ACTA UNIVERSITATIS WRATISLAVIENSIS No 3207 Studia Archeologiczne XLI Wrocław 2010 MARCO HÄCKEL1 ZUR TECHNIK DES SCHLAGENS AM BEISPIEL DER SCHLAGSTEINE VON BILZINGSLEBEN (THÜRINGEN, GERMANY) Bei der Bearbeitung paläolithischer Fundkomplexe wird Schlagsteinen im Allgemeinen ein geringer Stellenwert zugesprochen, was darin begründet ist, dass Schlagsteine nicht wie andere Steinartefakte für die Nutzung präpariert werden müssen. Per Definition handelt es sich also bei Schlagsteinen nicht um Geräte im engeren Sinne, sondern lediglich um Werkzeuge, wie sie im Tierreich auch schon angewendet werden. Was jedoch dabei übersehen wird, ist die Notwendigkeit der Schlagsteine für die Ökonomie des paläolithischen Menschen. Diese Geringschätzung spiegelt sich auch in der Literatur wider: So liegen zwar verschiedene Arbeiten zu Retuscheuren vor (u. a. Semenov 1956 und Taute 1965), aber diese befassen sich fast ausschließlich mit jungpaläolithischen Retuschierwerkzeugen aus organischem Material. Lediglich drei Publikationen (Ziesaire 1984, Chase 1990, de Beaune 1997) konzentrieren sich auf Schlagsteine im engeren Sinne. Auch für Steinartefakte gilt die physikalische Grundregel, dass jede Aktion eine Reaktion bedingt. Somit sind Spuren des Schlagens auch an den Schlagsteinen vorhanden. In Anbetracht dieser Grundannahme ist davon auszugehen, dass unterschiedliche Aktionen differenzierte Reaktionen ergeben. Bezogen auf paläolithische Schlagsteine bedeutet dies, dass die Anwendung verschiedener Schlagtechniken auch unterschiedliche Schlagmerkmale an den Schlagsteinen hinterlässt. Zur Prüfung der eben geschilderten Arbeitshypothese wurden 302 zufällig ausgewählte Schlagsteine von der altpaläolithischen Fundstelle auf der Steinrinne bei Bilzingsleben (Abb.1) untersucht, wo ein sehr gut dokumentierter und wissenschaftlich aufgearbeiteter Fundkomplex vorliegt, der neben einer großen Anzahl von Schlagsteinen auch durch Schlagsteine modifizierte Artefakte verschiedenen 1 Marco Häckel, Am Klasberg 2, 99428 Niedergrunstedt, Germany; e-mail: stoneage4ever@ hotmail.com. 2 Marco Häckel Materials erbracht hat. Außerdem ist auf Grund der Homo erectus – Funde auch der Träger dieser Kultur bekannt. So war es möglich, die bei der Bearbeitung der Schlagsteine gewonnenen Daten sowohl mit dem von der Fundstelle stammenden Artefaktspektrum als auch mit den Ergebnissen experimenteller Schlagtests zu vergleichen. Abb. 1. Kartierung der untersuchten Stichprobe Punkt – ein Schlagstein, Kreis – mehr als fünf Schlagsteine, grau hinterlegt – Planquadrate mit Schlagsteinen entsprechend Literatur, Dreiecke – zusätzliche Schlagsteine Fig. 1. Mapping of the researched hammerstones Small circle – one Hammerstone, large circle – more than five hammerstones, grey – hammerstone data from other publications, triangle – additional hammerstones TERMINOLOGIE Die für Steinartefakte übliche Terminologie ist für Schlagsteine nicht anwendbar, da sich entscheidende Schlagmerkmale, die als Benennungskriterien dienen, nicht finden lassen. Daher ist die Definition schlagsteinbezogener Termini unvermeidbar. Grundsätzlich wurde jedoch versucht, sich bezüglich der verwendeten Bezeichnungen an die Terminologie von R. Feustel (Feustel 1985, 28f.) zu halten. Die Festlegung der Ausdehnungsmaße erfolgte entsprechend der Regel Länge > Breite > Dicke, wobei sowohl Stücke mit transversal verlaufenden Spaltflächen, bei denen die zu rekonstruierende Länge größer als die erhaltene Breite ist, als auch einzelne Stücke, die entsprechend ihrer Form oder der Lage der Schlag- Zur Technik des Schlagens am Beispiel der Schlagsteine von Bilzingsleben 3 merkmale eine andere Ausrichtung erkennen lassen als Ausnahmen dieser Regel zu werten sind. Auf der Basis dieser Ausdehnungsmaße wurde eine Hauptansicht gewählt, wobei die Lage und Häufigkeit der Schlagmerkmale sowie die Form des Artefakts als weitere Kriterien für die proximo-distale und ventral-dorsale Ausrichtung dienten. Entsprechend dieser Hauptansicht wurden die Bereiche des Schlagsteins wie folgt benannt: In Relation zur Hauptansicht wurden die Flächen als ventrale bzw. dorsale Frontalfläche, Sinistro- bzw. Dextrolateralfläche und proximale bzw. distale Basalfläche bezeichnet. Da jedoch viele Schlagmerkmale in Übergangsbereichen liegen, wurden für die Auswertung verschiedene Bereiche definiert: • Bereich I: Frontalflächen (ohne Unterscheidung von ventral und dorsal); • Bereich II: Lateralflächen (ohne Unterscheidung von sinistro- und dextrolateral); • Bereich III: Basalflächen (ohne Unterscheidung von proximal und distal); • Bereich IV: Übergang von den Frontalflächen zu den Lateral- und Basalflächen; • Bereich V: Übergang von den Lateral- zu den Basalflächen. Da eine klare Abgrenzung dieser Bereiche nur in Einzelfällen gegeben ist, spielt bei der Zuordnung der Schlagmerkmale der subjektive Faktor eine erheb- Abb. 2. Verwendete Bezeichnungen 1a – Frontalfläche; 1b – Frontalkante; 2a – Lateralfläche; 2b – Lateralkante; 3 – Grundfläche; 4a – Basalfläche; 4b – Basalkante Fig. 2. Applied nomenclature 1a – frontal face; 1b – frontal edge; 2a – lateral face; 2b – lateral edge; 3 – dorsal face; 4a – basal face; 4b – basal edge 4 Marco Häckel liche Rolle, aber durch den heterogenen Charakter der Schlagsteine ist keine eindeutigere Definition möglich. GLIEDERUNG DES MATERIALS Die Maximalausdehnungen der Schlagsteine schwanken zwischen 18 mm und 222 mm, wobei der Mittelwert von 56,215 mm sehr klar den Schwerpunkt der Verteilung erkennen lässt. Die Betrachtung der Größenklassen (Abb. 3) zeigt ein Maximum der Schlagsteinlängen zwischen 30 mm und 39 mm. Dabei wird eine deutliche Zäsur erkennbar, die sich zum Ersten durch ein relatives Minimum der Größenklasse bei 80 mm bis 90 mm abzeichnet und zweitens durch einen Wandel in den Anteilen der verwendeten Materialien bei 70 mm zu verifizieren ist. Die Betrachtung der Längen-Breiten-Indices und Längen-Dicken-Indices in Relation zur Länge (Abb. 5) lässt einen nahezu parallelen Kurvenverlauf erkennen. Lediglich bei Stücken über 150 mm Länge weichen die Verteilungen voneinander ab. Aus diesem Grunde wurden die Indices nochmals für die Quarzgerölle allein dargestellt, wobei aus Gründen der Übersichtlichkeit die Indexwerte mit zwei addiert wurden. Hier zeigte sich der parallele Verlauf der Kurven und somit – relativ gesehen – die ähnlichen Proportionen noch deutlicher. Daher muss von einer Bevorzugung bestimmter Proportionen und demzufolge von einer intentionellen Auswahl der Schlagsteine ausgegangen werden. Für die Schlageigenschaften eines Gerölls ist das Gewicht von essentieller Bedeutung. Die Gewichtsverteilung der untersuchten Stichprobe (Abb. 3) verdeutlicht, dass Gerölle mit einem Gewicht von weniger als 250 g die Hauptmasse des Materials ausmachen. Eine solche Verteilung war jedoch bereits auf Grund der Kleinstückigkeit des untersuchten Schlagsteininventars zu erwarten. Bezüglich der z. T. nur wenige cm großen Quarzgerölle erscheint der Mittelwert von 139,1 g jedoch überaus hoch. Die Aufschlüsselung der Schlagsteine nach den verwendeten Rohstoffen (Abb. 3) zeigt, dass insgesamt zehn verschiedene Materialien als Schlagsteine benutzt wurden: Quarz (69,9%), Muschelkalk (13,9%), Quarzit (9,3%), Kristallin (2,6%), Porphyr (2,0%), Sandstein (0,7%), Kalkstein (0,7%), Kieselschiefer (0,3%), Travertin (0,3%), und Granit (0,3%), wobei Quarzgerölle mehr als zwei Drittel des Gesamtmaterials ausmachen, was sich durch den zähen, aber harten Charakter von Quarz erklären lässt. Keiner der zehn Rohstoffe kommt natürlich auf dem Lagerplatz des Homo erectus vor. Auch wenn die Herkunft eines Schlagsteins aus den Travertinen der Terrassenfolge Bilzingsleben I (Holstein-Interglazials im engeren Sinne) zu suchen ist, die lediglich 200 m entfernt vorliegen, ist dies dennoch als ein eindeutiger Beweis für Manuport anzusehen. Zusammenfassend lassen sich also bei Betrachtung von Größe, Gewicht und Material der untersuchten Schlagsteine deutlich zwei Gruppen herausstellen: Zum Ersten eine Gruppe kleiner Schlagsteine, vorwiegend aus Quarz und zweitens eine Zur Technik des Schlagens am Beispiel der Schlagsteine von Bilzingsleben Abb. 3. Aufschlüsselung der untersuchten Schlagsteine nach Länge, Gewicht und verwendetem Rohstoff Fig. 3. Allocation of the researched sample in terms of the length, weight and the used raw material 5 6 Marco Häckel Abb. 4. Größenverteilung der Schlagsteine von Bilzingsleben Fig. 4. Sizes of the hammerstones from the Bilzingsleben site Abb. 5. Längen-Breiten-Indices (LBI) und Längen-Dicken-Indices (LDI) in Bezug zur Länge (unten – Gesamtmaterial; oben – Quarzschlagsteine [jeweils ndexwert +2]) Fig. 5. Length-width indices (LBI) and length-height indices (LDI) in relation to the length of the artefact (lower curve – whole sample; upper curve – quartz hammerstones [index value +2]) Gruppe größerer Gerölle, die aus Muschelkalk, Quarzit, Kristallin, Porphyr etc. besteht. Die Grenze beider Gruppen liegt bei einer Länge von ca. 7 cm. Zwischen diesen Gruppen ist ein funktioneller Unterschied zu vermuten. SCHLAGMERKMALE Bei der Bearbeitung der Schlagsteine von Bilzingsleben konnten verschiedene Merkmalstypen unterschieden werden (Abb. 6), die im Folgenden kurz umrissen werden. Abb. 6. Auf den Schlagsteinen von Bilzingsleben festgestellte Schlagmerkmale (punktuelle Schlagnarben (Merkmalstyp I) auf einem Quarz- (a) und einem Muschelkalkgeröll (b); Schlagnarbenfelder (Merkmalstyp II) auf einem Quarz- (c) und einem Muschelkalkgeröll (d); großes Negativ (Merkmalstyp III) an einem Muschelkalkgeröll (e); unregelmäßige Aussplitterung (Merkmalstyp IV) an einem Quarzgeröll (f); subkutane (g) und oberflächliche (h) Schlagfortsetzungen an Quarzgeröllen) Fig. 6. Observed chopping marks in the examined hammerstones (dot-like marks (type I) on a quartz (a) and a limestone (b) pebble; fields of chopping marks (type II) on a quartz (c) and a limestone (d) pebble; large bursted area with concave surface (type III) on a limestone pebble (e); erratic bursted area (type IV) on a quartz pebble (f); inside (g) and outside (h) shockwave fractures on quartz pebbles) 8 Marco Häckel Schlagmerkmalstyp I: Punktuelle Schlagmarken Durch den einmaligen Aufprall kommt es in vielen Fällen zu einer punktuellen Oberflächenzerstörung, die sich als heller Punkt von der umgebenden Fläche abhebt. Durch die kristalline Struktur der Quarze wirken die Schlagmarken in der Regel körniger, sind aber zumeist kleiner als die von Muschelkalk, deren Grenzen oftmals verwischt erscheinen. Schlagmerkmalstyp II: Schlagnarbenfelder Punktuelle Schlagnarben liegen oft in Gruppen konzentriert vor. Durch starke Nutzung bestimmter Bereiche eines Gerölls und der somit stark kumulierenden Oberflächenzerstörung kann es zu einer Verwischung der Grenzen zwischen den einzelnen Schlagmalen kommen. Solche Zonen werden als Schlagnarbenfelder bezeichnet. Im untersuchten Material kommen sowohl sehr seichte, als auch stark eingetiefte Schlagnarbenfelder vor. Entsprechend der Größe wurde eine Unterteilung in kleine (IIa; max. 10 mm) und große (IIb; ab 10 mm) Schlagnarbenfelder vorgenommen. Schlagmerkmalstyp III: Negativartige Aussplitterungen Beim Schlagmerkmalstyp III handelt es sich um negativartige Aussplitterungen, wobei die Größen zwischen 3 mm und mehreren Zentimetern variieren können. Im Gegensatz zu den Typen I und II ist der Ausgangspunkt des Negativs als wichtigste Angabe anzusehen. Entsprechend ihrer Größe wurden sie in kleine und große Negative getailt, wobei auch hier die Trennung bei 10 mm (Maximalausdehnung) vorgenommen wurde. Schlagmerkmalstyp IV: Unregelmäßige Aussplitterungen Aussplitterungen verlaufen zumeist entsprechend der Druckwellen und bilden Negative. Es gibt aber im Fundmaterial auch zwei Stücke mit unregelmäßigen Aussplitterungen, die als das Resultat eines instabilen Strukturgefüges des Gerölls anzusehen sind und sich vermutlich in ihrer Entstehung nicht vom Schlagmerkmalstyp III unterscheiden. Schlagmerkmalstyp V: Spaltflächen Als letzte Gruppe sind die Spaltflächen auszusondern. Es handelt sich hierbei um Brüche, die ohne große Unregelmäßigkeiten eine Seite des Artefakts bilden. Sie sind in ihrer Entstehung mit Schlagmerkmalstyp III verwandt und in vielen Fällen findet man noch negativartige Merkmale. Entsprechend ihrer Lage kommen sagittale, frontale und transversale Spaltflächen vor. Schlagfortsetzungen In besonders feinkristallinen Quarzen sind unter punktuellen Schlagmarken gelegentlich die Druckkegel sichtbar, wobei oftmals die Schlagmarken selbst 9 Zur Technik des Schlagens am Beispiel der Schlagsteine von Bilzingsleben kaum auszumachen sind. Bei Vermessung besteht hier die Gefahr, Schlagmerkmale zu groß anzusehen. Schlagfortsetzungen sind mehrfach, insbesondere an Schlagnarbenfeldern zu beobachten gewesen. Dies unterstreicht die fließenden Übergänge zwischen den einzelnen Schlagmerkmalstypen. Bei Betrachtung der absoluten Zahlen der Schlagmerkmale zeigt sich, dass die punktuellen Schlagmarken mit 2722 festgestellten Ausprägungen fast drei Viertel aller Schlagmerkmale ausmachen (Tab. 1). Zur Klärung der Relevanz ist die absolute Anzahl der Merkmale nicht aussagekräftig, da sich Schlagnarbenfelder aus z. T. mehreren hundert Schlägen zusammensetzen können und somit in ihrer Bedeutung wesentlich höher eingeschätzt werden müssen. Die Frage, wie häufig sich die entsprechenden Schlagmerkmale an den Artefakten der untersuchten Stichprobe finden, scheint die Relevanz der einzelnen Merkmale deutlicher herauszustellen und relativiert – wie in Tabelle 1 ersichtlich – die Dominanz der punktuellen Schlagnarben. Tab. 1. Absolute Anzahl der Schlagmerkmale in der untersuchten Stichprobe Tab. 1. Numbers of the different chopping marks in the analysed sample Gesamt Artefakt Merkmal pro Artefakt I IIa IIb IIIa IIIb IV V n 2722 318 136 428 121 2 46 % 72,1 8,4 3,6 11,3 3,2 0,1 1,2 n 143 113 68 97 78 2 31 19,0 2,8 2,0 4,4 1,6 1,0 1,5 Setzt man die Schlagmerkmale mit den verwendeten Rohstoffen in Relation, so wird klar, dass keine materialspezifischen Schlagmerkmale vorliegen. Die bisher festgestellte Einschränkung, dass Spaltflächen nur an Muschelkalk und Quarz vorkommen, könnte sich bei einer Analyse des Gesamtmaterials von der Fundstelle relativieren. Auffällig ist jedoch, dass große negativartige Aussplitterungen ein verstärktes Auftreten an den Schlagsteinen aus Muschelkalk erkennen lassen. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die Muschelkalkgerölle durch ihre größeren Ausmaße auch ein höheres Potential kinetischer Energie innehaben. ENERGIEHAUSHALT DES SCHLAGENS Bei der Benutzung der Schlagsteine handelt es sich physikalisch gesehen um Stoßvorgänge, bei denen zwei Körper aufeinander treffen, wobei sich beide verformen. Dabei unterscheidet man den unelastischen Stoß, bei dem die Verformung weitgehend erhalten bleibt, und den elastischen Stoß, bei dem sie wieder in den Ausgangszustand zurückfällt. Beides sind jedoch idealisierte Vorgänge, die in der Natur so nicht auftreten. Die Anwendungen von Schlagsteinen sind elastische Stöße im weiteren Sinne, bei denen aufgrund der Materialeigenschaften die 10 Marco Häckel Deformationsenergie in eine permanente Beschädigung – z. B. einen Abschlag – umgewandelt wird. Basierend auf der eingangs genannten Grundhypothese, dass jede Aktion unweigerlich auch eine Reaktion bedingt, wird ein Teil der einfließenden Energie in Beschädigungen am Percuteur selbst umgesetzt. Betrachtet man die möglichen Techniken im Altpaläolithikum, so können für die Fundstelle Bilzingsleben die freihändige Percussion und die Bipolartechnik vermutet werden. Bei beiden Techniken ist der Energiehaushalt während der Schlagvorgänge anders zu bewerten (Abb. 7). Abb. 7. Energieverteilung bei freier Percussion und Bipolartechnik Fig. 7. Energy balance of chopping (loose percussion and bipolar technique) Wenn man das Schlagen als geschlossenes energetisches System betrachtet, so gilt für beide Techniken der Impuls- und der Energieerhaltungssatz, dies bedeutet, dass die einfließende kinetische Energie in Deformationsenergie und kinetische Energie umgewandelt wird. Die in den Schlag einfließende kinetische Ausgangsenergie resultiert aus der Masse des Percuteur und dessen Geschwindigkeit, aber auch die einwirkende Muskelkraft spielt eine wesentliche Rolle. Bei der freien Percussion wird beim Aufprall ein großer Teil der Energie in Bewegung umgesetzt: So wird zum Ersten das geschlagene Objekt in Bewegung versetzt, zum Zweiten bewegt sich der Schlagstein nach dem Stoß weiter. Der Rest der Energie wird in Deformationsenergie umgewandelt. Unter Anwendung der Bipolartechnik ist das zu schlagende Objekt aufgesetzt, wodurch dessen Bewegung nach dem Schlag verhindert wird. Die so eingesparte Energie bedingt somit eine höhere Deformationsenergie. Als Ergebnis Zur Technik des Schlagens am Beispiel der Schlagsteine von Bilzingsleben 11 dieser Betrachtung ist zu vermuten, dass bei Verwendung der Bipolartechnik die Beschädigungen – sowohl am Percuteur als auch am zu modifizierenden Objekt – stärker ausgeprägt sind. Um den Einfluss der kinetischen Energie zur Bildung und Ausprägung von Schlagmerkmalen besser bewerten zu können, wurden Falltests durchgeführt und die dabei entstandenen Merkmale in Bezug zur frei gewordenen Energie beurteilt: So wurden sieben Gerölle verschiedenen Gewichts2 aus Quarz, Kieselschiefer und Porphyr ausgewählt, die aus vorher definierten Höhen von 0,5 m bis 2,0 m auf ein Silexgeröll3 fallen gelassen wurden. Die beim Aufprall entstandenen Merkmale wurden den definierten Schlagmerkmalstypen zugeordnet und die Lage der entstandenen Merkmale entsprechend der definierten Bereiche festgestellt.4 Danach erfolgte die Berechnung der kinetischen Energie beim Aufprall: Als bekannte Größen lagen die Fallhöhe, das Gewicht des Gerölls und die Fallbeschleunigung mit dem konstanten Wert von 9,81 m/s2 vor. Für die Berechnung der kinetischen Energie entsprechend der Formel: Ekin= [Gewicht des Gerölls] / 2 × [Aufprallgeschwindigkeit]² wird die Aufprallgeschwindigkeit benötigt. Da es sich bei Fallvorgängen um eine gleichmäßig beschleunigte Bewegung handelt, kann die Aufprallgeschwindigkeit entsprechend der Formel [Aufprallgeschwindigkeit] = √ (2 × [Fallbeschleunigung] × [Fallhöhe]) ermittelt werden. Somit ergibt sich für die Berechnung der kinetischen Energie die Formel: [Gewicht des Gerölls] . Ekin = 2 × (2 × [Fallbeschleunigung] × [Fallhöhe]) Die vorgenommenen Falltests (Tab. 2) zeigen deutlich, dass zur Ausprägung punktueller Schlagnarben nur ein sehr geringer Energieaufwand nötig ist. Der Energiebedarf zur Bildung von Aussplitterungen (Merkmalstyp III) liegt erwartungsgemäß deutlich über dem der punktuellen Schlagmarken. Es hat den Anschein, dass zur Ausbildung eines Schlagmerkmalstypus ein materialabhängiger5 energetischer Schwellenwert erreicht werden muss. Wird 2 Verwendet wurde Material aus den Grundmoränenaufschlüssen von Neumark Nord und aus den Saaleschottern von Wallendorf. 3 Da eine starke Nutzung der Schlagsteine während der Silexbearbeitung zu vermuten ist, wurde dieses Material als Unterlage gewählt. 4 Während der Falltests waren Eigenbewegungen der frei fallenden Gerölle unvermeidbar, was zu einer uneinheitlichen Lage der Schlagmerkmale führte. 5 Die etwa gleichen Werte in diesen Tests sind sicherlich zufällig und auf den geringen Stichprobenumfang zurückzuführen. Man muss davon ausgehen, dass die unterschiedlichen Materialeigenschaften grundsätzlich auch andere Schwellenwerte erfordern. 12 Marco Häckel dieser Grenzwert überschritten, so ist der Ausprägungsgrad der Schlagmerkmale von anderen Faktoren, wie z. B. die Materialstruktur oder die Lage der Schlagpunkte, determiniert. DURCH SCHLAGSTEINE MODIFIZIERTE ARTEFAKTE VON DER FUNDSTELLE BILZINGSLEBEN II Für die Interpretation der Schlagsteine spielen auch die durch Schlagsteine modifizierten Artefakte eine erhebliche Rolle. In paläolithischen Inventaren finden sich vorwiegend drei Materialgruppen, die durch schlagende Tätigkeiten modifiziert worden sind: Feuerstein, andere Gerölle und Knochen (beinhaltet Geweih und Elfenbein). Die mit 75% umfangreichste Artefaktgruppe sind Feuersteingeräte, die durch einen auffallend hohen Anteil von Trümmerstücken (23,4%) charakterisiert sind (u. a. Mania 1986, Mania 1993). Bei Betrachtung der speziell bearbeiteten Stücke wird dieser Anteil mit 46,1% noch deutlicher. Lediglich 29,5% der besonders modifizierten Stücke wurden aus Abschlägen gefertigt. Die im Verlauf der Modifikation entstandenen Schlagaugen differieren nach den Analysen von T. Weber (Weber 1986, insbes. 129–131 und 166–177) in den verschiedenen Artefaktgruppen: So weisen Kerne durchschnittlich 1,15 Schlagaugen pro Artefakt auf, deren Durchmesser zwischen 1,25 mm und 1,94 mm schwanken. An Abschlägen aus Feuerstein finden sich hingegen nur 0,33 Schlagaugen pro Artefakt mit Durchmessern von 1,34 mm bis 1,43 mm. Deutlich ist der Unterschied bei Abschlägen aus anderem lithischen Material, bei denen durchschnittlich 0,16 Schlagaugen mit 2,13 mm bis 2,75 mm Durchmesser pro Artefakt vorliegen. Knochen-, Geweih- und Elfenbeingeräte machen zusammen 10%, Knochengeräte allein 6% der Geräte auf der Fundstelle aus, für deren Herstellung vorwiegend Langknochenkompakta von Elefanten, Nashörnern und von Boviden verwendet wurden. Die häufigsten Geräteformen sind Schaber und Meißel, wobei deren Modifizierung dieselben drei Arbeitsschritten erfordert: In einem ersten Schritt werden die Gelenkenden abgeschlagen und danach werden die Schaftstücke gespalten sowie die Spongiosa und das Knochenmark entfernt. Letztlich wird die Kante bearbeitet. Zudem liegen auf der Steinrinne bei Bilzingsleben verschiedene Formen von Geröllgeräten im engeren Sinne vor (Mania 1986 und Bogen 2000), die zusammen 15% aller Geräte auf der Fundstelle ausmachen. Das Spektrum vorliegender Geräte umfasst Chopper und Chopping Tools, Spitzen, verschiedene Schneidgeräte, kratzerartige Geräte, Kernartige und Abschläge. Ihre Modifikationstechniken entsprechen im Wesentlichen denen des Silexmaterials. 13 Zur Technik des Schlagens am Beispiel der Schlagsteine von Bilzingsleben Tab. 2. Ergebnisse der Falltests im Überblick Tab. 2. Overview of the results of the falling tests Nr. Material Gewicht Höhe Energie SM Bereich 1 Quarz 25 0,5 0,1226 Ia II 2 Quarz 25 1,0 0,2453 Ia IV 3 Quarz 25 1,5 0,3679 Ia IV 4 Quarz 25 2,0 0,4905 Ia IV 5 Quarz 70 0,5 0,3434 Ia IV 6 Quarz 70 1,0 0,6867 Ia IV 7 Quarz 70 1,5 1,0301 IIIb IV 8 Quarz 70 2,0 1,3734 IIIb VI 9 Quarz 145 0,5 0,7112 Ia IV 10 Quarz 145 1,0 1,4225 IIIb V 11 Quarz 145 1,5 2,1337 IIIb IV 12 Quarz 145 2,0 2,8449 Ia IV 13 Quarz 350 0,5 1,7168 Ia III 14 Quarz 350 1,0 3,4335 Ia II 15 Quarz 350 1,5 5,1503 IIIb IV 16 Quarz 350 2,0 6,8670 Ia I 17 Kieselschiefer 75 0,5 0,3679 Ia IV 18 Kieselschiefer 75 1,0 0,7358 Ia IV 19 Kieselschiefer 75 1,5 1,1036 IIIb IV 20 Kieselschiefer 75 2,0 1,4715 IIIb IV 21 Kieselschiefer 235 0,5 1,1527 IIIb IV 22 Kieselschiefer 235 1,0 2,3054 Ia IV 23 Kieselschiefer 235 1,5 3,4580 Ia IV 24 Kieselschiefer 235 2,0 4,6107 IIIb IV 25 Porphyr 220 0,5 1,0791 IIIb IV 26 Porphyr 220 1,0 2,1582 Ia I 27 Porphyr 220 1,5 3,2373 Ib IV 28 Porphyr 220 2,0 4,3164 Ia I VORSCHLÄGE ZUR INTERPRETATION DER SCHLAGSTEINE Zum besseren Verständnis der Schlagsteine und ihrer Anwendung, sowie um Aussagen zur zugrunde liegenden Technik des Schlagens zu ermöglichen, wurden zahlreiche Schlagtests durchgeführt, bei denen ebenfalls Material aus den Saaleschottern bei Wallendorf und aus den Grundmoränenaufschlüssen von Neumark Nord verwendet wurden. 14 Marco Häckel Betrachtet man die Lage der Schlagmerkmale auf den Geröllen selbst, so liegen zwischen 44,7 und 46,5% der punktuellen Schlagnarben (Typ I) und Schlagnarbenfelder (Typ II) im Bereich IV. Dabei sind die Schlagnarbenfelder zumeist sehr seicht und im Einzelfall kaum sichtbar, dafür aber sehr großflächig. Die punktuellen Schlagnarben weisen im Bereich IV eine erhebliche Streuung auf. Diese Beobachtungen lassen sich nur durch eine Tätigkeit erklären, bei der nur eine geringe Menge kinetischer Energie freigesetzt wird und bei der gezieltes Schlagen nicht zwingend notwendig ist. Andererseits sind während dieser Tätigkeit zahlreiche Einzelschläge erforderlich. Beim Versuch, experimentell eine Kantenretusche herzustellen, wurden gerade und seitliche Schläge aus dem Handgelenk angewendet, wobei sich das seitliche Schlagen – zeitlich gesehen – als effizienter herausstellte. Es zeigte sich, dass in allen Fällen Schlagmerkmale im Bereich IV entstanden, bei denen es sich – je nach Größe der Kantenretusche und somit der Anzahl der benötigten Schläge – um Schlagnarbenfelder und punktuelle Schlagmarken handelte. Nur in Einzelfällen setzten sich die Schlagmerkmale in den Bereichen I, III und V fort. Bei der Erstellung mehrerer Retuschen mit einem Schlagstein konnte in einem Fall eine Kantenfacette beobachtet werden. Abb. 8. Seitlicher Schlag aus dem Handgelenk („Dengeln“) als wichtige Technik zur Herstellung einer Kantenretusche und Beispiele aus der untersuchten Stichprobe (1 – 170,236; 2 – 101,183; 3 – 81,13) Fig. 8. Off-hand collateral chopping as an important technique to produce an edge retouch and examples from the examined sample Zur Technik des Schlagens am Beispiel der Schlagsteine von Bilzingsleben 15 Unterstützt von den zahlreichen retuschierten Geräten aus Trümmerstücken, die auf der Fundstelle geborgen wurden (siehe oben), scheint die einfache Kantenretusche für den Homo erectus von Bilzingsleben eine große Rolle gespielt zu haben. Zusammenfassend lassen sich also Schlagmerkmale der Typen I und II im Bereich IV am ehesten mit dem Herausarbeiten einer Kantenretusche durch seitliches Schlagen aus dem Handgelenk („Dengeln“; Abb. 8c) erklären. Es finden sich weiterhin im Inventar zahlreiche Schlagsteine, die Schlagmerkmale der Typen I und II in den Bereichen V aufweisen. Seichte Schlagnarbenfelder sind wahrscheinlich – wie auch im Bereich IV – am ehesten mit dem Retuschieren einer Kante in Verbindung zu bringen. Dennoch sind die meisten in diesen Bereichen festgestellten Schlagnarbenfelder kompakter, tiefer und deutlicher abzugrenzen als die Pendants im Bereich IV. Auch die Streuung der punktuellen Schlagmarken ist enger umrissen. Zur Genese dieser Schlagmerkmale ist auch hier ein verhältnismäßig geringes Energielevel nötig, aber aufgrund der geringen Streuung scheinen die Schläge gezielter geführt worden zu sein, was sich am ehesten mit geraden Schlägen aus dem Handgelenk erklären lässt. Abb. 9. Gerader Schlag aus dem Handgelenk als wichtige Technik zur Herstellung einer speziellen Kantenbearbeitung und Beispiele aus der untersuchten Stichprobe (1 – 170,230; 2 – 171,860; 3 – 232,57) Fig. 9. Off-hand straight chopping as an important technique to produce a special edge modification and examples from the examined sample 16 Marco Häckel Entsprechend vorgenommener Schlagtests eignet sich diese Technik insbesondere für spezielle Kantenbearbeitung, z. B. zur Herstellung der gebuchteten Artefakte von Bilzingsleben. Aufgrund der Ungenauigkeit beim Schlagen ist das Dengeln für gezielte Kantenpräparation ungeeignet. An 96,3% der Schlagsteine, die im Rahmen der Schlagtests gerade aus dem Handgelenk benutzt wurden, konnten vergleichbare Beobachtungen gemacht werden, lediglich in einem Fall lag die Hauptmasse im Bereich II. Im Fundmaterial konnten mehrere punktuelle Schlagmarken festgestellt werden, die singulär lagen und zumeist etwas größere Ausmaße erreichten. Am Geröll fanden sie sich vorwiegend im Bereich V und im proximalen bzw. distalen Bereich IV, seltener im Bereich II und im lateralen Bereich IV. Die Größe der Schlagnarben lässt auf eine höhere einfließende Energie schließen und die Lage in basalen Bereichen der Lateral- und Frontalflächen ist als Indiz für gerade geführte Schläge – möglicherweise aus dem Ellenbogen heraus – anzusehen, wobei im Einzelfall die Entstehung der im Bereich IV liegenden Schlagmarken durch seitliches Schlagen nicht ausgeschlossen werden kann. Die Lage impliziert weiterhin, dass auch diese Schlagmerkmale höchstwahrscheinlich durch gezielte Schläge entstanden sind. Alles in allem spricht vieles dafür, dass diese Form der Schlagmerkmale bei der Herstellung von Abschlägen mittels freier Percussion entstanden ist. In anderen Fundstellen wäre auch die Erzeugung großer Flächenretuschen denkbar. Im Verlauf der vorgenommenen Schlagtests wurden unter Anwendung der freien Percussion lediglich in drei Fällen Spaltflächen ausgebildet. In einem Fall lag bereits ein beeinträchtigtes Strukturgefüge des zum Schlagen verwendeten Gerölls vor. Die übrigen Spaltflächen entstanden bei exzessiver Nutzung eines eng gefassten Bereiches am Geröll. Neben der Spaltfläche selbst entstanden dabei auch tiefe Schlagnarbenfelder am Ausgangspunkt der Spaltfläche. Mit einmaligem Schlag kam es lediglich bei Anwendung der Bipolartechnik zur Ausprägung dieser Schlagmerkmale. Finden sich an der Basis von Spaltflächen also nur einzelne punktuelle Schlagnarben, so ist dies ein indirekter Beleg für die Verwendung der Bipolartechnik. Unterstützt wird diese Annahme zudem durch die relativ hohe Anzahl dieses Merkmals in der Stichprobe (Tab. 1; Abb. 10) und die Funde von zahlreichen Ambossen auf dem Lagerplatz von Bilzingsleben. Weiche Gesteine wie Muschelkalkgerölle sind zur Silexbearbeitung ungeeignet. Allerdings haben sie ein hohes Potential kinetischer Energie. In der untersuchten Stichprobe waren jedoch Schlagsteine aus Muschelkalk relativ häufig, wobei ein höherer Anteil großer negativartiger Aussplitterungen beobachtet wurde. Wie im vorangegangenen Abschnitt beschrieben, liegen von der Fundstelle auch Knochen- und Geröllgeräte vor, was zu der Annahme führte, dass die untersuchten Muschelkalkschlagsteine vorwiegend zu deren Bearbeitung verwendet wurden. Zur Technik des Schlagens am Beispiel der Schlagsteine von Bilzingsleben 17 Abb. 10. Beispiele für Spaltflächen als indirekter Beleg für die Bipolartechnik (1 – 99,12; 2 – 141,11; 3 – 134,5; 4 – 1971,15; 5 – 187,35) Fig. 10. Examples of cleavage planes from the examined sample as an indication of bipolar technique Um diese Theorie zu verifizieren wurden zahlreiche Schlagtests durchgeführt, bei denen Femora, Humeri und Ulnae vom Rind mit maximalen Kompaktastärken von 1,5 cm verwendet wurden. Beim Abtrennen der Gelenkenden mit einem kompakten Muschelkalkgeröll wurden an den Lateralkanten und in peripheren Bereichen der Frontalflächen Aussplitterungen mit einer Größe von bis zu 30 mm erreicht (Abb. 11). Unter Verwendung der freien Percussion an den Kanten der Kompaktastücke – mit der Intention einer Kantenretusche – mittels Muschelkalkgeröllen kam es zu zahlreichen Aussplitterungen, was auf die sehr hohe Elastizität der frischen Knochen zurückzuführen ist, die einen höheren Anteil der einfließenden Energie reflektieren. Bei der Nutzung großer Quarzgerölle zeichneten sich aufgrund der Härte des Materials keine Schlagspuren ab. Ein weiterer Hinweis auf die vorwiegende Nutzung der großen Muschelkalkgerölle für die Bearbeitung von Knochen liegt in der regionalen Verteilung auf der Fundstelle von Bilzingsleben selbst, die von D. Mania in sechs Zonen untergliedert wurde (Mania 1989). Die dabei herausgestellte Aktivitätszone II, die einen zwei bis drei Meter breiten Streifen entlang der Uferböschung ausmacht und sich unter anderem durch zahlreiche Knochenartefakte abhebt, weist auch einen erhöhten Anteil von Muschelkalkschlagsteinen auf (Abb. 12). Besonders auffällig waren im Fundmaterial fünf sehr große Schlagmarken mit Maximalabmessungen von bis zu 10 mm auf einem Muschelkalkgeröll (Abb. 13a). Die Bearbeitung von Silex, anderen Geröllen und Knochen mit Muschelkalk ergaben in keinem Schlagtest vergleichbar große Schlagmarken. Es entstanden 18 Marco Häckel Abb. 11. Während der Knochenbearbeitung entstandene negativartige Aussplitterungen (Merkmalstyp III) an Muschelkalkgeröllen und Beispiele großer Muschelkalkschlagsteine aus der untersuchten Stichprobe (1 – 97,1; 2 – 92,14; 3 – 190,34; 4 – 119,129) Fig. 11. Bursted areas with concave surfaces (Type III) on limestone pebbles as a result of bone adaptation and examples of large limestone pebbles from the examined sample Abb. 12. Prozentuale Verteilung der Materialgruppen nach Zonen (Materialgruppen siehe Abbildung 3) Fig. 12. Percentages of the used raw materials in the areas of the Bilzingsleben site (see Fig. 3 for raw materials) Zur Technik des Schlagens am Beispiel der Schlagsteine von Bilzingsleben Abb. 13. Schlagmarken auf Muschelkalkgeröll 119,129 (a, c) und Schlagauge bei der Bearbeitung von Muschelkalk (b) Fig. 13. Large chopping marks on hammerstone 119,129 (a, c) in comparison with chopping mark on a limestone pebble which were left by trying to adaptate it (b) 19 20 Marco Häckel lediglich punktuelle Schlagmarken oder Aussplitterungen. Als jedoch versucht wurde, ein kompaktes Muschelkalkgeröll mit einem Schlagstein aus Porphyr zu modifizieren, entstand ein überaus großes Schlagauge (Abb. 12b), das sich – abgesehen von seiner Tiefe – gut mit den beobachteten großen Schlagmarken vergleichen lässt. Zudem liegen vier der fünf großen Schlagmarken peripher am Geröll und eine unvollständig erhaltene Hiebmarke liegt direkt am Ausgangspunkt einer großen negativartigen Aussplitterung (Abb. 13c). Somit sind diese großen Schlagmarken am ehesten als Schlagaugen anzusprechen. Unter der Fragestellung „Schlagnarbe oder Schlagauge“ wurde ebenfalls versucht, von einem Quarzgeröll einen Abschlag unter Verwendung eines anderen Quarzgerölls abzutrennen. Obwohl es nicht gelang, einen Abschlag abzuspalten, hinterließen die Schläge dennoch ein großes, tief ausgesplittertes Schlagaugenfeld, das beim Vergleich mit Schlagmerkmalen vom Typ II keine Parallelen mit den Schlagmerkmalen in der untersuchten Stichprobe erkennen ließ. Es ist daher anzunehmen, dass es sich bei den Schlagnarbenfeldern tatsächlich um Schlagnarben handelt. Demgegenüber ist eine Trennung zwischen Schlagnarbe und Schlagauge bei singulär liegenden Merkmalen (einmaliger Schlag) nicht möglich. Hier könnte lediglich die Lage der Hiebmarken als – sehr unsicheres – Kriterium angeführt werden. ZUSAMMENFASSUNG Eine Typengliederung der Schlagsteine ist aufgrund des heterogenen Charakters nicht möglich. Allerdings ist eine Unterteilung anhand einzelner Merkmale gut realisierbar. Über Form und Lage der einzelnen Schlagmerkmale am Geröll im Vergleich mit den Ergebnissen experimenteller Schlagtests und dem mit den Schlagsteinen vergesellschafteten Artefaktspektrum lassen sich verschiedene Rückschlüsse auf die verwendeten Schlagtechniken ziehen. Die von T. Weber ermittelten Größen der Schlagaugen an den Feuersteinartefakten korrelieren gut mit den Größen der punktuellen Schlagmarken an den Schlagsteinen aus Quarz. Allerdings liegen im Fundmaterial Schlagnarben von bis zu 10 mm vor, die vermutlich bei der Modifikation von Geröllen entstanden sind, wo von T. Weber auch größere – wenn auch nicht so große – Schlagaugen festgestellt wurden. Ein Teil der sehr großen punktuellen Schlagmarken ist höchstwahrscheinlich nicht als Schlagnarben, sondern als Schlagaugen (Fehlschläge) bei versuchter Modifizierung des Gerölls selbst anzusprechen. Zudem konnte die Betrachtung der Einzelmerkmale in Verbindung mit der Regionalverteilung auf der Fundstelle Bilzingsleben II die von D. Mania herausgearbeitete zonale Gliederung ansatzweise verifizieren. Zur Technik des Schlagens am Beispiel der Schlagsteine von Bilzingsleben 21 Alles in allem ist festzustellen, dass – trotz aller Vorurteile – anhand der Schlagsteine und der darauf befindlichen Schlagmerkmalen durchaus Rückschlüsse auf die zugrunde liegende Technik möglich sind und dass die Betrachtung der Schlagsteine eine lohnende Ergänzung bei der Untersuchung alt- und mittelpaläolithischer Fundplätze darstellt. LITERATURVERZEICHNIS Beaune de S.A. 1997. Les galets utilisés au Paléolithique supérieur. XXXIIe supplément á Gallia préhistoire,CNRS, Paris. Bogen Chr. 2000. Untersuchungen zur Geröllindustrie der altpaläolithischen Fundstelle „Steinrinne“, Bilzingsleben, Kyffhäuserkreis. Magisterarbeit an der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg. Chase P.G. 1990. Tool-making tools and Middle Paleolithic behavior. Current anthropology 31(4), 443–447. Feustel R. 1985. Technik der Steinzeit. Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Thüringens 4, Weimar. Mania D. 1986. Die Siedlungsspuren des Homo erectus von Bilzingsleben. In: Bilzingsleben III. Herausgebers: D. Mania und T. Weber, S. 9–64. Veröff. Landesmus. Vorgesch. Halle 39. – 1989. Zur zonalen Gliederung der altpaläolithischen Freilandsiedlung bei Bilzingsleben. Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 30, S. 222–230. – 1993. Zu den Silexgeräten von Bilzingsleben (Altpaläolithikum, Mittelpleistozän). Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 34, 525–548. Semenov S.A. 1956. Retoucheurs de pierre du Palééolithique recént. In: Paléolithique et Néolithique de l`URSS. Herausgeber A.-P. Okladnikov, S. 382–387. Annales du Centre d`Études et de Documentation Paléontologiques 18. Taute W. 1965. Retuscheure aus Knochen, Zahnbein und Stein von Mittelpaläolithikum bis zum Neolithikum. Fundberichte aus Schawaben 17, S. 76–110. Weber T. 1986. Die Steinartefakte des Homo erectus von Bilzingsleben. In: Bilzingsleben III. Herausgebers: D. Mania und T. Weber, S. 65–231.Veröff. Landesmus. Vorgesch. Halle 39. Ziesaire P. 1984. Retuscheure und Schlagsteine von der frühmesolithischen Freilandstation AltwiesHaed, Gde. Mondorf, Luxemburg. Bulletin de la Société Préhistorique Luxembourgeoise. 6, S. 31–50. TECHNIQUE OF CHOPPING – RESULTS OF RESEARCH IN THE HAMMERSTONES FROM THE LOWER PALAEOLITHIC SITE OF BILZINGSLEBEN II Summary During the Lower Palaeolithic hammerstones were used unmodified, hence their significance is often underestimated in Palaeolithic research. Nevertheless, they are an essential component of the economy of the Pleistocene humankind. According to the maxim “every action causes a reaction”, distinguishing marks of chopping on the hammerstones has been left, and until now the possibility of their interpretation has not been examined well enough. That is why 302 random selected hammerstones from the lower Palaeolithic site of Bilzingsleben II (Fig. 1), their chopping marks in particular, were analysed. The results of this examination 22 Marco Häckel were compared with the chopping marks of experimental chopping tests and the artefacts from the Bilzingsleben site. Initially, a terminology based on the hammerstones had to be created: according to the rule “length > width > height”, the surfaces of the hammerstones were denominated as frontal face, lateral and basal (Fig. 2). Furthermore different areas were defined for evaluation (area I: frontal faces; area II: lateral faces; area III: basal faces; area IV: boundary areas between the frontal face and the lateral or basal faces; area V: boundary areas between the lateral faces and the basal faces). Comparing the dimensions and the used materials of the examined hammerstones shows us clearly two groups: a group of small hammerstones made mainly of quartz and a group of larger pebbles made of limestone, quartzite, crystalline, porphyry and others. The border between both groups is approximately 7 cm (Figs. 3, 4). There seems to be a functional difference between them. The comparison of the length-width indices with the length-height indices in relation to the length of the artefact shows similar proportions of the hammerstones up to a length of approximately 17 cm, which is probably an indication of intentional selection (Fig. 5). On the examined hammerstones different types of chopping marks were observed (Fig. 6): singular dot-like marks (I), concentrations of dot-like marks (II), bursted areas with concave surface (III), erratic bursted areas (IV) and cleavage plane (V). The examination shows us several suggestions of interpreting the different chopping marks, for instance: – concentrations of dot-like marks in peripheral areas of the frontal face (area IV) were likely left by making an edge retouch using off-hand collateral chopping (Fig. 8); – concentrations of dot-like marks in area V, especially at smaller hammerstones, which were probably left by producing a special edge adaptation using off-hand straight chopping (e.g. the artefacts with bight-like edges; Fig. 9); – singular dot-like marks in area V, especially at larger hammerstones, are an indication that the pebble was used to produce flakes by straight chopping; – using loose percussion, cleavage planes were an effect of impaired stone structure or excessive use of a small-sized area of the hammerstone. If various hammerstones with cleavage planes and without further chopping marks at their starting point were found, this might be an indication of bipolar technique (Figs. 7, 10); – large hammerstones of relative soft stones (e.g. limestone) have an enormous kinetic energy, but they are unsuitably modifying stones. Probably they were used with the adaptation of bones. Often bursted areas with concave surface were observed. The reasons for this might be the higher kinetic potential of the hammerstones and the flexibility of the bones which reflect more energy back to the hammerstones (Fig. 11). Another indication to interpret hammerstones of limestone with Type III chopping marks as bone modifying artefacts is the zonal variation at the Bilzingsleben site: the by elaborated D. Mania zone II, which is among others defined by various bone artefacts, shows a higher rate of limestone hammerstones (Fig. 12). In conclusion, the examination of hammerstones seems to be a remunerative additional method researching lower and middle Palaeolithic sites.