Der Einsatz von (Nutz-)Tieren im sonderpädagogischen Arbeitsfeld Ingrid Stephan Während das Haustier bzw. das Liebhabertier als Familienmitglied betrachtet wird, werden sog. Nutztierrassen wie Rinder, Schafe, Schweine oder Geflügel eher als Objekte betrachtet. Das scheue Wesen, das Nutztiere in Intensivtierhaltung zeigen, begünstigt diese Objekt-Betrachtung. Grund genug, insbesondere Kindern eine andere Sichtweise zu ermöglichen und sie innerhalb der verschiedenen Nutztierrassen mit dem einzelnen Individuum bekannt zu machen. Tiere schaffen Erfahrungsräume, in denen Kinder, Jugendliche und Erwachsene die Möglichkeit haben, selbständig zu lernen, Selbstvertrauen aufzubauen und Beziehungen anzubahnen und herzustellen. Sie können mit den Tieren auf unterschiedlichste Art und Weise Kontakt aufnehmen (beobachten, streicheln, versorgen...) Tiere schaffen durch ihr authentisches Wesen eine Atmosphäre in der Vertrauen wachsen kann. Im Umgang mit den Tieren werden Eigenschaften wie Verantwortung und Verlässlichkeit ausgebildet. Tiere setzen klare Signale und somit direkte Grenzen. Am Beispiel von Schweinen, Schafen und Geflügel möchte ich auf das Verhalten der o.g. Tierrassen eingehen und die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten im pädagogisch-Therapeutischen aufzeigen. 1 Schweine Schweine sind sehr soziale Tiere, die in ihrer Gruppe eine ausgeprägte Rangordnung bilden. Erste Anzeichen eines Gruppenverhaltens sind schon beim Säugen zu erkennen (Saugordnung). Kräftige und somit ranghohe Tiere beanspruchen die vorderen Zitzen, rangniedrige Tiere dürfen nur an den hinteren Zitzen saugen. Von nun an wird immer die gleiche Zitze gewählt, was bei großen Würfen von mehr als 12 Ferkeln eine erstaunliche Leistung ist. Wenn man Schweine beobachtet, kann man ihr Spielverhalten und ihren sehr ausgeprägten Bewegungsdrang erkennen. Insbesondere Ferkel sind sehr lauffreudig, rennen, schlagen Haken drehen sich im Kreis und lassen ihre ganze Lebensfreude deutlich erkennen. Durch sehr differenzierte Grunzlaute (Kontakt-/Hunger-/Lock-/Droh-/ Warnlaute etc.) äußert das Schwein sehr genau seine momentane Befindlichkeit. Rangordnungskämpfe bei erwachsenen Schweinen können manchmal zu erheblichen Verletzungen führen – die Auseinandersetzungen verlaufen glimpflich, sobald das rangniedrigere Tier mit Demutsgesten reagiert. Einen nur geringen Stellenwert bei der Rangordnung hat das Alter, vielmehr ist Gewicht und Kraft entscheidend. Schweine sind schon als Ferkel sehr reinliche Tiere; niemals würden sie ihren Schlaf- oder Fressplatz verschmutzen. Sie bevorzugen weiche Liegeflächen und insbesondere beim Liegen genießen sie als Kontakttiere die Berührungen ihres Artgenossen. Schweine sind sehr kontaktfreudig, neugierig, verfressen (und somit absolut bestechlich) und freuen sich über Beschäftigung. Mit diesem Verhalten sind sie in vielen Arbeitsbereichen der tiergestützten Therapie/Pädagogik außerordentlich gut einsetzbar. Schweine sind sehr gelehrig und unterstützt mit Leckerbissen (vorzugsweise Süßspeisen) kann man ihnen in kurzer Zeit viele kleine Dinge beibringen, die dann auch von (behinderten) Kindern mühelos abgerufen werden können z.B. kann man sie über einen selbst gebauten Parcour führen (frei oder im Geschirr), sie können kleine Dinge apportieren, sich hinsetzen u.v.m.. Wichtiger als bei vielen anderen Tierrassen ist die Belohnung durch Futter! Achtung - Schweine sind sehr futterneidisch, deshalb sollte mit nur einem Schwein gearbeitet werden. In der Arbeit mit (behinderten) Kindern sollten möglichst Minischweine angeschafft werden. Wichtig ist es hier mit Jungtieren (3 – 6 Wochen alte Ferkel) zu arbeiten. Wenn möglich sollten die Tiere in einem Zeitabstand von ca. 3 Wochen angeschafft werden – so hat man die Möglichkeit sich mit dem 1. Ferkel schon vertraut zu machen und spielerisch mit dem Training zu beginnen. 2 Um der (angeborenen) Schreckhaftigkeit der Schweine entgegenzuwirken, empfiehlt es sich ein anregungsreiches Umfeld (Außengelände) zu schaffen. Hintergrundgeräusche ( Radio, Autogeräusche...) sind hilfreich, um die Nervenstärke der Tiere zu festigen. Da Schweine es in der Regel nicht mögen fixiert zu werden, ist es wichtig die Ferkel immer wieder auf den Arm zu nehmen. Auch hier ist der Leckerbissen das entscheidende Argument, dass das Schwein diese Situation immer mehr toleriert. 3 Geflügel (Hühner/Enten/Gänse) Hühner lieben das gesellige Gruppenleben, will man Hühner für das Arbeitsfeld der tiergestützten Therapie anschaffen, sollten es mindestens vier Hühner und ein Hahn sein. Mehrere erwachsene Hähne tolerieren sich in der Regel nicht; es kann sogar zu blutigen Kämpfen kommen. Hühner haben eine angeborene Angst vor Menschen. Das Einfangen und Hantieren durch den Menschen verursacht für sie erheblichen Stress. Dieser Stress kann verringert werden, indem man sich regelmäßig mit den Hühnern beschäftigt. Dies muss auf eine sehr ruhige und sanfte Art geschehen. Nimmt man sich Zeit und Geduld, kann man nicht nur Küken, sondern auch schon ältere Hühner in kurzer Zeit zähmen. Hühner verhalten sich weniger ängstlich, wenn sie außer ihrem Stall auch ein Freigehege zur Verfügung haben. Bei der Anschaffung der Tiere für den Einsatz in der Therapie oder Pädagogik sollte darauf geachtet werden, nur Jungtiere von Höfen mit tiergerechter Haltung zu nehmen, in der die Küken von einer Glucke ausgebrütet wurden (nicht aus einer Brutmaschine). Küken, die ohne Mütter aufwachsen, zeigen später oft aggressives Verhalten. Ebenfalls hat man bei Legehühnern eine höhere Aggressivität beobachtet, als bei sog. Fleischrassen. (Vgl. Untersuchungen von Dr. Jan Hassink; Universität Wageningen). Die soziale Rangordnung in jeder Hühnergruppe wird durch die Hackordnung festgelegt. Durch Demutsgesten (Wegsehen, gesenkter Kopf) zeigt das unterlegene Huhn, dass es sich unterordnen wird. Die Kommunikation in einer Hühnergruppe läuft über ritualisierte Verständigungsformen. Dreißig verschiedene stimmliche Ausdrucksformen stehen den Hühnern zur Verfügung. Z.B. singen Hennen als Zeichen ihres Wohlgefühls. 4 Zu Empfehlen für den Einsatz im pädagogisch therapeutischen Arbeitsfeld sind Zwerghuhnrassen. Sie zeigen ein sehr ruhiges Wesen, sind leicht zu zähmen und insbesondere für Kinder aufgrund ihrer Größe gut zu handeln. (Zwerg-)Hühner verfügen über einen guten Gleichgewichtssinn; somit sind ganz vielfältige Einsatzmöglichkeiten auch im freizeitpädagogischen Arbeitsfeld gegeben. Für den mobilen Einsatz von Hühnern empfiehlt sich ein kleiner Stall, der genügend Raum für unterschiedliche Bedürfnisse bietet. Für Gänse und Enten ist Wasser ein sehr wichtiges Element; sie benötigen es, um ihr Gefieder zu reinigen und sich wohl zufühlen. Enten leben im Gegensatz zu Gänsen in großen Gruppen ohne besondere Rangordnung. Beide Rassen sind fast völlig kälteresistent und von daher sehr unproblematisch zu halten. Insbesondere Gänse lieben große, übersichtliche Weiden; nicht einsehbares Gelände betrachten sie sehr skeptisch. Veränderungen in ihrem gewohnten Umfeld nehmen sie sofort mit großem Geschnatter wahr. Um Gänse nicht zu erschrecken empfiehlt es sich, sie mit allem Neuen behutsam vertraut zu machen. Will man ein Gänseküken auf sich prägen, sollte man sich der großen Verantwortung dem Tier gegenüber bewusst sein. Gänse können sehr alt werden und es kostet viel Einfühlungsvermögen, den schmalen Grad zwischen Prägung auf den Menschen und tiergerechte Gänsehaltung zu gestalten. 5 Eine Möglichkeit ist es, dem auf den Menschen geprägten Gänseküken im Folgejahr einige Küken anzuvertrauen. Sie adoptieren die Jungen in der Regel mühelos und machen als stolze Gänsemutter mit ihrem neuen Nachwuchs die ersten Spaziergänge. So kann man auch der auf den Menschen geprägten Gans ein tiergerechtes Leben unter Gänsen ermöglichen. Da die handaufgezogene Gans den ihr vertrauten Menschen bedingungslos folgt (so wie ihre Gössel ihr bedingungslos folgen) überwindet ihr Nachwuchs die anfängliche Scheu sehr schnell. Es ist schwierig beim Kauf von sehr jungen Enten- oder Gänseküken das Geschlecht der Tiere zu bestimmen; man hat als Anhaltspunkt lediglich die Größe zur Verfügung. Es gilt als sicher, dass bei einer Gruppe gleichaltriger Küken die größeren Tiere in der Regel Ganter/Erpel sind. Von großer Bedeutung ist für Gänseküken der erste Kontakt. Dabei werden sich Aussehen und Stimme des Gegenüber intensiv eingeprägt und die Gössel folgen diesem Gegenüber bedingungslos überall hin. In der tiergestützten Therapie sollten ausschließlich weibliche Tiere eingesetzt werden. Insbesondere Ganter sind durch ihren Beschützerinstinkt für den Einsatz auf einer Streichelwiese ausgesprochen ungeeignet. Hühner, Gänse und Enten sind insbesondere für Streichelwiesen gut geeignet. Während der zum Teil langen Phasen des Komfortverhaltens können die Tiere beim Sand- und Wasserbaden sowie beim anschließenden Putzen ihres Gefieders beobachtet werden. 6 Schafe Im Vergleich zu anderen Nutztieren ist es schwierig, mit Schafen die in einer Herde aufgewachsen sind, zu arbeiten, denn sie haben einen stark ausgeprägten Fluchtinstinkt. Sie reagieren schreckhaft auf Schatten und Bewegungen. Unbekannte Situationen sind für Schafe sehr stressbelastet. In Untersuchungen hat man festgestellt, dass Menschen für Schafe die gleiche Bedrohung darstellen wie z.B. Hunde. (Vgl. Untersuchung von Dr. Jan Hassink, Universität Wageningen). Für das Arbeitsfeld der tiergestützten Pädagogik und Therapie heißt das, dass die optimalste Lösung, wenn auch sehr arbeitsintensiv, eine Handaufzucht ist. Im optimalsten Fall zieht man zwei Lämmer groß, somit ist die normalerweise stressbelastete Trennung vom Menschen nach der Aufzuchtphase nicht so groß. Haben Lämmer schon innerhalb der ersten zwei Tage Kontakt zu Menschen, verringert dies ihre o.g. Angst vor dem Menschen in entscheidendem Maße, ohne dass die Beziehung zwischen Muttertier und Lamm negativ beeinträchtigt wird. Dabei orientiert sich das Lamm an dem Menschen. Sein Verhalten überträgt sich auf das Schaf. Einmal negativ Erlebtes festigt sich sehr stark und lässt sich nur schwer korrigieren. Schafe eignen sich besonders für den Einsatz in behinderten Einrichtungen. Durch ihre dichte Wolle können sie Kindern und Erwachsenen mit einem noch nicht so gut entwickelten taktilen Sinn die Möglichkeit geben, diesen zu schärfen. Ein grobes Anfassen entschuldigt ein Schaf aufgrund seiner Wolle eher als ein anderes kurzhaariges Tier. Schafe wirken durch ihr Widerkauen beruhigend, ausgleichend und harmonisierend. Schafe sind in ihrer Kontaktaufnahme nicht fordernd oder bedrängend. Vielmehr nähern sie sich ihrem Gegenüber von hinten und beriechen ihn vorsichtig und intensiv. Deshalb sind Schafe für ängstliche und hyperaktive Kinder gut geeignet. Für alle (Nutz)Tiere gilt in der Trainingsphase der Zähmung: Geduld, Ansprache mit ruhiger Stimme, Hände positiv besetzen durch Streicheln und Futter, häufiger intensiver Kontakt . 7