B^a^i~g\ZhX]^X]iZ :EITSCHRIFTFÓRHISTORISCHE"ILDUNG C 21234 ISSN 0940 -ÊÊ 4163 Heft 4/2008 Militärgeschichte im Bild: Schlacht bei Vionville und Mars-la-Tour am 16. August 1870 »Im Westen nichts Neues« Deutsche Herrschaft in der Ukraine Das Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg Eisenbahnen und Festungen in Preußen ÌBÀ}iÃV V ÌV iÃÊÀÃV Õ}Ã>Ì Impressum Editorial Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Herausgegeben vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt durch Oberst Dr. Hans Ehlert und Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack (V.i.S.d.P.) Produktionsredakteur der aktuellen Ausgabe: Hauptmann Magnus Pahl M.A. Redaktion: Hauptmann Matthias Nicklaus M.A. (mn) Hauptmann Magnus Pahl M.A. (mp) Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp) Hauptmann Klaus Storkmann M.A. (ks) Mag. phil. Michael Thomae (mt) Bildredaktion: Dipl.-Phil. Marina Sandig Redaktionsassistenz: Thomas Bäuml (tb) Lektorat: Dr. Aleksandar-S. Vuletić Layout/Grafik: Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang Karten: Dipl.-Ing. Bernd Nogli Anschrift der Redaktion: Redaktion »Militärgeschichte« Militärgeschichtliches Forschungsamt Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam E-Mail: MGFARedaktionMilGeschichte@ bundeswehr.org Telefax: 03 31 / 9 71 45 07 Homepage: www.mgfa.de Manuskripte für die Militärgeschichte werden an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt ein­ gesandte Manuskripte wird nicht gehaftet. Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt der Herausgeber auch das Recht zur Veröffent­ lichung, Übersetzung usw. Honorarabrechnung erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. Die Redaktion behält sich Kürzungen eingereichter Beiträge vor. Nachdrucke, auch auszugsweise, fotomechanische Wiedergabe und Übersetzung sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung durch die Redaktion und mit Quellenangaben erlaubt. Dies gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken und Vervielfältigungen auf CD-ROM. 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Der 1929 erschienene Roman »Im Westen nichts Neues« von Erich Maria Remarque schildert die Schrecken des Ersten Weltkrieges an der Westfront aus der Sicht eines jungen Soldaten, der 1918 kurz vor Kriegsende tödlich getroffen wurde, »an einem Tag, der so ruhig und still war, dass der Heeresbericht sich auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden«. Matthias Rogg stellt den einst umstrittenen ­Roman, vor allem aber dessen Verfilmung und die zeitgenössischen Reaktionen auf die Uraufführung der US-amerikanischen Produktion im Dezember 1930 in Deutschland vor. Die deutsche Herrschaft über weite Teile Osteuropas im Zweiten Weltkrieg ist der Allgemeinheit weitgehend bekannt, weniger dagegen, dass das Deutsche Reich bereits im Ersten Weltkrieg große polnische und baltische Landesteile des zaristischen Russlands besetzt hielt. Im letzten Kriegsjahr 1918 gerie­ ten dann Weißrussland und die Ukraine, die »Kornkammer Europas«, unter deutsche und teilweise österreichisch-ungarische Kontrolle. Peter Lieb richtet den Blick auf die deutsche Herrschaft und Partisanenbekämpfung in der Ukraine von Februar 1918 bis März 1919. Er zieht auch einen Vergleich zwischen dem deutschen Vorgehen 1918/19 und 1941/44 und zeigt Gemeinsamkeiten wie Unterschiede der beiden deutschen Besatzungen auf. Militärische Akten aus diesen Besatzungszeiten in der Ukraine finden sich im Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg i.Br., das Archivgut der preußischen und der deutschen Armeen von 1864 bis zur Gegenwart verwahrt. Andreas Kunz verschafft anhand eines fiktiven Rundganges Einblicke in das Innenleben dieser Institution. Ausgewählte Beispiele zeigen die Einzigartigkeit des in Freiburg gelagerten Archivguts, seine Vielgestaltigkeit wie auch seinen Stellenwert für die Erforschung der deutschen Militärgeschichte. Schließlich gibt der Autor noch praktische Hinweise für die Benutzung des Archivs. Ein Aufsatz aus der Feder von Klaus Jürgen Bremm über Eisenbahnen und Festungen in den militärischen Planungen Preußens im 19. Jahrhundert rundet dieses Heft ab. In eigener Sache: Die Redaktion der Militärgeschichte heißt den neuen Redaktionsassistenten, Herrn Thomas Bäuml, herzlich willkommen und bedankt sich bei Herrn Michael Schadow für die geleistete Arbeit. Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir eine gewinnbringende Lektüre der aktuellen Ausgabe und ein gutes Jahr 2009! Magnus Pahl M.A. Hauptmann Inhalt »Im Westen nichts Neues«. Ein Film macht Geschichte 4 PD Dr. Matthias Rogg, geboren 1963 in Wittmund, Oberstleutnant i.G. und ­Referent im Planungsstab im Bundes­ ministerium der ­Verteidigung, Berlin Deutsche Herrschaft in der ­Ukraine 1918/19: Wegweiser zum Vernichtungskrieg? 10 22 Medien online/digital 24 Lesetipp 26 Ausstellungen 28 Geschichte kompakt 30 Schlacht bei Vionville und Mars-la-Tour (Nähe Metz) am 16. August 1870 31 14 Dr. Andreas Kunz, geboren 1970 in Lüneburg, Referatsleiter im Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg i.Br. Preußische Eisenbahnen und Festungen im 19. Jahrhundert Das historische Stichwort: Napoleon im Orient. Die »Ägyptische Expedition« 1798 bis 1801 Militärgeschichte im Bild Dr. Peter Lieb, geboren 1974 in GarmischPartenkirchen, Oberleutnant d.R., Senior ­Lecturer im Department of War Studies an der Royal Military Academy Sandhurst Das Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg. Quell(en) deutscher Militärgeschichte von 1864 bis heute Service 18 Zwei preußische Korps brachten in dieser Schlacht des Deutsch-Französischen Krieges der zahlenmäßig überlegenen Französischen Rheinarmee eine bedeutende Niederlage bei und zwangen sie zum Rückzug in die Festung Metz. Im Verlauf der letzten großen Reiterschlacht der Geschichte zeichnete sich auch das Preußische Ulanen-Regiment Nr. 13 (1. Hannoversches) aus, dessen Tradition vom Ausbildungszentrum der Heeresaufklärungstruppe in Munster fortgeführt wird. Gemälde von H. Lang. Foto: pa/akg-images Dr. Klaus-Jürgen Bremm, geboren 1958 in Duisburg, Oberstleutnant d.R., Lehrbeauftragter für Neuere Geschichte an der Universität Osnabrück Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe: Wissenschaftlicher Oberrat Dr. Bernhard ­Chiari, MGFA; Hauptmann Dr. Thorsten Loch, Kompaniechef 9./Wachbataillon beim BMVg, Berlin; Dr. Martin Rink, Historiker, Potsdam ullstein bild Ein Film macht Geschichte 5 »All Quiet on The Western Front«, Film nach dem Roman von Erich Maria Remarque, USA 1930. Regie: Lewis Milestone, Buch: Del Andrews, Maxwell Anderson, George Abbott, Lewis Milestone. Filmszene mit John Wray als Feldwebel Himmelstoß (stehend). D ie Darstellung von Krieg und Militär im Film ist fast so alt wie das Medium Film selbst. Für die Wahrnehmung, Diskussion und Deutung von Krieg und Militär spielt der Film seit über 100 Jahren eine zentrale Rolle. Produktionen wie »Die Brücke« (1959), »Apocalypse Now« (1979) oder »Der Soldat James Ryan« (1998) haben in den Köpfen der Zuschauer Bilder entstehen lassen, mit denen die öffentliche Auseinandersetzung über den Sinn des Krieges nachhaltig beeinflusst wurde. Zu den herausragenden Filmen dieser Gattung gehört ein Streifen, der Filmgeschichte geschrieben hat und auch nach fast 80 Jahren immer noch unter die Haut geht. Die Vorlage für den Film Am Anfang stand ein Roman, für den sich zuerst kein Verleger finden wollte und der dann in kürzester Frist zu einem Weltbestseller wurde. Der Autor war ein unbekannter ehemaliger Weltkriegssoldat, der nach dem Krieg be- »Im Westen nichts Neues« Ein Film macht Geschichte ruflich nicht richtig Fuß fassen konnte, anfangs als Lehrer und dann als Gelegenheitsjournalist arbeitete. Anfang der 1920er Jahre änderte er seinen ­Namen und nannte sich fortan Erich Maria Remarque (eigentlich Erich Paul Remark, 1893–1970). Wie Millionen anderer Männer trieb ihn das Trauma der Kriegserfahrung um. Er begann mit Recherchen für einen Weltkriegsroman, die er Ende 1927 abschloss. Der Roman schildert aus der Perspektive des Kriegsfreiwilligen Paul Bäumer die Erlebnisse einer Gruppe von Soldaten an der Westfront. Wie in vielen Militärromanen verschmelzen dabei Autobiografie und Fiktion. Mitte 1928 reichte Remarque die Druckvorlage beim S. Fischer Verlag ein. Doch da traute man dem unbekannten Romancier nicht viel zu. Auf Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 dem Büchermarkt der Weimarer Republik tummelte sich eine Vielzahl von Werken, die den Weltkrieg in irgendeiner Form verarbeiteten. Das Spektrum reichte von nationalkonservativen Arbeiten, in denen der Krieg zu einer prägenden Lebenserfahrung stilisiert wurde (»In Stahlgewittern« von Ernst Jünger, »Der Wanderer zwischen beiden Welten« von Walter Flex) bis zu kritischen Auseinandersetzungen mit dem Wesen von Krieg und Militär (»Der Streit um den Sergeanten Grischa« von Arnold Zweig). Die Ablehnung des Remarque-Manuskripts durch den Fischer Verlag sollte sich als eine der größten Fehleinschätzungen der Literaturgeschichte erweisen. Ende 1928 fand sich für den Roman mit dem Propyläen Verlag in Berlin doch noch ein Interessent. Dort über- ullstein bild – Imagno 5Erich Maria Remarque, um 1930. ullstein bild zeugte die einfache, präzise, manchmal erschreckend nüchterne Sprache, die auch heute anrührt, während Remarque auf jede Sinndeutung, jede Auseinandersetzung mit Ursachen, Zielen und Konsequenzen des Krieges verzichtete. Mit diesem Stilmittel traf er offensichtlich den Nerv der Zeit. Der Krieg wurde als »Urkatastrophe« dargestellt, als ein unerhörtes Geschehen, das sich des Menschen bemächtigt und rationalen Erklärungsmustern entzieht. Der Titel griff auf die immerwährende, lakonische Formulierung im deutschen Heeresbericht zurück und gab der fatalistischen Sicht so einen programmatischen Titel: »Im Westen 5Titelblatt der Originalausgabe des ­ omans, erschienen 1929 im R Propyläen Verlag. nichts Neues«. Damit sprach Re­marque einer ganzen Generation aus der Seele. Schon vor der Veröffentlichung machte der Roman Furore. Noch bevor die Erstausgabe am 31. Januar 1929 in den Handel kam, erschienen über vier Wochen mehrere Vorabdrucke in der liberalen »Vossischen Zeitung«. Die Auflage des krisengeschüttelten Blattes stieg daraufhin sprunghaft an. Bis Ende 1929 verkaufte sich das Buch über eine Million Mal in Deutschland. Es folgten Übersetzungen in alle europäischen Sprachen. In den USA erschienen 1929 mehr als 300 000 Exemplare. Remarques überwältigender Erfolg polarisierte die Öffentlichkeit und natürlich auch die Kritiker. Am 31. Januar 1929 schrieb Carl Zuckmayer in der liberalen »Berliner Illustrierten Zeitung«: »Es gibt jetzt ein Buch, geschrieben von einem Mann namens Erich Maria Remarque, gelebt von Millionen, es wird auch von Millionen gelesen werden [...] so geschrieben, so geschaffen, so gelebt, dass es mehr wird als Wirklichkeit: Wahrheit, reine gültige Wahrheit.« Diese euphorische Sicht wollten viele Deutsche nicht teilen. In nationalkonservativen und monarchistischen Kreisen sowie in der Reichswehr wurde Remarque heftig attackiert (siehe Kas­ ten rechts). Dort warf man ihm vor, der Vorreiter einer pazifistischen Propa­ gan­da zu sein, die das ehrenhafte Gedenken der deutschen Soldaten im Weltkrieg in den Schmutz zog. Nicht die Beschreibung der nackten Gewalt und Erbarmungslosigkeit des Krieges wurde als Affront begriffen, sondern die fehlende Sinnstiftung. Um die gewaltigen Opfer, die politischen und wirtschaftlichen Folgen des Krieges für Deutschland begreifbar zu machen, musste das Desaster nach dieser Lesart einen tieferen Sinn erhalten – und sei es durch das Produzieren heroischer Vorbilder oder die individuelle Läuterung durch Kampf und Entbehrung. Ein sinnloser Krieg hätte letztlich die Fragen nach den politischen Ursachen und der Verantwortlichkeit gestellt. Remarques Roman wurde so von einem nicht unbeträchtlichen Teil der Bevölkerung in Deutschland nicht nur als Provokation, sondern als öffentliche Gefahr eingeschätzt. Auch heute ist das noch der Stoff, aus dem man Filme macht. Oberst a.D. Freiherr von der Goltz schrieb 1929 in »Deutsche Wehr. Zeitschrift für Heer und Flotte« (Heft 14) über Remarques Roman: Es ist ein besonders betrübendes Zei­ chen für den Zeitgeist im heutigen Deutschland, dass dieser Roman, der nichts anderes darstellt als eine raffi­ nierte pazifistische Propaganda, es in wenigen Wochen auf einen Absatz von einer Million Exemplaren gebracht hat. Sein Zweck ist es, der heranwachsenden Jugend eine un­über­windliche Abscheu vor dem Kriege, überhaupt vor allem Mi­ litärischen, ins Herz zu senken. Das ist umso gefährlicher, als der Roman gut geschrieben ist und daher einen gewis­ sen literarischen Wert besitzt. Die einzel­ nen Soldatenfiguren, die als Träger der Handlung auftreten, sind gut beobach­ tet und richtig gezeichnet, die Kampf­ szenen mit dramatischer Wucht und pa­ ckender Realistik dargestellt. Und doch ist das Ganze ein maßlos ver­ logener Schwindel! Es ist ja einfach nicht wahr, dass der deutsche Soldat nur unter dem Zwang des Drills seine Pflicht ge­ tan, sich bei jedem Kanonenschuss in To­ desangst an den Boden geklammert und im Übrigen lediglich seinen anima­ lischen Instinkten gelebt habe. Wohl gab es solche Typen in unseren Reihen ebenso wie drüben beim Feinde. Die an­ deren aber, die in der großen Überzahl waren, für die der Kampf ums Vaterland noch eine heilige Sache war, und die sich ihre Menschenwürde trotz aller verro­ henden Einflüsse des Krieges bis zum Schluss zu bewahren wussten, sie alle kommen in der Tendenzschrift Re­ marques (wer verbirgt sich hinter die­ sem Pseudonym?, sicherlich kein deut­ scher Mann) überhaupt nicht zu Worte! Darin liegt eine grobe und bewusste Ir­ reführung. Es wird einfach ein minder­ wertiger Teil als gleichbedeutend mit dem Ganzen hingestellt. Ebenso irrefüh­ rend ist es, wenn bis zum Überdruss grausige Kampfszenen oder andere Be­ gebenheiten, in denen das Tier im Men­ schen sich austobt, aneinandergereiht, alle erhebenden Momente des Kriegser­ lebens aber einfach fortgelassen wer­ den. [...] ›Im Westen nichts Neues‹ ist eine einzige ungeheuerliche Beleidigung des deut­ schen Heeres im Weltkriege [...] eine Ver­ unglimpfung des Andenkens unserer gefallenen Kameraden [...] Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 BArch, Plakat 14027/Nachlassverwaltung Klaus Dill Ein Film macht Geschichte 5Filmplakat von Klaus Dill (1922–2000) für die Wiederaufführung von »Im Westen nichts Neues« in den 1950er Jahren. Meilenstein der Filmgeschichte Noch bevor der Roman auf den Bestsellerlisten stand, wurde die amerikanische »Universal Pictures Company« auf ihn aufmerksam und erwarb im Juli 1929 die Filmrechte. Die Universal Pictures Company verfügte über die notwendigen finanziellen Mittel und mit der »Universal City« über die damals größte Filmstadt. Beim Regisseur fiel die Wahl auf Lewis Milestone, ­einen noch völlig unbekannten Spielleiter, der allerdings das Geschäft von der Pike auf gelernt und ein Gespür für technische Neuerungen hatte. Milestone war fest entschlossen, ein möglichst realistisches Bild vom Krieg zu vermitteln. Der materielle Aufwand war gewaltig. Um den Kriegsbeginn und die Ausbildung möglichst authentisch wirken zu lassen, wurden auf dem Filmgelände eine deutsche Kleinstadt und komplette Kasernenanlagen nachgebaut. Nach Fotovorlagen verwandelte man ein Gelände von 16 000 m² in eine Schützengrabenlandschaft, die noch Jahre später für Dokumentarsequenzen anderer Filme über den Ersten Weltkrieg genutzt wurde. Bei den Dreharbeiten setzte das Filmteam teilweise sogar scharfe Munition ein. Aus Deutschland warb Milestone ehemalige deutsche Offiziere an, unter deren Kommando die Schauspieler und Komparsen bis an die Grenzen ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit militärisch ausgebildet wurden. Beim Hauptdarsteller griff man mit Lew Ayres auf ein völlig unbekanntes und damit unverbrauchtes Gesicht zurück: Ein »universal soldier«, der stellvertretend für die namenlos Leidenden einer ganzen Generation stehen sollte. Damit erhielt der Film schon vor Drehbeginn eine universale Aussage. Eine zentrale Rolle spielte der Ton, der 1929 noch in den Kinderschuhen steckte. »Im Westen nichts Neues« (All quiet on the Western Front) ist eine Produktion an der Schwelle vom Stumm- zum Tonfilm. Der Tonfilm begann sich damals nur langsam durchzusetzen, weil die Investitionen hierfür sehr aufwendig waren. Manche Kinos scheuten noch die relativ hohen Kosten für die Umrüstung. Die Universal Pictures entschieden sich deshalb, parallel zwei Versionen abzudrehen. Die mit Untertiteln versehene Stummfilmversion dauerte eine halbe Stunde länger. Die technischen Möglichkeiten für die Tonaufnahmen waren – gemessen an heutigen Standards – noch primitiv. So stand zum Beispiel nur eine Tonspur zur Verfügung. Während die Dialoge parallel zum Spielgeschehen als Primärton aufgenommen wurden, mussten alle anderen Geräusche später im Tonstudio produziert und abgemischt werden. Das betraf vor allem die Gefechtsszenen. Milestone fand im Kameramann Arthur Edeson einen kongenialen Partner, der sich zum Beispiel hervorragend auf die Beleuchtung verstand und so bei den Nachttaufnahmen besonders eindrückliche Effekte erzielte. Da die Kameras sehr laute Aufnahmegeräusche verursachten, entwickelte Edeson eine Lärmschutzhülle – ohne diese Erfindung wären mobile Aufnahmen mit Primärton nicht möglich gewesen. Um die Dynamik der Aufnahmen zu steigern, entwickelte man für die Produktion einen Kamerakran, der eine bewegliche Draufsicht ermöglichte. Dadurch konnte die Kamera von oben in die Schützengräben quasi eintauchen oder die stürmenden Soldaten auf Augenhöhe begleiten. So etwas hatte das Kinopublikum bis dahin noch nicht gesehen. Schnelle Schnitte und plötzliche Perspektivwechsel verstärkten beim Zu- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 schauer das subjektive Gefühl einer beschleunigten und inhaltlich aufgeladenen Handlung. Diese Effekte wurden von Milestone zum ersten Mal in der Filmgeschichte konsequent umgesetzt und zu einem filmästhetischen Gesamtkunstwerk zusammengefügt. Einige Szenen vermittelten durch die Rasanz das Gefühl von Orientierungslosigkeit in einem chaotischen Umfeld. Der Krieg im Film Milestone setzte mit filmtechnischen Mitteln ein Gefühl um, das charakteris­ tisch für die Wahrnehmung der Sol­ daten des Ersten Weltkriegs in den Schützengräben war. Die Zeit war für die Soldaten im Schützengraben im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Takt geraten. Im Unterschied zum 18. und 19. Jahrhundert wurde nun bei jeder Tages- und Nachtzeit und auch bei jeder Witterung gekämpft. Schlechtes Wetter und der Schutz der Dunkelheit konnten manche Operationshandlungen sogar begünstigen. Bei Tag verkrochen sich die Soldaten oft in Gräben und Unterständen; ihre Gefechtshandlungen führten sie im Schutz der Dunkelheit. Während die Einsätze der Fronttruppen immer länger wurden und die Schlachten nicht mehr Tage, sondern Monate dauerten, hatte sich das Gefecht rasant beschleunigt. Der Deutsches Filminstitut 5Für die Produktion des Films wurde ­ igens ein Kamerakran entwickelt, der e eine bewegliche Draufsicht ermöglichte. Süddeutsche Zeitung Photo/Scherl 5Angriff französischer Soldaten auf einen deutschen Schützengraben im Ersten Weltkrieg. Szene aus dem Spielfilm »All Quiet on The Western Front«. Sekundenzeiger entschied, wann Zünder detonierten oder Sperrfeuer verlegt wurden – nicht umsonst hat der Erste Weltkrieg die bislang übliche Ta­ schen­uhr durch die handlichere Armbanduhr verdrängt. Neue Fernmeldemittel sorgten dafür, dass aufgeklärte Ziele sofort unter Feuer genommen wurden. Die Reaktionszeiten begannen auf ein Minimum zu schrumpfen. Hinzu kam eine bruchstückhafte Wahrnehmung des Gefechtsfelds und der Kampfhandlungen. Im Schützengraben konnte sich der Soldat kaum noch räumlich orientieren, geschweige denn den Feind identifizieren. Diese zentralen Veränderungen in der individuellen Wahrnehmung des modernen Krieges wurden von Mile­ stone erkannt und filmkünstlerisch genial umgesetzt. Am deutlichsten wird das in einer sechsminütigen Kampfszene, die Filmgeschichte geschrieben hat. Die Sequenz zeigt einen Sturmangriff der Franzosen auf die deutschen Stellungen, den Nahkampf der Soldaten, den Rückzug aus der vorderen Grabenzone, den Gegenangriff der Deutschen und die Rückeroberung der alten Stellung. Am Ende hat keine Seite einen Gewinn zu verbuchen, nur ungezählte Menschen haben ihr Leben ­verloren. Die feindlichen Franzosen werden in dem Ausschnitt in starker Un­­ter­sicht und mit verschatteten Gesichtern gezeigt. Selbst im Nahkampf wird der Feind dadurch anonymisiert – ein Strukturelement, dass man auch heute bei Kriegsfilmen häufig antrifft. Die Erbarmungslosigkeit der Handlung verdichtet sich in einer Szene, die nur 30 Sekunden dauert und in deren Mittelpunkt das Maschinengewehr steht. Wie keine andere Waffe ist das Maschinengewehr zu einem Synonym für die Technisierung des Krieges geworden, die mit extrem geringem materiellen Aufwand ein Maximum an Zerstörung erreichen sollte. Milestone näherte nun durch einen Trick die Feuergeschwindigkeit des Maschinengewehrs dem Rhythmus der Filmaufnahmen an. Eine Filmkamera »schoss« in einer Sekunde etwa 24 Einzelbilder, die Felder genannt wurden. Der Regisseur wählte für jede MG-Einstellung sechs bis sieben Felder und für jeden getroffenen französischen Soldaten die glei- che Zahl; er passte damit die Abfolge der Einzelbilder der Feuergeschwindigkeit des MGs an. Durch die extrem kurzen Einstellungen von einer Drittel Sekunde gelang es ihm, den Handlungsablauf enorm zu verdichten und zu beschleunigen. Die wechselnden Einstellungen des Films und die Feuergeschwindigkeit des Maschinengewehrs scheinen ineinanderzugreifen und das Tempo zu forcieren. Durch die ständigen Wechsel aus statischen und dynamischen Einstellungen entsteht ein ähnlicher Effekt. Die enorme, mit bloßem Auge kaum noch nachvollziehbare Geschwindigkeit, verbunden mit dem Wechsel von Schuss und Treffer, erweckt bis heute den Eindruck einer authentischen Szene. Filmzensur Diese und andere Bilder von »Im Westen nichts Neues« bekamen viele Kinobesucher allerdings nicht zu sehen. In jedem Land musste damals ein Film vor der Veröffentlichung einer Zensurabteilung vorgelegt werden. Dort Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 Ein Film macht Geschichte war ein ganz normales Verfahren, dem sich jede neue Produktion unterziehen musste. In Deutschland erfolgte die Premiere am 4. Dezember 1930 in Berlin. »Kinoterror« in Deutschland Wie die Romanvorlage spaltete auch der Film das Publikum. Der NSDAPGauleiter von Berlin, Joseph Goebbels, witterte seine Chance und ließ am 5. Dezember Freikarten für den Film an SA-Männer, Parteimitglieder und Sympathisanten verteilen. Die braunen Banden warfen im Kino Stinkbomben, ließen weiße Mäuse laufen, verstreuten Niespulver und konnten mit diesen primitiven, aber wirkungsvollen Metho­ den die Vorstellung erfolgreich sabotieren. Doch das war erst der Auftakt eines Kinoterrors, der das Kampfgeschehen von der Leinwand auf die Straßen vor den Lichtspielhäusern verlagerte. Weitere Aufführungen wurden in den folgenden Tagen von SA-Gruppen sabotiert, Kinobesucher beschimpft oder am Betreten von Lichtspielhäusern mit Gewalt gehindert. Während liberale Kräfte und Sozialdemokraten in der Öffentlichkeit für den Film Partei ergriffen, setzte sich der NS-Terror gegen Kinobesucher ungehindert fort. Täglich fanden jetzt Demonstrationen der bestens organisierten Nationalsozialisten und ihrer Gefolgsleute in Berlin statt, mit Tausenden von Teilnehmern. Aufführungen waren nur noch unter massivem Polizeischutz möglich. BeSüddeutsche Zeitung Photo/Scherl konnte nach politischen und teilweise recht willkürlichen moralischen Vorstellungen gestrichen werden. In den Akten der »Motion Pictures of Association of America« sind diese »Deletions« akkurat aufgeführt worden. In Australien strich man Fäkalausdrücke, Schleiferszenen, Soldaten, die sich nackt auszogen, und schließlich die Tötung eines französischen Soldaten. In der Tschechoslowakei durfte die Tonfassung nicht aufgeführt werden. In Polen mochte man den Zuschauern nicht das Grauen des Lazaretts zumuten. Dort schnitt die Zensur auch eine komplette Schlüsselszene, worin Paul Bäumer als Soldat in seiner alten Schulklasse jüngere Schüler vor dem Irrsinn des Krieges warnt. Ähnliche Zensurmaßnahmen verhängten auch einzelne Bundesstaaten in den USA. In Deutschland fiel eine andere Szene des Films der Zensur zum Opfer, in der die deutschen Soldaten mit französischen Mädchen fraternisieren. Besonderen Anstoß nahm man in fast allen Ländern an der Maschinengewehrszene. Vermutlich hatten die Zensurbehörden Angst, eine öffentliche Debatte über den Sinn des Krieges loszutreten. Die meisten Kinobesucher bekamen um bis zu 15 Minuten gekürzte Versionen zu sehen, die sich von Milestones »Directors Cut« deutlich unterschieden. Doch auch das durch Schnitte entschärfte Filmmaterial sorgte bei Publikum und Kritikern für leidenschaftliche Diskussionen. Am 21. April 1930 wurde die amerikanische Originalversion in Los Angeles uraufgeführt und dort von Kritikern und Publikum gleichermaßen gefeiert. Das war alles andere als selbstverständlich, denn der Film wählte ja nicht die Perspektive der alliierten Truppen, sondern die des ehemaligen Kriegsgegners Deutschland. Noch im selben Jahr erhielt der Streifen zwei Oskars: für die beste Regie und den besten Film des Jahres. Wie nicht anders zu erwarten, tat man sich in Deutschland mit dem Film besonders schwer. Noch vor der Fertigstellung der deutschen Fassung signalisierte die größte deutsche Filmfirma, die Universum-Film AG (UfA), den Universal Pictures, die Produktion nicht in den Verleih aufnehmen zu wollen. Am 21. November 1930 erhielt der Film die Freigabe von der Filmober­prüf­ stelle; die Prüfung durch diese Instanz 5Polizisten vor dem Mozartsaal in Berlin anlässlich der Unruhen bei der deutschen Uraufführung des Films »Im Westen nichts Neues«, Dezember 1930. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 günstigt wurde diese Gewalt der Straße durch die Tatenlosigkeit der Staatsanwaltschaft und vieler Polizisten, die dem rechtsstaatlichen System der Weimarer Republik reserviert gegenüberstanden. Am 11. Dezember 1930 befasste sich sogar der Reichstag mit dem Skandalfilm. Noch am selben Tag wurde für Berlin ein allgemeines Demonstra­ tionsverbot verhängt. Die nationalsozialistische Presse schnaubte, allen voran der »Völkische Beobachter«: Man müsse nicht die Demonstrationen, sondern »den Film an sich« verbieten. Schließlich wurde »Im Westen nichts Neues« aufgrund der angespannten Sicherheitslage vorläufig abgesetzt und der »Filmoberprüfstelle« in Berlin, dem letztinstanzlichen Entscheidungsorgan, ein zweites Mal zur Prüfung vorgelegt. Dort erkannte man kurz darauf eine »ungehemmte pazifistische Tendenz« und belegte den Film mit einem dauerhaften Aufführungsverbot. Die nationalkonservative »Neue Preu­ ßische Kreuzzeitung« sprach in einem Artikel vom 13. Dezember vielen Kritikern aus der Seele. Danach sei das Verbot gerechtfertigt, weil die Art der Darstellung geeignet sei, »das Ansehen der Kriegsteilnehmer auf das Empfindlichste zu schädigen. Es sei unbestreitbar, dass es nur deutsche Soldaten seien, die jammerten und schrien, während die Franzosen, die gegen den Stacheldraht anrennen, schweigend stürben.« Im Ganzen werde der Film der Gemütsverfassung der Teilnehmer am Kriege nicht gerecht. Weiter hieß es, man wolle »das Volk sehen, das sich die Darstellung der eigenen Niederlage gefallen lasse«. Der Film als Politikum Die Argumentation der Filmoberprüfstelle, einer nachgeordneten Behörde des Reichsinnenministeriums, unterstrich eindringlich, dass man den Film nicht nach ästhetischen, juristischen oder pädagogischen Gesichtspunkten eingestuft hatte. Während die NSPresse die Entscheidung mit hämischer Freude feierte, organisierte sich Widerstand. Da der Film nur im Reichsgebiet verboten war, wurden Busfahrten ins benachbarte Ausland organisiert, zum Beispiel nach Österreich. Doch auch hier verbot man »Im Westen nichts Neues« Anfang 1931. Im Preußischen Landtag kochte die Stimmung so hoch, dass die Abgeordneten des rechten Parteienspektrums einen Misstrauensantrag gegen Innenminister Carl Severing (SPD) einbrachten. Der Antrag scheiterte zwar am 19. Dezember 1930. Doch nichts zeigt deutlicher, dass die Diskussion über »Im Westen nichts Neues« längst zu einem Politikum geworden war. Es ging nicht mehr um den Film, sondern um eine Standortbestimmung über die Deutung des Weltkrieges und damit letztlich über die zukünftige Richtung der deutschen Politik. Auch der Schriftsteller Kurt Tucholsky brachte seine Empörung über den Filmskandal am 20. März 1931 in der Monatszeitschrift »Menschenrechte« unmissverständlich zum Ausdruck (siehe Kasten rechts). Am 24. März 1931 entschied schließlich der Reichstag, dass der verbotene Film nur noch für geschlossene Veranstaltungen freigegeben werden durfte. Die Front der Kritiker hatte damit ihr Ziel erreicht und eine differenzierte Auseinandersetzung über die Sinndeutung des Weltkriegs unterbunden. Es folgten nur noch wenige kriegskritische Produktionen, etwa Georg Wilhelm Pabsts »Westfront 1918« (1930). Im deutschen Filmgeschäft der frühen 1930er Jahre setzten sich die nationalkonservativen und monarchistisch gesinnten Kräfte immer stärker durch. Produzenten und Regisseure, die dieser Linie folgten, durften mit erheblich besserer staatlicher Förderung rechnen. Mit Produktionen wie »Berge in Flammen« (1931), »Tannenberg« (1932) oder pseudohistorischen Preußenfilmen wurde die kritisch-pessimistische Kriegsdeutung immer stärker von der Leinwand verdrängt. Das Kino war damit zu einem »Kampfplatz« geworden, der das Ende der Weimarer Republik beschleunigte. Matthias Rogg Literaturtipps Bärbel Schrader (Hrsg.) Der Fall Remarque. Im Westen nichts Neues. Eine Dokumentation, Leipzig 1992 Thomas Klein, Marcus Stiglegger und Bodo Traber (Hrsg.), Filmgenres. Kriegsfilm, Stuttgart 2006 Wolfhard Keiser, Erich M. Remarque: Im Westen nichts Neues, Hollfeld 2005 (= Königs Erläuterungen und ­Materialien, 433) In der Zeitschrift »Die Menschenrechte« vom 20. März 1931 sprach sich Kurt Tuchols­ky für die Ausstrahlung des Films »Im Westen nichts Neues« aus: Gegen das Remarque-Filmverbot (Eine Umfrage der ›Deutschen Liga für Menschenrechte‹) Der nordische Barde Goebbels hat in sei­ nen Kundgebungen wiederholt darauf hingewiesen, dass der Remarque-Film ein ›Geschäft‹ sei [...] Die Nationaille hat aus unlauteren Beweggründen gegen diesen Film protestiert. Es ist bedauer­ lich, dass ein Pazifist wie Friedrich Wil­ helm Foerster Verwirrung in die Reihen des Pazifismus getragen hat, indem er sagt: ›Das Szenario stellt eine tendenzi­ öse Auswahl seitens einer Art von senti­ mentalem, ja oft weinerlichem Pazifis­ mus dar, bei dem der Abscheu gegen den Krieg nicht aus den Tiefen der mora­ lischen Menschennatur kommt, sondern aus dem Nervensystem [...]‹ Aus dem Nervensystem! Nur aus dem Nervensys­ tem? Wir haben oft zu Foerster gehalten. In diesem Falle ist dem Vorsteher eines kleineren katholischen Moralamtes nur zu wünschen, dass er einmal in die Lage kommt, nur aus dem Nervensystem ge­ gen den Krieg protestieren zu müssen – also etwa nach achtundvierzigstün­ digem Trommelfeuer. Noch der nied­ rigste Pazifismus hat gegen den edelsten Militarismus tausendmal recht! Es gibt kein Mittel, das uns nicht recht wäre, den Moloch des Kriegswahnsinns und des Staatswahnsinns zu bekämpfen. Der Tod der zehn Millionen ist sinnlos gewesen – sie sind für nichts gefallen. [...] Ehre der Trauer. Schmach dem Kriege! Wir brauchen keine Kartenkunststücke, die uns den angeblichen Sinn dieses Wahnsinns vormachen sollen. Und da­ rum ist uns jeder, jeder Film recht, der der Menschheit den Krieg auch in seinen niederen Formen, gerade in seinen nied­ rigsten Formen vorführt. Mussolini zeigt seinem Volk nur die Fahnen und nichts als das – Remarque zeigt uns die Fahnen und den Rest: die Zerfetzten und die Tau­ melnden, die Blutenden und die Zer­ schossenen – und wer sich daran begei­ stern will, der mag es tun. Wir andern ru­ fen gegen die Weltenschande: Nieder mit dem Kriege! Zit. nach: Kurt Tucholsky, Unser Militär! Schriften gegen Krieg und Militarismus, Frankfurt a.M. 1962, S. 447 f. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 pa-akg Deutsche Herrschaft in der Ukraine Deutsche Herrschaft in der Ukraine 1918/19: 5Deutsche Truppen besetzen Kiew, 1. März 1918. N Wegweiser zum Vernichtungs­krieg? icht erst im Zweiten Weltkrieg gerieten große Gebiete Osteuro­ pas unter deutsche Herrschaft. Bereits im Ersten Weltkrieg besetzte das Deutsche Reich ab 1915 polnische wie baltische Gebiete des zaristischen Russlands. Im letzten Kriegsjahr 1918 kamen dann die Ukraine und Weißruss­ land unter deutsche (sowie österreichisch-ungarische) Kontrolle. Es ist erstaunlich, dass diese von Februar 1918 bis März 1919 dauernde Besatzungszeit bisher kaum erforscht ist. Dabei liegen die Vergleichsmöglichkeiten zu den Ereignissen in den Jahren 1941 bis 1944 – vor allem im Fall der Ukraine – auf der Hand: Beide Male spielte ein geostrategisches Kalkül eine wichtige Rolle, beide Male ging es aus deutscher Sicht gegen den »Bolschewismus« und beide Male kam es zu Auseinandersetzungen mit irregulären Kräften, also mit Partisanen. War bereits diese erste deutsche Besatzung in der Ukraine von 10 entgrenzter Gewalt gegen Partisanen, Partisanenverdächtige und Zivilbevölkerung begleitet? Welche Unterschiede und Ähnlichkeiten gab es in der Partisa­ nenbekämpfung 1918/19 und 1941 bis 1944? Stellte die Besatzung 1918 ­einen Wegweiser zum Vernichtungskrieg im Zweiten Weltkrieg dar? Schutzmacht Deutschland? Seit 1917 war das ehemals zaristische Vielvölkerreich Russland durch Revolutionswirren in seinen Grundfesten erschüttert. Die einzelnen »Nationen« strebten nach Unabhängigkeit, so auch die Ukraine, wo sich Mitte 1917 eine ­eigene Regierung, die sogenannte »Rada«, bildete. Am 20. November 1917 verkündete sie die »Ukrainische Volksrepublik« und erklärte sie zunächst für autonom, wenig später folgte die Unabhängigkeitserklärung. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 Die »Rada« war ein Sammelsurium von Parteien unterschiedlichster Couleur: Bürgerliche, Sozialisten und Sozialrevolutionäre. Ihre Herrschaft stand von Beginn an auf wackeligen Füßen, denn von Moskau unterstützt, reklamierten auch die Bolschewiki die Macht in Kiew für sich. Wollte die »Rada« politisch überleben, brauchte sie unbedingt Unterstützung von außen. Sie setzte auf die Mittelmächte. Während das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn mit dem bolschewistischen Russland in BrestLitowsk Friedensgespräche führten, tauchte unerwartet eine Delegation der Ukrainischen Volksrepublik am Verhandlungsort auf und besprach mit den Bevollmächtigten des Deutschen Reiches im Geheimen mögliche Hilfeleistungen. Als am 8. Februar 1918 die Bolschewiki die »Rada« in Kiew stürzten, sah sich die ukrainische Delegation zum Handeln gezwungen und vor dem ehemaligen Gouvernementsgebäude in Brest-Litowsk während der ­Friedensverhandlungen im Februar 1918. schloss spontan ein Bündnis mit dem Deutschen Reich: Deutsche Truppen sollten die Bolschewiki vertreiben und die »Rada« wieder an die Macht bringen. Im Gegenzug versprach die ukrainische Seite umfangreiche Getreidelieferungen. Die deutsche Regierung setzte darauf große Hoffnungen, hatte doch die britische Seeblockade seit 1914 zu einer katastrophalen Versorgungslage in der Heimat geführt. Ab dem 18. Februar 1918 marschier­ ten Truppen der Heeresgruppen (Alexander von) Linsingen und (Hermann von) Eichhorn offiziell als Schutzmächte der »Rada« in die Ukraine ein. Die Deutschen drangen in diesem »Eisenbahnfeldzug« schnell in das Innere des Landes vor und vertrieben die schlecht organisierten regulären und irregulä­ ren Truppen der Bolschewiki. Auch Österreich-Ungarn schloss sich einige Tage später diesem »Eisenbahnfeldzug« an, wollte es sich doch auch einen Teil der scheinbar leichten Beute sichern. Während die nördliche Ukraine sowie die Krim unter deutsche Kontrolle fielen, wurde Österreich-Ungarn ein breiter Besatzungsstreifen in der Südukraine zugestanden. Die deutschen Besatzungsverbände bestanden überwiegend aus zweit- und drittklassigen Landwehrdivisionen oder gar dem Landsturm, der zum Teil aus nicht ausgebildeten, älteren Männern bestand. Darüber hinaus sah dieser Kriegsschauplatz einen der letzten großen Einsätze der Kavallerie: Als schnelle und mobile Eingreiftruppe sollte sie sich hervorragend zur Aufstandsbekämpfung eignen. Offiziell waren die Mittelmächte jedoch keine Besatzer. Vielmehr hob man nach der Einnahme Kiews Anfang März die »Rada« wieder in den Regierungssattel, doch war ihre Macht sehr schwach: Ihre Politiker waren jung und unerfahren, in der eigenen Bevölkerung fanden sie kaum Rückhalt, und ein eigenes ukrainisches Nationalgefühl war nur schwach entwickelt. Als schwerste Hypothek für das deutschukrainische Verhältnis erwiesen sich die versprochenen umfangreichen Getreidelieferungen. Die Ukraine erfüllte die Zusage bei Weitem nicht; Spannungen zwischen dem deutschen Militär und der ukrainischen Regierung waren die Folge. pa-akg pa-akg 5Mitglieder der ukrainischen Delegation im Gespräch mit deutschen Offizieren warnte die 9. Armee ihre Truppen vor Verhältnissen, die an den Einmarsch in Belgien im Sommer 1914 erinnern würden. Aufstandsbewegungen seien daher im Keime zu ersticken, bewaffnete Aufständische sofort zu exekutieren. In der Tat hatten bolschewistische Revolten weite Teile des Landes erschüttert. Im ganzen Land lagerten Waffen, die von ehemaligen zarischen Soldaten bei ihrer Rückkehr in die Heimat einfach mitgenommen worden waren. Diese Waffen konnten nun leicht von roten Partisanen beschlagnahmt werden, um das Land zu beunruhigen. Folglich waren die drei Hauptaufgaben der deutschen Truppen zunächst: das Einbringen von Getreide, das Einsammeln der Waffen und die Bekämpfung der bolschewistischen Aufständischen. Dabei kam es vergleichsweise häufig zu Exzessen. Unschuldige Zivilisten wurden getötet, ganze Dörfer angezündet. Mit gefangenen Bolschewiki machte man zumeist kurzen Prozess, wenngleich man hinzufügen muss, dass diese wohl nur selten die Bedingungen der Haager Landkriegsordnung von 1907 erfüllten, um als Kombattanten anerkannt zu Das Verhalten deutscher Truppen Um sich das versprochene Getreide dennoch zu sichern, zogen deutsche Truppen durch das Land und beschlagnahmten Bestände ohne Rücksicht auf die Belange der einheimischen Zivilbevölkerung. Dies verschlechterte natürlich das Verhältnis zwischen Schutzmacht und Schutzbefohlenen. Dabei war beim Einmarsch im Februar 1918 noch in mehreren Befehlen betont worden, man sei von der ukrainischen Regierung als befreundete Schutzmacht und Befreier vom Bolschewismus ins Land gerufen worden. Bald erhoben sich aber auch andere Stimmen. So 5Generalfeldmarschall Hermann von Eichhorn, um 1917. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 11 Deutsche Herrschaft in der Ukraine 12 zungen in der ukrainischen Innenpolitik. Anfang Mai 1918 kam es zu einem Staatsstreich des ehemaligen zarischen Generals Pawlo Skoropadskij gegen die »Rada«, woran die Deutschen vermutlich beteiligt waren. Skoropadskij ließ sich zum »Hetman der Ukraine« ausrufen. Er entsprach damit einem »Reichsverweser« bzw. »Militärbefehls­ haber« und bildete ein deutschhöriges autoritäres Regime. Wie die »Rada« war auch diese neue Regierung bei der Bevölkerung unbeliebt, aber zumindest hatten die Deutschen einen Partner gefunden, mit dem sie zusammenarbeiten konnten. Deutsch-ukrainische ­Zusammenarbeit Im Juli 1918 erließen die Hetman-Regie­ rung und die Heeresgruppe Eichhorn Anordnungen zur Zusammenarbeit von ukrainischen und deutschen Stellen. Bei der Unterdrückung von Unruhen wollten beide Seiten eng kooperieren. Listen mit Verdächtigen und Rä­ dels­führern sollten geführt werden, damit Missverständnisse beseitigt würden, die bisher »oft zu Massenbestrafungen, wie z.B. Abbrennen von Dörfern« geführt hatten. Zusätzlich wurden ein bewaffneter Selbstschutz in den Dörfern aufgestellt, sodass sich die Bevölkerung selbst gegen die umherziehenden bolsche­wis­ti­ schen Partisanen wehren konnte, ­sowie ein Agentennetz installiert. Weiterhin erfolgte die Aufstellung einer ukraini­ schen Miliz, die aber als un­zuverlässig galt und bei der Bevölkerung wegen ihrer mangelnden Disziplin eher für Beunruhigung denn für Ruhe sorgte. Dennoch war der Einsatz landeseigener Kräfte aufs Ganze gesehen ein Erfolg und trug nicht unwesentlich zur Befriedung der Ukraine bei. Ab Septem­ ber/Oktober 1918 wurde eine »Ukraini­ sierung«, also die Besetzung von Schlüs­ selpositionen mit Ukrainern, offizielle Besatzungspolitik. Die deutsche Aufstandsbekämpfung hatte sich somit gewandelt. Ignoranz und Härte gegenüber der Regierung und den Einheimischen wichen einer Kooperation zwischen deutschen und ukrainischen Stellen sowie einer maßvollen Behandlung der Zivilbevölkerung. Vergleichsweise schnell gelang Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 es nun, die bolschewistischen Partisanen erfolgreich zu bekämpfen und das Land zumindest äußerlich zu befrieden. So kam es im deutsch kontrollier­ten Teil der Ukraine während des Sommers und Herbstes kaum mehr zu Aufständen – ganz im Gegensatz übrigens zum österreichisch-ungarischen Sektor, wo eine Neuorientierung in der Aufstandsbekämpfung nicht stattgefunden hatte. Eine spektakuläre Ausnahme bildete die Ermordung des Generalfeldmarschalls Hermann von Eichhorn durch einen Sozialrevolutionär am 30. Juli 1918 in Kiew. Bezeichnenderweise folgten aber diesem ­Atten­tat auf den höchsten deutschen Repräsentanten in der Ukraine keine Repressalien. Antisemitismus als Konstante deutscher Besatzungspolitik Eine Konstante in der Besatzungspolitik 1918/19 und 1941/44 bildete sicherlich der Antisemitismus des deutschen Militärs. So lassen sich in den Militär­ akten aus dem Jahr 1918 immer wieder antisemitische Äußerungen finden mit dem bekannten Stereotyp der Gleichsetzung von Juden und Bolschewiki. »Die Juden sind die natürlichen Feinde der Ordnung und damit Anhänger des pa-akg werden. Lapidar berichtete eine Brigade der Bayerischen Kavallerie-Division beim Vormarsch auf die KrimHalbinsel im April, man habe prinzipiell keine Gefangenen gemacht. Dies habe sich außerordentlich bewährt, da so Angst und Schrecken beim Gegner verbreitet worden seien. Besonders drastisch war der Vorfall am Mius-See im Südosten der Ukraine Anfang Juni 1918. Bolschewistische Truppen wollten dort in einem amphibischen Unternehmen den Deutschen in den Rücken fallen, was aber bereits nach zwei Tagen scheiterte. Anschließend ließ der deutsche Kommandeur in diesem Gebiet, Oberst Arthur Bopp, sämtliche Gefangene erschießen. Die Zahl der Toten dürfte bei etwa 3000 gelegen haben und es bleibt bis heute ­unklar, wieviele Zivilisten aus den umliegenden Orten sich unter den Opfern befanden. Dieser Vorfall wurde sogar im deutschen Reichstag debattiert und die Heeresgruppe Eichhorn verlangte eine genaue Untersuchung der Ereignisse, die jedoch keine Ergebnisse zei­ tigte bzw. ohne Folgen blieb. Es ist aber davon auszugehen, dass dieses Massaker am Mius-See in seiner Dimension eine Ausnahme während der Besatzungszeit darstellte. Allerdings setzte genau in diesen Monaten Mai/Juni 1918 auf deutscher Seite ein Umdenkprozess ein. Man erkannte, dass ein blindes Drauflosschlagen zwar eine kurzfristige Beruhigung, keinesfalls aber eine dauerhafte Befriedung des Landes ermöglichte und Ausschreitungen deutscher Truppen die ländliche Bevölkerung nur in die Arme der Bolschewiki trieben. Letztendlich, so die Heeresgruppe Eichhorn, würden nur gut zehn Prozent der Landbevölkerung die Bolschewiki unterstützen. Das Niederbrennen von Häusern wurde daher ausdrücklich verboten, mutmaßliche Täter sollten den Feldgerichten überantwortet werden. Bei Verhaftungen von Verdächtigen mussten stets der genaue Sachverhalt angegeben und Zeugen genannt werden, da man sonst kein rechtmäßiges Verfahren eröffnen konnte und man die Verdächtigen wieder freilassen musste. Anordnungen einer reinen Willkürherrschaft hätten sicherlich anders ausgesehen. Begünstigt wurde diese Entwicklung für die deutsche Seite durch Umwäl- 5Kaiser Wilhelm II. empfängt den Hetmann der Ukraine, Pawlo Skoropadskij. Deutsches Pressefoto, 1918. Bolschewismus«, behauptete die Heeresgruppe Eichhorn-Kiew, so die Bezeichnung der Heeresgruppe vom 31. März bis 30. April 1918, in einem zentralen Befehl vom April 1918. Besonders drastisch wurde der Kommandeur der Bayerischen Kavallerie-Division in einem Lagebericht vom Juni 1918: »Die Juden sind die Haupthetzer im Lande. Solange wir ihnen nicht das Handwerk legen, wird niemals Ruhe im Lande eintreten.« Daher müssten »schärfste Maßnahmen« angewandt werden. Selbst der Kommandeur der 15. Bayerischen Reserve-Infanterie-Brigade stieß in das antisemitische Horn – obwohl seine eigene Frau Jüdin war. Im Gegensatz zum Zweiten Weltkrieg unterschieden sich aber 1918 Rhetorik und Praxis. So kam es während der deutschen Besatzungszeit 1918 zu keinen antijüdischen Maßnahmen. Im Gegenteil: Mittels der Akten lassen sich Fälle belegen, wo deutsche Truppen Juden vor der Gewalt der aufgebrachten ukrainischen Bevölkerung beschützten. Erst nach dem deutschen Abzug kam es in Galizien 1918/19 zu Massenpogromen der einheimischen Bevölkerung gegen ihre jüdischen Mitbürger mit mehreren tausend Opfern. Auch wenn es die Deutschen im Som­ mer 1918 geschafft hatten, der Ukraine noch einmal eine Phase der relativen Ruhe zu bescheren, stand die Regierung des Hetman weiterhin auf fragilen Füßen. Der ukrainische Staat konn­te nur durch die deutsche (und österreichischungarische) Truppenpräsenz bestehen. Als Sozialisten am 20. November 1918 die Regierung des Hetman stürzten, brach dessen Herrschaft im ganzen Land wie ein Kartenhaus zusammen. Die Deutschen griffen auf Anweisung des neu gegründeten Soldatenrats der Heeresgruppe Kiew, wie die Heeresgruppe nach der Ermordung Eichhorns genannt wurde, nicht ein. Die Ukraine versank nun in einen chaotischen, unübersichtlichen und blutigen Bürgerkrieg. Bereits am 4. November 1918 war die sich in Auflösung befindliche österreichisch-ungarische Ostarmee überhas­ tet aus der Ukraine abgezogen. Die deutschen Truppen verblieben nach Absprachen mit der Entente noch mehrere Wochen in der Ukraine, um dort die Ordnung einigermaßen aufrechtzuerhalten. Doch kam es nun auch im deutschen Heer zu Zerfallserscheinungen. Schnell zerstoben die Pläne der Heeresgruppe Kiew, FreiwilligenFormationen aufzustellen, um Teile der Ukraine für deutsche Interessen noch weiterhin besetzt zu halten. So zogen sich trotz der teilweise feindlichen und drohenden Haltung der Bürgerkriegsparteien die deutschen Einheiten bis März 1919 ohne größere Zwischenfälle aus der Ukraine zurück. Die erste deutsche Herrschaft im Osten im 20. Jahrhundert war damit zu Ende. Welche Erkenntnisse lassen sich aus der knapp einjährigen deutschen Besatzung der Ukraine 1918/19 ziehen? Sicherlich setzte man in beiden Weltkriegen vor allem zu Beginn auf Härte. Die Terminologie der Befehle von 1918 ähnelt teilweise sehr stark jenen des Unternehmens »Barbarossa« ab 1941: So wurde »rücksichtsloses« Vorgehen verlangt, die Juden wurden als »Hetzer« bezeichnet. Außerdem verfuhr man mit gefangenen Partisanen genauso wie später im Zweiten Weltkrieg: Sie wurden erschossen oder gehängt. Auch das Niederbrennen von ganzen Dörfern als Repressalie lässt sich in beiden Weltkriegen finden. Von der befreundeten Macht zu den Eroberern neuen ­»Lebensraumes« Doch allgemein überwiegen die Unterschiede zwischen 1918/19 und 1941/44, sodass man insgesamt, was die Besatzungsherrschaft in der Ukraine 1918/19 betrifft, nicht von einem Wegweiser zum Vernichtungskrieg sprechen kann. Allein die politischen Rahmenbedingungen der jeweiligen Besatzungen standen unter gänzlich anderen Vorzeichen: 1918 kam man zumindest offiziell als befreundete Macht in die Ukraine, 1941 als Eroberer neuen, deutschen »Lebensraumes«. Das zeigte sich auch in der Partisanenbekämpfung: Während man im Zweiten Weltkrieg erst 1943/44 offiziell von Terrorme­ thoden abrückte, geschah dies in der Ukraine nur wenige Monate nach der deutschen Besetzung im Februar 1918. Die Fähigkeit, aus den eigenen militärischen Fehlern schnell zu lernen – übrigens eine der traditionellen Leis­tun­ gen des preußisch-deutschen Militärs – war ein Charakteristikum der Partisa- nenbekämpfung 1918. Den Deutschen gelang es sogar schließlich, einen vergleichsweise modernen Ansatz zu finden: Sie versuchten, eng mit den ukrai­ nischen Stellen zusammenzuarbeiten, bauten einen bewaffneten Selbstschutz sowie ein Agentennetz auf und waren bemüht, ein gewisses Vertrauen bei der lokalen Bevölkerung zu gewinnen. Miss­griffe bei der Wahl der Mittel soll­ ten in der Partisanenbekämpfung ­verhindert werden, auch wenn dies nicht immer gelang. Hinzu kam der, wenngleich auch erfolglose, Wille, den ukrai­nischen Staat auf ein solides wirtschaftliches Fundament zu stellen. Die Sympathie der Einheimischen hatten die Deutschen jedoch durch ihr rabia­ tes Vorgehen bereits im Frühjahr 1918 größtenteils verspielt, und später galten sie als Beschützer der reaktionären Hetman-Regierung. Insgesamt hätten sich aber trotz aller Fehler aus der Besatzung der Ukraine 1918/19 viele Lehren für die Zukunft ziehen lassen. Doch eine positive Rückbesinnung auf die weitgehend erfolgreiche Partisanen­ bekämpfung 1918/19 fand in der Zwi­ schen­kriegszeit nicht statt. Hitler selbst lehnte eine Besatzung nach dem Mus­ter von 1918/19 ab. War die Armee im Ersten Weltkrieg noch traditionelles Werkzeug der Politik, so sollte sie im Zweiten Weltkrieg Träger einer menschenverachtenden Ideologie sein, was im Übri­ gen auch für die Rote Armee galt. Das alles sollte katastrophale Folgen für die zweite deutsche Besatzung im Osten gut zwei Jahrzehnte später haben. Peter Lieb Literaturtipps Winfried Baumgart, Deutsche Ostpolitik 1918. Von BrestLitowsk bis zum Ende des Ersten Weltkrieges, Wien, München 1966. Von Brest-Litovsk zur deutschen Novemberrevolution. Aus den Tagebüchern, Briefen und Aufzeichnungen von Alfons Paquet, Wilhelm Groener und Albert Hopman. März bis November 1918. Mit einem Vorwort von Hans Herzfeld, Göttingen 1971. Frank Grelka, Die ukrainische Nationalbewegung unter deutscher Besatzungsherrschaft 1918 und 1941/42, Wiesbaden 2005. Peter Lieb, Aufstandsbekämpfung im strategischen Dilemma. Deutsche Besatzung in der Ukraine 1918. In: Wolfram Dornik und Stefan Karner (Hrsg.), Die Besatzung der Ukraine 1918. Historischer Kontext – Forschungsstand – wirtschaftliche und soziale Folgen, Graz 2008. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 13 Quell(en) deutscher Militärgeschichte Freikorps 1918–1920 Das Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg i.Br. Quell(en) deutscher Militärgeschichte von 1864 bis heute I n einem Außenbezirk der südbadischen Stadt Freiburg, inmitten von Gewerbe- und Wohnanlagen, liegt eine Einrichtung, deren weitläufiges Areal mit mehreren fußballfeldgroßen Lagerhallen an ein Speditionsgelände erinnert. Hier befindet sich das Bundesarchiv-Militärarchiv. Die hohen Hallenmauern schützen etwas ganz Besonderes: die amtlichen Unterlagen deutscher Streitkräfte seit dem Jahre 1864 bis hin zur Bundeswehr der Gegenwart. Im Jahre 2008 beläuft sich der Gesamtumfang des hier verwahrten Archivguts auf nahezu 55 Regalkilometer. Siebzig Mitarbeiter sorgen dafür, dass das kulturelle Erbe deutscher Streitkräfte für die Zukunft erhalten und für die Benutzung durch die Bundeswehr, Wissenschaftler sowie für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die meisten militärischen Unterlagen deutscher Herkunft, soweit sie Kriegseinwirkungen und systematische Vernichtung überstanden hatten, von den Siegermächten ins Ausland verbracht. Die Rückgaben erfolgten langsam und wurden über die Bundeswehr abgewickelt. Zu diesem Zweck wurde eine Dokumentensammelstelle im Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA) eingerichtet, das ab 1958 in Freiburg ansässig war. Mit dem Ziel, die Überlieferung der deutschen Streitkräfte an einem Ort zu vereinen, verlegte das Bundesarchiv seine Abteilung Militärarchiv im Jahre 1968 von Koblenz nach Freiburg; sie nimmt seither die Aufgabe eines zentralen Militärarchivs wahr. Im Rahmen eines fiktiven Archivrundgangs sollen im Folgenden anhand Magazinhalle des BundesarchivMilitärarchivs, Freiburg i.Br. 14 Militärgeschichte ·· Zeitschrift Zeitschrift für für historische historische Bildung Bildung ·· Ausgabe Ausgabe 3/2008 4/2008 Militärgeschichte ausgewählter Beispiele die Einzigartigkeit des in Freiburg verwahrten Archivguts und seine Vielgestaltigkeit vorgestellt sowie seine Bedeutung für die Erforschung der deutschen Militärgeschichte gezeigt werden. Der erste Eindruck von den großräumigen, doppelstöckigen Magazinhallen ist nüchtern. In den riesigen Regalanlagen werden die Archivalien zum Schutz vor Schmutz, Staub, Licht und vor Beschädigung in Tausenden grauer Archivkartons aufbewahrt. Doch der Blick zwischen die Regalböden offenbart klangvolle Namen wie Moltke, Tirpitz, Fritsch, Halder, Ruge oder Heusinger. Hier liegen die privat-dienstlichen Unterlagen bedeutsamer Persönlichkeiten der deutschen Militärgeschichte, die man als Nachlässe bezeichnet. Doch auch aus dem Besitz weniger bekannter Personen lagern hier Unterlagen mit großer Aussagekraft. Ein Beispiel dafür bietet der aus nur wenigen Archivalien bestehende Nachlass der Gebrüder Koethe (BArch, N 557). Archivbestände Das Bundesarchiv-Militärarchiv verwahrt Akten und andere Quellen der preußisch-deutschen Armee seit den Einigungskriegen, des Deutschen Heeres und der Kaiserlichen Marine bis zum Ende des Ersten Weltkrieges sowie der Reichswehr, Wehrmacht, Waffen-SS wie auch der Nationalen Volksarmee und der Bundeswehr. Hinzu kommen Tagebücher, Feldpostbriefe und Fotoalben mit militärgeschichtlichem Bezug aus über 800 privaten Nachlässen deutscher Militärangehöriger des 19. und 20. Jahrhunderts. Ernst Koethe nahm als junger Offizier an den Schlachten in Frankreich in den Jahren 1914 bis 1916 sowie am Feldzug gegen Rumänien im Jahre 1917 teil. Eine Akte enthält die erhalten gebliebenen Personalunterlagen, mit deren Hilfe sich die Biografie des Ernst Koethe im Wesentlichen rekonstruieren lässt. Eine aufwändig gestaltete Hörsaalzeitung aus der Zeit der Generalstabsausbildung Ernst Koethes an der preußischen Kriegsakademie zu Berlin in den Jahren 1905/07 lässt die Vergangenheit in ebenso alltagsnaher wie humoriger Art präsent werden. Die Ernennungsurkunde Koethes zum Hauptmann im Jahre 1911 wurde, wie damals üblich, vom Monarchen persönlich unterzeichnet. Daneben liegen Briefwechsel und ein Konvolut mit Flugblättern, Frontzeitungen, Tagesbefehlen und vielen anderen Erinnerungsstücken aus dem fast ein halbes Jahrhundert währenden Soldatenleben. Die eigentliche Aufmerksamkeit zieht jedoch ein Stapel Fotoalben auf sich, worin Ernst Koethe seine Erlebnisse während des Ersten Weltkrieges festgehalten hat. Eindrucksvoll sind beispielsweise die vielen Aufnahmen des Grabenkrieges vor Verdun im Jahre 1915/16. Nicht minder interessant sind aber auch die charakteristischen Momentaufnahmen vom Soldatenalltag im rückwärtigen Bereich: Befehlsausgaben, Kantinenbetrieb in einem unterirdischen Stollen, Berge frischgebackenen Kommisbrotes oder die zahnärztliche Versorgung im Felde. Zusammen mit dem Nachlass Ernst Koethes kamen auch Unterlagen seines Bruders Bernhard in das Archiv. Von Bernhard Koethe wissen wir nur sehr wenig. Er war Angehöriger des Expeditionskorps, welches das Deutsche Reich im Jahre 1900/01 zur Nie- derschlagung des sogenannten Boxeraufstandes nach China entsandte. Bernhard Koethe hat uns aus dieser Zeit ein ausführliches Tagebuch sowie ein opulentes Fotoalbum hinterlassen, die uns die Erlebnisse und Gedankenwelt des Zeitgenossen auch mehr als einhundert Jahre danach nacherleben lassen. Die Fotoaufnahmen veranschaulichen Land und Kultur, sie verstören aber auch durch die Dokumentation kriegerischer Gewalt, Zerstörung und menschlichen Elends. Auszug aus der »Übersichtskarte der Operationen« (BArch, N 43/141 K) der Großen Generalstabsreise West 1905 Alfred Graf von Schlieffens. offiziere der Roten Armee zu liquidieren (der sogenannte Kommissarbefehl) oder die präventive Amnestie für Übergriffe von Wehrmachtangehörigen gegen die Zivilbevölkerung der besetzten Gebiete im Osten (»Kriegsgerichtsbarkeitserlass«). In großer Zahl dokumentieren die Kriegstagebücher der Einsatz mit Gasmasken im Frankreichfeldzug 1915. Foto aus dem Privatnachlass der Brüder Koethe (BArch, N 557/24, unpag.). In einem anderen Magazinbereich zeugen endlos scheinende Aktenreihen von der Tätigkeit des Wehrmachtführungsstabes im Oberkommando der Wehrmacht (OKW) und der Generalstäbe von Heer und Luftwaffe sowie der Seekriegsleitung. Ein Aktenband enthält Ausfertigungen von Hitlers Weisungen für die Kriegführung aus den Jahren 1939 bis 1945; zahlreich sind verbrecherische Befehle, etwa die Aufforderung, kriegsgefangene Polit- Heeresgruppen, Armeen und Divisionen das Kampfgeschehen. Dramatisches offenbart der Blick in einen Anlagenband zum Kriegstagebuch der Heeresgruppe Don aus dem Jahre 1943. Darin befindet sich ein Funkspruch von General Friedrich Paulus, Oberbefehlshaber der 6. Armee, vom 22. Januar 1943. Unter Aufbietung aller Kräfte hatte die seit dem 23. November 1942 durch eine großangelegte Gegenoffensive der Roten Armee in Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 3/2008 15 Quell(en) deutscher Militärgeschichte Freikorps 1918–1920 Stalingrad eingeschlossene 6. Armee den Zusammenhang ihrer Verbände wahren und die Aufspaltung des Kessels verhindern können. Nun meldete Paulus: »Russe im Vorgehen in 6 km Breite beiderseits Woroponow, zum Teil mit entrollten Fahnen nach Osten. Keine Möglichkeit mehr, Lücke zu schließen. Zurücknahme in Nachbarfronten, die auch ohne Munition, zwecklos und nicht durchführbar. Ausgleich mit Munition von anderen Fronten auch nicht mehr möglich. Verpflegung zu Ende. Über 12 000 unversorgte Verwundete im Kessel. Welche Befehle soll ich den Truppen geben, die keine Munition mehr haben und weiter mit starker Artillerie, Panzern und Infanteriemassen angegriffen werden.« (BArch, RH 19 VI/42, Bl. 60). Das Studium dieses und anderer im Regal liegender Aktenbände offenbart die Apokalypse, die Tausende deutsche Soldaten bei bitterer Kälte in der Trümmerwüste von Stalingrad erlebten, bis die Kämpfe am 2. Februar 1943 ihr Ende fanden und 110 000 von ihnen erschöpft und halb verhungert den Gang in die sowjetische Kriegsgefangenschaft antraten. Und das Archivgut belegt: Stalingrad war kein heroischer Opfergang; das Desaster war aufgrund falscher Lagebeurteilungen und einer katastrophalen Versorgungslage bereits vor der Einschließung der 6. Armee absehbar! Andere Akten aus der Zeit der Wehrmacht zeigen, wie Regime und Wehrmachtführung versuchten, die Soldaten im Sinne der NS-Ideologie zu beeinflussen. Erhalten gebliebene Prüfberichte der Feldpostzensur aus den Jahren 1944/45 belegen, dass sich die besiegte Wehrmacht zunehmend auflöste. Vom Schicksal derer, die wegen jugendlicher Unbekümmertheit, Zweifel, Opposition oder Verweigerung in die Mühlen einer mit fortschreitendem Krieg immer hemmungslos-brutaler agierenden Wehrmachtjustiz gerieten, künden Tausende von Gerichtsakten. In einer anderen Magazinhalle signalisiert die an einem Magazinregal angebrachte Bestandsbezeichnung DVW 1, dass hier die Unterlagen des Ministeriums für Nationale Verteidigung der DDR gelagert werden. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands wur- 16 In der Nacht vom 23. Februar 1940 war gegen 0.32 Uhr ein Flugzeug von der Marineflak vor der Insel Borkum für ein gegnerisches gehalten und abgeschossen worden. Daraufhin erfolgte am 26. Februar 1940 eine Führerweisung (BArch, RM 7/962, Bl.105; vgl. Kriegstagebuch der Seekriegsleitung 1939–1945, Teil A, Bd 6: Februar 1946, Herford, Bonn 1988, Bl. 94, S.179-A). de der gesamte Bestand des Militärarchivs der DDR in den Bestand des Bundesarchiv-Militärarchivs überführt. Daneben fanden weitere Unterlagen zur Militärgeschichte der DDR Eingang in das Freiburger Militärarchiv. In den mit den Signaturen DVW 1/ 39458-39539 beschrifteten Archivkartons befinden sich die ehemals streng geheim gehaltenen Protokolle des Nationalen Verteidigungsrates (NVR), die auf Initiative eines Berliner Bürgerkomitees im Jahre 1990 vor der bereits laufenden Aktenvernichtung gesichert wurden. Der NVR wurde per Gesetz im Jahre 1960 zur Lenkung der Landesverteidigung eingesetzt. Der NVR nahm in der Organisation der Landesverteidigung der DDR eine Spitzenfunktion ein. Formal war das Politbüro der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) das höchste Führungsgremium der DDR, das Regierung und Staatsapparat als ausführenden Organen Beschlüsse und Weisungen vorgab. Das bedeutete jedoch nicht, dass hier alle wichtigen Staats- und Regierungsfragen entschieden wurden. Gerade für die zur Stützung des Regimes unverzichtbare Sicherheitspolitik schuf der SED-Vorsitzende Walter Ulbricht 1960 mit dem Nationalen Verteidigungsrat ein sicherheitspolitisches Führungszentrum. Beim NVR handelte es sich auch um ein zusätzliches Machtinstrument, das Ulbricht und später Erich Honecker dazu dienen sollte, ihren persönlichen Einfluss und die Vorrangstellung der SED zu sichern. 4/2008 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 3/2008 Schlägt der Leser das Protokoll der 16. Sitzung des NVR vom 20. September 1963 auf (BArch, DVW 1/39473), so stößt er auf Erörterungen der SED-Spitze unter anderem zu folgenden Themen: Zweifel an der politisch-moralischen Zuverlässigkeit der Grenztruppen; Abriss von Wohngebäuden, Produktionsstätten sowie Umsiedlung von Bürgern entlang des Grenzstreifens zu West-Berlin; Aufstellung sogenannter Arbeitsbataillone für Kriegsdienstverweigerer. Die Sitzungsprotokolle des NVR der DDR von 1960 bis 1989 wurden in einem gemeinsamen Projekt des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, des Bundesarchivs und des Instituts für Zeitgeschichte, gefördert durch die Bundesstiftung Aufarbeitung, ins Internet eingestellt und sind dort für jedermann abrufbar (www.nationaler-verteidigungsrat.de). Den umfangreichsten Teil des im Bundesarchiv-Militärarchiv verwahrten Archivguts machen inzwischen Unterlagen verschiedener Art aus (Aktenbände, Anlagekarten, Konstruktionszeichnungen, Fotos, Datenträger, Vorschriften), die vom Bundesministerium der Verteidigung und von Heer, Luftwaffe, Marine, der Streitkräftebasis, von den Wehrverwaltungen, aus dem Rüstungsbereich oder seitens der Rechtspflege (z.B. Truppendienstgerichte) abgegeben werden. Jedes Jahr kommen etwa vier Aktenkilometer neu hinzu. Das Archivgut zur Bundeswehrgeschichte ist jung, und vielfach unterliegen die Unterlagen der Geheimhaltung. Dies schränkt die Benutzung des Archivguts im Vergleich zu anderen Überlieferungen noch stark ein. Zu Fragen der Strategie, Organisation, der Führung und Ausbildung Archivbenutzung Das im Bundesarchiv-Militärarchiv lagernde Archivgut kann von jedermann genutzt werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Unterlagen keiner Geheimhaltung mehr unterliegen (gilt nur für Bundeswehrakten), älter als 30 Jahre sind und keine personenbezogenen Daten enthalten (z.B. Gerichts- oder Personalakten). In diesen Fällen bedarf die Benutzung der gesonderten rechtlichen Prüfung der Zugangs-, d.h. Benutzungsmöglichkeiten. Auf der Homepage des Bundesarchivs können sich Interessierte mit den Möglichkeiten der Archivrecherche vertraut machen. Sogenannte Findbücher bieten wichtige Hintergrundinformationen zu den einzelnen Beständen und unterstützen die systematische Recherche. Auch sonst bietet die Homepage des Bundesarchivs in Form von Dokumenten des Monats oder Internet-Gallerien ein attraktives Onlineangebot zu einer breiten Palette militärgeschichtlicher Themen. Bundesarchiv-Militärarchiv Wiesentalstraße 10, 79115 Freiburg Tel.: 0761/47817-0 Fax: 0761/47817-900 E-Mail: [email protected] Homepage: www.bundesarchiv.de sowie der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr unter den Bedingungen von Ost-West-Konfrontation und nuklearem Wettrüsten gibt das Archivgut Bedrückendes preis, wie die folgenden Beispiele zeigen: Unterrichtsmaterialien des »Atomlehroffiziers« an der Führungsakademie der Bundeswehr, die sich im Nachlass eines Lehrgangsteilnehmers erhalten haben, veranschaulichen, wie in den späten 1950er Jahren der Einsatz atomarer Gefechtsfeldwaffen theoretisch geübt wurde. Der taktisch-operative Einsatz von Atomwaffen war damals ein fester Bestandteil von Operationsplänen, mit deren Hilfe man die konventionelle Überlegenheit der Angriffskräfte der Warschauer-Pakt-Armeen zu kompensieren versuchte. Die atomare Feuerunterstützung der Kampftruppe war bei Planungen und Übungen notgedrungen zu einer solchen Selbstver- Übungsmaterial zum Atomlehrgang an der Führungsakademie der Bundeswehr, 5. bis 9. Mai 1958, Nachlass Freytag von Loringhoven (BArch, N 525/1, unpag.). ständlichkeit geworden, dass im Falle eines Krieges unvorstellbare Verwüstungen Deutschlands die sichere Folge gewesen wären. Eine in den Akten enthaltene Richtlinie für den Atomwaffeneinsatz vom damaligen Generalinspekteur Ulrich de Maizière aus dem Jahre 1966 mahnte an: »Bei dem Einsatz von Atomwaffen sind die Auswirkungen auf die eigene Bevölkerung und im Hinblick auf Erhaltung des eigenen Landes besonders zu beachten […] Durch die richtige Wahl des Ortes, der Art und Zeit des Einsatzes kann oft sowohl den militärischen Erfordernissen als auch der gebotenen Rücksichtnahme entsprochen werden.« (BArch, BH 2/160, S. 9; zit. nach: Die Bundeswehr 1955 bis 2005. Rückblenden, Einsichten, Perspektiven, München 2007, S. 312). Dass das Dilemma militärischer Verteidigungsplanung vor dem Hintergrund des atomaren Wettrüstens dem Militär bewusst war, belegt schon eine Ausarbeitung des Führungsstabes der Bundeswehr von Anfang 1959, worin man die grundlegende Frage aufwarf, ob im Falle eines Krieges die »Wiedereroberung eines ›Atomschlachtfeldes‹ nach Verlust der Substanz unseres Volkes« überhaupt noch sinnvoll sei (BArch, BW 17/42, Bl. 49; zit. nach Bruno Thoß, NATO-Strategie und nationale Verteidigungsplanung, München 2006, S. 727). Am Ende des »Rundgangs« soll noch etwas Besonderes vorgestellt werden: die Kartensammlung des Militärarchivs. Tausende besonders großformartiger Lagekarten des Generalstabes des Heeres zum Kampfgeschehen an der Ostfront 1941–1945 hängen von der Hallendecke. Wenige Meter entfernt werden nicht nur die Kartenwerke des Amtes für Geoinformationswesen der Bundeswehr, wie etwa Truppenübungsplatzkarten, verwahrt. In den Kartenschränken lagern auch die zahlreichen Kartenwerke des militärischen Geowesens der DDR. Deren geodätische und topgrafische Arbeiten unterlagen bis 1990 einer strikten Geheimhaltung; viele Kartenwerke existieren nur noch im BundesarchivMilitärarchiv. Dazu zählen beispielsweise die Karten der Grenzsicherung (1:10 000) und der Aufklärung (1:25 000), beides Spezialkarten der Grenztruppen der DDR. Beide Kartenwerke beziehen sich auf das Territorium des früheren West-Berlins. Eingetragen sind darin sämtliche militärisch relevanten Objekte wie öffentliche Gebäude, Lager, Kraftwerke, mögliche Einschränkungen der Passierbarkeit von Geländeabschnitten und vorbereitete Sprengschächte an wichtigen Brücken. Dargestellt werden auch die DDR-Grenzsicherungsanlagen. Die vorgestellten Beispiele und weiteres Archivgut zu den unterschiedlichsten Themen der deutschen Militärgeschichte können im Benutzersaal des Bundesarchiv-Militärarchivs eingesehen werden. Andreas Kunz Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 3/2008 17 Süddeutsche Zeitung/Scherl Preußische Eisenbahnen und Festungen im 19. Jahrhundert 5Mit der Eröffnung der ersten deutschen Eisenbahnlinie zwischen Nürnberg und Fürth 1835 begann auch das Militär, sich für die neue Technik zu interessieren. Preußische Eisenbahnen und Festungen im 19. Jahrhundert M it Staunen notierte der preußische Kronprinz und spätere deutsche Kaiser Friedrich III. (1831–1888) Anfang August 1870 in sein Tagebuch, dass er nie geglaubt hatte, einmal mit einer so großen Streitmacht noch vor den Franzosen am Rhein zu sein. Tatsächlich war es den deutschen Eisenbahnen gelungen, in nur drei Wochen rund 460 000 Mann an den Rhein zu transportieren. So konnten die preußisch-deutschen Armeen schon am 4. August 1870 mit doppelter Übermacht ihre Offensive gegen Frankreich eröffnen. 18 Der militärische Nutzen der ­Eisenbahnen Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts war mit dem raschen Ausbau der ersten vereinzelten Eisenbahnen zu einem ganz Deutschland verbindenden Streckennetz auch das Verständnis der Strategen für den militärischen Nutzen des neuen Transportmittels gewachsen. Schon 1842 hatte Preußen beschlossen, seine anfängliche Politik der ausschließlich privat finanzierten Eisenbahnen aufzugeben. Mit Zinsgarantien beteiligte sich Preußen am Auf- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 bau eines nationalen Eisenbahnnetzes, das im Kern aus fünf strategischen Bahnlinien bestehen sollte. Von nun an zogen die Militärs die Eisenbahnen vermehrt in ihre militärischen Planun­ gen ein. Der erste Militärtransport auf der Eisenbahn fand im Oktober 1839 auf der neuen Berlin-Potsdamer Eisenbahn statt. Drei Jahre später wurden auf derselben Strecke die ersten Truppenversuche mit dem Transport von Artillerie und Kavallerie durchgeführt und im Frühjahr 1846 erfolgte die Beförderung eines Observationskorps in Brigadestärke an die oberschlesische ullstein bild 5Preußische Beamte der Berlin-Potsdamer Eisenbahn, ca. 1863. Grenze. Als im Frühjahr 1848 in Euro­pa die Revolution ausbrach, war der strategische Nutzen der Eisenbahnen in militärischen Kreisen längst unbestritten. Tatsächlich gelang es den Regierun­ gen in Berlin und Wien, ihre politische Lage in den anschließenden Revolu­ tions­kämpfen mit Hilfe umfangreicher Eisenbahntransporte mit oft mehr als 10 000 Soldaten zu stabilisieren. Die bestandene militärische Bewährungsprobe der Eisenbahnen warf jedoch die Frage auf, wie sie sich mit den Festungen, neben dem Landheer der zweite Pfeiler der damaligen Kriegführung, zu einem neuen System der Landesverteidigung verbinden ließen. 1836 vertrat der Publizist und Eisenbahnpionier Friedrich List in einem Aufsatz in der Darmstädter »Allgemeinen Militärzeitung« die These, dass Deutschland durch ein Netz von Eisenbahnen in Zukunft zu einer einzigen großen Festung werde, da nun Truppen mit beliebiger Schnelligkeit von einem Ende des Landes zum anderen befördert werden könn­ten. Auf keinen Fall mochten sich jedoch die preußischen Offiziere der von List gezogenen Schlussfolgerung anschließen, dass durch die neuen Eisenbahnen bald alle Festungen überflüssig sein würden. Eisenbahnen contra Festungen Der Konflikt zwischen den Befürwortern der neuen Eisenbahnen und den Vertretern der traditionellen, sich auf die Festungen stützenden Landesverteidigung beschäftigte die preußische Armee bis in die 1850er Jahre. Anfangs behielten dabei die Vertreter des preußischen Ingenieur- und Pionierkorps als Befürworter des Festungswesens die Oberhand. Sie befürchteten vor allem eine Minderung des Verteidigungswer­ tes ihrer Festungen, sobald Eisenbah­ nen in deren Nähe geführt würden. Als in den 1830er Jahren die ersten Eisenbahnlinien im preußischen Rheinland projektiert wurden, galt für sie wie bisher für die Chausseen, dass sie Flüsse oder Landesgrenzen nur im Schutze von Festungen passieren durften, um einem Angreifer keine ungesicherte Umgehungsmöglichkeit zu bieten. Keinesfalls, so hieß es im preußischen »Rayonregulativ von 1828, dürften durch Dämme oder ähnliche bauliche Veränderungen »unbestrichene Räume« (Räume vor einer Festung, die von den Festungsgeschützen nicht getroffen werden konnten) entstehen und damit dem Feind Möglichkeiten geboten werden, sich der Festung in Deckung zu nähern. Als die 1837 geplante Taunusbahn von Frankfurt nach Mainz auch den Bereich der dortigen Bundesfestung berühren sollte, einigten sich daher die zuständigen Offiziere der Bundesmilitärkommission schnell auf einen umfangreichen Forderungskatalog, den sie an die Eisenbahngesellschaft richteten. Vor allem müsse, so das Militär, die Bahn direkt in den Festungsbereich geführt werden: Einerseits habe der Festungskommandant damit im Kriegsfalle die Kontrolle über sämtliches Betriebsmaterial der Gesellschaft. Andererseits entstünde, sofern die Bahn über den Rhein geführt würde, kein ungesicherter Flussübergang. Aus der Sicht der Strategen war es wiederum wichtig, dass die neuen Eisen­bahnen, ebenso wie bisher die Chausseen, möglichst viele Festungen miteinander verbanden. Erst so konnte ihrer Meinung nach ein preußisches Festungssystem entstehen, das den militärischen Wert der Festungswerke beträchtlich erhöhen würde. Eine preußische Denkschrift aus dem Jahre 1837 forderte daher auch, wichtige Orte, in denen Waffen und Kriegsbedürfnisse gelagert oder hergestellt wurden, sowohl untereinander als auch auf den kürzesten Wegen mit der Hauptstadt Berlin zu verbinden. Vermutlich war es der preußische Ingenieuroffizier und spätere General Friedrich From (1787–1857), der 1846 in einem Aufsatz im »Archiv für Offiziere des Königlich-Preußischen Artillerie- und Ingenieurkorps« forderte, dass an den Landesgrenzen Eisenbahnstrecken nur in Festungen enden und Eisenbahnüberquerungen wichtiger Flüsse nur in Festungen erfolgen sollten. Den Festungen wurde somit eine Sperrfunktion gegenüber Eisenbahnlinien zugewiesen. Ebenso wichtig war den Festungsspezialisten in der preußischen Armee, die Bahnhöfe im Vorgriff auf den Kriegsfall nach Möglichkeit nur in Festungen anzulegen. Dazu mussten wiederum die Festungen so angelegt oder erweitert werden, dass die Eisenbahnen in sie hinein oder in ihrem Schussbereich aus- und einmünden konnten. »Das Débouchée der Eisenbahnen«, also das Einführen der Bahntrasse in die Festung, sollte an der dem erwarteten feindlichen Angriff abgelegenen Seite der Festung erfolgen. Die Bahnstrecken sollten von der er- Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 19 Fotos: ullstein bild/Granher Collection Preußische Eisenbahnen und Festungen im 19. Jahrhundert 5Georg Friedrich List (1789–1846), Publizist und Eisenbahnpionier. warteten feindlichen Seite erst einen Bogen in angemessener Entfernung um die Festung machen, ehe sie dort einmündeten. Der langjährige Chef des preußischen Ingenieurkorps, General Ernst Ludwig von Aster (1778–1855), stand den neuen Eisenbahnen zeitlebens kritisch gegenüber. In einer Denkschrift aus dem Jahre 1844 forderte er, dass die Eisenbahnen nur bis zum dritten, äußeren Rayon an eine Festung herangeführt werden dürften, denn dort könnten sie durch die Festungsartillerie noch hinreichend »beherrscht« werden. Nur auf diese Weise ließen sich nach seiner Ansicht die zu hohen Kosten für die notwendigen Änderungen im Fes­tungs­ bereich einsparen, die bei einer Führung der Bahn durch die Umwallung anfallen würden. Asters Lösung lag jedoch nicht im kommerziellen Interesse der Eisenbahngesellschaften, die ihren Kunden lange Wege zu Bahnhöfen außer­halb der Städte nicht zumuten wollten. Aber auch der preußische Kriegsminister Hermann von Boyen (1771–1848) mochte sich Asters Ansich­ ten nicht anschließen und trat für eine besondere Prüfung in jedem einzelnen Fall ein. Magdeburg, Minden, Stettin, Koblenz Schon 1840 war in der Festung Magdeburg, einer der größten Festungen Preußens, die Einführung der Magdeburg-Leipziger Bahn in die Stadt ohne wesentliche bauliche Veränderungen der Festungsanlagen gelungen. Eine 20 5Hermann von Boyen (1771–1848), preußischer Kriegsminister. Musterlösung für das Problem von Eisenbahnen und Festungen war damit jedoch nicht gefunden worden. So wurde in Wesel am Rhein der Bahnhof der Oberhausen-Arnheimer Eisenbahn in den Rayonbereich der Festung gelegt. Im Falle der Festung Minden beschloss das Kriegsministerium eine ­besondere Befestigung des auf dem rechten Weserufer anzulegenden großen Bahnhofes. Man errichtete dazu bis 1852 drei selbstständige Forts, die durch eine Walllinie miteinander verbunden wurden, wodurch ein geräumiger, befestigter Bahnhofsbereich entstand. Dieser diente zugleich als rechter Weserbrückenkopf der Haupt­fes­ tung. In Stettin wiederum sollte der Bahnhof unmittelbar vor den alten Befestigungen angelegt werden. Aufgrund eines längst als notwendig erkannten Erweiterungsbaus in den Jahren 1847 bis 1851 wurde er aber in die neue Befestigung einbezogen. Besondere Bedenken hatten die Militärs hier auch aus maritimer Sicht, da der Hafen von Swinemünde gänzlich unbefestigt und somit dem Zugriff jeder feindlichen Flotte ausgesetzt sei. Die Anlage der strategisch wichtigen Ostbahn von Stettin entlang der pommerschen Küs­te nach Danzig kam für die Armee auch aus diesem Grunde nicht in Frage. Entgegen der vorwiegend »fortifikatorischen« Sichtweise der Ingenieure legten die Offiziere des preußischen Generalstabes besonderen Wert auf eine Erleichterung des Transportes von Nachschub und Truppen mit der Eisen­ bahn. In den Festungen sahen sie vor allem die zukünftigen geschützten Um­ Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 schlagpunkte in einem großen Eisenbahnnetz. Grundsätzlich bestand ein hohes militärisches Interesse daran, die Bahnhöfe wichtiger Linien innerhalb der Festungen anzulegen, um auch im drohenden Kriegsfall den Eisenbahnbetrieb so lange wie möglich aufrechtzuerhalten. So entfiele nach Meinung der Generalstabsoffiziere auch die weitreichende Entscheidung zur rechtzeitigen Zerstörung des vor einer Festung angelegten Bahnhofes. Diese Maßnahme hätte schon lange vor dem Auftreten des ersten Feindes den Nachschub von Kriegsmaterial und Verpflegung erheblich beeinträchtigt und ­zudem unweigerlich zu Entschädigungsforderungen der zivilen Eisenbahngesellschaften geführt. Aus diesem Grunde forderte 1857 der Kommandeur der 3. Ingenieurinspektion, Generalmajor Friedrich Leopold Fischer (1798–1857), beim Bau der Eisenbahnstrecke von Köln nach Koblenz beiderseits des Rheins, den Bahnhof Koblenz innerhalb der westlichen Umwallung der bedeutendsten preußischen Fes­ tungs­stadt anzulegen. Die Stadt musste sogar hinnehmen, dass eine Eisenbahn innerhalb der Wallanlage durch Wohngebiete zum Rhein führte. Dort stellte seit 1864 die heutige »Pfaffendorfer Brü­cke« als Eisenbahnbrücke im Schutz der Festung und ihrer Artillerie eine Verbindung zur strategisch wichtigen Lahntalstrecke und zur Festung Ehrenbreitstein am anderen Rheinufer her. Erst nachdem die Doppelfestung Koblenz durch die neuen Grenzziehungen zu Frankreich ihre militärische Bedeutung verloren hatte, konnte 1879 mit ­einer neuen Eisenbahnbrücke bei Horch­ heim der Rhein endlich an einer verkehrstechnisch günstigeren Stelle überquert werden. Die Berlin-Hamburger Bahn und die Ostbahn Weit blickende Militärs hatten schon früh die Ansicht vertreten, dass Eisenbahnen durch ihre Möglichkeit der schnellen Truppenkonzentration an bedrohten Frontabschnitten Lücken im eigenen Festungssystem schließen würden. Dies könne den Bau neuer Festungen überhaupt überflüssig machen. So äußerte sich in einer Denkschrift der Berlin-Hamburger-Eisen- ullstein bild/histopics 5Strategisch wichtige Eisenbahnbrücke: Die Pfaffendorfer Brücke in Koblenz, Aufnahme zwischen 1890 und 1900. bahngesellschaft vom November 1842 der Major Helmuth von Moltke, damals noch Vorstandsmitglied der Gesellschaft, über den militärischen Nutzen einer Bahnlinie entlang des Elb­ ufers. Auf dem rechten Ufer der Elbe waren von Magdeburg flussabwärts keine Festungen vorhanden. Eine Eisen­ bahnstrecke von Berlin nach Hamburg auf dem östlichen Ufer ermöglichte es, so Moltke, zu jedem bedrohten Punkt in kurzer Zeit Truppen zu dirigieren, ohne dass sie sich jedoch dem Fluss näherten und dem feindlichen Feuer vom jenseitigen Ufer aussetzten. Dass im preußischen Kriegsministerium bald auch darüber nachgedacht wurde, Eisenbahnen und Festungen gemeinsam für eine offensive Kriegführung zu nutzen, zeigte sich spätestens bei den ministeriellen Beratungen über den Verlauf der Ostbahngleise von Berlin nach Danzig 1844/45. Hierbei hatte sich Kriegsminister von ­Boyen im Staatsministerium mit Erfolg dafür eingesetzt, die Eisenbahn auf einer mittleren Linie über Küstrin und, geschützt von Warthe und Netze, in die Nähe der Weichselfestung Thorn zu führen. Thorn besitze als Waffenplatz den Vorteil einer offensiven Lage gegen die vermuteten wichtigen russi­ schen Operationslinien Richtung Posen und Breslau. Eine Eisenbahn könne Preußen in den Stand versetzen, schnell Truppen und Kriegsmaterial heranzuführen, und zugleich die Möglichkeit bieten, den feindlichen Truppen »von dort aus auf den Hals zu fallen, ihre Kommunikationen und Flanken zu bedrohen, und auf diese Weise Breslau und Posen am wirksamsten zu verteidigen«. Eisenbahn und Festung sollten sich hier also in der Vorstellung der Armeeführung ergänzen und eine offensive Kriegführung, zumindest auf operativer Ebene, ermöglichen. Vorfahrt für die Eisenbahn Mit der stetigen Zunahme der Eisenbahnkapazitäten und der wachsenden Fähigkeit der Eisenbahnen, immer größere Truppenmassen in kürzester Zeit an bedrohte Frontabschnitte zu transportieren, sank die bisherige Bedeutung der Festungen innerhalb des preußischen Verteidigungssystems. Deren Aufgabe hatte vor allem darin bestanden, den Vormarsch des Feindes so lange zu hemmen oder aufzuhalten, bis aus dem Landesinneren weitere Kräfte zur Verstärkung herangeführt wurden. Auch in ihrer logistischen Rolle als Lagerplatz verloren die Festungen an Bedeutung, da Güter aller Art nun ebenfalls schnell aus dem Landesinnern herbei befördert werden konnten. Dagegen wuchs die Bedeutung der Festungen als Umschlagplatz für Truppen sowie als Bergungsort für das Betriebsmaterial der Eisenbahnen, das ansonsten im Kriegsfall in die Hände des Feindes zu fallen drohte. Das strategische Ziel möglichst durchgehender Eisenbahnlinien setzte sich schließlich gegen die »fortifikato- rischen« Interessen durch. »Sämtliche Eisenbahnlinien müssen ununterbrochen, Schiene in Schiene, miteinander zusammen hängen«, lautete schon im Jahre 1846 die Forderung eines unbekannten Ingenieuroffiziers im »Archiv für das Königlich-Preußische Artillerie- und Ingenieurkorps«. Die Fes­tungs­ anlagen dürften diesem Prinzip nirgends entgegenstehen. Auch müsse der Verlauf der Eisenbahnenlinien zukünftig die Lage neuer Festungen be­ stim­men. Veraltete Plätze, deren Lage diese Bedingung nicht mehr erfüllten, sollten geschleift oder wenigstens nicht mehr mit besonderen Besatzungen und Verteidigungsmitteln versehen werden. Damit wird bereits ein beachtlicher Sinneswandel in der Armeeführung deutlich, der kaum mehr als anderthalb Dekaden beansprucht hatte. Nunmehr sah der Generalstab in der Fähigkeit der Eisenbahnen, schnell bedeutende Truppenmassen an einem bedrohten Ort zu konzentrieren, einen vollwertigen Ersatz für die traditionelle Rolle der Festungen. Die ursprüngliche Wert­ hierarchie von Festungen und Eisenbahnen hatte sich praktisch umgekehrt, so wie es frühe Eisenbahnprotagonis­ ten wie Friedrich List prophezeit hatten. Nicht vorausgesehen hatten diese jedoch, dass die Eisenbahn viel eher eine offensivere, beweglichere Kriegführung begünstigen und somit den Charakter der Kriege gänzlich verändern sollte. Klaus-Jürgen Bremm Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 21 Das historische Stichwort Die »Ägyptische Expedition« 1798 bis 1801 »Soldaten! Ihr seid in diese ­Gegend gezogen, um sie der ­Barbarei zu ­entreißen, um die Zivilisa­tion in den Orient zu ­tragen und um diesen ­schönen Teil der Erde dem Joch Englands zu entziehen. Wir werden ­kämpfen. Denkt daran, dass Euch von der Spitze dieser Denkmäler vierzig Jahrhunderte betrachten.« N icht nur wegen dieser Ansprache bleibt die Schlacht Napoleon Bona­partes bei den Pyrami­ den am 21. Juli 1798, ja der französi­sche Orientfeldzug als Ganzes legendär. Analog zu den Kampagnen des revolutionären Frankreich am Rhein und in Italien ab 1792 sollten auch in Ägypten die alten Autoritäten gestürzt werden, um das Land von der »Despotie«, der unumschränkten Herrschaft, zu »befreien«. Seit 1517 gehörte Ägypten zum Osmanischen Reich, wurde aber de facto von der Militärkaste der Mamluken beherrscht. Die beiden Mächtigs­ ten unter ihnen, Murad Bey und Ibrahim Bey, besaßen ihr Machtzentrum in Kairo bzw. Gizeh. Berichte über interne Rivalitäten im Land hatten den frisch 22 pa-akg Service 5Schlacht bei Abukir zwischen den ­Osmanen unter Mustafa Pascha und den Franzosen unter Napoleon Bonaparte am 25. Juli 1799. Gemälde (Ausschnitt) von LouisFrançois Lejeune (1775–1848), Öl auf Leinwand. Inv.-Nr. MV 6856, ­Versailles, Musee du Château. Napoleon im Orient zum französischen Außen­minister avancierten Charles de Talleyrand im Juli 1797 zur Idee einer Ägyptenexpedition motiviert; begeistert griff der Befehlshaber der Italienarmee, Napoleon Bonaparte, die Idee auf. Dieser hatte die französische Direktorialregierung, die letzte Regierungsform der Französischen Revolution, durch seine Bajonette im Innern gestärkt und versorgte sie reich mit italienischer Beute. Mit seinem ohne Regie­rungsvollmacht geschlossenen Vertrag mit Österreich hatte der junge Revolutionsgeneral nicht nur den Frieden gebracht, sondern Norditalien unterworfen. In der Folge suchte der ehrgeizige Korse nach einer Gelegenheit, um der politisch unklaren Situation in Paris aus dem Wege zu gehen. Die unpopuläre Direktorialregierung stimmte den Plänen für das Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 ägyptische Unternehmen zu; nicht zuletzt, um den charismatischen Aufsteiger einstweilen von Paris fernzuhalten. Ägypten war in Mitteleuropa mythisch verklärt, doch kaum bekannt. So erhielt der Feldzug einen kulturellen Nebenauftrag. Napoleon rief persönlich 167 Gelehrte aller Disziplinen zusammen, um die Expedition zu begleiten: Mathematiker und Astronomen, Geologen und Geografen, Pulver- und Salpeterexperten (also »Chemiker«), Architekten, Ingenieure, Künstler, Zeichner, Zoologen, Botaniker, Orientalisten und andere Philologen. Dazu kamen Übersetzer, Drucker mit allen verfügbaren Zeichensätzen und zahlreiche Hilfskräfte. Das »englische Joch«, das es angeblich abzuschütteln galt, war eine andere, geopolitische Motivation für den gewagten Feldzug: Zwi- schenzeitlich zum Oberbefehlshaber der England-Armee ernannt, verwarf Napoleon die Pläne zur direkten Invasion der britischen Inseln bald als Illusion. Demgegenüber versprach die Invasion Ägyptens die Möglichkeit, die französische Herrschaft Richtung Indien auszudehnen, wo im Süden Tipu Sultan, der Herrscher von Mysore, gegen britische Truppen kämpfte. In kurzer Zeit wurde nun im südfranzösischen Toulon und in Häfen Italiens eine Flotte von rund 300 Schiffen zusammengezogen. An die 35 000 Mann und etwa 1000 heimlich von ihren Män­ nern und Freunden an Bord geschmuggelte Frauen brachen am 19. Mai 1798 auf. Unterwegs nahm Bonaparte am 11. Juni 1798 Malta fast kampflos in Besitz. Am 30. Juni landeten die Franzosen in Alexandria. Just am Tag zuvor war das Geschwader des britischen Admirals Horatio Nelson unverrichteter Dinge von dort abgezogen. Bei seiner Verfolgung der französischen Flotte hatte Nelson diese mehrfach verpasst und sie dann – ohne es zu wissen – überholt. Die Hauptkräfte der französischen Truppen setzten sich unterdessen nach Kairo in Marsch. Nach ersten Gefechten schwand die Kampfkraft infolge von Hitze, Wassermangel, Augenleiden, Durchfall und strapaziöser Märsche durch Wüste und Schwemmland. Ein Teil der Armee, die meisten Wissenschaftler und das Gepäck fuhren parallel dazu in Booten nilaufwärts. Frühmorgens am 21. Juli brach Napoleons Armee zur letzten Etappe nach Kairo auf. Gegen zwei Uhr nachmittags erreichten die in fünf Divisionen eingeteilten rund 25 000 französischen Soldaten den Ort Embaba nördlich von Gizeh. Zehn Kilometer südlich waren die Pyramiden zu sehen; im Ort selbst und in der Ebene westlich davon sowie am anderen Nilufer stand eine doppelte Übermacht: etwa 20 000 Janitscharen (und andere Infanterie), 40 Geschütze, rund 12 000 mamlukische und ägyptische Reiter, eine kaum überschaubare Zahl an bewaffneten Fußknechten und Milizen sowie 8 000 Beduinen. Sonst, in Europa, lag die Stärke der französischen Revolutionstruppen im vorwärtsstürmenden Angriff. Doch hier siegten geschlossene Ordnung und Feuerkraft. Die Franzosen formier­ ten sich zu rund 2 000 Mann umfas- senden Infanterie-Karrees. An deren Flanken befanden sich die Geschütze, in deren Mitte Tragtiere und mitmarschierende Wissenschaftler (und so riefen die Soldaten »Esel in die Mitte!«). Die wiederholten ungestümen Reiterattacken der Mamluken brachen sich an den langsam vorrückenden Karrees. Danach wurde Embaba im Sturm genommen, die dort eingegrabenen Ägypter wichen. Ein Entsatzversuch der ägyptischen Truppen vom anderen Ufer blieb bald im Strom der Flüchtenden sowie im aufkommenden stürmischen Gegenwind stecken. Nach gut zwei Stunden war die Schlacht bei den Pyramiden entschieden. Von nun an beherrschte Napoleon Unterägypten. Nur eine Woche nach dem Triumph wurde die französische Armee vom Mutterland abgeschnitten: In der Nacht auf den 2. August vernichtete das Geschwader Nelsons die bei Abukir vor Anker liegende französische Flotte. Indessen wurde General Louis-CharlesAntoine Desaix nach Oberägypten ausgesandt, der sich dort als der »gerechte Sultan« Vertrauen erwarb (genauso wie einen Harem, über den er stolz ­einer Brieffreundin berichtete). Ende Oktober 1798 erschütterte ein Aufstand Kairo, der blutig niedergeschlagen wurde. Die französische Herrschaft konnte anschließend wieder etabliert werden. Infolge der Besatzung kam es zu fundamentalen kulturellen Missverständnissen, u.a. wegen des Alkoholkonsums der ausländischen Soldaten und des Auftretens der französischen Frauen – und dem der ägyptischen Freundinnen der Franzosen. Die Übernahme ägyptischer und muslimischer kultureller Werte durch die Franzosen blieb die Ausnahme. Gleichwohl heiratete der Stadtkommandant von Alexandria, General Jacques-François Menou, eine Ägypterin und trat zum Islam über. Als Misserfolg erwies sich Napoleons Expedition nach »Syrien« auf dem Gebiet des heutigen Israel in der ersten Jahreshälfte 1799. Das Ziel des ehrgeizigen Generals war es, entweder über Konstantinopel den Heimweg nach Frankreich zu erkämpfen oder nach Indien zu ziehen. Entlang der Küste zog das französische Heer nach Jaffa, wo Napoleon infolge der Versorgungsschwierigkeiten den Entschluss traf, die beim Sturm auf die Stadt einge- brachten ca. 4 000 osmanischen Kriegsgefangenen ermorden zu lassen. Ende März begann die Belagerung des osma­ nischen Verwaltungssitzes Akko nördlich von Haifa. Sie blieb infolge der britischen Unterstützung der Belagerten erfolglos. Währenddessen wurde ein zahlenmäßig weit überlegenes osmani­ sches Entsatzheer am 16. April am Berg Tabor in Galiläa zerschlagen. Trotzdem musste der Feldzug Ende Juni erfolglos abgebrochen werden. Zurück in Ägypten, siegte Napoleon am 25. Juli bei Abukir gegen angelande­te britischosmanische Truppen. Ende August 1799 verließ Bonaparte seine Armee, ohne seinen Nachfolger im Kommando, General Jean-Baptiste ­Kléber, vorher auch nur gesprochen zu haben. Ebenso fehlte eine entsprechen­de Regierungsweisung. Im Mutterland war unterdessen das Verlangen nach einem starken Mann gewachsen. Die Armee blieb noch zwei Jahre im Land. Kléber, der gegen die Osmanen eine weitere Schlacht für sich entschied, fiel am 14. Juni 1800 einem Attentat zum Opfer; am selben Tag errang Napoleon seinen Triumph in der Schlacht von Marengo in Italien. Menou führte nun die Franzosen in Ägypten, wurde von britischen Truppen wiederholt geschlagen und kapitu­ lierte gegen freien Abzug. Am 31. August 1801 verließen die letzten Franzosen Ägypten. Wissenschaftlich und propagandistisch blieb der Orientfeldzug ein großer Erfolg. Die Mission, die »Zivilisation« nach Ägypten zu bringen, verlief letztlich in die Gegenrichtung: In ­Europa folgte eine wahre Ägyptomanie, und von den hier erschlossenen Kunstschätzen, Ausgrabungen und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zehrte die Wissenschaft noch lange. Auch ein militärisches Erbe des Ägyptenfeldzugs blieb. Bis zum Ende des französischen Empire blieben Mam­ luken im Dienst der kaiserlichen Garde, darunter auch der berühmte Leibwächter Napoleons, Rustan. Trotz seines Desasters in Palästina erwarb sich Napoleon daheim den »Mythos des Retters«. Seit seinem Putsch vom 9. November 1799 war er als Erster Konsul nun faktisch Alleinherrscher der Französischen Republik und wurde vier Jahre später Kaiser aller Franzosen. Martin Rink Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 23 Service Medien online/digital Digitales Archiv Marburg Hess. Staatsarchiv Marburg (STA MR) WHK 15 Das »Digitale Archiv Marburg« ist ein Projekt der Arbeitsstelle Archivpädagogik des Hessischen Staatsarchivs Marburg. 59 virtuelle Ausstellungen aus sieben Epochen mit insgesamt ca. 7000 online abrufbaren Dokumenten werden darin präsentiert. Jeder Epoche ist ein Einführungstext vorangestellt, der dem Nutzer den Quellenzugang erleichtert. Der Schwerpunkt liegt auf Bild- und Schriftquellen zur hessischen Landesund Regionalgeschichte. Darüber hinaus können Arbeitsgruppen in der Rubrik »Werkstattausstellungen« ihre http://www.digam.net/ eigenen Ausstellungen präsentieren. Zusätzlich finden sich auf den Seiten des Digitalen Archivs Marburg Informationen zum archivpädagogischen Bildungsangebot sowie Links zu anderen Einrichtungen und Archivportalen. Ton- und Filmquellen werden (noch) nicht angeboten. Von militärhistorischem Interesse sind u.a. die Ausstellungen zum 20. Juli 1944 im Bereich »Weimar & Nationalsozialismus«. Eine davon ist dem Gene­ ral der Nachrichtentruppe und Mitglied des Widerstandes Erich Fellgiebel gewidmet, der am 4. September 1944 in Berlin-Plötzensee ermordet wurde. In der Rubrik »Kaiserreich & 1. Weltkrieg« finden sich u.a. Feldpostbriefe von Friedrich Ludwig aus Niederkleen aus dem Preußisch-Österreichischen 24 Krieg von 1866 und dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Besondere Aufmerksamkeit jedoch verdient die Wilhelmshöher Kriegskartensammlung, die dank des Digitalen Archivs Marburg nun einem breiten Publikum zugänglich gemacht worden ist. Bei diesem Bestand handelt es sich um 44 großformatige Bände mit 3000 Plänen, Karten und sonstigen Darstellungen. Die Sammlung war um 1700 von dem Landgrafen Karl von HessenKassel begonnen worden und befand sich ab 1790 im Schloss Wilhelmshöhe bei Kassel. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts war der Bestand noch um einzelne Stücke ergänzt worden, bevor sie 1878 in das Staatsarchiv Marburg gelangte. Die Wilhelmshöher Kriegskarten dokumentieren Kriegsschauplätze und Kriegsereignisse in Europa und Amerika vom frühen 16. Jahrhundert bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Bei den Dokumenten handelt es sich um Handzeichnungen, Kupferstiche, Holzschnitte und Lithographien. Neben den Land- und Schlachtkarten finden sich Geschützzeichnungen, Manöverkarten, Lagepläne, Uniformblätter sowie Truppengliederungen und Schlacht­ord­ nungen. Die Kriegskartensammlung bietet u.a. Karten zum Ungarisch-Türkischen Krieg 1683–1699 (Bd. 6), Nordischen Krieg 1700–1719 (Bd. 10), Spani­schen Erbfolgekrieg 1701–1714 (Bd. 11–16) und zum Siebenjährigen Krieg 1756– 1763 (Bd. 24–26). Karten zum Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg 1775– 1783 (Bd. 28–29) und zu den Koalitionskriegen 1792–1815 (Bd. 31–33) werden ebenso präsentiert wie Kartenwerke zur Festung Wilhelm­stein im Stein­ huder Meer (Bd. 37) und zu verschiedenen Manövern (Bd. 38–42, 44). Die einzelnen Dokumente sind als JPEG-Grafik oder PDF-Datei aufrufbar und mit editorischen Bemerkungen sowie knappen Angaben zum Inhalt versehen. Mit Hilfe der Suchfunktion kann daher auch in den 44 virtuellen Räumen der Kriegskartensammlung nach beliebigen Begriffen recherchiert werden. Die Wilhelmshöher Kriegskarten sind ein militärhistorischer Quellenschatz, der nun online entdeckt werden kann. mn Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 Tage des Ruhms (frz. Titel: Indigènes). Regie: Rachid Bouchareb, 119 Minuten, Belgien/Frankreich/Marokko 2006. ISBN 4048317357512; 14,99 Euro Der Spielfilm »Tage des Ruhms« wäre dem hiesigen Publikum besser bekannt, wenn seiner Oskar-Nominierung von 2007 auch die Trophäe selbst gefolgt wäre. So kam die deutsche Produktion »Das Leben der Anderen« mit dem überragenden Ulrich Mühe zum Zuge. Hier wie dort geht es um die Verarbeitung eines heiklen historischen Erbes. »Indigènes«: »Einheimische«, so lautet der 2006 von Regisseur Rachid Bouchareb unter dem Originaltitel gedrehte Film aus französisch-belgischmarokkanisch-algerischer Produktion. Nordafrikanische Soldaten hatten zwischen 1943 und 1945 erheblichen Anteil an der Befreiung Frankreichs. Bereits der Titel ist provokant, denn genau wie im Deutschen der Begriff »Eingeborene« spiegelt auch die Bezeichnung »Indigènes« europäische Vorurteile wider. »Herr Hauptmann, nennen Sie sie nicht Einheimische!«, sagt der Nordafrika-Franzose Sergeant Martinez in einer Schlüsselszene des digital Films, nachdem die ungleichen Verpflegungsrationen fast zur Meuterei geführt hätten. Der Dialog geht weiter und zeigt das Problem der französi­ schen Kolonialherrschaft in verdichteter Form: »Muselmanen!« – »So auch nicht!« – »Wie wollen Sie, dass wir sie nennen?« – »Männer, Herr Hauptmann, (leise:) Freunde«. Freilich entpuppt sich auch Martinez (Bernard Blancan) als Vertreter der alten Ordnung. Und dieser sind die vier nordafrikanisch-muslimischen Protagonisten ausgesetzt, zwischen Anpassung und Konflikt: Saïd (Jamel Debbouze) lehnt sich eng an seinen Zugfüh­ rer an, bis zur bitteren Enttäuschung; Messaoud (Roschdy Zem) verliebt sich in eine Französin, doch Liebesbriefe werden Opfer der Zensur; Yassir (Samy Naceri) versucht sich in kriegsnahen Gelegenheitsgeschäften. Die eigentliche Hauptperson Abdelkader (Sami Bouajila) versucht den sozialen Aufstieg über den Weg von Bildung und Militärkarriere. Als düpierter Korporal überlebt er als einziger seiner Kameraden den Krieg. Die »Indigènes« kämpfen zunächst in Italien und befreien 1944 in Frankreich ein »Mutterland«, das sie nicht kennen. Ihr Kampf in den blutigen Schlachten um den italienischen Monte Cassino und in den französischen Voge­ sen findet keine Entsprechung in mili­ tärischer Gleichbehandlung, geschweige denn werden den »Indigènes« die gleichen Bürgerrechte wie den Franzosen zugestanden. 1959 schließlich setzte der französische Staat die Rentenzahlungen für seine nordafrikanischen Kämpfer aus. So ist der Film auch ein politischer Appell, der zu anhaltenden Diskussionen in Frankreich – und mittlerweile auch zur Rentenzahlung – geführt hat. Der Film erzählt die Geschichte der muslimischen nordafrikanischen Soldaten Frankreichs aus ihrer Perspektive. Das führt aber auch dazu, dass andere heikle Aspekte der Geschichte nur leise angedeutet bleiben: So fielen in Italien Tausende von Frauen der Gewalt der »Marokkaner« zum Opfer. (Hiervon erzählte 1960 der italienische Film »La Ciociara«/»Und dennoch lebten sie«, der größte kommerzielle Erfolg des italienischen Weltstars Sofia Loren.) Der handwerklich gut gemachte Film Boucharebs ist dennoch sehenswert: Das liegt nicht zuletzt an den eindrucksvollen Darstellern, bereichert um die Musik von Arman Amar und Cheb Khaled (weltweit bekannt durch »Aïcha«). Der Film zeigt dem europäischen Publikum einen Teil seiner Geschichte – aus der Sicht der »Anderen«. Die nordafrikanischen »Einheimischen« erhalten hier ihr eigenes Gesicht. Martin Rink Zwischen Oktober 1940 und Mai 1945 hielt Thomas Mann insgesamt 58 meist kurze Reden im »Deutschsprachigen Dienst« der BBC (British Broadcasting Corporation) im Rahmen seiner monatlich ausgestrahlten Sendung »Deutsche Hörer!«. Mit emotional geprägten und nachhaltigen Worten rief Mann seine Radiohörer im nationalsozialistischen Deutschland zum Widerstand gegen die politische Führung auf. Er unterschied dabei zwischen der verbrecherischen politischen Elite und der Masse der deutschen Bevölkerung, die er für Demokratie und Menschlichkeit zurückgewinnen wollte. Schon 1941 warnte Mann vor systematischer Ju- denverfolgung, Kriegsverbrechen und Vergasung. Durch die Reden wurde der Literaturnobelpreisträger von 1929 zu einem der prominentesten Gegner des »Dritten Reiches«. Das Abhören solcher »Feindsendungen« war unter Hitler strengstens verboten und wurde mit aller Härte bestraft. Für die Briten waren Thomas Manns Reden Teil ihrer allgemeinen Demoralisierungstaktik gegenüber dem »Dritten Reich«, somit also auch Teil ihrer Anti-Nazi-Propaganda. Es ist Oliver Boeck, Redakteur des Bayerischen Rundfunks, zu verdanken, dass die berühmten BBC-Reden Thomas Manns nun wieder in einem neuen Zusammenhang zur Verfügung stehen. Elf ausgesuchten Ansprachen Thomas Manns werden auf der im hörverlag erschienenen CD kurze Ausschnitte aus Reden von Heinrich Himmler, Joseph Goebbels, Gauleiter Arthur Karl Greiser und anderen Größen des NS-Regimes gegenübergestellt. Durch diese Zusammenstellung wird auch deutlich, dass Propaganda auf beiden Seiten der Front ein gebräuchliches Mittel war. tb Thomas Mann, Deutsche Hörer! BBC-Reden 1941 bis 1945 (CD). Hrsg. von Oliver Boeck, Der Hörverlag, 73 Minuten, München 2004. ISBN 3899403983; 14,95 EUR Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 25 Service Lesetipp Lettow-Vorbeck D er »Löwe von Afrika« wurde er genannt. Bereits zu Lebzeiten war Paul von Lettow-Vorbeck Legende, Mythos und, für nicht wenige, soldatisches Vorbild. Im Ersten Weltkrieg versuchte er als Kommandeur der kaiserlichen Schutztruppe die Kolonie Deutsch-Ostafrika (heute Teil Tansanias) gegen britische Angriffe zu verteidigen. Seine Truppen bestanden vor allem aus einheimischen Söldnern, den sogenannten Askari. Deutsche bildeten das Offizierkorps. Trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit hielt die Schutztruppe dem Gegner bis Kriegsende stand. Lettow-Vorbeck ergab sich erst knapp zwei Wochen nach dem Waffenstillstand in Europa im November 1918. Teilnehmer von Demonstrationen zusammenschießen. Dafür wurde er vor dem Reichsgericht des Hochverrats angeklagt, aber kurze Zeit später per Gesetz amnestiert. Schulte-Varendorff zeichnet auch das weitere politische Wirken des Generals nach: »als Kolo­ nial­revisionist« vor und nach 1933 sowie als »Ewiggestriger« in der Bundesrepublik bis zu seinem Tod 1964. Deserteure D Eckard Michels, »Der Held von Deutsch-Ostafrika«. Paul von Lettow-Vorbeck. Ein preußischer Kolonialoffizier, Paderborn 2008. ISBN 978-3-506-76370-9; 360 S., 39,90 Euro E Uwe Schulte-Varendorff, Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck. Mythos und Wirklichkeit, Berlin 2006 (= Schlaglichter der Kolonialgeschichte, 5). ISBN 978-3-86153-412-6; 224 S., 24,90 Euro Der General tat nach dem Krieg alles, um die Legendenbildung um seine Person zu fördern. Nicht zuletzt seine Bücher (am bekanntesten »Heia Safari!«, 1920) prägten und prägen bis heute das Bild von Lettow-Vorbeck. Uwe Schulte-Varendorff durchleuchtet das Leben des Generals und spart dabei bewusst die weniger strahlenden Seiten nicht aus. Insbesondere LettowVorbecks Beteiligung am Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920 wird bisweilen gern übersehen: Als Kommandeur in Schwe­ rin ließ er die Landesregierung von Mecklenburg-Schwerin verhaften und 26 tobte laut Michels kein »ritterlicher Kampf«, sondern ein »rücksichts­loser Kleinkrieg« mit katastrophalen Folgen für die dortige Bevölkerung. Michels geht auch mit den Heldenlegenden der Zwischen- und Nachkriegs­zeit ins ­Gericht und hinterfragt, wie der Mythos des »Löwen von Afrika« entstehen konnte. ks ckard Michels blickt in seiner 2008 erschienenen preisgekrönten umfangreichen Arbeit ebenfalls kritisch hinter die Kulissen der Legende. Er fragt nach den Denk- und Handlungsmustern Lettow-Vorbecks und sieht in ihm einen »typischen Repräsentanten adeliger preußischer Militärdynas­ tien«. Trotz Einsätzen in den Kolonialkriegen in China, in Deutsch-Südwestafrika und als Kommandeur in Deutsch-Ostafrika blieb sein Denken stets ganz mitteleuropäisch geprägt. Michels beleuchtet ähnlich wie SchulteVarendorff sehr kritisch die gegen die Republik gerichtete Beteiligung am Kapp-Lüttwitz-Putsch 1920. Der Autor lässt Lettow-Vorbecks spätere Rechtfertigung, er habe nur Befehle befolgt, nicht gelten. Sein Schwerpunkt liegt aber auf dem Kriegsgeschehen in Ost­ afrika 1914 bis 1918. Er zeichnet eine quellengestützte wissenschaftli­che Geschichte des Krieges in Ostafrika. Dort Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 ie deutsche Wehrmacht umfasste im Zweiten Weltkrieg insgesamt etwa 18,2 Millionen Soldaten, die entweder eingezogen wurden oder sich freiwillig gemeldet hatten. Die Zahl derer, die sich zwischen 1939 und 1945 nach damals geltender Rechtsauffassung »unerlaubt« von der Truppe entfernten, ist nicht präzise zu ermitteln. Wissenschaftliche Schätzungen gehen von bis zu 300 000 fahnenflüchtigen Wehrmachtsoldaten aus. Viele von denjenigen, die nach ihrer Desertion wieder aufgegriffen wurden, erwartete der Tod: Über 15 000 ließ die Wehrmachtjustiz im Verlauf des Krieges hinrichten. Andere überlebten den Krieg in der Haft. Einigen Deserteuren gelang es, sich nach ihrer Fahnenflucht dauerhaft dem Kriegsdienst in der Wehrmacht zu entziehen, indem sie in den Untergrund gingen oder ins neutrale Ausland flüchteten. Magnus Koch, Fahnenfluchten. Deserteure der Wehr­ macht im Zweiten Weltkrieg – Lebenswege und Ent­schei­ dungen, Paderborn 2008 (= Krieg in der Ge­schichte, 42). ISBN 978-3-506-76457-7; 426 S., 39,90 Euro Sechs in die Schweiz geflüchtete Männer stellt Magnus Koch in seinem Buch in einzelnen Fallstudien vor. Ihre Lebenswege und Beweggründe für die Desertion zeichnet der Autor vorwiegend anhand von schweizerischen und deutschen Quellenfunden wie Vernehmungsprotokollen und Selbstzeugnissen nach. Die heute gängigen Vorstellungen von Deserteuren als per se regimekritischen Kriegsgegnern werden dabei von Koch widerlegt. Kochs Untersuchung zeigt zum einen die unterschiedlichen Motive auf, welche die sechs Soldaten zur Desertion veranlasste, zum andern lässt seine Analyse im Umkehrschluss aber auch Aussagen darüber zu, was die Wehrmacht zusammenhielt. Koch richtet seinen Blick des Weiteren auf die kontrovers geführte Nachkriegsdebatte in der Bundesrepublik Deutschland, die auch die Selbstsichten der Deserteure stark beeinflusste. In rechtlicher Hinsicht ist der Themenkomplex in der Bundesrepublik Deutschland inzwischen geklärt: Im Mai 1999 beschloss der Bundestag ein Gesetz zur Rehabilitierung der Wehrmacht-Deserteure und eine symbolische Entschädigung der Überlebenden und ihrer Angehörigen. In Österreich warten die ehemaligen Fahnenflüchtigen der Wehrmacht dagegen bis heute auf ihre Rehabilitierung. mp Herrschaft der Wehrmacht D er Beginn des Zweiten Weltkriegs jährt sich 2009 zum 70. Mal. Unzählige Bücher und Beiträge, welche die großen Entwicklungslinien nachzeichnen, aber auch Detailfragen beantworten, füllen mittlerweile ganze Bibliotheken. Und doch gibt es immer noch Themenfelder, über die wir nur wenig wissen, obwohl sie von großem wissenschaftlichen und öffentlichem Interesse sind. Dieter Pohl untersucht mit seiner Arbeit über die Besatzungsherrschaft der Wehrmacht in der Sowjetunion ein solches Feld. Unser Wissen über die Vorgänge in den besetzten Gebieten ist wesentlich geprägt von der sowjetischen Geschichtsschreibung einerseits sowie andererseits von der zeitgenössischen deutschen Berichterstattung und der Erinnerungsliteratur hoher deutscher Offiziere nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Zudem beeinträchtigt der Schleier des Verdrängens während des Ost-West-Konflikts bis heute unser Wissen über die damaligen Ereignisse. Der Autor nimmt den Leser kenntnisreich und spannend formuliert in jene Steppen, Wälder und Sumpfgebiete der Sowjetunion mit, in denen nicht nur die Hauptkampflinien der Dieter Pohl, Die Herrschaft der Wehrmacht. Deutsche Militärbesatzung und einheimische Bevölkerung in der Sowjetunion 1941-1944, München 2008 ­(=Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, 71). ISBN 978-3-486-58065-5; 399 S., 39,80 Euro kriegführenden Parteien verliefen, sondern der Alltag »hinter« der Front einen Spannungsbogen zwischen Militärverwaltung, Wirtschaftsorganisation und Fronttruppe bildete, der Aufschluss über die »brutalste militärische Besatzungsherrschaft, die die Geschichte bis dahin gekannt hatte«, bietet. Detailreich vermittelt das Buch sowohl organisationsgeschichtliches Wissen als auch unterschiedliche Aspekte im alltäglichen Zusammenleben von Zivilbevölkerung und Wehrmacht. Dabei werden Fragen zur Ernährungspolitik, Zwangsarbeit, zu Massenmorden und zum Partisanenkrieg thematisiert, und dem Leser wird eindringlich vermittelt, dass die Wehrmacht vor allem als militärischer Besatzungsapparat teilhatte an den Massenverbrechen in der Sowjetunion. Thorsten Loch Krieg gegen die Zivilbevölkerung D ie Ausstellung »Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944« machte auch der breiten Öffentlichkeit klar, dass im Zweiten Weltkrieg »Partisanenbekämpfung« untrennbar mit der Tötung von Zivilisten verbunden war. Dem Wiener Fotohistoriker Anton Holzer gelingt der Nachweis, dass dies kein ausgesprochenes Phänomen des Zweiten Weltkrieges gewesen ist. Der Kampf gegen vermeintliche oder tatsäch­ liche Spione, Verräter, Saboteure oder Aufwiegler wurde bereits im Ersten Weltkrieg brutal und systematisch gegen die Zivilbevölkerung des Hinterlan­ des geführt. Zehntausende fielen ihm zum Opfer. Holzer führt dazu überwie­ gend österreichisch-ungari­sche Kriegsschauplätze an, die in Deutsch­land für die Jahre 1914–1918 eher vergessen sind: Galizien (Ostfront) und Serbien (Balkan). Ausgangspunkt von Holzers Überlegungen sind beklemmende Fotos von Hinrichtungen, die sich mehr oder weniger öffentlich abspielten. Ein Teil der Fotos wurde bereits während des Ersten Weltkrieges veröffentlicht. Holzer stellt dabei Grundsatzfragen zum öffentlichen Umgang mit Kriegsfotos, mit der Gewalt gegen Zivilsten sowie zur Pose der Henker. Er verbindet diese Fotogeschichte gekonnt mit literarischen Zeugnissen bekannter Autoren zu diesem Krieg gegen die Zivilbevölkerung: Karl Kraus, Egon Erwin Kisch und Joseph Roth. hp Anton Holzer, Das Lächeln der Henker. Der unbekannte Krieg gegen die Zivilbevölkerung 1914–1918, Darmstadt 2008. ISBN 978-3-89678-375-2; 208 S., 39,90 Euro Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 27 Service Ausstellungen Bad Karlshafen Geschichte der Hugenotten Deutsches HugenottenMuseum Hafenplatz 9 a 34385 Bad Karlshafen Telefon: 0 56 72 / 14 10 Telefax: 0 56 72 / 92 50 72 www.hugenottenmuseum.de [email protected] Dauerausstellung Samstag und Sonntag 14.00 bis 17.00 Uhr Eintritt: 3,00 Euro ermäßigt: 2,00 Euro Verkehrsanbindung: Anfahrtsskizze unter www.hugenottenmuseum.de/ museum/museumspfad.php. Bad Mergentheim 800 Jahre Deutscher Orden Deutschordensmuseum Schloß 16 97980 Bad Mergentheim Telefon: 0 79 31 / 5 22 12 Telefax: 0 79 31 / 5 26 69 www.deutschordensmuseum.de [email protected] Dauerausstellung April bis Oktober täglich 10.30 bis 17.00 Uhr November bis März 14.00 bis 17.00 Uhr (montags geschlossen) Eintritt: 4,20 Euro ermäßigt: 3,20 Euro Verkehrsanbindung: Anfahrtbeschreibung unter www.deutschordensmuseum. de/Lageplan.htm. Berlin The Making of ... Die Männer und Frauen der Berliner Luftbrücke 1948/49 Alliierten-Museum Clayallee 135 14195 Berlin Telefon: 0 30 / 81 81 99-0 Telefax: 0 30 / 81 81 99-91 www.alliiertenmuseum.de [email protected] 27. Juni 2008 bis 27. September 2009 28 täglich außer Mittwoch 10.00 bis 18.00 Uhr Eintritt frei Verkehrsanbindung: S-Bahn: S 1 bis Station »Zehlen­dorf«, weiter mit Buslinie 115 bis Haltestelle ­»Alliierten-Museum«; U-Bahn: U 3 bis Haltestelle »Oskar-Helene-Heim«; Bus: Linie 115 oder X 83 bis Haltestelle »Alliierten ­Museum«. Kassandra. Visionen des Unheils 1914–1945 Deutsches Historisches ­Museum, Pei-Bau Hinter dem Gießhaus 3 10117 Berlin Telefon: 0 30 / 20 30-40 Telefax: 03 0 / 8 20 30 45 43 www.dhm.de [email protected] (Führungen) 19. November 2008 bis 22. Februar 2009 täglich 10.00 bis 18.00 Uhr Eintritt: 5,00 Euro (unter 18 Jahren frei, Tageskarte für alle Ausstellungen) Verkehrsanbindung: S-Bahn: Stationen »Hackescher Markt« und »Friedrichstraße«; U-Bahn: Stationen »Französische Straße«, »Hausvogteiplatz« und »Friedrichstraße«; Bus: Linien 100, 157, 200 und 348 bis Haltestellen »Staatsoper« oder »Lustgarten«. Russischer Soldatenalltag in Deutschland Bilder des Militärfotografen Wladimir Borissow 1990–1994 Deutsch-Russisches ­Museum Berlin-Karlshorst Zwieseler Straße 4/ Ecke Rheinsteinstraße Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 10318 Berlin Telefon: 0 30 / 50 15 08 10 Telefax: 0 30 / 50 15 08 40 www.museum-karlshorst.de [email protected] 14. November 2008 bis 1. März 2009 10.00 bis 18.00 Uhr (montags geschlossen) Eintritt frei Verkehrsanbindung: S-Bahn: S 3 bis Station »Karlshorst«: Ausgang ­Treskowallee, dann zu Fuß die Rheinsteinstraße entlang (ca. 15 min. Fußweg); Bus: Linie 396. Haus der Wannsee­Konfernz Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee­Konferenz Am Großen Wannsee 56–58 14109 Berlin Telefon: 030 / 80 50 01-0 Telefax: 030 / 80 50 01-27 www.ghwk.de [email protected] Dauerausstellung 10.00 bis 18.00 Uhr (außer an gesetzlichen Feier­ tagen) Eintritt frei Verkehrsanbindung: S-Bahn/Bus: S 1 oder S 7 bis Station »Wannsee«, dann Buslinie 114 bis Haltestelle »Haus der Wannsee­Konferenz«. Bonn Auf die Bilder kommt es an! Wahlkampf und politischer Alltag in Deutschland nach 1945 in der U-Bahn-Galerie der Station »Heussallee« Stiftung Haus der ­Geschichte der Bundes­ republik Deutschland Museumsmeile Willy-Brandt-Allee 14 53113 Bonn Telefon: 02 28 / 91 65-0 Telefax: 02 28 / 91 65-302 www.hdg.de [email protected] 13. Juni 2008 bis Ende Mai 2009 Tag und Nacht geöffnet Eintritt frei Verkehrsanbindung: U-Bahn: Linien 16, 63 und 66 bis Station »Heussallee/ Museums­meile«; Bus: Linien 610 und 630 (Museums­linie) bis Haltestelle »Bundeskanzlerplatz/Heuss­allee«. Flagge zeigen? Die Deutschen und ihre Nationalsymbole Stiftung Haus der ­Geschichte der Bundes­ republik Deutschland (siehe oben) 4. Dezember 2008 bis 13. April 2009 Dresden Hinterlassenschaften aus fünf Jahrhunderten (Schaumagazin mit kostbaren und seltenen Exponaten aus allen Sachgebieten des Museums) Militärhistorisches Museum der Bundeswehr Olbrichtplatz 2 01099 Dresden Telefon: 03 51 / 8 23 28 03 Telefax: 03 51 / 8 23 28 05 www.militaerhistorischesmuseum.bundeswehr.de Dauerausstellung bis 2010 9.00 bis 17.00 Uhr (montags geschlossen) Eintritt und Führungen frei Verkehrsanbindung: Straßenbahn: Linien 7 und 8 bis Haltestelle »Olbrichtplatz/ Militärhistorisches Museum«; Bus: Linie 91 bis Haltestelle »Stauffenbergallee/Militär­ historisches Museum«. Dresden und das Militär (800 Jahre Stadtgeschichte 800 Jahre Militärgeschichte) Militärhistorisches Museum der Bundeswehr (siehe oben) Dauerausstellung bis 2010 Frankfurt (Oder) Frankfurt im Dreißig­ jährigen Krieg Städtische Museen Junge Kunst und Viadrina Carl-Philipp-EmanuelBach-Straße 11 15230 Frankfurt (Oder) Telefon 03 35 / 4 01 56-0 Telefax 03 35 / 4 01 56-11 www.museum-viadrina.de [email protected] Dauerausstellung 11.00 bis 17.00 Uhr (montags geschlossen) Eintritt: 3,00 Euro ermäßigt: 2,00 Euro. Gedenk- und Dokumen­ tationsstätte »Opfer politischer Gewaltherrschaft« 1930–1945 und 1945–1989 Städtische Museen Junge Kunst und Viadrina Collegienstraße 10 15230 Frankfurt (Oder) Telefon: 03 35 / 68 02-712 Telefax: 03 35 / 4 01 56-11 www.museum-viadrina.de ­unter »Ständige Ausstellungen außerhalb des Junkerhauses« [email protected] Dauerausstellung Montag bis Freitag 9.00 bis 16.00 Uhr Eintritt frei Ingolstadt Herbert Agricola (1912–1998). Graphiken aus dem Zweiten Weltkrieg Bayerisches Armeemuseum Ingolstadt Neues Schloss, Paradeplatz 4 85049 Ingolstadt Telefon: 08 41 / 93 77-0 Telefax: 08 41 / 93 77-200 www.bayerisches­armeemuseum.de sekretariat@bayerisches­armeemuseum.de 9. Juli 2008 bis 13. April 2009 08.45 bis 17.00 Uhr (montags geschlossen) Eintritt: 3,50 Euro ermäßigt: 3,00 Euro Verkehrsanbindung: Anfahrtsbeschreibung auf der Website unter »Kontakt/­ Anschrift«. Ludwigsburg Die 260-jährige Geschichte der Garnison Ludwigsburg Garnisonmuseum Ludwigsburg im Asperger Torhaus Asperger Straße 52 71634 Ludwigsburg Telefon: 0 71 41 / 9 10-2412 www.garnisonmuseum­ludwigsburg.de info@garnisonmuseum­ludwigsburg.de Dauerausstellung Mittwoch 15.00 bis 18.00 Uhr Sonntag 13.00 bis 17.00 Uhr Eintritt: 2,00 Euro ermäßigt: 1,00 Euro Verkehrsanbindung: S-Bahn: S 4 und S 5 (von Stuttgart bzw. Bietigheim) bis Station »Ludwigsburg«, ­weiter zu Fuß über Bahnhofund Uhlandstraße zum Asperger Torhaus (10 Minuten). Nordholz Willy Messerschmitt (1898–1978). Ein Konstrukteur und seine Flugzeuge AERONAUTICUM Deutsches Luftschiff- und Marinefliegermuseum Peter-Strasser-Platz 3 27637 Nordholz Telefon: 0 47 41 / 18 19-0 Telefax: 0 47 41 / 18 19-15 www.aeronauticum.de [email protected] 2. November 2008 bis 29. März 2009 Februar bis November täglich 10.00 bis 18.00 Uhr Dezember bis Januar täglich 10.00 bis16.00 Uhr Eintritt: 6,50 Euro ermäßigt: 2,50 Euro Verkehrsanbindung: Anfahrtsskizze unter www.aeronauticum.de/ deutsch/Bilder/pdf/anfahrt.pdf. Peenemünde Geschichte der Raketentechnik Historisch-Technisches Informations­zentrum Peenemünde Im Kraftwerk 17449 Peenemünde Telefon: 03 83 71 / 505-0 Telefax: 03 83 71 / 505-111 www.peenemuende.de [email protected] Dauerausstellung April bis September 10.00 bis 18.00 Uhr Oktober bis März 10.00 bis 16.00 Uhr (montags geschlossen) Eintritt: 6,00 Euro ermäßigt: 4,00 Euro Verkehrsanbindung: Das Museum ist unter anderem mit der Usedomer Bäderbahn (UBB) erreichbar. Prora Verführt · Verleitet · ­ erheizt. Das kurze Leben V des Nürnberger Hitler­ jungen Paul B. Dokumentationszentrum Prora Objektstraße, Block 3 18609 Prora Telefon: 03 83 93 / 1 39 91 Telefax: 03 83 93 / 1 39 34 www.proradok.de/seiten_ deutsch/aktuelles.html [email protected] 8. November 2008 bis 31. März 2009 Eintritt: 3,00 Euro ermäßigt: 2,00 Euro (Kinder unter 14 Jahre freier Eintritt) Verkehrsanbindung: Bahn: Regionalbahn von Stralsund bzw. Binz bis Station »Prora-Nord« oder »ProraOst«; Pkw: Von Stralsund über den Rügendamm auf der B 196 und weiter auf der B 196a Richtung Binz nach Prora. Seelow (bei Frankfurt/Oder) Die Schlacht um die Seelower Höhen im April 1945 Gedenkstätte/Museum ­Seelower Höhen Küstriner Straße 28a 15306 Seelow Telefon: 0 33 46 / 597 Telefax: 0 33 46 / 598 www.gedenkstaette-­­seelowerhoehen.de [email protected] Dauerausstellung 10.00 bis 16.00 Uhr (montags geschlossen) Eintritt: 3,00 Euro ermäßigt: 1,50 Euro Verkehrsanbindung: Bahn/Bus: Von Berlin mit Regional­express RE 1 bis Bahnhof »Frankfurt (Oder)«, weiter mit OE 60 nach »Seelow (Mark)«, 3 Minuten zu Fuß. Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 29 Militärgeschichte kompakt 8. Januar 1959 Sieg Fidel Castros in Kuba ullstein bild Ist heute von Kuba die Rede, denkt wohl jeder zuerst an Fidel Castro. Der »maximo lider« dominierte die Entwicklung der karibischen Insel im vergangenen Jahrhundert wie kaum ein anderer Staatschef eines Landes. Bereits 1953 versuchte Castro erstmals, den Diktator Fulgencio Batista zu stürzen. Dessen Regime zeichnete sich, unter dem Schutz der Vereinigten Staaten, primär durch Korruption, Unterdrückung, maßlose Dekadenz und schrankenlose Prostitution aus. Ein vom jungen 5 Castro zieht unter dem Rechtsanwalt Castro geführter Überfall auf die MonJubel der Bevölkecada-­Kaserne in Santiago de Cuba scheiterte 1953 aber rung in Havanna ein. auf ganzer Linie. Vor Gericht gestellt und verurteilt, wurde er nach drei Jahren Haft ins Exil nach Mexiko abgeschoben. Ende 1956 kehrten Castro und seine Getreuen, unter ihnen der Argen­tinier Ernesto »Che« Guevara, heimlich nach Kuba zurück und begannen in den Bergen im äußersten Südosten der Insel ihren Kampf von Neuem. Mit ­ihrer klassischen Sabotage- und Guerillataktik schwächten sie fortwährend die Armee Batistas, bis diese quasi in sich kollabierte. Jeder Machtbasis enthoben, floh Batista am 1. Januar 1959. Castros Truppen starteten ­einen Sieges- und Jubel­ zug quer über die Insel und zogen am 8. Januar in ­Havanna ein. Die neue Regierung unter Castro, dessen Bruder Raoul und »Che« Guevara begann mit der ­revolutionären Umgestaltung des Landes. Die Beziehungen zu Washington verschlechterten sich massiv, Castro führte Kuba an die Seite der Sowjet­union. Tiefpunkt war die Raketenkrise des Jahres 1962, als die Welt am Rand eines nuklearen Krieges stand. Bis heute besteht eine konsequente Wirtschaftsblockade seitens der USA. Castro regierte Kuba 48 Jahre. 2007 übergab er die Regierungsgeschäfte an seinen Bruder Raoul, 2008 trat er offiziell als Präsident zurück. ks 12. März 1929 »Windiges aus der Deutschen Luftfahrt« pa-akg Die Ausgabe der Wochenzeitschrift »Die Weltbühne« vom 12. März 1929 sorgte für Furore. Unter dem Titel »Windiges aus der deutschen Luftfahrt« wurden die Verbindungen zwischen Reichswehr, ziviler Luftfahrt und Flugzeugindustrie aufgezeigt. Der Friedensvertrag von Versailles (1919) hatte deutsche Luftstreitkräfte verboten. Die Reichswehr jedoch umging diese Bestimmungen und sah sich durch diesen Artikel herausgefordert. Daher wurde gegen den Autor Walter Kreiser 5 Carl von Ossietzky (Pseudonym Heinz Jäger) und gegen den Herausgeber (Mitte) mit seinen der »Weltbühne« Carl von Ossietzky am 1. August 1929 Verteidigern vor Strafantrag gestellt. Noch 1929 erfolgten Voruntersuchun­ dem Reichsgericht Leipzig im Novemgen in Sachen Landesverrat und Verrat militärischer ber 1931. Geheimnisse. Allerdings versuchten Reichswehr, Jus­tiz­ ministerium und Auswärtiges Amt zunächst, das Verfahren zu verschleppen, damit nicht noch weitere Details an die Öffentlichkeit ­gelangten. Vor dem Reichsgericht wurde schließlich im November 1931 der »Weltbühnenprozess« verhandelt. Herausgeber und Autor wurden zu je anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt. Während sich Kreiser nach Frankreich absetzte, trat Ossietzky seine Haft am 10. Mai 1932 in Berlin-­Tegel an. Er wurde am 22. Dezember 1932 im Rahmen einer Weihnachtsamnestie entlassen. Das NS­Regime ließ jedoch den überzeugten Pazifisten und Demokraten Ossietzky im Februar 1933 erneut verhaften und in ein Konzentrationslager einweisen. Folter und schlechte Haftbedingungen führten zu Tuberkulose, an deren Folgen er schließlich am 4. Mai 1938 starb. Am 23. November 1936 war Carl von Ossietzky rückwirkend der Friedensnobelpreis für das Jahr 1935 zuerkannt worden. Das NS-­Regime untersagte ihm die Reise nach Oslo, sodass er den Nobelpreis nicht persönlich in Empfang nehmen konnte. hp 30 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 Heft 1/2009 Service Militärgeschichte Zeitschrift für historische Bildung Vorschau Die nächsten beiden Ausgaben der Militärgeschichte thematisieren in größerem Umfang den Zweiten Weltkrieg, Heft 2 befasst sich aus gegebenem Anlass vornehmlich mit Themen des Kriegsbeginns 1939. Im ersten Heft des Jahres 2009 schließt Markus Eikel mit seinem Beitrag über das Führerhauptquartier »Werwolf« im ukrainischen Winniza an den Aufsatz von Peter Lieb in der vorangegangenen Ausgabe an, wo dieser fragte, ob die deutsche Besatzung 1918/19 in der Ukraine ein »Wegweiser zum Vernichtungskrieg« ab 1941 gewesen sei. Markus Eikel nimmt nunmehr die militärischen Entscheidungen an der Ostfront in den Blick, die im mi­li­täri­ schen Lagezentrum in der Ukraine während des Zweiten Weltkrieges getroffen wurden. Bevor die Verlegung der obersten militäri­ schen Führung von der ostpreußi­schen »Wolfs­ schanze« nach Winniza erfolgen konnte, wurde das Gebiet um das Lagezentrum großräumig »gesäubert«; bis zur Ankunft Hitlers im Juli 1942 sollten alle Juden aus dem Raum Winniza verschwunden sein. Ein weiterer Beitrag zum Zweiten Weltkrieg hat die Torpedo-Krise zum Inhalt, die im April 1940 mit dem britisch-deutschen Kampf um die Vorherrschaft in den norwegi­ schen Gewässern ihren Höhepunkt erreichte. Die Besatzungen der deutschen U-Boote setzten sich mit den zahlreichen Torpedoversagern nicht nur zusätzlichen Gefahren aus, diese nagten darüber hinaus am Selbstvertrauen der Offiziere und schwächten so die Kampfkraft der Truppe. Welche technischen Mängel und menschlichen Unzulänglichkeiten zu der Krise führten, die in letzter Konsequenz die verantwortlichen Männer vor dem Reichskriegsgericht unter Anklage sah, arbeitet Heinrich Schütz heraus. Uwe Brammer widmet sich paramilitäri­ schen Verbänden in der Weimarer Republik und knüpft so an die Ausführungen von Rüdiger Bergien an, der in Heft 3/2008 die Freikorpsbewegung in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg beschrieben hat. Und schließlich zeichnet Christian Senne ein Bild von der Militärbeobachtertätigkeit eines deutschen Offiziers Ende des 19. Jahrhunderts. mt Militärgeschichte im Bild Vom Preußischen Ulanenregiment (1. Hannoversches) Nr. 13 zum Ausbildungszentrum der Heeres­ aufklärungstruppe in Munster A m 1. September 2008 übernahm das jüngst aufgestellte Ausbildungszentrum Heeresaufklärungstruppe in Munster, das den Beinamen »Heeresaufklärungsschule« führt, das neue Dienstgebäude des Generals der Heeresaufklärungstruppe und Kommandeurs Ausbildungszentrum Heeresaufklärungstruppe (Oberst Karl-Ernst Graf Strachwitz) mit einer ganz besonderen Feier. In Munster fand an diesem Tag die Miniatur eines Reiterstandbildes des Bremer Bildhauers Ernst Moritz Gorsemann eine neue Heimat. Das Original des »Hannoverschen Ulans« steht seit 1922 in der Eilen­ riede in Hannover und erinnert an das Preußische Ulanenregiment (1. Hannoversches) Nr. 13. 1990 wurde die Minia­ tur für die – 1994 aufgelöste – Panzer­ bri­gade 3 in Nienburg geschaffen, die den Marsch der hannoverschen Garde du Corps (franz.: Leibgarde) als Parade­ marsch führte. Auch das Aufklärungslehrbataillon 3 der Bundeswehr, das 2006 in Lüneburg seinen 50. Geburts6 Reiterstandbild des Bremer Bildhauers Historisches Museum Hannover Ernst Moritz Gorsemann (1886–1960) in der Eilenriede in Hannover, Aufnahme von 1927 von Wilhelm Ackermann. tag feierte, sieht sich der Tradition der Hannoverschen Kavallerie verpflichtet. Original und Kopie des Reiterstandbildes verweisen auf die Entstehung eines deutschen Nationalstaates im 19. Jahrhundert und auf 200 Jahre wechselhafte Kavalleriegeschichte. ­Deren Anfänge reichen zurück bis ins Napoleonische Zeitalter. Während der französischen Besatzung des Kurfürs­ tentums Hannover wurde 1803 in England »The King’s German Legion« aufgestellt. Deren 1. Schweres (seit 1813: Leichtes) Dragoner-Regiment kämpfte unter dem Herzog von Wellington in den Napoleonischen Kriegen und kehrte am 24. Februar 1815 als GardeRegiment in die nun königlich-hanno­ versche Armee zurück. 1816 bestanden in Hannover die Garde du Corps und ein Gardekürassier-Regiment. Im preußisch-österreichischen Krieg von 1866 erwarb hannoversche Kavallerie im siegreichen Gefecht von Langensalza (27. Juni) Ruhm und Ehre, als die Garde du Corps eine glänzende, aber blutig gescheiterte Attacke gegen die mit dem überlegenen Zündnadelgewehr ausgestattete preußische Infanterie ritt. Entgegen dem hannoverschen Reglement weit vor der eigenen Linie reitend, führte Premierleutnant Graf Ernst von Wedel seine 1. Schwadron in Paradeformation gegen das feindliche Infanteriekarree. Anders als die Mehrzahl seiner Ulanen überlebte Graf von Wedel den Angriff schwer verwundet. Die hannoversche Armee musste trotz ihres (später mitunter stark in seiner Bedeutung überhöhten) Erfolges bei Langensalza bereits am 29. Juni 1866 gegenüber den preußischen ­Truppen kapitulieren. Das Königreich Hannover wurde annektiert und zur preußischen Provinz Hannover. Als Preußi­sches Ulanen-Regiment Nr. 13 (1. Hannoversches) ging die Garde du Corps in der preußischen Armee auf. Die hannoverschen Gardekürassiere hingegen dienten fortan als UlanenRegiment Nr. 14 (2. Hannoversches). Hannoversche Kavallerie zeichnete sich 1870 in der letzten großen Reiterschlacht der Weltgeschichte bei Vionville und Mars-la-Tour (nahe Metz) aus. An der Spitze der 13er Ulanen fiel ihr Oberst Friedrich von Schack, aus Wolken in Mecklenburg-Schwerin stammend, der dem zahlenmäßig weit überlegenen französischen Gegner eine für den weiteren Verlauf des Krieges bedeutende Niederlage beigebracht hatte. Oberst von Schack wurde am 20. August 1870 in Mars-la-Tour beigesetzt. Graf Ernst von Wedel, der Held von Langensalza, erhielt übrigens bei »seinen«, nun preußischen Ulanen den Ehrentitel eines Obersten »à la suite« (der Titel berechtigt zum Tragen einer Regimentsuniform, beinhaltet jedoch kein dienstliche Stellung). Kaiser Wilhelm II. ernannte sich am 13. September 1889 selbst zum Chef des ruhmreichen Ulanen-Regiments Nr. 13. Dieses trug fortan an der Fellmütze, Tschapka genannt, den Garde­ stern, auf den Schabracken (Sattel­ decken), den Stern des schwarzen Adler­ordens und auf den Schulterstücken den Namenszug des Kaisers. Ab 1899 durften die »Königsulanen« wieder die Tradition der hannoverschen Garde du Corps fortführen. Im Ersten Weltkrieg kämpften sie, aufgeteilt in zwei Halbregimenter, sowohl an der Westfront als auch auf dem östlichen Kriegsschauplatz. 1918 endete die Geschichte der hannoverschen Ulanen. Die Tradition der beiden Regimenter übernahmen in der Reichswehr die 1. und 2. Es­ka­dron des 13. Reiter-Regimentes, das bis 1939 bestand, als seine Schwadro­nen in diversen Aufklärungsabteilungen der Wehrmacht aufgingen. Eine Traditionskameradschaft »Königsulanen-Regiment (1. Hannoversches) 13 1889 e.V.« ging nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Panzergrenadierbataillon 11 (später 13) der Bundeswehr eine Patenschaft ein, die bis zur Auflösung der Kameradschaft in den 1980er Jahren bestand. Die Panzergrenadiere pflegten die Tradition bis zur Auflösung des Bataillons 1992 am Standort Wesendorf. Bernhard Chiari Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 4/2008 31 /&6&16#-*,"5*0/&/%&4.('" 4LBHFSSBLTDIMBDIU 7PSHFTDIJDIUFo&SFJHOJTo7FSBSCFJUVOH *N"VGUSBHEFT.('"ISTHWPO.JDIBFM&QLFOIBOT+ÚSH)JMMNBOOVOE 'SBOL/ÊHMFS .àODIFO0MEFOCPVSH#FJUSÊHF[VS.JMJUÊSHFTDIJDIUF 7***4&VSP *4#/ .BSDVTWPO4BMJTDI 5SFVF%FTFSUFVSF %BTLVSTÊDITJTDIF.JMJUÊSVOEEFS4JFCFOKÊISJHF,SJFH .àODIFO0MEFOCPVSH.JMJUÊSHFTDIJDIUMJDIF4UVEJFO 94&VSP *4#/ .BUUIJBT3PHH "SNFFEFT7PMLFT .JMJUÊSVOE(FTFMMTDIBGUJOEFS%%3 )STHWPN.('" #FSMJO$I-JOLT.JMJUÊSHFTDIJDIUFEFS%%3 9*74&VSP *4#/ .JU#FJUSÊHFOWPO.JDIBFM&QLFOIBOT4WFO-BOHF%JFUFS-BOHFXJFTDIF $ISJTUJBO5I.àMMFSVOE.JDIBFM4DISBNN *N"VGUSBHEFS%FVUTDIFO,PNNJTTJPOGàS.JMJUÊSHFTDIJDIUFVOEEFT.('" ISTHWPO)BOT&IMFSU 1PUTEBN.('"1PUTEBNFS4DISJGUFO[VS.JMJUÊSHFTDIJDIUF 44DIVU[HFCàISJOLM1PSUP&VSP *4#/ www.mgfa.de .JMJUÊSJTDIFT;FSFNPOJFMMJO%FVUTDIMBOE