Market Bulletin Steht das politische Projekt Europa an einem

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MARKET INSIGHTS
Market Bulletin
März 2017
Steht das politische Projekt Europa
an einem Scheideweg?
ZUSAMMENFASSUNG
• 25 Jahre nach der Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht ist Europas politische Landschaft
fragmentierter und polarisierter denn je zuvor, und das in einem Jahr, in dem in wichtigen
Mitgliedstaaten wie Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und eventuell Italien
Parlamentswahlen anstehen.
• Obwohl die meisten Analysten davon ausgehen, dass es wohl zu keinen populistischen Wahlsiegen
kommen wird, hat die Unsicherheit in verschiedenen Ländern zugenommen und die politische
Risikoprämie steigt an einigen Märkten für Staatsanleihen allmählich an.
AUTOREN
• Diese Vorsicht ist in Anbetracht von Europas vergangener Underperformance gegenüber anderen
Märkten der Industrieländer verständlich. Anleger sollten aber auch erkennen, dass ein eher
reflationäres globales Umfeld vor allem europäischen Unternehmen zugutekommen wird. Ohne
wesentliche politische Umbrüche gehen wir davon aus, dass sich diese fundamentalen Faktoren
an den europäischen Aktienmärkten im Verlauf des Jahres 2017 durchsetzen werden.
POLITISCHE LANDSCHAFT IN EUROPA: STÄRKERE FRAGMENTIERUNG
UND POLARISIERUNG FÜHRT ZU MEHR UNSICHERHEIT
Tilmann Galler
Global Market Strategist
Unlängst zeigte eine Studie von Ipsos Global Advisor, dass die meisten Europäer der Ansicht sind,
ihre Länder befänden sich im Niedergang. Sie haben wenig Vertrauen in ihre Regierungen und
wünschen sich eine neue starke politische Führung, die fundamentale Veränderungen auf den
Weg bringt1. Dieses Unbehagen und diese Unzufriedenheit mit dem Status quo haben dazu geführt,
dass etablierte Parteien der Mitte Unterstützer an Populisten am linken und rechten Rand des
politischen Spektrums verloren haben, und für eine zunehmende Fragmentierung der politischen
Landschaft gesorgt (s. Abbildungen 1 und 2).
Europas politische Landschaft ist stärker fragmentiert als je zuvor
ABBILDUNG 1: ENTWICKLUNG DES DURCHSCHNITTLICHEN PROZENTUALEN ERGEBNISSES DER
STÄRKSTEN PARTEIEN UND ANZAHL DER PARTEIEN PRO WAHL MIT MIND. 1 % DER STIMMEN
(5-JAHRES-DURCHSCHNITT)
%
43
Durchschnittl. Ergebnis der jeweils stärksten Partei in % (links)
Anzahl der Parteien pro Wahl mit mind. 1 % der Stimmen (rechts)
41
Vincent Juvyns
Global Market Strategist
10
9,5
9
39
8,5
37
8
35
7,5
33
7
6,5
31
6
29
27
1949
5,5
1956
1963
1970
1977
1984
1991
1998
2005
2012
5
Quelle: ParlGov, The Economist, J.P.Morgan Asset Management; Stand: 15. Februar 2017.
Maria Paola Toschi
Global Market Strategist
1
Ipsos Global Advisor, am 6. Februar 2017 veröffentlichte Studie mit Schwerpunkt auf fünf europäischen Ländern
(Frankreich, Spanien, Italien, Deutschland und das Vereinigte Königreich). Befragungen wurden im Dezember 2016
und Januar 2017 durchgeführt.
MA RK ET BU L L ETIN | 23. F E B RUA R 20 17
Unterstützung für populistische Parteien nimmt in ganz
Europa zu
ABBILDUNG 2: ABSICHT, FÜR WESENTLICHE POPULISTISCHE PARTEIEN
STIMMEN
%
30
2011
2016
25
20
15
10
5
0
Alternative für
Deutschland
Syriza
Podemos
Movimento
5 Stelle
Front national
Quelle: Nationale Umfragen, J.P. Morgan Asset Management; Stand: 31. Dezember 2016.
Diese Entwicklungen haben die Unsicherheit über den Ausgang
der verschiedenen Wahlen in diesem Jahr signifikant erhöht.
Obwohl sich die meisten Analysten einig sind, dass ein
populistischer Wahlsieg unwahrscheinlich ist, fühlen sich die
Anleger gezwungenermaßen daran erinnert, dass das Gleiche
über Großbritannien und dessen Brexit-Votum sowie über die
Wahl von Donald Trump in den USA gesagt wurde.
Der volle politische Kalender ist natürlich von Bedeutung für die
Anleger und mittlerweile steigen an den Finanzmärkten die
politischen Risikoprämien an. Am deutlichsten zeigt dies die
jüngste Ausweitung des Renditeabstands zwischen französischen
und deutschen 10-jährigen Staatsanleihen (s. Abbildung 3). In
diesem Beitrag widmen wir uns der Frage, was auf dem Spiel
steht, welche politischen Kräfte beteiligt sind und welche
Ergebnisse der bevorstehenden Wahlen in Deutschland,
Frankreich, Italien und den Niederlanden zu erwarten sind.
Spreads italienischer und französischer Staatsanleihen sind
unlängst gegenüber deutschen Papieren gestiegen
ABBILDUNG 3: SPREADS GGÜ. DEUTSCHLAND
%
2.5
2.0
Spread Italien
Spread Frankreich
Spread Niederlande
1.5
1.0
0.5
0.0
Jan. Feb. Mrz. Apr. Mai
2017
Jun.
Jul.
Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. Jan. Feb.
2017
Quelle: Thomson Reuters Datastream, J.P. Morgan Asset Management; Stand: 21. Februar 2017.
2
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DEUTSCHLAND: BUSINESS AS USUAL ODER
ÜBERRASCHUNG VON LINKS?
Was passiert aktuell?
Am 14. Mai 2017 finden in Nordrhein-Westfalen, dem
bevölkerungs reichsten Bundesland in Deutschland, Wahlen
statt, die eine Richtung für die Bundestagswahlen am
24. September 2017 liefern werden, wenn Angela Merkel von
der Christlichen Demokratischen Union (CDU) nach fast zwölf
Jahren im Amt erneut zur Wahl antritt. Bei einem Sieg wäre ihre
Amtszeit als Kanzlerin die zweitlängste in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands. Ihr Hauptrivale ist der Sozialdemokrat
Martin Schulz, ehemaliger Präsident des Europäischen
Parlaments, der sich überraschenderweise als Kanzlerkandidat
gegen den Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel durchsetzte.
Wer kandidiert und welche politischen Positionen
werden vertreten?
Ein Blick auf die Daten zeigt, dass sich Deutschlands Wirtschaft
derzeit in einer komfortablen Ausgangslage befindet. Nach der
Methodik der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) liegt die
Arbeitslosigkeit mit 3,9 % auf einem Rekordtief, die Nettoexporte
erreichen eine Rekordhöhe, das Verbrauchervertrauen ist günstig
und die Regierung kann auf einen ausgeglichenen Haushalt
verweisen. In diesem Umfeld dreht sich die politische Debatte
eher um eine (Neu-)Verteilung und um die Aufrechterhaltung des
Wohlstands als um Wirtschaftsreformen. Merkel und die
Christdemokraten werden wahrscheinlich Steuersenkungen für
Haushalte mit mittleren Einkommen ins Spiel bringen, während
Schulz und die Sozialdemokraten erhöhte Ausgaben für Bildung
und Infrastruktur vorziehen, die teilweise über höhere Steuern für
Wohlhabende und Kapitalertragssteuern finanziert werden sollen.
Der Aufstieg der euroskeptischen, gegen Immigration
gerichteten Alternative für Deutschland (AfD) hat an Dynamik
eingebüßt. Dies ist auf den innerparteilichen Zwist und den
Erfolg der Regierungskoalition bei der Verringerung des
Zustroms von Flüchtlingen zurückzuführen. Allerdings werden
sowohl die Migrationskrise als auch die Zukunft der EU und der
Eurozone im Wahlkampf eine große Rolle spielen, einschließlich
der Auswirkungen des Brexit und der Frage, welcher Grad der
finanziellen Integration in der Eurozone angemessen ist.
Die Nominierung von Martin Schulz führte zu einem
dramatischen Umschwung in den jüngsten Meinungsumfragen
(s. Abbildung 4) und hat eine bislang als langweilig geltende
Kampagne zur Wiederwahl von Merkel in ein Kopf-an-KopfRennen für die Kanzlerschaft verwandelt. In jüngsten
Meinungsumfragen sind die Sozialdemokraten auf Kosten all
der anderen Parteien in der Wählergunst um 10 % gestiegen.
Stimmen diese Meinungsumfragen, dann wären folgende
Koalitionen im Bereich des Möglichen:
• eine große Koalition (CDU/CSU/SPD) mit 65 % der Stimmen
unter der Kanzlerin Angela Merkel
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• eine rot-rot-grüne Koalition (SPD/Linke/Bündnis 90/Die
Grünen) mit 46 % der Stimmen unter Kanzler Martin Schulz
• eine „Jamaika-Koalition“ (CDU/CSU/FDP/Bündnis 90/Die Grünen)
mit 46 % der Wahlstimmen unter Kanzlerin Angela Merkel
Keine andere Kombination ist derzeit wahrscheinlich, da alle
Parteien eine Koalition mit der AfD ausschließen.
Mit der Kandidatur von Martin Schulz (SPD) folgte ein Anstieg in
den Meinungsumfragen um 10 %
ABBILDUNG 4: NEUESTE UMFRAGEN ZU WAHLABSICHTEN IN DEUTSCHLAND
%
40
35
30
25
Im Gegensatz zu den Wahlen 2013, als Peer Steinbrück (SPD)
eine Koalition mit der Partei Die Linke kategorisch ausschloss,
hat sich Martin Schulz (SPD) bislang diese Option offengehalten.
Eine linksgerichtete Regierungskoalition bestehend aus SPD, Die
Linke und Bündnis 90/Die Grünen würde sehr wahrscheinlich zu
einer aktiveren Fiskalpolitik, höheren Steuern und mehr
Regulierung führen. Auch die Auswirkungen auf die europäische
Politik könnten erheblich sein, da Martin Schulz in Brüssel ein
starker Befürworter von Eurobonds und einem europäischen
Einlagensicherungssystem war. Am Anleihemarkt dürfte eine
linksgerichtete Regierung zu einer Einengung der Spreads
zwischen Bundesanleihen und Anleihen der Peripherieländer
führen. Ein Wahlsieg von Merkel hätte wahrscheinlich weniger
starke Auswirkungen auf die Finanzmärkte und gälte wohl als
„business as usual“.
20
FRANKREICH: KEINE AUSGEMACHTE SACHE
15
10
Was passiert aktuell?
5
0
Feb. 16
Mrz. 16
CDU/CSU
SPD
Mai 16
Jul. 16
Bündnis 90/Grüne
FDP
Sept. 16
Nov. 16
Feb. 17
Die Linke
AfD
Quelle: Forsa, J.P. Morgan Asset Management; Stand: 15. Februar 2017.
Fazit
Der Aufstieg der Populisten in Deutschland hat etablierten
Parteien sicherlich zugesetzt, allerdings in einem geringeren
Maße als in anderen europäischen Ländern. Eine offensichtliche
Folge dessen ist eine weitere Fragmentierung des Parteiensystems.
Die Chancen stehen gut, dass sich der nächste Bundestag nach
sechzig Jahren wieder aus sechs verschiedenen Parteien
zusammensetzen wird. Dessen ungeachtet ist das Risiko, dass
eine gegen Immigration und gegen Europa gerichtete Partei Teil
einer neuen Regierungskoalition sein wird und somit direkt
Einfluss auf die Politik in Deutschland und Europa nehmen
könnte, sehr gering und, wenn überhaupt, liegt das Risiko der
Regierungsbeteiligung von Populisten eher links des politischen
Spektrums als rechts.
Obschon die Umfragen derzeit weiterhin Angela Merkel als
Wahlsiegerin sehen, könnte die Geschichte letztlich auf der Seite
von Martin Schulz stehen. Am 12. Februar wurde Frank-Walter
Steinmeier (SPD) zum neuen Bundespräsidenten gewählt.
Auch wenn dieses Amt größtenteils repräsentativer Art ist, hat
sich das Ergebnis dieser Wahl in der Nachkriegsperiode immer als
recht guter Indikator für die Richtung der künftigen Politik in
Deutschland erwiesen.
Am 23. April und am 7. Mai 2017 finden der erste und zweite
Wahlgang der Präsidentschaftswahlen statt, um einen
Nachfolger für François Hollande zu finden, der beschlossen
hat, nicht noch einmal für eine fünfjährige Amtszeit anzutreten.
Erhält keiner der Kandidaten eine absolute Mehrheit im ersten
Wahlgang (das wahrscheinlichste Szenario), dann treten die
beiden Kandidaten mit dem jeweils größten Anteil der Stimmen
gegeneinander in einem zweiten Wahlgang an.
Darüber hinaus findet am 11. und 18. Juni 2017 die Parlamentswahl
statt, um die 577 Mitglieder der französischen Nationalversammlung
(Assemblée nationale) zu wählen. Während die Parlamentswahlen
vielleicht als etwas weniger bedeutend erachtet werden als die
Präsidentschaftswahlen, sind sie doch wichtig, denn eine
Mehrheit in der Nationalversammlung würde die Position des
neuen Präsidenten erheblich stärken.
Wer kandidiert und welche politischen Positionen
werden vertreten?
In Frankreich ist es so wie andernorts in Europa in den letzten
Jahren zu einer Fragmentierung der politischen Landschaft
gekommen. Die beiden großen historischen Volksparteien, die
Sozialisten links und die Republikaner rechts des politischen
Spektrums, verloren gegenüber anderen Parteien
unterschiedlichster Couleur an Boden. Auch wenn viele
Kandidaten am 23. April ihr Glück versuchen werden, deuten die
jüngsten Umfragen (s. Abbildung 5) darauf hin, dass lediglich
fünf Kandidaten eine wesentliche Rolle spielen werden:
• Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Front National, die
versprochen hat, dass Frankreich aus der EU austreten wird,
falls sie gewinnt.
J.P. MORGAN ASSE T MAN A G E ME N T
3
MA RK ET BU L L ETIN | 23. F E B RUA R 20 17
• Emmanuel Macron, ehemaliger Wirtschaftsminister, der 2016
zurücktrat, um seine eigene politische Bewegung, En Marche!,
zu gründen. Pro-europäischer Zentrist und Reformer.
• François Fillon, Kandidat der Republikaner, der darauf
abzielt, die Wirtschaft Frankreichs grundlegend zu
reformieren, wieder für einen ausgeglichenen Haushalt zu
sorgen und Mitglied der EU zu bleiben.
• Benoît Hamon, der Kandidat der Sozialisten, der den linken
Flügel seiner Partei repräsentiert und zu dessen Vorhaben
die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens
gehört. Hamon ist für einen Verbleib in der EU, will sie aber
reformieren.
• Jean-Luc Mélenchon, der innerhalb des politischen
Spektrums der extremen Linken zuzuordnen ist und für einen
Austritt aus der EU plädiert.
Marine Le Pen liegt in den Meinungsumfragen zur
ersten Runde der französischen Präsidentschaftswahlen
weiterhin an der Spitze, während die meisten ihrer Gegner
unlängst an Boden verloren haben
ABBILDUNG 5: MEINUNGSUMFRAGEN IM FEBRUAR ZUR ERSTEN RUNDE
DER FRANZÖSISCHEN PRÄSIDENTSCHAFTSWAHLEN
%
28
Marine Le Pen
Francois Fillon
Emmanuel Macron
Benoit Hamon
Jean-Luc Melenchon
Francois Bayrou
(not candidate)
24
20
16
12
8
4
1. Feb 3. Feb. 5. Feb. 7. Feb. 9. Feb. 11. Feb. 13. Feb15. Feb.
Source: IFOP, J.P. Morgan Asset management; data as of 15 February 2017.
Fazit
Obschon laut Konsens ein Wahlsieg von Marine Le Pen
unwahrscheinlich ist, bedeutet die gegenwärtige Fragmentierung
der politischen Landschaft in Frankreich, dass die
Wahrscheinlichkeit sich sicherlich nicht auf null beläuft und unter
verschiedenen plausiblen Szenarien deutlich zunehmen könnte.
Sollten Marine Le Pen und Emmanuel Macron aus dem ersten
Wahlgang als Gewinner hervorgehen, wie die Umfragen derzeit
nahelegen, oder sollte Francois Fillon Emmanuel Macron
schlagen können, hat der Front National theoretisch nur eine
4
S T E HT D A S P OL IT IS C H E PRO J EK T EURO PA AN EINEM S CHEIDE WE G?
kleine Chance, die zweite Runde der Präsidentschaftswahlen für
sich zu entscheiden. In der Vergangenheit konnte der Front
National trotz guter Ergebnisse im ersten Wahlgang nie die
Präsidentschaft gewinnen. Wie etwa im Wahlkampf zwischen
Jacques Chirac und Jean-Marie Le Pen im Jahr 2002 deutlich
wurde, formen die anderen Parteien für die zweite Runde einen
„Front Républicain“, mit dem sichergestellt wird, dass die
Wähler der Linken für den Kandidaten der Rechten stimmen
oder umgekehrt. Die jüngsten Umfragen bestätigen, dass
sowohl Macron als auch Fillon in der zweiten Runde gegen den
Front National gewinnen würden.
Allerdings könnte der Ausgang viel unsicherer sein, sollte es
Benoît Hamon in die zweite Runde gegen Marine Le Pen
schaffen. Laut aktuellen Umfragen erscheint dies
unwahrscheinlich. Allerdings könnte Hamon eine Allianz mit
Jean-Luc Mélenchon eingehen, was ihm theoretisch die
erforderliche Unterstützung einbringen könnte, um Emmanuel
Macron und Francois Fillon zu schlagen. Mélenchon hat es
bislang abgelehnt, mit Hamon ein Bündnis einzugehen, obwohl
sich ihr Programm in bestimmten Bereichen ähnelt. Beide
wissen jedoch, dass eine Allianz ihre einzige Hoffnung auf einen
Sieg ist. Eine solche Allianz hätte eine sehr unsichere zweite
Runde zur Folge, da die extreme Linke und die extreme Rechte
dann gegeneinander antreten würden.
Allerdings könnte eine andere Allianz, die kurz vor
Veröffentlichung dieses Artikels angekündigt wurde, die
Kandidatur von Emmanuel Macron stärken, denn Francois
Bayrou, ein Zentrist, bei dem es sich um keinen Kandidaten
handelte, hat beschlossen, Emmanuel Macron zu unterstützen.
Da Bayrou 5 % der beabsichtigten Stimmen zugerechnet
werden können, dürfte seine Unterstützung Macron gegenüber
Francois Fillon und Benoit Hamon einen Vorteil einräumen,
unabhängig davon, ob Letzerer eine Allianz mit Jean-Luc
Mélenchon eingeht oder nicht.
Als Schlussfolgerung lässt sich feststellen, dass die französischen
Präsidentschaftswahlen alles andere als eine ausgemachte
Sache sind. Die Unwägbarkeiten nahmen unlängst sogar noch
weiter zu. Angesichts dessen lässt sich der Wahlsieg eines
euroskeptischen Kandidaten nicht vollständig ausschließen,
obwohl die Wahrscheinlichkeit dessen recht gering bleibt. Das
Risiko ist aber hoch genug, um zu Wachsamkeit zu raten, da
eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zwischen
Frankreich und Deutschland, ganz zu schweigen von einem
Austritt Frankreichs aus der EU, für Europa und die globalen
Finanzmärkte dramatische Folgen hätte.
MA RK ET BU L L ETIN | 23. F E B RUA R 20 17
ITALIEN: WÄHLEN ODER NICHT WÄHLEN? DAS IST
HIER DIE FRAGE
Beide Kammern werden in etwa nach einem proportionalen
System gewählt. Für den Senat gibt es keine Mehrheitsprämie
und in der Abgeordnetenkammer wird sie selten zum Tragen
kommen, denn die fragmentierte politische Landschaft
erschwert es den Parteien, selbst mittels einer Koalition die
Schwelle von 40 % zu erreichen.
Was passiert aktuell?
Nachdem sich Matteo Renzis Regierung in einem Referendum im
Dezember 2016 nicht die Unterstützung für ihr Reformprogramm
sichern konnte, kam es zu einem Ende der bisherigen Koalition in
Italien. Das „Nein“ während des Referendums führte außerdem zu
einem Missverhältnis bei den Wahlsystemen zwischen den beiden
Häusern des italienischen Parlaments, der Abgeordnetenkammer
und dem Senat. Im Jahr 2015 verabschiedete das Parlament in
Italien ein Gesetz zur Wahlreform, das weithin unter der
Bezeichnung Italicum bekannt ist.
Dieses Gesetz erstreckte sich jedoch nur auf die Abgeordnetenkammer, da im Allgemeinen davon ausgegangen wurde, dass
das Referendum zu Renzis Vorhaben, die Macht des Senats
deutlich zu beschneiden, erfolgreich sein würde. Die Ablehnung
von Renzis Reformen führt daher zu einem Hindernis für
künftige Wahlen.
Im Januar 2017 musste das Verfassungsgericht in Italien ein
Urteil über die Verfassungsmäßigkeit des Italicum fällen. Das
Gericht erklärte das System der Mehrheitsprämie für zulässig,
mit dem eine Partei bei 40 % der Stimmen 55 % der Sitze
erhält. Hierbei handelt es sich um eine wichtige Entwicklung,
da sie möglicherweise den Weg für mächtigere und stabilere
Koalitionen ebnet und somit die bislang in Italien vorherrschende
Instabilität der Exekutive beenden könnte. Allerdings lehnte das
Verfassungsgericht das Zweitrundensystem ab, gemäß dem eine
weitere Wahlrunde stattfinden würde, wenn keine der Parteien
dazu in der Lage ist, in der ersten Runde diese Schwelle zu
erreichen. Stattdessen entschied das Gericht, dass keine
Mehrheitsprämie vergeben wird, wenn keine der Parteien die
Schwelle von 40 % erreicht. In der Praxis bedeutet dies, dass
die Mehrheitsprämie sehr selten zum Tragen kommen wird, da
es schwierig ist, diese erforderliche Schwelle in einem einzigen
Wahlgang zu erreichen.
Wer kandidiert und welche politischen Positionen
werden vertreten?
Diese gerichtliche Entscheidung lässt vorgezogene Neuwahlen
machbarer erscheinen, aber die Lage ist nach wie vor ungewiss
und das Urteil hat keine verbindlichen Auswirkungen. Bis auf
Weiteres erhöhen einige Faktoren die Wahrscheinlichkeit
vorgezogener Neuwahlen:
• Das Gericht entschied, dass die Systeme der Abgeordnetenkammer
und des Senats nach der Abschaffung des zweiten Wahlgangs
einander ähnelten und vorgezogene Neuwahlen möglich seien.
• Die Regierung von Paolo Gentiloni, die nach Renzis Rücktritt
gebildet wurde, ist die vierte Regierung (nach denen von Mario
Monti, Enrico Letta und Matteo Renzi), die nicht direkt im Zuge
von Parlamentswahlen an die Macht kommt. Aus diesem Grund
setzen daher einige politische Parteien Italiens Präsidenten
Sergio Mattarella unter Druck, Neuwahlen auszurufen.
Aber es gibt auch Faktoren, die vorgezogene Neuwahlen
weniger wahrscheinlich machen:
• Mattarella, der Einzige, der das Parlament auflösen könnte,
hat sich gegen vorgezogene Neuwahlen ausgesprochen und
erklärt, dass eine Annäherung der Wahlsysteme für Senat
und Abgeordnetenkammer eine Vorbedingung dafür sei.
• Die gegenwärtige Regierung unter Gentiloni verfügt sowohl
im Senat als auch in der Abgeordnetenkammer über eine
Mehrheit und könnte daher ihr Mandat bis zum vorgesehenen
Ende der Legislaturperiode im März 2018 fortführen.
Fazit
Der wirtschaftliche Frust angesichts der Staatsschuldenkrise in
der Eurozone hat euroskeptischen, gegen das Establishment
gerichteten Parteien in Italien Zulauf beschert.
Den jüngsten Umfragen nach zu schließen läge die populistische
Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) mit rund 27 % der Stimmen fast
gleichauf mit der führenden Demokratischen Partei (PD), die im
Falle von vorgezogenen Neuwahlen derzeit 29 % der Stimmen
auf sich vereinen würde2. Wenn ein Kandidat der Fünf-SterneBewegung den Auftrag zur Regierungsbildung erhielte, würde
das für Italien und für Europa politisch sehr turbulente Zeiten
bedeuten.
Die Fünf-Sterne-Bewegung entstand aus einer Protestbewegung
und ist gegen das Establishment, den Euro und gegen Europa
gerichtet. Ihr Anführer, Beppe Grillo, ist ein starker Befürworter
der Wiedereinführung der italienischen Lira. Er könnte ein
Referendum über Italiens Verbleib in den europäischen
Institutionen mit ernsthaften Auswirkungen auf Europas Zukunft
anberaumen. Da Italiens politische Landschaft weiterhin stark
fragmentiert ist, könnte eine neue Regierung unter Führung der
PD schwach sein und eine weitere Legislaturperiode mit
schlechter Regierungsführung nach sich ziehen.
Scenari politici, Demos, IXÈ.
2
J.P. MORGAN ASSE T MAN A G E ME N T
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In der Folge bleibt Italien für Europa ein politisches Sorgenkind,
und vorgezogene Neuwahlen könnten die Märkte in einem
ohnehin schon unsicheren Jahr nervös stimmen.
Wahlen für die Legislative finden in der Regel alle vier bis fünf
Jahre statt, aber seit 1945 gab es in den Niederlanden 29
Regierungen, d. h. im Durchschnitt überlebte eine Regierung
lediglich 2,5 Jahre.
DIE NIEDERLANDE: EINE WACKELIGE KOALITION
SCHEINT WAHRSCHEINLICHER ALS EIN
EUROSKEPTISCHER MINISTERPRÄSIDENT
Beobachter schenkten dieser Situation bis 2006, als ein
Newcomer in Form der von Geert Wilders gegründeten
Freiheitspartei (PVV) die politische Bühne betrat, kaum
Aufmerksamkeit. Diese euroskeptische und gegen Immigration
gerichtete Partei hat in den letzten Jahren dank einer
schwächeren sozioökonomischen Lage seit der Krise 2008
enormen Zulauf verzeichnet (s. Abbildung 6).
Was passiert aktuell?
Am 15. März 2017 finden in den Niederlanden Wahlen für die
150 Abgeordneten des Unterhauses (die sog. Zweite Kammer
der Generalstaaten) und somit für den Ministerpräsidenten
statt, der auf Mark Rutte folgen soll, welcher seit 2010 unter
zwei verschiedenen Koalitionen dieses Amt bekleidet. Der
Ministerpräsident ist traditionell auch der Vorsitzende
derjenigen Partei, die den prozentual höchsten Anteil der
Stimmen auf sich vereint. Hat diese Partei keine absolute
Mehrheit im Parlament – und das ist generell der Fall in den
Niederlanden – kommt es zur Bildung einer Koalition mit
anderen Parteien.
Wer kandidiert und welche politischen Positionen
werden vertreten?
Die Niederlande haben ein proportionales Wahlsystem und es
gibt keine Prozenthürde, um ins Parlament einzuziehen. Eine
Partei kann also selbst mit nur einem Sitz im Parlament
vertreten sein. In dieser Hinsicht sind die Niederlande vielleicht
das Land, das die politische Fragmentierung in Europa am
besten verdeutlicht, da bei den anstehenden Wahlen 28
Parteien um die Gunst der Wähler buhlen.
Eine große Anzahl von politischen Parteien mag ein Anzeichen für
eine gesunde Demokratie sein. Sie verkompliziert aber den Prozess
der Regierungsbildung. Da die fragmentierte politische Landschaft
es für eine einzige Partei stark erschwert, eine absolute Mehrheit
in den Niederlanden zu erzielen, kommt in der Regel eine Koalition
an die Macht. Die bisweilen diametrisch entgegengesetzten
Positionen innerhalb dieser Koalitionen bedeuten, dass diese
Regierungen sich häufig als instabil erweisen.
Nach ihrem Erfolg bei den Wahlen 2010 bildete die PVV eine
Koalitionsregierung mit der Volkspartei für Freiheit und
Demokratie (VVD) von Mark Rutte und den Christdemokraten
(CDA). Diese Koalition zerbrach jedoch 2012 aufgrund tiefer
Meinungsverschiedenheiten zwischen der PVV und ihren
Partnern. Dies führte zu vorgezogenen Neuwahlen und der
Bildung einer neuen Koalition, erneut unter Mark Rutte,
zwischen der VVD und der Arbeiterpartei (PvdA).
Fazit
Sollten die Meinungsumfragen richtig liegen, dann wird die PVV
die Wahlen für sich entscheiden. Da die Niederlande eine
parlamentarische Monarchie sind, muss der König den Gewinner
der Wahl mit der Regierungsbildung beauftragen.
Jüngste Umfragen deuten auf 27 Mandate für die PVV hin. Für
eine absolute Mehrheit würde das nicht reichen. Die Partei
müsste daher eine Koalition eingehen. Dies wäre jedoch
schwierig, da die PVV bisweilen extreme Positionen vertritt und
sich 2010 als unzuverlässiger Koalitionspartner erwies. Die
meisten politischen Parteien, einschließlich der VVD unter Mark
Rutte, haben bereits angedeutet, dass sie mit der PVV unter
Geert Wilders keine Koalition bilden würden.
In diesem Falle müsste der König wahrscheinlich die Unfähigkeit
der PVV zur Regierungsbildung zur Kenntnis nehmen und die nach
Anzahl der Parlamentssitze zweitgrößte politische Partei mit der
Regierungsbildung beauftragen.
Obwohl dies auch nicht einfach sein dürfte, da abwegige
Allianzen zwischen links und rechts die Folge sein könnten,
wurden derlei Regierungen in der Vergangenheit schon oft
gebildet. Beobachter gehen daher von einer Regierungsbildung
ohne die PVV aus, weshalb die Niederlande wohl fest in der
Eurozone verankert bleiben werden.
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Auch wenn die PVV von Geert Wilders in den Meinungsumfragen an der Spitze steht, bleibt sie weit von einer absoluten
Mehrheit entfernt.
ABBILDUNG 6: ENTWICKLUNG DER ANZAHL DER SITZE IM UNTERHAUS BEI DEN GRÖSSEREN PARTEIEN
%
50
PvdA
CDA
VVD
Demokraten 66
GroenLinks
SGP
ChristenUnie
SP
PVV
PvdD
50Plus
45
40
35
30
25
20
15
10
5
0
1998
2002
2003
2006
2010
2012
2017
Quelle: Unterhaus, IPSOS, J.P. Morgan Asset Management; Stand: 17. Februar 2017.
AUSWIRKUNGEN AUF DIE ANLAGESTRATEGIE
In einem ruhigeren politischen Klima würden Anleger die vielen
guten Gründe für ein Investment in Aktien der Eurozone erkennen,
die von einer höheren globalen Inflation und einem schnelleren
Wachstum unverhältnismäßig stark profitieren können. Die
Wirtschaft in der Eurozone hat soeben ihr fünfzehntes Quartal in
Folge ein positives Wachstum verzeichnet, die Arbeitslosigkeit ist
auf den niedrigsten Stand seit 2009 zurückgegangen, die Inflation
erholt sich und der Einkaufsmanagerindex im verarbeitenden
Gewerbe befand sich Anfang 2017 auf dem höchsten Niveau
seit mehr als fünf Jahren. Die Reaktion der Verbraucher in der
Eurozone auf die höhere Inflation muss genau im Auge behalten
werden. Im Allgemeinen gehen wir jedoch davon aus, dass diese
positiven Entwicklungen in der Wirtschaft zu einer anhaltenden
Erholung der Unternehmensgewinne in der Eurozone führen
werden, die eine langjährige Schwäche wettzumachen haben.
Während die Wirtschaft auf festeren Beinen steht, gibt die Politik
eher Anlass zur Sorge. Momentan gehen wir nicht von der Wahl
einer populistischen Regierung in diesem Jahr aus. Doch die
Bedenken der Marktteilnehmer könnten in der ersten Jahreshälfte
durchaus zunehmen.
Der Ausblick für Staatsanleihen ist ebenfalls uneinheitlich.
Bedenken über künftige politische Entwicklungen haben bereits
zu einer Ausweitung des Renditeabstands zwischen französischen
und deutschen Staatsanleihen auf ein Mehrjahreshoch gesorgt
und dieser Trend dürfte anhalten, bis in Frankreich eine neue
Regierung feststeht.
Anleger, die von der wirtschaftlichen Wiederbelebung profitieren
wollen, zugleich aber, die potenzielle Volatilität an den
Aktienmärkten und Renditeanstiege bei einigen Staatsanleihen
meiden wollen, könnten europäische Unternehmensanleihen für
ihr regionales Engagement in Erwägung ziehen.
J.P. MORGAN ASSE T MAN A G E ME N T
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MARKET INSIGHTS
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die Auswirkungen der aktuellen Wirtschaftsdaten und veränderten Marktbedingungen, um Kunden einen besseren Einblick in die Märkte zu vermitteln und fundierte
Anlageentscheidungen zu fördern.
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LV–JPM35674 | 03/17
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