Psychoanalytische Weiblichkeitskonzepte im Spannungsfeld

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Anita Dietrich-Neunkirchner
Vortrag beim Kongress: Sexual Health and Gender, 27.-28.8.2005
Psychoanalytische Weiblichkeitskonzepte im Spannungsfeld
zwischen Sex & Gender
Ich freue mich, hier vor einem interdisziplinären Fachpublikum sprechen zu dürfen.
Das Thema, mit dem ich vor Ihnen spreche, hat für mich mehrfache Aktualität.
Einerseits kommen überwiegend Frauen zu mir in die psychoanalytische Praxis, dies bedingt, dass ich
in meinem Berufsalltag sehr viel mit den Wünschen und Hemmungen der Patientinnen rund um ihre
Weiblichkeit konfrontiert bin. Dies kann natürlich nicht losgelöst gesehen werden von den kulturell
vorgegebenen Rollenzuschreibungen. All dies wirft für mich theoretische Fragen auf.
Andererseits weiß ich aus meiner supervisorischen Tätigkeit dass moderne psychoanalytische
Konzepte zur Weiblichkeit wenig bekannt sind, dass aber ein großer Bedarf da ist, Theorie und Praxis
miteinander zu verbinden.
Der Vortrag skizziert drei zeitgemäße psychoanalytische Ansätze zur weiblichen psychosexuellen
Entwicklung. Es handelt sich um die Theoriekonzepte der Französin Christiane Olivier, der
Amerikanerin Jessica Benjamin und der Deutschen Eva Poluda.
Den roten Faden im Vortrag bildet die zeitlichen Entwicklungslinie von der Geburt des Mädchens bis
hin zur Adoleszenz. Prägnante Stellen aus dem theoretischen Gebäude der Autorinnen bringe ich dazu
ein.
Olivier ist mit ihrem Buch „Jokastes Kinder: Die Psyche der Frau im Schatten der Mutter“ in den 80er
Jahren bekannt geworden. Um 1990 publizierte Benjamin „Die Fesseln der Liebe: Psychoanalyse,
Feminismus und das Problem der Macht. Etwas später dann: Der Schatten des Anderen:
Intersubjektivität – Gender- Psychoanalyse.“ Ab 1993 sind Poludas Publikationen, die im „lesbischen
Komplex“ eine griffige Formulierung des frühen Ödipuskomplexes gefunden hat, dazugekommen.
Die Begegnung mit dem Mädchen im 1.Lebensjahr
(Oralstadium: etwa bis 15.Mon., primäres Liebesverhältnis zur Mutter, früher Ödipuskomplex)
Im ersten Lebensjahr werden unser aller Urerfahrung mit der ersten Pflegeperson, die in der Regel die
Mutter ist, gemacht. Bindung, Erotik, Beziehung wird an ihr erfahren. Diese erste Beziehung (die
primäre Liebesinnigkeit zur Mutter) ist von einer großen Leidenschaftlichkeit geprägt.
Im Akt des Stillens wird nicht nur der Hunger gestillt, sondern es kommt auch zu einem erotisch
getönten Austausch zwischen Mutter und Kind, das bei beiden zu einer sinnlichen Erregung führen
kann.
Christiane Olivier zitiert diverse Untersuchungen (nachdem Töchter im Vergleich zu den Söhnen
kürzer gestillt werden) und sie erzählt aus ihrer Praxis, wo überwiegend Frauen von einer „inneren
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Leere“, einer „nie stillbaren Sehnsucht“ oder einem „dämonischen Gefühl des Unbefriedigtseins“
sprechen. In der Suche danach, was diese Leere füllen könnte, wird häufig nach Nahrung gegriffen,
welche als Ersatz (oder als Verweigerung) zu Eßproblemen führt. Die Ursache sieht sie darin, daß die
Mutter das Mädchen mit ihrem Geschlecht niemals als „genügend, und somit begehrlich“ empfinden
wird. Durch die Gleichgeschlechtlichkeit von Mutter und Tochter wird dem Mädchen kein Begehren
entgegegebracht, und ihm somit eine libidinöse Besetzung des Körpers vorenthalten.
Weibliche Homosexualität ist mit einem gesellschaftlichen Tabu belegt, und von daher gut
nachvollziehbar, dass Mütter mit den sinnlichen Gefühlen, die die Töchter ihnen bereiten, ihre
Schwierigkeiten haben und peinliche Gefühle bei ihnen ausgelöst werden. Eine Form, das IrritierendSexuelle zu bannen besteht in der Funktionalisierung des Stillens, es auf ein möglichst unerotisches
„Abfüttern“ zu reduzieren.
In Oliviers Entwurf zur weiblichen Sexualität wird der Vater sehr früh als Ergänzung benötigt, auch
als Bezugsperson im täglichen Erziehungsprozess.
Olivier unterscheidet zwischen der Vater-Rolle und der Funktion des Vaters.
In der Vater-Rolle steht das Geld verdienen, sich der soziale Verpflichtung zu beugen im Vordergrund.
(Ich würde sagen, dies entspricht dem Ausleben der traditionellen männlichen Gender-rolle. )
Seine Funktion als Vater erfüllt er dann, wenn er sich gefühlsmäßig verantwortlich fühlt für seine
Tochter, „sie bevatert“! Indem er die Körperlichkeit seiner Tochter erotisch – aber nicht inzestuös –
besetzt, erlaubt er es seiner Tochter, sich selbst in ihrer Körperlichkeit begehrlich zu finden und einen
lustvollen Zugang zum eigenen Körper zu entwickeln.
Wenn wir diesen Ansatz ernst nehmen wollen, müssen dafür gesellschaftliche Strukturen geschaffen
werden, eine Väterkarenz ausgebaut werden und Vieles mehr. Für uns Frauen bedeutet dies, aktiv! den
Kindesvater auch in die Verantwortung zu nehmen, ihm diesen Raum einerseits zuzuweisen und
andererseits auch zu geben!
Ein genuines erotisches Verlangen zwischen Mutter und Tochter ist in Olivier´s Weiblichkeitsentwicklungs- entwurf nicht vorgesehen. Die Entdeckung von Weiblichkeit und weiblicher Lust wird
fast vollständig an den Mann delegiert!
Etwas differenzierter sieht dies die Soziologin und Psychoanalytikerin Jessica Benjamin (1988, 1992,
2002): Der Vater wird ebenfalls als notwendig angesehen, sehr früh den Entwicklungsprozess des
Mädchens mitzugestalten. Die Tochter soll sich ihm aber nicht nur zuwenden können als begehrtes
Objekt, sondern soll sich mit ihm auch als begehrendes Subjekt identifizieren können!
Was heißt dies jetzt?
Ein Vater, der in der Kindererziehung nicht anwesend ist, wird sich schwer tun, dem Mädchen die
nötige Anerkennung zu geben, dass es sich identifikatorisch an ihn binden kann. Um sich so, durch
ihn, als begehrendes, sexuelles Subjekt zu erleben. Fehlt er in der Kindererziehung, ist jener
Beziehungspartner nicht vorhanden durch den die Tochter erlebt was es heißt, sich aktiv, begehrend,
also sinnlich die Welt erobernd zu empfinden.
Die Mutter verkörpert bei Benjamin zumeist den passiven Part, die sich am Anderen ausrichtet,
unterordnet. Solange dieses gesellschaftliche Machtgefälle herrscht (das sich auch innerpsychisch in
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der Frau abbildet), bleibt es der Vater, der es dem Mädchen erlaubt, sich als etwas EIGENES
widerzuspiegeln. Er erlaubt es, dass die Tochter sich in Besitz von eigener Lust erleben kann, losgelöst
von der Mutter. Im töchterlichen Unbewußten kommt die Botschaft an: „ich bin nicht nur
begehrenswert, sondern - ich begehre auch – und dafür werde ich anerkannt!“
Bei Benjamins Weiblichkeitsentwurf ist interessant, dass diese idealisierte, präödipale Rolle, die dem
Vater zugeschrieben wird, in der REALITÄT ein Mann oder eine Frau erfüllen kann. Es geht darum,
dass es dieser Beziehungsperson möglich ist, das SELBST des kleinen Mädchens widerzuspiegeln als
ETWAS EIGENES!
Übertragen auf die Gender-Debatte heißt es, dass dieser Ansatz auch ermutigend wirkt, dass Mütter,
die sich jenseits der Kindererziehung aktiv und autonom verwirklichen können, im Unbewußten „die
Differenz der Gleichheit“ besser anerkennen können! (die Tochter mehr in ihrem Eigenen anerkennen
können).
Fallbeispiel: Frau L
Nach einer Woche Analysepause kommt Frau L mit einem roten Ringbuch. Im Vorraum, im Sitzen
bei der Klärung eines Termines und dann im Liegen plaziert sie das Ringbuch so, dass es keinesfalls
meiner Aufmerksamkeit entgehen kann. (Und ich schiele auch auf den Einband, der mit Comicfiguren
geschmückt ist).
Sie berichtet: „Ich hab´mich schon so gefreut auf sie. Gleich nach der letzten Therapiestunde ist so viel
los gewesen bei mir und da bin ich auf die Idee mit dem Tagebuchschreiben gekommen.“ - Sie schlägt
es auf, blättert herum, zwischendurch schließt sie es wieder und fährt mit ihrem Finger an der
Spiralbindung auf und ab.- Das Buch hab´ich mitgebracht, um es ihnen zu zeigen. Ich habe eigentlich
nur bis Dienstag Tagebuch geschrieben, ich weiß jetzt auch gar nicht, ob ich da nachschauen will um
ihnen was zu erzählen, wie es mir in der Woche ergangen ist.“
Ich sage: „Vielleicht geht es darum, dass sie mir zeigen möchten, dass sie was Eigenes haben.“ Der
Patientin fallen dann div. Assoziationen ein, daß es ja das wäre, was sie so vermisse, was Eigenes zu
haben, das Spaß und Lust macht. (Ihre Suche nach einem Hobby, das sie wirklich befriedige, aber
auch ihre Suche nach genitaler Lust, wo sie sich bisher ganz nach ihrem Partner ausrichte, wodurch ihr
Begehren und ihre Orgasmusfähigkeit blockiert sind). Zum Buch fällt ihr ein: mir war beim
Auswählen wichtig, dass es bunt ist und lustig. Im Roten steckt drinnen, dass ich mich mehr trauen
möchte, das was in mir steckt herzuzeigen. So wie sie es sich erst jetzt traue zu sagen, dass sie gerne
schreibe und auch glaube, darin Talent zu besitzen. Weiters fällt ihr ein, dass die Comicfiguren einen
Aspekt darstellen, der ganz zentral in ihrem Leben wäre: die Musik. (Am Einband handelt sich um
Schafe, die unterschiedliche Musikinstrumente bespielen). Dann fällt ihr ein, dass es sie so gedrängt
habe, dieses rote Buch mir zu zeigen, eigentlich würde sie gar nicht verstehen warum. – Sie sagt etwas
beschämt:“ vielleicht finden sie es ja blöd?!“
Ich sage: „Sie zeigen mir IHR, ganz persönliches rotes Buch, das Wertvolles, worauf sie stolz sind,
beinhaltet und außen mit Wertvollem geschmückt ist. Sie spielen damit, und das Motiv des
Herumspielens kommt im Motiv am Einband nochmals vor. Gleichzeitig schämen sie sich auch für
diesen Wunsch. Ich denke, diese Scham, die plötzlich aufgetaucht ist, verweist auf die sexuelle
Färbung ihres Wunsches, dass ich ihr roten Buch (ihr Genital) doch als begehrenswert anerkennen
möge um sie weiterhin darin zu unterstützen IHREM eigenen Begehren, IHRER eigenen Lust
nachzuspüren.“
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Daraufhin kann die Patientin über ihr Genital sprechen, über die vielen mütterlichen Entwertungen, die
mit dem heranwachsenden weiblichen Körper und dem Frausein verbunden waren und ihrem Wunsch,
sich mit einer starken Mutter zu identifizieren, die sich schön, begehrenswert und selbstbewußt
empfinden würde.
Eva Poluda (1993, 1999), bringt in die aktuelle Weiblichkeitsdebatte die Wichtigkeit weiblicher
homoerotischer Gefühle ein, der Begriff „lesbischer Komplex“ soll die sexuelle Liebe der Tochter
zur Mutter direkt benennen. Es ist damit das kraftvolle Begehren des eigenen Geschlechts gemeint.
Poluda meint, dass der Geschlechtsunterschied des Kindes im ersten halben Lebensjahr für die Mutter
nicht so zentral wäre, sie würde im Sinne der Winnicott´schen Diktion in „Primärer Mütterlichkeit“
agieren. (Also eine primären Liebesinnigkeit mit dem Baby herstellen, vorbewußt erinnernd – und
wieder-holend - die ehemalige Liebesinnigkeit mit der eigenen Mutter.)
Die Mutter ist es aber auch, die im Stillvorgang und in den Pflegehandlungen genital stimulierende
Impulse setzt, die im Mädchen erotische und lustgetönte Gefühle und Phantasien wecken. Das
Begehren des kleinen Mädchens wird angeregt, das es zuerst einmal heftig und sinnlich seiner Mutter
entgegenbringt. Bei der Mutter trifft dieses Begehren auf das tief verwurzelte sozialisationsbedingtes
Tabus der weiblichen Homosexualität.
Als wichtiger Aspekt in diesem Modell der weiblichen Sexualentwicklung erscheint mir, dass davon
ausgegangen wird, dass das kleine Mädchen mit dem Ausdruck seines Begehrens an die Mutter mit
aggressiv-aktiven, zupackenden Impulse ausgestattet ist.
Die Mutter ist es, die angesprochen wird und die Weichenstellungen bieten kann, noch bevor ein
Dritter „erscheinen muß“. Hält sich ihr Erschrecken vor dieser heftigen Liebesinnigkeit in Grenzen, so
wird sie früh zum Modell einer offensiven weiblichen Genussfähigkeit.
Poluda meint, mit der Überwindung der 7-Monats-Angst ist eine neue Stufe der Individuation erreicht.
Der nun anstehende Entwicklungszeitraum beinhaltet die Auseinandersetzung mit TrennungsErfahrungen und das erste Finden einer Geschlechtsidentität.
Die Begegnung mit dem Mädchen im zweiten Lebensjahr
(Zeit der Wiederannäherung, Erkenntnis der Unterschiedlichkeit, Auflösung des lesbischen = frühen
Ödipuskomplexes)
Die Tochter wächst heran, sie macht sich von der Brust unabhängig und beginnt zu laufen, sie erlebt
sich als ein von der Mutter getrenntes Wesen. Der eigenen Lust nachzugehen, aber auch zu erfahren,
die Mutter nicht allmächtig steuern zu können, dies geht nicht ohne Aggression von statten!
Das gesellschaftliche Frauenbild ist jedoch nach wie vor davon gezeichnet, dass Frauen vorwiegend
beziehungsorientiert und passiv agieren sollen.
Ein strenges Tabu der Trennungsagression (also das Verbot für das kleine Mädchen agressiv-fordernd
und sexuell aktiv zu sein) führt dazu, dass in der ubw. Interaktion die Tochter eine enorme Wut gegen
die scheinbar allmächtige Mutter, die sie bis in den Körper hinein kontrolliert, aufbaut. Wir sprechen
von Mutter-Imagines, ubw. Bildern, die meist schrecklicher und gefürchteter sind, als die realen
Erfahrungen mit der Mutter. Wenn die Wut des kleinen Mädchens auf seine Mutter ausgedrückt
werden darf, werden die inneren Bilder dieser Wut milder.
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Werden diese Impulse – uneinfühlsam - gehemmt, kann es leicht zu einer dauerhaften Störung der
sexuellen Genußfähigkeit der Frau kommen. Poludas klinischer Erfahrung nach würden weibliche
Sexualstörungen häufig aus einer Tabuisierung weiblicher Agression, auf ihrer Scheu, eigene Lust
einzufordern und damit offensiv zu experimentieren, beruhen.
Das Mädchen ist von diesen Lösungsschüben stärker betroffen, als der Junge.
Es wendet seine erotisch getönte Liebe von der Mutter ab und leitet damit die (Auf)lösung des
lesbischen Komplexes ein.
Es ist eine Trennungskrise, die damit beginnt dass das Kind die Eltern als PAAR erkennt, sich selbst
darin ausgeschlossen. Es nimmt den Geschlechtsunterschied wahr und sieht sich mit der
„heterosexuellen Verkehrsordnung“, die die gleichgeschlechtliche Liebe tabuisiert, konfrontiert.
Die Tochter erkennt, dass das Begehren der Mutter auf den Vater gerichtet ist. Vom Mädchen wird
nicht nur entsprechend dem Inzest-Tabus verlangt die Mutter als Sexualpartnerin aufzugeben (wie dies
der Junge auch mit der Mutter erlebt), sondern das zusätzliche Homosexualitäts-Tabu verbietet ihr
weibliche Liebesobjekte insgesamt!
Poluda sieht das kleine Mädchen mit einer doppelten Wut und einer doppelten Enttäuschung
konfrontiert und sie meint, dass es das Homosexualitäts-Tabu ist, das im lesbischen Komplex zur
zentralen Konflikt-Situation für die weibliche Entwicklung wird. Das Mädchen nimmt seine aktiv zur
Mutter gerichtete Libido zurück, es erkennt, dass es auf weibliche Liebesobjekte ganz verzichten soll.
Dies wird jedoch als tiefe Kränkung und Zurückweisung des eigenen Geschlechts erlebt. In der
Phantasie des Mädchens entstehen räuberische Impulse gegenüber dem mütterlichen Genital, jedoch
anders als bei Melanie Klein sollen aus dem Mutterbauch nicht die Babys oder der väterliche Penis
geraubt werden!
Das Resultat dieser Wut kann ein sehr strenges Über-ich sein, (das auch Melanie Klein schon
beobachtete). Das moralische Gewissen bringt das Mädchen dazu, auf andere Weise „gut“ für die
Mutter zu sein, indem das Mädchen verschiedenste Entwicklungsschritte „der Mutter zu Liebe“
rascher als der Junge vollzieht. (Sauberwerden, Fürsorglichkeit, Spracherwerb,..) Das Mädchen löst
sein Begehren immer mehr und mehr von der Mutter ab und es nimmt die Mutter mehr und mehr
durch Identifizierung in sich auf.
Am Ende des Ablösungsprozesses steht schließlich das Gefühl einer schmerzlichen Verlorenheit, (wie
dies etwa mit dem Erwerb der „depressiven Position“ bei M. Klein vergleichbar ist.)
Wie immer geht es auch bei dieser Entwicklungskrise darum, dass die Mutter die leidenschaftliche
Liebe ihrer Tochter nicht rüde zurückweist, im günstigsten Fall mildern homoerotische Bilder zur
eigenen Weiblichkeit die Angst vor der töchterlichen Begierde!
Benjamin sieht, wie vorhin schon dargestellt, im Vater jenen ANDEREN, der dem Mä hilfreich zur
Seite steht. Er erkennt sie in ihrem eigenständigen Begehren an, und sie kann sich mit diesem Teil des
Vaters positiv identifizieren um die nötige Differenzierung von der Mutter zu bewältigen.
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Die Begegnung mit dem Mädchen im dritten Lebensjahr
Phase einer verstärkten Triangulierung, reifer Ödipuskomplex
Im 3. Lebensjahr hören die Kinder auf windeleingepackt herumzulaufen. Die Hand des Mä gleitet
mehr denn je zwischen die Beine. Masturbation wird als körperliche Entspannung erlebt, erinnert an
liebevolle körperliche Gesten zwischen Mutter/Vater und Kind.
Olivier geht davon aus, dass die Mutter sich damit schwer tue, die Klitoris als Quelle der Lust. zu
schätzen, damit könne sie sie auch sprachlich nicht würdigen. Die Klitoris als Bereich der Lust, die
von der Mutter selbst auch mit Lust – und mit einem (Kose)namen besetzt ist - stößt an ein weiteres
kulturell bedingtes Tabu.
Moderne PsychoanalytikerInnen sind sich darin einig, daß es für eine gesunde Sexualentwicklung
wichtig ist, das biologische Geschlecht des Mädchens zu benennen – und hier gehört im Besonderen
die Klitoris dazu! Für das Ubw. der Tochter bedeutet diese „sprachliche Würdigung“: meine Sexualität
wird (von meiner Mutter) anerkannt.
Traditionellerweise wird jener entwicklungspsychologische Zeitraum als ödipale Phase beschrieben,
wo das Mädchen die sexuelle Liebe und die genitale Zuwendung des Vaters begehrt. Das Mä sucht
verstärkt körperliche Nähe zum Vater.
Der Verlauf dieser ödipalen Liebe hängt vom gewährenden Umgang der Mutter mit der töchterlichen
Agression ab und der Feinfühligkeit des Vaters, die „Verführungsbemühungen“ seiner Tochter weder
ängstlich zu entwerten, noch diese auszunützen.
Anders als bei Freuds Weiblichkeitskonzept, der für das Mädchen keine Lösung des Ödipuskomplexes
vorsah (nämlich mangels Kastrationsdrohung), glaubt Poluda, dass dies sehr wohl der Fall ist, nämlich
„durch das Akzeptieren des mütterlichen Anspruches an den Vater.“ Sie gibt den Vater als
Sexualobjekt auf, zugunsten einer partiellen Identifizierung mit ihm. So nimmt das Mädchen „ein Erbe
des Vaters in sich auf, was es ihr erlaubt, sich von ihm zu lösen.
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„Die junge Frau in der Adoleszenz“
Auf diese Phase, die direkt an die Pubertät anschließt, möchte ich noch kurz eingehen, da hier sehr
deutlich nachvollziehbar die seelischen und gesellschaftlich-sozialen Prozesse ineinandergreifen und
sich wechselseitig beeinflussen. Psychodynamisch gesehen wird die Identifizierung mit mütterlichen
und väterlichen Anteilen nochmals durchgearbeitet.
Es ist die Zeit sich mit dem eigenen Geschlecht, als auch mit dem anderen Geschlecht - unter
Wahrung des Inzesttabus - neu vertraut zu machen. Ich verweise auf die innigen
Mädchenfreundschaften, wo die Körper einander vorgezeigt, verglichen und zärtlich berührt werden
können. Sexuelle Beziehungen zu Männern können heute von jungen Frauen entspannter angegangen
werden, sie dürfen sich Zeit lassen für die „Lehrjahre der Liebe“.
Der zu Freuds Zeiten traditionell vorgezeigte Weg der weiblichen Entwicklung war, dass in der
Adoleszenz, dann wenn der „klassische Ödipuskomplex“ aktualisiert wurde, die Tochter in den Hafen
der Ehe verheiratet wurde. Der Spielraum für die adoleszente Frau war gering: mit dem Mann, der
dem Vater ähnlich war eine nicht auflösbare Vaterbindung einzugehen oder „gegen den Willen des
Vaters“ zu lieben. (eine „unanständige, unweibliche Frau“ zu sein.)
Poluda (2000) sieht in einer verlängerten Adoleszenz (wie dies in unserer Kultur für junge Frauen
durchwegs möglich ist) eine echte Chance aus hierarchischen Vater-Tochter-Beziehungen
herauszutreten. Ein autonomes, sexuelles Experimentieren würde es der jungen Frau erlauben, sich mit
dem Vater in agressiver Weise auseinanderzusetzen. Seine „sexuelle Ent-Mannung“ erfolgt zugunsten
der Peers und verhilft der Frau sich ihrer eigenen geschlechtlichen Potenz gewahr zu werden.
Erleichtert wurde dieser Prozess natürlich durch zuverlässige Verhütungsmittel und der
Liberalisierung des Schwangerschaftsabbruches, einer Errungenschaft der feministischen
Frauenbewegung.
Trotzdem darf die gesellschaftliche Realität nicht außer acht gelassen werden, die mit der bewußten
und unbewußten Gleichung: Weiblichkeit – Bindung – Familie massiven äußeren und inneren
Normierungsdruck auf Frauen ausübt. Berufliche Selbstständigkeit ist „erlaubt“ (während sie von den
Burschen erwartet wird), spätestens mit Eintritt in die Mutterschaft sind die weiblichen Bedürfnisse
zwischen Bindung versus Autonomie wieder neu auszuloten.
Den Sprung in die Versorgungsehe aufzugeben bedeutet für die Frau auf passive Versorgungswünsche
zu verzichten, und aktiv zu werden ohne „väterliche“ Hilfe. Es verschont sie jedoch auch nicht vor den
Trennungsschmerzen, die mit dieser Autonomie-bewegung einhergehen.
In psychoanalytischen Theorien ist heute eine differenzierte Sichtweise der weiblichen
Sexualentwicklung vorhanden. Entwicklungskrisen stellen sich für das Mädchen sehr früh, die
theoretischen Konzepte zeitgenössischer Autorinnen sind sich darin einig, dass im 1.und 2. Lebensjahr
diese Knotenpunkte vom Mädchen gemeistert werden müssen. Kulturelle Rahmenentwicklungen sind
im Fluss, dies bringt veränderte Rollenzuschreibungen für beide Geschlechter mit sich.
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Ich würde mir wünschen, dass die künftige Töchtergeneration mit präsenteren Vätern und offensiveren
Müttern aufwächst, um die neue Vielfalt von Chancen und Wahlmöglichkeiten als herwachsende
Frauen für sich psychisch freier nutzen zu können.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Anschrift der Verfasserin:
Anita Dietrich-Neunkirchner
Lichtenauergasse 1/10
1020 Wien
email: [email protected]
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Anita Dietrich-Neunkirchner - Psychologin, Psychoanalytikerin - e-mail: [email protected]
Psychoanalytische Weiblichkeitskonzepte im Spannungsbereich zwischen Sex & Gender
Auswahl an Fachliteratur:
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In: Alpert, J. (1992): S. 123 -149
Benjamin, Jessica (2002): Der Schatten des Anderen. Intersubjektivität, Gender, Psychoanalyse. FfM, Stroemfeld
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Langer, Marie (1955, 1988): Mutterschaft und Sexus. Freiburg: Kore
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9
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