Film, das ist Blut, das sind Tränen, Gewalt, Hass, der Tod und die

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Lose Blätter
Sammlung
N°3
Centraltheater
Film,
das ist Blut,
das sind Tränen,
­Gewalt, Hass,
der Tod
und die Liebe
Meyer
nach
Fassbinder
nach
Sirk
1
Detlef Sierck 1932
2
SIRK THE EAST – COMING SOON
Und immer wieder kommt man auf Filme zu sprechen. Klar, die ganzen
Streifen, die jeder kennt, aber eben auch die von Peckinpah oder
Vincente Minnelli und immer wieder Sirk. Und Clemens Meyer kennt
dann nicht nur einen, sondern gleich die ganze Palette. Natürlich
vornehmlich die Melodramen, die großen Filme, die Rock Hudson zum
Star machten, Fassbinder beeinflussten und eben auch das Schreiben
von Clemens Meyer.
Kurz vor der Premiere von „Die Nacht, die Lichter“ erschien das dritte
Buch des Autors, ›Gewalten‹. Warum denn nicht dieses Buch auch auf
die Bühne bringen? Die Lust, die gemeinsame Arbeit fortzusetzen, war
auf beiden Seiten da, aber auch die Lust, dieses Mal einen anderen Weg
zu gehen.
Aufblende. Die Arbeitshypothese. Sirk war in Leipzig. Douglas Sirk hieß
mit bürgerlichem Namen Detlef Sierck und war Intendant in Leipzig.
1937 ging er ins Exil, seine Hollywood-Karriere beginnt. Meyer ist in
Leipzig. „Film, das ist Blut, das sind Tränen, Gewalt, Hass, der Tod und
die Liebe“, hat Sirk laut Fassbinder gesagt. In diesem Punkt sind die
Texte von Clemens Meyer Film.
Meyer schreibt Texte für das Centraltheater, überschreibt Motive von
Sirk, verlegt das Melodram in Leipzigs Osten. Sascha Hawemann
wird den Text inszenieren. Wir verstehen die Losen Blätter als
Arbeitspapiere, die immer wieder Einblick in den Prozess unserer Arbeit
und unseres Denkens geben sollen. Hier also ein erster Arbeitsstand.
Der Text entsteht in diesem Moment, wächst weiter, wird verworfen.
Was noch nicht feststeht, ist der endgültige Titel des Stücks. Cut.
Douglas Sirk wird als Hans Detlef Sierck am 26. April 1897 in
Hamburg-Eimsbüttel geboren. Nach Jahren als Dramaturg,
Regisseur und Oberspielleiter in Chemnitz und Bremen übernimmt
er 1929 die Direktion des Alten Theaters in Leipzig. Ab 1935 dreht
er Filme für die Ufa u. a. mit Zarah Leander. 1937 verlassen Sierck
und seine jüdische Frau, die Schauspielerin Hilde Jary, Deutschland
und emigrieren über die Schweiz und Frankreich in die USA. Nach
anfänglichen Schwierigkeiten beginnt für den Regisseur, der sich
fortan Douglas Sirk nennt, eine steile Hollywoodkarriere. Das Genre
des Melodrams ist untrennbar mit seinem Namen verbunden.
1958 kehrt Sirk nach Europa zurück. Er arbeitet wieder an Theatern
in München und Hamburg und wird prägend für eine junge
Regisseursgeneration, allen voran Rainer Werner Fassbinder.
Am 14. Januar 1987 stirbt Douglas Sirk in Ruvigalia bei Lugano.
3
Clemens Meyer, geboren 1977 in Halle/Saale, lebt in Leipzig.
Sein Debütroman ›Als wir träumten‹, 2006, erhielt zahlreiche
Preise, darunter den Mara-Cassens-Preis, und wurde in der
Theaterfassung von Armin Petras am Schauspiel Leipzig und am
Maxim Gorki Theater Berlin aufgeführt. 2008 folgte ›Die Nacht, die
Lichter. Stories‹. Die Erzählungen wurden unter anderem mit dem
Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet und kamen 2010
am Centraltheater Leipzig in der Regie von Sascha Hawemann zur
Uraufführung. Im gleichen Jahr erschien das bislang letzte Buch
›Gewalten. Ein Tagebuch‹. „Sirk the East“ (AT) entsteht exklusiv
fürs Centraltheater.
TALENT
… sagt der Alte immer zu mir, du warst gut, Junge, du warst aufm
Sprung, Junge. Nenn mich nich Junge immer, hast du früher immer
zu mir gesagt, hast du zu allen gesagt, Junge, spiel ab, mach ihn rein,
geh rüber, spiel so, mach dies, Hacke Spitze Trallala, ich will’s nicht
mehr hören, ist doch alles anders jetzt, sei doch einfach … Ruhe,
verstehste, ich will doch nur meine Ruhe … Aber nee, du immer weiter,
wie du manchmal blabla, kreuzen, das konntest du blind Junge blabla,
und dein linker Fuß war fast genauso gut wie der rechte, weißte noch,
Junge, wie wir mal, gegen die Zweite von Zwenke, haha, ich lach
mich tot, und wie du immer die alten Geschichten, von wegen Talent
und …! mehr als? Ändie? Wodka-Mischa und die ganze Thekenelf?
6. Liga, Bundesliga, was? Und dass da mal n Späher, n Scout, 2.
Liga, Bundesliga, und ich wär der Beste, den du seit der Wende, also
als du von der Kinder und Jugend Sportscheiße weg bist, also so n
Talentespäher, nee, das, also das nehm ich dir nicht, denn das war
schon nach dem Probetraining bei Carl Zeiss, das ich verrissen … aber
vielleicht haste ja Recht, ich mein, ich bin ja nicht blöd, weiß schon,
was ich konnte und was nicht, aber ist eben dumm gelaufen damals,
aber der Ballack hat ja auch klein drüben in Chemnitz angefangen, und
das haben die meisten gesagt, wenn einer mal, wenn mal einer, dann
der Bernd!, sich hier rausspielen und so, aber da hab ich schon mit 20
gemerkt, dass das nix wird, biste selber schuld, sagt der Alte immer,
scheiße, drauf geschissen, verrissen! aber Fakt ist doch, dass ich nun
wieder hier hocke. Back home, sweet Home, „Willkomen zu Hause“,
inne Kneipe, haha, Alter, da kannste noch so grummeln, wenigstens
hab ich bisschen was verdient, bisschen was auf der Kante. Und
weil ich die Welt gesehn hab, was hast’n du schon gesehen! Zwenke,
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hockst immer noch hier wie die meisten, Mindestrente, aber ich …
na ja, n Stück Welt wenigstens, auch wenn das dreckig war und noch
dreckiger als hier, und weil ich noch lebe. Und weil ich weiß, wie das
is, wenn du im Dreck liegst. Richtig, mein ich. Verstehste. Nich wie
aufm Platz. Müsst ihr Dreck fressen, Jungs, was? Richtig nämlich.
Da kommen die schon wieder und fragen mich. Ja, hab vergessen,
Monatsanfang, der Harz Express. Wie warn das? Hm? Wie warn das?
Erzähl doch mal, Bernd. Haste ein totgemacht? Hm? Komm trink einen,
geht auf uns. Hey, die Kneipe gehört meiner Mutter, du Arschloch!
Fass mich nich an, nimm mal die Hand da weg, du, ja ja is doch nur
gut …, was weißt du schon … KOMMT DA NOCH EINER UN FRAGT
MICH KOMMT DA NOCH EINER?
Aua!, Muttie! Ja Muttie, tut mir leid wegen dem Glas, ja, was soll
ich denn sonst machen! Gehen mir aufn Sack alle. FAHRT DOCH
NACH MALLE!! Ja, Mutti, nächste Woche, ja, ich fahr raus, hol mir n
Termin vorher, ja musste ja machen jetzt mit Termin, sicher sicher,
Wachmann?!, weißte was die Ärsche zahlen? 3 Euro die Stunde oder so!
hey, warum nicht gleich Bulle? Weißt doch, was die mit Julian gemacht
haben. Was guckstn so, was guckstn gleich so. Is nich meine Schuld,
dass er den Ärger mit diesen Schweinen … Ja, ja. Julian fragt mich
nie. Der muss mich nicht fragen. Der versteht mich so. Und wenn wir
zusammen unterwegs sind, durchs Viertel und den ganzen Dreck hier,
da isses fast wie früher, da sag ich, hey, weißt du noch, als wir
Kinder … und dann fällt mir ein, dass das ja erst zehn Jahre, na ja mit
fünfzehn … Da seh ich uns, wie wir rüber auf den Sportplatz, und wie
die alle sagen, heh, da kommt Bernd, Bernd, der Bernd kommt, die
Kleineren, die flüsterten das sogar, richtig mit Ehrfurcht, Respekt und
so, weil, die kennen mich, das hör ich heute noch, wie die flüstern, guck
mal, der Bernd, der Bernd … wetten, der macht mindestens 3. Wie sie
da so flüstern, meine Güte, da läufts mir den Rücken. Das ist selbst in
Zwenke nich so gewesen. Und später schon gar nicht.
Und wie du gedribbelt bist, sagt der Alte immer … Aber was du nicht
hattest, Junge, sagt er, Biss. Immer die alte Geschichte. Ist doch alles
Quatsch. Das Auge des Tigers. Nee. Das ist Rocky-Scheiße. Das Auge
des Tigers. Da war mal so n Tier drüben in der Wüste, also mehr Steppe
ist das dort, so n Berg-Tier, wie n Löwe, wie n Tiger, nur kleiner, war
direkt drüben am Ende des Lagers, ganz nah, rattatatata, hab ich die
Nerven verloren, rattatata, ein ganzes Magazin, ist so ne Sache mit den
Nerven … Hab ich die Nerven verloren. Und rum und rum und mach
ihn rein, Zack, grätscht der mich ab, das Schwein … Weil, dass ich
doch Glück hatte, dass ich gut raus bin aus der Scheiße, und dass ich
da Glück hatte, und die Nerven, da war schon so oder so, das ein oder
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andere, aber … ob wir da auch gespielt haben, willste wissen. Ja ja. Und
ob ichs noch draufhab, willste wissen. Gegen die hat’s gereicht.
Gut, dass die Kleene die meiste Zeit hier ist und den Laden schmeißt.
Aushilfe, Minijob, oder wie das heißt, sonst würd ichs gar nicht
ertragen. Die hat die Augen von Julian, die Augen. Noch vor 5, 6 Jahren
haben wir die Kleene abwechselnd auf den Schultern geschleppt.
Haben die sogar mitgenommen, wenn wir zocken waren. War immer
viel Stunk bei Julian heeme. Hatten die immer zu tun mit ihrem
Hausmeisterservice und dem reichen Pack. Weiß gar nicht, was die
Kleene gemacht hat in den letzten Jahren. Redet nich viel. Guckt
nur. Und ich hocke mit 25 bei Mutti in der Kneipe, AUA und alle sind
hier. Aber verdammt noch mal, wo soll ich anders hin, zurück nach
Afghanistan? Und der Alte, und das Gequatsche von dem Alten,
Fußball, Fußball, als ob ich nicht so schon genug … Erinnerungen,
Erinnerungen, kurz angetäuscht und dann links vorbei, gegen die
Zweite von Zwenke, mein Jahrhundertspiel. Da war immer so n Typ
im Stadion, war immer da, der Typ, egal ob gegen Zwenke oder gegen
Motor oder gegen das Pack von der Lok, da war ich doch einmal mit so
nem Lok-Arsch aufm Zimmer, und wollt den erst richtig, wegen Julian
auch, da hab ich’n Hass auf die Bullen und die Lok-Ärsche, und die
Bullen vor allem, aber der Typ da im Stadion, der rief jedes Mal, wenn
die Zeit knapp war und wir wieder nem Tor hinterherliefen, MACH HIN!
DIE RUSSEN STEHN VOR ZWENKE!
Und wenn ich da irgendwo, und wenn ich da irgendwo … das große
Geld, richtiges Geld, da kommste nich ran in der fünften Liga, auch
nicht in der vierten, ab zweiter, dritter vielleicht, wird’s intressant. Und
seit Vati tot ist, wirft der Laden auch nichts mehr ab. Wie er immer
im Stadion gestanden hat und mich angefeuert hat: BERND BERND
BERND DU BIST DER BESTE MANN DU BIST DER BESTE MANN!!!
OLE OLE DER BERND DER BERND GEHT VOR SCHIESST EIN TOR!!!
BERNDALE OH-HO-HO-HO/ BERNDALE OH-HO-HO-HO!!! (Chorus der
Gäste) Und Army, fürs Leben?, nee. Is durch das Ding, is durch. Will
nicht hier verrotten, verdammt.
DER POKERTISCH
Im Flugzeug (ein Flugzeug? Vielleicht ein Hometrainer-Fahrrad mit
ankonstruierten Flügeln, oder ein kleiner Zeppelin, verysteilisch,
GOOGLE EARTH, wie wird das gebrochen?, das Element der Reality
Show, Making of, Barbara Salesch, Wetten, dass?, Deutschland sucht
… wen eigentlich? Fly me to the Moon. Wir fliegen wohin wir fliegen …)
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Kyle:„Als ich von der Universität flog, hat Vater die Hoffnung aufgegeben, dass Rocks Qualitäten auf mich abfärben. Leicht, so zu
reden, 2000 Meter über dem großen Pokertisch.“
Lucy: „Pokertisch, wieso?“
Kyle:„Der große Pokertisch. Von Las Vegas bis Wurzen. In Wurzen
wurdsen schlecht, hinter Wurzen wurdsen wieder besser …
Kennst du den? Drei sächsische Städte in einem Satz?“
Lucy:„Sächsische Städte? Und der Pokertisch?“
Kyle:„Guck doch, das ganze Grün und die vielen bunten Flecken. Wie
Karten, wie Chips, wie Lichter. Da unten bin ich einer, der zu viele
Chips hat. Wenn ich sie in die Luft werfe, fallen immer welche auf
meine Schultern.“
Lucy:„Und die drei Städte?“
Kyle:„Kommt ein Glatzkopf zum Friseur …“
Lucy:(verträumt) „Wie deine Haare glänzen. Ein ganz anderes Licht
hier oben.“
Kyle:(streicht sich durch die Haare) „Und der Friseur zum Glatzkopf …
und jetzt kommts: bLEIPZ’SCH gleich, Dresden hin, dresden her,
chem-nitztoochnüscht mehr.“ (Sie lachen)
Kyle:„Und immer die Chips auf meinen Schultern. Und da unten das
große Spiel. Aber das wäre für meinen Alten eine Enttäuschung,
wenn ich so enden würde, wie mein Onkel, aber wer weiß,
vielleicht wartet er ja drauf.“
Lucy:„Was war denn mit deinem Onkel?“
Kyle:„Jonathan Hadley? (Übrigens gabs hier mal ein sehr provinzielles Schimpfwort „DU HEADLEY!“, das hat aber nichts mit
unserem Namen zu tun. Englisch können die hier nicht so gut.)
Er lebte leicht und starb schwer. Er überlebte ein paar romantische Duelle wegen einiger Damen aus dem Landadel dieser
geheimnisvollen Tieflandbucht, um dann von den gedungenen
Mördern eines eifersüchtigen Gemüse-Türken erschlagen zu
werden, ein Händler der Jahreszeiten. Er war gerade dreißig.“
CUT/BRUCH
Der Pokertisch in der Kneipe. Die 3 Männer spielen Skat mit Jonathan
Hadley, einem eleganten Mann im Outfit des 18. Jhrds. „18, hab, 24, hab,
28, passe! Überreiz nicht, du Headley (sächsisch)!“
Drei oder vier Türken stürmen die Szenerie, brüllen ihn an: „Du hast
unsere Schwester gefickt, du hast unsere Ehre beschmutzt!“
J.H.:(sehr elegant und gelassen) „Lebt sie denn noch?“
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Sie schlagen ihn zusammen und auch tot, was sehr lange dauert,
während die drei Männer unberührt weiterspielen, oder ihren Kopf auf
die Tischplatte legen (das unbeirrte Aufsagen ihrer Chiffren kann sich
auch, da es oft kommt, erschöpfen, denke ich).
Dann weiter in der Kneipe (der Hausmeister und Kai räumen Dreck und
Leiche weg) und/oder parallel im Flugzeug mit Google Earth.
Einige Szenen werden im Stil einer Reality Show sein. Konflikte werden
gelöst, Personen tauchen auf, Beschimpfungen (Du alte Drecksau hast
immer rumgefickt! Rock outet sich als bisexuell evtl., das Drama wird
gebrochen und überzeichnet, findet aber immer wieder in seine „ernste
und dramatische Linearität“).
Die Handlungen kreuzen sich, beide Tragödien fließen ineinander, wobei
die Written-Handlung dialogisch verändert wird, möglicherweise auch
plötzlich abbricht und im Fernseher der Kneipe in einer Klatschsendung
(die ja auch szenisch sein kann) nacherzählt wird.
Im Film treten zwei Bullen auf, hier könnte man möglicherweise einen
Auftritt der schwulen Centralcops à la YMCA arrangieren, die ihre
eigene kleine tragikomische Geschichte in einem schrill/stillen Moment
erzählen.
Musical-/Screwball-Elemente können einfließen. Der Hausmeister-Blues.
Flashback-Rap nach Afghanistan.
TO BE CONTINUED SOON
IMPRESSUM:
Lose Blätter Sammlung ist eine unregelmäßig erscheinende, kostenlose Reihe von
DENKEN+HANDELN (Dramaturgie) am Schauspiel Leipzig.
Lose Blätter Sammlung Nr. 3 vom 10. März 2011 (Spielzeit 2010/11)
Herausgeber: Schauspiel Leipzig, Eigenbetrieb der Stadt Leipzig
(Centraltheater + Skala), Bosestraße 1, 04109 Leipzig
www.schauspiel-leipzig.de
Intendant: Sebastian Hartmann
Redaktion: DENKEN+HANDELN, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Foto: Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Foto Pieperhoff
Grafik: DiG Berlin
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