Foto: Anni Katrin Elmer Ins Theater mit Stina Werenfels Die Schweizer Filmeregisseurin Stina Werenfels hat mit „Dora oder die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ das (fast) gleichnamige Stück von Lukas Bärfuss auf die Leinwand gebracht. Dora, ein Mädchen mit Behinderung, entdeckt ihre Sexualität und kämpft um Selbstbestimmung. Die Verfilmung wurde, wie bereits ihr vorheriger Film „Nachbeben“, an der Berlinale uraufgeführt und in mehreren Kategorien für den Schweizer Filmpreis nominiert. Am 22. Oktober besuchte Stina Werenfels die Uraufführung von Lukas Bärfuss’ Stück „Frau Schmitz“ in der Inszenierung von Barbara Frey. 36 Von woher kamen Sie zu der Vorstellung ins Schauspielhaus? Ich war kurz zuvor noch in der Küche und habe meiner Tochter das Abendessen in die Pfanne gehauen. Dann bin ich durch die Dunkelheit zum Pfauen geeilt. Davor standen noch die Raucher und kühlten sich mit Bärfuss an der Luft. Was hatten Sie an? Das, worauf ich gerade Lust hatte. Kannten Sie das Stück vorher? Da es sich bei „Frau Schmitz“ um eine Uraufführung handelt, lag der Text meines Wissens vor dem Premierenabend noch nicht offiziell vor. Ich kannte ihn also nicht und finde das besonders interessant. Denn so stellt sich stets die Frage: was ist Text und was ist Inszenierung? In welcher Stimmung waren Sie in dem Moment, als im Zuschauerraum das Licht ausging? Neugierig und erwartungsvoll: Seitdem ich „Die sexuellen Neurosen unserer Eltern“ von Lukas Bärfuss verfilmt habe, weiss ich um die schillernde Hintersinnigkeit seiner Geschichten. Auch hier übrigens rückt er eine Frau beziehungsweise einen Mann mit einem Stigma ins Zentrum: Statt Dora heisst sie jetzt Frau Schmitz. Während wir sehr wenig über ihr Innenleben erfahren (sie ist ja fast stumm), erzählen die Figuren, welche sie umkreisen und sich an ihr abarbeiten, von sich und der Gesellschaft, in der sie leben. Haben Sie während der Vorstellung gelacht und wenn ja, worüber? Ehefrau Leni, gespielt von SusanneMarie Wrage, pflegt und überwacht liebevoll Frau Schmitz’ seidene Unterhemdchen. Die grossen Fragen der Geschlechteridentität prallen hier mit den kleinen des Alltags zusammen. Das finde ich komisch. Auch als Lambert Hamel seinen burlesken Auftritt als postoperative Frau Schmitz hatte, musste ich an Tony Curtis in „Some Like It Hot“ denken und laut lachen. Hat Sie etwas an der Vorstellung berührt? Die Familienkonstellation hat mich berührt: Ein Mann – Frau Schmitz – heiratet eine Frau, zeugt eine Tochter und entscheidet sich, selbst Frau zu werden. Aber statt dass uns jetzt die Familie um die Ohren fliegt, richten sich die ProtagonistInnen weiter gemütlich im Kokon der Kleinfamilie ein. Selbst als Frau Schmitz von Narbe, Schönheits-OP und Alter entstellt ist, halten Ehefrau und Tochter unbeirrt an ihrer Liebe zu ihr fest. Ja, sie bestehen darauf, nichts Ungewöhnliches darin zu sehen. Dahinter steckt womöglich eine starke Botschaft: Dass uns in dieser wechselhaften Welt nur die Liebe daran erinnert, wer wir sind und wer wir einmal waren. Obwohl wir also eine enge Welt vorgelegt bekommen, vermittelt diese uns eine utopische Kraft. Haben Sie sich nach der Vorstellung über das Stück unterhalten? Oder haben Sie auf dem Heimweg noch darüber nachgedacht? Frau Schmitz reist ja nach Pakistan: Ist Karachi ein dramaturgischer Kniff? Oder eine eurozentristische Chiffre? Oder steckt noch etwas anderes dahinter? Welche Frage würden Sie dem Regieteam dieser Aufführung gerne stellen? Warum wurde für die Komödie eine so strenge Form gewählt? Frau Schmitz von Lukas Bärfuss / Regie Barbara Frey Uraufführung Mit Gottfried Breitfuss, Carolin Conrad, Lambert Hamel, Henrike Johanna Jörissen, Dominik Maringer, Lisa-Katrina Mayer, Markus Scheumann, Friederike Wagner, Susanne-Marie Wrage, Milian Zerzawy 28./31. Dezember / 3./10./19./28. Januar, Pfauen Unterstützt von der Stiftung Corymbo Mehr als Uni zu „Frau Schmitz“ 10. Januar, 17:00 Foto: Matthias Horn 37