Guillain-Barré-Syndrom Jörg Berrouschot Klinikum Altenburger Land Klinik für Neurologie Das Guillain-Barré Syndrom (GBS) idiopathische Polyneuritis, Kussmaul-Landry-Syndrom, Landry-Guillain-Barré-Strohl-Syndrom Guillain Barré Strohl Landry Landry und Kussmaul (1859): Polyradikulitis mit akuten schwersten Lähmungen Guillain, Barré, Strohl (1916): postinfektiöse Polyradikulitis mit aufsteigenden Lähmungen und zytoalbuminärer Dissoziation im Liquor GBS: Diagnosesicherung • Klinik • Liquor • Elektrophysiologie Klinik des GBS • innerhalb von Tagen bis < 4 Wochen progrediente, aufsteigende symmetrische schlaffe Lähmungen • Hypo-, Areflexie • Hirnnervenbeteiligung (50% N. facialis bds.) • sensible Reizerscheinungen (sensible Ausfälle gering) • autonome Störungen Klinik des GBS Zweifel an der Diagnose bei: • sensiblem Niveau • ausgeprägter Asymmetrie • frühe Blasenstörung Differentialdiagnose des GBS • • • • • Botulismus (Konservenverzehr? bulbäre Symptome) Hirnstamm- oder spinale Prozesse Borreliose (Liquor!) Myasthenie Elektrolytstörungen • andere akute Polyneuropathien – Porphyrie: Bauchschmerzen, Labor – Intoxikationen: Blei, Organophosphate – Critical illness PNP GBS Zusatzdiagnostik -Liquor- • zytoalbuminäre Dissoziation – in den ersten Tagen oft noch normal (bis zu 34% noch in der 1. Krankheitswoche ) – ggf. Re-punktion – Höhe des Liquoreiweiß korreliert nicht mit Schwere der Erkrankung • >50 Zellen oder Granulozyten: Zweifel an GBS! GBS Zusatzdiagnostik • Elektrophysiologisch: klassisch Leitungsblöcke, anfangs proximal Arme anfangs stärker als Beine betroffen • MRT/Sonografie: Radikulitis (unspezifisch) Schwere der Erkrankung Krankheitsverlauf bei GBS Plateauphase CIDP ohne Therapie mit Therapie 14 30 Tage 90-120 360 Therapieprinzipien Intensivmedizinisches Überbrücken der Krise, - Atemfunktion - Herz- / Kreislauf andere autonome Funktionen Thrombose- und Kontrakturgefährdung Psychosen Schmerzen bis Immuntherapie ausreichend wirkt ... GBS -Autonome Störungen• 45% im Verlauf • meist harmlos: parasympathische Überaktivität und sympathische periphere Dysfunktion (Blase, Peristaltik, Schwitzen) • gefährlich : Tachykardien und (20%) Asystolien (nach Vagusstimulation) Karotisdruck Absaugen GBS -Schmerzen• 50% aller GBS-Patienten mit Schmerzen Auch intubierte Patienten nach Schmerzen fragen!! • Muskel-Sz: „wie schlimmster Muskelkater“, v.a. Rücken/Beine, Th.: leichte Massage, Wärme, NSAR, Lagerung • neuropath. Sz: in Prodromal-/und Rückbildungsphase. Th.: Tricl., Gabapentin, Pregabalin, Opiate • Knochen- und Gelenk-Sz: kühlen, NSAR GBS -psyschische Probleme- • Unfähigkeit zu kommunizieren (nicht schreiben/sprechen wg. Paresen/Intubation) ist größtes Problem des Patienten • Deshalb: tägliche Aufklärung des Patienten über Krankheit und anstehende pflegerische, medizinische Maßnahmen! • Kommunikation über Bildtafeln, Augenbewegungen (nach oben „ja“/unten „nein“) vereinbaren GBS -psyschische Probleme- • antidepressiv: Tricyclika, SSRI u.a. • anxiolytisch/ bei Oneiroiden (szenische Wachträume): Benzodiazepine, Neuroleptika (z.B. Quetiapin) (.. Wachträume sind häufig angstbesetzt, werden von Patienten oft erst hinterher auf Nachfrage geschildert, in Akutphase oft nur an Tachycardie, Unruhe, Schwitzen zu vermuten) GBS -immunmodulierende Therapie- • i.v. Immunglobuline • Plasmapherese • Glukokortikoide Indikation zur immunmodulatorischen Therapie • Gehstrecke < 5 m • rasche Progression • deutliche respiratorische oder bulbäre Symptomatik • Krankheitsdauer < 14 d • nur in schweren Fällen (keine Gehfähigkeit) < 4 Wochen GBS -Plasmapheresepositiver Effekt erstmals 1978 beschrieben erste verfügbare immunmodulatorische Behandlung mehrere gut durchgeführte Studien: - weniger Patienten benötigen Beatmung - Zeit auf der Intensivstation kürzer - schnellere klinische Besserung/unabhängiges Gehen GBS Study Group, Neurology 1985 French Coop Group on PE in GBS, AnnNeurol 1987 GBS -Wie viele Plasmapheresen?(French Cooperative Group, Ann Neurol 1997) Mild (können stehen, gehen, aber nicht laufen) 0 vs. 2* Moderat (können nicht stehen) 2 vs. 4* Schwer (beatmet) 4 vs. 6* * Anzahl der Plasmapheresen je 1,5 Plasmavolumina schnellerer Beginn der klin. Besserung kürzere Zeit bis Gehen, nach 1 J. häufiger volle Kraft kein Unterschied GBS -IVIG Therapie- • entscheidender Wirkmechanismus ist nicht bekannt Stangel, ArchNeurol 1999, Hartung, CurrOpinNeurol 2002 • 0,4 g/kg KG/d über 5 Tage (Standard) • GBS: 6 vs 3 x IVIG günstiger bei Schwerstkranken (n=39) Raphael, JNNP 2001 GBS Studien -Vergleich IVIG vs. PE- GBS -Glukokortikoide• Hochdosis-Puls nicht wirksam, aber auch keine vermehrten NW GBS Steroid Trial Group, Lancet 1993 • in Kombi mit IVIG verglichen mit historischer IVIG-Gruppe Nutzen an kleinem Kollektiv Dutch GBS Study Group, Ann Neurol 1994 • Chochrane-Analyse 2012: kein Effekt auf Outcome Hughes RA. et al. Cochrane Database Syst Rev. 2010 Wiederholung/Wechsel der immunmodulatorischen Therapie • keine Evidenz für Überlegenheit eines Verfahrens bei mangelndem Ansprechen auf das andere Verfahren • erneuter Behandlungszyklus bei Verschlechterung innerhalb der ersten 3 Wo nach Therapie empirisch erfolgversprechend GBS -Faktoren für schlechte Prognose- klinisch hohes Lebensalter, rapider Verlauf, Beatmung epidemiologisch Campylobacter-, CMV-Infektion elektrophysiologisch überwiegend axonale Beteiligung biochemisch anti-GM1-AK Myasthene Krise Myasthenia gravis • Störung der neuromuskulären Signalübertragung • Belastungsabhängige Schwäche der quergestreifter Muskulatur • Heterogene Autoimmunerkrankung - Überwiegend anti-Acetylcholinrezeptor-Antikörper - Anti-MuSK (Muskelspezifische Rezeptor-Tyrosinkinase) - early onset – late onset - Thymuspathologie - early onset: häufig Thymitis - 10-20 % Thymom • Verlaufstypen: okulär (20%) – bulbär/generalisiert Myasthene Schwäche: ‚dropped head‘ J. P. Sieb et al..Dtsch.Ärztebl. 97 (51/52):A3496-A3500, 2000. Therapeutische Optionen • Acetylcholinesterase-Inhibitoren (Pyridostigmin) Immunologisch • Immunsuppression (Azathioprin, Glukokortikoide u.a.) • Thymektomie • Glukokortikoide • i.v.-Immunglobuline • Plasmapherese/Immunadsorption Myasthene Krise: Definition Lebensbedrohliche Komplikation der Myasthenie Zunahme der generalisierten Muskelschwäche (gestörte Atmung, gestörte Schluckfunktion) bis zur Beatmungspflichtigkeit Krisen: Typen • Myasthene Krise • Cholinerge Krise – ab > 600mg Pyridostigmin oral pro Tag möglich. • Gemischte (insensitive) Krise – bei lang andauernder hochdosierter Gabe von Cholinesterasehemmern kann eine myasthene Verschlechterung gleichzeitig mit den Symptomen einer Acetylcholinesterase-Hemmer-Überdosierung auftreten. Myasthene Krise: Häufigkeit 5.000-6.000 Kranke in Deutschland Bei 15%-20% eine oder mehrere myasthenen Krisen Letalität < 5% Grob D. et al. Muscle Nerve 2008;37:141-149 Myasthene Krise: Risikofaktoren - Therapierefraktäre Verläufe - Okulopharyngeale Schwäche - Anti-MuSK-positive Myasthenie - Altersmyasthenie - Thymom - verzögerte Diagnosestellung Myasthene Krise: Ursachen Region Leipzig: 235 Fälle, 1970-95, jährliche Inzidenz 2,5%, konstant 44 Patienten mit 63 myasthenen Krisen Ursachen Progression der MG Infektion/Sepsis 32% 27% Nach Thymektomie 17% Keine spezifische Therapie 12% Beginn einer Prednisolon-Therapie 5% Cholinerge Krise 3% Unterdosierung AChE-Inhibitoren 2% „Emotional stress“ 2% Berrouschot J et al. Therapy of myasthenic crisis. Crit. Care Med. 1997: 25:1228-1235 Myasthene Krise: frühe und späte Formen frühe Form (<50 Jahre) späte Form (>50 Jahre) Geschlecht F:M = 2:1 F:M = 1:1 Inzidenz 15-20% bis 50% Auslöser Infektion Progression der MG Therapie 75% Erholung < 4 Wo 50% Erholung < 4 Wo Rezidivrate < 10% 30% Chaudhuri et al. Q J Med 2009;102:97-107 Wann intensivmedizinische Überwachung ? • Atemnot im Liegen oder nach geringen Belastungen Dyspnoe, Tachypnoe • Verminderter Hustenstoß mit Aspirationsgefahr • Eintritt einer ausgeprägten Schwäche der Extremitäten mit Gehunfähigkeit • Schwere Schluckstörungen, Dysarthrie • Neue Begleiterkrankungen mit myasthener Verschlechterung (insbes. schwere Infektionen, kardiale Erkrankungen) • Hinweise auf cholinerge Krise (Faszikulationen, Miosis, Wadenkrämpfe, Hypersalivation, Durchfall) Myasthene Krise: Therapie vor Beatmung Parenterale AChE-Inhibitoren: Pyridostigmin: Neostigmin: 0,5…1 mg/h 0,2…0,8 mg/h (geringere HWZ) (Cave: vermehrte Bronchialsekretion, bradykarde Herzrhythmusstörungen) - Früh und konsequent Antibiose - Kaliumsubstitution: Ziel hochnormale Werte - Thromboseprophylaxe - Psychologische Betreuung - Immunologisch wirksame Therapie Myasthene Krise: Immun-Therapie vor Beatmung Glukokortikoide: - z.B. Methylprednisolon 40 mg/d 5 Tage, danach Steigerung alle 3 Tage um 20 mg, - bis max. 1,5 mg/kg KG - CAVE: initiale Verschlechterung!! Plasmapherese/Immunadsorption: jeweils (30-50 ml/kg KG gegen Albumin), jeden 2. Tag, 3-5 PP Immunglobuline: 0,4 g/kg Körpergewicht über 5 Tage Myasthene Krise: Indikation zur Intubation/Beatmung Frühzeitig, spätestens bei 2 der folgenden Kriterien: - Atemnot im Sitzen - Tachypnoe > 35/min mit hastigen, wenig effektiven Atemexkursionen - Einsatz der Atemhilfsmuskulatur - Schluckunfähigkeit, schwere Dysarthrie - pCO2 > 60 mmHg - pO2 < 60 mmHg - Vitalkapazität abnehmend: Frauen < 800 ml, Männer < 1000 ml - zunehmende Bewusstseinsstörung Myasthene Krise: Therapie 1. Myasthene Krise ausgelöst durch Infektion/Sepsis - Behandlung der Infektion/Sepsis - kurzzeitiges Pausieren der AChE-Hemmer - wenn Infektion/Sepsis abgeklungen – Start mit AChE-Hemmer i.v. - Entwöhnung von der Beatmung - keine Plasmapherese, IVIG oder Glukokortikoide notwendig Myasthene Krise: Therapie 1. Myasthene Krise ausgelöst Exazerbation der MG - Pausieren der AChE-Hemmer - Plasmapherese (30-50 ml/kg KG gegen Albumin) oder Immunadsorption (Tryptophan- oder ProteinA-Säule) alle 2 Tage (5 x) - (IVIG sind schlechtere Alternative) - Monitoring des Therapieerfolges: Antikörper gegen ACh-Rezeptoren (individuell gutes Maß) - Glukokortikoide (Methylprednisolon 250 – 500 mg/d) über 5 d, danach 100 mg/d bis Ende der Krise Comparison of IVIg and PLEX in patients with myasthenia gravis. Barth D, Nabavi Nouri M, Ng E, Nwe P, Bril V. Neurology 2011;76:2017-2023 • Prospektive randomisierte Studie • 84 Patienten mit moderater und schwerer MG • PLEX = IVIG A randomized and controlled study comparing immunoadsorption and plasma exchange in myasthenic crisis Köhler W. J Clin Apher. 2011;26:347-55 Propektive, randomisierte, kontrollierte Studie 10 Patienten mit Plasmapherese vs. 9 Patienten mit Immunadsorption Immunadsorption ebenso effektiv wie Plasmapherese bei myasthener Krise Myasthene Krise: Therapie 1. Myasthene Krise ausgelöst Exazerbation der MG bei therapierefraktären Verläufen: - Fortsetzen der Plasmapherese/Immunadsorption - Immunsuppressive Therapie mit Methotrexat, Rituximab u.a. (= individueller Heilversuch) Myasthene Krise: Therapie 1. Myasthene Krise ausgelöst Exazerbation der MG - zur Entwöhnung von der Beatmung wieder AChE-Hemmer Pyridostigmin: 0,5…1 mg/h Neostigmin: 0,2…0,8 mg/h - nach Entwöhnung oralisieren (1 mg Pyridostigmin i.v. = 30 mg PS oral) PP 20 x x AChR-AK nmol/l PP PP PP PP x x x x Beatmung x x Extubation 10 x x x , , , , , , , , , , , x , x , Methylprednisolon (5 x 500 mg, dann 100 mg/d) x , , + AZA Pyridostigmin i.v. Pat. G.F., 64 Jahre, dekompensierte M.G. mit myasthener Krise Tage …nach der Myasthenen Krise weiter Glukokortikoide (18-24 Wochen) 1 mg kg/KG, jede Woche um 5 mg abdosieren parallel Beginn mit Azathioprin (100-200 mg/d) Vielen Dank! www.klinikum-altenburgerland.de