stadtmuseum stu tt g a r t museumsund ausstellungs­ konzeption stand juli 2013 museums­konzeption juli 2013 Stadtmuseum Stuttgart Museums- und Ausstellungskonzeption (Juli 2013) Inhaltsverzeichnis 1. 2. 3. 4. 5. Ziele und Leitbild des Stadtmuseums Architektur und Gestaltung Museumsbereiche und –angebote im Überblick Planungsgrundlagen Die ständige Ausstellung »Stuttgarter Stadtgeschichte(n)« (Arbeitstitel) 2 4 5 6 9 Prolog (Erdgeschoss/Zwischengeschoss) Hausgeschichte des Wilhelmspalais »Gesichter der Stadt« »Wie wird man Stuttgarter/in?« »Mein Stuttgart« 9 9 9 9 10 Stuttgarter Stadtgeschichte(n) Die Ausstellungsfläche im 1. OG im Überblick »Das Stadtmodell der Gegenwart« »Stadtgespräche« Vertiefungen »Stadtchronik« Die »Jahrhundert-Räume« 11 12 13 14 15 16 16 6. Sonderausstellungen 18 7. Das »Stadtlabor« 19 2 museums­konzeption juli 2013 1. Ziele und Leitbild des Stadtmuseums Das Stadtmuseum will Wissen über die Stadt vermitteln und eine kritische Auseinandersetzung mit der städtischen Identität anregen. Es soll als modern gestaltetes Haus mit attraktiven Angeboten für verschiedene Zielgruppen konzipiert werden und die Vielfalt der Stadt erlebbar machen. Das Stadtmuseum versteht sich als offenes und einladendes Forum für den Diskurs über die Geschichte, Gegenwart und Zukunft Stuttgarts. Die Einbeziehung der Besucher und Nutzer in die Aktivitäten des Hauses und eine aktive Vermittlungsarbeit sind integrale Bestandteile des Konzeptes. Die Beteiligung des zukünftigen Publikums ist Bestandteil der Planung. Das Stadtmuseum soll ein einladender öffentlicher Raum mit hoher Aufenthaltsqualität sein und will für ein möglichst breites Publikum attraktiv sein – auch für die Einwohner der Stadt, die zugezogen und eingewandert sind und insbesondere für Kinder und Jugendliche. Leitbild Ausgangspunkte Städte sind in ständigem Wandel: Kreativität, Innovation und Migration zeichnen sie heute als Motor gesellschaftlicher Entwicklung aus. Stuttgart erlebte in seiner jüngeren Geschichte ein ungebrochenes wirtschaftliches Wachstum, eine grundlegende Neugestaltung nach dem 2. Weltkrieg und die Entwicklung zu einer international geprägten Gesellschaft. Mit »Stuttgart 21« und der Fortsetzung der Innenstadtmodernisierung wird sich die Stadt weiter verändern. Dies sind Ausgangspunkte für die Arbeit des Stadtmuseums. Eine Annäherung an Gegenwart, Geschichte und Zukunft Das Stadtmuseum will die Stuttgarterinnen und Stuttgarter und ihre Gäste neugierig machen auf die Stadt, es will sie mit Stadtgeschichten überraschen, unterhalten und kritisch herausfordern. Aktuelle Themen und Fragestellungen dienen als Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung mit den Geschichten der Stadt und ihrer Bewohner. Die kritische Auseinandersetzung mit der eigenen städtischen Identität ist ebenso ein Ziel des Museums wie die Stärkung der Identifikation mit der Stadt. Stuttgart war und ist eine Stadt, die sich auf die Zukunft ausrichtet. Das Stadtmuseum steht in dieser Tradition und lädt die Stuttgarterinnen und Stuttgarter ein, die Entwicklung der Stadt kennen zu lernen, um ihre Gegenwart perspektivenreicher zu beurteilen und ihre Zukunft informierter gestalten zu können. Das Stadtmuseum ist ein kulturelles Gedächtnis der Stadt, dessen besondere Aufgabe es ist, materielle und immaterielle Kulturgüter zu sammeln, zu bewahren, zu erforschen, in Ausstellungen zu präsentieren und zu vermitteln. 3 museums­konzeption juli 2013 Die Ausstellungen und Veranstaltungen des Stadtmuseums verstehen sich als Annäherung an das Phänomen »Stuttgart« und die damit verbundenen individuellen Lebenserfahrungen der Stuttgarterinnen und Stuttgarter in Gegenwart und Vergangenheit. Die Innovationskraft der Stadt und ihrer Bewohner, die sich in technischen, aber ebenso in sozialen und kulturellen Entwicklungen zeigt, ist dabei ein Leitmotiv der Erkundung. Menschen im Mittelpunkt Das Stadtmuseum stellt die Menschen – als Besucher ebenso wie als Akteure in Vergangenheit und Gegenwart – in den Mittelpunkt seiner Arbeit. Die Lebenserfahrungen von Stuttgarterinnen und Stuttgartern und ihre vielfältigen Geschichten stehen im Zentrum des Museums. Das Museum ist sich bei der Wahl seiner Themen und Präsentationen seines pluralistischen Publikums bewusst, denn es will als kommunale Einrichtung eine möglichst breite Öffentlichkeit ansprechen. Kinder und Jugendliche mit verschiedenen sozialen und kulturellen Hintergründen sind eine besonders wichtige Zielgruppe des Museums. Das Stadtmuseum Stuttgart hat einen Kultur- und Bildungsauftrag, den die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums als gesellschaftlichen Grundwert und als Beitrag zur sozialen Qualität der Stadt verstehen. Besucherorientierung ist ein Grundsatz des Stadtmuseums: Inhalte werden lebendig präsentiert, komplexe Zusammenhänge verständlich erklärt. Besondere Vorkenntnisse sind für das Verständnis und Erleben der Ausstellungen nicht nötig. Alle Ausstellungen und Aktivitäten werden im Zusammenspiel von Wissenschaft und Pädagogik entwickelt. Die Besucherinnen und Besucher des Stadtmuseums sollen sich willkommen und wohl fühlen. Das Stadtmuseum ist ein öffentlicher städtischer Raum – Besucherservice und Besuchskomfort sind ein integraler Bestandteil der Konzeption. Barrierefreiheit ist ein Gebot. Über Grenzen hinweg Stuttgart ist eine internationale Stadt und das Stadtmuseum lädt zur Entdeckung des bekannten und des unbekannten Stuttgart ein. Dabei gilt: Was die eine kennt, ist dem anderen unbekannt. Das Stadtmuseum will seinem Publikum einen transkulturellen Blick ermöglichen – über die Grenzen von Generationen, Nationalitäten und Stadtteilen hinweg; ein Blick auf das, was entstehen kann, wenn Menschen mit unterschiedlichen Lebenserfahrungen zusammenkommen. Im Fokus steht, was alle verbindet: Stuttgart als Stadt, als Wohnort, als Heimat. 4 museums­konzeption juli 2013 Durchlässigkeit als Prinzip Die Stadt ist Gegenstand des Museums und das Museum ist Teil der Stadt. Das Stadtmuseum geht mit seinen Angeboten in den Stadtraum und es sucht aktiv die Kooperation mit unterschiedlichen Partnern in Stuttgart. Das Stadtmuseum will das vielfältige kulturelle Angebot der Stadt sinnvoll ergänzen. Dies gilt insbesondere für die Zusammenarbeit mit den Geschichts- und Heimatinitiativen in den Stadtteilen. Flexibilität als Konstante Das Museum will mit seinen Angeboten so flexibel wie möglich auf aktuelle Entwicklungen in der Stadt reagieren können. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Museums sind offen für neue Entwicklungen und die Einrichtung ermöglicht eine wandlungsfähige Präsentation. Grundlagen der Museumsarbeit Das Stadtmuseum Stuttgart entwickelt seine Planung und den zukünftigen Betrieb im Rahmen eines Qualitätsmanagementsystems, das auf den Richtlinien und Werten der nationalen und internationalen Fachverbände Deutscher Museumsbund (DMB) und International Council of Museums (ICOM) basiert. Das Leitbild wurde vom Gemeinderat mit GRDrs 617/2008 im Oktober 2008 als Grundlage des Architekturwettbewerbs verabschiedet. 5 museums­konzeption juli 2013 2. Architektur und Gestaltung Offenheit, Besucherorientierung und leichte Zugänglichkeit, aktive Vermittlung und Flexibilität liegen der Museumskonzeption zugrunde. Mit dem Entwurf der Arbeitsgemeinschaft Lederer – Ragnarsdóttir – Oie und Jangled Nerves, die im Februar 2010 als erste Preisträger aus dem europaweit ausgeschriebenen Wettbewerb hervorging, wird dieses Konzept in eine flexibel nutzbare Architektur umgesetzt. Offen, hell und großzügig, so empfängt das Foyer im völlig neu gestalteten Innenraum des Wilhelmspalais die Besucher. Fließende Raumübergänge und spannende Blickachsen sind ein Kennzeichen des Entwurfs. Mit der Umwandlung des Wilhelmspalais in ein Stadtmuseum ergibt sich die einmalige Gelegenheit, das Gebäude wieder in das historische und städtebauliche Umfeld einzubinden. Der architektonische Entwurf nimmt den ursprünglichen Stadtgrundriss mit der Planie als zentraler Achse auf und rückt das Wilhelmspalais wieder in das Stadtgefüge. Kunstmuseum und Stadtmuseum werden über diese Achse verbunden, die im Wilhelmspalais selbst fortgesetzt wird. Die historische Fassade bleibt erhalten, zur Konrad-Adenauer-Straße hin erschließt eine große Treppenanlage das Gebäude, zur Urbanstrasse ist ein Museumsgarten geplant. Das Erscheinungsbild entwickelte L2M3 Kommunikationsdesign Stuttgart. Renderings © Lederer – Ragnarsdottir Oei und Jangled Nerves / renderstüble 6 museums­konzeption juli 2013 3. Museumsbereiche und –angebote im Überblick Im Erdgeschoss mit dem offen gestalteten Foyer befinden sich Kasse, Information und Shop, Garderoben und Toiletten sind im Zwischengeschoss. Ein Sonderausstellungsbereich (130m²) bietet Raum für aktuelle Themen und Anlässe und Ausstellungen des Stadtlabors, der Veranstaltungssaal mit 150 Plätzen ist Ort für Diskussionen und Rahmenprogramm. Foyer und Saal können für Anlässe mit max. 350 Gästen gemietet werden. Die ständige Ausstellung »Stuttgarter Stadtgeschichte(n)« ist das Zentrum des Museums auf rund 900m² im 1. OG. Die Ausstellung beginnt in der Gegenwart – was denken Stuttgarterinnen und Stuttgarter über die Stadt, was sagen andere? Im Zentrum der Ausstellung zeigt ein großes medial bespieltes Modell der heutigen Stuttgarter Gemarkung die besondere Topographie Stuttgarts und alle Stadtteile auf einen Blick. In »Stadtgesprächen« rund um das Modell kann der Besucher besonders wichtige Ereignisse und Entwicklungen der Stadtgeschichte entdecken. Hier geht es um den Gründungsmythos des Stutengartens und die Rolle des Weinanbaus aber auch um die Diskussion von Abriss und Erhalt des Kronprinzenpalais nach 1945, die Bedeutung des HipHop für die Stadt und natürlich um Stuttgart 21. In den angrenzenden »Jahrhunderträumen« erzählen Biographien, Objekte, Dokumente, Bilder, Fotos und Filme in einer narrativen Chronologie die Stadtgeschichte ab der Mitte des 18. Jahrhunderts. Der Weg von der kleinen Residenz zur industrialisierten Großstadt steht im Mittelpunkt des 19. Jahrhunderts, die Anfänge der Demokratie, die NS-Zeit, die folgende Zerstörung und der Wiederaufbau der Stadt im 20. Jahrhundert zu einer von Migration geprägten Großstadt. Die wechselvolle Geschichte des Wilhelmspalais wird in einem eigenen Ausstellungsbereich gezeigt. Ein begleitender Mediaguide mit Public App dient zur Vertiefung, aber auch für Kommentare und als Verbindung in die Stadt selbst. Das Café mit Zugang zur Terrasse schließt sich in der Belle Etage an die Ausstellung an. Sonderausstellungen ergänzen die ständige Ausstellung auf 500m² im 2. Obergeschoss. Hier werden zweimal im Jahr Ausstellungen zu besonderen Aspekten der Stadtgeschichte und zu den Themenbereichen Architektur, Design und Urbanität gezeigt. 7 museums­konzeption juli 2013 Im Gartengeschoss wird mit dem Stadtlabor ein eigener Bereich für Kinder und Jugendliche gestaltet. Im Stadtlabor lernen junge Stuttgarterinnen und Stuttgarter Grundlagen von Architektur und Stadtplanung kennen – und können ihre Stadt der Zukunft planen. Denn Stuttgart ist eine Stadt der Architekten und Stadtplanung ist ein zentrales Thema der Stadt. Seit 2011 gibt es das »Stadtlabor« als Teil des Stadtmuseums schon vorab in der Kriegsbergstrasse 30. Das Team des Stadtmuseums bietet für Schulklassen und Gruppen Seminare, Workshops und Exkursionen in und über die Stadt www.stadtlabor-stuttgart.de. Das Stadtmuseum hat seinen zentralen Standort am Wilhelmspalais, geht aber in seiner Vermittlungskonzeption über das Museum hinaus und will Kinder und Jugendliche auch in ihren Schulen und Stadtteilen erreichen. Mit »Stadtmuseum unterwegs« existiert dieses Angebot seit Februar 2010 in Form von Taschen und Rucksäcken für Grundschulen und Sekundarstufe I. »Stadtmuseum unterwegs« mit Rucksäcken und Kuriertaschen 8 museums­konzeption juli 2013 4. Planungsgrundlagen Sammlung Das Stadtmuseum verfolgt im Aufbau eine aktive Sammlungsstrategie. Seit Arbeitsbeginn des Planungsstabes 2007 wird die anfangs rund 10 000 Objekte zählende historische Sammlung wissenschaftlich aufgearbeitet, inventarisiert und restauratorisch betreut. Das Stadtmuseum sammelt aktiv und gegenwartsbezogen Objekte mit ausgewiesenem Stuttgart-Bezug. Zur Qualitätssicherung wurden Sammlungsgrundsätze und -kriterien festgelegt. Der jährliche Zuwachs an Schenkungen und Ankäufen liegt bei rund 600 Objekten. Seit 2011 können die gesammelten Stücke in neuen klimatisierten Magazinräumen fachgerecht deponiert werden. Stutenbecher der Stadt Stuttgart, 1659 (Inv.-Nr. S 841) Kamera »Nagel 74« August Nagel, 1928 (Inv.-Nr. 5110) Rollschuhe »Polar Nr. 93«, 1954 (Inv.-Nr. 4324) Zielgruppen und erwartetes Publikumsprofil Das Stadtmuseum will und muss unterschiedlichste Zielgruppen ansprechen – nicht nur die regelmäßigen Museumsgänger, sondern auch diejenigen Bevölkerungsgruppen, die Geschichtsmuseen eher selten frequentieren. Familien, Kinder und Jugendliche sind zentrale Zielgruppen. Auch Stuttgarterinnen und Stuttgarter mit einem sogenannten Migrationshintergrund – rund 40% der Bevölkerung – sollen sich vom Stadtmuseum angesprochen fühlen. Die Gestaltung der Angebote berücksichtigt Einzelpersonen und Kleingruppen, Schulklassen und Erwachsenengruppen. Vermittlungsprinzipien Menschen stehen im Mittelpunkt des Museums – inhaltlich als Handelnde im Sinne der historischen Stadtentwicklung und als Besucher, die heute und zukünftig die Stadt gestalten. Das Stadtmuseum ist einerseits ein Ort, der Wissen über die Stadt vermittelt. Gleichzeitig will das Museum die Stuttgarter einladen, die Stadt zu diskutieren und gemeinsam an ihr zu arbeiten. Analog den Mechanismen des Web 2.0 sollen Besucher real und virtuell Inhalte des Museums kommentieren und generieren können. Dies gilt sowohl für die ständige Ausstellung als auch für das Stadtlabor. 9 museums­konzeption juli 2013 Partizipation ist schon jetzt ein Planungselement des Museums: Gemeinsam mit Schulen wurde das Projekt »Stadtmuseum unterwegs« erarbeitet, mit Migrantenkulturvereinen und vielen Einzelpersonen wurden Recherchen zur Migrationsgeschichte und die Ausstellung »Merhaba Stuttgart« erstellt, mit vielen interessierten Cannstattern die Ausstellung »Hoffentlich geht der Krieg bald aus – Kindheit 1939-1949«. Gemeinsam mit Mitgliedern der griechischen Gemeinde und der spanischen Community wurde die Ausstellung »Liebe auf den zweiten Blick« zu 50 Jahren anwerbeabkommen mit Griechenland und Spanien 2010 erarbeitet. 2011 wurde die Ausstellung »Merhaba Stuttgart« gemeinsam mit Linden-Museum und Deutsch-Türkischen Forum und zwei Schulklassen entwickelt. Durchlässigkeit und Flexibilität Die Verbindung zwischen Innen und Außen ist ein Grundprinzip des Museums. Die ständige Ausstellung soll offen und zugänglich gestaltet werden. Tageslicht erscheint ein wichtiges Gestaltungsmittel, um die Ausstellung nicht zu »museal« erscheinen zu lassen. Die Stadt soll durch die Fenster des Gebäudes sichtbar bleiben. Auch der Mediaguides, der als Public App konzipiert ist, verbindet Inne und Außen. Offenheit und Durchlässigkeit soll auch organisatorisch zum Ausdruck kommen, insbesondere durch Kooperationen und Aktivitäten außerhalb des Museums. Veranstaltungen und Ausstellungen werden schon jetzt möglichst in Kooperation mit anderen Einrichtungen durchgeführt, u. a. mit der Initiativgruppe Stadtgeschichte, der Jugendhausgesellschaft, dem Linden-Museum und dem Deutsch-Türkischen Forum. Menschen stehen im Mittelpunkt Das Stadtmuseum erzählt die Stadtgeschichte durch die Geschichten der Stuttgarterinnen und Stuttgarter – es ist eine akteursorientierte Erzählung. In allen Bereichen der Ausstellung begegnet der Besucher prominenten und bisher eher unbekannten Akteuren der Geschichte und der Zeitgeschichte sprichwörtlich auf Augenhöhe. Die Akteure werden mit biographischen Daten, Objekten und Geschichten vorgestellt. Ihre Geschichten personalisieren zum einen historische Ereignisse und Entwicklungen und machen die »große Geschichte« so zugänglicher. Es geht aber auch um die ganz persönlichen Geschichten – um die Berichte von Zeitzeugen, aber auch von erinnerter Geschichte durch Kinder und Enkel. Die Besucher haben zusätzlich die Möglichkeit diese Geschichten zu kommentieren oder die eigene (Familien-)Geschichte dem Museum zu erzählen. Stadtgeschichte = Migrationsgeschichte Das Stadtmuseum will die Migrationsgeschichte der Stadt als einen integrierten Teil der Stadtgeschichte erzählen. Stuttgart wurde – ebenso wie andere Städte – schon früh durch Aus- und Einwanderung geprägt, besonders jedoch durch die Einwanderung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Stadtgeschichte soll deshalb mit bewusstem Blick auf die Vielfalt der Stadt erzählt werden. 10 museums­konzeption juli 2013 Vorbereitende Aktivitäten dazu waren 2010 die Ausstellung »Liebe auf den zweiten Blick« zu den deutsch-griechischen und deutsch-spanischen Anwerbeabkommen von 1960 und die Ausstellung »Merhaba Stuttgart« zum deutsch-türkischem Anwerbeabkommen von 1961, die 2011 in Kooperation mit dem Linden-Museum, dem Deutsch-Türkischen Forum und zwei Schulklassen entstand. Darüber hinaus baute das Stadtmuseum im Verbund mit 15 weiteren deutschen Stadtmuseen eine online-Sammlung zur Migrationsgeschichte auf. Das Sammlungsprojekt »Meine Stadt – meine Geschichte« und die Webseite www.migrationsgeschichte.de wurden mit Unterstützung der Robert Bosch Stiftung realisiert. Ein Blick in die Ausstellung »Liebe auf den zweiten Blick« Die Startseite der Internetseite www.migrationsgeschichte.de Mediaguide und Internet Die Webseite und der geplante Mediaguide bilden im virtuellen Raum das zweite Standbein des Stadtmuseums. Die Präsenz im Netz unter www.stadtmuseumstuttgart.de stellt nicht nur die Planung des neuen Museums und die Angebote der bestehenden Häuser vor, sondern lädt schon jetzt zum Mitmachen – online und offline – ein. Da voraussichtlich bereits 2015 der mobile Zugriff auf Informationen die traditionelle Nutzung von Websites überholt haben wird, basiert der Mediaguide auf einer Public App. Diese App können Museumsbesucherinnen und –besucher auf Ihren eigenen Smartphones oder Tablets nutzen, zusätzlich werden im Museum Leihgeräte zur Verfügung gestellt. Mediaguide bzw. App können als Guide und Vertiefungsebene im Museum und darüber hinaus im Stadtraum eingesetzt werden. Sie sind als Kommentarplattform für reale und virtuelle Besucher und verbinden die Museumsinhalte mit der Stadt selbst und umgekehrt. Ziel ist es, die Besucher zu aktiven Teilhabern und Co-Kuratoren zu machen. 11 museums­konzeption juli 2013 Die Stadtmuseums-App soll aus fünf Modulen bestehen: • • • • • useumsinfo und Führung durch das Museum einschließlich KommentarM funktion (editierbar in Verbindung mit bestehenden Social Media) »Mein Stuttgart«: Personalisierte Touren durch Stuttgart auf Basis der Interessen im Museum Community Tours: Von Nutzern erstellte persönliche Touren Interaktives Programm für Schulklassen (nur auf Leihgeräten vor Ort) Tour durch das Museum in mit Gebärdensprachvideo. 5. Die ständige Ausstellung »Stuttgarter Stadtgeschichte(n)« (Arbeitstitel) Prolog (Erdgeschoss/Zwischengeschoss) Hausgeschichte des Wilhelmspalais Das Wilhelmspalais ist ein wichtiger Schauplatz der Stuttgarter Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Die Hausgeschichte wird als Spiegel der Stadtgeschichte thematisiert und wird in einem eigenen Ausstellungsbereich im Erdgeschoss präsentiert. Erbaut wurde das Palais 1840 durch Giovanni Salucci als Wohnsitz der württembergischen Prinzessinnen Marie und Sophie. Bis 1918 diente es König Wilhelm II. von Württemberg als Residenz, hier endet 1918 die württembergische Monarchie. Beinahe wäre es danach »Zeppelinäum« geworden. Unter dem nationalsozialistischen Regime zunächst Sitz des Sicherheitsdienstes wurde das Palais 1936 als »Ehrenmal der Leistungen der Deutschen im Ausland« und »Museum des Volkstums« Teil der rassistischen Propaganda. 1944 wurde es im Luftkrieg bis auf die Außenmauern zerstört. Bevor es 1965 als Bücherei neu eröffnet wurde, stand es – wie viele Gebäude in der Stadt – als Ruine. Der Wiederaufbau durch Wilhelm Tiedje und Herta-Maria Witzemann organisierte das Gebäude als Bücherei in der Formensprache der 1960er Jahre völlig neu. Mit dem Umbau zum Stadtmuseum wird architektonisch ein neues Kapitel der Hausgeschichte aufgeschlagen. »Gesichter der Stadt« Es gibt viele verschiedene Sichtweisen und Meinungen zu Stuttgart. Anhand von Portraits und persönlichen Mental Maps werden Fragen und Themen der städtischen Gegenwart, Selbst- und Fremdbilder (z.B. aus Partnerstädten), Liebgewonnenes, Vorurteile und Klischees sichtbar und hörbar. Die Stadt ist so vielfältig wie ihre Bewohner, sie ändert sich ständig. Und im Stadtmuseum werden aktuelle Fragen verhandelt – es lebt durch die Beteiligung der Stuttgarter. 12 museums­konzeption juli 2013 13 Eine Installation im Luftraum des Foyers begrüßt die Besucher mit Portraits von Stuttgartern, sie ist die optische Verbindung zwischen Erdgeschoss und Zwischengeschoss. An den Balustraden des Luftraums sind Kommentare der Menschen zur Stadt zu lesen. Vom Zwischengeschoss aus können über Terminals Geschichten, persönliche Karten und Bilder zu den Portraits abgerufen werden. Eigene Geschichten und Bilder können eingestellt werden. So werden Fragen und Themen der städtischen Gegenwart sichtbar, es entsteht ein sich immer wandelndes vielfältiges Bild der Stadt, das auch aktuelle Themen reflektiert. »Wie wird man Stuttgarter/in?« Keiner war schon immer da. Das gilt gerade für die Stadt Stuttgart, die durch Migration geprägt ist. Aber wie wird man Stuttgarter bzw. Stuttgarterin? Wer ist überhaupt Stuttgarter? Was heißt Heimat verstanden als Zugehörigkeit zu einem Ort heute? Kann man mehr als einheimisch, sondern zweiheimisch oder gar dreiheimisch sein? Wer definiert, ob man dazu gehört? Wann gehört man nicht mehr dazu? Kann man – wie Friedrich Schiller posthum – ungefragt Stuttgarter werden? Viele mögliche Faktoren entscheiden, ob und wie man Stuttgarter wird. Äußere Umstände und die eigene Entscheidung gehören dazu. Es gibt keine ‚typischen‘ Stuttgarter – alle, die hier leben sind Stuttgarter. Menschen werden Stuttgarter/in per Geburt, Hochzeit, Eingemeindung, durch Beruf, Umzug und Einwanderung aber auch per Zuschreibung und öffentliche Repräsentation. Aber nicht immer durften alle Stuttgarter sein: die Revolutionäre 1848, jüdische Stuttgarter, die während des nationalsozialistischen Regimes ausgegrenzt und deportiert wurden; Asylbewerber als unsichtbare ‚beinahe‘-Stuttgarter, Sinti und Roma oder die ‚Gastarbeiter‘ zu manchen Zeiten. Ganz verschiedene Objekte stoßen die Diskussion darüber an, was eine »Heimatstadt« bedeuten kann, darunter die Wiege des Bürgersohns Tobias Lotter aus dem Jahr 1629 und das Fußballtrikot von VfB-Spieler Serdar Tasçi aus dem Jahr 2011. Wiege von Tobias Lotter, 1629 (Inv.-Nr. S 780) Trikot von Serdar Tasçi, 2011 museums­konzeption juli 2013 »Mein Stuttgart« Im Vorraum zur ständigen Ausstellung geht es um das eigene Bild von Stuttgart. Optischer Mittelpunkt ist das historische Weingand’sche Stadtmodell, das die Innenstadt in faszinierendem Detailreichtum um ca. 1790 zeigt. Das Modell ist auf den ersten Blick der Auftakt zur Ausstellungserzählung – der Besucher hat bereits durch die Glaswand zum Ausstellungsraum das Stadtmodell der Gegenwart im Blick. Auf den zweiten Blick zeigt das Modell, das um 1930 entstand, eine idealisierte und zeittypische Vorstellung des ‚alten‘ Stuttgart. Das Modell wird deshalb ergänzt durch andere Darstellungen und Vorstellungen des ‚eigenen‘ bzw. des idealen Stuttgart. Dazu gehören wichtige Kartendarstellungen verschiedener Zeiten, Darstellungen der Stadt auf Postkarten, Mental Maps Stuttgarter Bürger aber auch Bebauungspläne. Stuttgart, um 1790 Stadtmodell von Karl und Emma Weingand (Inv.-Nr. S 1354) Stuttgarter Stadtgeschichte(n) Stuttgarts Geschichte ist durch besondere Dynamiken geprägt. Stuttgart war sehr früh, aber nicht durchgehend Residenz. Jedoch war die Residenz nie wirklich reich, sie war weder Handelszentrum wie die benachbarten freien Reichstädte noch militärisch geprägt. Die Industrialisierung und das damit verbundene Wachstum der Stadt setzten aufgrund der ungünstigen Verkehrslage, mangelnder Wasserkraft und fehlenden Rohstoffen spät ein – Fleiß und Erfindergeist sind heute immer noch (und vor allem) sprichwörtlich. Weitere prägende Charakteristika sind der Protestantismus, eine starke Bildungstradition sowie das meist liberale Verhältnis zwischen Herrschenden und Bürgertum. In der Stadtgeschichte finden sich in besonderer Weise zwei Stränge der europäischen »Meistererzählung« – die protestantische Ethik und die Industrialisierung. Im 20. Jahrhundert kam dazu die Migrationsgeschichte, die Stuttgart heute charakterisiert. 14 museums­konzeption juli 2013 Die ständige Ausstellung legt einen Schwerpunkt auf die Geschichte der Stadt ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und stellt die Bürger in den Mittelpunkt. Mit Überblicksdarstellungen und Vertiefungsbereichen eröffnet die Ausstellung verschiedene Zugänge zur Geschichte und Gegenwart der Stadt: • • • • • n einem Stadtmodell der gesamten Gemarkung erschließt sich der Besucher A die heutige Stadt, ihre Bezirke und ihre Topographie im Überblick. Rund um das Stadtmodell führen »Stadtgespräche« in Themen ein, die Stuttgart zu verschiedenen Zeiten prägten und bewegten und die noch heute relevant sind. In einer narrativen Chronologie wird in zwei »Jahrhunderträumen« die Geschichte der Stadt ab der Mitte des 18. Jahrhunderts in Biographien, Objekten, Dokumenten, Bildern, Fotos und Filmen erzählt. Eine Stadtchronik gibt einen medialen Überblick über die gesamte Geschichte der Stadt von der Ur- und Frühgeschichte bis in die Gegenwart. Die Bau- und Architekturgeschichte wird in einem eigenen Bereich vertieft. 15 museums­konzeption Die Ausstellungsfläche im 1. OG im Überblick juli 2013 16 museums­konzeption juli 2013 »Das Stadtmodell der Gegenwart« Was zeichnet Stuttgart aus? Die besondere Topographie des Kessels, das Nebeneinander von Grün und Grau – von Weinbergen und Wald, Beton und Bundesstraßen, die Unterschiede der ländlich geprägten Filderorte, des industrialisierten Neckartals und der urbanen Innenstadt? Das Stadtmodell im Maßstab 1:3.500 ist der zentrale optische Ankerpunkt der Ausstellung. Es zeigt verschiedene Facetten, Themen und Highlights Stuttgarts auf einen Blick: die Topographie der Stadt und die 23 Stadtbezirke. Hier können die Besucher das eigene Stuttgart wiederfinden oder bisher unbekannte Stadtbezirke neu entdecken. Auch »unsichtbare« Elemente wie Kaltluftströme und die Mineralwasservorkommen werden anschaulich. Stadtmodell der Gegenwart © Lederer – Ragnarsdottir Oei und Jangled Nerves/ renderstüble Am Modell werden acht Themenbereiche angeboten, aus denen der Besucher an Terminals auswählen kann: 1. Stuttgarts Top Ten« auf dem aktuellen Stadtplan. Besuchermeinungen zu 10 » schönste Gebäude, 10 hässlichste Gebäude, 10 wichtigste Plätze sowie aktuell besuchergenerierte Top-ten-Listen (10 beste Plätze … zum Küssen, für einen Heiratsantrag, am Morgen, am Sonntag, zum Picknicken …); 2.Bauten, Plätze, Straßen: Wichtige Gebäude und Plätze, höchste Gebäude, Innovative Gebäude, Orte und Gebäude die (fast) keiner kennt, Straßennamen, Zerstörung der Stadt durch 2. Weltkrieg, verschwundene Gebäude (Abriss, Brand etc.); 17 museums­konzeption juli 2013 3. W asser, Wein und Wagen, Keuper, Kaltluft und Kraut als die sechs Elemente der Stadt: Geologische Formationen/ Bodenarten; Kaltluft- und Abluftströme, Grünflächen, Mineralwasser, Bäder, Flüsse, Bäche, Seen, Trinkwasser, Abwasser; Temperaturkarte Sommer; Weinberge, Rebsorten; Krautanbau, Krautsorten; Automobil-Industrie mit Zulieferern; 4. D ie Adern der Stadt: Eisenbahn- und Straßenbahnlinien, Autoverkehr (Autobahnen, Bundesstraßen, befahrenste Straßen), Pendlerströme, Stäffele, Import/ Export; 5. Wer wann wo? Stuttgart 250.000 v. Chr – 1900 n. Chr: Historische Karten zur Jungsteinzeit am Neckar, Alamannensiedlungen, Römer (Limes, Vicus, Villae Rusticae, Straßen), Stadt- und Dorfgründungen in der heutigen Gemarkung, Wachstum der Siedlungen 1200 – 1870, Industriegebiete, Villenviertel, Arbeitersiedlungen/ sozialer Wohnungsbau, Verteilung verschiedener ‚Nationen‘ in der Stadt, Wohnorte berühmter Stuttgarter; 6. Stuttgart wählt: Nationale Wahlen seit 1918,Landtagswahlen seit 1952, Gemeinderatswahlen seit 1948, OB Wahlen seit 1948 7.Stuttgart heute/ Stuttgart morgen: Anteil Senioren/ Kinder/ Single-Haushalte, Durchschnittliches Einkommen, Bewohner auf den Quadratmeter, Angemeldete Automarken, Architekturbüros/ Architekten, Durchschnittliche Mietpreise pro Quadratmeter, Bodenpreise pro Quadratmeter, durchschnittlicher Umsatz pro Quadratmeter, Karten zu Kultur / Kirchen bzw. Religion, Planungsvorhaben der Stadt, Fortschritt S 21, Soziodemographische Zukunftsmodelle 8. 1 Stadt, 23 Stadtbezirke, 141 Stadtteile: Bezirkskarte mit Ortsteilbezeichnungen und Jahreszahlen der Eingemeindung, Einzelmarkierung jedes einzelnen Bezirks, besondere Ort und Gebäude im Bezirk. Geschichte der Bezirke in der Vertiefungsebene. Zu jeder Thematik bzw. zu jeder Karte existieren ein bis zwei Vertiefungsebenen, die zusätzliche Detailinformationen bereitstellen. Für den ersten Themenbereich »Stuttgarts Top Ten« besteht eine Anbindung zur Internetseite, so dass Stuttgarter auch von zuhause oder unterwegs eigene »beste Orte« einpflegen bzw. einsehen können. »Stadtgespräche« Manche Themen bewegten Stuttgart besonders und waren über die jeweilige Zeit und den lokalen Kontext hinaus wirkmächtig – sie waren Stadtgespräch. Rund um das Stadtmodell der Gegenwart stellen 15-18 Stationen prägende Ereignisse und Entwicklungen in Form von ‚Stadtgesprächen‘ zur Diskussion. Zeitgenössische und gegenwärtige Meinungen und Perspektiven, Objekte und Modelle zeigen Auseinandersetzungen, die zum Teil bis in die Gegenwart reichen. Und der Besucher ist eingeladen, mitzudiskutieren, denn alle ausgewählten Themen sollen in ihrer Bedeutung für die Gegenwart gezeigt werden. Prägnante Schlagworte oder Zitate führen 18 museums­konzeption juli 2013 die Themen ein und werden anhand von Objekten, Modellen, Grafik und Text erläutert. Meinungen und Perspektiven sind über den Mediaguide abrufbar. Themen sind u.a. • Stutengarten oder doch Stockgarten? Der Gründungsmythos wird diskutiert • Zwischen Wald und Reben: Weinschwemme und Weinverbesserungsgesellschaft 1825 • Stuttgart eine Fahrradstadt? 1869 erobern Velozipede vor dem Automobil den Talkessel • Die Arbeiterbewegung in Stuttgart • »Lernen durch Tun«: Emil Molt gründet 1919 die Waldorfschule • »Stuttgart ist doch keine Vorstadt Jerusalems«: Weissenhofsiedlung 1927 • Sind Schwaben fähig zu Humor? Häberle und Pfleiderer • Das zerstörte Kronprinzenpalais wird zur »Kalten Platte«: Öffentlicher Raum im Umbau • »Gehen oder Bleiben?« Arbeitsmigranten in Stuttgart nach 1973 • Die RAF und Stuttgart in den 1970er Jahren • »Die da« - Stuttgart als HipHop Metropole (1990er) • Stuttgart 21: Wie wird Stuttgart von außen wahrgenommen? Vertiefungen Angrenzend an die »Stadtgespräche« laden zwei Bereiche zur Vertiefung und zum Verweilen ein: Zum einen ein Kinobereich, zum anderen ein Bereich zum Thema Architektur als einem Schwerpunkt des Stadtmuseums. »Architekturstadt Stuttgart« Bauliche Veränderungen prägen alle Städte, in Stuttgart scheinen Baustellen jedoch ein zentrales Thema zu sein. Schon lange wird in der Stadt leidenschaftlich über Architektur und Stadtplanung gestritten. Kein Wunder, denn Stuttgart ist eine Stadt der Architekten – nirgendwo leben mehr Architekten pro Einwohner. Und drei Hochschulen lehren Architektur und Stadtplanung. Besucher sind eingeladen, im Lexikon der Stuttgarter Architekten zu stöbern, können erkunden, was Stuttgarter Baumeister anderswo bauen oder in den großen Baustellen und Streitpunkten der Stadtgeschichte graben, sie lernen Sie alternative Wohnformen kennen und wählen mit dem »Architektometer« die schönsten Gebäude und die herausragenden Bausünden. Der Bereich lädt ein zum Weiterdenken. Ist man selbst z.B. eher ein »moderner« Stuttgarter, der in den 1960er Jahren den Abriss historischer Gebäude und die neuen Stadtautobahnen begrüßt hätte? Oder hätte man traditionsbewusst für den Wiederaufbau der Innenstadt votiert? 19 museums­konzeption juli 2013 Inhalte • L exikon der Stuttgarter Architekten und Architekturschulen ab dem 17. Jahrhundert • Stuttgarter Architektur und Konstruktion international • Große Streitfälle der Stuttgarter Baugeschichte (u.a. Fernsehturm, Stirlings Staatsgalerie, Hochhausdiskussion) • Besondere Wohnbauprojekte (Süd-, West-, Ostheim, Waldstadt, Falterau, Luginsland, »Hannibal«, »Schnitz«) • Das Stuttgarter »Architektometer«: Augenweiden und Bausünden • Schaufenster für Beteiligungsprojekte im Stadtlabor Film Ein kleiner Filmbereich bietet Entspannung und Vertiefung in thematischen Bündelungen wie z.B. »Kinder in Stuttgart«, »Sport in Stuttgart« oder »Stuttgarter Nachtleben«. Gezeigt werden soll historisches und aktuelles Filmmaterial, aber auch Filme von Privat- und Amateurfilmern oder Projekt-Filme, die in Zusammenarbeit mit Zielgruppen oder in Kooperationen mit verschiedenen Einrichtungen entstehen. »Stadtchronik« Während die »Stadtgespräche« zum Flanieren und browsen auffordern, bereitet die Stadtchronik die Stadtgeschichte seit Beginn der Besiedelung kompakt und medial auf. In neun Kapiteln wird - mit Sitzmöglichkeit und Blick nach draußen – die Geschichte Stuttgarts auch in Bezug zu nationalen und internationalen Entwicklungen dargestellt. Da für die frühe Zeit der Geschichte kaum Objekte in der Sammlung existieren, wurde diese Form gewählt. Rendering Jangled Nerves 2012 20 museums­konzeption juli 2013 Die »Jahrhundert-Räume« Die »Jahrhundert-Räume« in den beiden Flügeln zur Konrad-Adenauer-Strasse erzählen die Stadtgeschichte(n) seit Mitte des 18. Jahrhunderts in Biographien, Objekten, Dokumenten, Bildern, Fotos und Filmen. Stadtbildprägende und z.T. noch vorhandene Bauwerke führen den Besucher optisch durch die Räume. Inhaltlich geleitet wird der Besucher durch eine biographische Ebene. Bürgerinnen und Bürger, ihre Biographien und Perspektiven sind Türöffner für Themen und kommentieren Entwicklungen. Der Weg zur Großstadt im 18. und 19. Jahrhundert Die historische Erzählung legt einen ersten Schwerpunkt auf das »lange« 19. Jahrhundert und erzählt die Emanzipation des Stuttgarter Bürgertums vom Hof. Im 19. Jahrhundert sind die Entwicklung kommunaler Strukturen, das in der Religion begründete bürgerliche Engagement und die Industrialisierung der Stadt zentrale Themen. Der erste Markstein ist die Rückkehr des Hofes nach Stuttgart im Jahr 1775 und der Bau des Neuen Schlosses, das auch als architektonisches Bild der Zeit dient. Die evangelische Kirche prägt die Stadt, die Bürger pflegen die Salonkultur. Wirtschaftlich dominiert der Weinbau, es gibt kaum wesentliches Handwerk, Versuche neue Manufakturen anzusiedeln scheitern. Erst Ende des Jahrhunderts und mit Beginn des Königreichs wird eine erste langsame Entwicklung spürbar. Die Stadt begibt sich »auf den Weg« mit der Gründung von Betrieben und sozialen Einrichtungen. Das bürgerliche Engagement ist spürbar, dabei gibt es keine Widerstände gegen den Hof. Wilhelm I und die Zäsur der Missernten 1818/19 fördern die Gründung von sozialen Einrichtungen. Das soziale Gefälle in der Stadt ist sehr stark, Weinbau, Handwerk und kleine Manufakturen bestimmen das Bild. Das bürgerliche Ideal im 19. Jahrhundert verkörpert Schiller, der 1836 in Denkmal und Platz verewigt wird. Nach 1840 beginnt der wirtschaftliche Aufbruch, das bauliche Symbol ist der Bahnhof in der heutigen Bolzstrasse. Der Weg zur Industriestadt beginnt als Chemiestandort, 1852 entsteht dann mit der Kuhn’schen Maschinenfabrik der Maschinenbau, 1867 mit Fein die Elektrotechnik, um 1900 entwickelt sich der Automobilstandort. Stuttgart wird 1875 mit mehr als 100.000 Einwohnern Großstadt. In dieser Zeit entstehen die Unternehmen die Stuttgart über Jahrzehnte prägen (Werner & Pfleiderer, Leitz, Daimler, Bosch, Bleyle, Hirth). Es ist die Hochzeit der Interessensvertretung und der politischen Auseinandersetzung. Die Stadt selbst baut ihre Infrastruktur auf und organisiert eine arbeitsteilige Verwaltung. Der Bau des neuen Rathauses ist 1905 sichtbares Zeichen der bürgerlichen Stadt. 21 museums­konzeption juli 2013 Demokratie, Zerstörung und Wiederaufbau im 20. Jahrhundert Der erste Einschnitt des 20. Jahrhunderts ist der Erste Weltkrieg, der mit der Abschaffung der württembergischen Monarchie endet. In der Blütezeit der Weimarer Republik wird Stuttgart eine moderne Stadt u.a. mit der Architektur der Weissenhofsiedlung und ein Zentrum von neuer Kunst und Abstraktion. Symbol der Zeit ist der Tagblatt-Turm. Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Zeit vor 1933 bilden die Grundlage für die Darstellung der Entwicklung des Nationalsozialismus in Stuttgart. Die Stadt ist bereits früh ein wichtiger Ort für die Nationalsozialisten. Nach 1933 ist Stuttgart als Gauhauptstadt ein Täterort und ein Organisationsort und wächst durch Eingemeindungen beträchtlich. Als »Stadt der Auslandsdeutschen« spielt Stuttgart auch national eine wichtige und von der Stadtverwaltung gewünschte Rolle. Dazu passen die städtische Repräsentation in Form von Großveranstaltungen wie dem Turnfest 1933 oder der Reichsgartenschau 1939. Zentrales Objekt der Repräsentation ist das Wilhelmspalais: als »Ehrenmal der Leistungen der Deutschen im Ausland« repräsentiert die Ambivalenz der Zeit, denn es ist gleichzeitig festlicher Präsentationort und Propagandainstrument einer menschenverachtenden Rassenpolitik. Das Thema Euthanasie, das von Stuttgart aus in Grafeneck zum ersten Mal im Reich systematisch organisiert wurde soll in der Präsentation deshalb eine besondere Rolle spielen. Weitere Themen sind Verfolgung und Widerstand sowie Stuttgart im 2. Weltkrieg. Die Auswirkungen der Diktatur – die Zerstörung im Luftkrieg und der Zuzug von Vertriebenen – prägen die Nachkriegszeit. In Stuttgart verortet sind zentrale und national bedeutsame Erklärungen der unmittelbaren Nachkriegszeit – das »Stuttgarter Schuldbekenntnis« der EKD 1945, die Byrnes-Rede 1946 aber auch die Charta der Heimatvertriebenen 1950. Das bauliche Symbol der Zeit ist die Kriegsruine. Ab den 1950er Jahren wird Stuttgart (wieder) international. Zentrales Thema in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die »fortschrittsorientierte Stadt«. Als bauliches Symbol dafür steht der Fernsehturm. Die Ausrichtung auf den Automobilbau im 20. Jahrhundert, die räumliche Expansion der Unternehmen und der wachsende Arbeitskräftebedarf in der Zeit des Wirtschaftswunders, die sogenannte »Gastarbeit« prägen die Stadt städtebaulich und soziodemographisch, aber auch mental. Sie wird zunehmend internationaler. Kulturell ist die Stadt ebenfalls im Aufbruch, Architektur und Gestaltung werden zu neuen produktiven Schwerpunkten. 22 museums­konzeption juli 2013 23 6. Sonderausstellungen Sonderausstellungen sprechen mit verschiedensten Themen unterschiedliche Zielgruppen an und bieten immer wieder einen Anlass, das Stadtmuseum zu besuchen. Sie haben zentrale Bedeutung für die Sichtbarkeit und Attraktivität des Hauses insgesamt. Es gibt zwei Sonderausstellungsbereiche: Der große Sonderausstellungsraum mit 500m² im 2. OG und ein kleinerer Raum mit 130m² im EG. In jedem Raum sind ca. zwei Sonderausstellungen pro Jahr sind geplant. Sie werden z.T. in Kooperation mit anderen Häusern erstellt oder von anderen Museen übernommen werden. Der kleinere Sonderausstellungsraum eignet sich gut für kleinere Präsentationen anlässlich von Architekturwettwerben, Vereinsjubiläen oder als Ausstellungsort für das Stadtlabor. Das Programm der Sonderausstellung kann die gesamte Vielfalt der Stadt, ihrer Gegenwart und Geschichte spiegeln. Es werden zwei inhaltliche Schwerpunkte definiert, um das Programm des Hauses klar zu umreißen: 1) Der Schwerpunkt »Neues aus der Vergangenheit« thematisiert Aspekte oder Ereignisse der Stuttgarter Stadtgeschichte und vertieft stadtspezifische Themen vor dem Hintergrund historischer Anlässe. Diese Ausstellungen werden selbst entwickelt. Mögliche Themen sind: • 2017: Stuttgart 1900 – 1920. Leben in einer modern werdenden Großstadt • 2018: Revolution – Ausgangspunkt 100 Jahre Abdankung König Wilhelm II. von Württemberg und Vertreibung aus dem Wilhelmspalais • 2019: Reform – Ausgangspunkt 100 Jahre Waldorfschule Uhlandshöhe 2) Der Schwerpunkt »Architektur & Design« setzt einen Fokus auf die für Stuttgart prägenden Themen Stadtplanung, Urbanität, Architektur und Gestaltung. Die Themen sind für Stuttgart prägend – bisher gibt es dafür aber keinen angemessenen Präsentationsort. Unter diesem Schwerpunkt können – auch als Übernahmen aus anderen Häusern – präsentiert werden: • Architekten- und Gestalterpersönlichkeiten aus Stuttgart in Werkschauen z.B. Günter Behnisch, Rolf Gutbrod, Wilhelm Wagenfeld, Bernhard Pankok und viele andere. • Allgemeine Themen aus Architektur und Gestaltung wie Fragen der Nachhaltigkeit, neue Materialien oder Konstruktionsformen. • Themen der Stadtplanung, u. a. Stuttgart spezifische Themen wie sozialer Wohnungsbau und Mobilität im Vergleich mit anderen Städten. • Aktuelle Präsentationen zu Fragen der Urbanität wie »Multiple Cities« (Architekturmuseum München, 2009), »New Urbanity« (Dt. Architekturmuseum Frankfurt, 2009). museums­konzeption juli 2013 3) Einen dritten Schwerpunkt sollen Sonderausstellungen für die Zielgruppe Kinder und Jugendliche bilden. Sie bieten einen besonderen und spielerischen Zugang zu Themen der Stadt und darüber hinaus. Diese Ausstellungen würden voraussichtlich zumeist von Kindermuseen wie dem ZOOM Kindermuseum in Wien übernommen oder in Kooperation mit anderen Kindermuseen entwickelt werden. Diese Sonderausstellungen können mit den anderen beiden inhaltlichen Schwerpunkten überlappen und bieten andere Zugänge zu Themen, die auch für Familien attraktiv sind. 7. Das »Stadtlabor« Das »Stadtlabor« will Kindern und Jugendlichen den umfassenden Gegenstand »Stadt« über die Themen Stadtplanung und Architektur zugänglich machen. Die Stadt ist für Kinder und Jugendliche alltäglicher Lebens- und Erfahrungsraum – ganz gleich mit welchem sozialen Hintergrund sie kommen und ob mit oder ohne Migrationserfahrung. Und obwohl sie in der gestalteten Welt der Stadt aufwachsen und obwohl Planungsverfahren die Beteiligung von Bürgern ermöglichen und fordern, wird die Vermittlung der Themen Architektur und Stadtplanung in den Bildungsplänen zwar formuliert, aber noch zu selten in Lehrbüchern und Unterrichtsmaterialien umgesetzt. Das Stadtmuseum will mit dem »Stadtlabor« diese Leerstelle füllen und ein Programm anbieten, das es Kindern und Jugendlichen ermöglicht, Grundlagenwissen zu erwerben, sich an Planungen zu beteiligen und Verantwortung für die gestaltete Umwelt zu übernehmen. 24 museums­konzeption juli 2013 Das »Stadtlabor« will: • K inder und Jugendliche für Fragestellungen der Stadtplanung und der Architektur sensibilisieren und sie anregen, Verantwortung für die gestaltete Umwelt zu übernehmen. • kommunizieren, dass Stadtplanung ein Prozess ist, an dem junge Menschen teilhaben können. • Planungsmethoden und Inhalte vermitteln, mit denen junge Besucher ihre Vorstellungen eines lebenswerten Stuttgarts und Ideen für den eigenen Lebensbereich erproben können. • kommunizieren, dass Planung immer Kooperation und Kompromiss bedeutet. Zielgruppen Das Stadtlabor macht zum einen an Wochentagen und während der Schulzeit Angebote für Schulklassen und Gruppen und spricht hier Kinder ab ca. 6 Jahren an. Die Themenwahl ist auf die aktuellen Bildungspläne abgestimmt, die in verschiedenen Klassenstufen und Fächern die Stadt als Lebensraum im historischen, sozialen, geografischen und wirtschaftlichen Kontext als Lerninhalt benennen. Beispiele sind hier für die Grundstufe »Mensch-Natur-Kultur«, für die Sekundarstufe I die Fächerverbünde »Welt – Zeit –Gesellschaft«, »Naturwissenschaftliches Arbeiten« und »Erdkunde – Wirtschaftskunde – Gemeinschaftskunde« und für die gymnasiale Oberstufe das Fach Geografie. An den Wochenenden wird es freie Angebote und Programme geben, die sich auch an Eltern mit jüngeren Kindern (ab ca. 3 Jahren) richten. Bereiche Das Stadtlabor umfasst vier Bereiche: eine zentrale Spielfläche, ein Studio mit PCArbeitsplätzen, eine Werkstatt sowie am Wochenende ein Elterncafé in Selbstbedienung. Im Studio kann an Arbeitstischen und an Computern gearbeitet werden, z.B.: • im Planungsbüro: Anhand von Modellen, Stadtbaukästen führen Architekturstudenten als Mentoren Schüler in das komplexe Thema ein. An Zeichentischen und mit einfachen Zeichenprogrammen wie sketch-up lernen die Kinder die Grundlagen der Planung. • im Designatelier: Hier entstehen auf Papier oder am Computer Entwürfe und Vorschläge zur Verschönerung der Stadt – Möbel, Infotafeln, Schaufenster etc. • in Zeitungswerkstatt und Video-/Podcastredaktion: Die Medien-Arbeitsplätze sind Ausgangspunkt für Stadtrecherchen jungen Journalisten und Journalistinnen. 25 museums­konzeption juli 2013 In der Werkstatt werden Gruppenaktivitäten angeboten, die Schmutz verursachen können und Wasser brauchen. Diese Aktivitäten reichen von Malaktionen bis hin zum Bauen mit Lehm und Bambus. Die Werkstatt hat einen Zugang zum Museumsgarten. Während an Wochentagen vor allem Schulklassen betreut werden, bietet das Stadtlabor an Wochenenden und am späten Nachmittag Programme für Familien sowie Kinder und Jugendliche, die alleine ins Museum kommen. Die zentrale Spiel- und Baufläche (ca. 80m²) mit der angrenzenden Projektionswand wird wochentags von Klassen und Gruppen für Aktivitäten genutzt. Am Wochenende verwandelt sich die Fläche in eine Bauspielfläche auch für jüngere Kinder. Wechselnde Themen sollen das Programm des freien Spiels thematisch anregen. Es wurden zunächst 6 Themenbereiche definiert, aus denen einzelne Themen entwickelt werden können: • • • • • • rundlagen der Orientierung in der Stadt: Wege, Plätze, Achsen und Viertel, G Stadtmöblierung Bauen in der Stadt. Funktion von Gebäuden (Wohnen, Schule, öffentliche Gebäude etc.), Konstruktion (z.B. Naturstein, Ziegel, Dreieckskonstruktion, Fachwerk, Leichtbau, Beton) und Gestaltung (z.B. Symmetrie, Fassaden, Licht und Farbe) Verkehr in der Stadt Ver- und Entsorgung – Wasser, Müll, Strom, Gas und Wärme, Telefon, TV und Daten. Ressourcen, Verteilungssysteme und Konflikte Leben in Stuttgarts Partnerstädten, Globalisierung und Verstädterung der Welt Stimmen, Klänge, Gerüche, Geräusche, Farben und Geheimnisse der Stadt als kreatives und spielerisches Thema Kinder planen eine Hängebrücke Architektur-Werk-Stadt Stuttgart, 2009 26