Heinrich Nußbaum verfasst von Julia Götz Heinrich Nußbaum wurde am 22. März 1924 in Minden geboren. Er ist nach dem christlich evangelischen Glauben erzogen worden. Sein Vater, Dr. Robert Nußbaum, ist der jüdische Stadtarzt in Minden gewesen und genoss ein hohes Ansehen. Seine Mutter Dora Nußbaum, geborene Quirin, ist eine Evangelistin gewesen. Gemeinsam mit seinen Eltern und seinen Geschwistern Günther und Anneliese lebte er in seiner Kindheit in der Steinstraße 9 in Minden. Seit dem sechsten Lebensjahr besucht Heinrich die Volkshochschule in Minden. Anschließend wechselt er im April 1935 auf das Ratsgymnasium. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wird Heinrich von seinen Mitschülern zunehmend schikaniert und als Mischling ersten Grades bezeichnet. Am 14. Juli 1938 wird sein Vater verhaftet, da er der Rassenschande bezichtigt wird. Daraufhin wird er von einem Sondergericht in Bielefeld zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Minna Kelle, eine engagierte Sozialdemokratin, unterstützt währenddessen Dora Nußbaum. Nachdem Heinrich die Quarta am 31. März 1939 erreicht, ist er aufgrund der Feindseligkeit ihm gegenüber gezwungen, die Schule zu verlassen. Daraufhin beginnt er am 01.04.1939 eine Lehre an der Mindener Schiffswerft Büsching und Rosemeyer. Aufgrund der Abstammung sind auch die Schulund Berufslaufbahnen seiner Geschwister durch viele Probleme gekennzeichnet. Deshalb flüchten beide mit Hilfe der Quäker nach England. Heinrich kann dank des US-amerikanischen Roten Kreuzes mit seinen Geschwistern in Briefkontakt stehen. Sein Vater wird nach dem Verbüßen der Strafe am 14. Februar 1941 in das KZ Sachsenhausen verschleppt und als sogenannter „ schwerer Fall“ eingestuft. Dort stirbt er 15. April 1941. Am 03. März 1943 verurteilt ein Sondergericht in Bielefeld seine Mutter wegen Heimtücken zu einem Jahr Haftstrafe im Gefängnis Schwelm. Während der Verhaftung seiner Mutter wird Heinrich am 02. Februar 1944 von dem Kriminalobersekretär Schwenker zwecks einer Ermittlung vorgeladen. Frau Baumeister, eine Mitbewohnerin seines Hauses, hat gegen ihn eine Anzeige erhoben. Bei diesem Verhör darf er selbst jedoch nicht zu Wort kommen. Dabei werden ihm gegenüber Drohungen ausgesprochen, wie:„ [Sie] sollen sich nicht aufs hohe Roß setzten, ich brauche nur der Staatspolizei in Bielefeld Mitteilung zu machen, dann kämen sie dorthin wo die Anderen hingekommen sind “ (Kriminalobersekretär Schwenker). Am Ende des Gesprächs wird Heinrich nach eigener Aussage an den Haaren gerissen, um sich vom Stuhl zu erheben. Sieben Monate später, am frühen Morgen des 19. Septembers 1944 wird er auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei in Bielefeld als jüdischer Mischling ersten Grades festgenommen und zur Staatspolizeistelle nach Bielefeld gebracht. Von dort aus wird er am 21. September 1944 in das Arbeitsjudenlager im Werk Tröglitz bei Zeitz/ Sachsen eingeliefert. Bei einem Bombenangriff am 06. November 1944 kommt seine Mutter in seinem Elternhaus ums Leben. Heinrich wird darüber durch ein Telegramm der Stadtpolizei Minden in Kenntnis gesetzt. Daraufhin erhält er ab dem 10. November 1944 acht Tage Urlaub. Es gelingt ihm, diesen bis Mitte März 1945 zu verlängern. Minna Kelle übernimmt die Vormundschaft für Heinrich, da er zu dem Zeitpunkt, als er zum Vollwaise wird, noch nicht volljährig ist. Während seiner Urlaubszeit nimmt er die Arbeit in seiner alten Arbeitsstelle auf der Schiffswerft in Minden wieder auf. Ende März 1945 wird Heinrich vom Arbeitsamt Minden zum auswärtigen Arbeitseinsatz nach Weimar (Buchenwald) beordert. Dieser Aufforderung leistet er keine Folge und versteckt sich bei Verwandten seiner www.ratsgymnasium-minden.de Pflegemutter, Minna Kelle, in Porta Westfalica Vennebeck. Dort besaßen die Verwandten eine kleine Landwirtschaft. Bis zum Einmarsch der Alliierten hält er sich in Vennebeck auf, danach zieht er wieder nach Minden in die Viktoriastraße 51. Nach dem Krieg wird er in Minden, nach eigener Aussage wieder zuvorkommend gegrüßt. Nach Kriegsende hilft ihm der Mindener Zahnarzt Dr. Klopp mit seinen Geschwistern, die bereits in England wohnen, Kontakt aufzunehmen. Im Mai 1945 tritt er in die Mindener Hilfspolizei ein und wird am 15.09.1945 in die Schutzpolizei übernommen, bei der er bis zu seiner Pensionierung als Polizeiwachtmeister arbeitet. Im April 1948 wird ihm ein grüner Ausweis für ehemalige Verfolgte ausgestellt und genau ein Jahr später wird Heinrich Nußbaum als sonderhilfeberechtigt eingestuft. Minna Kelle stellt für ihren Pflegesohn einen Antrag auf einmalige Beihilfe, da seine sonstigen Sachen Opfer des Bombardements vom 06. November 1944 geworden sind. Das Amt für Wiedergutmachung leistet am 15. September 1950 eine einmalige Beihilfe in Höhe von 300 DM und einen Anzug mit einem Sporthemd. Heinrich Nußbaum wurde als Hinterbliebener seines aus Rassengründen verfolgten Vaters, seiner politisch Verfolgten Mutter und als Verfolgter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft anerkannt. Dafür bekam er eine Entschädigung von insgesamt 500 DM. Heinrich Nußbaum heiratet am 13. Oktober 1950 Waltraud Kölling. Aus den Unterlagen des Kommunalarchivs Minden geht hervor, dass er gemeinsam mit seiner Frau bis zum November 1954 in die Schlachtstraße 3 wohnte. Ab dem Jahre 1962 wohnen er und seine Frau in der Steinstraße 9, wo sie ihr restliches Leben gemeinsam verbringen. 1981 stirbt sein Bruder im Alter von 57 Jahren an einem Herzinfarkt. 1989, acht Jahre später, lädt die Stadt Minden alle vertriebenen Juden ein. Anneliese Nußbaum, die jüngere Schwester Heinrichs, hatte jedoch kein Interesse, den „ offiziellen Kontakt “ nach 50 Jahren wiederzubeleben. Seine Frau, Waltraud Kölling, besucht am 06. Juni 2008 das Ratsgymnasium Minden und erzählt ihre Lebensgeschichte und die ihres Mannes. Am 30. August 2008 verstirbt Heinrich Nußbaum im Alter von 85 Jahren. (Quellen: Kommunalarchiv Minden; Hans-Werner Dirks und Kristan Kossack: Spuren jüdischen Lebens in Minden, Bielefeld 2009) www.ratsgymnasium-minden.de