Prof. Dr. med. habil. V. Köllner Fachklinik für Psychosomatische Medizin, Mediclin Bliestal Kliniken, 66440 Blieskastel, und Medizinische Fakultät der Universität des Saarlandes [email protected] Fachkliniken für Innere Medizin, Orthopädie & Rheumatologie und Psychosomatische Medizin, in der Psychosomatik 7 Stationen mit 168 Betten, Tagesklinik, Ambulanz und Forschungsabteilung Schwerpunktstationen Angststörungen & Trauma, somatoforme Störungen, chronischer Schmerz, arbeitsplatzbezogene Störungen Modelle & Konzepte für die psychosomatische Dermatologie Problem Juckreiz Spezielle Krankheitsbilder - Verarbeitung progredient verlaufender Dermatosen - Entstellungsproblematik - Auslösung/Aufrechterhaltung dermatologischer Erkrankungen durch psychische Faktoren - Somatoforme Störungen - hautbezogene Ängste (sozoale Phobie, Dysmorphophobie, Hypochondrie) - Manipulationen an der Haut „Psychosomatosen“ sind auf Körperebene abgewehrte unbewußte Konflikte Hoffnung: Die Auflösung des Konflikts bringt die Hautsymptomatik zum Verschwinden Fallstudien als wichtigste Methode der Forschung „Erkennung, Behandlung, Prävention und Rehabilitation von Krankheiten, bei deren Äthiologie, Verlauf und Aufrechterhaltung psychosoziale Faktoren eine wichtige rolle spielen.“ (Janssen & Heuft, 1995; Hoffmann et al., 1999) Methodenpluralismus Evidenzbasierung Häufiges Therapieziel: Bessere Krankheitsverarbeitung und Lebensqualität Prädisponierende Faktoren • Genetik • Physiologische Variablen (z. B. vermehrtes Schwitzen oder Erröten) • Kogn. Schemata • Lebens- und Lerngeschichte • Persönlichkeitsfaktoren • familiäres und soziales Umfeld Auslösende Bedingungen • Physiologische Bedingungen, kognitive Bewertung und emotionale Reaktion in der Auslösesituation Aufrechterhaltende Bedingungen • Operante Verstärkung von Vermeidungsverhalten • sekundärer Krankheitsgewinn • familiäre Interaktion • soziale Rahmenbedingungen Prävalenz psychischer und psychosomatischer Störungen bei ambulanten dermatologischen Patienten 25,2% psych. Störungen (Picardi et al., 2000) ambulante dermatologische Patienten 26% somatoforme Störungen (Stangier et al, 2003) stationären derm. Patienten 61,7% (Coskun et al., 2005) Versorgung meist über psychosom. Grundversorgung & C/L-Dienste (Ritter, Gieler & Stangier, 2011) Symptom bei den häufigsten dermat. Krankheitsbildern Hohe Belastung für die Patienten Aufrechterhaltung über Juck/KratzTeufelskreis Gutes Ansprechen auf Verhaltenstherapie Psychoedukation & individuelle Verhaltensanalyse Selbstbeobachtung Entspannungsverfahren/Biofeedback Habit-reversal-Technik Stimiluskontrolle Streßbewältigung Selbstverstärkung Furcht vor prüfender Betrachtung und negativer Bewertung durch andere sowie Blamage katastrophisierende Überbewertung negativer Bewertung durch andere Versuch, entsprechende soziale Situationen zu vermeiden Lebenszeitprävalenz 2 -10%, m=w eher „low-utilizer“ im Gesundheitsstsytem Vegetative Symptome der Angst: Schwitzen, Erröten, Zittern können im Sinne eines Teufelskreises Angst verstärken Teufelskreis bei sozialer Phobie Schwitzen Zunahme von Angst und Stress „Andere könnten sehen, daß ich schwitze“ „Wie peinlich - alle merken, daß ich unsicher bin!“ Vegetative Symptome der Angst: Schwitzen, Erröten, Zittern können im Sinne eines Teufelskreises Angst verstärken können aber auch im Sinne einer organischen Prädisposition wirken meist wird die Außenwirkung deutlich überschätzt. Beginn meist im jungen Erwachsenenalter Prädisposition z. B. vermehrtes Schwitzen oder Erröten, angstbetonte Erziehung Auslöser sind häufig als sehr beschämend erlebte Ereignisse => auch bis dahin erfolgreiche, sozial kompetente Menschen können betroffen sein. Auslösung auch sekundär als Folge einer körperlichen Veränderung (Adipositas, Hauterkrankung) Meist chronisch progredient, da Vermeidung in hohem maße operant verstärkt wird (Cave: AUBescheinigung!) Vermeidung verhindert korrigierende Erfahrungen Folgeproblem Sucht durch Selbstmedikation (Alkohol & Benzodiazepine) In der Folge komorbide Depression Hohes Maß an psychosozialer Beeinträchtigung (Beruf, Partnerwahl) Beginn: Information und Erarbeiten eines Krankheitskonzepts Danach kein Überreden, sondern sokratischer Dialog, strukturierte Selbstbeobachtung und Verhaltensexperimente Ziel: Modifikation dyskunktionaler Überzeugungen und automatischer Gedanken Wirksamste Behandlung bei Ängsten und Zwängen Massive Konfrontation wirksamer als abgestuftes Vorgehen Cave: Bei Abbruch vor Symptomabfall oder verdecktem Vermeidungsverhalten Verschlechterung Systematische Desensibilisierung hat nur noch geringe Bedeutung. Kognitive Verhaltenstherapie mit Überprüfen dysfunktionaler Überzeugungen ist wirksamer als klassische Konfrontation Einzeltherapie ist wirksamer als Gruppentherapie KVT eher wirksamer als medikamentöse Therapie, besonders im Langzeitverlauf Wenn medikamentöse Therapie, dann Antidepressiva vom SSRI-Typ Im Vordergrund stehen nicht Körper-symptome, sondern die Angst, an einer bedrohlichen Erkrankung zu leiden. Häufige ärztliche Untersuchungen bringen kurzfristige Beruhigung und halten über negative Verstärkung die Erkrankung aufrecht. Dysmorphophobie wird (bisher) als Subkategorie der Hypochondrie definiert. Betroffen sind ca. 1% der Bevölkerung, Beginn meist in der Adoleszenz Anhaltende Beschäftigung mit der eigenen körperlichen Erscheinung „Normale“ Erscheinung wird als abnorm oder belastend erlebt Problematik ist auf 1-2 Körperregionen fokussiert Starker Leidensdruck, große Beeinträchtigung im beruflichen oder sozialen Leben (Vermeidungsverhalten, Konzentrationsstörung) Nachfolgende Depression bis hin zur Suizidalität ausgedehnte, ritualisierte Kontrolle des vermeintlichen Makels Verbergen durch Kleidung, Make-up, Brille exzessive Körperpflege/Manipulation unangemessene Forderung nach Behandlung oder Selbstbehandlung (z. B. Cortison) durchgängige Vermeidung von Situationen, in denen der vermeintliche Defekt gesehen werden könnte permanenter Vergleich mit „Normalen“ und Suche nach Rückversicherung Neurobiologische Hypothese: Serotonerge Dysfunktion Preparedness: Übersteigerte Sensibilität für Harmonie und Ästhetik, Hang zum Perfektionismus Überbewertung des Aussehens durch negative Erfahrungen in der Adoleszenz Aufrechterhaltung durch ständiges Kontrollieren (Manipulation, Verzerrung des Körperbildes) und Vermeidungsverhalten. Anorexia nervosa wahnhafte Störung, auch depressiver Wahn Zwangsstörung Anamnese sollte zunächst bei den körperlichen Symptomen und deren Geschichte ansetzen Patient die Hautveränderung zeichnen lassen Strukturiertes Interview-Modul für Körperdysmorphe Störungen (BDDDM, Stangier et al., 1996) und Fremdrating-Skala (BDD-YBOCS, Stangier et al., 2000) Behandlung am „körperlichen Makel“ allenfalls kurzfristig erfolgreich, hohe Rezidivgefahr, Doktorhopping Kognitive Therapie etwa 50% Symptomreduktion Bei Kombination mit Konfrontation (u. a. Videofeedback) ca. 80% Reduktion auch noch nach 6 Monaten (Ritter & Stangier, 2010) Medikamentöse Therapie: SSRI-Antidepressiva, bei wahnhafter Symptomatik auch Neuroleptika. Dysfunktionale Verarbeitung eines belastenden Lebensereignisses oder einer körperlichen Erkrankung Subtypen: Depressiv, ängstlich, andere emotionale Reaktion (z. B. Verbitterung), Störung des Sozialverhaltens Gute Spontanprognose bei Besserung der Grunderkrankung Ansonsten hohe Gefahr der Chronifizierung, Auswirkung auf Lebensqualität oft höher als Grunderkrankung Therapie: Psychosomatische Grundversorgung psychodynamische PT Verhaltenstherapie Antidepressiva Individuelle Verhaltensanalyse Umstrukturierung dysfunktionaler Kognitionen (z. B. Verhaltensexperimente) Verhaltensaufbau, Tagesstrukturierung Akzeptanz- und Commitment-Ansatz Abkehr vom „Psychogenese-Paradigma“ Entstehung und Aufrechterhaltung von Symptomen über Vulnerabulitäts-Streß-Modell Verschlechterung der Lebensqualität durch ungünstige Krankheitsverarbeitung Psychosomatische Erkrankungen als DD Gute Behandlungsansätze über - Psychosomatische Grundversorgung - Fachgebundene Psychotherapie - Psychosomatische Medizin Harth W, Gieler U. Psychosomatische Dermatologie. Heidelberg, Springer, 2005 Köllner V, Broda M (Hrsg.): Praktische Verhaltensmedizin. Stuttgart, Thieme, 2005 Niemeier V, Stangier U, Giler U (Hrsg.): Hauterkrankungen: Ergebnisse psychologischer Forschung und Anwendungsperspektiven. Göttingen: Hogrefe, 2009 Ritter V, Gieler U, Stangier U: Psychosomatische Dermatologie. In Senf W, Broda W (Hrsg.): Praxis der Psychotherapie. Stuttgart, Thieme, 2011; S. 527ff Stangier U: Hautkrankheiten und körperdysmorphe Störungen. Göttingen, Hogrefe, 2002 Stangier U, Clark DM, Ehlers A: Soziale Phobie. Göttingen, Hogrefe, 2006