03.10.2014 Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter Medikation bei Fragilem X – Grenzen und Möglichkeiten 21. Jahrestagung der Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V. Bad Salzdethfurt, 3.-5. Oktober.2014 Dr. Gottfried Maria Barth, M.A: Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen Fragiles X-Syndrom Netzwerk Fragiles X – Syndrom am Universitätsklinikum Tübingen 1 03.10.2014 Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter Medikation bei Fragilem X – Grenzen und Möglichkeiten 21. Jahrestagung der Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V. Was sind „Psychopharmaka“ Verabreichung von Psychopharmaka Wirkungsweise von Psychopharmaka Spezifische Behandlung Erfahrungen aus der Studie Psychopharmaka = Psychotrope Substanzen = Substanzen mit Wirkung auf die Psyche, das Seelische (Erleben, Befinden, Verhalten) Geschichte der Psychotropen Substanzen: Rauschdrogen: Wein im alten Testament (Noah) = berauschend Haschisch bei Assyrern (700v.Chr.) Opium im antiken Rom = schmerzstillend Cocablatt bei südamerikanischen Indianern = Beseitigung von Hungergefühl, Erschöpfung, Traurigkeit Peyote-Kaktus bei mexikanischen Indianern Literarische Schilderungen des Opiumgebrauchs im 19. Jahrhundert griechische Antike: Helleboros bei psychischen Erkrankungen (schwarzer Helleboros = Nieswurz, weißer Helleboros = Germer) Mittelalter: alkaloidhaltige Pflanzenextrakte, z.B. Schlafschwamm, Hexentrunk (Stechapfel, Mandragora, Eisenhut, Rauwolfia, Hyoscyamus, Belladonna) 2 03.10.2014 Begriffsbildung: 1548: „Psychopharmakon“ hoc est: medicina animae (Reinhardus Lorichius) = Sammlung von Trost- und Sterbegebeten 1883: Über die Einwirkung einiger medikamentöser Stoffe auf die Dauer einfacherpsychischer Vorghänge (Kraepelin) 1892: Über die Beeinflussung einfacher psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel = „Pharmakopsychologie“ z.B. Alkohol, Tee, Chloralhydrat, Äther, Morphin, Paraldehyd (Kraepelin) 1955: „Neuroleptika“ (Delay) 1958: „Psycholeptika“ und „Psychoanaleptika“ (Delay) Überbegriff Psychopharmakologie. Körperliche psychiatrische Behandlungsmethoden vor Einführung der modernen Psychopharmaka: Internierung, Zwangsjacke, Fixierung, Isolierzelle Aderlaß Untertauchen in kaltes Wasser Auslösung von Brechdurchfall Erzeugen pfenniggroßer Verbrennungen Auslösung von eiternden Wunden Fiebertherapie: seit Ende des 19. Jhdt. mittels Injektion von Bakterien oder Schwefelöl Malariatherapie: bei progressiver Paralyse (Spätstadium der Syphilis) Dauerschlaf-Behandlung: seit 1920 durch Medikamente Erzeugung eines Schlafs von 8-10 Tagen Dauer zur Durchbrechung von Erregung und Regression üfr psychotherapeutische Behandlung. Anfälligkeit für Infektionen und Herz-Kreislauf-Komplikationen. Insulinkoma-Therapie: seit 1933 tägliches Erzeugen eines hypoglykämischen Komas durch i.m. Applikation von Altinsulin von bis zu 80-300-500 I.E. Erwecken durch Traubenzuckerzufuhr und später Glukagon-Injektion. Mortalität 0,4%. 3 03.10.2014 Körperliche psychiatrische Behandlungsmethoden vor Einführung der modernen Psychopharmaka 2: Chemische Heilkrampf-Behandlung: seit 1935 generalisierter tonisch-klonischer Krampf mit abruptem Bewußtseinsverlust nach Injektion eines krampfauslösenden Mittels. Mortalität 0,3%. Elektrische Heilkrampf-Behandlung: landläufig Elektroschock genannt, heute EKT = Elektrokrampftherapie seit 1937/38, Mortalität 0,07%. Heute in Narkose und Muskelrelaxation, dadurch nahezu gefahrlos. Heute indiziert bei perniziöser Katatonie, therapieresistenter Depression und ungünstig verlaufender Schizophrenie. Nebenwirkungen: Gedächtnisstörungen, Verwirrtheitszustände, Kopfschmerzen klingen im allgemeinen nach Tagen oder wenigen Wochen ab. Früher Frakturen und Luxationen. Stickstoff-Inhalation: seit 1938 zur Behandlung manisch-depressiver Erkrankungen Leukotomie oder Lobotomie: seit 1936 Durchtrennung des Marks beider Stirnlappen zur Besserung schizophrener oder anankastischer Symptome Seelenwirksame Medizin (Psychopharmaka) ist mehr als Chemie 8 Tiere sind sehr sensibel und empathisch und bedienen besonders die nicht bewusste oder kognitiv betonte Kommunikation. 4 03.10.2014 Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter Medikation bei Fragilem X – Grenzen und Möglichkeiten 21. Jahrestagung der Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V. Was sind „Psychopharmaka“ Verabreichung von Psychopharmaka Wirkungsweise von Psychopharmaka Spezifische Behandlung Erfahrungen aus der Studie Verabreichung Psychopharmaka ist Kosten-Nutzen-Abwägung Alle Psychopharmaka haben Nebenwirkungen Akute Nebenwirkungen können frühzeitig erkannt werden Reaktion ist möglich, Nebenwirkungen werden beseitigt Chronische Nebenwirkungen (oft nach Jahren), z.B. Spätdyskinesien oder Stoffwechselstörungen werden oft erst im Nachhinein erkannt keine Vermeidung der Nebenwirkungen mehr möglich Barth 2014 10 5 03.10.2014 Verabreichung Psychopharmaka ist Kosten-Nutzen-Abwägung Sowohl die Wirkungen als auch die Nebenwirkungen des gleichen Wirkstoffes sind individuell verschieden Damit kann die Kosten-Nutzen-Abwägung nur individuell erfolgen. Voraussagen zu Wirkungen und Nebenwirkungen sind unsicher. Jede Behandlung mit einem Psychopharmakon ist ein individueller Versuch. Barth 2014 11 Epigenetik Die Expression von Genen wird durch Umwelteinflüsse bedingt. (z.B. frühkindliche Erfahrungen) Z.B. durch Methylierung von Genen (Cortisolrezeptorgen durch Einflüsse der frühen Kindheit, Methylierung der Region vor dem Gen bei Fragilem X) Die Methylierung von Genen kann auch die Ansprechbarkeit gegenüber Medikamenten verändern, beispielsweise über unterschiedliche Rezeptorausbildung 6 03.10.2014 Entwicklungsprozesse Entwicklungsprozesse beeinflussen die Wirksamkeit und den Stoffwechsel von Medikamenten. Die Anzahl und die Verteilung von Rezeptoren im Gehirn ändert sich im Laufe des Lebens. Der Abbau von Medikamenten geschieht bei Kindern in der Regel schneller. Sie können manchmal höhere, manchmal niedrigere Dosen an Medikamenten vertragen als Erwachsene und benötigen oft die gleiche Dosis für eine ausreichende Wirkung. Die Mitarbeit bei Einnahme etc. ändert sich altersabhängig. Ernährungsgewohnheiten und Genussgifte beeinflussen Medikamentenaufnahme und –stoffwechsel Altersabhängige Fett- und Muskelverteilung beeinflusst Wirksamkeit von Medikamenten. Barth 2014 13 Plasmaspiegel: z.B. Neuroleptikum 7 03.10.2014 Bedeutung der CYP450-Enzyme CYP 3A3/4 Kein genetischer Polymorphismus Inhibitoren: Substrate: Induktoren: Fluvoxamin Fluoxetin Erythromycin Dexamethason Midazolam Diazepam Clonazepam klass. AD Mirtazapin Terfenadin Cyclosporin Östrogene Diltiazem Amiodaron u.a. Carbamazepin Phenobarbital Phenytoin Rifampicin Erythromycin Ketokonazol Cimetidin Verapamil Dexamethason Valproinsäure u.a. Rauchen u.a. 8 03.10.2014 CYP 2D6 Mitochondrial und mikrosomal, v.a. in Leber und Darm, Gen auf langem Arm des Chromosoms 22 mit 4378 bp poor metabolizer (7%) normal/extensive metabolizer ultrarapid metabolizer (1-7%) 2 nichtfunktionierende Allele homozygot oder heterozygot Genamplifikation Inhibitoren: Substrate: Induktoren: Fluoxetin Moclobemid Haloperidol Levomepromazin Methadon Cimetidin u.a. Risperidon viele Neuroleptika klass. Antidepressiva z.T. moderne AD Carbamazepin Rauchen Betablocker Antiarrhythmika Codein (durch CYP 2D6 aktiviert) u.a. Gentypisierung für CYP 2D6 (über Polymerase-Kettenreaktion, DNA aus peripheren Lymphozyten ) wt mut Gesunde VP wt mut wt mut wt mut wt mut Patient M. wt mut wt mut *4-Mutante *4=bp 298 fehlender wt CYP 2D6*4-Mutante CYP 2D6Wildtyp CYP 2D6*4-Mutante 3 VP mit Enzymdefekt 2 gesunde VP 2 VP mit Enzymdefekt Referenzkb-Leiter 9 03.10.2014 Psychopharmaka bei Fra X Bei Kindern und Erwachsenen mit Fragilem X – Syndrom ist diese Problematik noch verstärkt. Es ist nicht voraussagbar, welche Dosis für sie die richtige sein wird. Häufig genügen ganz geringe Dosen, um die erwünschte Wirkung zu erreichen. Häufig können bereits ganz geringgradige Dosisänderungen erhebliche Änderungen der Wirkung oder der auftretenden Nebenwirkungen hervorrufen. Nicht selten bestehen Empfindlichkeiten gegenüber bestimmten Darreichungsformen. Barth 2014 19 Psychopharmaka bei Fra X - 2 Viele Patienten mit Fragilem X – Syndrom fällt es nicht leicht, über ihre eigene Befindlichkeit zu berichten und damit auch nicht leicht, detailliert über die Wirkung ihrer Medikamente zu berichten. Deshalb hat die Beobachtung durch die Angehörigen oder andere betreuende Personen eine besondere Bedeutung. Es ist dabei wichtig, die Beobachtungen aus verschiedenen Lebensbereichen einzubeziehen. Die Identifizierung von Nebenwirkungen kann ebenfalls erschwert sein. Es besteht ein Risiko, dass gravierende Nebenwirkungen übersehen werden oder dass in Einzelfällen auch fälschlich Nebenwirkungen zugeschrieben werden. Häufig legen sich bei Psychopharmaka initiale Nebenwirkungen im Verlauf der Behandlung – was Geduld erfordert. Barth 2014 20 10 03.10.2014 Folgerung für die Gabe von Psychopharmaka bei Menschen mit Fragilem X - Syndrom Es ist ein engmaschiges Monitoring der Wirkungen und Nebenwirkungen und Einbeziehung der betreuenden Bezugspersonen notwendig. Bei Kindern und Jugendlichen sollte in der Regel ein Monitoring der Blutplasmaspiegel des Medikaments erfolgen. Ein vorsichtiges Titrieren sollte zur individuell geeigneten Dosis führen. Barth 2014 21 Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter Medikation bei Fragilem X – Grenzen und Möglichkeiten 21. Jahrestagung der Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V. Was sind „Psychopharmaka“ Verabreichung von Psychopharmaka Wirkungsweise von Psychopharmaka Spezifische Behandlung Erfahrungen aus der Studie 11 03.10.2014 Was wirkt? Die chemisch pharmakologische Wirkung ist nur ein Teil der Wirkung! Placebo-Wirkung kann enorm groß sein.! Teilweise wirken Placebos annähernd gleich gut wie die Wirkstoffe! Placebos wirken auch dann, wenn man darum weiß! Barth 2014 23 Anwendung von Psychopharmaka Gabe von Psychopharmaka psychodynamische Aspekte biologische Aspekte Beziehungsaspekt der Verabreichung psychotherapeutischer Aspekt pharmakodynamischer Aspekt pharmakokinetischer Aspekt Verabreichung von Medizin ist Beziehungsgeschehen Verordnung v. Medikamenten hat immer auch eine über die pharmakologische Wirkung hinausreichende Bedeutung Wirkmechanismus des Medikaments Stoffwechsel des Pharmakons mit den zugehörigen Einflussfaktoren jede Verabreichung von Medikamenten soll gute Versorgung sein Medikament als konkretistische Hilfeleistung durch den Therapeuten betroffene Neurotransmitter Halbwertszeit bestimmt Serumspiegel und die Verabreichung des Pharmakons Jede Medikamentengabe muss gut vorbereitet sein beim Patienten und im Team ein Medikament führt einen unabhängigen und mächtigen "Dritten" in die ther. Beziehung ein (Antidepressiva: Serotonin, Noradrenalin, ...) Rezeptorprofil (Neuroleptika: klassisch D2, neuere 5HT2, ...) Sensibilisierung des Gehirns für psychotherapeutische Veränderung (z.B. Synapsenlockerung durch Cortison) Stoffwechseleinflüsse bestimmen Serumspiegel und damit Wirkungen und Nebenwirkungen 12 03.10.2014 Einteilung der Psychopharmaka Antidepressiva: gegen Depressionen und Verstimmung, zur Antriebssteigerung oder Beruhigung Phasenprophylaxe affektiver Psychosen sowie Behandlung manischer Symptome: zur Behandlung von manischen und manisch-depressiven Verläufen Neuroleptika: zur Behandlung von Psychosen (Schizophrenie), Erregungszuständen und anderen schweren psychiatrischen Krankheitsbildern Tranquilizer: zur Beruhigung und Angstreduktion Hypnotika: Schlafmittel Nootropika: zur Besserung des Hirnstoffwechsels Psychostimulantien: zur Anregung, bei Hyperaktivität Behandlung extrapyramidalmotorischer Störungen: gegen Nebenwirkung von Neuroleptika, gegen Parkinson Antiparkinsonmittel Behandlung von Entzugssyndromen Antiepileptika: gegen verschieden Formen von zerebralen Krampfanfällen Pflanzliche Psychopharmaka (Phytopharmaka mit psychotroper Wirkung): Kava-Kava (Rauschpfeffer): evtl. serotonerge Wirkung bei Angst- und Spannungszuständen, Antriebsarmut, Dysphorie, Konzentrations- und Leistungsschwäche (Antares, Ardedystin, Cefakava, Kavasedon, Kavatino, Kavosporal, Laitan) Nicht in der Schwangerschaft, vor allem in den ersten drei Monaten, nicht in der Stillzeit oder bei endogenen Depressionen! Johanniskraut: evtl. monoaminooxydasehemmend bei depressiver Verstimmung, Angst- und Spannungszuständen, psychovegetativen Störungen Gefahr der Photosensibilisierung bei hellhäutigen Personen (Cesradyston, Esbericum, Hyperforat, Jarsin, Kneipp Johanniskraut, Lophakomp Hypericum, Neuroplant, Psychatrin, Psychotonin, Rephahyval, Turineurin) 13 03.10.2014 Pflanzliche Psychopharmaka (Phytopharmaka mit psychotroper Wirkung): Baldrian: bei nervöder Unruhe und Einschlafstörungen (Baldrian-Phyton, Kneipp-Pflanzendragees, Nervipan, Sedalint, Valdispert) Nur Valeriana officinalis, mexikanischer Baldrian evtl. zelltoxisch! Hopfen: bei Schlafstörungen, Nervosität, Erregung (Seda Kneipp) Melissenblätter: leicht dämpfend und damit beruhigend bei nervös bedingten Einschlafstörungen Passionsblumenkraut: Wirkung nicht gesichert bei nervösen Unruhezuständen Pflanzliche Psychopharmaka (Phytopharmaka mit psychotroper Wirkung): Lavendel, indische Narde virginischer Wolfsfuß: beruhigend, affektiv entspannend weitere traditionell angewandte: Zitronenmelisse, Rosmarin, Salbei, Kamille, Pfefferminze, Quendel, Weißdorn, ... Kombinationspräparate: Kava-Kava + Johanniskraut (Hewepsychon) Johanniskraut + Rauwolfiaextrakt (Hyperforat forte) Johanniskraut, Baldrian, Passionsblume, Lerchenspornwurzel, Eschscholzienkraut (Neurapas) Johanniskraut + Baldrian (Sedariston) Baldrian + Hopfen (Ardeysedon, Euvegal, Hovaletten, Ivel, Luvased, Sensinerv) 14 03.10.2014 Wichtige Rezeptoren und Wirkung ihrer Modulation Dopamin: D2 Noradrenalin: 1, 2, 1, 2 antipsychotisch Serotonin: 5HT1 ... 5HT5 anxiolytisch, antidepressiv, antiemetisch 5HT2: antipsychotisch?, verringert motorische Nebenwirkungen Acetylcholin: Glutamat: GABA: Adenosin: Opioide: Histamin: Nikotin- und Muscarinrezeptoren alle sedierend, : depressiv (längere Medikamentengabe verringert -Rezeptoren) Lernen und Gedächtnis NMDA GABAA+B A1+2 exzitatorisch, Lernen, Gedächtnis verschiedene Rezeptoren Schmerz, Stress, Verhalten H1 Blockade ermüdet inhibitorisch inhibitorisch 15 03.10.2014 z.B. Wirkungen der Neuroleptika: antipsychotisch sedierend = beruhigend (vorübergehend) anxiolytisch = angstreduzierend antiemetisch = gegen Brechreiz schmerzdämpfend Wirkungsverlauf: 1. Woche: Sedierung 2. Woche: extrapyramidalmotorische Nebenwirkungen 3. Woche: Krankheitseinsicht, emotionaler Ausgleich Starke Neuroleptika: Haldol, Fluanxol, Risperdal, Zyprexa, Leponex Mittelstarke Neuroleptika: Taxilan, Melleril Schwache Neuroleptika, stark sedierend: Neurocil, Truxal 16 03.10.2014 Folgerungen für die Anwendung von Psychopharmaka • Psychopharmaka haben nie nur eine ganz spezifische • • • • • pharmakologische Wirkung. Die individuelle Reaktion auf jedes Medikament muss berücksichtigt werden. Die Wechselwirkungen zwischen Medikamenten muss berücksichtigt werden. Die Verabreichung von Psychopharmaka sollte soweit die Zeit dazu reicht gut vorbereitet werden. Bei ausbleibender oder unerwarteter Wirkung oder starken Nebenwirkungen muss nach Störungen in allen Aspekten der Psychopharmakaverabreichung gesucht werden. Nicht „Psychopharmakotherapie“ sondern „therapieunterstützende Psychopharmakagabe“! Nicht „Psychopharmakotherapie“ sondern „therapieunterstützende Psychopharmakagabe“! 17 03.10.2014 Behandlungsphasen und therapeutische Interventionen in der Schizophreniebehandlung Folgerungen für den biologischen Aspekt der Anwendung von Psychopharmaka • Nicht nur das Rezeptorprofil bestimmt die individuelle Wirksamkeit und Nebenwirkungsrate eines Medikaments • Auch die Pharmakokinetik muß berücksichtigt werden um zufriedenstellende Wirkungen bei möglichst geringer Nebenwirkungsrate zu erreichen • Zur Pharmakokinetik gehört nicht nur die allgemein bekannte Halbwertszeit, sondern es gehören individuelle Besonderheiten des Stoffwechsels dazu • Es muß herausgefunden werden welche Besonderheiten im Stoffwechsel vorkommen • Es muß herausgefunden werden, welche Medikamente von diesen Besonderheiten betroffen sind • Es sollten einfache und sichere Wege zur Identifizierung der betroffenen Patienten gefunden werden 18 03.10.2014 Schlussfolgerungen Bei der Behandlung mit Psychopharmaka müssen alle psychodynamischen und pharmakologischen Aspekte berücksichtigt werden. Ungenügende Wirkung oder schlechte Verträglichkeit dürfen nicht voreilig auf schlechte „Compliance“ zurückgeführt werden. Moderne Neuroleptika sind nicht für alle Patienten besser verträglich als die klassischen. (Die unspezifischere Wirkung klassischer NL kann therapieunterstützender sein als die spezifischere Symptomunterdrückung der neuen NL.) Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter Medikation bei Fragilem X – Grenzen und Möglichkeiten 21. Jahrestagung der Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V. Was sind „Psychopharmaka“ Verabreichung von Psychopharmaka Wirkungsweise von Psychopharmaka Spezifische Behandlung Erfahrungen aus der Studie 19 03.10.2014 Behandlungsziel Verhaltensstörung Aufmerksamkeit Entwicklungsförderung Eine wichtige Behandlungsoption ist die Entlastung der Familien, die sich direkt auch auf das Verhalten der Patienten auswirken kann. Fra X und Autismus 40 Das Fragile X Syndrom bietet neben der Erklärung für intellektuelle Defizite auch eine monogene Erklärung für autistisches Verhalten und nimmt daher auch im Verstehen des Autismus eine wichtige Rolle ein. Weder für Fragiles X noch für Autismus gibt es etablierte spezifische Medikamente. Die Behandlung von belastenden Verhaltenssymptomen steht bei beiden im Vordergrund 20 03.10.2014 Fra X und Autismus Häufig auftretende Symptome beim FraX-Syndrom verzögerte Sprachentwicklung erhebliche grob- und feinmotorische Defizite ängstliche Reaktion auf neue Umgebungen/Situationen soziale Scheu, z.B. Vermeidung von direktem Blickkontakt Hyperaktivität Handwedeln starker Speichelfluß, häufig offener Mund Muskelschlaffheit ("Hypotonie - Spannung/Druck unterhalb der Norm ") Handbeißen überstreckbare Gelenke Angstzustände, vorwiegend in ungewohnten (Stress-) Situationen steckt alles in den Mund Fra X und Autismus Weitere Auffälligkeiten Fra X – Autismus lang anhaltende Inkontinenz kaut auf Büchern, Kleidung wacht sehr früh auf emotional labil (schnelle Stimmungsschwankungen) schlechter Gleichgewichtssinn als Säugling schwacher Saugreflex schlingt beim Essen liebt es, mit Wasser zu spielen vergrößerter Kopfumfang erhöhtes Geburtsgewicht langes Beharren auf Gedankeninhalten, Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen ("Perseveration") zwanghafte Wiederholung von Sätzen oder Wörtern ("Echolalie") liebt es, mit Lichtschaltern zu spielen (an und aus) leichter Schlaf vergrößertes Hodenvolumen ("MakroorchidieHodenvergrößerung ", bei 40% aller Betroffenen vor und bei 80% aller Betroffenen nach der Pubertät), längliche Gesichtsform mit breitem Kinn und großen, häufig abstehenden Ohren, Finger in Mund und Ohren stecken erkennt Gefahren nicht sehr gerne mit Türen spielen (öffnen und schließen, insbesondere automatische Türen, z.B. Fahrstuhl) auf Zehenspitzen laufen fehlende oder eingeschränkte Empfänglichkeit für optische, akustische und sensorische Reize Hautleisten- und Hautfurchenbesonderheiten (z.B. Vierfingerfurche) Desinteresse an Umwelteindrücken Fehlen jeglicher kindlicher Neugier Epilepsie Mitralklappenprolaps 21 03.10.2014 43 Medikation Grundsätzlich: • Mit niedrigeren Dosierungen als üblich beginnen • Geringere Dosissteigerungen als üblich • Enddosis ist schwer voraussagbar • Absolutdosis eher gewichtsunabhängig • Überwiegend Wirkstoffe wie bei anderen Verhaltensstörungen • Schwer voraussagbar, wie welches Medikament wirkt • Intensives Monitoring in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen und ihren Familien Medikation: 44 Angst und depressive Symptome • SSRI (Selektive Serotonin – Wiederaufnahmehemmer) • eher nicht solche mit langer Halbwertszeit auch wenn es eine Jugendzulassung nur dafür gibt • eher z.B. Escitalopram (Cipralex®) 5 – 20 mg, ggf. auch weniger • Falls Aktivierung und Schlafprobleme eintreten entweder Dosis reduzieren oder ggf. Comedikation Bei starker akuter Angst: • Benzodiazepine, z.B. Diazepam oder noch wirksamer Lorazepam (Tavor®) als Bedarfsmedikation • Cave: paradoxe Reaktion, neg. Wirkung auf Gedächtnis etc., Toleranzentwicklung, Abhängigkeit, Absetzphänomene 22 03.10.2014 45 Medikation: Aggression und selbstverletzendes Verhalten Neben gelegentlich SSRI (Selektive Serotonin – Wiederaufnahmehemmer) Antipsychotische Medikamente. Einige neuere Antipsychotika haben zur Behandlung bei Autismus ab dem Kindesalter eine Zulassung. Risperidone ( z.B. Risperdal®) Vorsichtige Dosissteigerung! Hauptnebenwirkung: Gewichtssteigerung, Prolactinerhöhung, Extrapyramidalmotorische Störung Aripiprazol (Abilify®) Teilweise dopaminerger Effekt und damit paradoxe Wirkung möglich. Inzwischen in dieser Indikation breit eingesetzt mit guter Wirkung! Vorsichtig dosieren! Medikation: 46 Reizbarkeit und affektive Störungen Gegen Reizbarkeit: SSRI, Antipsychotika Bei Symptomen bipolarer Störung: keine SSRI! Sondern: • Atypische Neuroleptika: Quetiapin, Risperidon, Aripiprazol • Antikonvulsiva: z.B. Carbamazepin • In Extremfällen: Lithium 23 03.10.2014 Medikation: Aufmerksamkeitsdefizit – Hyperaktivität (ADHS) 47 Methylphenidat: Ritalin ® Medikinet ® Equasym ® Concerta ® Methylpheni TAD ® - Möglichkeit der Retardgabe Dexamfetamin: Attentin® Elvanse® - In D noch wenig Erfahrung Atomoxetin: Strattera® - Anderes Nebenwirkungsspektrum, evtl. vermehrt Aggressivität Medikation: 48 Stereotypes und selbstverletzendes Verhalten SSRI und Antipsychotika Medikamentös jedoch schwer zu behandeln Andere Behandlungsaspekte rücken in den Vordergrund und müssen dahinterliegende Ängste und Unsicherheit berücksichtigen 24 03.10.2014 Medikation: Schlafprobleme 49 Behandlung ursächlicher Grundprobleme wie Angst • Schlafinduktion durch nichtmedikamentöse Beruhigungsstrategien und Routinen • Ggf. pflanzliche Stoffe in unterschiedlicher Zubereitung • Melatonin (Circadin®) • Niederpotente Neuroleptika • Clonidin Fra X – spezifischer Wirkmechanismus Hemmung des Glutamat-Rezeptors z.B. AFQ 056 = mavoglurant 25 03.10.2014 Methylierungsabhängige Wirkung? 51 ? Fra X – Auswirkungen: therapeutisch ursächlich beeinflussbar? Fra X – Symptome durch möglichst frühzeitige Behandlung? FXTAS und FXPOI auch im Erwachsenenalter? 26 03.10.2014 Zukünftige Optionen? Einzelfallberichte sind wenig aussagekräftig … mGluR-Antagonisten: welches sind die richtigen Zielvariablen und Anwendungsdauern? Minozyclin: Reduzierung des Enzyms MMP-9 und damit besseres Dendritenwachstum und Synapsenbildung? NNZ-2566: künstlicher IGF1-Wachstumsfaktor … Barth 2014 53 Nicht-medikamentöse Behandlungsoptionen 54 Unterstützung der Familien Intensive Förderung - bei Frauen Abitur möglich! Logopädie, Ergotherapie etc. Soziales Training Schulische Integration Berufliche Integration Einfühlsame Begleitung von Trennungsprozessen 27 03.10.2014 55 Lohnenswerte Förderung Es gibt Hinweise auf eine gute Wirksamkeit von Placebos! Auch bei Ausfall eines Gens sind die daraus folgenden Effekte in komplexe Wechselwirkungen eingebunden, die beeinflusst werden können Förderung darf jedoch nicht überfordern: Gleichgewicht von kognitiver Förderung und affektiver Beruhigung Botschaft aus ihrer Welt: Zuhause Barth 2013 56 28 03.10.2014 Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter Medikation bei Fragilem X – Grenzen und Möglichkeiten 21. Jahrestagung der Interessengemeinschaft Fragiles-X e.V. Was sind „Psychopharmaka“ Verabreichung von Psychopharmaka Wirkungsweise von Psychopharmaka Spezifische Behandlung Erfahrungen aus der Studie Dank Dank an alle Familien, die bei der Novartis-Studie mitgemacht haben. Es war beeindruckend, diese Familien kennenlernen zu dürfen und begleiten zu dürfen Ich habe sehr viel aus dieser Arbeit gelernt. Der Anteil an aufgetretenen Problemen war sehr gering, die Compliance der jugendlichen und erwachsenen Patienten überraschend gut. Ich würde mir wünschen, dass diese intensive Betreuung auch außerhalb von Studien möglich d.h. bezahlt würde. Barth 2014 58 29 03.10.2014 Kinder brauchen Kontakt und Schutz durch … Eltern Lehrer speziell Suchtpräventionslehrer professionelle Unterstützer der Schulen Therapeuten/Ärzte andere Barth 2014 59 Kinder brauchen Nähe … Katzen als Einzelgän ger suchen als Kinder die Nähe Barth 2014 60 30 03.10.2014 Motivierende Beratung Barth 2014 Regeln Beziehung Konsequenzen Wertschätzung 61 Erziehung? Barth 2012 62 31 03.10.2014 Authentische Beziehung jenseits der psychischen Erfahrung oder des Wissens Ich-Du der Begegnung Das Antlitz des Anderen Ich-Es des Wissens zwingt mich ihm zu helfen Martin Buber Barth 2014 Emmanuel Levinas 63 Beziehung heißt hören und sprechen Es geht nicht um ein bloßes »Hören«, ein oberflächliches Hinhören, sondern dieses »Zuhören« besteht aus Aufmerksamkeit, Annahmebereitschaft, Verfügbarkeit, … Überlegen wir uns heute gut, was wir für eine Sprache wir gebrauchen: … dass wir in der Sprache der einfachen Menschen sprechen, wie die Kinder, also in der Wahrheit … sprechen. Jorge Mario Bergoglio Barth 2014 64 32 03.10.2014 Martin Buber: Ich und Du, 1923 Alles wirkliche Leben ist Begegnung. Ich werde am Du; Ich werdend spreche ich Du. Das Grundwort kann nur mit dem ganzen Wesen gesprochen werden; wer sich drangibt, darf von sich nichts vorenthalten. Das Du begegnet mir von Gnaden – durch Suchen wird es nicht gefunden. Die Beziehung zum Du ist unmittelbar. Zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Phantasie. Beziehung kann bestehen, auch wenn der Mensch, zu dem ich Du sage, in seiner Erfahrung es nicht vernimmt. Denn Du ist mehr, als Es weiß. Du tut mehr, und ihm widerfährt mehr, als Es weiß. Hierher langt kein Trug: Hier ist die Wiege des Wirklichen Lebens. Barth 2014 65 Mein Apfelbäumchen: Lied „Zeugnistag“ Apfelbäumchen tut es nicht gut, zu früh Früchte zu tragen. Barth 2013 2014 Barth 66Was 66 erwarten wir von unseren Kindern und Jugendlichen? 33