Das Warschauer Ghetto 1939-43

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Hausarbeit
Seminar aus Politischer Theorie/Ideengeschichte
„Modernität und Holocaust“
Lektor Dr. W. Manoschek
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
Draschtak Raphael ( 9305005 )
Sommersemester 1996
Institut für Staats- und Politikwissenschaft
Universität Wien
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
INHALT
I.
Einleitung
II.
NS-Besatzungspolitik im Generalgovernement im Abriß
• Die großdeutsche Verwaltung
• „Heimholung der Volksdeutschen“ - Konzentration der Juden
• Die Errichtung des Ghettos
III.
Ökonomische Aspekte - Die Nutzung der Juden als Produktivfaktor
• Die wirtschaftlichen Dispositive Großdeutschlands 1939-43 im Abriß
• Die Ausbeutung der Warschauer Juden
• Exkurs - „Ökonomie der Endlösung“ oder „Nationales Projekt“ ?
IV.
Aufstand und Liquidation des Ghettos
• „Umsiedlung“ 1942 und Kampfvorbereitung
• „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr...“ (April-Mai 1943)
V.
Die Ermordung der Warschauer Juden im Lager Treblinka
VI.
Schlußbetrachtung
VII. Bibliographie
2
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
VIII. Anhang
I. Einleitung
„In the years 1939 to 1945, between five and six million human beings, one million of them
children, were rounded up, herded into camps, and put to death in a variety of ways, simply
because they were Jews. In the earlier stages they were lined up and moved down by machine
gun fire, to fall neatly into the ditches which they had just been forced to dig. Later, a new
technology of murder was devised by which far greater numbers could be tidily and
eypeditiously put to death, while their salvageable remains - hair, teeth, and animal fats were preserved and stored by their frugal murderers for future use“.1
Die Frage, wie die systematische und die willkürliche Ermordung von Millionen von
Menschen durch Hundertttausende von - in Ihrer Gesamtzahl vielleicht bis heute, rund 50 Jahre
danach, nicht abzusehende - vermittelnden und unmittelbaren Tätern und Täterinnen in einer
zivilisierten Industriegesellschaft des 20. Jahrhunderts möglich sein konnte, stößt, wie wohl nicht nur
Welzer konstatiert, an „eine prinzipielle Grenze der Verständlichkeit“. 2
Gerade aber die technisch-industrielle Facette des Holocaust, der Aspekt der Moderne und
damit die spezifische Ausprägungsform dieses wohl einmaligen Verbrechens der
Menschheitsgeschichte, des „Verwaltungsmassenmordes“3, macht das Charakteristikum des
nationalsozialistischen Vernichtungsapparats aus. Von diesem waren nicht nur, jedoch primär Juden
betroffen. „Geraume Zeit, bevor sie die Gaskammern bauten, betrieben die Nazis auf Geheiß
Hitlers die Vernichtung ihrer geistig und körperlich behinderten Landsleute...“ 4 Die Idee, ein
ganzes Volk zu vernichten, war von einer ganz anderen Dimension. Bauman stellt in diesem
Zusammenhang den Konnex zwischen „geplanter Vernichtung und verschiedenen, zu Recht mit
moderner Zivilisation gleichgesetzten Entwicklungen“ fest5 und schließt:“...wir leben in einer
Gesellschaftsform, die den Holocaust ermöglicht hat...“6 , damit gleichsam den
Kulminationspunkt jahrhundertealten Antisemitismus erreicht hat. „Tiefsitzende Auflösungs- und
Verschlingungsängste“ 7 bezüglich der Juden wurden zum Motiv einer zunehmenden
Ideologisierung der Problematik; die zuvor als „Brunnenvergifter, Hostienschänder,
1
Bernard Lewis , Semites and Anti-Semites. An inqiury into conflict and prejudice
( New York - London 1986 ) 25
2
Harald Welzer (Hg.), Nationalsozialismus und Moderne ( Tübingen 1993 ) 105
3
Ebenda. S. 105
4
Zygmunt Bauman, Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust. Deutsche Ausgabe. 2. Auflage
( Hamburg 1994 ) 87
5
Ebenda. S. 87
6
Ebenda. S. 102
7
Doris Mendlewitsch, Volk und Heil. Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahrhundert ( Rheda Wiedenbrück 1988 ) 42
3
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
Ritualmörder“ bezeichneten8 wurden nun vollends entrechtet, als „Parasiten“,
„Volksschädlinge“ und „Untermenschen“ der Ghettoisierung und schließlich der physischen
Vernichtung zugeführt.
Eine auf die inhumane und administrativ-technokratische, systematische Entrechtung der
jüdischen Bevölkerung in Großdeutschland konzentrierte Betrachtung sollte sich - nach meinem
Dafürhalten - angesichts der begleitenden Umstände des Holocaust kurz auf die eingangs umrissene
essentielle Frage „Wie war es, administrativ-perfektionierte Ghettoisierung und industrielle
physische Ausrottung, möglich - und warum in
Großdeutschland ( und damit in Österreich)?“ beschäftigen. Für die wissenschaftliche
Ergründung ist eine Einbeziehung der gesellschaftlichen Aspekte unerläßlich.
Antisemitismus war nicht nur in den dreißiger und vierziger Jahren unseres Jahrhunderts, nicht
nur im Großdeutschen Reich eine weitverbreitete gesellschaftliche Erscheinungsform.Simon
Wiesenthal etwa schildert sein Leiden unter dem „Antisemitismus der Ukrainer“9. Aus anderen
Zeitzeugenberichten wird die Haltung der polnischen Bevölkerung zu ihren jüdischen Mitbürgern aus
der Zwischenkriegszeit offenbar: „Der Judenhaß der Polen war direkt, intensiv und
ungehemmt.“10 Doch werden Unterschiede in der Ausprägungsform konstatiert: „Aber das [die
Polen] sind nicht solche kalten Mörder, wie die Deutschen sein können“. 11 Da Antisemitismus
somit nicht als spezifisch und singulär großdeutsches Phänomen betrachtet werden kann ( zieht man
etwa auch die bereitwillige Mithilfe von Ukrainern bei der Liquidierung des Warschauer Ghettos
in Betracht ), fällt das Argument einer gleichsam originär großdeutschen Tendenz zur
Judenvernichtung aus meiner Sicht weitestgehend aus dem Diskursrahmen.
Einen anderen Zugang freilich wählt Daniel Jonah Goldhagen, welcher die
Judenvernichtung als „nationales Projekt“ und „Common sense“12 der „Germans“ versteht.
Auch steht er damit in diametralem Gegensatz zu Götz Aly und Susanne Heim, welche die
„Endlösung“ als ökonomisch-rationell bestimmtes Vorhaben interpretieren.13 ( Sebastian Haffner
etwa kann diser These nichts abgewinnen: „ ...die täglichen Massentransporte quer durch ganz
Europa in die Vernichtungslager raubten der kämpfenden Truppe einen erheblichen Teil des
knappen rollenden Materials“ )14 Bauman widerum sieht als Ursache für die „Beseitigung des
Gegners“ ein Mittel zum Zweck: „Dieses Ziel ist die Vision einer besseren, von Grund auf
gewandelten Gesellschaft. Der moderne Genozid ist ein Element des ‘Social engineering’...“15
Auf diesen und wirtschaftliche Aspekte wird am konkreten Beispiel Warschaus im Rahmen der
Arbeit einzugehen sein.
8
Leo Prijs , Die Welt des Judentums . Religion, Geschichte, Lebensweise. 2., durchgesehene Auflage
( München 1984 ) 153
9
Simon Wiesenthal, Recht, nicht Rache. Erinnerungen ( Frankfurt/Main - Berlin 1992 ) 258
10
Naftali Fuss, Als ein anderer leben. Erinnerungen an die Nazizeit in Polen ( Frankfurt/Main 1994 ) 39
11
Susann Heenen-Wolff, Im Land der Täter. Gespräche mit überlebenden Juden ( Frankfurt/Main 1994 ) 29
12
Daniel Jonah Goldhagen, Hitler’s willing executioners. Ordinary Germans and the Holocaust ( New York
1996 ) 80
13
Götz Aly, Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue
europäische Ordnung ( Frankfurt/Main 1993 )
14
Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler ( Frankfurt/Main 1981) 122
15
Bauman, Dialektik der Ordnung. S. 106
4
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
Warum ist also dem Nazismus und dem Antisemitismus „ein historischer Durchbruch in
Deutschland“16 gelungen? Für diese Frage gibt es, wie man sieht, verschiedenste Erklärungsansätze,
zugangs- und interpretationsabhängig. Detlev Peukert etwa sieht die Wurzeln für Ausgrenzung,
Verfolgung und Vernichtung in der „tiefen sozialen, politischen und geistigen Orientierungskrise
der deutschen Gesellschaft Anfang der dreißiger Jahre“.17 Was ist die Besonderheit des
Holocaust und des „modernen“18 Antisemitismus? Sicher keine Frage der Quantität
(Revisionistische Stimmen versuchen seit Jahrzehnten über diesen Zugang, gewissermaßen eines
„Bodycountings“, die NS-Verbrechen gegenüber jenen Stalins zu relativieren), sei es der Zahl der
Menschen, die ermordet worden sind, noch das Ausmaß ihres
Leidens. Die Problematik ist zweifellos von anderer Qualität. Aufrechnungsmentalität und „Tu
quoque“ ist angesichts der immensen Dimension der Problematik eindeutig entgegenzuwirken.
Charakteristisch für den Holocaust war der verhältnismäßig geringe Anteil an Emotion und
unmittelbarem Haß ( im Gegensatz zur oben angeführten Aussage zu Polen etwa): „Der Holocaust
hatte keine funktionelle Bedeutung. Die Ausrottung der Juden war kein Mittel zu einem
anderen Zweck“.19 Weder ging es um sicherheits- oder militärpolitische Aspekte, auch nicht um die
Auslöschung potentieller Widerstandkämpfer, sondern „Ausrottung um der Ausrottung willen“.20
Auch für Bauman weist der Holocaust „moderne“ Merkmale auf, die ihn von anderen historischen
Genoziden unterscheiden.21
Der moderne Antisemitismus, der nicht mit dem täglichen antijüdischen Vorurteil verwechselt
werden darf, ist eine Ideologie, eine Denkform, die in Europa im späten 19.Jahrhundert aufttrat. Sein
Auftreten setzt Jahrhunderte früherer Formen des Antisemitismus voraus. Allen Formen des
Antisemitismus ist eine Vorstellung von jüdischer Macht gemeinsam22: Im konkreten Fall des
Nationalsozialismus äußert diese sich - propagandistisch-modern aufbereitet wie nie zuvor - als
„internationales Finanzjudentum“ oder „jüdischer Bolschewismus“ “Die Juden stehen für
eine ungeheuer machtvolle, unfaßbare internationale Verschwörung“.23
Die bereits oben erwähnte Beseitigung der letzten Hemmschwellen, die vollkommene
Entmenschlichung der Juden sollte unter dem Hitlerregime pseudowissenschaftlich belegt, ideologisch
gerechtfertigt und propagandistisch aufbereitet werden. Hitler hatte die notwendige publizistische
Vorarbeit schon in den zwanziger Jahren geleistet.24 Wenngleich an dieser Stelle vor einer
Fokusierung auf die Person Hitlers gewarnt werden soll, ist seine Person als einer der zahlreichen
maßgeblichen Initiatoren und Gestalter der NS-Judenpolitik zweifellos nicht von der Hand zu weisen.
16
Michael Werz (Hg.), Antisemitismus und Gesellschaft. Zur Diskussion um Auschwitz, Kulturindustrie und
Gewalt ( Frankfurt/Main 1995 ) 29
17
Detlev Peukert, Alltag und Barbarei. In: Dan Diner (Hg.), Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Zu
Historisierung und Historikerstreit ( Frankfurt/Main 1987 ) 58
18
Werz, Antisemitismus und Gesellschaft. S. 29
19
Ebenda. S. 29
20
Ebenda. S. 30
21
Bauman, Dialektik der Ordnung. S. 103
22
Werz, Antisemitismus und Gesellschaft. S. 30
23
Ebenda. S. 31
24
Adolf Hitler, Mein Kampf. 763. - 767. Auflage ( Wien 1942 )
5
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
Goebbels’ Propaganda tat das Ihrige: Nunmehr (1939) gehe es darum, die Juden „loszuwerden“.
25
Der traditionelle Antisemitismus hatte es erlaubt, Juden furchtbarer Verfolgung auszusetzen,
auch waren sie vielfach gezeichnet und ghettoisiert worden, eine vollständige und systematische
Auslöschung wurde erst durch die nationalsozialistische Vermischung von Antisemitismus mit dem
rassebiologischen Denken in Verbindung mit der die Judenbehandlung radikalisierenden
bürokratischen Kompetenzproblematik in diesem Bereich herbeigeführt.26 Vor dieser letzten und
endgültigen Stufe, den Todeslagern des Ostens, stand noch eine solche, „die Demütigung der
annulierten Emanzipation“, die Zurückweisung dieser „hochassimilierten Träger deutscher
Kultur“ ins Ghetto.27 Warschau kann als eines der furchtbarsten Beispiele nationalsozialistischer
Judenpolitik im besetzten Polen gelten und muß als Mahnmal für alle Zeiten historisches Gut bleiben
- nicht nur für „die Deutschen“ ( und damit überdurchschnittlich viele Österreicher ) als Täter der
Verbrechen.
Die traditionelle Täterforschung ist bislang von der These ausgegangen, daß Opfer, Täter und
Unbeteiligte „schon unterschiedlich disponierte Persönlichkeiten gewesen sein müßten, bevor
sie dann in der Vernichtungsmaschinerie in diesen unterschiedlichen Rollen in Erscheinung
traten“.28 Insbesondere die Täter müßten demzufolge gleichsam durchgehend pathologische
Charakteristika, Merkmale und Züge des Mörders zeigen, etwa strikt obrigkeitshörig, gewaltbereit,
emotionslos, kurz: Typ Adolf Eichmann mit seiner „reibungslos und ordentlich“ laufenden
Wiener (Auswanderungs-)Dienststelle.29 Die realen Täterprofile ergeben sich gemäß heutigen
soziostrukurellen Analysen der nationalsozialistischen Gesellschaft anders: Nicht eine gleichsam
entfesselnd wütende, aber oligarchisch-kleine Nazi-Elite plante, organisierte und vollendete Ghettos,
„Endlösung“ und Vernichtungskrieg ohne Wissen und Zutun des Großteils der Bevölkerung. Das
Bild vom millionenfachen „Täter neben Hitler“ fügt sich zu einem in Dimension in der Tat bislang
nicht erfaßten Bild von der Täterstruktur des Dritten Reichs.
Die - wie Welzer sie nennt - „Unauffälligkeit der Täter“ 30, Görings, von Schirachs,
Heß’ setzte sich auf allen Ebenen des NS-Staats fort. „Normale“ Leute, Familienväter und biedere
Arbeiter, die sich aus „Erfüllung des Treueids“31, „Pflichtbewußtsein“ („Ich war mein ganzes
Leben an Gehrosam gewöhnt gewesen, (...) bis zum 8.Mai 1945 - ein Gehorsam, der sich in
den Jahren der Zugehörigkeit zur SS zu Kadavergehrosam, zum bedingungslosen Gehorsam
entwickelte“, erklärte Eichmann 196132 persönlichem Vergnügen oder dienstfreizeitlicher
Gruppenbelustigung. „Wie die Geschichte des Reserve-Polizeibataillons 101 zeigt, wurden
Massenmord und Alltagsroutine schließlich eins. Die Normalität selbst wurde immer
25
Helmut Heiber (Hg.), Goebbels Reden 1932-1945. 2 Bände ( Bindlach 1991 ) 319
Peukert, Alltag und Barbarei. In: Diner, Ist der Nationalsozialismus Geschichte? S. 59
27
Wolfgang Benz, Theresienstadt und der Untergang der deutschen Juden. Versuch einer Ortsbestimmung.
In: Wolfgang Benz, Hans Buchheim, Hans Mommsen (Hg.), Der Nationalsozialismus. Studien zur
Ideologie und Herrschaft ( Frankfurt/Main 1993 ) 179 - 181
28
Welzer, Nationalsozialismus und Moderne. S. 106
29
Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen ( München 1986 ) 96
30
Welzer, Nationalsozialismus und Moderne. S. 107
31
Johannes Mario Simmel, Wir haben nur unsere Pflicht getan. Vorwort. In: Walter Manoschek (Hg.), Die
Wehrmacht im Rassenkrieg. Der Vernichtungskrieg hinter der Front ( Wien 1996 ) 17
32
Jochen von Lang, Das Eichmann-Protokoll. Tonbandaufzeichnungen der israelischen Verhöre
( Wien 1991 ) 262
26
6
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
abnormaler.(...) Die Geschichtsschreibung muß in einem solchen Fall ganz eindeutig jegliche
Dämonisierung ablehnen.“33 Daß dieses in gleicher Form selbstverständlich auch für die
Initiatoren, Bewacher, Liquidatoren und „Bystanders“ des Warschauer Ghettos zu gelten hat,
wird von mir an dieser Stelle mit Nachdruck betont.
Bei einer eingehenden Befassung mit der Thematik des ( nationalsozialistisch-großdeutschen )
Antisemitismus als unbedingt notwendiger Background des hier zu behandelnden konkreten Themas
„Das Warschauer Ghetto 1939-43“ läßt sich somit - falls der Versuch einer Annäherung
meinerseits geglückt ist - ein gewaltiger ideengeschichtlicher und historischer Bogen hin zur
soziologischen Facette der NS-Ghettoisierungs- und späteren Vernichtungspolitik spannen. Die
vorliegende Arbeit soll sich im Rahmen einer kurzen gesamtkontextualen Betrachtung der Entstehung
und vor allem ökonomischen Entwicklung des Ghettos Warschau in erster Linie der Liquidation und
der Vernichtung der jüdischen Bewohner widmen. Eine weitergehende Behandlung, d.h. eine
weitergehende Einbeziehung anderer Aspekte wird im relativ engen Rahmen einer Seminararbeit nur
bedingt möglich sein.
Ziel und Intention ist es, nach dem vorliegenden Versuch einer unabdingbaren polit-historischen
theoretischen Komponente, die spezifische Ausformung nationalsozialistischen Antisemitismus am
Beispiel der wirtschaftlichen Ausbeutung, des Leidens und Sterbens der Warschauer Juden zu
behandeln.
Mein Dank gilt an dieser Stelle Dr. Betrand Perz für wertvolle Literaturtips sowie dem
zuvorkommenden Personal der Bibliothek des Instituts für Zeitgeschichte in Wien und allen meinen
privaten Literaturleihern.
II. NS-Besatzungspolitik im Generalgovernement in Grundzügen
„Vernichtung Polens im Vordergrund. (...) Bei Beginn und Führung des Krieges kommt es
nicht auf das Recht an, sondern auf den Sieg. Herz verschließen gegen Mitleid. Brutales
Vorgehen. 80 Millionen Menschen müssen ihr Recht bekommen. Ihre Existenz muß gesichert
werden. Der Stärkere hat das Recht. Größte Härte. (...) Neue deutsche Grenzführung nach
gesunden Gesichtspunkten...“
Adolf Hitler vor Militärs, 22.August 193934
33
Christopher R. Browning, Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“
in Polen ( Reinbek bei Hamburg 1996 ) 16
34
Ernst Klee, Willi Dreßen (Hg.), „Gott mit uns“. Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten 1939-1945
( Frankfurt/Main 1989 ) 11
7
„Modernität und Holocaust“
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• Die großdeutsche Verwaltung
Die Frage nach dem „schwachen oder starken Diktator“ Hitler belebt den
wissenschaftlichen Diskurs bereits seit geraumer Zeit. Diese Frage wirkt zweifellos auch in die
Problematik der deutschen Verwaltungsstruktur und deren Administrations- und
Entscheidungsprozeß hinein.
Ein wesentliches Merkmal der großdeutschen Administration im besetzten Ostgebiet war zweifellos
der im Kompetenzbereich eklatante „Mangel an System und Struktur“35. Auch Aly kommt zu
einem ähnlichen Schluß, wenngleich er im Gegensatz zu Kershaw die Person Hitlers als
unmittelbaren und permanenten Akteur des Verwaltungsprozesses ( und damit der vor Ort
betriebenen Ghettoisierungspolitik ) stark relativiert.36
Gemäß Erlaß Hitlers vom 8.Oktober 1939 waren die westlichen und nördlichen Teile Polens
nach dessen Niederlage gegen das „vollkommmene Beispiel des modernen Blitzkrieges“37
annektiert worden. 38 Sie wurden im Großdeutschen Reich amtlich nunmehr als „eingegliederte
Ostgebiete“ bezeichnet. Madajczyk und Broszat schließen, durch die Teilung in eine Zone der
„Neuordnung“ und das Gebiet des Generalgovernements solle eine möglichst schnelle Realisierung
der Ausbeutungspolitik ermöglicht werden. ( „Grundsätzlich kommt es darauf, den riesenhaften
Kuchen handgerecht zu zerlegen, damit wir ihn erstens
beherrschen, zweitens verwalten und drittens ausbeuten können“)39 an. Auch war die
Festlegung der Grenze erforderlich, um mit der angepeilten Aussiedlung der Juden ( Polen stellt 1939
den „größten Konzentrationspunkt der Juden in Europa“ dar )40 und Polen in das
Generalgovernement und der Voldsdeutschen aus demselben beginnen zu können, wenngleich
kleinere Grenzfragen - Eingliederung der Kreise Petrikau und Tomaschow in das Reich - weiterhin
offenbleiben.41 ( Auch die territoriale Regelung der Litauenfrage und damit jene der
Woiwodschaften Warschau und Lublin wurde erst am 28. September in Moskau zwischen
Ribbentrop und Stalin/Molotow ausgehandelt)42
Im okkupierten Gebiet etablierten sich nunmehr ( siehe oben ) einander überlappende,
vielfach ergänzende und häufig konkurrierende Organisationen und Institutionen des NS-Staates.
„Mit Leichtigkeit bemächtigte sich die SS neuer Betätigungsfelder. Dies zeigte sich (...) im
Generalgovernement hinsichtlich der Polizeigerichtsbarkeit.“43 Himmler, seit Oktober 1939
35
Ian Kershaw, Hitlers Macht. Das Profil der NS-Herrschaft. Deutsche Erstausgabe ( München 1992 ) 242
Götz Aly, „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden ( Frankfurt/Main
1995 )
37
Winston S. Churchill, Der Zweite Weltkrieg. Deutsche Sonderausgabe
( Rheda - Wiedenbrück - Wien 1995 ) 200
38
Czeslaw Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939-1945. Deutsche Ausgabe
( Köln 1988 ) 31
39
Ralph Giordano, Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. Die Pläne der Nazis nach dem Endsieg
( Hamburg 1989 ) 153
40
Wladyslaw Bartoszewski, Das Warschauer Ghetto - Wie es wirklich war. Zeugenbericht eines Christen.
Erweiterte Ausgabe ( Frankfurt/Main 1986 ) 15
41
Madajczyk, Die Okkupationspolitk Nazideutschlands . S. 31-33
42
William Lawrence Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches. Deutsche Sonderausgabe
( Bindlach 1990 ) 577
43
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 44
36
8
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
„Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums“ und seine Führungselite
interpretierten ihren Tätigkeitsbereich als „politische Verwaltung“ und erlangten im Zuge dessen
ihre erstrangige Stellung in der Okkupationsadministration.44 Eine Völkerverschiebungspolitik
enormen Ausmaßes sollte die Folge sein. Auch im weiteren bleibt der Führungsanspruch der SS
unumstritten, tiefgreifende Konflikte vor allem mit den Wirtschaftsbehörden bestimmten das Bild.45
Diese sogennnten „Umsiedlungen“ des jüdischen Bevölkerungsteils waren in Wirklichkeit
Deportationen ungeheuren Ausmaßes. Man depoertierte die Juden ( die sich für Hitler eindeutig als
„Asiaten“, nicht als Europäer darstellten)46 in Ghettos, in Zwangsarbeitslager und unmittelbar in
Vernichtungslager.
Der größte Teil der jüdischen Bevölkerung mußte sich über eine längere Zeitspanne hinweg in den
Ghettos aufhalten. Ausgenommen die Lager, gibt es wohl kaum einen tragischeren Gegenstand der
Betrachtung als die Ghettos. In erster Linie gingen natürlich alte Menschen und Kinder an den
dortigen Lebensbedingungen zugrunde oder wurden direkt liquidiert ( Ende 1942 betrug der
Prozentsatz der Einwohner im arbeitsfähigen Alter im Warschauer Ghetto 91 Prozent, das MännerFrauen-Verhältnis 100:79)47
Die Ghettos boten zugleich die Möglichkeit, das Vermögen der Juden zu konfiszieren und
deren Besitzstand zu kontrollieren; „in ihren Mauern konzerntrierte sich ein großes Arbeiterheer,
das für jegliche Sklavenarbeit Verwendung finden konnte“.48 Somit war die Zeit von Oktober
1939 bis Oktober 1940 jene, in welcher die jüdische Bevölkerung des Generalgovernements welche übrigens entgegen weitverbreiteter Meinung nicht primär im Handel beschäftigt war49 - ( und
die nicht in den Massakern von 1939 vernichteten Teile der
polnischen Intelligenz )50 ihre Wirtschaftskraft einbüßte und verarmte. Vermögensverfügungsrecht,
Partizipation im öffentlichen Dienst, Pensionen, Kranken- und Schuldienste und vieles mehr wurde
stark eingeschränkt oder ganz gestrichen und schon im November 1939 wurde im
Generalgovernement ( Ostrow Mazowiecka ) eine Massenexekution durchgeführt.51
Die nächste Phase der großdeutschen Verwaltungsplanung wurde bereits von den Ghettos un
den darin ungestraft ausgeübten Gewalttätigkeiten charakterisiert.52 Im Generalgovernement wurde
selbst „angeheiratete“ Juden, Nichtjuden also, eingesperrt ( im Juli 1940 wurden die Nürnberger
Gesetze - siehe Anhang - per Verordnung im Generalgovernement eingeführt).53 Ein Zeitzeuge :
„Im Ghetto sind die Juden so zusammengedrängt, daß bis zu dreizehn Personen in einem
Zimmer wohnen müssen. 128 000 Menschen pro Quadratkilometer.“54 „Ein Teil der
44
Ebenda. S. 45
Rolf-Dieter Müller, Hitlers Ostkrieg und die deutsche Siedlungspolitik ( Frankfurt/Main 1991 ) 83
46
Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier ( Frankfurt/Main - Berlin 1993 ) 340
47
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 258
48
Ebenda. S. 258
49
Adam Czerniakow, Im Warschauer Ghetto: Das Tagebuch des Adam Czerniakow 1939-1942. Deutsche
Ausgabe ( München 1986 ) VII
50
George L. Mosse, Die Geschichte des Rassismus in Europa. Vom Autor durchgesehene und erweiterte
Ausgabe ( Frankfurt/Main 1990 ) 255
51
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 365
52
Ebenda. S. 366
53
Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden. Durchgesehene und erweiterte Ausgabe in 3 Bänden
( Frankfurt/Main 1990 ) 1.Band 226
54
Günther Schwarberg, Das Ghetto. Spaziergang in die Hölle ( Frankfurt/Main 1991 ) 12
45
9
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
jüdischen Bevölkerung hegte beim Umzug ins Ghetto sogar die Hoffnung, dieses würde Schutz
vor deutscher Brutalität bieten und das Leben unter ihresgleichen erleichtern...“55
• „Heimholung“ der Volksdeutschen - Konzentration der Juden
Im Frühjahr 1940 beschränkten sich die bevölkerungspolitischen Pläne der großdeutschen
Technokraten noch auf den von der Wehrmacht 1939 eroberten und besetzten Teil Polens. Sie
bestätigen, wie intensiv die SS-Führung sich um das Ineninandergreifen von Massendeportationen,
Germanisierung und Entwicklungsplanung bemühte.56
Die These vom Konnex zwischen „Heimholung“ der vor allem Wolhynien-, Bessarabien-,
und Baltendeutschen und der Konzentration der Juden zur Platzschaffung wird von Aly vertreten.
Er konstatiert einen Zusammenhang zwischen Umsiedlungspolitik und Lösung der „Judenfrage“
und sieht die Akten zur Umsiedlungspolitik als „komplemetäre Überlieferung zur
Entscheidungsgeschichte des Holocaust“.57 Auch werden an anderer Stelle die ersten
Massenermordungen Geisteskranker ( Oktober 1939 - Frühjahr 1940 mittels Gaswagen als
„Modell für die spätere Ermordung der Juden“ 58 gesehen. „Die praktische Erfahrung des
Mordens muß rückblickend als Zwischenstufe auf dem Weg zum Holocuast gesehen werden“59
Bei der Betrachtung der großdeutschen „Heimholung“ muß insgesamt ein Scheitern des
NS-Technokraten im Zuge der praktischen Durchführung angemerkt werden. Die - durchaus
verschieden motivierten - Um- und Rückwandererpläne blockierten einander nicht selten in ihrer
jeweiligen Prioritätensetzung. „...In der Siedlungspolitik bleib die Umsetzung
seiner [Himmlers] Ambitionen letzlich Stückwerk...“60 Mangels Deportationsmöglichkeiten blieb
für die Juden und Polen des Generalgovernements das Zusammenpferchen in Lagern und für die NSFührung damit die Möglichkeit der propagandistischen Aufbereitung des Images vom verdreckten,
herumlungernden Schleichhändler.
Exemplarisch für die Nicherfüllung des selbstgesteckten „Solls“ der nationalsozialistischen
Bevölkerungsplaner kann der „vollständig gescheiterte“ 3. „Nahplan“ gelten61, im Zuge dessen
trotz massivem Druck der Wehrmacht ( diese forderte Aussiedlungen für Truppenübungsplätze und
seit Anfang 1941 eine Transportsperre und verstärkte Judenghettoisierung wegen des Aufmarsches
für „Unternehmen Barbarossa“) nur 3,5 Prozent des Plansolls umgesetzt werden. 62 In der Folge
ergibt sich dennoch beträchtlicher Raum- und Hofmangel für die durch bisweilen entbehrungsreiches
Lagerleben frustrierten deutschen „Heimkehrer“; die Vertreibung der Juden, um für von
55
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 367
Giordano, Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. S. 155
57
Aly, „Endlösung“. S.24
58
Ebenda. S. 194
59
Ebenda. S. 194
60
Müller, Hitlers Ostkrieg. S. 83
61
Aly, „Endlösung“. S. 239
62
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 259 und Aly, „Endlösung“. S. 239
56
10
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
Volksdeutschen vertriebene
Detailproblemen“.63
Polen
Platz
zu
schaffen,
versinkt
in
teils
„grotesken
„Das Schicksal hat entschieden, daß wir hier die Herren, die Polen aber die uns anvertrauten
Schutzunterworfenen sind...Es muß ein Unterschied zwischen dem Lebensstandard des
Herrenvolkes und dem der Unterworfenen sein (...) Was die Behandlung der Juden anbelangt,
so habe ich genhmigt, daß in Warschau das Ghetto geschlossen wird, vor allem weil
festgestellt ist, daß die Gefahr von den 500 000 Juden os groß ist, daß die Möglichkeit des
Herumtreibens dieser Juden unterbunden werden muß...“
Hans Frank, 12. September 194064
Die Konzentration der polnischen Juden sah Heydrich in zwei Phasen vor. Im Verlauf der
ersten Phase sollten annähernd 600 000 Juden aus den eingegliederten Gebieten in das
Generalgovernement abgeschoben werden; die jüdische Bevölkerung des Generalgovernements
wäre auf diese Weise von 1,4 auf rund 2 Millionen angewachsen. Der zweite Teil seines Konzepts
sah vor, diese 2 Millionen Juden in geschlossenen Bezirken, den Ghettos, zusammenzufassen.65
„Mit geringer Verzögerung wurden die Züge ab 1.Dezember in Richtung
Generalgovernement in Bewegung gesetzt“.66 Sofort nach Beginn der Aktion erfuhr das
Programm eine Erweiterung - Alle Juden und Zigeuner aus dem Reich sollten in das
Generalgovernement abgeschoben werden, die entvölkerten Gebiete mit Volksdeutschen
aufgefüllt werden. Nur: „Es gab weder Millionen siedlungswilliger Bauern in Deutschland noch
Tausende von einsatzbereiten ‘Wehrbauern’“,67 die „Eindeutschung“ der Gebiete gestaltete
sich weitaus schwieriger als erwartet.68 Für Generalgoverneur Frank ( der später, in Nürnberg,
seine Rolle und Person im Handlungsprozeß des Generalgovernements auf
bemerkenswerte Art herunterzuspielen versuchte )69 freilich war die Deportation ins ehemalige
Polen vor dem Hintergrund des greifbar nahe scheinenden „Endsiegs“ nur eine Zwischenlösung auf
dem Weg zur Aussiedlung der Juden aus Europa.70 ( Die Aussiedlungspläne der Jahre 1939/40
bezogen sich zunächst auf das „Judenreservat Lublin“, dann auf den „Madagaskarplan“. Beide
Projekte scheiterten bis zum Herbst 1940 aus unterschiedlichen Gründen )71 Im Zuge dessen sollte
es in Zukunft noch zu weiteren Disputen vor allem zwischen ihm und dem Wiener Gauleiter Baldur
von Schirach über „dessen“ Judendeportationen in Franks Einflußbereich kommen.72
63
Aly, „Endlösung“. S. 247
Helge Grabitz, Wolfgang Scheffler, Letzte Spuren. Ghetto Warschau, SS-Arbeitslager Trawniki, Aktion
Erntefest. Fotos und Dokumente über Opfer des Endlösungswahns im Spiegel der historischen
Ereignisse. 1. Auflage ( Berlin 1988 ) 290
65
Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 215
66
Ebenda. S. 215
67
Müller, Hitlers Ostkrieg. S. 87
68
Gerhard Eitel, Versklavung und Vernichtung. Deutsche Unterdrückungspolitik in Polen 1939-1945.
Diplomarbeit an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien ( Wien 1989 ) 44 - 45
69
Werner Maser, Nürnberg. Tribunal der Sieger ( Düsseldorf 1988 ) 492
70
Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 215 - 216
71
Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 213
72
Aly, „Endlösung“. S. 183 und Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 221
64
11
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
In den ersten beiden Monaten des Aussiedlerprogramms wurden etwa 200 000 Polen und
Juden, vor allem aus Wien, Prag, Mährisch-Ostrau und Stettin deportiert.73 Häufig wurden
Ghettos in unbekannter, fremder Gegend errichtet, wo sich viele Bewohner kaum heimisch fühlen
konnten. Auch die gesellschaftliche Spannungen zwischen den umgesiedelten jüdischen Menschen im
Ghetto war beträchtlich: „Die den Menschen in den Ghettos auferlegten Bedingungen förderten
sogar die Entstehung von Konflikten zwischen Einheimischen und Fremden. Das alles
beeinflußte naturgemäß die Fähigkeit der Ghettobevölkerung zum Widerstand und erschwerte
zwangsläufig die Hilfeleistung“.74
• Die Errichtung des Ghettos
„Die Juden werden jetzt alle in ein Viertel zusammengepfercht und mit einer Mauer
eingeschlossen. Da können sie dann wurschteln wie sie wollen...“
Uffz. K.G., 1.November 1940, Warschau75
Während der ersten sechs Monate gab es beim Ghettoisierungsprozeß „wenig Planung
und viel Konfusion“.76 So war ursprünglich aufgrund der Größe auch geplant, in Warschau zwei
Ghettos anzulegen, eines in Wola, das andere in Grochow, was jedoch wegen technischer
Undurchführbarkeit im zeitlichen Rahmen scheiterte.77 Die administrativen Vorbereitungen wurden
zwar zügig abgewickelt, doch die eigentliche Bildung der Ghettos kam nur schleppend voran. So
wurden die Mauern um das gewaltige Warschauer Ghetto, das hier behandelt werden soll,
„angeblich wegen Typhusgefahr“78 im Herbst 1940 geschlossen, jene des Ghettos Lublin im
April 1941.79 ( Die Entscheidung zur Errichtung einer drei Meter hohen Mauer um das für mehrere
hunderttausend Menschen konzipierte Warschauer Ghetto fiel übrigens in Berlin, ohne daß
Einwände Warschauer Dienststellen berücksichtigt wurden )80
Die den unmittelbaren Ghettoisierungsprozeß einleitenden Vorbereitungsschritte bestanden
aus Kennzeichnungsmaßnahmen ( weiße Armbinde mit blauem Davidstern ab 23. November 1939
)81, Bewegungsbeschränkungen ( Ausgangssperren ) und der Bildung jüdischer Kontrollorgane.
Die Bildung von Judenräten war die bedeutendste Konzentrationsmaßnahme vor Errichtung
der Ghettos. Aufgrund einer Generalgovernements-Verordnung vom 28.November 1939 hatten alle
jüdischen Gemeinden bis zu 10 000 Mitgliedern einen 12köpfigen, alle größeren Gemeinden einen
24köpfigen Judenrat zu wählen. Wer waren die Mitglieder der Judenräte und worin bestand ihre
73
Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 216
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 367
75
Walter Manoschek (Hg.), „Es gibt nur eines für das Judentum: Vernichtung“. Das Judenbild in deutschen
Soldatenbriefen 1939- 1944 ( Hamburg 1995 ) 18
76
Hilberg, Die Vernichtung. 1.Band. S. 225
77
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 259
78
Ebenda. S. 259
79
Hilberg, Die Vernichtung. 1.Band. S. 225
80
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 367
81
Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 227
74
12
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
Aufgabe? Wie im Reich setzten sich die Judenräte auch in Polen aus jüdischen Führern der
Vorkriegszeit
zusammen,
Gemeinderäten,
Parteifunktionären
und
Mitarbeitern
in
82
Wohlfahrtsverbänden. Die Situation angesichts der nunmehrigen Verantwortung über das
Warschauer Ghetto schildert Hilberg: „Ein altgedienter jüdischer Politker [Hartglas], der in den
Warschauer Judenrat berufen worden war, erinnerte sich später an den Tag, als Czerniakow (
ein gelernter Chemiker ) eine Reihe neuernannter Ratsmitglieder in sein Büro rief, um ihnen
mitzuteilen, wo er den Schlüssel zu seiner Schreibtischschublade aufbewahrte, in der er ein
Fläschchen mit 24 Zyankalikapseln deponiert hatte.“83
Die Ghettobildung war aufgrund ihrer Dimension auch für die NS-Bürokratie keine
unbeträchtliche logistische Aufgabe. Im Falle Warschaus, wo der Vorgang insgesamt ein Jahr
beanspruchte, kam es im November 1939 zum ersten Schritt - das Betreten des
„Seuchensperrgebiets“, des hauptsächlich von Juden bewohnten Teils der Altstadt wurde
großdeutschen Soldaten untersagt. Am 7.November schlug der Gouverneur des Distrikts Warschau,
Fischer, vor, alle Juden (rund 300 000 ) in ein Ghetto zusammenzufassen.84 „Frank stimmte dem
Vorschlag umgehend zu“.85 Für die Aufsicht über das Ghetto und dessen Verwaltung waren im
übrigen zwischen 1939 und 1943 verschiedene deutsche Behörden zuständig. In den ersten Monaten
der Besetzung waren die Einsatzgruppe IV und die Militärverwaltung verantwortlich für die jüdische
Gemeinde. Als die Ziviladministration unter Frank und Fischer eingeführt wurde, ging die Verwaltung
de jüdischen Wohnbezirks in die Hände von Zivilbeamten über. Zwischen diesen und den
Polizeibehörden ( SD und SS ) gab es „ständig Spannungen und Eifersüchteleien“.86
Ebenfalls im November schrieb der junge deutsche Stabsoffizier Major Hellmuth Stieff an
seine Frau: „Warschau selbst macht einen trostlosen Anblick.[...] Man bewegt sich dort nicht
als Sieger, sondern als Schuldbewußter! [...] Die blühendste Phantasie einer
Greuelpropaganda ist arm gegen die Dinge, die eine organisierte Mörder-, Räuber- und
Plündererbande unter angeblich höchster Duldung dort verbricht.[...] Ich schäme mich, ein
Deutscher zu sein!“ 87 Die Ausschreitungen der durch „lange vor dem Krieg und ihrem
Wehrdienst“ gemachten Erfahrungen88 indoktrinierten Truppe waren in Warschau eklatant
(„Kein Wunder nach der jahrelangen Erziehung!“ wie Oberstleutnant Groscurth im Oktober
1939 bemerkte)89 , was vor allem den Oberbefehlshaber der 8. Armee, Blaskowitz, zu scharfen
Protesten veranlaßte.90
Nichtsdestrotrotz mahlten die Mühlen der NS-Bürokratie ungebremst weiter. Im folgenden
Winter rief Fischer eine Abteilung Umsiedlung ins Leben. Nunmehr drängte auch die Wehrmacht
82
Ebenda. S. 227
Ebenda. S. 228
84
Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 9
85
Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 235
86
Czerniakow, Tagebuch. XV
87
Telford Taylor, Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht.
Deutsche Ausgabe ( München 1995 ) 38 und Helmut Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen. Die
Truppe
des Weltanschauungskrieges 1938 - 1942. Durchgesehene Ausgabe ( Franfurt/Main 1985 ) 288
88
Omer Bartov, Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges ( Reinbek bei
Hamburg 1995 ) 166
89
Krausnick, Einsatzgruppen. S. 277
90
Ebenda. S. 277
83
13
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
aufgund erhöhter Truppenkonzentration im Gebiet im Sommer 1940 auf eine beschleunigte
Ghettoisierung im Distrikt Warschau.91 Am 25.September des Jahres waren auch bei Czerniakow
die letzten Zweifel an den Absichten der Besatzer gefallen - An jenem Tag gebrauchte er das Wort
„Ghetto“, ohne sich über dessen Bedeutung Illusionen zu machen.92
Am 2.Oktober 1940 wurde die auf jüdischer Seite seit langem befürchtete Verordnung Fischers zur
Errichtung des Warschauer Ghettos, im großdeutschen Sprachgebrauch nur als „jüdischer
Wohnbezirk“ bezeichnet, erlassen93 und somit ein Drittel der Warschauer Bevölkerung auf 2,4
Prozent der Stadtfläche zusammengepfercht.94
Ursprünglich bis zum 31.Oktober 1940, dann verlängert bis zum 15.November, mußten die
im künftigen jüdischen Wohngebiet lebenden Polen ihre Wohnúngen verlassen haben und die
außerhalb des jüdischen Wohnbzirkes wohnenden Juden hatten ihren Wohnsitz ins Ghetto-Gebiet zu
verlegen, das sich westlich der Weichsel im Zentrum Warschaus befand. Das Ghetto wurde nach
und nach durch hohe Mauern - auf Kosten des Judenrates und durch jüdische Zwangsarbeit - vom
übrigen Teil der Stadt abgeriegelt. Bewacht wurde das Ghetto von deutscher und polnischer Polizei
beziehungsweise 2000 Mann jüdischem Ordnungsdienst
( innerhalb des Ghettos )95 Für die Bewachung war eine Kompanie des 304., später des 60.
Bataillons des Warschauer Polizeiregiments ( Oberstleutnant Jarke ) zuständig.96
Seit der nunmehr auch legistisch erledigten Ghettobildung durften Juden wie „Arier“, auch
wenn die Großdeutschen der SS, Polizei oder sonstigen Formationen angehörten, das Ghetto nur mit
einem Passierschein betreten und verlassen.97 „Das Warschauer Ghettos war niemals frei
zugänglich gewesen, doch anfangs gab es 28 Zugänge [diese wurden später auf 15 reduziert],
die von etwa 53 000 Passierscheininhabern benutzt wurden“.98 Sollten Waren ein- oder
ausgeführt weren, bedurfte es eines Waren-Passierscheins. ( Eine Hochblüte erlebten in dieser und
ähnlicher Notsituation natürlich Schmuggler- und Schiebertum beziehungsweise die Korruption. Bis
zur „Umsiedlung“ konnten vermögendere Ghettoinsassen, noch nahezu alles - wenngleich zu
horrenden Preisen - erwerben. „Ohne illegale Gewinne und Schmuggel hätte das Ghetto
niemals existieren können“ )99
„Natürlich gab es auch Amtsmißbrauch auf jüdischer Seite. Es wär sonderbar, hätte es ihn in
einer solchen Lage nicht gegeben. Natürlich genossen die jüdischen Beamten gewisse
Privilegien. Es wäre seltsam, hätten sie solche Privilegien nicht gehabt, - sie waren ja dem
Aufseher der SS und dem Wachtposten für alles verantwortlich. Aber heute steht eines
91
Aly, „Endlösung“. S. 236 und Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 236
Czerniakow, Tagebuch. S. 201
93
Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 9
94
Sarah Gordon, Hitler, Germans and the „Jewish question“ ( Princeton 1984 ) 126
95
Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 9
96
Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 237-238
97
Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 9-10
98
Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 237
99
Marion Badurek, Judenverfolgungen und nationalsozialistische Konzentrationslager im Zeitraum von
1933 - 1945. Diplomarbeit an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien ( Wien
1986 ) 60
92
14
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
unerschüttelich fest und außer Frage: Verantwortlich für die Leiden der Juden waren
ausschließlich die Deutschen, die Ghettoverwaltung, die Gestapo, die Kripo...“100
Am 1.Oktober 1940 wohnten in Warschau etwa 410 000 Juden ( zuzüglich rund
20 000 „Illegaler“ ), dies in 61 000 Wohnungen mit 140 000 Räumen. 101 Am 1.Mai 1941 - vorher
hatten die rund 72 000 westlich der Weichsel lebenden Juden ihren Wohnsitz ins Ghetto verlegen
müssen - hausten in der mittlerweile unerträglichen Enge des Ghettos ( 403 Hektar ) etwa 500 000
Menschen. Dies bedeutete eine Bevölkerungsdichte von 110 800 Menschen pro Quadratkilometer
gegenüber rund 38 000 im Rest der Stadt. Weitere 110 000 Juden wohnten östlich der Weichsel. Im
Lauf der folgenden Monate nahm aus diesem Gebiet, aber auch aus anderen Teilen des
Generalgovernements aus Sicherheitserwägungen seitens der Juden immer mehr zu, sodaß im
Sommer 1942, Beginn der großen „Umsiedlung“ in das Vernichtungslager Treblinka ( dazu unten
), weit mehr als 500 000 Juden im Ghetto gelebt haben dürften. 102
III. Ökonomische Aspekte - Die Nutzung der Juden als Produktivfaktor
• Die wirtschaftlichen Dispositive Großdeutschlands 1939-1943 im Abriß
Die ökonomische Situation Großdeutschlands war vor und während des Krieges von zwei in
Kombination direkt in die militärische Expansion mündenden Fakoren beeinflußt: Hitlers
wirtschaftliches Autarkiestreben103 und dem permanenten Rohstoffmangel im Reich selbst, welcher
Rüstung und Wirtschaftsteuerung über kurz oder lang massiv beeinträchtigen mußte und dies auch
tat.104 ( Freilich stand das Dritte Reich mit seiner autonomen, abschirmenden Außenhandelspolitik die auf agrarischem Sektor letztlich scheiterte105 - nicht nur in der Tradition Weimars, sondern auch
im internationalen Entwicklungstrend der dreißiger Jahre, welcher nahezu direkt in die
Weltwirtschaftskrise führte )106 Hitler hat diese Faktoren - offenbar unter dem Eindruck der
Blockadeerfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg - schon in „Mein Kampf“ erkannt und seine
Conclusio in einer programmatischen Feststellung getroffen: „Wir stoppen den ewigen
Germanenzug nach dem Süden und Westen Europas und
100
Dawid Sierakowiak, Das Ghettotagebuch des Dawid Sierakowiak. Aufzeichnungen eines
Siebzehnjährigen 1941/42 ( Leipzig 1993 ) 11
101
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 259
102
Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 12
103
Charles Bettelheim, Die deutsche Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus. Deutsche Ausgabe
( München 1974 ) 223
104
Hartmut Schustereit, Vabanque. Hitlers Angriff auf die Sowjetunion 1941 als Versuch, durch den Sieg im
Osten den Westen zu bezwingen ( Herford - Bonn 1988 ) 15
105
Rolf-Dieter Müller, Die Konsequenzen der „Volksgemeinschaft“: Ernährung, Ausbeutung und
Vernichtung. In: Wolfgang Michalka (Hg.), Der Zweite Weltkrieg. Analysen, Grundzüge,
Forschungsbilanz. 2. Auflage ( München 1990 ) 242
106
Ludolf Herbst, Die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik im internationalen Vergleich. In: Benz,
Buchheim, Mommsen (Hg.), Der Nationalsozialismus. S. 159
15
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
weisen unseren Blick nach dem Land des Ostens. Wir schließen endlich ab die Kolonial- und
Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zu einer Bodenpolitik der Zukunft.“107
Der Überfall auf Polen konfrontierte die NS-Wirtschaftsplaner mit sozialen Problemen, die
sie in diesem Ausmaß nicht kannten.108 Polen galt den nationalsozialistischen Raum- und
Wirtschaftskonzeptoren als überbevölkert und wirtschaftlich desorganisiert. Wurden die Verhältnisse
also schon vor dem Krieg als untragbar angesehen, so verschlimmerte sich die Situation mit der
Eingliederung Westpolens in das Reich. Das Hauptproblem der Wirtschaftsordnung im
Generalgovernement, einem laut Planer Meinhold „wenig hoffnungsvollen Gebilde“ war aus
großdeutscher Sicht die ständig wachsende Überbevölkerung. „Überbevölkerung“ wurde hier als
mangelende Produktivität, Unterbeschäftigung beziehungsweise unzureichende Nutzung der
Arbeitskraftressourcen definiert. Ohne einen Eingriff von außen würden sich laut Meinhold die
Bevölkerungsverhältnisse im Generalgovernement ständig verschlechtern, was nicht positiv im
Hinblick auf die Arbeitsproduktivität bewertet wurde.109
Somit läßt sich ab Mitte angesichts differenter Ambitionen und Ausbeutungswünsche
beziehungsweise Interpretationen eine „hektische Auseinandersetzung zwischen den
rivalisierenden Machtgruppen des Dritten Reiches um die langfristig beste
Wirtschaftsstrategie innerhalb der ‘Neuen Ordnung’ “ konstatieren. 110 Dies spielt sich zwischen
den Großkonzernen der Reichsgruppe Industrie, anderen Kartell- und Wirtschaftsverbänden, dem
Reichswirtschaftsministerium, der „Deutschen Arbeitsfront“ und den Vierjahresplan-Behörden
unter Görings Leitung ab. Nicht zu vernachlässigen sind natürlich auch kriegsbedingte
Veränderungstendenzen. Während des Kriges erreichte die staatliche Reglementierung ein solches
Ausmaß, daß sich bei machen Betrachtern ein Vergleich mit dem sowjetischen Kommandosystem
aufzudrängen scheint.111
Der Angriff auf Polen muß somit auch als versuchter Zugriff auf die Ressourcen des Landes
gesehen werden. Nach dem militärischen Sieg beschränkten sich die nationalsozialistischen
Okkupationsbehörden nicht auf eine völkerrechtlich gesatzte Militärverwaltung, sondern begannen
sofort und technokratisch-administriert, die Volkswirtschaften der besetzten Länder nach ihren
Intentionen umzugestalten und auszubeuten.112 Die Umsetzung dessen erfolgte über den
Vierjahresplan unter Görings Befehl. Der Plan sollt die Voraussetzungen für eine „Ausdehnung des
deutschen Einflußbereichs“ schaffen, „um die eigenen Wirtschaftskräfte im notwendig
bleibenden Umfang von außen her zu ergänzen“.113
Im Falle des Generalgovernments
bedeutete dies die Entindustrialisierung und „Lieferung von Arbeitssklaven und Rohstoffen“114,
für die Warschauer Juden im
107
Hitler, Mein Kampf. S. 742
Götz Aly, Susanne Heim, Die Ökonomie der „Endlösung“. Menschenvernichtung und wirtschaftliche
Neuordnung. In: Götz Aly, Susanne Heim, Miroslav Karny, Petra Kirchberger, Alfred Konieczny,
Sozialpolitik und Judenvernichtung. Gibt es eine Ökonomie der Endlösung? ( Beiträge zur
nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik: 5 ( Berlin 1987 ) 30
109
Ebenda. S. 31
110
Giordano, Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. S. 234
111
Herbst, Die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik. In: Benz, Buchheim, Mommsen (Hg.), Der
Nationalsozialismus. S. 166
112
Müller, Die Konsequenzen der „Volksgemeinschaft“. In: Michalka, Der Zweite Weltkrieg. S. 243
113
Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 51
114
Giordano, Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. S. 234
108
16
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
Sinne einer „Rationalisierung der Wirtschaft im Generalgovernement“ den „kolonnenweisen
Einsatz“ und „100 prozentige Ausnutzung dieser Arbeitskräfte“.115
• Die Aus beutung der Warschauer Juden
Die wirtschaftliche Bedeutung der polnischen - und damit auch der 500 000 Warschauer
Juden lag für die Nationalsozialisten in deren Zahl: „Zweieinhalb Millionen Menschen sind ein
bedeutender produktiver Faktor.“116 Das galt besonders in Polen, wo die Juden einen besonders
hohen Anteil an qualifiziertem Facharbeiterpersonal stellten.
Nach dem Einmarsch der Großdeutschen lag die polnische Wirtschaft darnieder. Bereits in
den ersten Wochen der NS-Besatzung wurden alsdann Juden von militärischen und zivilen Stellen
aufgegriffen und zur zwangsweisen Beseitigung der Kriegsspuren herangezogen. Am 26. Oktober
1939 erhob die Administration des Generalgovernements diese Art der Zwangsarbeit der
„Judenkolonnen“ ( siehe oben ) zum allgemeinen Prinzip.117
Der Warschauer Judenrat handelte rasch und stellte ein Arbeitsbataillon auf, das den
Okkupationsbehörden bei Bedarf zur Verfügung stehen sollte. Am 2.Dezember wurde seitens der
Besatzer eine entsprechende Verordnung zur diesbezüglichen Kompetenz der Judenräte erlassen.
Die durchschnittliche Stärke des Warschauer Arbeitsbataillons betrug 8 - 9000 Mann. Die
„Entlohnung“ dieser Arbeitskräfte war durchaus unterschiedlich. In Krakau etwa kam die
Stadtverwaltung mit einer bescheidenen Entschädigugn dafür auf, in Warschau zahlte Schu, einer
der größten Arbeitgeber an Czerniakow zwei Zloty pro Tag und Kopf. Er, Schu, wolle kein
„Sklaventum“. Dei Hauptlast der Entlohnung fiel somit den Judenräten zu.118
Generell bestand das System der Arbeitsausbeutung im besetzten Polen aus drei Komponenten:
1. Den Zwangsarbeiterkolonnen, anfänglich als Behelfslösung konzipiert und sehr kostengünstig
2. Den Arbeitslagern, die ein Nebenprodukt der Arbeitskolonnen waren, in der Bedeutung diese
aber sehr bald übertrafen
3. Dem Ghettoarbeitssystem119
Auch Privatbetriebe, die sich der Arbeitskräfte eines der Ghettos bedienen wollten, konnten
von einer beträchtlichen Verringerung ihrer Lohnkosten ausgehen. ( Zu erwähnen ist in diesem
Zusammenhang zweifellos der Unternehmer Oskar Schindler, der sich - wie vermutlich viele - hart
an der schwer zu definierenden Grenze zwischen ausbeuterischem Kriegsgewinnlertum und Mitgefühl
für die notleidenden Arbeiter bewegt haben dürfte )120 Dennoch war die Resonanz seitens der
115
Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 313 - 314
Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 261
117
Ebenda. S. 261
118
Ebenda. S. 263
119
Ebenda. S. 268
120
Thomas Keneally, Schindlers Liste. Deutsche Ausgabe ( München 1994 )
116
17
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
großdeutschen Unternehmen nicht ausgesprochen groß. Insofern schritt auch die Industrialisierung
und der Produktionsausstoß in Verbindung mit anderen Faktoren, „ganz zu schweigen vom
Hunger der Arbeiter“ 121
langsam voran. Mit der Drosselung und Einstellung der
Lebensmittelzufuhr hatten die Großdeutschen ohnehin das
wichtigste wirtschaftspolitische Steuerungsinstrument, das Leben der Ghettobewohner, selbst in der
Hand.
Die Lebensbedingungen derjenigen Ghettobewohner, welche in einem der sogenannten
Rüstungsbetriebe Arbeit und Unterkunft gefunden hatten, „waren wesentlich günstiger als die der
übrigen Ghetto-Insassen“.122 Auch waren sie weitgehend geschützt vor willkürlichen Übergriffen
von SS und GESTAPO. Von den 16 Rüstungsbetrieben im Ghetto waren die bedeutendsten die
Firmen W.C. Többens und Schultz und Co. GmbH. Die Firma Schultz hatte vor Kriegsbeginn
einen Pelzwarenhandelsbetrieb umfaßt und war nunmehr als Rüstungsbetrieb deklariert worden.123
Wie zumeist bestimmte auch hier die Wehrmacht als bedeutendster Abnehmer der Ghettowaren
die Produktion. 124 Herrschte etwa bei Schultz
( zumindest bis Juli 1942 beziehungsweise der Deportation von 15 000 Warschauer Juden ins SSArbeitslager Trawniki im Februar/Mai 1943)125 nunmehr „relative Sicherheit“126 der jüdischen
Belegschaft, so war die Situation in den sogenannten ghettoeigenen Betrieben weiteaus strenger.127
Die Absicht der Warschauer Politiker, 200 000 Menschen im Ghetto mit Zwangsarbeit zu
beschäftigen128, wurde nicht erreicht. Im Juli 1942, als mit der systematischen Deportation begonnen
wurde, betrug laut Czerniakow die Zahl der Beschäftigten 95 000 Personen, von denen 4500
außerhalb des Ghettos arbeiteten. 129 Nicht vergessen darf bei der Betrachtung der Produktivität des
Ghettos ( dieses stellte in erster Linie arbeitsintensive Produkte wie Uniformen, Munitionskisten für
die Wehrmacht oder Behältnisse her )130 natürlich auch die vor der Besatzung vorherrschende
Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur des nunmehrigen Ghettogebiets. Dieses war zuvor ein ArmeLeute-Wohnviertel mit wenigen Fabriken und Werkstätten. Betriebsverlagerungen von außen hatten
die großdeutschen Behörden ebenso wie Rohstoffzuteilung für den Eigengebrauch verboten. Dies
alles lief nun über die Transferstelle.131
Die besonderen Umstände der Lage der Ghettobewohner bilden einen weiteren wichtigen
Faktor bei der Betrachtung der ( potentiellen ) Produktivität der dortigen Bevölkerung. Der
permanente Terror und die Oppression seitens der NS-Behörden leisteten ganze Arbeit.
„Darüberhinaus konnten sich die Juden, familienweise kaserniert und je nach der Art oder
121
Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 269
Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 23
123
Ebenda. S. 23
124
Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 271
125
Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 143
126
Ebenda. S. 23
127
Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 270
128
Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 314
129
Czerniakow, Tagebuch. S. 278
130
Hilberg, Die Vernichtung. 1. Band. S. 271
131
Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 315
122
18
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
dem Ort ihrer Beschäftigung durch die Ausgabe der verschiedensten Bescheinigungen
permanent bedroht, zu keiner Zeit sicher fühlen.“132
• Exkurs: „Ökonomie der Endlösung“ oder „Nationales Projekt“ ?
In diesem Abschnitt sollen numehr kurz zwei einander absolut diametral gegenüberstehende
Ansätze der Holocaust-Erforschung dargestellt werden. Im folgenden werden das Erklärungsmodell
Götz Alys und Susanne Heims , welches von einer klaren und technokratisch administrierten
Rationalität, einer „Ökonomie der Endlösung“ ausgehen und jenes des amerikanischen Politologen
Daniel Jonah Goldhagen, welcher die „Germans“ als „Hitler’s willing executioners“ und die
Judenvernichtung als „nationales Projekt“ sieht, gegenübergestellt. Ich betone, daß es sich hier um
eine Gegenüberstellung, nicht um einen Vergleich oder gar eine Bewertung handeln soll.
Laut Aly und Heim wurde das Konzept einer „Ökonomie der Endlösung“ von deutschen
Akademikern
entwickelt
„allen
voran
Ökonomen,
Agrarwissenschaftler,
Bevölkerungsexperten, Arbeiteinsatzspezialisten, Raumplaner und Statistiker.“ 133 Diese
Menschen saßen in den Planungsgremien der Reichsstelle für die Festigung deutschen Volkstums,
der Vierjahresbehörde. Sie entwarfen und diskutierten die Lösung der anstehenden
„Bevölkerungsfragen“ und berechneten die Entlastung durch die Eliminierung der Juden aus dem
wirtschaftlichen Prozeß. Sie machten Vorschläge zur Nutzung der Ukraine als Kornkammer des
Reichs und implizierten damit den Hungertod von „zig Millionen“ von Menschen. Sie berechneten
auch die Defizite der Ghettowirtschaften - und lieferten so die Begründung für die Ermordung der
Ghettobewohner.134
Im weiteren konstatieren die beiden Autoren, daß mit Hilfe staatlicher Geburtenförderung
und -kontrolle, Umsiedlung und Vernichtung die Zahl und „Qualität“ der Menschen fortlaufend
gesteuert werden sollte. Dieser Schluß wird zweifellos auch von anderen Experten anerkannt.135 Die
„Planer“ werden im Zuge ihrer Auseinandersetzung mit der Problematik noch weiter ins Zentrum
der Betrachtung gerückt. Für diese „Planer“ war „Bevölkerung“ bald der einzige „Faktor“, den
sie wirklich noch verändern konnten. Aus ihrer Sicht gab es 1941 im Großdeutschen Reich zwar ein
bis zwei Millionen Arbeitskräfte zuwenig, gleichzeitig aber 30 bis 50 Millionen „unnütze Esser“ in
Europa, Menschen, deren Arbeitskraft von der NS-Wirtschaft ( noch ) nicht ausgenutzt wurde.
Rekurrierten einige von ihnen etwa gar noch auf „Mein Kampf“, wo Hitler schon lang zuvor die
132
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 367
Götz Aly, Susanne Heim, Sozialplanung und Völkermord. Thesen zur Herrschaftsrationalität der
nationalsozialialistischen Vernichtungspolitik. In: Wolfgang Schneider (Hg.), „Vernichtungspolitik“.
Eine Debatte über den Zusammenhang von Sozialpolitik und Genozid im nationalsozialistischen
Deutschland ( Hamburg 1991 ) 12
134
Ebenda. S. 12
135
Heidrun Kaupen-Haas, Die Bevölkerunsplaner im Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und
Rassenpolitik. In: Heidrun Kaupen-Haas (Hg.), Der Griff nach der Bevölkerung. Aktualität und
Kontinuität nazistischer Bevölkerungspolitik ( Hamburg 1986 )
133
19
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
Forderung „Den Boden in Einklang zu bringen mit der Volkszahl“ erhoben hatte136 ? Diese
„Überbevölkerung“ stand den Wirtschaftsplanern im Weg - so wurden „Umsiedlung“,
„Arbeitseinsatz“ und „Evakuierung“ zu den zentralen Instrumenten deutscher Neuordnung137,
die jedoch - wie Aly schließt - an „teils grotesken Detailproblemen“ scheitert.138
Im groben verstehen Aly und Heim die „Ökonomie der Endlösung“ in drei Stufen:
1. Pogrom und Rationalisierung - Vertreibung der Juden aus der Wirtschaft ( die
entsprechenden legistischen Grundlagen wurden von Göring, Funk und Frick im November und
Dezember 1938 erlassen139, nach dem 12.November des Jahres finden die
„Zwangsarisierungen“ statt140
2. Entwicklungspolitik und Bevölkerungsfrage - Im Falle Polens Zurückdrängen der stark
agrarischen Bevölkerungsstruktur
3. Ausbeutung der Sowjetunion und Dezimierung der hiesigen Einwohner141
Im Bereich des Generalgovernements kommen die Autoren zu dem Schluß, daß die
physische Auslöschung der Juden eine Entlastung des Arbeitsmarktes mit sich brachte und deren
Vernichtung der „erste Schritt auf dem Weg zur wirtschaftlichen Neuordnung“ war.142 Im
konkreten Fall Warschaus werden die überstürzten Umsiedlungs- und Absperrungsmaßnahmen
„überwiegend als nachteilig“ für die städtische und wirtschaftliche Struktur gesehen. 143 Aus
großdeutscher Optik wurden in den Ghettos Kapital und Ressourcen gebunden, welche bei besserer
Arbeitsorganisation erheblich höheren Produktionsausstoß zugelassen hätten. „In dieser
Beurteilung waren sich Speer und Himmler durchaus einig“.144 Die niedrigen Löhne für die
Juden blockierten überdies die Rationalisierung in den Firmen - die Vorteile, die billige Arbeitskraft
für den einzelnen Unternehmer mit sich brachte, erwiesen sich somit gesamtökonomisch als
unerwünscht. „Nach diesen Maßstäben war es ökonomisch rationeller, die Juden umzubringen,
als sie arbeiten zu lassen“. 145
Warum es aber im Laufe des Kriegs zu den angesichts der Krisen an der Ostfront militärisch
und ökonomisch vollkommen sinnlosen Einsätzen von Eliteeinheiten wie etwa von Teilen der
136
Hitler, Mein Kampf. S. 204
Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 15
138
Aly, „Endlösung“. S. 247
139
Klaus Drobisch, Rudi Goguel, Werner Müller, Horst Dohle, Juden unterm Hakenkreuz. Verfolgung und
Ausrottung der deutschen Juden 1933-1945 ( Frankfurt/Main 1973 ) 206 - 207
140
Ernst Rauch, Ökonomische Aspekte der Judenpolitik des Dritten Reiches. Diplomarbeit an der Grundund Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien ( Wien 1985 ) 52
141
Aly, Heim, Sozialplanung und Völkermord. In: Schneider (Hg.), „Vernichtungspolitik“. S. 13 - 19
142
Aly, Heim, Die Ökonomie der „Endlösung“. In: Aly, Heim, Karny, Kirchberger, Konieczny, Sozialpolitik
und Judenvernichtung. S. 36
143
Aly, Heim, Vordenker der Vernichtung. S. 312
144
Aly, Heim, Sozialplanung und Völkermord. In: Schneider (Hg.), „Vernichtungspolitik“. S. 21
145
Ebenda. S. 21
137
20
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
1.Gebirgsdivision in Griechenland 1943146 zur Judenvernichtung kam, können Aly und Heim
mit dieser ihrer These aus meiner Sicht freilich nicht befriedigend beantworten. Auf WissenschaftlerEbene fanden die Thesen beträchtliche ( anfangs primär negative ) Resonanz und initiierten einen
umfassenden Diskurs zur Rationalität der großdeutschen „Endlösungspolitik“.147
Einen völlig konträren Ansatz zum eben skizzierten vertritt der Harvard-Assistent Daniel J.
Goldhagen. Die massenhaften Deportationen, Ghettoisierungen und schließlich der industrielle
Massenmord seien nicht von „Akademikern“, sondern von „ordinary Germans“ durchgeführt
worde, denn alle „Deutschen“ ( Goldhagen differenziert nicht zwischen Tätern aus dem
„Altreich“ und solchen „Großdeutschlands“, also auch Österreichern! ) seien, so der Titel
seiner Studie „Hitlers willige Vollstrecker“ gewesen. In einer tatsächlich bemerkenswerten
Revision dessen, was bisher geschrieben wurde, interpretiert Goldhagen den Judenmord als
nationales politisches Ziel der Deutschen für das 20.Jahrhundert, gleichsam eine gesellschaftliche
Norm und Konstante.
Weiters meint er, keine signifikanten Teile oder identifizierbaren Minderheiten bei den
Deutschen hätten eine abweichende Meinung bekundet - gegen andere Verbrechen der Nazis schon
( wie vor allem das 1941 auf öffentlich-kirchlichen Druck eingestellte „Euthanasie-Programm“
)148, nicht aber gegen den Judenmord. Für ihn hätte die Bevölkerung die Auswüchse des
Judenhasses weder für unmoralisch gehalten noch das Regime als kriminell erkannt, „the need to
eliminate Jewish influence from Germany“ 149 war gewissermaßen Common sense.
„All of these charaterized not just the Nazi leadership but the vast majority of the
German people, who were aware of what their government and their countrymen werde
doing to the Jews, assented to the measures, and, when the opportunity presented itself, lent
their active support to them.“ 150
Zu konkreten hier zu behandelnden Thematik des Warschauer Ghettos schreibt der Autor,
die Besatzer hätten 1940 und 41 die jüdische Produktionskapazität „geopfert“, während
andererseits Fremdarbeiter infolge Arbeitskräftemangel importiert wurden.151 Auch hier wird der
„Eliminationist antisemitism“ der Nationalsozialisten als Triebkraft der politischen Handlungen
146
Mark Mazower, Militärische Gewalt und nationalsozialistische Werte. Die Wehrmacht in Griechenland
1941 bis 1944. In: Hannes Heer, Klaus Naumann (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der
Wehrmacht 1941 - 1944. 2. Auflage ( Hamburg 1995 ) 157
147
Karl Heinz Roth, Europäische Neuordnung durch Völkermord. Bemerkungen zu Götz Alys und Susanne
Heims Studie über die „Vordenker der Vernichtung“. In: Schneider (Hg.), „Vernichtungskrieg“. S.
181
148
Werner Maser, Adolf Hitler. Legende, Mythos, Wirklichkeit ( München 1993 ) 433 - 434 und Andreas
Hillgruber, Zweierlei Untergang. Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das Ende des
europäischen Judentums ( Köln 1986 ) 92
149
Goldhagen, Hitler’s willing executioners. S. 51
150
Ebenda. S. 90
151
Ebenda. S. 289
21
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
angelegt, an einer Ausnutzung der jüdischen Arbeitskraft sei man gar nicht interessiert gewesen: „
The Germans’ policies for the Jews of Warsaw, which charakterized how they treated Polish
Jews generelly, were calculated to destroy the Jews, not to use their labor power.“ 152
Zur Zerstörung des Ghettos 1943 läßt Goldhagen einen deutschen Luftwaffensoldaten,
Herbert Habermalz, zu Wort kommen: „We flew several circles above the city. And with great
satisfaction we could recognize the complete extermination of the Jewish Ghetto. There our
folks did really a fantastic job.(...)“153 ( In Augenzeugenberichten lassen sich demgegenüber ohne eine Quantifizierung vornehmen zu wollen - auch Berichte von Hilfeleistungen einzelner
Großdeutscher, Soldaten, Polizisten, an der Warschauer Zivilbevölkerung finden )154
Das wissenschaftliche und mediale Echo auf Goldhagens Thesen im Frühjahr 1996 war gewaltig:
Die Schlüsse wurden von seinem US-Kollgen Christopher R. Browning weitgehend
zurückgewiesen: Zu den Killern des Reserve-Polizeibataillons 101 gehörte auch ein Dutzend
eingezogener Luxemburger, die nicht durch acht Jahre NS-Indoktrination gegangen waren und sich
auch nicht seit Jahrhunderten auf den bereits erwähnten „eliminierenden Antisemitismus“ hatten
einschwören lassen.155
Walter Manoschek gibt Goldhagen zwar „im Prinzip Recht“, doch argumentiere dieser
„eindimensional“.156 Mit der monokausalen These vom tief verankerten Wunsch der
Großdeutschen werde man der Judenvernichtung nicht gerecht. „Der jahrhundertelange
Antisemitismus als integraler Teil der politischen Kultur war eine notwendige, aber nicht
hinreichende Voraussetzung für den Holocaust. Antisemitismus in allen seinen religiösen,
ökonomischen und rassischen Schattierungen, Autoritätshörigkeit, Gruppendruck, Angst,
mangelnde Zivilcourage, Karrieremotive, Bereicherung, schrankenloses Machtgefühl der
‘Herrenrasse’ oder einfach Desinteresse am Schicksal der Juden verschmolzen zu einem
Amalgam, das die systematische Umsetzung des Vernichtungsprozesses erst ermöglichte“.157
Sadismus und enthemmte Inhumanität, erkannte schon Hannah Arendt, sind keine (groß-)
deutsche Spezialität. Sie können in allen Fomen moderner totalitärer Herrschaft auftreten, wenn eine
aggressive Ideologie es dem einzelnen erlaubt, ohne Rücksicht auf „Gesinnung, Ehre und
menschliche Würde“ zu handeln.158
Eine offensichtlich vollkommen brutalisierte und
entsensibilisierte Gesellschaft war die Konsequenz im Großdeutschen Reich:
152
Ebenda. S. 289
Ebenda. S. 451
154
Jan Turnau. Zehn Gerechte. Erinnerungen aus Polen an die deutsche Besatzungszeit 1939 - 1945.
Deutsche Ausgabe ( Mainz - München 1989 ) 172 - 173
155
Ein Volk von Dämonen? In: DER SPIEGEL 21/1996 51 und Christopher R. Browning, Dämonisierung
erklärt nichts. In: DIE ZEIT 17/1996 o.S.
156
Walter Manoschek, Der Judenmord als Gemeinschaftsunternehmen. In: PROFIL 18/1996 100
157
Ebenda. S. 101
158
Ein Volk von Dämonen? In: DER SPIEGEL 21/1996 51
153
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„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
„Wir standen ja im Krieg, da wurde gemordet, ne wahr, links und rechts, ne wahr, und wir
hatten Pech, daß wir den Krieg verloren haben.(...) Sehen sie doch heute, ne wahr, was ist ein
Menschenleben heute wert, ne wahr. So wie gar nichts, sagen wir mal, ne wahr.“ 159
Hannes Heers Forschungsergebnisse zu dieser Problematik der Motive für den Judenmord
sind durchaus ambivalent. Einerseits habe die Truppe „nicht nur Befehle ausgeführt oder gar
unter Zwang gehandelt, sie war eigeninitiativ und sehr kreativ in der Erfindung von
Quälereien, Foltern, Todesarten“160, zum anderen ist in Geständnissen von Ostfront-Landsern
bisweilen Beschämung und Ohnmacht wegen der Untaten der Wehrmacht
( „deutsche Soldatenbestien“) zu finden.161 Der vorauseilende Gehorsam von
Wehrmachtsangehörigen bei der Judenliquidation wird jedoch auch von SonderkommandoMitgliedern bestätigt: „Es ist auch vorgekommen, daß uns Wehrmachtsangehörige die
Karabiner aus den Händen genommen haben und selbst an unserer Stelle im
Exekutionskommando mitschossen.“ 162
Der Diskurs über die Thesen Daniel Goldhagens dauert an...
IV. Aufstand und Liquidation des Ghettos
• „Umsiedlung“ 1942 und Kampfvorbereitung
„Wir verfaulen in diesem Ghetto wie nichts. Gestern sind im Ghetto weit über neunhundert
Menschen aus Kowl Kujawski eingetroffen. Das ist nun der letzte Transport aus dem
Warthegau. Jetzt sollen sie aus dem Inneren Deutschlands kommen. Das Wohnungsamt
arbeitet bereits Tag und Nacht.“
Dawid Sierakowiak, 10. Oktober 1941163
Ab Sommer 1941 hatte sich die Situation für die jüdische Bevölkerung innerhalb des
Warschauer Ghettos dramatisch verschlechtert. Seit diesem Zeitpunkt hatte ein zusätzlicher
systematischer Terror eingesetzt. Wahllose Erschießungen durch Patrouillen auf den Straßen wurden
abgelöst durch Erschießungen in den Gefängnissen. Die meisten davon erfolgten aufgrund von
Standgerichtsurteilen wegen Schmuggels aus dem „arischen“ Stadtteil. Diese Maßnahme traf in
erster Linie natürlich Kinder und junge Menschen, die wegen ihrer Gewandtheit oder Körpergröße
die Ghettomauern leichter überwinden konnten. Entweder wurde man bei der Rückkehr ins Ghetto
von NS-Organen überrascht oder schon außerhalb von der polnischen Polizei erkannt und
kurzerhand erschossen. 164
159
Ebbo Demant, Auschwitz - „Direkt von der Rampe weg...“ Kaduk, Erber, Klehr: Drei Täter geben zu
Protokoll ( Reinbek bei Hamburg 1979) 83
160
Hannes Heer, „Stets zu erschießen sind Frauen, die in der Roten Armee dienen“. Geständnisse deutscher
Gefangener über ihren Einsatz an der Ostfront ( Hamburg 1995 ) 7
161
Ebenda. S. 34
162
Ernst Klee, Willi Dreßen, Volker Rieß (Hg.), „Schöne Zeiten“. Judenmord aus der Sicht der Täter und Gaffer (
Frankfurt/Main 1988 ) 115
163
Sierakowiak, Ghettotagebuch. S. 105
164
Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 13
23
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
Zusätzlich wurden die Lebensbedingungen und hygienischen Verhältnisse im Laufe der Zeit
immer schlimmer und gestalteten sich bald „katastrophal“.165 Die Müllabfuhr funktionierte
überhaupt nicht, Schäden an der Kanalisation gehörten zum Alltäglichen. Für die Juden gab es auch
kein ordentliches Krankenhaus, lediglich ein provisorisches Infektionskrankenhaus ohne Wasser und
Gas. Überall herrschten Hunger und Brennstoffmangel. Dies alles führte zu „unvorstellbaren
Verhältnissen“. 166 Das Hinsterben ganzer Familien war keine Einzelerscheinung, ganze Familien
erfroren auch...
Auch durch die erhebliche Veränderung der Ghettogrenzen am 23. Oktober 1941 waren
große Teile der jüdischen Bevölkerung massiv betroffen. 75 000 mußten zwangsweise umsiedeln.
Später wies man 72 000 Juden aus den westlichen Kreisen und bald darauf die jüdische
Bevölkerung aus den östlichen Kreisen des Distrikts Warschau in das Ghetto ein.167 Überdies
wurde die hungernde und frierende Bevölkerung am 24.Dezember 1941 noch zusätzlich mit der für
das gesamte Generalgovernement angeordneten „Pelzaktion“ überfallen. Die infolge des
gescheiterten „Blitzkriegs“ gegen die Sowjetunion im harten russischen Winter in Sommeruniformen
steckende Wehrmacht mußte nachträglich und möglichst schnell mit Winterkleidung versorgt werden.
Somit wurden auch die Warschauer Juden unter den bereits üblichen Strafandrohungen zur
Ablieferung ihrer gesamten Pelze gezwungen (siehe Anhang).168
„Dieser Terror und die Lebensbedingungen, die bis zum Sommer 1942 rapide unter die
Grenzen dessen absanken, was Menschen zugemutet werden kann, bildeten jedoch lediglich
den Auftakt zu dem, was der jüdischen Bevölkerung im Ghetto Warschau in den folgenden
Monaten noch bevorstand.“169
Nachdem die ersten in der Provinz gelgenen Ghettos im Warthegau liquidiert worden waren,
kam es im Januar 1942 auch zu Großdeportationen aus dem Lodzer/Litzmannstädter Ghetto.
Anfangs hatte die jüdische Bevölkerung in den betroffenen Ghettos keine Vorstellung davon, was mit
der ausgesiedelten Bevölkerung geschah, da die Deportationen in die Vernichtungslager unter dem
bewußt irreführenden Titel „Umsiedlung“ firmierten. Zwar drangen bisweilen Nachrichten und
Gerüchte von Ermordungen und Todeslagern durch. „Man wollte dem jedoch zunächst keinen
Glauben schenken, aber im September 1942 wußte man dann bereits, daß die Ausgesonderten
ins Todeslager fuhren“.170
In Warschau war die Situation fast ident mit jener in Lodz: „Angesichts fehlenden
unmittelbaren Kontaktes mit der Provinz nimmt das Warschauer Ghetto diese Nachrichten
mit Mißtrauen auf, führt tausende Argumente an, die selbst das kleinste Quentchen
Wahrscheinlichkeit dieser Berichte zerstören, es verbietet sich den Gedanken daran, daß sich
165
Ebenda. S. 13
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 367
167
Ebenda. S. 259
168
Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 13
169
Ebenda. S. 14
170
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 372
166
24
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
ein ähnliches Verbrechen in der Hauptstadt Polens wiederholen kann, wo mehr als 300 000
Juden wohnen“, berichtete Marek Edelman 1945.171
Der Ablauf der Liquidierungen der Ghettos im Zuge der „Aktion Reinhard“
( Tarnbezeichnung für die gesamte „Endlösung“ im Generalgovernement, benannt nach Heydrichs
Vornamen, geleitet vom Österreicher Odilo Globocnik 172, welcher durch die Aktion eine
beträchtliche Mehrung seines Einflusses erhoffte )173 hatte nahezu überall idente Systematik und
Ordnung. Die polnische Bevölkerung erhielt mitunter durch kurz zuvor angeschlagene
Bekanntmachungen Kenntnis von den Abholungen. Wer die Aktion behindere oder Juden
Unterschlupf gewähre, werde mit dem Tod bestraft.174
Innerhalb der Ghettos hatten es die Aushebungskommandos mit ganz anderen Problemen zu tun:
Dreck, Abwässer und Ungeziefer. Für die großdeutschen „Herrenmenschen“ stellt diese Form von
Arbeit natürlich „Ekelerregung“ dar. Die Arbeit war jedoch mit dem Abtransport der Juden nicht
erledigt. Nachdem ein Ghetto „entjudet“ war, kehrten Polizei und örtliche Beamte zurück, um das
Judenviertel zu säubern - zu den schlimmsten Dreckarbeiten wurden Polen und Juden
herangezogen...175
Doch die Verwahrlosung der Ghettos war eine vergleichsweise geringe Störung des
Gesamtbildes, der die Bürokraten wenig Beachtung schenkten. Ihre Hauptsorge galt dem Fortgang
der Deportationen. Am 18. Juni 1942 fragte Staatssekretär Bühler den Höheren SS- und
Polizeiführer des Generalgovernements SS-Generalleutnant
Krüger, wann er mit der
Ghettoauflösung fertig sein werde. Krüger antwortete, er werde erst im August einen diesbezüglichen
„Überblick“ haben ( Krügers Zurückhaltung resultierte aus der damals herrschenden
vorübergehenden Einstellung des Deportationsverkehrs ).176
In diesem Zusammenhang muß erwähnt werden, daß die gesamte Deportation der jüdischen
Bevölkerung aus den Ghettos nur in enger Kooperation mit der Reichsbahn reibungslos
funktionieren konnte Diese wollte „so wirtschaftlich wie möglich funktionieren“177 - Daher
sollten ihr die Transportanforderungen bei den Deportationen gemeldet werden, was eine vorherige
Zentralsammlung im Reichssicherheitshauptamt (RSHA) erforderlich machte. Im Judenreferat
des RSHA, das Eichmann unterstand, gab es einen Mann, der ausschließlich für die Transporte
zuständig war: SS-Obersturmführer Franz Novak.178
Da die Reichsbahn ( vor allem wegen des Transportbedarfs der Wehrmacht!) ihre Züge so
schnell wie möglich wieder zurückhaben wollte und in den Vernichtungslagern Wert darauf gelegt
wurde, die Juden am Tag ihrer Ankunft zu ermorden, „waren die Fahrpläne zwischen SS und
Bahn auf Minuten genau aufeinander abgestimmt. So sah sich der Kommandant von
Treblinka, Franz Paul Stangl, nur in der Lage, zweitausend Menschen zu vergasen und in
171
Bartoszewksi, Im Warschauer Ghetto. S. 25
Christian Zentner, Friedemann Bedürftig, Das große Lexikon des Dritten Reiches ( Augsburg 1993 ) 218
173
Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 318
174
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 513 - 514
175
Ebenda. S. 514
176
Ebenda. S. 515
177
Heiner Lichtenstein, Mit der Reichsbahn in den Tod. Massentransporte in den Holocaust 1941 - 1945
( Köln 1985 ) 60
178
Ebenda. S. 63
172
25
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
den Krematorien zu verbrennen, wenn die Züge spätestens mittag in Treblinka ankamen.“179
Ursprünglich war die Deportation der Warschauer Juden ins Vernichtungslager Sobibor geplant
gewesen, wegen eines Streckenschadens am Bug wurden diese 300 000 Menschen jedoch Mitte
Juli nach Treblinka „umgeleitet“. 180
Während die Warschauer Bevölkerung auch in der ersten Jahreshälfte 1942 noch fast nichts
über die bevorstehende Räumung wußte ( selbst Czerniakow spricht noch am 11.Juli lediglich von
„Gerüchten“ - „Umsiedlung“ sei „im Gespräch“, erhielt er von den Behörden als Antwort )181 ,
liefen hinter den Kulissen bereits die Vorbereitungen. Die Konsequenzen für die betroffenen
Ghettobewohner waren fast immer tödlich. Nach dem Eintreffen von 600 Radzyminer ( Kreis
Warschau ) Juden im Ghetto tötete die großdeutsche Polizei nachts Dutzende Ghettobewohner aus
unbekannten Gründen. In derselben Nacht holte man aus dem Ghetto fast 1000 Männer ( darunter
150 Jugendliche ) und führte sie in unbekannter Richtung fort. Am 10./11. Juni ermordete die NSPolizei nachts einige -zig Leute, die den Behörden für ihre Schmuggeltätigkeit bekannt waren und
am 2.Juli 1942 wurden 110 Personen aus dem Arrest im Ghetto zur Hinrichtung abgeführt.182
Mitte Juli 1942 „verdichtet sich die schwarze Wolke“ erinnert sich Marek Edelmann.
Dennoch konnte man das Bevorstehende nach wie vor nicht glauben: „...es kursieren nur ‘wenig
wahrscheinliche’ Gerüchte über die Ankunft eines Umsiedlungskommandos, darüber, daß aus
dem Ghetto 20, 40 oder 60 tausend Einwohner ausgesiedelt werden sollen, darüber, daß man
alle Arbeitslosen zur Arbeit an Befestigungsanlagen abtransportieren wird, daß in Warschau
nur Arbeitende zurückbleiben werden...“183 Auch Czerniakow spricht am 16. Juli noch von
„Gerüchten über eine Aussiedlung der Juden aus Warschau, wobei 120 000 zurückbleiben
sollen.“ 184 Zwei Tage später, „im Wohnbezirk unterdessen Panik“ 185, informierte Czerniakow
den Judenrat und die jüdische Polizei ( trotz Augenzeugenberichten über eine angebliche
Güterwagen-Konzentration am Nordrad des Ghettos), „that the Germans
had given him assurances that they had no intention of resettling the population of the
ghetto.“186 Bis zuletzt wurden somit selbst die jüdischen Behörden offensichtlich vollkommen im
unklaren gelassen.187
In Berlin waren indessen die Würfel schon gefallen. Am 19. Juli hatte Himmler eine
Geheimdirektive an Krüger, Chef der großdeutschen Polizei im Generalgovernement („Es gibt
keine undankbarere Aufgabe als die, die ich als Polizeichef des Generalgovernments zu
erfüllen habe“)188, geschickt: Die „Umsiedlung“ der gesamten jüdischen Bevölkerung des
Generalgovernments müsse bis 31.Dezember 1942 durchgeführt und beendet werden.
Er,
Himmler, begründete dies mit der „notwendigen Trennung von Rassen und und Völker im
179
Ebenda. S. 67
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 515 - 516
181
Czerniakow, Tagebuch. S. 278
182
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 28 - 29
183
Ebenda. S. 29
184
Czerniakow, Tagebuch. S. 280
185
Ebenda. S. 281
186
Martin Gilbert, The Holocaust. The Jewish tragedy ( Suffolk 1986 ) 387
187
Czerniakow, Tagebuch. S. 282
188
Werner Präg, Wolfgang Jacobmeyer (Hg.), Das Diensttagebuch des deutschen Generalgoverneurs in Polen
1939-1945 ( Stuttgart 1975 ) 602
180
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„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
Rahmen der Neuordnung“ und dem „Sicherheitsinteresse des Reiches“ 189 Auch hatte Himmler
bereits die schrittweise Überleitung der im Zuge der „Aktion Reinhard“ verbleibenden
Arbeitskräfte in die Regie der SS eingeleitet. Auch dies sollte mit Jahresende vollstreckt sein.190 In
Warschau wurde kurz darauf eine Reihe von Gemeinderäten verhaftet und ( vorübergehend ) als
Geiseln genommen, um die Panik anzuheizen.191
Am 22.Juli erhielt die Bahnstation des Vernichtungslagers Treblinka die Order, wie sich ein
polnischer Angestellter erinnert, „of the running of a shuttle service from Warsaw to Treblinka
with settlers.“192 Jeder Zug solle aus 60 Güterwaggons bestehen und permanent im Einsatz sein.
Wo die deportierten in Treblinka „siedeln“ sollten, konnte er sich freilich nicht erklären.193 Am
Vormittag des 22. wurde schließlich auch Czerniakow von SS-Sturmbannführer Hoefle ( starb
durch Freitod in Wiener U-Haft 1962 )194 informiert: „Man eröffnete uns, daß - mit gewissen
Ausnahmen - die Juden ohne Unterschied des Geschlechts und des Alters in den Osten
ausgesiedelt werden sollen. Bis heute n.m. um 4 Uhr müssen 6000 Menschen bereitgestellt
werden. Und so (mindestens) wird es jeden Tag sein.“ Verlaufe die Aussiedlung nicht nach
Wunsch werde seine, Czerniakows, Frau als erste Geisel erschossen. 195
Die Deportation wurde nunmehr durch öffentliche Bekanntmachung des Judenrates publik:
„Auf Befehl der deutschen Behörden werden alle jüdischen Personen, gleichgültig welchen
Alters und Geschlechts, welche in Warschau wohnen, nach dem Osten umgesiedelt.“ 196 Der
zweite Punkt umfaßte die ( vorläufigen ) Ausnahmen von dieser Maßnahme, primär unentbehrliche
Arbeits- und Ordnungskräfte und Mitglieder des Judenrates und deren Angehörigen. An dritter Stelle
war das „Reisegepäck“ behandelt, „Beginn der Umsiedlung am 22.7.1942 um 11 Uhr“. An
letzter Stelle standen die Strafen, deren Konsequenz immer die Erschießung war.197
„That same day, July 22, the ghetto walls were surrounded by Ukrainian and Latvian
guards, in SS uniforms, armed and at twenty-five-yard intervals. The round-up and
deportation of Jews from Warsaw now began...“ 198 Da der Großteil der Ghettoeinwohner
berufstätig war, hatte Czerniakow, welcher den NS-Behörden durch die Erstellung der
Deportationslisten „assistieren“ sollte, bis zu diesem Tag noch immer geglaubt, nur eine geringe
Anzahl an Personen würden somit der „Umsiedlung“ zugeführt. Die Erkenntnis war furchtbar, wie
seine letzte Tagebucheintragung vom 23. Juli 1942 zeigt: „Auf die Frage, wieviel Tage in der
Woche die Aktion betrieben wird, antwortete man: 7 Tage in der Woche. In der Stadt drängt
alles, Werkstätten zu eröffnen. Eine Nähmaschine kann Leben retten.
189
Gilbert, The Holocaust. S. 387
Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 318
191
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 31
192
Gilbert, The Holocaust. S. 388
193
Ebenda. S. 388
194
Zentner, Bedürftig, Lexikon des Dritten Reiches. S. 20
195
Czerniakow, Tagebuch. S. 284
196
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 33
197
Ebenda. S. 33 - 34
198
Gilbert, The Holocaust. S. 388
190
27
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
3 Uhr. Bis jetzt sind 4000 zum Transport. Bis 4 Uhr haben es laut Befehl 9000 zu sein. (...)“199
Eine knappe Stunde später vergiftete sich der Vorsitzende des Warschauer Judenrates in
seinem Büro mit Zyankali. „Sie verlangen von mir, mit eigenen Händen die Kinder meines
Volkes umzubringen. Es bleibt mir nichts anderes übrig als zu sterben, “ stand in dem
Abschiedsbrief an seine Frau. 200 Sein Nachfolger wurde Marek Lichtenbaum. 201
Vom 22.Juli an verließ täglich ein Zug mit 5000 Juden Warschau in Richtung Treblinka,
während zweimal wöchentlich ein weiterer Zug mit 5000 Juden von Przemysl nach Belzec fuhr.202
Als SS-Obergruppenführer Wolff, Chef des Persönlichen Stabes Himmlers, von Staatssekretär
Ganzenmüller diese Mitteilung erhielt, richtete er ein Dankschreiben an den Staatssekretär: „... Mit
besonderer Freude habe ich von ihrer Mitteilung Kenntnis genommen, daß nun schon seit 14
Tagen täglich ein Zug mit je 5000 Angehörigen des auserwählten Volkes nach Treblinka fährt
und wir doch auf diese Weise in die Lage versetzt sind, diese Bevölkerungsbewegung in einem
beschleunigten Tempo durchzuführen...“ 203
„Als ich aus dem Warschauer Ghetto deportiert wurde, war meine Familie noch zu Hause.
Ich habe aber keine Spuren mehr von ihr gefunden, habe nie wieder etwas gehört...“
Isak Wasserstein, Wars chau204
Die Deportationen aus Warschau liefen, mit einigen bereits erwähnten Unterbrechungen,
durchgehend bis 12.September 1942. Zuerst wurden die Kinder vom Stationsdepot an der Stawki,
welches die Nationalsozialisten zu einem „Umschlageplatz“ ausgebaut hatten205, abtransportiert.
Insgesamt wurden in diesen sieben Wochen 265 000 Menschen in die drei Gaskammern von
Treblinka gebracht. „It was the largest slaughter of a single community, Jewish or non-Jewish,
in the Second World War“.206 Nunmehr drangen auch immer öfter Nachrichten von den wenigen
Entkommenen und der nachforschenden
Heimatarmee über Gaskammern statt Arbeitsbaracken ins Ghetto durch. 207 „Am Ende kannten
selbst Kinder den Zweck der Deportationen.“ 208
Die jüdische Führung in den Ghettos hatte bei der „Umsiedlung“ mit den NS-Behörden zu
kooperieren. Stets lieferten sie einige Juden, zumeist die „unproduktiven“, aus, um die anderen zu
199
Czerniakow, Tagebuch. S. 285
Ebenda. S. 285
201
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 533
202
Ebenda. S. 515
203
Ebenda. S. 516
204
Susann Heenen-Wolff, Im Land der Täter. Gespräche mit überlebenden Juden ( Frankfurt/Main 1994 )
182
205
Janina Bauman, Als Mädchen im Warschauer Ghetto. Ein Überlebensbericht. Deutsche Ausgabe
( München 1986 ) 105
206
Gilbert, The Holocaust. S. 388 - 389
207
J. Bauman, Als Mädchen im Warschauer Ghetto. S. 117
208
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 518
200
28
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
retten. War die Situation derart „stabilisiert“, teilte man die verbliebene Gemeinde wiederum in
zwei Teile, und so weiter. Moses Merin, Präsident des Zentralen Ältestenrates für OstOberschlesien traf am Vorabend der ersten Deportationen seine erste Entscheidung: „Ich scheue
mich nicht, 50 000 von unserer Gemeinde zu opfern, um die übrigen 50 000 zu retten.“209
In Warschau sollte „der vorletzte Akt der Tragödie“210, die „Registrierung“ für die
letzte Deportationswelle der übrigen 120-130 000211 nicht-arbeitenden Personen, hauptsächlich nach
Treblinka II212, vom 6. bis zum 12.September stattfinden. 54 000 Menschen wurden unter der
Aufsicht von nur 50 SS-Männern und je 200 Ukrainern und Letten213 deportiert, mehr als 2600
erschossen oder nahmen sich das Leben. 214 Nach der „Aktion“ war die Ghettobevölkerung von
380 000 auf 70 000 gesunken; insgesamt 310 322 Bewohner waren deportiert worden. 215 Nach
den Deportationen war das Ghettogebiet erneut drastisch verkleinert, einige Fabriken und Gebäude
blieben außerhalb der Mauern und wurden mit Stacheldraht umgeben, die NS-Behörden
beschränkten die Zahl der noch geduldeten Personen auf 35 000 (zuzüglich 20 000 bis 30 000
Illegaler)216 Angesichts dieser Situation mußten die Ghettoinsassen handeln. „In dieser Zeit wurden
die Vorbereitungen für einen bewaffneten Aufstand verstärkt.“ 217
Angesichts der für Imformierte mittlerweile erkennbaren Deportation aller Ghettobewohner in
absehbarer Zeit schlossen sich im Warschauer Ghetto einige der Überlebenden wie Hilberg schreibt
„in letzter Minute zum Widerstand“218 zusammen. Schon am 23.Juli, dem Tag von Czerniakows
Selbstmord, hatte man im Judenrat über unverzüglichen und bedingungslosen Widerstand beraten.
Angesichts der damals noch nicht vollständig klaren zeitlichen Absicht der Großdeutschen wurden
die Anhänger des Widerstands niedergestimmt. Durch offenen Widerstand würde die Liquiderung
des Ghettos zweifellos beschleunigt, fürchtete man.219
Mit dem Abzeichnen des Endes des Ghettos wurden im September in den Ghettozeitungen
und Blättern die Aufrufe zum Widerstand und die Aufklärung über die unfaßbaren NS-Verbrechen
durch die Leitung des Zivilkampfes deutlich verstärkt.220 Im Herbst 1942 stand die jüdische
Untergrundbewegung entschieden auf dem Standpunkt, im Falle neuer Anschläge des Okkupanten
auf das jüdische Zentrum in Warschau mit der Waffe zu antworten.
Die Jüdische Kampforganisation war sich dabei über die Kräfteverteilung im Falle einer
solchen Konfrontation vollkommen im klaren, ebenso wie über die Konsequenzen, „...ihre
Mitglieder aber waren zum ehrenvollen Tod entschlossen.“221 Nunmehr entfiel der Großteil der
209
Ebenda. S. 519
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 57
211
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 530
212
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 58
213
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 531
214
J. Bauman, Als Mädchen im Warschauer Ghetto. S. 131
215
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 531
216
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 58
217
J. Bauman, Als Mädchen im Warschauer Ghetto. S. 130
218
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 520
219
Ebenda. S. 528
220
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 56
221
Wladyslaw Bartoszewski, Uns eint vergossenes Blut. Juden und Polen in der Zeit der „Endlösung“ .
Deutsche Ausgabe ( Frankfurt/Main 1987 ) 132 - 133
210
29
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
registrierten Ghettobevölkerung auf das „kampffähige“ Alter von 20-39 Jahren. 222 In einem von
der am 2.Dezember offiziell gegründeten ZOB223, der Jüdischen Kampforganisation in
Warschau, herausgegebenen Aufruf vom 4.Dezember 1942 heißt es: „... Es unterliegt keinem
Zweifel, daß es sich der Nazismus zum Ziel gesetzt hat, alle Juden auszurotten.(...) Wir wollen
angesichts des Untergangs kein Haufen Dreck, kein Gewürm sein!(...) Bereitet euch auf die
Verteidigung des eigenen Lebens vor!(...)“224
„Wir wollen nicht unser Leben retten. Wir wissen, daß keiner von uns hier lebendig
herauskommt, aber wir wollen die menschliche Würde retten.“
Arie Wilner, Jüdische Kampforganisation, Herbst 1942 225
Mitte Januar wird in eine neurerlichen Aufruf von der ZOB entschlossen festgestellt: „Jüdische
Volksmassen! Die Stunde rückt näher! Ihr müßt bereit sein, Widerstand zu leisten! Kein Jude
geht zum Waggon!“ 226
Die Organisation des Widerstands war komplex und wurde von unten nach oben aufgebaut.
Zuerst wurde ein Jüdisches Nationalkomitee (ZKN) gegründet, um die zionistischen Gruppen und
die Kommunistische Partei zusammenzuschließen. Sodann schuf man ein Koordinationskomitee
(KK), um die Bundisten mit den bereits vereinigten Zionisten und Kommunisten unter ein Dach zu
bringen. „Diese politische Verschmelzung war am 20.Oktober 1942 vollzogen“.227 Auch
wurden am selben Tag die 22 parteigebundenen Kampfgruppen unter das Kommando des ZOB,
des militärischen Arms des KK gestellt. Zwei Parteien, die nationalistischen Juden der
Revisionistischen Partei mit ihren drei Irgun Zwai Leumi-Kampfgruppen und die orthodoxen
Juden der Agudah ( ohne Kampfeinheiten ) blieben der neuen Widerstandsfront fern.228 Überdies
hatte sich im Dezember auch der „Hilfsrat für Juden“ konstituiert, welcher Juden sowohl in- als
auch außerhalb der Ghettos betreute und damit vor allem in Warschau auch bei der Erstellung
gefälschter Dokumente erfolgreich tätig war.229 (Auch die politischen Parteien führten in den Jahren
des Dahinvegetierens des Ghettos zahlreiche karitative Tätigkeiten aus)230
Nunmehr ging man daran, Verteidigungsanlagen zu bauen. Unter dem Vorwand des Baus
von Luftschutzbunkern errichtete man einige hundert Erdbunker, die mit dem Kanalisationssystem
verbunden waren. Gleichzeitg verhandelte man mit Volksgarde und Heimatarmee um Waffen. Die
Volksgarde lieferte 25 Gewehre, die Heimatarmee Revolver, Gewehre, einige Maschinengewehre
und etwa 1000 Handgranaten sowie Sprengstoff zur Herstellung von Minen. „Derart gerüstet,
erwarteten die Juden den entscheidenden
Schlag“.231 Von beachtlicher Bedeutung war auch die eigene Waffenproduktion, vor allem von
Granaten und Zündflaschen.232 Bemerkenswerterweise dürften die Großdeutschen nahezu nichts von
222
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 531
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 71
224
Bartoszewski, Uns eint vergossenes Blut. S. 133 - 134
225
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 71 - 72
226
Bartoszewski, Uns eint vergossenes Blut. S. 134
227
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 532
228
Ebenda. S. 532
229
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 64
230
Yisrael Gutman, The Jews of Warsaw, 1939 - 1943. Ghetto, underground, revolt ( Bloomington 1982 ) 123
231
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 533 - 534
223
30
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
den Vorbereitungen gemerkt haben: „In retrospect we can see that because of their
shortseightedness, the Germans failed to discern the secret organizational activities in the
ghetto, preparations for the uprising, and the crystallization of the resistance forces“. 233
An dieser Stelle erscheint mir die Betonung eines Elements der Tragödie von Warschau
besonders wichtig. Die wichtigsten Führer und Organisatoren des Ghettoaufstandes waren
Menschen, welche die Möglichkeit hatten, ihr eigenes Leben zu retten, die zumeist über sichere
Kontakte mit der polnischen Untergrundbewegung verfügten und die Aussicht hattn, unter der
polnischen Bevölkerung den Krieg und damit den Nazi-Terror zu überleben. Die Führer der
damaligen jüdischen Widerstandsbewegung in Warschau faßten den Entschluß zum bewaffneten
Kampf - wie sich aus den angeführten Aufrufen und Aussagen erkennen läßt - vor allem aus ideellen
Gründen und bereiteten sich selbst in moralischer Hinsicht darauf vor.
• „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr...“ ( April-Mai 1943 ) 234
Nach Himmlers Warschau-Besuch ( vor welchem im „arischen“ Stadtteil brutale Razzien
durchgeführt worden waren )235 im Januar 1943 ordnete dieser an, weitere 8000 Ghettoinsassen zu
deportieren. Von den restlichen Juden wollte er etwa 16 000 für seine Zwangsarbeitslager
zurückbehalten.236
Diese „Januar-Aktion“ begann ohne Vorwarnung und überraschte die Verteidiger völlig.
6500 Juden wurden deportiert, über 1100 erschossen, ein großdeutscher Polizeihauptmann erlitt
schwere Verletzungen. Zwar war die Menge der Waffen auf jüdischer Seite noch nicht sehr groß,
dennoch entbrannte an manchen Stellen des Ghettos bereits ein erbitterter Kampf. 237 Ende Januar
bildete das Ghetto schließlich schon keine territoriale Einheit mehr ( siehe Anhang ). Es war in vier
gesonderte und voneinander getrennte Teile aufgespalten.238 Dieser Ghettowiderstand des Januar
1943 hatte eine ungeheure moralische und materielle Auswirkung auf die weitere Entwicklung der
Situation ( überdies fiel er zeitlich mit der Vernichtung der 6.Armee in Stalingrad zusammen ); sie
machte Mut, forderte zum Widerstand auf und die Polnische Heimatarmee überließ dem Ghetto
daraufhin eine Vielzahl an Waffen.239
Der Zusammenstoß veranlaßte Himmler zum völligen Räumung des Judenviertels. Dieses
solle „vollständig niedergerissen werden“.240( Die Durchführung von Himmlerschen Befehlen
führte übrigens Ende Januar zu energischen Interventionen Franks, der offenbar seine
Eingriffskomptenzen als Generalgoverneur schwinden sah)241 Nachdem sich auch die
232
Bartoszewski, Uns eint vergossenes Blut. S. 142
Gutman, The Jews of Warsaw. S. 131
234
So lautete der Titel des Abschlußberichts über die Räumung des Ghettos von SS-Brigadeführer Jürgen
Stroop ( „Stroop-Bericht“ )
235
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 89
236
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 534
237
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 90
238
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 259
239
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 91 - 92
240
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 535
241
Präg, Jacobmeyer (Hg.), Diensttagebuch. S. 601
233
31
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
geplante Verlagerung der jüdischen Arbeitskräfte aus Warschau in den Distrikt Lublin trotz
Direktive zur „scharfen Rationalisierung und Konzentration der Betriebe in den besetzten Räumen“242
( die noch benötigten jüdischen Kräfte sollten dort und in Auschwitz/ I.G. Farben konzentriert
werden) 243 verzögerte, begann die Aktion zur vollständigen Räumung des Warschauer Ghettos.
„Am Palmsonntag, dem 18. April 1943, verbreiteten sich in Warschau Gerüchte, daß
in den nächsten Stunden irgendeine große Polizeiaktion im Ghetto erfolgen sollte, worauf u.a.
eine bedeutende Konzentrierung von kollaborierenden ukrainisch-lettischen Hilfsabteilungen
[ diese waren im Zuge des Abzugs großdeutscher Polizeieinheiten aus dem Generalgovernement auf
Anordnung Krügers Anfang 1943 verstärkt worden ]244 in der Stadt hindeutet. Am Abend (...)
ging ich in die Nähe der Ghettomauer und bemerkte dort eine verstärkte Bewegung von
Polizeipatrouillen.“245 Die Vorbereitungen der Großdeutschen, die „essentially nothing“246 über
die Vorgänge im Ghetto ahnten, wurden auch von den Spähern der Jüdischen Kampforganisation
wahrgenommen. Die alarmierten Kampfgruppen, Männer und Frauen247, ( siehe Anhang ) bezogen
noch in der Nacht ihre vorbereiteten Stellungen im Ghetto, die Zivilbevölkerung begab sich in die
Schutzräume.248
Die Räumungskommandos hatten ihre Kräfte für die Räumung des Ghettos konzentriert und
sich auch des Beistands der Wehrmachts-Oberfeldkommandantur Warschau versichert. Am ersten
Tag der Aktion übernahm SS-Brigadeführer Jürgen Stroop den Oberbefehl über die
bereitstehenden Einheiten am Ghettorand.249 Im folgenden werden Passagen aus dem in
menschenverachtendem und rassistischem Ton verfaßten Bericht Stroops nach der Räumungsaktion
wörtlich zitiert und entsprechend hervorgehoben: „Ich selbst traf am 17. April 1943 in
Warschau ein und übernahm die Führung der Großaktion am 19.4.1943 um 8.00 Uhr,
nachdem die Aktion selbst schon um 6.00 Uhr an diesem Tage begonnen hatte.“250 ( Die
Perspektive Stroops erscheint aufgrund ihrer verzerrten Sicht der Ereignisse bemerkenswert: So
sprach er etwa später in Haft von einem „freiwilligen Verlassen des Ghettos [ durch die Juden ]
im Juli 1942“)251
Am 19. April 1943 um 3 Uhr morgens wurde der jüdische Wohnbezirk umstellt, drei
Stunden später drang die Waffen-SS mit insgesamt 16 Offizieren und 850 Mannschaften252 über
die Zamenhofa-Straße ein. Die Gesamtstärke der regulären SS-, Polizei, Wehrmachts- und
ausländischen Unterstützungseinheiten umfaßte 2054 Soldaten und 36 Offiziere. „The Panzer
Grenadier included armored vehicles and some light French tanks, and the arms issued to the
242
Ebenda. S. 612
Grabitz, Scheffler, Letzte Spuren. S. 318
244
Präg, Jacobmeyer (Hg.), Diensttagebuch. S. 605
245
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 97
246
Gutman, The Jews of Warsaw. S. 371
247
Kazimierz Moczarski, Gespräche mit dem Henker. Des Leben des SS-Gruppenführers und
Generalleutnants der Polizei Jürgen Stroop aufgezeichnet im Mokotow-Gefängnis zu Warschau.
Deutsche Ausgabe ( Düsseldorf 1978 ) 206
248
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 97 - 98
249
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 535
250
Stroop-Bericht: „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr“ ( Darmstadt - Neuwied 1976 )
4
251
Moczarski, Gespräche mit dem Henker. S. 203
252
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 98
243
32
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
German troops - above and beyond standard personal weapons - included cannons, flamethrowers, anti-aircraft weapons and heavy machine guns“.253
Die vorrückenden Trupps wurden von den 220 Verteidigern254 mit konzentriertem Feuer
empfangen, Brandflaschen neutralisierten den ersten Panzer. Unter Verlusten mußten sich die
Angreifer zurückziehen, „ohne einen einzigen Menschen auf den Umschlageplatz gebracht zu
haben“. 255
Stroop: „Beim ersten Eindringen in das Ghetto gelang es den Juden und den polnischen
Banditen, durch einen vorbereiteten Feuerüberfall die angesetzten Kräfte,
einschließlich Panzer- und Schützenpanzerwagen zurückzuschlagen.“256
Am Vormittag startete man einen neuerlichen Vorstoß, in Gruppen zu 36 Mann, dazu je ein
Offizier oder Unteroffizier257, diesmal systematisch, Haus um Haus. Die jüdischen Verteidiger hielten
den Angriff mit Maschinengewehren nieder, die SS-Einheiten mußten sich in der Nacht erneut
zurückziehen ( die SS-Panzergrenadiere und Kavalleristen hatten vorher eine lediglich 3 - 4 wöchige
Grundausbildung erfahren258, die gutausgebildeten Kräfte waren kurz zuvor abgezogen worden) 259
Die jüdischen Verteidiger hatten den Vorteil, aus ausgebauten und weitgehend uneinsehbaren
Stellungen operieren zu könne, die Angreifer mußten sich demgegenüber beim Vorgehen
exponieren.260
„Sie kämpften verbissen.“
Jürgen Stroop über die Warschauer Juden261
Am 20. Und 21. April wurden trotz Artillerieunterstützung durch die Wehrmacht262
wiederum nur geringe Fortschritte erzielt. Stroop war, wie er später erzählte, „hochgradig nervös“
und „voll Sorge um den Ausgang eines weiteren Angriffs“.263 Nunmehr griff überdies auch eine
etwa zwanzigköpfige Kampfgruppe der Polnischen Heimatarmee in die Kämpfe ein, versuchte die
Ghettomauer zu sprengen, wurde jedoch zurückgeschlagen. „Die erste polnische Kampfhandlung
hatte also eher moralische als militärische Bedeutung.“264 Drei SS-Offiziere schlugen einen
Waffenstillstand und Abtransport der Verwundeten vor, „die Aufständischen [für Stroop
„Banditen“] schießen auf die Offiziere, treffen aber nicht.“265
Der bewaffnete Widerstand der Juden hatte die Menschenmassen des Ghettos auf die
Straße gebracht. Vor allem in der Bonifraterska Straße, von wo man die beiden Fahnen, jene der
253
Gutman, The Jews of Warsaw. S. 366
Hannah Krall, Schneller als der liebe Gott. Deutsche Erstausgabe ( Frankfurt/Main 1980 ) 111
255
Ebenda. S. 112
256
Stroop-Bericht. S. 4
257
Moczarski, Henker. S. 203
258
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 535 - 536
259
Präg, Jacobmeyer, Diensttagebuch. S. 681
260
Gutman, The Jews of Warsaw. S. 372
261
Moczarski, Gespräche mit dem Henker. S. 205
262
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 99
263
Moczarski, Gespräche mit dem Henker. S. 202 - 203
264
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 100
265
Krall, Schneller als der liebe Gott. S. 112
254
33
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
Polen und die der Juden, nebeneinander am umkämpften Muranowski Platz sehen konnte. Am 20.
wurden die beiden Fahnen durch die SS unter Verlusten heruntergerissen. Inzwischen waren
Informationen über den Kampf der Juden gegen die Besatzer auch nach außen gedrungen und die
übrige Bevölkerung Warschaus hatte Anteil am Schicksal der hart bedrängten jüdischen
Kämpfer.266
„Die haben vielleicht geschrien, als sie geröstet und gebraten wurden! Und wie gern
sie sich gefangennehmen ließen! Ein Teil verübte allerdings Selbstmord, aber den Rest haben
wir umgehend in die Waggons getrieben, und ab nach Treblinka!“, erklärte Stroop noch Jahre
später in seiner Warschauer Haft.267
Am 22. April standen mehrere Teile des Ghettos in Flammen, viel Menschen versuchten sich
durch einen Sprung aus dem Fenster zu retten. Nachdem sich zahlreiche Kämpfer in die Kanalisation
zurückgezogen hatten, versuchte die SS, diese unter Wasser zu setzen, was nur teilweise gelang. 268
Nach dem 22. April erhöhte sich die Zahl der gefangenen und getöteten Juden beträchtlich.
Systematisch wurden nun Abwasserkanäle und Erdbunker von den Großdeutschen in die Luft
gesprengt, Gefangene zur Preisgabe von Geheimverstecken gezwungen; auch verfügten die
Räumkommandos über Horchgeräte und fanden die Menschen in den Kellern.269 Der jüdische
Befehlshaber, Mordechai Anielewicz, versuchte vergeblich, zu schweren Waffen und Sprengstoff
zu kommen.270
Stroop: „Es gab besondere Bunker für arme und reiche Juden. Das Auffinden der
einzelnen Bunker durch die Einsatzkräfte war infolge der Tarnung
außerordentlich schwierig und in vielen Fällen nur durch Verrat seitens der Juden
möglich.“271
Angesichts der immer bedrohlicher werdenden Entwicklung versuchten nun viele Juden, über
die Kanalisation aus dem Ghetto zu entkommen, worauf Wehrmachtspioniere mit der Sprengung der
Einstiegslöcher antworteten.
Stroop: „Zahlreiche Juden, die nicht gezählt werden konnten, wurden in Kanälen und
Bunkern durch Sprengungen erledigt.“272
Im Mai war das Ghetto ein einziges Flammenmeer, „die Reihen der Juden lichteten sich
rapide“.273 Am Ende der ersten Mai-Woche gab es noch einen Brennpunkt jüdischen Widerstands
in der Mila-Straße 18, wo sich 120 Kämpfer unter dem Kommando von Anielewicz verschanzt
hatten, bis die Großdeutschen mit Gas anrückten...274
266
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 101 - 102
Moczarski, Gespräche mit dem Henker. S. 208
268
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 537 - 538
269
Krall, Schneller als der liebe Gott. S. 116
270
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 538
271
Stroop-Bericht. S. 7
272
Ebenda. S. 9
273
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 538
274
Gutman, The Jews of Warsaw. S. 564 - 565
267
34
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
„Unsere letzten Tage sind nahe, aber solange wir noch Waffen in den Händen haben, werden
wir kämpfen und Widerstand leisten“.
Mordechai Anielewicz, Warschau, 26.April 1943 275
Stroop: „Der von den Juden und Banditen geleistete Widerstand konnte nur durch
energischen unermüdlichen Tag- und Nachteinsatz der Stoßtrupps gebrochen
werden.“276
Am 8. Mai beging Anielewicz und sein Stab, von der SS umstellt, Selbstmord277, er sollte
die Kapitulation des Großdeutschen Reiches genau zwei Jahre später nicht mehr erleben. In
Nachtpatrouillen wurden nun die restlichen jüdischen Erbunker systematisch zerstört, Mitte Mai gab
es nur noch vereinzelte Schießereien. Die Juden waren überwältigt. „Am 16. Mai um 20.15 ließ (...)
Stroop, als Zeichen dafür, daß der Warschauer Ghettokampf beendet war, die im ‘arischen’
Teil gelegene Tlomacki-Synagoge in die Luft sprengen.“ 278 Die Beute der Eroberer enthielt
neuen Gewehre, 59 Pistolen, mehrere hundert Granaten, Sprengstoff und Minen. Der Rest der
jüdischen Ausrüstung war zerstört worden. Die Verluste bei SS und Wehrmacht betrugen 16 Tote (
15 Großdeutsche, ein Pole)279 und 85 Verwundete.280 ( Im ganzen Jahr 1942 hatten die gesamten
NS-Polizeikräfte des Generalgovernements insgesamt 86 Tote und 139 Verwundete zu verzeichnen
! )281
Stroop: „Je länger der Widerstand andauerte, desto härter wurden die Männer der
Waffen-SS, der Polizei und der Wehrmacht, die auch hier in treuer
Waffenbrüderschaft unermüdlich an die Erfüllung ihrer Aufgaben herangingen
und stets beispielhaft und vorbildlich ihren Mann standen. (...) Die Großaktion
wurde am 16.5.1943 mit der Sprengung der Warschauer Synagoge um 20.15 Uhr
beendet“282
Wie indoktriniert von der NS-Propaganda ein Mann wie Jürgen Stroop gewesen sein muß, zeigt
seine in der Haft getätigte Aussage:
„Wer damals ein wahrer, das heißt ein starker Mensch sein wollte, der mußte so handeln wie
ich. Gelobt sei, was hart macht!“ (HENKER 210)
Nach der endgültigen Niederschlagung jeglichen Widerstands standen für die
Nationalsozialisten noch zwei Dinge an: Die von Himmler im Januar befohlene „Niederreißung“
und die anschließende Verwandlung des ehemaligen Ghettoareals in einen Park. Die Arbeit sollten
Polen und KZ-Häftling erledigen.283 Die endgültige Zerstörung des Warschauer Ghettos ging mit
einer gleichzeitigen Verschärfung des Terrors gegen die polnische Intelligenz in Warschau und dem
275
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 105
Stroop-Bericht. S. 9
277
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 106
278
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 538
279
Stroop-Bericht. I
280
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 539
281
Präg, Jacobmeyer (Hg.), Diensttagebuch. S. 605
282
Stroop-Bericht. S. 10
283
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 539
276
35
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
restlichen Generalgovernement einher. Das ehemalige Ghettogelände fungierte hier als
Hinrichtungsstätte. „Diese terroristischen Maßnahmen bewirkten gerade das Gegenteil dessen,
was sie bezweckten. Nach dem Warschauer Vorbild ging im Juni die jüdische Jugend zum
Widerstand gegen die Deutschen in Lemberg und Tschenstochau über und am 3. August in
Bedzin; am 16. September brach ein größerer jüdischer Aufstand in Bialystok aus (...)! Auch
die unglücklichen, am Leben verbliebenen Insassen der Lager Treblinka und Sobibor rafften
sich zu einer Tat auf, in diesen beiden Vernichtungslagern fanden am 2. August und am 14.
Oktober 1943 bewaffnete Aufstände statt.“ 284
Ungeachtet der Vorbildwirkung war die Bilanz für die Warschauer Juden furchtbar. Viele
Tausend waren in den Trümmen umgekommen, 56 065 hatten sich ergeben. 7000 der
gefangengenommenen Juden wurden erschossen, weitere 7000 wurden ins Todeslager
Treblinka gebracht; 15 000 traten den Weg ins Konzentrationslager und Tötungszentrum
Majdanek/Lublin an, der Rest verschwand in Arbeitslagern...285
Als der Aufstand im Warschauer Judenghetto sich seinem tragischen Ende genähert hatte,
hatte man zwei Flaggen nebeneinenader am Dach eines Warschauer Gebäudes gehißt. Die eine war
weiß und blau, die andere weiß und rot. Den jüdischen Kämpfern verblieben nur noch ein paar
Stunden ihres Überlebens, als sie dem polnischen Volk ihre Botschaft brachten:
„Wir senden euch unsere brüderlichen Grüße mitten aus den Flammen und dem Blut des
ermordeten Warschauer Ghettos...Der Kampf, der hier geführt wird, ist ein Kampf um eure
Freiheit und die unsrige. Um unser aller menschliche, gesellschaftliche und nationale Ehre
und Würde...Lang lebe die Bruderschaft der Waffen und des Bluts eines kämpfenden
Polens...“286
V. Die Ermordung der Warschauer Juden im Lager Treblinka
„...Wir - die in den Gaskammern Erstickten und die in Seife verwandelten, Seife, die weder die
Spuren unseres Blutes noch das Schandmahl der an uns begangenen Sünden abwäscht.
Wir, deren Gehirne an die Wände unserer elenden Wohnlöcher gespritzt sind und an die
Mauern, an denen man uns in Massen erschoß, nur weil wir Juden waren...“
Julian Tuwim, „Wir - die polnischen Juden“ 287
In der Geschichte der großdeutschen Konzentrationslager (KZ) können etwa drei große
Entwicklungsabschnitte unterschieden werden:
284
Bartoszewski, Im Warschauer Ghetto. S. 107 - 108
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 538 - 539
286
Wiesenthal, Recht, nicht Rache. S. 267
287
Karin Wolff (Hg.), Hiob 1943. Ein Requiem für das Warschauer Ghetto ( Neukirchen 1983 ) 288
285
36
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
1. 1933 bis Kriegsausbruch mit etwa 3 großen ( je 20 000 Häftlinge ) und 25 kleinen KZ ( je 1000
) mit insgesamt 85 000 Inhaftierten
2. Herbst 1939 bis 1942 mit etwa 16 großen ( je 20 000 ) und 50 kleineren ( je 1000 ), insgesamt
also fast 400 000 Häftlingen
3. 1943 bis Frühjahr 1945 mit etwa 20 großen ( je 25 000 ) und 65 kleineren ( je 1500 ), insgesamt
somit rund 600 000 Häftlingen288
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist insbesondere eine Betrachtung der Lager des
Generalgovernements, und hier wiederum jener Vernichtungslager der „Aktion Reinhard“
( der genaue Zeitpunkt der Entstehung des Tarnnamens ist auch heute noch nicht vollständig geklärt
)289 vonnöten. Im Rahmen der Deportation der Warschauer Juden ist natürlich eine gesonderte
Analyse des Vernichtungslagers Treblinka erforderlich. Die beiden vielleicht bekanntesten weil
räumlich wie auch ihrer personellen Ausstattung nach großen Lagerkomplexe Auschwitz-Birkenau
und Majdanek/Lublin hatten eine Doppelfunktion. Sie
waren sowohl Konzentrationslager wie Vernichtungsanstalten. Im Vergleich dazu handelte es sich bei
Belzec, Sobibor, Chelmno und auch Treblinka um kleine Anlagen, die „mit einem relativ
geringen Personalaufwand eingerichtet und in Betrieb gehalten wurden und die ausschließlich
zur Tötung einer Vielzahl jüdischer Menschen mittels Giftgas dienten“.290
„Die
Vernichtungszentren arbeiteten rasch und wirkungsvoll: Ein Mensch stieg am Morgen aus
dem Zug, am Abend war sein Leichnam verbrannt, seine Kleidung für den Transport nach
Deutschland verpackt. (...) Oberflächlich betrachtet wirkt dieser reibungslos funktionierende
Apparat täuschend einfach, doch bei näherer Untersuchung gleichen die Operationen des
Vernichtungszentrums in mehrerer Hinsicht den komplexen Massenproduktionsmethoden
einer modernen Fabrik“. 291
Die Konzentrations- und Vernichtungslager lagen organisatorisch in differenten
Kompetenzbereichen.
Während
Auschwitz
und
Majdanek
dem
SSWirtschaftsverwaltungshauptamt unterstanden, fielen die Lager der „Aktion Reinhard“ in den
Verantwortungsbereich des SS- und Polizeiführers in Lublin, SS-Brigadeführer Globocnik ( und
dessen übernommenen T4-Vernichtungsapparat)292, und der Kanzlei des „Führers“. Globocnik
ging an die Erfüllung seines Mordauftrags generalstabsmäßig heran. „Seine Mission umfaßte den
Bau der Vernichtungslager, die Planung und Koordination der Deportationen in die
Todesfabriken, den Raub und die Sicherstellung von Hab und Gut der Opfer und schließlich
die physische Vernichtung“.293 Die Verantwortung für den Betrieb des Vernichtungslagers
Chelmno teilten sich der Höhere SS- und Polizeiführer und der Gauleiter im damaligen Reichsgau
Wartheland. Die enge personelle und organisatorische Verflechtung der drei Lager der „Aktion
Reinhard“ und die zwischen ihnen und dem Lager Chelmno sichtbaren Parallelen einerseits,
288
Eugen Kogon, Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. 18. Auflage
( München 1988 ) 176
289
Adalbert Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager im Spiegel deutscher Strafprozesse.
Belzec, Sobibor, Treblinka, Chelmno ( München 1977 ) 37
290
Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 28 - 29
291
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 927
292
Zentner, Bedürftig, Lexikon des Dritten Reiches. S. 20
293
Peter Przybylski, Täter neben Hitler. Ereignisse, Tatsachen, Zusammenhänge ( Berlin 1990 ) 423
37
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
andererseits die zu Auschwitz und Majdanek feststellbaren Unterschiede werden von Experten
betont, sind aber nicht Gegenstand dieser Arbeit.294
Die Koordinierung der der beschlossenen Maßnahmen der Judenliquidierung, also auch die
Räumung des Warschauer Ghettos, dürfte von der Hauptabteilung „Aktion Reinhard“ nach
Inbetriebnahme der ersten Vernichtungslager Anfang 1942 offenbar nicht zur vollen Zufriedenheit
erledigt worden sein. Im Juli/August des Jahres erfolgte ein umfangreiches Revirement - alle
Lagerkommandanten wurden ausgewechselt, Wirth zum Inspekteur der Sonderkommandos.295
„Aus dem Generalgovernement werden jetzt, bei Lublin beginnend, die Juden nach dem Osten
abgeschoben. Es wird hier ein ziemlich barbarisches und nicht näher zu beschreibendes
Verfahren angewandt und von den Juden selbst bleibt nicht mehr viel übrig...“
Goebbels-Tagebuchnotiz, 27. März 1942296
Mit der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft in den Ghettos war die vollständige materielle Entblößung der
Juden noch nicht beendet. Die riesigen Mengen der von den in Massen getöteten Juden
hinterlassenen Kleidungsstücke wurden gesammelt und verwertet:
• Barbeträge wurde auf ein spezielles Konto der Reichsbank in Berlin eingezahlt
• Devisen, Schmuck, Zahngold waren an das Wirtschaftverwaltungshauptamt abzuliefern
• Uhren, Wecker, Taschenmesser und -lampen, bis hin zu Geldbörsen wurden instandgesetzt und
der Fronttruppe zugeführt
• Männerkleidung kam an KZ-Insassen und die kämpfende Truppe297
An dieser Stelle sollten nur einige Beispiele exemplarisch herausgegriffen werden, die Liste
wäre noch lange fortzuführen. Nicht vergessen werden dürfen überdies die von den Juden in
Warschau als größtem Ghetto zurückgelassenen Mengen an immobilen Wertgegenständen, primär
Möbel. Diese wurden in der Wildstraße 51 in SS-Magazinen gesammelt, „SS-Mitglieder der
Aussiedlungskommission wurden reich dadurch“.298 Zynisch erscheint die abschließende
Direktive Franks bezüglich der Wiederverwendung der Habe der getöteten Juden: „ Es ist streng
darauf zu achten, daß bei allen zur Abgabe kommenden Kleidern und Überkleidern der
Judenstern entfernt wird.“299 Dieser Zynismus, gepaart mit dem administrierten industriellen
Massenmord, ist tatsächlich einmalig in der Menschheitsgeschichte. „Nie zuvor waren Menschen
wie ‘am Fließband’ umgebracht worden.“300
Die Geschichte der Vernichtungstätte Treblinka, Distrikt Warschau, in seiner hier
behandelten Form begann Anfang 1942. Die Zentralbauleitung des Distrikts arbeitete zusammen mit
zwei Bauunternehmen, Schönbrunn aus Liegnitz und Schmidt und Münstermann ( Erbauer der
Ghettomauer ) aus Warschau selbst an der Fertigstellung des Lagers, welches Götz Aly als
294
Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 29
Ebenda. S. 73
296
Ebenda. S. 104
297
Ebenda. S. 109 - 110
298
Kogon, SS-Staat. S. 248
299
Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 111
300
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 927
295
38
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
„Filiale“ von Belzec bezeichnet.301 Arbeitskräfte für den Bau von Treblinka wurden aus dem
Warschauer Ghetto herangezogen. Wiederum wird ein fast unfaßbarer Zynismus sichtbar - Juden
bauen ihre eigene Vernichtungsstätte.( Zu untersuchen wäre hier auch die Rolle der Reichsbahn,
welche vor Beginn der Massentötungen die Gleisanschlüsse ins Lager errichtet hatte )302 Auch griff
man auf die Materialbestände des größten Ghettos zurück, darunter Schalter, Nägel, Kabel und
Tapeten. Am 11.Juli 1942 (die Deportationen aus Warschau begannen am 22. dieses Monats ) war
das Vernichtungslager Treblinka, das primär der Vernichtung der Warschauer Juden dienen sollte303,
fertiggestellt304, der „Betrieb“ wurde vom Euthanasiepersonal Wirths gewährleistet.305 Dieses
Lagerpersonal bestand aus 35 bis 40 großdeutschen SS-Männern und 90 bis 120 Ukrainern, die
primär für Wachdienste eingesetzt wurden. Das gesamte Lagerpersonal unterstand dem
Lagerkommandant.306
In Bezug auf die Geheimhaltung der Deportationen in des „neue“ Lager hielt es die SS im
besetzten Polen für überflüssig, die Bevölkerung von den Zügen fernzuhalten.“Auch deutsche
Soldaten begegneten auf der Fahrt zur Front oder in die Heimat Deportationszügen“.307
Das Gelände des Lagers Treblinka war relativ klein - etwa 600 Meter lang und rund 400
Meter breit, mit etwa 4 Meter hohem Stacheldraht mit Reisigtarnung umgeben. Dahinter lag ein cirka
3 Meter breiter Graben, dann 50 Meter freies Gelände, dann wiederum Stacheldraht und
„Spanische Reiter“. An allen vier Ecken des Areals standen 8 Meter hohe Wachtürme.308 Die
Anlage war ähnlich wie in den anderen Lagerkomplexen dieses Typus: Baracken für das
Wachpersonal, ein Gelände, auf dem die Juden abgeladen wurden, eine Auskleidestation und ein Sförmiger Durchgang, umzäunt mit fast zwei Meter hohem Stacheldraht.309 Die Gaskammern, als
Duschen getarnt, waren nicht größer als mittelgroße Räume, aber während der Vergasungen waren
sie bis an den Rand ihrer Kapazität gefüllt ( Die Opfer sollten in der Tat bis zum Ende getäuscht
werden und an eine echte „Umsiedlung“ glauben - In Treblinka war zu diesem Zweck sogar eine
Bahnhofskulisse mit Blumenkistchen errichtet worden )310 Anfangs hatte kein Lager mehr als drei
solcher Kammern. In Treblinka soll sich von Anfang an ein Dieselmotor als Vergasungsmaschine
befunden haben, so Hilberg.311 Zur Aufnahme der Getöteten diente riesige Gruben, erst später (
Frühjahr 1943 ) ging man zu Verbrennungen über.312
Im Zuge der Deportationen aus dem Warschauer Ghetto trafen in Treblinka ab Sommer
1942 soviele Transporte ein, daß völlige Überfüllung eintrat und sich die neuangekommenen
Deportierten Bergen von unverbrannten Leichen gegenübersahen. Zwischen Juli und September
wurden Treblinka, Sobibor und Belzec erweitert. „Massive Bauten, in Belzec aus Stein und in
301
Aly, „Endlösung“. S. 359
Lichtenstein, Mit der Reichsbahn in den Tod. S. 92
303
Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 200
304
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 940 -941
305
Ebenda. S. 957
306
Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 206 - 207
307
Lichtenstein, Mit der Reichsbahn in den Tod. S. 139
308
Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Konzentrationslager. S. 200
309
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 941
310
Lichtenstein, Mit der Reichsbahn in den Tod. S. 93
311
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 941
312
Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 204 - 205
302
39
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
Treblinka aus Ziegeln, die in jedem Lager mindestens sechs Gaskammern enthielten, traten
an die Stelle der alten Anlagen.“ 313, auch diese mit der Aufschrift „Zur Badeanstalt“
versehen.314 Die Vorderwand des Gasbaus von Treblinka war mit einem Davidstern „verziert“, auf
dem in hebräischer Schrift geschrieben stand: „Dies ist das Tor, durch das die Gerechten
schreiten.“315
Für die Deportation der Warschauer Juden ist auch das Konzentrationslager
Majdanek/Lublin kurz betrachtenswert. Ende 1942 wurden in diesem Lager des
Wirtschaftsverwaltungshauptamts wöchentlich mehrere hundert Menschen in zwei Gaskammern
getötet. Nach dem Warschauer Ghettoaufstand im Mai 1943 erfuhr das Lager einen
beträchtlichen Zustrom von Warschauer Juden, mehrere Tausend von ihnen wurden vergast.
Nachdem Majdanek/Lublin die Verwaltung der SS-Arbeitslager Trawniki und Poniatow
übernommen hatte, wurden an allen drei Orten im November 1943 Massenerschießungen
durchgeführt.316 Für Warschau ist an dieser Stelle bemerkenswert, daß die Lagerwachen aus
Globocniks SS-Ausbildungslager Trawniki oft dem gleichen Reservoir entstammten, „das die
Ghettowachleute und 1943 einen Teil der Soldaten stellte, die den Warschauer
Ghettoaufstand niederschlugen“.317 ( Als Folge des Kampfes in Warschau hatten die
Großdeutschen übrigens ihre Taktik bei den Räumungen geändert und nunmehr immer ein großes
Potential an bewaffneten Einheiten, „für alle Fälle“ sozusagen, zur Verfügung )318
Die Brutalität des Warschauer Aufstandskampfes ist bislang hinlänglich geschildert worden,
nicht vergessen werden darf aber auch die nicht weniger inhumane Behandlung der Ghettoinsassen
bei Abtransport, Fahrt ins Lager und Ankunft. Menschenjagd mit Hunden gehörte dazu, das
Herausschleppen Schwerkranker, die Mißhandlung von Kindern, die willkürliche Tötung Wehrloser.
Um die Juden willfährig zu machen, wurde brutaler Terror institutionalisiert, die Wasserzufuhr für das
Ghetto gekappt, die Lebensmittelrationen im Ghetto gedrosselt, jene für Deportationswillige jedoch
erhöht.319 „Die Fahrt war grauenhaft. Dichtgedrängt kauerten wir in den Waggons, Kinder
weinten, Frauen wurden irrsinnig. Wir kamen am nächsten Tag gegen drei Uhr nachmittags
an. Die Bahnstation trug eine große Aufschrift ‘Arbeitslager Treblinka’. Von dort wurde der
Zug auf einem Sondergleis in den Wald gefahren; (...) An dieser Endstelle bot sich uns ein
schauerliches Bild: Hunderte von Leichen lagen umher. (...) Wir wurden aus den Waggons
getrieben, deutsche und ukrainische SS-Männer stiegen auf die Dächer und schossen wahllos
in die Menge.“320
Auch nach den großen Massenselektionen und -deportationen des August 1942 konnten die
Warschauer Juden die Dimension der Ereignisse noch nicht vollständig abschätzen. „Von denen,
die uns verlassen hatten, kamen keine Nachrichten mehr. Wir ahnten das Schlimmste.
Indessen trafen vereinzelt Flüchtlinge ein, denen es gelungen war, aus Treblinka zu
313
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 942
Kogon, SS-Staat. S. 238
315
Hilberg, Die Vernichtung. 2. Band. S. 942
316
Ebenda. S. 941 - 942
317
Ebenda. S. 961 - 962
318
Gutman, The Jews of Warsaw. S. 426 - 427
319
Kogon, SS-Staat. S. 248
320
Ebenda. S. 237
314
40
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
entkommen. Unter ihnen befand sich ein junger jüdischer Journalist, Jakob Rabinowicz (...)
In einer Versammlung jüdischer Jugend berichtete er genau, was er als Mitglied des
Bergungskommandos in Treblinka gesehen und erlebt hatte, und über die Massenmorde, die
Erschießungen und Vergasungen. Er fand keinen Glauben, wir konnten es nicht fassen...“321
Gemäß Stroop-Bericht sind in der Zeit vom 22. Juli 1942 bis zum 3. Oktober des Jahres
rund 310 000 und in der Zeit von Januar bis Mitte Mai 1943 rund 19 000 Juden aus dem
Warschauer Ghetto in Güterzügen nach Treblinka gebracht worden. Abgesehen von den
Warschauer Juden sind rund 271 000 Menschen ins Lager deportiert worden. Die Zahl der in
Treblinka getöteten Personen, überwiegend Juden, in geringerem Maße auch Zigeuner,
kann insgesamt auf mindestens 700 000 Menschen geschätzt werden. 322
Der großdeutschen Okkupation und der Ausrottungspolitik des Dritten Reiches sind 2,4
Millionen Polen zum Opfer gefallen - ohne die an den Fronten erlittenen Verluste zu
berücksichtigen. 3 Millionen polnischer Juden 323 ( davon rund 500 000 in den Ghettos wie
Warschau )324 waren jedoch Opfer einer in der Geschichte der Menschheit beispiellosen Aktion der
planmäßigen Ausrottung eines ganzen Volkes. Ihr Martyrium ist ein untrennbarer Teil der Geschichte
des heutigen Österreich, wo sie lebten, so wie es Teil der jüdischen und der Weltgeschichte ist. Von
den heute lebenden Generationen wird es abhängen, inwieweit man das Geschehene nutzbringend
verarbeitet um den Kräften des Trennenden egal auf welcher gesellschaftlichen und nationalen Ebene
mit jenen des konstruktiven Dialogs zu begegnen.
VI. Schlußbetrachtung
„Die Endlösung in der Judenfrage war etwas Neues und noch nie Dagewesenes“325
Die Ghettoisierung und Vernichtung der europäischen Juden sollte im Rahmen der
vorliegenden Seminararbeit am Beispiel Warschaus in begrenztem Rahmen dargestellt
werden. Doch was bleibt? Die vielzitierte Aufarbeitung der NS-Vergangenheit ist in Österreich bis
heute weitestgehend nicht gelungen. Woran mag es liegen, möchte man fragen. Liegt es an der
eingangs behandelten Täterstruktur der Großdeutschen - und damit der österreichischen
Gesellschaft, die es „Hitler’s willing executioners“, „ordinary Germans“, wie Goldhagen sie
nennt, ermöglichte, 1945 fast vollständig nahezu unerkannt wieder in diese unsere heutige
Gesellschaft einzutauchen? War die jahrhundertealte strikt obrigkeitsstaatliche Tradition
verantwortlich, um aus Menschen „kalte Mörder“ und „solch gehorsame Untertanen wie die
Deutschen [ und damit auch die Österreicher!]“326 zu machen? Was kann Menschen dazu
321
Ebenda. S. 249
Rückerl, Nationalsozialistische Vernichtungslager. S. 198 - 199
323
Bartoszewski, Uns eint vergossenes Blut. S. 261
324
Przybylski, Täter neben Hitler. S. 427
325
Mosse, Geschichte des Rassismus in Europa. S. 256
326
Heenen-Wolff, Im Land der Täter. S. 29
322
41
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
bewegen, die 10 000. Leiche in Euthanasie-Vergasungsanstalten „mit Blasmusik, Umzug und
zusätzlichem Alkoholgenuß“327 zu feiern?
Liegt das historische Selbstverständnis an einer bisweilen durch
reflexionslose
328
Autobiographien oder solche mit „schönfärberischen Zügen“
von ehemaligen NS329
Spitzenrepräsentanten entstellte Geschichtsschreibung?
Auch die Rolle der Wehrmacht muß im
Sinne einer gesamten Korrektur des bisherigen Selbstbildes vor allem wegen ihrer Verbrechen, von
denen viele nicht nur wußten, „sondern auch halfen“330, im Gedächtnis aller verankert werden.
Wollen sich die Täter von gestern angesichts der Schwere der NS-Verbechen auch heute nicht mit
ihrer Verantwortung für morgen auseinandersetzen? Selbst der Vorwurf des „Geschehenlassens“
331
wiegt aus meiner Sicht schwer genug...
Welche Dispositive aber hatten und haben die Opfer ( 1946 wurden in Polen
225- 240 000 überlebende polnische Juden von ehemals über drei Millionen registriert) ? 332 Auch
sie haben Verantwortung zu tragen. Jeder dieser Menschen hatte eine individuelle Leidensgeschichte
hinter sich, hatte jahrelange Demütigungen erlebt. Hinzu kam, im Unterschied zu den meisten
nichtjüdischen Ghettoinsassen und Häftlingen, der Verlust von Angehörigen, des gesamten Hab und
Gutes und der Heimat. „Keineswegs waren mit der Befreiung die Leiden und Qualen
beendet“.333 Mit dieser Vergangenheit zu leben, erwies sich in der Folgezeit oft als überaus
schwierig, in manchen Fällen als unmöglich. Viele „Befreite“
verfielen in Depressionen, hatten Alpträume und Selbstmordgedanken. Auch sie hatten überdies
nunmehr neben der Bürde des Erlebten jene der Verantwortung nach Aufklärung über ihr Schicksal
zu tragen, um ähnliches für alle Zukunft zu verhüten. Von einer kontextualen Gleichstellung des
Verantwortungsbegriffs von Opfern und Tätern kann aber hier selbstverständlich nicht die Rede
sein.
„Die sich des Vergangenen nicht erinnern, sind dazu verurteilt, es nocheinmal zu erleben“
Santayana 334
Die eingangs gestellte Frage nach dem „Morgen“ erscheint mir aus folgendem Grund
relevant: Auschwitz, die Vernichtung der europäischen Juden ( für mich ist Warschau als integraler
Bestandteil dieses Prozesses zu sehen ) signalisiert etwas einmaliges. Zwei komplementäre Arten der
327
Ernst Klee, Willi Dreßen, Nationalsozialistische Gesundheits- und Rassenpolitik. „Lebensunwertes
Leben“, Sterilisation und „Euthanasie“ In: Ute und Wolfgang Benz, Sozialisation und
Traumatisierung. Kinder in der Zeit des Nationalsozialismus ( Frankfurt/Main 1992 ) 110
328
Paul Kohl, Der Krieg der deutschen Wehrmacht und der Polizei 1941 - 1944. Sowjetische Überlebende
berichten ( Frankfurt/Main 1995 ) 327
329
Heinz Guderian, Erinnerungen eines Soldaten. 13. Auflage ( Stuttgart 1994 ), Erich von Manstein,
Verlorene Siege. Erinnerungen 1939 - 1944. 12. Auflage ( Bonn 1991 ), Albert Speer, Erinnerungen
( Frankfurt/Main - Berlin - Wien 1969 )
330
Kohl, Der Krieg der deutschen Wehrmacht und der Polizei 1941 - 1944. S. 327
Haffner, Anmerkungen zu Hitler. S. 138
332
Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands . S. 376
333
Angelika Königseder, Juliane Wetzel, Lebensmut im Wartesaal. Die jüdischen DP’s ( Displaced Persons )
im Nachkriegsdeutschland ( Frankfurt/Main 1994 ) 16
334
William Lawrence Shirer, Aufstieg und Fall des Dritten Reiches. Deutsche Sonderausgabe
( Bindlach 1990 ) XI
331
42
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
Wahrnehmung lassen sich nunmehr beobachten. Die Betonung historischer Einmaligkeit und
Unbegreifbarkeit einerseits, die Parallelisierung ( und damit Relativierung ) andererseits. „In beiden
Momenten ist Wahrheit enthalten (...) Gleichwohl gibt es erkennbar besondere
gesellschaftliche Bedingungen, die Auschwitz ermöglichten - und diese Bedingungen existieren
über Auschwitz hinaus fort.“335
(„Auschwitz“ wird von mir in diesem Zusammenhang als
Synonym für die NS-Gewaltverbrechen an den Juden aber auch den Sinti und Roma gesehen )
Brauchen wir uns also angesichts dieser Feststellung nicht über die Genozid-Ausschreitungen
in Bosnien oder Ruanda unserer Tage zu wundern? Vor allem in Bosnien wurden erstmals nach
Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa wieder offene Analogien zur ethnisch-konfessionellen
Paranoia ( Slobodan Milosevic: „Die Serben sollten in Bosnien zu zweitklassigen Bürgern
irgendeines islamischen Gottesstaates gemacht werden“ ) 336 und zum nationalsozialistischen
völkischen Massenmord offenbar: Vier große Konzentrationslager ( die nicht mit den NSVernichtungslagern, sondern eher mit etwa britischen Detention camps aus dem Burenkrieg zu
vergleichen sind ) wurden in Nordbosnien eingerichtet, „in denen die Insassen unter schrecklichen
Bedingungen vegetierten und den sadistischen Launen ihrer Bewacher ausgeliefert waren“.337
Massenexekutionen - denkt man etwa an Srebrenica - in Stil und Dimension ( 6000 Tote )
durchaus mit jenen der großdeutschen Einsatzgruppen vergleichbar finden wieder statt.
Sollen die nationalistischen, fremdenfeindlichen Ausschreitungen, Hoyerswerda, Rostock,
Oberwart nach den Ereignissen des Holocaust als gleichsam naturgegeben hingenommen werden?
Werden „Mangel an Produktivität und degenerierte äußere Erscheinung“338 wieder zu
allgemeingültigen Parametern in der Bewertung der Staatsbürger? Kurz: Haben wir die Lektion von
Warschau, „diesem Gipfelpunkt innerhalb der größten Tragödie in der Geschichte der
Menschheit“339 tatsächlich gelernt?
Die Antwort fällt aus meiner Sicht leider eindeutig aus: Rassismus, Antisemitismus und
Nationalismus sind keine Dämonen von gestern. Diese drei Faktoren greifen zumeist stark
ineinander und beinhalten somit jeder für sich heute ein beträchtliches Gefahrenpotential. Vor allem
vor dem Hintergrund einer bisweilen gehörten und mit dem zeitlichen Abstand zum Holocaust immer
lauter und indifferenzierter werdenden Losung „Ein neuer Hitler muß her!“ darf eine Wiederholung
des Geschehenen nicht zugelassen werden. An dieser Stelle soll an die Feststellung Golo Manns
erinnert werden, die Nazis hätten sich gar nicht auf das jüdische Volk, sondern auf Millionen
einzelner Menschen gestürzt.340 Auch wurden nicht - wie revisionistische Stimmen bisweilen
behaupten - in Nürnberg Taten bestraft, die zum Zeitpunkt ihrer Begehung nicht strafbar gewesen
seien. Die nationalsozialistischen Massenermordungen sind von jeher als Morde Verbrechen gegen
335
Detlev Claussen, Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen Antisemitismus.
Überarbeitete Neuausgabe ( Frankfurt/Main 1994 ) 35
336
Slobodan Milosevic - Interview, „Der Schlüssel zum Frieden“. In: DER SPIEGEL 24/1996 140 - 145
337
Laura Silber, Allan Little, Bruderkrieg. Der Kampf um Titos Erbe. Deutsche Bearbeitung: Walter
Erdelitsch ( Graz - Wien - Köln 1995 ) 298
338
Mosse, Geschichte des Rassismus in Europa. S. 253
339
Wiesenthal, Recht, nicht Rache. S. 267
340
Golo Mann, Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ( Frankfurt/Main 1992 ) 899
43
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
das Leben gewesen...341 Eine humanistische, offene und ( im Sinne von unbarbarisch ) zivilisiertmoderne Gesellschaft sollte Freiheit, Toleranz und Demokratie als wohl kostbarste Güter des
Gemeinwesens verstehen und nicht als ob der auch moralischen Verpflichtungen lästige
Entbehrlichkeiten. Der Mensch hat, frei und gleich, im Mittelpunkt zu stehen...
An dieser Stelle, angesichts des Themas des Seminartitels, „Modernität und Holocaust“,
ein Wort zur Rolle der Moderne und der Technologie. Hier sollten uns Simon Wiesenthals
Schlüsse in der Tat zu denken geben. Dieser konstatiert, die moderne Technologie und Bürokratie
habe die praktischen Voraussetzungen für den Massenmord geschaffen, „von der partiell
gelungenen ‘Endlösung der Judenfrage’ zur einer partiell gelingenden ‘Endlösung der
Menschenfrage’.“342 Einzelne Menschen konnten numehr leicht, mit relativ primitiven technischen
Mittel, zum Tod befördert werden. „Der millionenfache Mord der Nazizeit war aber erst auf der
Grundlage moderner technischer Mittel möglich“343, die „Entdeckung der Anwendbarkeit des
Zyklon-B gaben den ‘Endlösern’ die Mrdrmittel in die Hand“.344
Abschließend soll an dieser Stelle, in bemerkenswerter Übereinstimmung mit der Situation
der Warschauer Ghetto-Juden, Alexander Solschenizyn bei seiner Analyse des „Archipels
GULAG“ zitiert werden:
„Wenn diese Millionen hilfloser Kreaturen dennoch ihren Leben kein Ende gemacht
haben, so heißt das, daß in ihnen iregendein unbesiegbares Gefühl, irgendeine starke
Überzeugung lebte.
Es ist die Überzeugung von der allgemeinen Schuldlosigkeit. Es war das Gefühl einer
nationalen Heimsuchung...“345
VII. Bibliographie
• Götz Aly, „Endlösung“. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden
( Frankfurt/Main 1995 )
• Götz Aly, Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne
für eine neue europäische Ordnung ( Frankfurt/Main 1993 )
341
Maser, Nürnberg. S. 537
Simon Wiesenthal, Jeder Tag ein Gedenktag. Chronik jüdischen Leidens ( Gerlingen 1988 ) 19
343
Ebenda. S. 19
344
Gerald Fleming, Hitler und die Endlösung. „Es ist des Führers Wunsch...“ ( Gütersloh 1982 ) 7
345
Alexander Solschenizyn, Der Archipel GULAG. Deutsche Ausgabe ( Reinbek bei Hamburg 1988 ) 331
342
44
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
• Götz Aly, Susanne Heim, Miroslav Karny, Petra Kirchberger, Alfred Konieczny, Sozialpolitik
und Judenvernichtung. Gibt es eine Ökonomie der Endlösung? ( Beiträge zur
nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik:5 ) ( Berlin 1987 )
• Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen.
8. Auflage ( München 1986 )
• Marion Badurek, Judenverfolgungen und nationalsozialistische Konzentrationslager im
Zeitraum von 1933-1945. Diplomarbeit an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der
Universität Wien ( Wien 1986 )
• Wladyslaw Bartoszewski, Das Warschauer Ghetto - wie es wirklich war. Zeugenbericht
eines Christen. Erweiterte Ausgabe ( Frankfurt/Main 1986 )
• Derselbe, Uns eint vergossenes Blut. Juden und Polen in der Zeit der „Endlösung“
( Frankfurt/Main 1987 )
• Omer Bartov, Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges (
Reinbek bei Hamburg 1995 )
• Janina Bauman, Als Mädchen im Warschauer Ghetto. Ein Überlebensbericht. Deutsche
Ausgabe ( München 1986 )
• Zygmunt Bauman, Dialektik der Ordnung. Die Moderne und der Holocaust. Deutsche
Ausgabe. 2. Auflage ( Hamburg 1994 )
• Ute und Wolfgang Benz (Hg.), Sozialisation und Traumatisierung. Kinder in der Zeit des
Nationalsozialismus ( Frankfurt/Main 1992 )
• Wolfgang Benz, Hans Buchheim, Hans Mommsen (Hg.), Der Nationalsozialismus . Studien
zur Ideologie und Herrschaft ( Frankfurt/Main 1993 )
• Charles Bettelheim, Die deutsche Wirtschaft unter dem Nationalsozialismus . Deutsche
Ausgabe ( München 1974 )
• Christopher R. Browning, Dämonisierung erklärt nichts. In: DIE ZEIT 17/1996 o.S.
• Derselbe, Ganz normale Männer. Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“
in Polen ( Reinbek bei Hamburg 1996 )
• Winston S. Churchill, Der Zweite Weltkrieg. Deutsche Sonderausgabe ( Rheda-Wiedenbrück
- Wien 1995 )
• Detlev Claussen, Grenzen der Aufklärung. Die gesellschaftliche Genese des modernen
Antisemitismus. Überarbeitete Neuausgabe ( Frankfurt/Main 1994 )
• Adam Czerniakow, Im Warschauer Ghetto: Das Tagebuch des Adam Czerniakow 19391942. Deutsche Ausgabe ( München 1986 )
• Ebbo Demant (Hg.), Auschwitz - „Direkt von der Rampe weg...“ Kaduk, Erber, Klehr: Drei
Täter geben zu Protokoll ( Reinbek bei Hamburg 1979 )
• Dan Diner (Hg.), Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und
Historikerstreit ( Frankfurt/Main 1987 )
• Klaus Drobisch, Rudi Goguel, Werner Müller, Horst Dohle, Juden unterm Hakenkreuz.
Verfolgung und Ausrottung der deutschen Juden 1933-1945 ( Frankfurt/Main 1973 )
• Ein Volk von Dämonen? In: DER SPIEGEL 21/1996 48-77
• Gerhard Eitel, Versklavung und Vernichtung. Deutsche Unterdrückungspolitik in Polen
1939-1945. Diplomarbeit an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien
( Wien 1989 )
45
„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
• Gerald Fleming, Hitler und die Endlösung. „Es ist des Führers Wunsch...“
( Gütersloh 1982 )
• Naftali Fuss, Als ein anderer leben. Erinnerungen an die Nazizeit in Polen
( Frankfurt/Main 1994 )
• Martin Gilbert, The Holocaust. The Jewish tragedy ( Suffolk 1986 )
• Ralph Giordano, Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte. Die Pläne der Nazis nach dem
Endsieg ( Hamburg 1989 )
• Daniel Jonah Goldhagen, Hitler`s willing executioners. Ordinary Germans and the
Holocaust ( New York 1996 )
• Sarah Gordon, Hitler, Germans and the „Jewish Question“ ( Princeton 1984 )
• Helge Grabitz, Wolfgang Scheffler, Letzte Spuren. Ghetto Warschau, SS-Arbeitslager
Trawniki, Aktion Ernstfest. Fotos und Dokumente über Opfer des Endlösungswahns im
Spiegel der historischen Ereignisse. 1. Auflage ( Berlin 1988 )
• Heinz Guderian, Erinnerungen eines Soldaten. 13. Auflage ( Stuttgart 1994 )
• Yisrael Gutman, The Jews of Warsaw, 1939-1943. Ghetto, underground, revolt
( Bloomington 1982 )
• Sebastian Haffner, Anmerkungen zu Hitler ( Frankfurt/Main 1981 )
• Susann Heenen-Wolff, Im Land der Täter. Gespräche mit überlebenden Juden
( Frankfurt/Main 1994 )
• Hannes Heer, „Stets zu erschießen sind Frauen, die in der Roten Armee dienen“.
Geständnisse deutscher Kriegsgefangener über ihren Einsatz an der Ostfront ( Hamburg
1995 )
• Hannes Heer, Klaus Naumann (Hg.), Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 19411944. 2. Auflage ( Hamburg 1995 )
• Helmut Heiber (Hg.), Goebbels Reden 1932-1945. 2 Bände ( Bindlach 1991 )
• Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden. Durchgesehene und erweiterte
Ausgabe in 3 Bänden ( Frankfurt/Main 1990 )
• Andreas Hillgruber, Zweierlei Untergang. Die Zerschlagung des Deutschen Reiches und das
Ende des europäischen Judentums ( Köln 1986 )
• Adolf Hitler, Mein Kampf. 763. -767. Auflage ( Wien 1942 )
• Heinz Höhne, Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS
( Augsburg 1992 )
• Heidrun Kaupen- Haas, Die Bevölkerungsplaner im Sachverständigenbeirat für
Bevölkerungs- und Rassenpolitik.
In: Heidrun Kaupen-Haas (Hg.), Der Griff nach der Bevölkerung. Aktualität und Kontinuität
nazistischer Bevölkerungspolitik ( Hamburg 1986 )
• Thomas Keneally, Schindlers Liste. Deutsche Ausgabe ( München 1994 )
• Ian Kershaw, Hitlers Macht. Das Profil der NS-Herrschaft. Deutsche Erstausgabe
( München 1992 )
• Ernst Klee, Willi Dreßen (Hg.), „Gott mit uns“. Der deutsche Vernichtungskrieg im Osten
1939-1945 ( Frankfurt/Main 1989 )
• Ernst Klee, Willi Dreßen, Volker Rieß (Hg.), „Schöne Zeiten“. Judenmord aus der Sicht der
Täter und Gaffer ( Frankfurt/Main 1988 )
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„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
• Eugen Kogon, Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager. 18. Auflage
( München 1988 )
• Eugen Kogon, Hermann Langbein, Adalbert Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische
Massentötungen durch Giftgas. Eine Dokumentation. Von den Autoren durchgesehene
Ausgabe ( Frankfurt/Main 1986 )
• Paul Kohl, Der Krieg der deutschen Wehrmacht und der Polizei 1941-1944. Sowjetische
Überlebende berichten ( Frankfurt/Main 1995 )
• Angelika Königseder, Juliane Wetzel, Lebensmut im Wartesaal. Die jüdischen DP’s
(Displaced Persons) im Nachkriegsdeutschland ( Frankfurt/Main 1994 )
• Hannah Krall, Schneller als der liebe Gott. Deutsche Erstausgabe ( Frankfurt/Main 1980 )
• Helmut Krausnick, Hitlers Einsatzgruppen. Die Truppe des Weltanschauungskrieges 19381942. Durchgesehene Ausgabe ( Frankfurt/Main 1985 )
• Reinhard Kühnl, Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten. 2., erweiterte
Auflage ( Köln 1977 )
• Jochen von Lang, Das Eichmann-Protokoll. Tonbandaufzeichnungen der israelischen
Verhöre ( Wien 1991 )
• Bernard Lewis, Semites and Anti-Semites. An Inquiry into conflict and prejudice ( New
York - London 1986 )
• Heiner Lichtenstein, Mit der Reichsbahn in den Tod. Massentransporte in den Holocaust
1941 bis 1945 ( Köln 1985 )
• Czeslaw Madajczyk, Die Okkupationspolitik Nazideutschlands in Polen 1939-1945.
Deutsche Ausgabe ( Köln 1988 )
• Golo Mann, Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ( Frankfurt/Main 1992 )
• Walter Manoschek (Hg.), Die Wehrmacht im Rassenkrieg. Der Vernichtungskrieg hinter
der Front ( Wien 1996 )
• Derselbe, „Es gibt nur eines für das Judentum: Vernichtung“. Das Judenbild in
deutschen Soldatenbriefen 1939-1944 ( Hamburg 1995 )
• Derselbe, Der Judenmord als Gemeinschaftsunternehmen. In: PROFIL 18/1996 100101
• Erich von Manstein, Verlorene Siege. Erinnerungen 1939-1944. 12. Auflage
( Bonn 1991 )
• Werner Maser, Adolf Hitler. Legende - Mythos - Wirklichkeit. 14. Auflage
( München 1993 )
• Derselbe, Nürnberg. Tribunal der Sieger ( Düsseldorf 1988 )
• Doris Mendlewitsch, Volk und Heil. Vordenker des Nationalsozialismus im 19. Jahrhundert (
Rheda - Wiedenbrück 1988 )
• Wolfgang Michalka (Hg.), Der Zweite Weltkrieg. Analysen - Grundzüge Forschungsbilanz. 2. Auflage ( München 1990 )
• Slobodan Milosevic - Interview, „Der Schlüssel zum Frieden“. In: DER SPIEGEL 24/1996
140-145
• Kazimierz Moczarski, Gespräche mit dem Henker. Das Leben des SS-Gruppenführers und
Generalleutnants der Polizei Jürgen Stroop aufgezeichnet im Mokotow-Gefängnis zu
Warschau. Deutsche Ausgabe ( Düsseldorf 1978 )
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„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
• George L. Mosse, Die Geschichte des Rassismus in Europa. Vom Autor durchgesehene und
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erweiterte Ausgabe ( Frankfurt/Main 1990 )
Rolf- Dieter Müller, Hitlers Ostkrieg und die deutsche Siedlungspolitik ( Frankfurt/Main
1991 )
Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier ( Frankfurt/Main - Berlin
1993 )
Werner Präg, Wolfgang Jacobmeyer (Hg.), Das Diensttagebuch des deutschen
Generalgoverneurs in Polen 1939-1945 ( Stuttgart 1975 )
Peter Przybylski, Täter neben Hitler. Ereignisse, Tatsachen, Zusammenhänge ( Berlin 1990)
Leo Prijs, Die Welt des Judentums. Religion, Geschichte, Lebensweise. 2., durchgesehene
Auflage ( München 1984 )
Ernst Rauch, Ökonomische Aspekte der Judenpolitik des Dritten Reiches. Diplomarbeit an
der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien ( Wien 1985 )
Adalbert Rückerl (Hg.), Nationalsozialistische Vernichtungslager im Spiegel deutscher
Strafprozesse. Belzec, Sobibor, Treblinka, Chelmno ( München 1977 )
Wolfgang Schneider (Hg.), „Vernichtungspolitik“. Eine Debatte über den Zusammenhang
von Sozialpolitik und Genozid im nationalsozialistischen Deutschland ( Hamburg 1991 )
Hartmut Schustereit, Vabanque. Hitlers Angriff auf die Sowjetunion 1941 als Versuch, durch
den Sieg im Osten den Westen zu bezwingen ( Herford - Bonn 1988 )
Günther Schwarberg, Das Ghetto. Spaziergang in die Hölle ( Frankfurt/Main 1991 )
William Lawrence Shirer, Austieg und Fall des Dritten Reiches. Deutsche Sonderausgabe (
Bindlach 1990 )
Dawid Sierakowiak, Das Ghettotagebuch des Dawid Sierakowiak. Aufzeichnungen eines
Siebzehnjährigen 1941/42 ( Leipzig 1993 )
Laura Silber, Allan Little, Bruderkrieg. Der Kampf um Titos Erbe. Deutsche Bearbeitung:
Walter Erdelitsch ( Graz - Wien - Köln 1995 )
Alexander Solschenizyn, Der Archipel GULAG. Deutsche Ausgabe ( Reinbek bei Hamburg
1988 )
Albert Speer, Erinnerungen ( Frankfurt/Main - Berlin - Wien 1969 )
Stroop-Bericht: „Es gibt keinen jüdischen Wohnbezirk in Warschau mehr“ ( Darmstadt Neuwied 1976 )
Telford Taylor, Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus
heutiger Sicht. Deutsche Ausgabe ( München 1995 )
Jan Turnau (Hg.), Zehn Gerechte. Erinnerungen aus Polen an die deutsche Besatzungszeit
1939-1945. Deutsche Ausgabe ( Mainz - München 1989 )
Harald Welzer (Hg.), Nationalsozialismus und Moderne ( Tübingen 1993 )
Michael Werz (Hg.), Antisemitismus und Gesellschaft. Zur Diskussion um Auschwitz,
Kulturindustrie und Gewalt ( Frankfurt/Main 1995 )
Simon Wiesenthal, Jeder Tag ein Gedenktag. Chronik jüdischen Leidens ( Gerlingen 1988 )
Derselbe, Recht, nicht Rache . Erinnerungen ( Frankfurt/Main - Berlin 1992 )
Karin Wolff (Hg.), Hiob 1943. Ein Requiem für das Warschauer Ghetto ( Neukirchen 1983)
Christian Zentner, Friedemann Bedürftig, Das große Lexikon des Dritten Reiches
( Augsburg 1993 )
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„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
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„Modernität und Holocaust“
Das Warschauer Ghetto 1939-43
Entwicklung, Ökonomie und Vernichtung
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