Schloss Nesselröden im Südringgau Schmalkalder Schloss - eine der ersten regelmäßigen großen Schlossanlagen in Deutschland weist, trotz des ganz anderen Grundrisses, - es ist eine große Vierflügelanlage - Parallelen in der Gestaltung architektonischer Details auf, so dass eine Mitwirkung von Baumeistern und Künstlern aus Schmalkalden beim Bau von Nesselröden wahrscheinlich erscheint. Das kleine Schloss in Nesselröden bei Herleshausen gilt mit seinen Nebengebäuden als eine der bedeutendsten Anlagen aus der Zeit der Renaissance an der unteren Werra und darf als hervorragendes Beispiel eines Landadelssitzes aus dem Ende des 16. Jahrhunderts bezeichnet werden. Zuerst fuldaisches, seit Anfang des 16. Jahrhunderts hessisches Lehen an die Treusche von Buttlar, wurde Schloss Nesselröden innerhalb einer älteren Wehranlage 1592 – 1594 durch Burkhart Treusch von Buttlar erbaut. Auf diese Jahreszahlen weisen Inschriften am Portal und an den Kaminen innerhalb des Hauses. Burkhart Treusch von Buttlar war landgräflicher Stallmeister, also ein hoher „Beamter“ am Hofe Landgraf Wilhelms IV. Von diesem unterzeichnet ist ein Erlass aus dem Jahre 1592, der den „Unterthanen unseres Ambtes Sontra“ auferlegt, Baumaterialien zu liefern an „unseren Stallmeister Borkhart v. Bottlar zum Bau des Schlosses zu Nesselröden“. Im gleichen Jahr ging der Bau des Landgrafenschlosses in Schmalkalden seinem vorläufigen Ende entgegen, an dessen Bauplanung der Landgraf persönlich mitgewirkt hatte. Das Während im Süden Mitteleuropas die Baukunst des XVI. Jahrhunderts unter dem Einfluss der italienischen Renaissance die Transversale1) betont und vorwiegend antikisierende Schmuckformen verwendet, gibt in Mittel- und Nordeuropa die nachklingende Gotik in ihrer Synthese mit den neueindringenden Renaissanceformen der Kunst ein anderes Gepräge: Die Betonung des Baukörpers liegt auf der Vertikalen und aus den Niederlanden übernommenen Schmuckformen: Rollwerk (breite, an den Rändern gerollte Bänder, oft mit Putten, Früchten und Fabelwesen dekoriert) sowie Beschlagwerk (leistenähnliche, Metallbeschlag nachgebildete Bänder, oft mit nagelkopfähnlichen Punkten) finden sich verbreitet in Plastik und Dekorationsmalerei. Schloss Nesselröden kann hier als typisches Beispiel dienen, dessen Bedeutung auch darin liegt, dass es ohne An- und Umbauten durch fast 400 Jahre auf uns überkommen ist. Die Regelmäßigkeit der Anlage, die Proportionen und andere architektonische Elemente sind kennzeichnend für eine Epoche, in der man anfing, vom Künstler und Handwerker Belesenheit, humanistische Bildung und Kenntnisse in Geometrie und Proportionslehre zu fordern. Der unbekannte Baumeister verzichtete weitgehend auf Schmuckelemente und erreicht eine Wirkung hauptsächlich durch wohlberechnete Abmessungen. Er folgt damit den architekturtheoretischen Anleitungen der Renaissance, wie sie der italienische Künstler und Gelehrte Alberti (1404 – 1472) postulierte. Alberti hatte übrigens einen ganz ähnlichen Grundrisstyp wie den von Nesselröden für einen Landsitz (Villa) vorgeschlagen. (Durchgehender Mittelsaal mit Fensterfronten nach Süden und Norden, flankiert von je einem Raumpaar nach Westen und Osten). Der rechteckige dreigeschossige Baukörper des Gebäudes weist nach Süden. Die Fassade – vor dem Brand (1968) der hofseitig gelegenen Wirtschaftsgebäude von der Straße aus nicht sichtbar – ist in der Mitte durch den achteckigen Treppen1) Transversale: querverlaufend, senkrecht zur Ausbreitungsrichtung Schloss Nesselröden im Südringgau Seite 2 turm und zwei Risaliten2) vorwiegend vertikal symmetrisch gegliedert. Das besonders hohe und wuchtige Satteldach, sowie die Schmuckgiebel und der Turmaufsatz lassen den Blick in die Höhe schweifen: ein Element der Gotik, das die Renaissance in Deutschland beibehielt. Der plastische Schmuck der Volutengiebel (Roll- und Beschlagwerk) weist, ebenso wie die Gestaltung des Portals, auf niederländische Vorbilder. Nur die regelmäßige Reihung der Fenster, die paarweise gekoppelt und durch schlichte Kehlprofile aus Sandstein eingefasst sind, betonen die Horizontale, verkürzen sich jedoch in den oberen Stockwerken, um die Höhenwirkung zu verstärken. Das Portal zeigt reichen plastischen Schmuck: Im Giebel halten zwei Engel, von Rollwerk und Fruchtgehängen umrahmt, das Buttlarsche Wappen mit Inschrift „Treusch von Buttlar“ und der Jahreszahl 1592, überwölbt von strahlenförmig das Sonnenmotiv andeutendem Halbrund, während der Architrav3) durch Inschrift und Wappen mit dem hessischen Löwen die im Jahre 1930 2) Risalit: vorspringender Gebäudeteil zur Aufgliederung der Fassade 3 Architrav: Tragbalken erfolgte durchgreifende Renovierung durch Landgraf Chlodwig von Hessen bezeugt. Das Gebäude war vermutlich verputzt und in der Landesfarbe gestrichen, wobei die Wände weiß und die Fenstergesimse und die Ecksteine, wie Farbspuren andeuten, englischrot getönt wurden. Dem regelmäßigen Äußeren entspricht die Raumaufteilung im Inneren: Vom im Treppenturm gelegenen Wendelstein gelangt man im Mittelund Obergeschoß jeweils in einen Saal, der, wiederum typisch für Renaissancebauten, durch die ganze Tiefe des Gebäudes reicht. Zu beiden Längsseiten befinden sich je zwei ineinandergehende Räume, von denen der rückwärtige, nach Norden liegende jeweils eine kleine Toilettenanlage aufwies. Möglicherweise diente ein solches Raumpaar – „Gemach“ – als Wohnung für je einen Zweig der Familie. Sehr spärliche Farb- und Umrissspuren geben Anlass zu der Vermutung, dass die Wände ehemals weiß und die Umrahmung der Türen und Fenster einst, wie in Schmalkalden, mit Wandmalereien im Florisstil (Cornelis Floris, 1514 – 1575, niederländische Architekt und Ornamentenstecher) bunt ge2 Schloss Nesselröden im Südringgau Seite 3 schmückt waren. Die Eichenbalken der Decken waren mit Streifen und von Ochsenblut oder Ruß hergestellten Farben optisch verbreitert. In einigen Räumen finden sich einfache Stuckdecken, die die Struktur der Balkendecke durch ein Relief betonen, und die sich in ähnlicher Ausführung in anderen Gutshäusern der Umgebung finden. Die Räume sind alle groß und hell und wirken durch die guten Abmessungen, den handgestrichenen Putz der Wände sowie durch die tiefen Fensternischen sehr wohnlich. Die Raumaufteilung des Erdgeschosses deutet auf Umbauten hin. Man betritt zunächst eine kleine Halle, deren Holztüren und Türumrahmungen vermutlich aus dem 19. Jahrhundert stammen, mit einem originalen Sandsteinfußboden. Dieser Raum diente vermutlich als „Hofstube“, als Aufenthaltsraum für Gesinde und Schlosswache. Zwei Luken im Boden erlauben eine Verbindung zum Gewölbekeller, der im 17. Jahrhundert als Gefängnis gedient haben soll und der noch die offene Drainage aus der Zeit der Erbauung enthält. Im Erdgeschoß befanden sich außerdem eine Rauchküche und Wirtschaftsräume. Bemerkenswert ist die Raumhöhe von Hofstube und Rauchküche von fast 5 m. Von der ehemaligen Ausstattung ist, außer dem schlichten Sandsteinrahmen der Türen und der Kamine in den Sälen mit fein ausgeführten Rollund Beschlagwerk, kein Stück erhalten. Von der hohen Kunstfertigkeit der Steinmetze zeugt die vorzüglich gearbeitete Spindel der Wendeltreppe, die noch gotische Einflüsse erkennen lässt. einer großzügigen Renovierung unterzogen, in deren Verlauf der Dachstuhl, die Fassade, viele Fenstereinfassungen sowie das Portal ausgebessert oder erneuert wurden. Die wichtigste Baumaßnahme betraf den Turm: Statt des provisorischen Daches erhielt er wieder nach altem Vorbild die für Renaissance und Frühbarock in Mitteldeutschland typische Laternenkuppel (eine Fortentwicklung des zunächst spitzen Helms über dem Achteck des Treppenturmes, möglicherweise niederländischen Ursprungs). Auch die geschnitzten Sonnenscheibenmotive und der hölzerne Schachbrettfries am Fachwerk des Turmes wurden ergänzt und erneuert und der Turm mit einer prächtigen Wetterfahne mit dem Hessischen Löwen und der Jahreszahl der Renovierung gekrönt. 1980 erfolgte der Verkauf an Friedrich und Ragnhild Kruse. Bis zum Beginn der 50iger Jahre unseres Jahrhunderts bot Nesselröden noch das geschlossene Bild einer spätmittelalterlichen Wehranlage. Offenbar zunächst als Wasserschloss erbaut, mit dem von zwei Seiten durch die mächtige Wehrmauer abgeschirmten Schlosshof und dem an diese Mauer gelehnten Kranz der Wirtschaftsgebäude, strömte noch der Bach dort, wo jetzt die Landstraße östlich des Grundstückes verläuft. Eine steinerne Bogenbrücke führt in den, nach Art der Renaissance noch ohne direkte Beziehung zum Gebäude liegenden Schlossgarten, „Brückengarten“ genannt. Aus einer Bildpostkarte; um 1930 Im 19. Jahrhundert erlosch der Nesselröder Zweig der Familie von Buttlar, und das Schloss fiel zurück an die Landgrafen von HessenPhillipsthal-Barchfeld. Es wurde zunächst als Domänenbetrieb und ab der 30iger Jahre unseres Jahrhunderts als Landjahrheim, Näherei, Schule, Gewerberaum und Flüchtlingswohnraum wechselnd genutzt. 1930 wurde das Gebäude Ein Brand zerstörte in den 60iger Jahren die große, südlich des Hofes liegende Scheune sowie die Wirtschafts- und Gesindewohngebäude östlich des Hofes. Wegen Baufälligkeit musste damals die bis zu 5m hohe Schlossmauer teilweise abgetragen werden. Die monolithischen Schlüsselscharten geben, ebenso wie die an der Südweststrecke mit dem von Buttlar’schen und von Boyneburg’schen (?) Wappen eingemeißelte Jah3 Schloss Nesselröden im Südringgau Seite 4 reszahl 1548, Hinweise auf die Entstehungszeit der Anlage. Bis heute erhalten sind noch die folgenden Gebäude: An der Ostseite der ehemalige Pferdestall, das Backhaus und die Schmiede (außer der alten Esse und spärlichen Resten des Backofens ohne Inventar), der Schweinestall sowie der 1923 wieder neu errichtete Schafstall. Bei diesen handelt es sich um Fachwerkhäuschen, deren Rückwand durch die Wehrmauer gebildet wird, und die teilweise erst im 19. Jahrhundert errichtet worden sind. Die Steinmauer, die Backhaus/Schmiede vom ehemaligen Pferdestall trennt, scheint zum ältesten Teil der Anlage zu gehören. Auf der Westseite befindet sich, als vermutlich ältestes Nebengebäude, der ehemalige Kuhstall; es folgten die Schlossmühle (wegen Baufälligkeit vor ca. 15 Jahren abgerissen), Scheunen und das aus Sandstein erbaute Brauhaus, dessen Dach mehrfach verändert wurde. Während vor dem Hauptbau der Wirtschaftshof lag, befanden sich an der Rückseite die Fischteiche und die Schweineweide. Im Zuge seit 1980 vorgenommener Renovierungsmaßnahmen wurde innerhalb des Gebäudes durch Entfernen späterer Einbauten der ursprüngliche Grundriss wiedergewonnen. Durch die Reparatur der verfallenen Nebengebäude wurde erreicht, die historische Anlage als Ganzes so weit wie möglich zu erhalten. Die behutsame Gestaltung des kleinen Parks wird den malerischen Reiz von Schloss Nesselröden und seine Bedeutung als Kulturdenkmal erhöhen. Ragnhild Kruse Anmerkung: Die Kenntnis des Textes des landgräflichen Erlasses verdanken wir Herrn Dipl.-Ing. Kurt Gonnermann (*1911 - †1997), Zierenberg Entnommen aus: „DAS WERRALAND, Heft IV/1987 4