zellen vor einem Übergriff der
T-Zellen auf gesundes Gewebe schützen soll. Man realisierte, dass T-Zellen
über einen Kontrollposten (engl.
Checkpoint) oder Rezeptor, den sie
auf sich tragen, daran gehindert oder
gehemmt werden können, zur Attacke
überzugehen. Sein wissenschaftliches
Kürzel ist CTLA-4 (für cytotoxic T-lymphocyte antigen 4). Bereits 1987 war
er entdeckt worden, aber am Anfang
hatte kaum jemand an eine Anwendung bei Krebs gedacht. Erst 1997
zeigte James Allison bei Mäusen, dass
die T-Zellen plötzlich aktiv werden,
wenn man diesen Rezeptor mit Antikörpern blockiert, die genau auf diese
Moleküle passen. Die Tumore der
Mäuse schmolzen.
Im Prinzip war nun belegt: Die Blockade oder Hemmung der Brems- und
Kontrollposten oder «Checkpoints»
auf den T-Zellen entfesselt das Immunsystem. Auch gegen Krebs. 2011 erhielt Yervoy als erstes solches Immuntherapeutikum die Zulassung beim
schwarzen Hautkrebs. Es besteht aus
einem sogenannt monoklonalen Antikörper gegen den Checkpoint CTLA-4.
Er wird blockiert und die T-Zellen kön-
nen loslegen. Inzwischen sind etliche
andere Wirkstoffe in der Klinik und
neue Kandidaten werden in Hunderten von Studien geprüft und erforscht.
Blocker Yervoy als Vorhut
Zielten Chemotherapie und Bestrahlung direkt auf den Tumor, verfolgt
die Immuntherapie einen indirekten
Weg. Sie will die körpereigenen Abwehrmittel mobilisieren und gegen den
Tumor führen. Die CheckpointStrategie ist nur eines von mehreren
Verfahren, allerdings das vorerst am
weitesten entwickelte. So ist Yervoy als
CTLA-4-Blocker – der Antikörper heisst
Ipilimumab – schon seit vier Jahren in
der Schweiz zur Behandlung von Melanomen in fortgeschrittenem Stadium
zugelassen. Er wird alle drei Wochen
per Infusion verabreicht, und Studien
zeigen, dass er das Leben von Betroffenen, die auf diese Behandlung ansprechen, deutlich verlängern kann. Die Tumore können sich für viele Jahre zurückbilden, sodass man gar von einer
Heilung sprechen kann. Eine grosse
Studie hat gezeigt, dass rund ein Viertel
dieser Patienten und Patientinnen noch
mehrere Jahre nach Beginn der Therapie leben. Dies war ein Durchbruch, bedenkt man, dass bei diesem Krebs noch
vor wenigen Jahren praktisch keine
Heilungsaussichten bestanden. Wie
man so etwas als Patient erlebt, wird
nebenan auf Seite 3 geschildert.
Mit Nebenwirkungen umgehen
Das sind sehr erfreuliche Ergebnisse. Doch sie dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass noch immer die
meisten Patienten gegen Ipilimumab
resistent sind und der Antikörper bei ihnen nicht wirkt. Warum das so ist, wird
derzeit intensiv erforscht. Auch an unserem Tumorzentrum des Basler Universitätsspitals. Dazu laufen etliche klinische Studien mit neuen Wirkstoffen
und in Kombination mit bestehenden
Therapien wie Chemotherapie. In unseren Labors der Medizinischen Onkologie erforschen wir die wissenschaftlichen Mechanismen intensiv.
Die Kompetenz des Tumorzentrums
ist auch gefordert und kommt zum Tragen, wenn es um die Beherrschung von
Nebenwirkungen geht. Denn das Lösen
der Bremsen kann heftige, unerwünsch-
Ein Patient erzählt.
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Dem Schwarzen Hautkrebs entronnen
Wie ein 63jähriger Basler Melanompatient eine Behandlung mit Immuntherapie als Wunder erlebte
Von Martin Hicklin
Schwarzer Hautkrebs ist als aggressive
Krebsform gefürchtet. Lässt man ein
Melanom
unbehandelt
wachsen,
kommt es rasch zu Ablegern (Metastasen) im ganzen Körper. Die Prognose ist
entsprechend düster. War es, darf man
heute vielleicht sagen. Denn seit wenigen Jahren zeigt sich mehr und mehr,
dass bestimmten Formen von Melanomen durch Immuntherapie beizukommen ist und das eigene Immunsystem
gegen die veränderten Zellen mobilisiert werden kann. Mit überraschendem Erfolg. Einer, der das erlebt hat
und noch immer für ein Wunder hält, ist
Peter Flückiger, heute 63. Vierzig Jahre
hatte er bei der Polizei gearbeitet, dann
traf ihn aus heiterem Himmel die Krebsdiagnose. Die Ärzte gaben ihm noch wenige Monate. Doch es kam ganz anders.
Wir haben Peter Flückiger getroffen. Er
hat uns seine Geschichte erzählt.
Der Hautfleck auf der Achsel
Sie beginnt an jenem Tag, der eigentlich war, wie viele andere. Der
50. Geburtstag ist eben begangen, die
zweite Halbzeit ist bereits angetreten,
Peter Flückiger fühlt sich gesund und
auch wohl im Beruf. Es gefällt ihm, bei
der Polizei zu arbeiten und mit anderen Leuten in Kontakt zu kommen.
Doch an diesem Tag fällt seiner Frau
ein Hautmal auf der linken Achsel auf.
«Peter, das gefällt mir nicht, das hat
sich verändert», sagt sie, «du solltest
das mal zeigen.» Ein Termin beim
Hautarzt wird abgemacht. Die fachmännische Inspektion bringt nicht die
erhoffte Entwarnung, auch dem Dermatologen gefällt die Veränderung
nicht. Peter Flückiger entscheidet sich
dafür, statt zu beobachten oder eine
Gewebeprobe zu nehmen, das Ganze
entfernen und prüfen zu lassen. Die pathologische Untersuchung zeigt: Was
sich auf Peter Flückigers Achsel gebildet hatte, ist ein Melanom – Schwarzer
Hautkrebs. Immerhin noch im erstem
Stadium: Ganz oberflächlich, noch
nicht tiefer ins Gewebe gewachsen,
ohne Hinweise auf Metastasen und
Zersiedelung in den übrigen Körper.
«Wir haben alles erwischt», sagt der
Arzt. Der Patient wird mit guter Prognose entlassen und lässt sich fortan
ein- bis zweimal im Jahr kontrollieren.
«Da war nichts mehr.»
An die Erleichterung erinnert sich
Peter Flückiger ganz genau. Wie wir da
im Café Schiesser einander gegenübersitzen, und er von seiner ersten Begegnung mit Krebs erzählt, spielt sich auf
dem Gesicht des heute 63-jährigen ab,
wie knapp das gewesen war: «Wir haben eigentlich gesund gelebt, nie übertrieben, Mass gehalten», sagt er. «Ich
bin immer an den Mittagstisch gekommen, wenn sich das richten liess.»
te Folgen haben. Die aktivierten T-Zellen können gesunde Gewebe attackieren, die überschiessende Immunreaktion schwere Nebenwirkungen hervorrufen. Entzündungen im Darm oder
auf der Haut bis zu lebensbedrohlichem
Leberversagen muss man in den Griff
bekommen können. Heute verstehen
wir viel von solchen Reaktionen und
können Gegensteuer geben. Im Umgang mit solchen Krisen können wir im
Tumorzentrum auf grosses Erfahrungswissen zurückgreifen.
Erfreuliche Überraschungen
Yervoy hat jedenfalls gezeigt, wie
gross das Potenzial solcher Hemmer sein
kann. Darum wird intensiv nach Blockern gegen andere Checkpoint-Proteine
geforscht. Eines davon heisst PD-1 (Programmed death 1). Es kann ebenfalls
von Tumoren dazu benutzt werden,
T-Zellen ruhig zu schalten. Erste klinische Studien haben gezeigt, dass die
PD-1-Hemmer wirksamer sind und weniger Nebenwirkungen haben. Bei manchen Tumoren zeigt sich sogar eine Überlegenheit gegenüber Chemotherapie. In
den USA und in der EU erfolgten bereits
die ersten Zulassungen gegen Melanome
und Lungenkrebs. Die erfreuliche Überraschung ist dabei, dass diese Therapien
so gut vertragen werden. Manche Patien-
Wieder voll im Leben.Peter Flückiger wieder an der Birs. Foto Dominik Plüss
Eine Entdeckung ändert alles
Elf Jahre gehen durchs Land, Peter
Flückiger hat die Sechzig überschritten und plant, nach vierzig Jahren etwas früher aufzuhören. Doch dann
kommt fast alles anders. «Ich weiss
nicht mehr warum, aber ich habe mit
meinen Händen zufällig in die Rückengegend über dem Becken gefasst. Da
«Ich kann Velo fahren,
ich kann reisen,
wir sind sehr
zufrieden.»
hab ich eine Verhärtung gespürt, die
mir nicht bekannt war», erzählt er und
noch immer läuft ein Schatten über
sein Gesicht, wenn er sich an diesen
Tag im August 2013 erinnert. «Das
passte mir nicht.» Bei der sofort angestrebten medizinischen Untersuchung
wird eine Gewebeprobe (Biopsie) entnommen und eingeschickt. Zurück
kommt der harte Befund: Es handelt
sich um Schwarzen Hautkrebs in
fortgeschrittenem Stadium. Und es
kommt noch schlimmer: Es ist nicht
die einzige Metastase. Die Computerten merken gar nichts und fragen nach,
ob sie überhaupt ein Medikament erhalten. Erst wenn der Tumor verschwindet
glauben sie es wirklich.
Leider längst nicht für alle
Nun geht es darum, die bestehenden Immuntherapien zu verbessern.
Dies erreichen wir durch klinische Forschung. Durch Kombinationen mit anderen Medikamenten wird versucht,
die Wirkung der PD-1-Hemmer noch
zu stärken. So bleiben bei einer Bestrahlung, die ja den Untergang der
Krebszellen bewirken will, Tumortrümmer zurück, die ihrerseits wieder eine erwünschte Immunantwort
provozieren könnten. Chemotherapie
ihrerseits kann eine Entzündung im
Tumor auslösen. Sie lockt T-Zellen an
und aktiviert sie. Löst man nun noch
die Bremsen, können auch Patienten
profitieren, die ohne Therapie keine
Immunreaktion aufbauen konnten.
Allerdings muss betont werden,
dass auch auf die verbesserten Therapien gegenwärtig immer nur ein Teil
der Patienten anspricht. Das kommt
auch davon, dass es erhebliche Unterschiede zwischen den Tumoren gibt.
Herauszufinden, auf welchen Tumor
welche Behandlung am besten wirkt,
ist die Herausforderung, der wir uns
Onkologie an einem klinischen Versuch teilzunehmen, bei dem ein neues
Medikament «aus Amerika» eingesetzt
werden soll. Ein Immuntherapeutikum in Gestalt eines Antikörpers, der
bewirken sollte, dass sich das Immunsystem des Patienten wieder gegen
den Krebs im Körper wendet. So, wie
dies an anderen Orten in dieser Beilage ausführlich berichtet wird. «Die bisherigen Studien», so Alfred Zippelius,
Professor für Translationale Onkologie
am Universitätsspital, «hatten gezeigt,
dass bei einem Teil der Patienten, die
schon mehrere Behandlungen hinter
sich hatten, die Tumoren nach einer
Immuntherapie über Jahre zurückgebildet bleiben.»
Die Behandlung beginnt und von
da an spürt Peter Flückiger keine Nebenwirkungen mehr. Er merkt allerdings auch nicht, ob die Behandlung
wirkt. Doch die Kontrollen zeigen: Die
Metastasen bleiben zuerst stabil und
bilden sich dann zurück. Nicht dass alles wie von Zauberhand verschwunden wäre, aber die Perspektiven werden wieder rosiger. Alle drei Wochen
kommt Peter Flückiger zur Therapie,
von vollständiger Heilung ist noch keine Rede, aber das Leben ist wieder da:
«Ich kann Velofahren, wir können reisen, wir sind sehr zufrieden», sagt Peter Flückiger und ist dankbar, dass er
zu jenen Glücklichen gehört, bei denen diese Therapie Wirkung zeigt.
«Nach solchen Erfahrungen sieht man
das Leben ganz anders.» Und fügt an:
Ich werde im Unispital Basel sehr gut
betreut und möchte mich bei Professor
Zippelius und dem ganzen Team der
Onkologie ganz herzlich bedanken.»
tomogramme zeigen, auch in der
Bauchspeicheldrüse, in der Lunge, an
verschiedenen Stellen der Bauchhöhle
und anderswo haben Tumore zu
wachsen begonnen. Peter Flückiger
hat Schwarzen Hautkrebs im Stadium
4. Man könnte es auch Endstadium
nennen.
Der Bescheid ist niederschmetternd.
«Beim Hinausgehen hat mir der Arzt
noch einmal deutlich gemacht, dass ich
nicht mit Jahren, sondern Monaten bis
zum Tod zu rechnen habe», erzählt
Peter Flückiger. «Das hat mir und meiner Frau schon den Boden unter den
Füssen weggezogen.»
Der nun als todkrank erklärte Patient
kommt in die Obhut der Abteilung
Medizinische Onkologie im Tumorzentrum des Basler Universitätsspitals.
«Man hat mir angeboten, an einer klinischen Studie mit einem neuen Medikament teilzunehmen, ich habe zugestimmt.» Im Oktober beginnt die Behandlung und die Nebenwirkungen sind
beträchtlich. Immer wieder tritt hohes Fieber auf, Schüttelfrost, Nachtschweiss, Unwohlsein, Ausschläge und
geschwollene Füsse begleiten die Behandlung. Die Lebensqualität schwindet. Immerhin: Der Krebs bleibt stabil,
einzelne Metastasen bilden sich zurück.
Doch nach acht Monaten zeigt sich keine
Wirkung mehr. Das Medikament wird
abgesetzt, das Wuchern beginnt wieder.
In einer Nacht im August letzten
Jahres beginnt Peter Flückiger an
Schmerzen auf der Brust und schwerer
Atemnot zu leiden. «Es kam mir vor, als
hätte ich einen Herzinfarkt erlitten.»
Als Notfall wird er ins Universitätsspital eingeliefert. Die Untersuchung
zeigt, dass sich nun in der rechten Vorkammer des Herzens eine Metastase
breit zu machen beginnt, etwas, was
sehr selten beobachtet wird. Peter
Flückiger und seine Frau stehen vor einer schwierigen Entscheidung. Nichts
tun kostet sicher bald das Leben, aber
auch eine Bestrahlung bringt das Risiko mit sich, dass sich anstelle des hoffentlich schmelzenden Tumors ein
Loch auftun könnte. Die beiden entschliessen sich zur Bestrahlung der Metastasen in Herz und Bauchspeicheldrüse: Der Tumor im Herz verschwindet – ohne ein Loch zu hinterlassen.
heute gegenüber sehen. Derzeit werden verschiedene Checkpoint-Hemmer in klinischen Studien getestet.
Die Hoffnung besteht, dass vielleicht
eines Tages jeder Patient genau auf die
Merkmale seiner Krebszellen wirkende
Hemmer erhält.
Grosse Hoffnungen auf aufgerüstete Zellen
Prof. Dr. med. Alfred Zippelius ist Stellvertretender Chefarzt Onkologie und leitet das
Labor Tumorimmunologie am Universitätsspital Basel. F oto Dominik Plüss
Neue rosigere Perspektiven
Und dann sollte sich doch noch
einmal alles wenden. Peter Flückiger
wird eingeladen, in der Medizinischen
Aufwendig, aber wirksam.
Sehr hoffnungsvoll, aber ebenfalls
sehr kostspielig, ist eine weitere neu
in der Entwicklung sich befindende
Art von Krebsbehandlung – «Adoptiver T-Zell-Transfer» genannt. Dabei
werden T-Zellen dem Körper des
Patienten entnommen, aufgerüstet
und vermehrt, um schliesslich wieder zurückgegeben zu werden. Eine
auf einen einzigen Patienten zugeschnittene Behandlung, die sehr aufwändig ist. Aber sie bringt spektakuläre Erfolge. So waren laut einer
kürzlich veröffentlichten Studie, bei
der zur Behandlung entnommene
T-Zellen gegen Leukämiezellen
abgerichtet wurden, bei 14 von 16
Patienten nach der Behandlung
keine Spur von Leukämie mehr zu
finden. Dies bei Patienten, die auf
alle bisher angewandten Therapien
resistent geworden waren. Der
Adoptive T-Zell-Transfer ist technisch
höchst anspruchsvoll und kann derzeit nur in wenigen Zentren durchgeführt werden. Zudem ist die Methode
bei Patienten mit komplexen festen
Tumoren wie Lungen- oder Brustkrebs derzeit noch nicht einsetzbar.
Es kann zudem sehr gefährlich wer-
Zu gut aussehend
Doch einem Problem begegnet Peter Flückiger nun häufig. Wenn er anderen seine Krankengeschichte erzählt,
trifft er oft auf ungläubige Gesichter.
Offenbar haben die meisten Menschen
ein Vorstellung davon, wie ein Krebspatient mit dieser Geschichte aussehen
müsste. Ihr entspricht Peter Flückiger
im wörtlichen Sinne beileibe nicht.
Auch das kann man als Beleg dafür
deuten, dass in der Behandlung von
Melanomen zumindest für eine Gruppe
unter den Betroffenen ein neues Kapitel
aufgeschlagen worden ist.
Alfred Zippelius sagt dazu: «Wir
wollen jetzt genauer herausfinden, welche Faktoren für solche Erfolge entscheidend sind. Es scheint, dass Patienten, die bereits eine aktivierte Immunantwort haben, auf diese Therapien gut
ansprechen. Wir müssen aber verstehen, wo herkömmliche Therapien ihren Platz haben und wie und wo wir erfolgversprechend Immuntherapie einsetzen können. Da sind wir als Zentrum
vorne mit dabei und an der klinischen
Forschung beteiligt.»
den, die Immunantwort durch T-Zellen gegen Tumorbestandteile anzuheizen. Wenn ein Ziel, auf das die
Zellen abgerichtet sind, sich auch
nur in kleinsten Mengen auf normalen Zellen findet, werden sie von
den Super-Killern entdeckt und
zerstört. Das aber kann zu einer
lebensbedrohlichen Krise und
zum Tod führen.
Ungelöstes Problem
Ein noch nicht gelöstes Problem
der Immuntherapeutika ist ihr Preis.
Da diese Medikamente vorerst auf
unbestimmte Zeit gegeben werden
und der Preis einer einzigen Infusion
bereits bei vielen Tausend Franken
liegen kann, werden die Gesamtkosten pro Fall erhebliche Höhen erreichen. Auch hier ist die Forschung
gefragt: gezielte Diagnostik-Tests
könnten ganz am Anfang der
Behandlung zeigen, welche Krebspatienten überhaupt auf eine teure
Immuntherapie ansprechen. Somit
liessen sich erhebliche Beträge
einsparen. Zudem dürfte der starke
Wettbewerb und die Zulassung
weiterer solcher Mittel
die Preise drücken.
Unsere Immunabwehr.
| Freitag, 25. September 2015 | Seite 4
Betäubte Wächter und getäuschte Killer
Wie Tumorzellen der Immunabwehr entwischen
Von Alexandar Tzankov
Wie alle anderen Lebewesen müssen
auch wir uns gegen fremde Eindringlinge schützen, die gerne bei uns und von
uns leben möchten. Mikroben, Pilze,
Parasiten und Viren müssen in Schach
gehalten werden, weil wir sonst erkranken könnten. Glücklicherweise verfügen wir über eine mehrstufige Verteidigung. Ein ganzes Netzwerk von Akteuren hilft, eine schädliche Invasion,
fremdes Material und Gewebe abzuwehren und dabei auch nicht funktionierende oder krankhaft veränderte
Zellen zu beseitigen. Dieses Netzwerk
nennen wir Immunsystem. «Immun»
kommt von lateinisch immunis=rein.
Das «Reinhaltesystem» leistet rund um
die Uhr phantastische Arbeit. Und ist
doch weit davon entfernt, perfekt zu
sein. Sonst würden Viren uns nichts
anhaben können – und hätte Krebs keine Chance.
Der erste Wall: Die Haut
Das erste Hindernis, das unerwünschte Gäste überwinden müssen,
ist die Haut. Unser grösstes Organ bildet eine sehr wirksame mechanische
und chemische Barriere gegen Angreifer, so wie es die Schleimhäute und das
Säurebad im Magen auf dem Weg zum
Verdauungstrakt sind. Gelingt es einem Eindringling dennoch, Wall und
Graben zu überwinden, kommt die
zweite Verteidigungslinie zum Einsatz.
Sie reagiert mit der Ausschüttung von
mehr als zwei Dutzend chemischen
Stoffen. Diese hochwirksamen Entzündungsstoffe (Komplementsystem genannt, weil es die Immunabwehr ergänzt oder komplementiert) zerstören
einerseits Eindringlinge, locken andererseits als Zytokine (wörtlich=Zellbeweger) Granulozyten, Makrophagen
(=Grossfresser) oder «natürlich»
genannte Killerzellen an . Diese starke,
aber nicht genau zielende Abwehr
nennt man «angeborene Immunität».
Sie kann schnell grosse Mengen von
schadbringendem Material zerstören
und abräumen. Es entsteht dabei das,
was man eine «Entzündung» nennt.
Die hat allerdings auch erhebliche
Nebenfolgen. Wie alle wissen, die
schon mal mit einer geschwollenen
Backe zum Zahnarzt geeilt sind.
Immer auf Patrouille
Das Immunsystem darf nie schlafen.
Als Aufpasser sitzen vielfingrige Fresszellen an allen wichtigen Kreuzungen
der Blut- und Lymphzirkulation des
Körpers und sind rund um die Uhr mit
der Kontrolle von allfällig gefährlichem
Material beschäftigt. Sie heissen «dendritische» Zellen, weil sie viele verzweigte Ausläufer haben und darum an
einen Baum (griechisch=dendron) erinnern. Diese Zellen schlucken fremdes
Material, wie zum Beispiel Bakterien
oder Viren, zerteilen es, treffen eine
«Entscheidung» über das mögliche
schadbringende Potenzial dieses Materials und zeigen dann ihre Beute in kleinen Stücken wieder an ihrer Oberfläche. Damit erfüllen sie eine wichtige
Rolle. Sie deklarieren einer dritten
Garde von Abwehrzellen, den T- und
B-Lymphozyten, was an fremdem Material bekämpft werden sollte. Sie machen es «immunogen». Jetzt kann eine
Immunantwort ausgelöst werden.
Denn nun werden die hoch spezialisierten T- und B-Lymphozyten aktiv. Sie
sind die anpassungsfähigen Akteure des
Immunsystems. Lymphozyten heissen
sie, weil sie gerne im Lymphsystem zum
Einsatz reisen. Die Lymphe ist eine
weissliche Körperflüssigkeit, die in
einem parallel zum System der Blutgefässe verlaufenden Geflecht von Lymphbahnen mit kleinen Zellreservoiren
fliesst, die Lymphknoten heissen. Lymphozyten erkennen ganz bestimmte als
«fremd» und daher gefährlich erscheinende Merkmale – Antigene genannt.
Dabei ist für uns ganz wichtig: Auch
auf krankhaft veränderten Krebsvorstufen sitzen solche Antigene. Doch Tumorzellen können sich tarnen und die
Abwehr bremsen und lähmen. Diese
Bremsen zu lösen und das Immunsystem gegen den Tumor von der Leine zu
lassen, ist ein Ziel der Immuntherapie.
Den Schläfern auf der Spur. Was die Akteure des Immunsystems im Körper machen, lässt sich direkt nur schwer oder gar nicht beobachten. Doch man kann
Momentaufnahmen sprechen lassen. Wie Schnappschüsse vom Tatort können Proben von Gewebe (griech. histós) auf krankhafte (pathologische) Veränderungen
untersucht werden. Was für den Laien wie Chaos aussieht, spricht für Fachleute Bände, wenn es gelingt, das, was man sucht, zu färben. Kommen Sie mit auf einen
kurzen histopathologischen Rundgang von A bis D:
A – Für Toleranz unterwegs: Hier sieht man den feinen
Schnitt vom Gewebe eines Lungenkarzinoms. Dank einer
spezifischen Färbung mit einem Marker zeigen sich braun
T-Zellen, die hier regulierend wirken: Sie bewirken Toleranz
und Schonung für die Tumorzellen, indem sie die Immunantwort unterdrücken und lähmen. Was sonst hilfreich ist,
kehrt sich zum Schaden des Patienten.
B – Das Bremspedal wird sichtbar: Im Lungenkrebsgewebe
sammeln sich braune T-Zellen. Sie werden sichtbar, weil
man das als Bremspedal dienende PD1 färben konnte.
C – Die Mauer der Gelähmten: Rund um die einem Eulenauge
ähnliche Tumorzelle eines Hodgkin-Lymphoms hat sich eine
Mauer von über das PD1 gelähmten T-Zellen gebildet.
D – Am Bremsfuss entlarvt: Auch in diesem Brustdrüsen-Karzinom treten die Tumorzellen auf die Bremse
der T-Zellen und entziehen sich hinter den Schläfern dem
Immunsystem. Diesmal sieht man das, weil man speziell
PD-L1 als bindenden Teil – sozusagen den Bremsfuss –
braun färben kann.
Die Techniken, die in der Pathologie für die Untersuchung
solcher Fragen angewendet werden, sind heute hochentwickelt und liefern wichtige Informationen zu Krankheit
und Verlauf. Manche der wichtigsten und für Diagnose
wie Therapie entscheidend mitbestimmenden Werkzeuge
lieferte die immunologische Forschung. Ohne sie würden
weder Diagnose noch Therapie so weit sein, wo sie
heute sind. Bilder Alexandar Tzankov
Antigene heissen so, weil sie eine
Immunantwort und die Herstellung von
gegen sie gerichteten Antikörpern oder
Zellen auslösen beziehungsweise «generieren». Die im Körper zirkulierenden
T- und B-Lymphozyten tragen auf ihrer
Oberfläche Rezeptoren, die wie Schloss
zu Schlüssel auf ein bestimmtes Antigen
passen. «Sieht» eine sogenannte CD8+
T-Zelle (ein spezifischer Typ der T-Lymphozyten ) ein zu ihr passendes und ihr
vorgezeigtes Antigen, fügt sich ins
Schloss (Rezeptor) der Schlüssel (Antigen), so wird sie sich millionenfach vermehren und zu einer Killerzelle gegen
das Antigen wandeln. Wenn sich das
Antigen aber einer sogenannten CD4+
T-Zelle präsentiert, wird sich diese
ebenfalls vermehren. Doch übernimmt
sie jetzt die Aufgabe, andere T- und speziell B-Zellen, die ebenfalls auf das Antigen passen, als «Helfer-Zelle» bei ihrer
Abwehrarbeit zu unterstützen. Allerdings kann sich eine solche CD4+
T-Zelle gerade ins Gegenteil wandeln:
zu einer «regulatorischen» Immunzelle,
die Immunantwort unterdrücken kann.
Die ganze Klaviatur dieser Möglichkeiten erlaubt dem Immunsystem im Prinzip eine genau abgestimmte Reaktion.
Massenhaft Antikörper
Eine wichtige Rolle spielen in der
Abwehr die B-Lymphozyten. (B-Zellen
tragen ein B voran, weil man sie in einem als Bursa benannten Lymph-Organ
der Hühner das erste Mal entdeckt und
richtig beschrieben hat.) Sie besitzen
ebenfalls jeweils Rezeptoren für ganz
bestimmte Antigene. Passen Schloss
und Schlüssel zusammen und ist auch
eine CD4+-T-Helferzelle dabei, schaltet
die B-Zelle ein paar Gänge höher. Sie
zieht sich in einen Lymphknoten zurück
und vermehrt sich dort rasant millionenfach. Zudem beginnen sie und ihre
Töchter, grosse Mengen an Antikörpern
herzustellen, die zum erkannten Antigen passen. In vergleichsweise kurzer
Zeit stehen eine grosse Schar solcher
Antikörper bereit. Sie binden an das
Antigen, machen es so bewegungsunfähig (und somit unschädlich), und markieren andererseits den Fremdling (das
Antigen) als Futter für die Fresszellen.
Das Besondere und besonders Nützliche an der in der Fachsprache «adaptive, von Lymphozyten vermittelte Immunabwehr» genannten Reaktion ist:
Bei einer zweiten Begegnung mit dem
gleichen Antigen geht alles noch um ein
Vielfaches schneller. Denn nach einem
ersten Ereignis erinnern sich «Gedächtnis-Lymphozyten» genau an die Begegnung und lösen nun bei neuem Kontakt
sehr rasch eine Abwehrsalve aus. Wir
spüren davon nichts: wir sind immun
geworden. Diesen Mechanismus nutzt
man bei Impfungen.
Unser Immunsystem kann sich also
anpassen, erinnert sich an frühere Ereignisse, kann auch auf schwache Reize
stark reagieren und hat je nachdem
auch die Möglichkeit, auf jeder Ebene
die Immunantwort fein zu regulieren.
Weil seine Akteure in flüssiger Umgebung reisen, kann es schnell und vor allem ortsungebunden reagieren. Alle
bisher geschilderten Teilnehmer arbeiten zusammen. Das Resultat kann sich
in der Regel sehen lassen.
Eigen und fremd: Das Risiko
Die meisten Antigene, gegen die
eine Immunantwort startet, sind Eiweiss-Stoffe. Das Immunsystem kann
Millionen von verschiedenen Antigenen erkennen, aber es darf nie gegen
Täuschen, verstecken, dämpfen, einschläfern
Wie Immuntherapie Blockaden der Tumorzellen löst
Von Alexandar Tzankov
Tumoren bilden sich aus körpereigenen Zellen und unterscheiden sich zu
Beginn nur wenig von diesen. Darum
verursachen sie in den Anfangsstadien
keine Entzündungen. Die Wächter des
angeborenen Immunsystems werden
nicht alarmiert. Nur Killerzellen, die
auf typische kleine Abweichungen der
Tumorzellen reagieren können, werden vielleicht aktiv. Um die angeborene Abwehr dennoch in Aktion treten
zu lassen, kann man sie in einer Krebstherapie künstlich stimulieren. Zum
Beispiel mit einem Impfstoff aus abgeschwächten Bakterien. Das wird erfolgreich mit dem BCG-Vakzin gegen
die Rückkehr von Blasenkrebs angewendet (siehe Seite 6). Dank der durch
die Impfung ausgelösten Entzündungsreaktion werden die Blasenkrebszellen für das Immunsystem nun
«sichtbar» und von ihm zerstört.
Klar muss man sich jedenfalls darüber sein, dass ein funktionierendes
Immunsystem den Körper auch vor
krebserregenden Viren schützt und
diese Gefahr in der Regel effizient abwendet, ohne dass wir etwas davon
merken. Wie gut das funktioniert,
kann man daran messen, was geschieht, wenn es ausfällt. Dann steigt
das Risiko eines Tumors sprunghaft
an, wie man von Patienten weiss, deren Immunsystem unterdrückt ist.
Der Körper verlässt sich jedenfalls
voll darauf, dass das «adaptive», sich
auf Lymphozyten stützende Immunsystem jene Zellen erkennt, die sich
krankhaft zu verändern beginnen. Es
muss dabei «gesunde eigene» und
«krankhafte eigene» auseinanderhalten können und gezielt auf letztere
reagieren. Weil sich Tumorzellen von
gesunden eigenen Zellen doch etwas
unterscheiden, kann das Immunsystem im Prinzip die falschen Zellen eliminieren.
Was Zellen verdächtigt macht
Doch in den letzten Jahren hat
man erkannt, dass Tumorzellen sich
durch Tricks und besondere Signale
der immunologischen Überwachung
entziehen können. Die derzeit sich
entfaltende Immuntherapie zielt
darauf, diese Täuschung zu unterbinden.
Will man ein allenfalls gelähmtes
und gebremstes Immunsystem gegen
Tumoren wenden, muss man verstehen, wie sich Tumorzellen von normalen Zellen unterscheiden und wo
sich Angriffspunkte bieten:
> Krebszellen und ihre Vorstufen zei-
gen auf ihrer Oberfläche oft weniger
sogenannte MHC-I-Eiweisse, die signalisieren, dass sie zu «eigenem»
Gewebe gehören, als gesunde Zellen. Das lässt sie den Wächtern, insbesondere den Killerzellen, eben
auch weniger «eigen» und darum
verdächtig erscheinen.
> Zudem zeichnen sich Tumorzellen
durch Mutationen aus, die wiederum zur Folge haben können, dass
sich auf ihrer Oberfläche Eiweisse
zeigen, die den patrouillierenden
Aufpassern des Immunsystems
nicht bekannt sind und darum bekämpft werden (Tumor-Antigene).
Je mehr die Zelle davon zeigt, desto «immunogener» (fremder)
wird sie. Das erklärt, warum die
besonders stark mutierten Melanome und Lungenkarzinome bei
Rauchern eindrücklich auf Immuntherapien ansprechen. Gegen
diese, eine Gegenreaktion auslösenden Tumor-Antigene geht das
Immunsystem rund um die Uhr
und gezielt vor.
Die körpereigene Immunabwehr ist
also im Prinzip eine schlagkräftige
Waffe gegen sich krankhaft verändernde Zellen. Nur weiss man heute gut,
dass Tumorzellen einige Kniffe beherrschen, mit denen sie sich der immunologischen Kontrolle entziehen können:
> Sie sind durch Selektion begünstigt:
Wirkt die Abwehr gut, überleben vor
allem Zellen, die wenig oder keine
Immunreaktion provozieren. Sie können sich besser halten.
> Mit Signalen bremsen und lähmen:
Tumorzellen können die Immunreaktion unterdrückende Stoffe oder Enzyme ausscheiden und die Immunantwort lähmende Zytokine (=Zell-
beweger) herstellen. Sie verstecken
sich in einer Lymphozyten den feindlichen Umgebung.
> Als ungefährlich tarnen: Tumorzellen
können sich mit einer grossen Menge
von «Friss-mich-nicht»-Signalstoffen
tarnen und Angriffen ausweichen.
> Feinde umpolen: Tumoren können ih-
nen gefährlich werdende dendritische «Fress-Zellen» umpolen. Dann
präsentieren sie Antigene so, dass TZellen blockiert werden und in einen
Tiefschlaf verfallen. Statt Energie regiert Anergie.
> Blockieren: Tumorzellen können auf
ihrer Oberfläche T-Zellen lähmende
Moleküle wie die im Hauptartikel beschriebenen Molekülkomplexe PD-L1
oder PD-L2 vorweisen und so die eigentlich zum Angriff bereiten T-Zellen in der Umgebung blockieren.
Heute versucht man ziemlich erfolgreich, diese beiden letzten Blockaden
zu lösen und die getäuschten T-Zellen
wieder aufzuwecken. Dabei werden
etwa die PD-L-Moleküle oder ihre bindenden Gegenstücke (PD1) ebenfalls
mit immunologischen Mitteln abgedeckt: mit künstlich hergestellten Antikörpern. Klinische Studien haben
dazu bahnbrechende Ergebnisse gebracht, wie in dieser Beilage geschildert wird. Die Immuntherapie hat begonnen, ihr Potenzial zu zeigen.
Krebsforschung.
die Eiweisse des eigenen Körpers aktiv
werden. Dafür wird früh vorgesorgt.
T-Zellen tragen ihr T, weil sie nach
ihrem Austritt aus dem Knochenmark
in ein Organ hinter dem Brustbein
wandern, das Thymus heisst. Hier bilden die T-Zellen ihre Fähigkeit, Antigene zu erkennen, aus. Besonders
wichtig dabei ist: all jene T-Zellen
werden zu Selbstzerstörung überredet, die sich fälschlicherweise gegen
eigenes Gewebe richten.
Der Thymus wird oft mit einer
Schule verglichen. Sie trifft mit Durchgefallenen allerdings ziemlich drastische Massnahmen. Nur etwa fünf von
hundert T-Zellen verlassen den Thymus lebend. Wer nicht besteht, zerlegt
sich selbst in seine Bestandteile. Die
stehen bald wieder auf dem Baumarkt
zur Verfügung. Ein ganz normaler Vorgang im Zellleben. Klappt die Auswahl
Prof. Dr. med. Alexandar Tzankov ist Fachbereichsleiter Histopathologie und Autopsie
am Institut für Pathologie des Universitätsspitals Basel. Foto Dominik Plüss
im Thymus nicht, kann eigenes Gewebe irrtümlich für fremd gehalten und
bekämpft werden. Autoimmunkrankheiten sind die Folge. Bei der kindlichen Zuckerkrankheit etwa werden
die Insulin-produzierenden Inselzellen durch Autoantikörper zerstört. Es
ist also lebensnotwendig, dass die Immunabwehr gegen uns selbst nichts
unternimmt. Sie muss «immuntolerant» für den eigenen Körper bleiben.
Alles für die Toleranz
Wie wichtig es für den Körper ist,
dass diese Toleranz nicht durchbrochen wird, zeigt sich daran, dass er
auf mehrere Weisen die Duldung festigt. So dämpfen einerseits, wie schon
erwähnt, spezielle regulatorische
T-Zellen überschiessende Immunantworten am Ort, indem sie unterdrückende Stoffe (Zytokine) produzieren oder schon aktivierte Lymphozyten lähmen und töten. Ferner können Gewebe selbst ein T-Zellen-unterdrückendes Enzym ausschütten und
den Lymphozyten eine für ihre Vermehrung wichtige Aminosäure (Tryptophan) rauben. Sie können aber
auch die Immunabwehr unterdrückende Zytokine herstellen und
somit eine Lymphozyten-feindliche
Umgebung um sich schaffen. Zudem
zeigen die meisten körpereigenen Zellen ein «Friss mich nicht»-Signal
(CD47 genannt), das verhindert, dass
sie von «Fresszellen» attackiert und
ihre Bestandteile in eine für das
adaptive Immunsystem verständliche
(eben immunogene) Form übersetzt
werden. Schliesslich können die dendritischen «Fresszellen» die Antigene
den T-Zellen so präsentieren, dass die
Letzteren blockiert und in eine Art
Dauertiefschlaf versetzt werden – es
| Freitag, 25. September 2015 | Seite 5
herrscht Anergie, das Gegenteil von
Energie.
Ein Molekülkomplex, der hier eine
entscheidende Rolle spielt, ist der
sogenannte Programmed Death 1
(PD1) Rezeptor an den T-Lymphozyten und sein bindendes Gegenstück,
das man entsprechend PD Ligand
(PD-L1 oder PD-L2) genannt hat. Ein
drittes an dieser internen «Abwehr
der Abwehr» beteiligtes Molekül an
den T-Lymphozyten hat das Kürzel
CTLA4 (für cytotoxic T-lymphocyteassociated protein 4).
Neue Angriffspunkte
Doch all diese Methoden, Toleranz zu erzwingen, werden listigerweise auch von Tumorzellen benutzt. (Siehe Kasten Seite 4) Auch
sie verstehen es, angreifende T-Zellen zu lähmen. So fallen die Angreifer in Inaktivität, statt dass sie die
veränderten und eigentlich «fremd»
gewordenen Eigenschaften der
Krebszellen sehen und bekämpfen.
Kommt dazu: Weil die Tumore unter dem Druck des Immunsystems
stehen, vermehren sich vor allem
Zellen, die wenig immunogen sind.
Derzeit versuchen wir mithilfe
von künstlich hergestellten Antikörpern gegen die oben genannten
Moleküle PD1, PD-L1 und CTLA4,
diese Hemmung zu lösen. So sollen
die T-Zellen aus dem Dauertiefschlaf aufwachen und die unterdrückte Immunantwort gegen die
Tumorzellen frei geschaltet werden. Allerdings so, dass es nicht zu
überschiessenden Reaktionen und
Angriffen auf das gesunde Gewebe,
wohl aber zur Kontrolle über die Tumore kommt. Erste Erfolge lassen
sich sehen.
Vier Basler Nobelpreis-Träger
In der Erforschung unserer so vielfältigen Immunabwehr sind einige Durchbrüche in Basel tätigen oder aus Basel
stammenden Forschern zu verdanken.
Vier davon sind mit Nobelpreisen
geehrt worden. Drei gingen an Mitglieder des 1971 von der damals
weitsichtigen Roche an der Grenzacherstrasse eröffneten Basel Institute
for Immunology (BII), das bald Weltruf
erlangen sollte, allerdings 2001 nach
einer ruhmvollen Ära wieder geschlossen wurde.
Gründungsdirektor Niels Kaj Jerne
(1911-1994) war einer der bedeutendsten Theoretiker auf dem Feld und
erhielt 1984 den Nobelpreis für Medizin. Mit ihm ausgezeichnet wurde der
aus Freiburg i. Br. stammende Georges
Köhler (1946–1996), der am BII bei Fritz
Melchers doktoriert hatte. Bei einem
Zwischenaufenthalt als Postdoc in Mitpreisträger César Milsteins Labor in
Cambridge hatte er entdeckt, wie man
eine einen Antikörper produzierende
Immunzelle unsterblich machen kann.
Er legte damit die Grundlage für die
massenhafte Herstellung auf ein einziges Ziel gerichteter «monoklonaler
Antikörper». Sie bescheren heute als
wirksame «Biologicals» der Pharmaindustrie (und Roche) Milliardenumsätze
und spielen in der hier beschriebenen
Immuntherapie eine zentrale Rolle.
Köhler kehrte wieder ans BII zurück
und verliess es erst 1984, um das
Freiburger Max Planck-Institut für
Immunbiologie zu leiten.
1987 ging als Dritter der heute 76-jährige Susumu Tonegawa nach Stockholm, um seinen Nobelpreis entgegen
zunehmen. Er hatte an der Grenzacherstrasse mit seiner stimulierenden
Umgebung geklärt, wie der Körper zu
seiner unglaublichen Vielfalt von Antikörpern kommt.
Eine weitere zentrale Entdeckung
gelang dem Riehener Rolf Zinkernagel.
Der heute 71-jährige hatte nach seinem
Basler Medizinstudium in Australien
mit Peter Doherty herausgefunden,
wie T-Zellen des Immunsystems virusinfizierte Zellen erkennen und dass
dabei Gewebeverträglichkeitsmerkmale («MHC-Komplexe») eine zentrale
Rolle spielen. 1996 erhielt der an der
Universität Zürich emeritierte
Professor den Nobelpreis. hckl
V.l.Niels Kaj Jerne, Georges Köhler, Susumu Tonegawa, Rolf Zinkernagel.
«Basel ist ein ganz besonderer
Forschungsort»
Immunologe Giulio Spagnoli zur Rolle der Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Immuntherapie
Vor 25 Jahren ist Giulio Spagnoli von
der Harvard Medical School in Boston
nach Basel ans Zentrum für Lehre und
Forschung gekommen. Hier verfolgt
der 63-jährige Römer, Arzt und Immunologe als Forscher im Departement
Chirurgie unter anderem auch Projekte, die nach Wegen suchen, wie man
die Immunabwehr des Patienten gegen
Tumore richten oder verstärken könnte. Wir fragten den Professor für Experimentelle Chirurgie nach Erfahrungen und Aussichten.
Die Behandlung mit Chemotherapie
behält ihre Stellung?
Eine interessante Idee und neuer
Aspekt ist heute, dass die Standard-Chemotherapie möglicherweise einen Teil ihrer Wirksamkeit ebenfalls der nun einsetzenden Immunabwehr verdankt, die sich gegen die
von beschädigten Tumorzellen neu
präsentierten antigenen Eigenschaften wendet.
«Forschen auf
diesem Gebiet
lehrt uns allerdings
auch Demut.»
Basler Zeitung: Giulio Spagnoli, Sie
haben den Aufschwung der Immunologie im letzten Jahrhundert miterlebt. Warum hat die Immuntherapie
erst in den letzten Jahren so grosse
Fortschritte gemacht?
Giulio Spagnoli: Die Idee, die Kraft
des Körpers gegen Krebs zu nutzen
ist mehr als hundert Jahre alt, aber
als meine Generation auf diesem Gebiet zu forschen begann, begegnete
das Konzept einer gegen einen
Tumor gerichteten Immunantwort
noch grosser Skepsis. Der eigentliche Wendepunkt war erst erreicht,
als die ersten mit einem menschlichen Tumor verbundenen Antigene,
gegen die sich das Immunsystem
richten könnte, entdeckt und charakterisiert wurden.
Was hat das bewirkt?
Wir und andere haben gleich versucht, Impfstoffe zu entwickeln, die
eine Immunantwort gegen diese
Krebs-Antigene wecken können. Studien mit solchen therapeutischen
Vakzinen, nicht nur unsere eigenen,
zeigten gute Resultate mit kaum nennenswerten Nebenwirkungen. Aber
es gibt bis heute doch nur wenige
Phase-III-Studien, die einen Erfolg
solcher Strategien klinisch beweisen
können.
Aber es gibt doch einen Impfstoff
gegen Gebärmutterhalskrebs?
Dieser Impfstoff gegen das verursachende Virus wirkt tatsächlich ausgezeichnet, wenn er vorbeugend verabreicht wird. Ist der Tumor aber
schon da, helfen therapeutische
Impfungen weniger.
Man sagt, die Zahl der Tumorarten
wachse laufend, weil man sie nach
immer neuen Kriterien und Eigenschaften unterscheiden könne. Hat
hier die Immunologie eine Rolle zu
spielen?
Den Grundlagen auf der Spur. Prof. Dr. med. Giulio Spagnoli forscht am
Departement Biomedizin mit dem Schwerpunkt Tumorimmuntherapie. Foto Dominik Plüss
Weiss man die Gründe? Schläft das
Immunsystem oder ist es einfach
unempfindlich auf diese fremden
Tumor-Merkmale?
Das Immunsystem hat eben tatsächlich die sonderbare Fähigkeit, nach
einer erfolgreichen Aktion seine eigene Wirksamkeit zu bremsen. Tumorzellen ihrerseits können auf allerlei Arten gegen sie gerichtete Immunantworten verhindern. Diese
beiden Aspekte darf man in ihrem
Ausmass nicht unterschätzen.
Wenn man besser versteht, wie diese
Bremsen funktionieren, kann man sie
zu lösen versuchen?
Ja, gegenwärtig versucht man auf
breiter Basis «Bremsen zu lösen» und
so die Stärke der Immunantwort maximal zu gestalten. Aber die Gefahr
besteht, dass sie sich auch gegen gesunde eigene Gewebe richtet. Dann
kann es gefährlich werden. Es wäre
vor allem sehr wichtig, wenn wir anhand von bestimmten Merkmalen
sagen könnten, welche Patientinnen
und Patienten von einer solchen Behandlung profitieren, und könnten
so den andern auch Nebenwirkungen ersparen. Dass noch immer nur
eine Minderheit der Patienten von
der Immuntherapie profitiert, macht
dieses Ziel nur noch wichtiger. Das
sind wichtige Forschungsthemen.
Man kann ganz gewiss erwarten,
dass die Tumorimmunologie dort
einen grossen Einfluss haben wird,
wo es darum geht, die Stadien einer
Krebserkrankung zu bestimmen.
Man untersucht, wie gross ein
Tumor ist, ob er schon Metastasen
gebildet hat und ob Tumorzellen
schon in den Lymphknoten zu finden
sind. Diese Kriterien bestimmen
heute dann die Art und Strategie der
Behandlung. Es scheint aber sehr
wichtig und möglicherweise gar entscheidend für die Prognose zu sein,
wie stark der Tumor von Immunzellen infiltriert ist. Man weiss noch zu
wenig, was da geschieht, aber es
sieht so aus, als liege hier ein sehr
wichtiges Thema vor uns.
Sie waren in Boston, in Paris und an
anderen Orten. Wie reihen Sie da
Basel ein?
Oh Basel ist für mich ein ganz
besonderer Forschungsort. Wir
sind zwar nicht Boston, aber doch
sehr weit vorne. Hier wurde von
1971 bis 2001 auch das berühmte
Basel Institut für Immunologie betrieben. In Basel ist erstaunlich viel
Kompetenz versammelt. Am Universitätsspital arbeiten wir mit ver-
schiedenen Gruppen hervorragend
zusammen.
Das müssen Sie ja so sagen....
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir wissen, dass sich Tumore von Patient zu
Patient unterscheiden können. Das
heisst aber auch, dass Behandlungen
unterschiedlich anschlagen. Wir suchen darum nach Möglichkeiten,
wie man vor der Behandlung testen
könnte, welche Therapie am besten
anspricht. Ideal wäre, wenn man im
Laufe der Behandlung eine spezifische Therapie an dem Patienten entnommenen Krebsgewebe testen
könnte. So liesse sich auf eine Patientin oder einen Patienten zugeschnittene, präzise personalisierte
Behandlung einrichten. Das muss
schnell gehen. So haben wir uns mit
der Gruppe von Ivan Martin, Professor für Tissue Engineering am Departement für Biomedizin, zusammengetan und untersuchen nun, wie
man an Krebszellen, die wir in einem
von ihm entwickelten Bioreaktor
wachsen lassen, mögliche Behandlungen «in vitro» testen kann. Da haben wir besten fachlichen Rat in unmittelbarer Nähe. So macht Forschen Spass. Dass die Nähe zum Universitätsspital ebenfalls sehr wichtig
und fruchtbar für beide Seiten ist,
muss ich nicht betonen.
Das gilt auch für unser Thema Immuntherapie?
Die Tumorimmunologie oder Immunologie der Krebserkrankungen ist
keine Show für Einzelmasken. Hier
braucht es die produktive Zusammenarbeit von Chirurgen, medizinischen Onkologen, von Pathologen
und den Grundlagenforscherinnen
und -forschern. Wichtig ist auch der
Rückhalt der Öffentlichkeit. Forschen auf diesen Gebieten lehrt uns
allerdings auch Demut. Manche ausserordentlich ansprechende und
glänzende Idee, die sich anscheinend durch breite Forschung stützen
liess, hat in der klinischen Wirklichkeit versagt und wir waren gezwungen, wieder von vorne anzufangen:
Kein leichtes Ding.
Die Fragen stellte Martin Hicklin
Impfen gegen Krebs.
| Freitag, 25. September 2015 | Seite 6
Die Abwehr wecken und wach halten
Die chirurgische Forschung am Universitätsspital Basel sieht bei Impfstrategien gegen Krebs Erfolge
wichtiges und vielversprechendes Forschungsziel. Verschiedene Strategien
sind in den letzten Jahren in dieser
Richtung entwickelt worden. Eine davon besteht darin, mit Hilfe einer Impfung das Immunsystem dergestalt zu
stimulieren, dass es sich wieder kraftvoll gegen die Tumorzellen richtet und
diese abtötet.
Vor 20 Jahren hat das Forschungslabor der Chirurgie am Universitätsspital Basel begonnen, solche Impfsubstanzen zu entwickeln und sie primär
beim Melanom erprobt. Dabei wurden
einerseits die Baupläne (das heisst die
genetische Information, die DNA) für
Eiweisse, die auf der Oberfläche eines
Melanoms als Antigene wirken und
vom Immunsystem als fremd erkannt
und bekämpft werden, in ein spezielles
Impfvirus eingeschleust. Mit verpackt
wurden auch die DNA für die Moleküle,
die es für das zweite Co-Signal braucht.
Dieser Impfstoff wurde den Patienten
zu definierten Zeitpunkten unter die
Haut injiziert. Die Resultate waren
ermutigend.
Zwei klinische Impfprotokolle mit
je zwanzig Patientinnen und Patienten
haben aufzeigen können, dass bei einigen Patienten eine spezifische Immunantwort gegen die eingeimpften Antigene erzeugt werden konnte. Die Patienten erhielten ihre Impfung durchwegs ambulant und litten unter keinen
besonderen Nebenwirkungen. Die
Impfung störte auch nicht die oft
parallel laufende übliche onkologische
Therapie.
Von Daniel Oertli
Nach den klinischen Beobachtungen
von William Coley (siehe Seite 2) hatte
man während eines ganzen Jahrhunderts postuliert, dass das Immunsystem
mit bösartigen Tumoren in einer Wechselwirkung stehen müsse, doch erst
1991 hat der belgische Immunologe
Thierry Boon mit seiner Brüsseler Forschungsgruppe beim schwarzen Hautkrebs (Melanom) beweisen können,
dass sich spezialisierte weisse Blutkörperchen (Lymphozyten) gegen Tumorzellen richten und diese zerstören können. Boon, heute emeritierter Professor
der Université catholique de Louvain
und ehemaliger Direktor des LudwigInstituts für Krebsforschung in Belgien,
konnte mit seiner Gruppe jene EiweissStücke bis in ihren molekularen Bau
identifizieren, die ausschliesslich von
einzelnen Zellen der Melanomtumore
gebildet und gebaut werden. Genau
diese Eiweissmoleküle können durch
das körpereigene Immunsystem, genauer durch die darauf spezialisierten
Immunzellen, als «fremde» Merkmale
(Antigene) erkannt werden. Das allein
genügt aber nicht. Zusätzlich zur Erkennung – dem ersten Signal, um eine Immunantwort auszulösen – braucht es
ein zweites Signal. Es wird über andere
an der Zelloberfläche auftretende Moleküle «co-stimulatorisch» ausgelöst und
erst jetzt kann die gewünschte Immunreaktion endlich ablaufen und die Tumorzellen angegriffen werden
Mehrere Gründe müde zu werden
Diese Antwort hat mehrere Stufen.
Die Lymphozyten vermehren sich und
alarmieren eine weitere Gruppe weisser
Blutkörperchen, die nun als Killer in Aktion treten und Löcher in die Wand der
Tumorzellen reissen. Die Krebszellen
beginnen zu lecken und sterben.
Allerdings werden die für diese Tumoren spezifischen Antigene, die als Eiweisse an der Zelloberfläche erscheinen, in vielen Fällen vom Immunsystem
der Patienten doch nicht als fremd erkannt und die Tumorzellen nicht bekämpft. Drei Gründe können daran be-
Ermutigende Abwehr.Die beiden weissen Blutkörperchen (Lymphozyten) attackieren eine vergleichsweise viel grössere Tumorzelle (grau), elektronenmikroskopische Fotografie. Foto zVg
teiligt sein: Das unbedingt notwendige
zweite Signal für die Co-Stimulation
kann fehlen. Tumorzellen selber oder
das die Tumorzellen umgebende Bindegewebe können auch lokal Botenstoffe
ausschütten, welche immunsuppressiv
sind, das heisst das Immunsystem rund
um den Tumor hemmen. Oder der
Tumor wächst so rasch, dass die Lym-
phozyten, obwohl sie anfänglich die
Gefahr erkannt haben, sich erschöpfen,
weil sie chronisch stimuliert werden. So
kann sich der Tumor gegen die Immunantwort unempfindlich zeigen. Es entsteht das, was man eine Immuntoleranz
nennt und fürchtet.
Sie zu durchbrechen und die Abwehr wieder in Gang zu bringen ist ein
Auf das Sechsfache vermehrt und
wirksam
Wie sich zeigte, vermehrten sich in
den nächsten vierzehn Tagen nach der
Impfung die gegen das Melanom gerichteten Lymphozyten im Blutstrom
bis auf das Sechsfache. Unsere Experimente haben zudem eindeutig gezeigt,
dass die durch eine einfache Blutentnahme gewonnenen und im Reagenzglas untersuchten Lymphozyten fähig
waren, Melanomzellen abzutöten. Diese Forschungsresultate waren dermassen ermutigend, dass wir entschieden
haben, die Effizienz der Impfung weiter
zu steigern und auch sie für ein breiteres Indikationsgebiet auszubauen.
Derzeit entwickelt unser Labor eine
sehr moderne, wiederum auf Viren basierende Impfung, von welcher, wie wir
hoffen, eine breitere Patientengruppe
mit Tumorleiden profitieren könnte.
Neben dem Melanom betrifft dies
Tumore der Harnblase, der Lunge, der
Speiseröhre sowie der sogenannte
dreifach-negative Brustkrebs.
Das Virus sorgt dafür, dass das Immunsystem der Geimpften auf die verschiedenen dem Tumor eigenen Antigene als auch das wichtige, zweite
Aktivierungssignal der Co-Stimulation
trifft. Wir erhoffen uns damit, dass das
Immunsystem der Patientinnen und
Patienten und insbesondere die spezifischen Lymphozyten so optimal stimuliert werden und sich wirksam gegen
die Tumorerkrankung richten und sich
somit im Körper ein immunologisches
Gedächtnis gegen den entsprechenden
Tumor ausbildet.
Prof. Dr. med. Daniel Oertli ist Chefarzt für Allgemeine Chirurgie am Universitätsspital Basel.
Foto Derek Li Wan Po
Wachsam gegen den Wiederholungstäter
Alarmiertes Immunsystem hilft Rückkehr von Blasenkrebs zu verhindern
Von Cyrill A. Rentsch
Blasenkrebs ist der zweithäufigste
Tumor des Harntraktes des Mannes
und der häufigste des Harntraktes der
Frau. Glücklicherweise sind die meisten Tumore zum Zeitpunkt der Diagnose noch auf die Schleimhaut der
Harnblase begrenzt und können mit
einer eleganten Operation durch die
Harnröhre hindurch entfernt werden.
Doch der Blasenkrebs ist ein notorischer Wiederholungstäter. Lässt man
der Operation keine zweite Behandlung folgen, befällt er bei mehr als der
Hälfte der Patienten die Blase erneut.
Es finden sich dann immer wieder –
manchmal zahlreich – typische korallenähnlich aussehende Tumoren. Mit
der zweiten Behandlung wird versucht, das Immunsystem des Patienten
gegen den Krebs zu mobilisieren. Mit
erstaunlichem Erfolg.
Durch Impfen das Immunsystem
wecken
Vor rund vierzig Jahren wurde erstmals bewiesen, dass man das körpereigene Immunsystem aktivieren und
diesem im wahren Sinne des Wortes
Wachsamkeit gegen den Wiederholungstäter einimpfen kann. Dazu verwenden wir den Bacillus-CalmetteGuérin-Impfstoff, kurz BCG genannt.
Dieser Impfstoff, früher als Impfung
gegen Tuberkulose eingesetzt, besteht
aus lebenden, aber in ihrer Aggressivität abgeschwächten Bakterien, welche
in einer Flüssigkeit mit Hilfe eines Katheters über die Harnröhre direkt in
die leere Blase gegeben werden. Solche Behandlungen finden in wöchent-
lichen Abständen über sechs Wochen
hinweg statt und werden in der Regel
nach drei weiteren, kurzen Fortsetzungen, die der Vorbeugung dienen, nach
etwa einem Jahr abgeschlossen. Die
Bakterien lösen in der Blase eine gewünschte Entzündung aus. Sie wirkt
als Alarmsignal für das Immunsystem.
Es schickt weisse Blutkörperchen in
die Blase, die sich gegen allfällige neue
Tumore richten – nach jeder Impfung
mehr. Der Patient merkt sehr wohl,
dass seine Abwehr in Aktion getreten
ist. In den ersten zwei Tagen nach der
BCG-Therapie kommt es oft zu Beschwerden wie sie auch sonst bei einer
Blasenentzündung vorkommen. Zudem können vorübergehend grippeähnliche Symptome wie Fieber und
leichter Schüttelfrost auftreten. Die
BCG-Therapie ist daher nicht harmlos
in ihren Nebenwirkungen.
Erfolg lässt sich sehen
Bisher ist die BCG-Therapie die
wirksamste vorbeugende Behandlung
nach einer Blasenkrebserkrankung. Sie
bewahrt den Patienten vor der chirurgischen Entfernung, also dem Verlust der
Harnblase. Der Erfolg lässt sich sehen:
Nach einer BCG-Therapie entsteht bei
über 70 Prozent der Patienten kein
Blasenkrebs entdecken und vorbeugen
Blasenkrebs macht sich oft nicht
gleich durch Beschwerden bemerkbar. Blut im Urin kann ein Alarmzeichen sein. Auch wenn eine solche rötliche Verfärbung nur einmal
beobachtet wird, sollte man sich
untersuchen lassen. Seltener sind
häufiger Harndrang und Schmerzen
oder Schwierigkeiten beim Wasserlassen Begleiterscheinungen von Blasenkrebs. Der Krebs bildet sich in der
Schleimhaut, von der die Blase ausgekleidet wird. Häufige Entzündungen
können das Wachsen eines Blasenkarzinoms begünstigen. Raucher sind
besonders häufig von Blasenkrebs
betroffen. Bei einer Untersuchung der
Blase im Tumorzentrum des Universitätsspitals wird unter lokaler Betäubung eine Minikamera eingeführt,
über die sich das Innere der Blase
genau kontrollieren lässt. Die Unter-
suchung, die Blasenspiegelung
genannt wird, dauert etwa fünf
Minuten.
Eine der wichtigen Massnahmen, bei
Rauchern das Wiederauftreten von
Krebs vorzubeugen, ist der Rauchstopp. Um den Patienten und Patientinnen bei diesem wichtigen Schritt
zu helfen, arbeiten wir im Tumorzentrum eng mit dem Rauch-StoppTeam des Universitätsspitals Basel
zusammen. Die Experten verstehen
es ausgezeichnet, individualisierte
und auf die Bedürfnisse des Patienten zugeschnittene Massnahmen zu
entwerfen, die erfolgreich zum
Rauch-Stopp führen: Die meisten
unserer Blasenkrebspatienten und
-patientinnen haben deshalb dank
ihrer Unterstützung nachhaltig mit
dem Rauchen aufhören können.
neuer Blasenkrebs mehr. Die verabreichten Bakterien haben das Immunsystem so aktiviert, dass es dem gern
wiederkehrenden Blasenkrebs definitiv
die Rote Karte zeigt.
Weil die Tendenz, neue Tumoren zu
bilden, hoch ist, muss regelmässig und
lebenslang nachkontrolliert werden.
Bei diesen Nachkontrollen werden im
Tumorzentrum des Universitätsspitals
Basel moderne Bildgebungsverfahren
wie Computertomografie (CT) oder
Magnetresonanz (MRI) eingesetzt. Die
Blase muss aber auch mittels Blasenspiegelung invasiv untersucht und der
Urin regelmässig getestet werden. Nicht
von ungefähr gilt der Blasenkrebs daher
als der teuerste Krebs, wenn man die
Gesamtkosten über das ganze Leben
eines Patienten berechnet. Doch die
Kosten sind nur das eine. Kommt dazu,
dass die vielen Kontrollen mit invasiver
Diagnostik und die damit verbundene
neue Ungewissheit und Angst vor einem Rückfall die Lebensqualität stark
einschränken können. Die erfreulich
hohe Erfolgsrate, die man mit der Aktivierung des Immunsystems durch die
BCG-Therapie erreicht, senkt nicht nur
die Kosten, sondern verbessert trotz
ihrer anfänglichen Nebenwirkungen
die Lebensqualität, weil die Ungewissheit kleiner wird.
Stärkere Weckwirkung
In diesen Wochen beginnt unter
meiner Führung an der Urologischen
Klinik am Basler Tumorzentrum (Chefarzt Prof. A. Bachmann) und in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Arbeitsgruppe für Klinische Krebsforschung (SAKK) eine klinische Studie
mit einer genetisch aufgerüsteten Variante des BCG-Impfstoffs, von der man
sich eine noch stärkere Weckwirkung
auf das Immunsystem verspricht.
Auch die in dieser Beilage erwähnten «Checkpoint-Hemmer», mit denen
in bestimmten Fällen von Tumorzellen
bewirkte Blockaden der Immunabwehr
gelöst werden können, werden derzeit
in verschiedenen klinischen Studien
auf ihre Anwendbarkeit und Wirkung
gegen Blasenkrebs im fortgeschrittenen
Stadien getestet. Erste Resultate sind
vielversprechend und lassen hoffen,
dass unsere Möglichkeiten, Blasenkrebs
erfolgreich zu behandeln und seine
Rückkehr zu verhindern, sich weiter
verbessern.
PD Dr. med. Cyrill Rentsch leitet die Klinische
Forschung der Urologie, speziell auf den
Themen Blasen- und Prostatakarzinom.Foto zVg
Stammzelltherapie.
| Freitag, 25. September 2015 | Seite 7
Mit Spenderzellen der Leukämie
auf den Pelz gerückt
Wer sich ins Stammzellregister eintragen lässt, kann Leben retten
Stammzellenspende.«In das Blut gerufene» Zellen werden aussortiert.Foto Pablo Wünsch Blanco
Von Jakob Passweg
Die Immuntherapie von Krebserkrankungen will die Kraft der menschlichen
Abwehr nutzen, um bösartige Zellen im
menschlichen Körper zu bekämpfen.
Sie kann dies über die Zellen des
eigenen Abwehrsystems tun, welche
aktiviert werden können oder deren
Hemmung man lösen kann, wie dies in
dieser Beilage beschrieben ist. Neu
entwickelte Medikamente kommen
zur Anwendung und der erst in den
letzten Jahren errungene Fortschritt
ist die Motivation für diese Zeitungsbeilage, welche Sie gerade in den
Händen halten.
Bereits vor 40 Jahren haben Forscher erstmals eine Methode eingesetzt,
bei der die Abwehr eines anderen gesunden Menschen genutzt wird, um gegen Leukämien, also Krebserkrankungen des Knochenmarks und der Blutbildung, anzugehen. Diese Behandlung
nennen wir «allogene Stammzelltransplantation», weil hier passende Stammzellen aus dem Knochenmark eines anderen (griechisch allos), gesunden
Menschen in den Patienten verpflanzt
werden. Aus ihnen können sich nun
jene Blutzellen entwickeln, die als gespendete Abwehr die Leukämie des
Empfängers eliminieren. Diese Wirkung wird im Fachjargon «Transplantat
gegen Leukämie-Effekt» genannt und
gilt als stärkstes antileukämisches Mittel mit der geringsten Rückfallrate.
Die Spende muss passen
Diese Behandlung kommt immer
dann infrage, wenn ein Patient oder
eine Patientin mit einer bösartigen
Knochenmarkerkrankung nicht geheilt werden kann. Allerdings hängt
der Erfolg einer Stammzelltransplantation davon ab, ob eine passende
Spenderin oder ein passender Spender gefunden werden kann. Spender
kann ein Bruder oder eine Schwester
sein, denn ein Viertel der Geschwister
haben gleiche Gewebsmerkmale oder
-identitäten. Sie bekommen wir von
unseren Eltern vererbt. Jeder Elternteil kann den seinerseits vom Vater
oder von der Mutter geerbten Typ
weitervererben. Da jeder Mensch vier
Grosseltern hat, erbt er einen Gewebetyp von zwei der vier Grosseltern. Somit
ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei
Geschwister untereinander gewebe-
identisch sind, 25 Prozent beziehungsweise ein Viertel.
Die Gewebeidentität ist wichtig,
weil bei einer gut passenden Spende die
Behandlung relativ sicher und erfolgreich durchgeführt werden kann. Wird
in der Familie keine passende Spenderin oder passender Spender gefunden,
kann eine Fremdspendersuche unternommen werden. Weltweit (www.
bmdw.org) gibt es 25 Millionen Menschen, die sich als Stammzellspender
haben typisieren lassen und als Spenderinnen und Spender zur Verfügung stehen (siehe Kasten). Da die Gewebetypen sehr vielfältig verteilt sind, braucht
es eine grosse Zahl registrierter Spender, um für die meisten Patienten, die
eine Transplantation benötigen, im Register einen Spender finden zu können.
Eine aufwendige Therapie
Die Blutstammzellen befinden sich
im Knochenmark. Diese können vom
Spender auf zwei Arten gewonnen werden. Die erste besteht darin, die Stammzellen ins Blut zu «rufen». Mit einem
speziellen Verfahren können sie daraus
«geerntet» werden (die Technik heisst
Apherese). Andererseits kann man die
Stammzellen auch über Punktionen im
Beckenknochen per Knochenmarksammlung gewinnen. Für diese Knochenmarksammlung braucht es eine
Narkose. Dem Spender fehlen nach der
Spende mittelfristig keine Stammzellen, sie wachsen wieder nach.
Der Patient erhält nun zuerst eine
intensive Therapie. Sie besteht aus einer Behandlung mit mehreren Chemotherapie-Medikamenten. Mit ihnen soll
die Leukämie aus dem Knochenmark
eliminiert und das Abwehrsystem so
weit geschwächt werden, dass die Zellen des Spenders sich zu vermehren beginnen oder anwachsen können. Die
Organisation ist aufwändig. Wenn der
Patient seine Intensivtherapie erhalten
hat, müssen die Stammzellen des Spenders gesammelt und mit einem Kurier
an das Transplantationszentrum transportiert werden. Der Spender spendet
an seinem Wohnort. Es liegt in der Verantwortung des Kuriers, die Zellen sicher an ihr Ziel zu bringen. Dem Patienten werden die Zellen wie bei einer
Bluttransfusion
übertragen.
Die
Stammzellen finden ihren Weg selbstständig ins Knochenmark des Empfängers und vermehren sich dort. Nach
etwa 14 Tagen wird das Resultat sichtbar. Die gespendeten Zellen sind «angegangen» und im Blut des Empfängers
normalisieren sich die Blutzellen. Diese
stammen nun vom Spender. Die Abwehr baut sich wieder auf und kann –
wenn alles gut läuft – die Leukämie
kontrollieren, ohne den Patienten zu
schädigen.
Komplikationen beherrschen
Diese Therapie verläuft nicht immer
ohne Komplikationen. Der Gefahren
sind viele, die Toxizität der Chemotherapie wirkt sich aus und es besteht die
Gefahr schwerer Infektionen während
des Wartens auf das Angehen der Zellen. Es kann zu Abstossungsreaktionen
kommen, nicht nur gegen die Zellen des
Spenders durch den Empfänger, sondern auch in umgekehrter Richtung:
Die gespendeten Zellen könnten nicht
nur – wie erwünscht – die Leukämiezellen, sondern die Organe des Empfängers angreifen. Deshalb ist die Entscheidung zu einer allogenen Stammzelltransplantation nie leicht und verlangt
eine sorgfältige Abwägung der Vor- und
Nachteile.
Die allogene Stammzelltransplantation wird in der Schweiz bei
200 bis 250 Patienten jährlich durchgeführt. Auch sie ist ein gutes Beispiel
für den erfolgreichen Einsatz des Immunsystems zur Bekämpfung von
bösartigen Krankheiten.
Prof. Dr. med. Jakob R. Passweg ist Chefarzt
der Abteilung Hämatologie am Universitätsspital Basel und Präsident der Schweizerischen Krebsliga. Foto Derek Li Wan Po
So wird man Spender/in
Nur wenn sich eine passende
Stammzell-Spende findet, besteht
reale Aussicht auf eine erfolgreiche
Behandlung einer sonst nicht behandelbaren bösartigen Knochenmarkserkrankung. Längst nicht immer steht
ein Familienmitglied mit passenden
Gewebemerkmalen zur Verfügung.
Je mehr Auswahl es an Spenderinnen und Spendern aber gibt, desto
höher ist die Chance auf einen glücklichen Treffer. Darum werden möglichst viele Menschen gesucht,
die sich bereit erklären, hier mitzumachen (www.bmdw.org) und ihre
Gewebedaten ins Nationale Register
in Bern einzutragen. So steigt die
Auswahl. Die meisten der Gemeldeten werden nie zu einer Spende aufgerufen. Aber wenn es so weit
kommt, dann weiss die Spenderin
oder der Spender, dass wahrscheinlich ein Leben gerettet wird.
Auch Sie können hier helfen, indem
Sie sich als Spenderin oder Spender
registrieren lassen. Das kann man
über die unten angeführte Website
tun. Stammzellspenden von Spendern aus dem Register sind anonym.
Spender und Empfänger lernen sich
nicht kennen.
www.blutspende.ch/de/
blutstammzellspende
Was kann ich für mein Immunsystem tun?
Von Jakob Passweg
Das Immunsystem ist wie ein grosses
Symphonieorchester. Nur komplizierter. Es vereinigt verschiedenste Spieler und Instrumente und nur durch
das perfekte Zusammenspiel kommen grossartige Töne zustande.
Wie auf Seite 4 ausführlich dargestellt
wird, besteht es aus verschiedenen
Zellen, welche einfachere oder komplizierte Funktionen ausüben. Sie reichen vom Fressen eines mit Antikörpern behängten und so appetitlich
gewordenen Bakteriums bis zur Aufgabe, sich lebenslang an eine Begegnung mit einem Fremdkörper (Antigen) zu erinnern und beim nächsten
Treffen bereit zu sein, schneller anzugreifen. Dies ist auch der Grund, wieso der Mensch in seinem Leben die
meisten Kinderkrankheiten nur einmal durchmacht. Neben den Zellen
gibt es eine Vielzahl von Botenstoffen
und Gefahrensignalen. Wie ein Dirigent das Orchester mal laut und mal
leise spielen lässt, den Ton zum Verklingen bringt, gibt es im Immunsystem eine Vielzahl von Regelkreisen
(Dirigenten), welche zur Verstärkung
aber auch zur Abschwächung von Abwehrreaktionen beitragen.
Aus angeborenen Fehlern hat man
viel lernen können. Kinder zum Beispiel, welche ohne Empfängermolekül
für einen wichtigen Botenstoff geboren
werden, sterben als Neugeborene, weil
sie auf die ersten Infektionen nicht reagieren können. Kinder, welche das Immunsystem anstellen, aber nicht wieder
abstellen können, sterben ebenso früh.
Aus Immunschwäche gelernt
Heutzutage kennt man die Probleme des abwehrgeschwächten Menschen gut. Angeborene Abwehrschwächen sind selten. Das heisst, die Natur
hat gut vorgesorgt. Oder anders gesagt,
wir Menschen sind gut angepasst an die
Erfordernisse der Natur und an die Keime, welche uns umgeben. Viel gelernt
hat man auch dank erworbener Immunschwächekrankheiten wie Aids oder
therapeutisch bedingter Immunschwächen, wie sie als Begleiterscheinung der
Behandlung mit die Immunabwehr unterdrückenden Medikamenten etwa in
der Transplantationsmedizin vorkommen. Dank ihnen wissen wir, dass die
Hemmung von Funktionen des Immun-
systems immer mit erhöhten Risiken für
Infektionskrankheiten einhergehen und
auch gewisse Krebserkrankungen, vor
allem solche, welche durch Virusübertragung angestossen werden, häufiger
auftreten lassen.
Das Immunsystem ist ein lernendes
System und schon ganz am Anfang des
Lebens gehen die Immunzellen im Thymus (einem Organ, welches hinter dem
Brustbein liegt) in die Schule, um
Fremd von Eigen unterscheiden zu lernen. Wenn diese Unterscheidung nicht
funktioniert, kann es sein, dass das
Immunsystem den eigenen Körper angreift. Solche Krankheiten werden Autoimmunkrankheiten genannt und es gibt
zahlreiche Krankheitsbilder: von der
Polyarthritis über den Diabetes bis hin
zur multiplen Sklerose. Nicht ein möglichst starkes Immunsystem zu haben,
ist das Ziel, sondern eines, das das Richtige im richtigen Moment tut und sich
dann auch wieder hinunterfährt.
Impfungen begleiten den Menschen
seit 1796, der Erfindung der Pockenschutzimpfung. Sie fordern das Immunsystem mit weniger schädlichen oder
abgetöteten Formen eines Keims, um
die natürliche Kraft des Immunsystems
auszunützen und dadurch den Menschen vor dem gefährlichen Eindringling zu schützen. Lassen wir uns zum
Beispiel im Herbst gegen Grippe impfen, leben wir zwar weiterhin mit dem
Risiko, mit dem Virus angesteckt zu
werden. Durch den Impfschutz werde
ich aber mit dem Virus deutlich früher
und besser fertig. Wir nützen mit der
Impfung die Fähigkeit des Immunsystems, ein Gedächtnis für Keime aufbauen zu können.
Übertriebene
Hygiene kann auch
schädlich sein.
Die Einhaltung der Körperhygiene
hat zu grossen Vorteilen für die Menschheit geführt. Viele der früher häufigen
Infektionskrankheiten sind heute selten
geworden. Eine übertriebene Hygiene
kann aber auch schädlich sein, nicht
nur für den etwas speziellen Menschen,
der sich weigert, anderen Mitmenschen
die Hand zu geben. Es gibt einige Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass
eine zu grosse Hygiene im Kindesalter
mitverantwortlich ist für Allergien, das
heisst für Fehlfunktionen des Immunsystems. Mit anderen Worten: es ist
für ein Kind nicht gesund, in einer sterilen Umgebung aufzuwachsen. In der
Kindheit muss das Immunsystem
Kontakte mit Keimen haben, um lernen
zu können.
Krebs und Immunität sind eng verknüpfte Systeme. Es sei hier daran
erinnert, dass die weltweit häufigsten
Krebserkrankungen auf chronische
Virusinfektionen zurückzuführen sind,
insbesondere der Leberkrebs infolge
chronischer Hepatitis oder der Gebärmutterhalskrebs über den Humanen
Papilloma-Virus. Die Vermeidung solcher Infektionen kann die Krebshäufigkeit senken.
Das Immunsystem ist hochkomplex
reguliert, und funktioniert dann am
besten wenn diese Regulationsmechanismen gut spielen können. Die Frage,
was ich für mein Immunsystem tun
kann, ist einfach zu beantworten:
Gesunde, abwechslungsreiche Ernährung, ausreichend Bewegung, Vernunft
bei Kontakten mit Körperflüssigkeiten.
Et voilà. Mehr ist es nicht.
Die Zukunft.
| Freitag, 25. September 2015 | Seite 8
Vor einer Revolution in der Krebsmedizin:
Wir setzen uns hohe Ziele
Onkologe Alfred Zippelius über den Umgang des Tumorzentrums Basel mit Immuntherapie
Basler Zeitung: Herr Zippelius, seit
wenigen Jahren zeigt sich mehr und
mehr, mit welch erstaunlichen Erfolgen
es gelingen kann, das Immunsystem von
Krebspatienten gegen Tumoren einzuspannen. Für einen Arzt, der Krebs
behandelt und Forschung für Patienten
nützlich machen soll, müssen die Zeiten
gerade ziemlich aufregend sein.
Alfred Zippelius: In der Tat rollt ge-
umliegenden Spitäler vom Universitätsspital profitieren?
Das Universitätsspital Basel hat sich
zum Ziel gesetzt, bei dieser neuen
Entwicklung in der Onkologie ganz
vorne mitzuarbeiten. Dies können wir
nur erreichen, indem wir alle Kompetenzen bündeln. Unmittelbare Schritte umfassen beispielsweise gemeinsame Besprechung von Patienten unter
Immuntherapie sowie den weiteren
Ausbau des Programms zur klinischen
Immuntherapieforschung. Dies soll
nicht nur unseren Patienten in Basel,
sondern auch den Patienten schweizweit zugutekommen. Eine wichtige
Funktion ist dabei die Integration von
Kliniken, die ebenfalls an diesem Angebot teilnehmen möchten, aber unter Umständen derzeit die Ressourcen
nicht zur Verfügung haben.
rade eine Riesenwelle von neuen Medikamenten und Behandlungen auf
uns zu. Die ersten Ergebnisse sind
sehr hoffnungsvoll. Selbst Patienten,
die vielfach mit Chemotherapie vorbehandelt sind, sprechen dauerhaft
an, und das ohne grössere Nebenwirkungen. Dies ist schon eine
Revolution in der Onkologie. Vor
allem wenn man bedenkt, dass wir
seit vielen Jahrzehnten vergeblich
versucht haben, das Immunsystem
zu aktivieren. Nun scheinen wir den
Schlüssel gefunden zu haben.
Novartis und Roche sind ebenfalls stark
in die Entwicklung immuntherapeutischer Krebsbehandlungen engagiert.
Bestehen da Ideen von Kooperation?
«Wir scheinen den
Schlüssel gefunden
zu haben.»
Sie selbst sind forschend auf dem
Gebiet engagiert, Hunderte von klinischen Versuchen sind derzeit weltweit
im Gange, um auszuloten, bei welchen
Krebsarten in welchen Organen Immuntherapie wirkt und wo nicht. Müssen
jetzt alle Krebsbehandlungen neu formuliert werden? Was bedeutet das im
Alltag des Tumorzentrums mit all seinen
auf Organe spezialisierten Kliniken?
Wir haben internationale Behandlungsstandards in der Onkologie, die
wir in den letzten Jahrzehnten aufgebaut haben. Sie haben natürlich weiterhin Bestand und bleiben die Eckpfeiler in der Behandlung von Krebspatienten. Allerdings werden die
sogenannten «Standard-Therapien»
auch in der Zukunft in klinischen Studien mit neuen Medikamenten, auch
der Immuntherapie, verglichen. Wie
sich nun schon mehrfach – zum Beispiel beim Haut-, dem Lungen- und
dem Nierenkrebs – gezeigt hat, ist die
Immuntherapie dem «alten» Standard
überlegen und wird nun diesen aus
der Behandlung verdrängen.
Die enge Zusammenarbeit zwischen
den auf Organe spezialisierten Kliniken ist essenziell, um das optimale Behandlungsergebnis für unsere Patien-
Alle Kräfte bündeln.«Wir haben am Universitätsspital Basel ein Kompetenzzentrum Immuntherapie gegründet.» Foto Dominik Plüss
ten zu erzielen. Es muss ein intensiver
Austausch stattfinden und wir müssen die Behandlungsmöglichkeiten
optimal für den einzelnen Patienten
abstimmen. Dies ist am Universitätsspital Basel durch das Tumorzentrum
in idealer Weise gegeben.
Grosse Zentren verfügen über grosse
Wissensquellen und Fachleute. Das
macht sie auch attraktiv für klinische
Studien und das wiederum interessiert
die Patienten. Was braucht es dafür?
Sind in Basel alle Möglichkeiten voll
ausgeschöpft?
Jeglicher Fortschritt in der Onkologie
und alle neuen Behandlungsrichtlinien verdanken wir den grossen klinischen Studien. Dort werden neue Medikamente geprüft, was den Patienten den frühen Zugang ermöglicht.
Wir haben eine lange Tradition in der
Durchführung von klinischen Studien. Dazu haben wir bereits vor
Jahren ein entsprechendes Zentrum
gegründet, welches ständig ausgebaut wurde. Wir bieten etliche Studien für viele verschiedene Tumorerkrankungen an. Diese reichen von
medikamentösen Behandlungen bis
hin zur Schmerztherapie und anderen Begleittherapien wie Psychoonkologie oder Sporttherapie.
«Wir wollen vorne
mithalten und alle
Kompetenzen
bündeln.»
Ausserordentliche Entwicklungen verlangen ausserordentliche Massnahmen.
Wie organisiert sich das Tumorzentrum, um in diesen Gebieten vorne
mitzuhalten?
Die Zeit der Immuntherapie hat gerade begonnen. Es folgen nun viele Herausforderungen. Einerseits klinisch,
Tumorzentrum:
Gemeinsam
mehr Chancen.
um unseren Patienten die optimale
Behandlung zu bieten. Dazu brauchen wir die besten Medikamente
und müssen Sorge tragen, dass wir
auch neue Nebenwirkungen in der
Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen wie der Endokrinologie oder
Dermatologie rasch und kompetent
behandeln. Andererseits müssen wir
die Behandlung noch besser machen.
Dies gelingt nur durch herausragende
Forschung. Da haben wir am Universitätsspital eine lange und grosse Tradition. Wir haben gerade ein Kompetenznetzwerk Immuntherapien gegründet, in dem wir alle Kräfte aus
den verschiedenen Abteilungen bündeln wollen, um dies zu erreichen.
Gemeinsam ist man stärker. Das Universitätsspital Basel ist verschiedene
Allianzen eingegangen. Wie steht es
auf dem Gebiet der Immuntherapie,
wird auch da eine spitalübergreifende
Struktur geschaffen und können die
Wir haben etliche Kooperationen mit
der Industrie. Dies ist von grossem gegenseitigem Interesse. Es erlaubt uns,
neue Medikamente sehr rasch einzusetzen und auch im Labor zu testen. So
können wir deren Wirksamkeit sehr
früh abzuschätzen und die Umstände
definieren, unter denen die Patienten
noch mehr von diesen profitieren.
Kann man jetzt darauf hoffen, dass
Krebs zu einer Krankheit wird, die man
allenfalls lebenslang behandeln muss,
an der man aber nicht mehr stirbt?
In der Geschichte der Krebsbehandlung ist es zu Höhepunkten, aber
auch vielen Enttäuschungen gekommen. Immerhin hat die Krebsmedizin
in den letzten Jahrzehnten grosse
Fortschritte gemacht. Etwa durch völlig neue Medikamente, Fortschritte in
der Radiotherapie und Bildgebung
sowie einer dramatisch verbesserten
Diagnostik. Nun sieht es sieht so aus,
als ob uns mit der Immuntherapie
eine weitere starke Waffe in die Hand
gegeben wird. Allerdings muss man
auch sehen, dass zur Zeit nicht alle
Patientinnen und Patienten profitieren. Das rasch zu verbessern und das
ganze Potenzial auszunützen, ist eine
Aufgabe, der wir mit anderen Zentren
der Welt hohe Priorität einräumen.
Wir setzen uns hohe Ziele. Ob wir sie
alle erreichen, wird die Zukunft zeigen. An uns soll es nicht fehlen.
Die Fragen stellte Martin Hicklin
Das Tumorzentrum Universitätsspital Basel bietet Krebspatientinnen und -patienten ein umfassendes Angebot
für die Behandlung und Nachsorge ihrer Erkrankung –
auf höchstem Niveau und nach neuestem Stand der
Forschung. unispital-basel.ch/tumorzentrum
Die elf Organtumorzentren
Bauchtumorzentrum
Brustzentrum
Gynäkologisches Tumorzentrum
Hirntumorzentrum
Lungenzentrum
Urologisches Tumorzentrum
Zentrum für Hämato-Onkologie
Zentrum für Hauttumore
Zentrum für Knochen- und
Weichteiltumore
Zentrum für Kopf-, Hals- und
Augentumore
Zentrum für Neuroendokrine und
Endokrine Tumore
USB_Ambassador-Box_ 290.5x145.indd 1
Universitätsspital Basel
Tumorzentrum
Barbara Kunz, Sekretariat
Tel.: +41 61 265 39 00
Fax: +41 61 265 39 95
[email protected]
23.09.15 12:11
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