Ein alter Osterbrauch im hessisch

Werbung
Ein alter Osterbrauch im
hessisch-thüringischen Grenzland
In einigen Dörfern diesseits und jenseits der Werra
hat sich bis in unsere Zeit ein alter Osterbrauch erhalten, der bis auf kleine lokale Unterschiede nach
einem gleichen Grundmuster abläuft. Schon Wochen vor Ostern sorgen die Kinder in Nesselröden
und Unhausen dafür, dass alle in der Küche gebrauchten Eier ausgeblasen werden. Danach werden
die Eierschalen mit Wasserfarben oder Farbstiften
bunt bemalt und zu langen Eierschnüren aufgereiht.
Jedes Kind möchte die längsten und schönsten
Schnüre haben.
Am Samstag vor Ostern holen die größeren Jungen
einen drei bis vier Meter hohen Fichtenbaum aus
dem Wald, der am 1. Feiertag mit den gesammelten
Eierschnüren und Papierbändern ausgeschmückt
wird. Früher wurde dieser Osterbaum in beiden
Dörfern jeweils auf dem Anger aufgestellt. Heute
geschieht das in Nesselröden auf dem Hof der gegenüberliegenden Gaststätte, in Unhausen weicht man wohl des oft unbeständigen Osterwetters wegen in die Scheunentenne eines Bauerngehöftes aus. Je nach Willen der Teilnehmer
wechselt also hier der Ort des Geschehens von Jahr zu Jahr.
Am Nachmittag des 1. und des 2. Osterfeiertages vollzieht sich um den Osterbaum herum
ein fröhliches Treiben. Unter Anführung und Kommando der Konfirmanden, also der jungen und Mädchen des 8. Schuljahres, werden Reigentänze aufgerührt. Zusehende Eltern und
Großeltern werden beim Erklingen der Lieder „Es war einmal ein kleiner Mann", „Mariechen saß auf einem Stein", „Schornsteinfeger ging spazieren" und vielen anderen an die eigene Kindheit erinnert. Durchfahrende Autofahrer, die anhalten, um sich dieses alte
Brauchtum anzusehen, lassen in Nesselröden Menschenansammlungen wie bei einem
Volksfest entstehen.
Am Osterdienstag wird der Osterbaum auf einem Handwagen befestigt, in Unhausen werden zwei Strohbären gewickelt, und nun zieht die Kinderschar von Haus zu Haus durch das
Dorf. Die Bewohner spenden Eier, Süßigkeiten und Geld. In den thüringischen Nachbardörfern soll dazu der Spruch gesagt werden „Eier und Speck is'n gutes Geleck". Im Elternhaus
eines der Konfirmanden werden im großen Kessel die Eier gekocht, für das Geld werden Getränke gekauft. Unter viel Spaß wird nun ein großer Schmaus gehalten.
Erwähnenswert ist, dass dieser Brauch in Nesselröden und Unhausen ohne Beteiligung von
Erwachsenen in eigener Regie der Kinder weitergetragen wird. Er soll früher auch in
Archfeld, Breitzbach und einigen Dörfern des Ulfetales gepflegt worden sein. Ein Versuch
des Heimat- und Verkehrsvereines in Blankenbach, dem alten Brauch in Verbindung mit
einem Kinderfest neues Leben einzuhauchen, ist kein dauernder Erfolg beschieden gewesen. Nach Aussagen älterer Einwohner ist der Brauch erst in den zwanziger Jahren unseres
Jahrhunderts aus Thüringen übernommen worden.
-2-
Willi Witzel: Ein alter Osterbrauch …, WL-Heft 1/1989
Seite 2
Nach einem Artikel von Karl-Heinz Schmedding in der Wochenendbeilage der Thüringischen Landeszeitung vom 6. April 1985 besteht er dort nur noch in den Dörfern Gerstungen, Herda und Lauchröden. Vergeblich hätten sich Heimatforscher bemüht, den Ursprung
zu klären. Mitglieder der Fachgruppe Heimatgeschichte im Kulturbund der DDR wollen
nun neuerdings auf interessante Zusammenhänge gestoßen sein. Danach soll der Brauch
slawischen Ursprungs sein, zurückzuführen auf etwa 100 Slawen, die von der Abtei Fulda
im Gerstunger Raum angesiedelt worden seien (eine genaue Zeitangabe war in dem Artikel nicht angegeben). Hier sei mir die Frage erlaubt, ob bei diesen Überlegungen etwa eine
politische Inspiration Pate gestanden hat. Das Mitwirken von Strohbären scheint mir auf eine Verbindung mit dem heidnischen Brauch des Winteraustreibens hinzudeuten. Wichtiger
als die Klärung des Ursprungs erscheint es mir, dass auch in den kommenden Jahrzehnten
noch genügend Kinder geboren werden, die diesen schönen Brauch von Generation zu Generation in unseren Dörfern weitertragen.
Willi Witzel † (Hlh.-Nesselröden)
entnommen aus: DAS WERRALAND, Vereinszeitschrift des Werratalvereins Eschwege, Heft 1/1989
Herunterladen