Zukunft Praxis Wissen TELEMEDIZIN: HAUSÄRZTE ­WOLLEN MITREDEN Das Smartphone analysiert die Laborwerte des Patienten, schickt diese an den Hausarzt und trägt diese sogar automatisch in die Patientenakte ein. Wie sieht die Hausarztpraxis der Zukunft aus? Ein Workshop auf dem DEGAM-Kongress hat Antworten zur digitalen Revolution gesucht. Prof. Stefan Fischer Institut für Telematik, Universität zu Lübeck 48 Der Begriff der „digitalen Revolution“ ist aktuell äußerst medienpräsent. Dazugehörige Themen wie die Telemedizin werden in Deutschland allerdings bisher kaum systematisch evaluiert. Dies könnte möglicherweise daran liegen, dass dieses Thema kaum ohne Austausch mit der Industrie bearbeitet werden kann. Ausschreibungen auf europäischer Ebene, zum Beispiel Horizon 2020 (Anm.: ein EU-Programm zur Förderung der Forschung), haben daher in der Vergangenheit versucht, Wissenschaft und Indus­trie näher zusammen zu bringen. International ist die Bearbeitung des Themas weiter fortgeschritten. Im April 2016 wurde beispielsweise von der WONCA, der Weltorganisation der Fachgesellschaften für Allgemeinmedizin, als Reaktion auf rund 20 Jahre internationale Erfahrungen ein Papier zu eHealth veröffentlicht [1]. Ein Workshop auf dem diesjährigen DEGAM-Kongress in Frankfurt am Main Ende September hatte zum Ziel, Teilaspekte der digitalen Revolution zu ­thematisieren, um die Diskussion darüber auch unter deutschen Hausärzten anzustoßen. Hintergrund der Autoren, sich mit dem Thema zu befassen, bilden gemeinsame Projekte des Instituts für Allgemeinmedizin und des Instituts für Telematik an der Universität zu Lübeck. Die Forschungsprojekte des Instituts für Telematik umfassen verschiedene Aspekte der Vernetzung von Computern. Im Mittelpunkt stehen aktuell Arbeiten, in denen alle Alltagsgegenstände mit Kommunikationsmöglichkeiten ausgestattet werden, um miteinander automatisiert Informationen austauschen zu können („Internet der Dinge“). Anwendungen im medizinischen Bereich sind etwa Sensoren, die bestimmte Körperwerte automatisiert erfassen und an Auswertestationen weitergeben oder auch in Krankenakten eintragen können. Ebenfalls von großem Interesse ist der sichere Einsatz von Videokommunikationssystemen in der ärztlichen Praxis. Ultraschall per Tablet Am Institut für Allgemeinmedizin in Lübeck existieren die Forschungsschwerpunkte der Versorgung chronisch kranker Patienten in der Zukunft und der Strategien gegen den Hausärztemangel. Ein Konzept, welches mit beiden Schwerpunkten Berührungspunkte hat, ist das einer sogenannten Primärversorgungspraxis. Eine solche beinhaltet neben der häufig betonten Möglichkeiten, die hausärztliche Tätigkeit in Teilzeit und in einem multiprofessionellen Team auszuüben, auch Aspekte der Standortplanung und Architektur, um sich unter anderem einen Arbeitsplatz attraktiv gestalten zu können. Ein weiteres Element der Primärversorgungspraxis ist die Telemedizin. Diese hat zwar bereits der Sachverständigenrat in seiDer Hausarzt 20/2016 Illustration: Hilch - iStockphoto Prof. Jost Steinhäuser Institut für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck Illustration: Hilch - iStockphoto Praxis Wissen nem Sondergutachten unter „Nutzung mosoll, stieß auf großes Interesse. In ­weiteren derner Informationstechniken“ gestreift [2], Schritten wäre eine Videoverbindung in sie wird jedoch noch nicht in ihrer ganzen ein Pflegeheim denkbar. Selbstverständlich Ausprägung umgesetzt. Dabei könnte die müssen für solche Projekte alle ethischen „digitale Revolution“ ebenund datenschutzrechtliMitarbeit falls die künftige hausärztchen Fragen geklärt sein. Curricula für Fortbil­ liche Versorgung erheblich Praxistauglichkeit war ein dungen sollten künftig Praxisteams, die an aktuell geplan­ beeinflussen. Einige Bestreweiterer, sich durchziehenElemente der Teleme­ ten telemedizinidizin enthalten. bungen muten heute vielder Wunsch: Die Systeme schen Projekten leicht noch wie „Science Ficsollten einfach und mögteilnehmen wol­ len, sind ­herzlich tion“ an, beispielsweise die lichst einheitlich zu bedieeingeladen, sich Analyse von Laborwerten nen sein. Damit die Techbei Prof. Jost mit dem Smartphone, Erhalt von Röntgennik nicht von der Versorgung der Patienten Steinhäuser (jost. steinhaeuser@ befunden aus entfernten Ländern oder die ablenkt, war ein weiterer Gedanke, dass zuuksh.de) zu Nutzung des Tablet als Ultraschallgerät. Sie künftige Curricula, etwa für Zusatzqualifikamelden. könnten sich aber in vielerlei Hinsicht auf tionen von MFA oder Fortbildungsveranstaldie Praxis der Zukunft auswirken – bis hin tungen, Elemente der Telemedizin enthalten zur Praxisgröße und damit sogar der künftisollten. Möglicherweise wäre hierfür der an gen Finanzierung. inzwischen 14 Standorten angebotene „Tag der Allgemeinmedizin“ eine geeignete Plattform. Denn dieser wendet sich an das ganze Einfache Bedienung ist Pflicht Praxisteam und ermöglicht so interprofessionelles Lernen. Innerhalb des Workshops wurden zunächst Das zentrale Fazit: Hausärzteteams ­wollen Inputreferate zu aktuellen Entwicklungen in mitbestimmen, welche Anwendungen sie den Bereichen Telemedizin und eHealth gebrauchen. So war das Thema „Schutz vor geben, welche auch Barrieren ­beinhalteten, Überversorgung und Fehlversorgung“ ­eines, diese anzuwenden. Anschließend diskutierdas den Teilnehmern sehr am Herzen lag. ten die Teilnehmer – mehrheitlich (Haus-) Denn genau diese Gefahr bergen möglicher­ Ärzte und Medizinische ­Fachangestellte weise Daten des „quantified self“ – etwa (MFA) – mögliche Konsequenzen dieser Blutdruckwerte, Puls, Sportverhalten und Technologien auf die Hausarztpraxis der Gewichtsentwicklung – wie sie ­Smartphone ­Zukunft. kompatible Produkte generieren können. Ein erstes großes Thema waren Fragen der Dafür sollten klare Positionen erarbeitet Standardisierungen in Praxisinformationssystemen, etwa: Wie können die Systeme un- werden. tereinander sicher kommunizieren? ­Müsste Literatur im Onlineartikel unter http://www.derhausarzt.eu dazu einheitlich dokumentiert werden? Insgesamt wünschten sich die Teilnehmer mehrheitlich, selbst mehr beeinflussen zu FAZIT können, was ein solches Programm kann. Sehr deutlich wurde, dass für den Praxisall­ ▪▪ Telemedizinische Anwendungen werden auch die hausärztliche Versorgung der tag datenschutzrechtlich akzeptierte Versio­Zukunft beeinflussen. nen von Produkten, mit Funktionen ähnlich ▪▪ Viele Hausärzte und ihre Teams wollen selbst mitbestimmen, welche digitalen Whats App oder Skype, einem bereits exis­Anwendungen sie in der Praxis brauchen. tierenden Bedarf in der ­Hausarztpraxis be▪▪ Eine erste konkret gewünschte Anwendung wäre die Option einer datenschutz­ gegnen würden. Dass die entsprechend quarechtlich einwandfreien Bildübertragung zwischen Smartphone und Praxis. lifizierte MFA auf diesem Weg einen Befund, ▪▪ Das Potential, das in Telemedizin steckt, wirft eine Reihe implementierungswissen­ den Sie während eines Hausbesuchs erhebt, schaftlicher Fragen dahingehend auf, welche Determinanten den Einsatz von Tele­ dem Hausarzt zeigen kann und direkt Anmedizin fördern oder hemmen können. weisung bekommt, wie sie weiter ­verfahren Der Hausarzt 20/2016 49