Einführung. Plan (S.1-4)

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Funktionalanalytische Methoden in der
klassischen Physik II
Holger Stephan∗, Berlin
24. April 2015
1
Einführung
Die Idee der Vorlesungen ist: Unsere Art, ein physikalisches Objekt in seiner Veränderung
wahrzunehmen, führt uns zwangsläufig auf die Untersuchung gewisser mathematischer Strukturen. Diese Strukturen spiegeln unsere Denkweise wider und beschreiben allgemeine – nicht
nur physikalische – Probleme.
1.1
1. Semester
Im 1. Semester sind wir an die Untersuchung allgemeiner klassischer physikalischer Systeme
folgendermaßen herangegangen:
Wir wissen, was der Zustand eines physikalischen Systems ist und wie er sich in der Zeit
ändert. Was ist sind die richtigen mathematischen Objekte, die das beschreiben und was haben
sie für Eigenschaften. Das führt auf den Zusammenhang dreier grundlegender Objekte Z −
C − P (Zustände, Beobachtungen, statistische Zustände) zur Beschreibung des physikalischen
Systems.
Die grundlegende mathematische Theorie dahinter war die lineare Dualitätstheorie in Banachverbänden – die Dualität zwischen stetigen Funktionen (intensiven Größen) und positiven Radonmaßen (extensiven Größen).
Änderungen des Zustandes des Systems werden durch spezielle lineare Operatoren, nämlich
Markowoperatoren und ihre adjungierten beschrieben.
Beispiele für besonders einfache Zustandsänderungen in der Zeit sind Markowketten (diskrete
Zeit) und Markowprozesse (kontinuierliche Zeit). Letztere führen auf Evolutionsgleichungen,
die in der statistischen Physik benutzt werden: Chapman-Kolmogorow-Gleichung, Liouvillegleichung, Fokker-Planck-Gleichung, Mastergleichung.
Die grundlegende mathematische Theorie zur Beschreibung von Zustandsänderungen in kontinuierliche Zeit war die Theorie stetiger Halbgruppen in Banachverbänden.
1.2
2. Semester
Uns hat im ersten Semester nicht interessiert, warum sich ein physikalisches System in einem
bestimmten Zustand befindet und auch nicht, was die zeitliche Änderung des Zustands hervorgerufen hat. Das ist der Gegenstand dieses Semesters. Wir stellen fest, daß das nicht willkürlich
ist sondern daß physikalische Prinzipien wirken, die sowohl die Zustände, indenen die Systeme
ruhen als auch die Trajektorien, auf denen sich die Systeme bewegen, bestimmen. Diese Prinzipien besagen, daß reale Zustandsänderungen unter allen denkbaren Änderungen besondere
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1 EINFÜHRUNG
sind (actio = reactio, kürzester Weg, kürzeste Zeit, kleinste Wirkung, Minimum potentieller
Energie).
In diesem Zusammenhang gibt es verschiedene Sichtweisen oder Konzepte. Das sind das Konzept der Kraft (Zustandsänderungen werden durch Kräfte bewirkt), das Konzept der potentiellen Energie (ein physikalisches System ruht im Minimum seiner potentiellen Energie) und das
Konzept des Spiels (die Natur befindet sich stets im Gleichgewicht gegeneinander wirkender
“Interessen oder Ziele”).
Je nach Konzept führt das auf Gleichungen (lokale Zusammenhänge) Extremalaufgaben (globale Zusammenhänge in der “realen Welt”) oder Sattelprobleme (globale Zusammenhänge in
einer “Dualitätswelt”).
Die grundlegende mathematische Theorie hinter diesen Problemen ist die konvexe Analysis,
insbesondere die konvexe Dualitätstheorie und die Theorie der Sattelprobleme. Zur Herleitung
entsprechender Gleichungen müssen Variationsprobleme gelöst werden.
1.2.1
Modellierung. Allgemein
Grob kann man die Beschreibung physikalischer Probleme in drei Klassen einteilen:
• mikroskopische Modelle: Deterministische Beschreibung des Verhaltens von Systemen
individueller physikalischer Objekte wie freie Teilchen, Federn und Massen, Käufer und
Verkäufer, ...
• mesoskopische Modelle: Beschreibung des Verhaltens von Systemen individueller physikalischer Objekte unter Berücksichtigung nicht ausreichender Information. Durch diesen
Mangel an Information können über das Verhalten nur Wahrscheinlichkeitsaussagen getroffen werden. (Übergang von deterministischen Modellen zu stochstischen Modellen.
Inhalt des 1. Semesters)
• makroskopische Modelle: Beschreibung des Verhaltens von physikalischen Systemen,
die aus sehr vielen Teilsystemen bestehen, für deren Verhalten als System die Kenntnis
des konkreten Verhaltens der Teilsysteme nicht erforderlich ist.
Diese Bezeichnungen haben nichts mit der “räumlichen Größe” der physikalischen Systeme
zu tun. Z.B. läßt sich unser Planetensystem sehr genau mit einem mikroskopischen Modell beschreiben. Die Unterscheidungen der Modelle betreffen eher die Komplexität und die tatsächlich
Untersucbarkeit der Modell. Je mehr die Komplexität eines physikalischen Systems zunimmt,
desto ungenauer werden die Modelle, die sein Verhalten beschreiben. Mikroskopische Modelle
sind sehr genau und gut untersucht. Es leuchtet auch ein, daß für die meisten realen Probleme
nur makroskopische Modelle zur Verfügung stehen. Um solche Modelle herzuleiten werden zwei
Methoden angewendet:
• Man nimmt an, daß sich ein Ansammlung vieler Teilsysteme, von denen uns nur makroskopische Größen interessieren so verhält wie ein einziges Quasisystem, daß nur über die
interessierenden makroskopische Größen verfügt. D.h., wir nehmen an, daß das makroskopische Modell eines realen Systems dasselbe ist wie ein mikroskopisches Modell eines
gedachten Systems.
• Man nimmt an, daß das Verhalten einer großen Zahl von Teilsystemen dem eines einzelnen
Teilsystems auf das aber zufällige Kräfte wirken, ähnlich ist.
1.2 2. Semester
3
Wir beschäftigen uns deshalb als erstes mit mikroskopischen Modellen. Während wir im 1.
Semester davon ausgegangen sind, daß uns ein mikroskopisches Modell (Zustände und Zustandsänderungen) irgendwie gegeben sind und deshalb keine Spezifizierung durchführen konnten, werden wir jetzt feststellen, daß auch mikroskopische Modelle – z.B. dynamische Systeme
– nicht beliebig sein können sondern auch eine Struktur besitzen, die unsere mathematische
Denkweise nahelegt.
1.2.2
Stationäre und instationäre Probleme
Wir beobachten die Welt, und uns fällt auf, daß sich die Dinge in Zuständen befinden, in denen
sie sich gut beobachten lassen. Das ist z.B. der Fall, wenn die Dinge ruhen oder sich periodisch
bewegen. Solche Zustände nennen wir Gleichgewichtszustände. Stationäre Zustände sind solche,
indenen die Dinge ohne Bewegung verharren.
Den Wechsel von einem Gleichgewichtszustand in einen anderen nennen wir Bewegung. Dieser
Begriff ist allgemein, auch etwa im Sinne von Formänderung, zu vestehen.
Wir werden deshalb stationäre Probleme (in was für Zuständen ruhen die Dinge) und instationäre Probleme (wie verlassen physikalische Objekte ihre Zustände).
Dabei muß man immer im Auge haben, daß wir diese Frage stellen, weil uns die Antwort
interessiert. Nicht die physikalische Objekte befinden sich gern in Gleichgewichtszuständen
sondern die Objekte fallen uns auf, wenn sie sich in solchen Zuständen befinden.
Wie schon im 1. Semester interessieren wir uns nicht für konkrete physikalische Systeme sondern
für die Struktur, die die Modelle von allen Systemen besitzen müssen.
Wir nehmen an, daß sich die physikalischen Prozesse in Raum und Zeit abspielen, wobei wir
vorläufig den einfachsten Fall annehmen, nämlich daß der Raum ein Teil des euklidischen Raumes ist und das die Zeit ein kontinuierlicher reeller Parameter und vorwärts läuft.
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1 EINFÜHRUNG
1.2.3
Vorlesung. 2. Semester. Grobübersicht
Es sind folgende Themen geplant. Was tatsächlich behandelt wird, ergibt sich im Laufe der
Vorlesung.
• Einführung
– Minimumprobleme, Sattelprobleme und Gleichungen
– Duale Variablen: Knoten und Kanten
– Typische quadratische Sattelprobleme:
Satz des Pythagoras, Methode der kleinsten Quadrate, lineare Optimierung
• Konvexe Analysis
–
–
–
–
Konvexe Mengen und affine Funktionen. Satz von Hahn-Banach
Rechnen mit sup und inf. Standardfunktionen
Konvexe Dualitätstheorie. Legendretransformation. Youngsche Ungleichung
Subdifferentiale
• Lagrangefunktionen. Sattelfunktionen
–
–
–
–
Schwache und starke Dualität. Minimax-Theoreme
Lagrangefunktionen und bedingte Extremalaufgaben
Beispiele für Lagrangefunktionen
Spieltheorie. Stochastische Spiele (gemischte Strategien)
• Variationsrechnung
– Äquivalenz von quadratischen Minimumproblemen und linearen Operatorgleichungen im Hilbertraum
– Euler-Lagrange-Gleichung für zeitabhängige Probleme
• Stationäre Probleme
– Minimum der potentiellen Energie
– Kürzester Weg, kürzeste Zeit, minimale Fläche
• Einfachste zeitabhängige Probleme. Bilanzgliechungen, Drift-Diffusions-Gleichungen
• Zeitabhängige Probleme in der Mechanik. Äquivalenz von:
–
–
–
–
–
Newtonsche Gleichung (Kraftkonzept)
Lagrangegleichung (Dualität von Freiheit und Zwang)
Hamilton-Systeme (Energieerhaltungssatz)
Liouvillegleichung (nichtlinear =⇒ linear. lineare Dualitätstheorie)
Hamilton-Jacobi-Gleichung (Welle-Teilchen-Dualismus in der klassischen Physik)
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