Pflegeleitlinie Mundpflege in der letzten Lebensphase Mundpflege in der letzen Lebensphase Vorbemerkungen, begleitende Gedanken Der Mund ist ein zentrales Sinnesorgan des Menschen. Er ermöglicht uns die Kommunikation über Sprache, die Kommunikation über Berührung (z.B. Küssen), er dient zur Nahrungsaufnahme und steigert dadurch wesentlich unser tägliches Wohlbefinden und unsere Lebensqualität. Der Mund gehört zu den wahrnehmungsstärksten Zonen unseres Körpers. Im Vergleich zum Rücken findet man im Mund-Nasendreieck mehr als die 100fache Anzahl von Tastkörperchen. Leitgedanken im Umgang mit der Mundpflege in der letzten Lebensphase Der Patient Viele Patienten haben im Verlauf ihrer Erkrankung unterschiedliche Erfahrungen mit der Wahrung bzw. „Nicht-Wahrung“ von persönlicher Intimität gemacht. Sie haben erlebt, dass therapeutische oder pflegerische Maßnahmen in Intimzonen ausschließlich unter dem Aspekt der Notwendigkeit verrichtet wurden oder werden mussten. In Chemotherapiephasen ist oftmals die Mundschleimhaut durch Soor oder andere Begleiterkrankungen schmerzhaft verändert und mit nicht wohlschmeckenden Arzneimitteln behandelt worden. Dies sind für den Patienten meist negativ prägende Erfahrungen, die Einfluss auf sein Verhalten haben. Mit zunehmender Schwäche oder anderen Problemen, insbesondere in der Sterbephase, wird der Patient abhängiger und immer mehr auf Hilfe und Unterstützung von außen angewiesen. Er ist nun zunehmend darauf angewiesen, seine Bedürfnisse non-verbal verständlich machen zu können. Auch „Mundpflege, die an ihm geschieht“ kann dann nur noch durch das Gefühl, das sie auslöst, wahrgenommen und verarbeitet werden. Gerade im sensiblen Mundbereich wird dies bedeutsam. Die bereits gemachten Erfahrungen mit Mundpflege oder ungewollter intimer Berührung sind oft ursächlich mitverantwortlich für Unsicherheiten und Ängste, die im Ergebnis möglicherweise zur Verweigerung von Mundpflege führen. Gleichzeitig tritt z.B. durch vermehrte Mundatmung und andere Faktoren Mundtrockenheit auf, die quälend sein kann. Sensibilität, Einfühlungsvermögen, gute Beobachtung und Biographiearbeit mit Hilfe der Angehörigen sind nun Parameter, auf die der Patient angewiesen ist und durch die er im Rahmen der Mundpflege Sicherheit erfahren kann. Die Angehörigen Für Angehörige wird die Mundpflege in der Sterbephase zu einer besonderen Herausforderung. Sie können dem Patienten damit „Gutes tun“ und aktiv sein. Sie haben die Möglichkeit, durch das Wissen um die persönlichen Vorlieben und zusätzlich erworbenen Kenntnisse zu seinem Wohlbefinden beizutragen. Andererseits gibt es bei Angehörigen die Unsicherheit und Scheu, in die Intimsphäre ihres geliebten Menschen einzudringen und die Angst, etwas falsch zu machen. Manchmal möchten sie dies lieber „Profis“ überlassen. Auf keinen Fall möchten sie dem Patienten zusätzliche Schmerzen, Beschwerden oder Unannehmlichkeiten zufügen, die aber im Rahmen der Mundpflege gelegentlich auftreten können. Mit der Übernahme oder Hilfestellung bei der Mundpflege vollziehen und erleben viele Angehörige auch einen deutlichen Rollenwechsel in der Beziehung. Die Hilflosigkeit © DGP Sektion Pflege Stand 10/2004 Pflegeleitlinie Mundpflege in der letzten Lebensphase des Partners verändert ihre eigene Position. Sie pflegen nun den Menschen, zu dem sie früher eine partnerschaftliche Beziehung hatten. Oft wird ihnen durch das Durchführen der Mundpflege die maximale Abhängigkeit klar, in der sich der Sterbende befindet, andererseits auch die damit verbundene große Verantwortung. Die Pflegenden Mundpflege ist ein zentrales Thema. Die saubere und feuchte Mundschleimhaut wird oft als Pflegeziel mit hoher Pflegequalität gewertet. In der Komplexität der Erkrankung und der Präsenz weiterer belastender Symptome ist dieses Ziel meist nicht für den Patienten erreichbar. Mit primärer Sicht auf die Behandlung pflegerelevanter Symptome im Mund wird aber häufig vergessen, dass er zu den Intimzonen des Menschen gehört und insbesondere bei Verweigerung ein behutsames und einfühlendes Vorgehen notwendig ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Anwendung von Mundpflegemitteln häufig mehr durch persönliche Erfahrungen und Vorlieben als durch Kenntnisse über Wirkmechanismen der Mundpflegemittel bestimmt ist. Um eine bedürfnisorientierte Pflege durchführen zu können, ist es notwendig, zwischen pflegerisch indiziertem Vorgehen und Wahrung der individuellen Bedürfnisse ein Ziel für den Patienten zu definieren. In diesem Spannungsfeld das angemessene Maß von Handeln und Unterlassen zu finden, ist eine immer wieder neu und kritisch zu reflektierende Herausforderung. Ziele in Bezug auf Mundpflege Der Patient • fühlt sich sicher und lässt die Mundpflege freiwillig durchführen • verbindet mit der Mundpflege ein angenehmes Gefühl • fühlt sich mit seinen Problemen bzgl. Mundpflege wahr- und ernst genommen • behält die autonome Entscheidungsfreiheit über den Intimbereich Mund Die Angehörigen • lernen, die Mundpflege durchzuführen, wenn dies von ihnen und dem Patienten gewünscht ist. • werden in ihren Möglichkeiten unterstützt und ermutigt, ihre Grenzen auszudrücken und ihre eigenen Gefühle zu reflektieren • lernen, sich mit der veränderten Rolle auseinander zusetzen • erkennen den Wert, den sie durch ihr Handeln zur Lebensqualität des Patienten beitragen Die Pflegenden • erkennen, dass sowohl eine unreine Mundschleimhaut als auch das Symptom der Mundtrockenheit die Lebensqualität des Betroffenen deutlich reduzieren können • formulieren in der Pflegeplanung deutlich und individuell die Ziele, Ressourcen und Maßnahmen bei der Mundpflege • kennen die möglichen Ursachen der Mundtrockenheit • kennen die Folgen von Mundtrockenheit • kennen Behandlungsmöglichkeiten von Mundtrockenheit © DGP Sektion Pflege Stand 10/2004 Pflegeleitlinie Mundpflege in der letzten Lebensphase • integrieren die Bedürfnisse und Wünsche des Patienten, und versuchen, die Angehörigen anzuleiten • erspüren die Sensibilität und Vielfältigkeit des Organes Mund • wissen, dass der Mund zu den Intimzonen des Menschen gehört und somit ein einfühlsamer Umgang bei der Durchführung der Mundpflege wichtig ist • reflektieren eigene Gefühle (z.B. Ekel) im Zusammenhang mit der Mundpflege • wissen, dass aus dem Wert der Mundpflege im pflegerischen Selbstverständnis und den Bedürfnissen des Patienten Spannungen im Pflegeteam entstehen können. Sie kommunizieren die Pflegeplanung für die Mundpflege ausreichend im Team. Erkrankungen des Mund und Rachenraumes 1. 2. 3. 4. 5. Mundtrockenheit Mundgeruch Schmerzhafter Mund Soorinfektionen Borkenbildung und Aphten Allgemeine Anamnese 1. Erfragen der persönlichen Gewohnheiten bei der Mundhygiene 2. Erfragen von Abneigungen gegen Mundpflegemittel (herkömmliche, sowie auch Tees) 3. Inspektion der Mundhöhle y Gaumen, Wangen, Zunge, Lippen y Erkennen bereits bestehender Defekte 1. Maßnahmen zur Mundtrockenheit Ursachen von Mundtrockenheit • verminderte Sekretion von Speichel • Mundschleimhauterkrankungen • Starke Verdunstung von Speichel • Tumorbedingt • Medikamente (Opioide, Antidepressiva, Anticholinergika etc.) • Dehydratation Auswahl pflegerischer Maßnahmen Anregung des Speichelflusses • Zitronenöl über eine Aromalampe • Saure Drops/Zitronendrops • Gefrorene Ananas in den Mund geben • saure Tees z.B. Hagebutte, Malve Regelmäßige Mundbefeuchtung • Mundspülen oder Auswischen des Mundes mit Hagebuttentee, Wasser oder Mineralwasser • Sprühen von Flüssigkeiten mit Hilfe eines Zerstäubers z.B. kalte Getränke (Orangensaft, Apfelsaft, Cola, Bier, Sekt), je nach Vorlieben • Befeuchten der Raumluft © DGP Sektion Pflege Stand 10/2004 Pflegeleitlinie Mundpflege in der letzten Lebensphase 2. Maßnahmen zu Mundgeruch Ursachen von Mundgeruch • Tumorzerfall im Mundrachenraum • Absonderung von Tumorsekret • Infektionen(bakterielle und fungizide) • Blutungen • Soorinfektion • Erbrechen • Mangelnde Mundhygiene Auswahl medizinisch-pflegerischer Maßnahmen: • Regelmäßige Zahnhygiene • Mundspülungen mit Tees (s. Anhang) • Mundspülung mit Palliativ-Mundpflegelösung: ⇒ Zusammensetzung der Lösung: Propylenglycol.......... 15,0ml Bepanthen Lösung ... 20,0ml Salviathymol............... 4,0ml Eukamillat .................. 2,0ml Aqua dest. ad. ........ 100,0ml • Mundspülungen mit Antibiotika Lösung z.B. Metronidazol (Clont) • Chlorophyll Dragees • Medikamentöse Behandlung von Soor (vgl. Soor) 3. Maßnahmen zu Schmerzhaftem Mund Ursachen von Schmerzhaftem Mund • Entzündliche Prozesse (z.B. Candida albicans) • Tumorwachstum im Mund – Rachenbereich • Bläschen und Aphtenbildung • Mukositis Auswahl medizinisch- pflegerischer Maßnahmen • Applikation von Lokalanästhetika (z.B. Mundisal Gel) • Anästhesierende Lutschtabletten > Xylocain Gel→ und Spray > Dynexan Gel (enthält keinen Alkohol) > Subcutin Lsg. > Benzocain > Alternativ: Solcoseryl Paste • Rezept Reisschleim zur Behandlung schmerzhafter Prozesse in Rachen und Speiseröhre > 30 ml Xylocain 4 % (Lokalanesthetikum) > 8 mg Fortecortin (Cortison) > 300 ml Reisschleim (aus Milch und Reisflocken) © DGP Sektion Pflege Stand 10/2004 Pflegeleitlinie Mundpflege in der letzten Lebensphase 4. Maßnahmen zur Soorinfektion Ursachen einer Soorinfektion • Störung des Immunsystems • Tumorerkrankung oder andere systemische Erkrankungen • Antibiotika, Kortikoid-, oder Zytostatikatherapie • Lokale Radiatio • Eingeschränkte Mundhygiene Auswahl medizinisch-pflegerischer Maßnahmen • Nystatin oder Ampho Moronal in die Mundhöhle über einen Zeitraum von einer Woche applizieren. • Mundspülung mit Betaisodona Lsg. • Mundspülung mit Salbeitee Bei systemischem Befall Fluconazol (Dilfucan), Ketoconazol (Nizoral) 5. Maßnahmen zu Borken und Belägen: Ursachen von Borkenbildung • fehlende Kautätigkeit, kein Abrieb • eingeschränkte Mundhygiene • Mundtrockenheit • Mundatmung (offener Mund) Auswahl pflegerischer Maßnahmen • Sahne auf die Zunge legen und mit Mundpflegetupfer vorsichtig abreiben • Bepanthen Lösung • Mandelöl • mit Brausepulver Zunge, Wangentaschen und Gaumen benetzen Literatur • BAUSEWEIN C et al: Leitfaden Palliativmedizin. 2. Aufl., München, Jena 2004 • BIENSTEIN C, FRÖHLICH A: Basale Stimulation in der Pflege. Düsseldorf 1991 • KELLNHAUSER E et al. (Hrsg.): Pflege. 9.völlig neu bearbeitete Aufl., Stuttgart 2000 • KERN M, NAUCK F: Patientenzentrierte Pflege und Aufgaben der Symptombehandlung. In: Aulbert E, Zech D (Hrsg.): Lehrbuch der Palliativmedizin. Stuttgart 1997 • KERN M: Palliativpflege – Richtlinien und Standards. Bonn 2000 • HUSEBØ S, KLASCHIK E: Palliativmedizin. 3. Aufl., Berlin 2003 • TWYCROSS R: Symptom Management in advanced cancer. Oxford, New York 1995 © DGP Sektion Pflege Stand 10/2004 Pflegeleitlinie Mundpflege in der letzten Lebensphase Anhang Auswahl von Tees zur therapeutischen Mundpflege Kamille 1-2 Teelöffel mit 150 ml heißem Wasser übergießen, 10 Minuten ziehen lassen und absieben. Wirkt entzündungshemmend, antibakteriell, beruhigend und schmerzlindernd. Anwendung: bei Entzündungen des Zahnfleisches und der Schleimhaut im Mund- und Rachenraum. Salbei 1½ Teelöffel geschnittene Blätter mit 150 ml kochendem Wasser übergießen, 3 Minuten ziehen lassen und absieben. Wirkt antibakteriell, fungistatisch, virostatisch, adstringierend, austrocknend durch Gerbstoffe. Anwendung: bei Entzündungen im Mund- und Rachenraum, bei Stomatitis und Gingivitis, bei Tumorwachstum oder Tumorzerfall im Mund- und Rachenraum. Thymian 1-1½ Teelöffel Thymian mit kochendem Wasser übergießen, 10 Minuten ziehen lassen und absieben. Wirkt durchblutungsfördernd, antibakteriell, fungizid, desodorierend. Anwendung: bei Entzündung des Mund- und Rachenraumes, Prophylaxe und unterstützende Behandlung bei Soor und Mundgeruch. Ringelblumentee 1 Teelöffel Blüten auf 150 ml Wasser, Aufguß 5- 10 Minuten ziehen lassen und absieben. Wirkt desinfiziered, adstringierend, abwehrsteigernd. Anwendung: bei Entzündungen des Mund- und Rachenraumes. Malventee 2-3 Beutel auf 250 ml Wasser. Anwendung: bei Entzündungen des Mund- und Rachenraumes. Diese Mundpflegemittel sind nach therapeutischen Wirkungen aufgeführt und sollten immer nach sorgfältiger Indikationsstellung angewendet werden. © DGP Sektion Pflege Stand 10/2004