KOPF DER WOCHE werbewoche 10 | 05.06.2015 Fotos: Ursina Maurer 24 Voraus statt hinterher Im letzten Jahr hat er bereits 20 Awards gewonnen, ist gerade in den ADC aufgenommen worden und hat nun eine eigene Agentur gegründet. Daniel Antonio Serrano hat nach 15 Jahren in der Werbung beschlossen, Rolf Helfensteins Angebot anzunehmen und gemeinsam die Agentur Karling zu gründen. A ls Nachbar von Sihlcity arbeitet das KarlingTeam zu fünft in einer zum Büro umfunktionierten zweistöckigen Familienwohnung. Die Agentur ist ausgestattet mit einem grossen Balkon, riesigen Fensterfronten gegen den grünen Innenhof hinaus, einem Bad und einer Küche. Rund um den Innenhof spielen Kinder, hört man deren Gesang und Spiel. «In den Gebäuden rund um die Agentur stehen mindestens zwei rege genutzte Kindergärten und eine Kinderkrippe», weiss Rolf Helfenstein. Die wenig weiter entfernten Nachbarn von Google ziehen wöchentlich als Jogger an der Agentur vorbei. «Bald sind wir fit genug und laufen vor statt hinterher», witzelt Daniel Serrano. Tatsächlich stehen auf dem Balkon Richtung Innenhof drei neonleuchtende Paar Jogging-Schuhe. Das Konferenzzimmer hallt ein wenig, ein wenig sehr – trotz Pflanzen, Möbeln und einem sehr bezeichnenden Bild. Dieses zeigt die Bugwellen eines kleinen Speedboats und soll die Dynamik der Agentur zum Ausdruck bringen. Eine eigens für die einladende Küche angeschaffte Kaffeemaschine – seit dem letzten Pitch-Gewinn die neue Errungenschaft – lädt zum Ausprobieren ein. Überhaupt probiert Serrano gern aus. Für einen Pitch hat er kürzlich Knetmasse degustiert – und bietet auch gleich der Besucherin einen Versuch an. Das Daim zum liebevoll hergestellten Latte Macchiato trifft den Geschmack dann aber doch besser als die erstaunlich salzige Knetmasse. «Man könnte es vielleicht Charme nennen» Sein Abgang bei Jung von Matt vor einem Jahr hat sich sehr angenehm gestaltet. Vor allem habe man gemerkt, dass er es ernst meine mit der Selbstständigkeit, erzählt Serrano. Er sei nicht deswegen gegangen, um in eine Anstellung mit besserem Lohn oder höherer Sprosse auf der Karriereleiter zu wechseln, sondern halt tatsächlich um eine eigene Agentur zu gründen. Eigentlich hätte er sogar super Jobs gehabt bei Jung von Matt. Nur wurde ihm dadurch bewusst, was er alles leisten kann – und so hat er sich gefragt, warum er das nicht für sich nutzen sollte. Seine Entscheidung zur gemeinsamen Gründung von Karling war für ihn der Test «sich selber zu spüren», wie er sagt. Er wollte herausfinden, was er wirklich leisten kann. Sonst sei er aber eher bescheiden, sagt Serrano. Diese «So eine Chance kriegst du nur einmal im Leben» KOPF DER WOCHE werbewoche 10 | 05.06.2015 Schweizer Eigenschaft habe er von seiner Mutter. Sein Vater kommt aus Ecuador. Aufgewachsen ist er die ersten Jahre in der Schweiz, dann in Deutschland. So habe er nicht nur das südländische Temperament von seinem Vater geerbt, sondern auch das «schaffä schaffä» aus Deutschland, erzählt er. Die wenigen schweizerdeutschen Worte und Redewendungen wirft Serrano mit Bedacht ins Gespräch ein. Er weiss, dass ihm sein Akzent, wenn er schweizerdeutsch redet, Sympathien einbringt, erzählt, wie die Leute bei solchen Gelegenheiten oft zu grinsen anfangen. Denn seine Aussprache habe einige Ecken & Kanten und vermischte Dialekte. «Man könnte es vielleicht Charme nennen», meint er lachend. Vor über einem Jahr haben Daniel Serrano und Rolf Helfenstein Karling gegründet. «Das war eine sehr gute Entscheidung», ist sich Serrano bereits jetzt sicher. Zu verdanken habe er das seiner Familie zuhause, die ihn sehr unterstützt habe. Aber vor allem auch Rolf Helfenstein. Richtig kennengelernt haben sie sich, als Serrano mit seinem damaligen Texter in der Freizeit ein kleines Unternehmen gegründet hat, genannt Rainmap. Rainmap versprach, dass der Nutzer im Regen nicht nur nicht nass wird, sondern sich dabei auch noch an einer Strassenkarte orientieren kann, ohne diese in Händen halten zu müssen. Die tolle Idee dahinter: Ein Schirm mit Stadtplan auf der Innenseite. Dieses kleine Projekt ist mittlerweile ein Selbstläufer, die Schirme verkaufen sich sehr gut. Rolf Helfenstein habe ihm unternehmerisch immer wieder geholfen bei diesem Projekt, betont Serrano. «Das Unternehmergen schlummert schon auch in mir, wie man sieht, ist aber viel ausgeprägter bei Rolf.» Zusammenspiel der Gegensätze Bei einem gemeinsamen Essen beschrieb Rolf Helfenstein ihm seine Pläne einer Agenturgründung und lud ihn dazu ein, gemeinsam eine Agentur zu starten. Das führte dazu, dass sich Serrano vor allem mit der Frage konfrontierte: «Was will ich denn eigentlich?» Zwei oder drei Wochen und einige internationale Mentoren-Gespräche später kam er zum Schluss: «So eine Chance kriegst du nur einmal im Leben.» Dies liegt vor allem auch an seinem Partner. «Rolf ist ein grossartiger Stratege. Er ist aber, was man vielleicht von ihm nicht gedacht hätte, ein grossartiger Kreativer», so Serrano. Da nun sein Tätigkeitsradius viel grösser und die Agentur viel kleiner sei, komme das deutlicher zum Vorschein. Dass sie zusammenpassen würden als Agenturgeschäftsführer, hätte man wohl eher nicht gedacht. «Der laute, offene Daniel und der ruhig zurückhaltend fokussierte Rolf», beschreibt Serrano ihr Zusammentreffen. Doch genau dieses Zusammenspiel funktioniere hervorragend. Als Grundlage für die gute Zusammenarbeit sieht Serrano ganz klar den gegenseitigen Respekt. Das Vertrauen ineinander, dass der andere eine solide Basis an Talenten vorweisen könne, sei sicher grundlegend, meint er nachdenklich. Bei Jung IN KÜRZE Daniel Serrano ist als Sohn einer Schweizerin und eines Ecuadorianers 1980 in Ecuador geboren. Seine Schulzeit bis zur Matura verbrachte er in Köln. Hier fand er auch seinen Einstieg in die Werbung. Ab 2004 besuchte er die Miami AD School in Hamburg. Ab 2005 war er für DDB in Berlin, für Saatchi & Saatchi in Stockholm sowie darauf folgend tätig und zuletzt für Duval Guillaume in Brüssel. Diese Erfahrungen hat ihm die Miami AD School in Köln vermittelt. Ab 2006 war er für Kolle Rebbe in Hamburg tätig. Vier Jahre später wechselte er in die Schweiz, zu Jung von Matt in Zürich. Im Jahr 2014 hat er in Zürich zusammen mit Rolf Helfenstein die Agentur Karling gegründet. von Matt war Rolf Helfenstein Geschäftsführer Beratung und Daniel Serrano Senior Art Director. «Dass ich einem Geschäftsführer traue, der seit 12 Jahren bei Jung von Matt die Beratungsseite leitet, steht ja ausser Frage», konstatiert Serrano nüchtern. Umso schöner fand er daher Helfensteins Entscheidung, auf Daniel Serrano zu setzen. Die Agentur haben die beiden Gründer aus einem naheliegenden Grund Karling genannt. Ein Karling ist ein frei stehender, unübersehbarer markanter Berg, der sein Aussehen dem Schliff von Gletschern verdankt. 25 Das Projekt Rainmap, als Freizeitunternehmen in Zusammenarbeit mit einem Texter entstanden, ist mittlerweile ein Selbstläufer. Kreativ verkaufen, grosse Brötchen backen Daniel Serrano ist tatsächlich von Werbung fasziniert. Das habe sich im Laufe seiner Ausbildung und der letzten 15 Jahre in dieser Branche so entwickelt, erzählt er. Begeistert habe ihn damals vor allem Belgien. «Das Land, das ich damals nur von der Durchfahrt kannte, schäumt über vor guter Werbung.» Viele Vorbilder – kreative Köpfe – habe er in Belgien kennengelernt. Von deren Strahlkraft kriege man jedoch hier nicht viel mit, auch wenn sie viele Awards gewinnen. Bei Saatchi & Saatchi in Stockholm habe er dann gemerkt, welches Feuer und welche Energie man in sehr trockene Themen stecken kann. «Die Skandinavier sind sehr geladen mit guter Laune und können einem alles verkaufen», erinnert sich Serrano lachend. Mit Werbung will er aber nicht nur unterhalten, kreativ sein, oder – kurz gesagt – verkaufen. Ihn treibt noch ein ganz anderer Aspekt an. Dieser Aspekt trägt dazu bei, dass er auch für die Tabakindustrie Werbung machen würde, obwohl er kein Tabakfreund ist: Gerade etwa im Bereich Tabak- und Alkoholwerbung ist nur noch so wenig erlaubt, dass die Herausforderung, in so einem kleinen Feld mittels Kreativität vielleicht etwas erreichen zu können, für ihn dann doch wieder absolut einen Reiz darstellt. Das wäre aber auch der Fall, wenn die Schweiz ein Wollsockenwerbeverbot hätte – «dann würde ich gern für Wollsocken Werbung machen», führt er aus. Die Einsicht, dass er möglicherweise zum wachsenden Tabakkonsum beigetragen hat, würde ihm dann aber doch nicht besonders behagen. Bereits nach einem Jahr ist das Karling-Team auf fünf Personen angewachsen und hat bereits grosse Kunden an Land gezogen. So finden sich unter den 12 Kunden Namen wie AMAG, SRF oder die Schweizer Bauern. Ob eine kleine Agentur besser erst mal kleine Brötchen backen soll, darüber habe man sich bei Karling nie den Kopf zerbrochen. Da sie beide von einer grossen Agentur kommen, die einen riesigen Output hat, hätten sie gar nicht erst daran gedacht, nun erst mal auf kleinere Kunden zu setzen. Oder wie Serrano die Ausrichtung der Agentur pragmatisch begründet: «Und wenn dann mal ein deutlich grösseres Projekt vor der Haustür steht, wissen wir, mit wem wir das in Angriff nehmen können.» Ursina Maurer Eine Arbeit zu Generation M, noch bei Jung von Matt Limmat entstanden. Das hier ist ein Motiv aus der Print-Lancierung. Links: eines von vier Motiven aus der aktuellen Kampagne «Augenzeugen», die Karling für die Schweizer Bauern lanciert hat. Unten links: Gian und Giachen in ihrem Online-Reisebüro. Entstanden bei Jung von Matt/Limmat. Unten rechts: Serranos letzte Arbeit für Pro Infirmis. Ebenfalls bei Jung von Matt/Limmat entstanden.