Sergej Rachmaninow Rhapsodie über ein Thema von Paganini für Klavier und Orchester op. 43 RSO CLASSIX am Mittag außerdem auf dem Programm Alexander Skrjabin Poème de l’extase für Orchester op. 54 (Sinfonie Nr.4) Mittwoch, 24. Juni 2015, 13 Uhr Liederhalle Stuttgart, Beethoven-Saal Live-Übertragung in SWR2 13.05 Uhr Lise de la Salle, Klavier Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR Dirigent: Stéphane Denève Moderation: Kerstin Gebel Empfohlen ab Klasse 5 Erstellt von Siegfried Schmollinger 2 Inhalt I. Sergej Rachmaninow — Pianist, Komponist und Dirigent S. 2 II. Niccolo Paganini und das Virtuosentum in der Romantik S. 4 Paganini, 24 Capricen op. 1 S. 7 III. Rachmaninows Rhapsodie über ein Thema von Paganini für Klavier und Orchester op. 43 a-moll S. 8 IV. Unterrichtliche Hinweise S. 11 V. Ausführende S. 14 VI. Quellen S. 14 VII. Unterrichtsmaterial S. 15 M 1a/b Mitspiel-, Musiziersatz zu Paganini, Thema der Caprice Nr. 24 M 2a/b Musiziersatz zu ›Dies irae‹, 13. Jahrhundert M 3a-c Musiziersatz zu ›Dies irae‹ nach Rachmaninow, Paganini-Rhapsodie, Variation VII M4 Vergleich von zwei Texten zu Paganini und Rachmaninow M5 Aufgaben zu Wave-Dateien der Paganini-Rhapsodie M6 Biographie Sergej Rachmaninow M7 Wave-Datei der ›Paganini-Rhapsodie‹ mit Kennzeichnung der einzelnen Variationen I. Sergej Rachmaninow (1873 – 1973) — Pianist, Komponist und Dirigent Bei einem Konzert in Moskau 1892 spielte Sergej Rachmaninow erstmals sein ›Prélude in cismoll‹. Es war noch nicht abzusehen, wie dieses kleine Werk ihm zu Popularität verhelfen würde. Dieses Prélude verbreitete sich schnell und begeisterte sowohl Klavierliebhaber wie auch Konzertpianisten. Rachmaninow, auch ›Herr cis-moll‹ genannt, musste es von nun an bei all seinen Klavierabenden zum Besten geben. Ähnliche Erfolge erntete Rachmaninow mit der ›Vocalise‹ (op.34/14), ein Lied ohne Worte für Sopran bzw. für Violine und Klavier sowie mit der XVIII. Variation aus seiner ›Paganini-Rhapsodie‹, einem allseits bekannten Ohrwurm. Geboren in Semjonow, in der Nähe des Ilmensees, wuchs Rachmaninow in schwierigen familiären Verhältnissen auf. Von seiner Mutter erhielt er den ersten Klavierunterricht. Schon mit vier Jahren konnte er Noten lesen. Mit seiner außergewöhnlichen musikalischen Begabung wurde er als Zwölfjähriger in die Klavierklasse Swerews am Moskauer Konservatorium aufgenommen. Swerew, ein hervorragender Pädagoge, kümmerte sich um seinen Schüler sehr fürsorglich, weder für den Klavierunterricht noch für Kost und Wohnen verlangte er ein Entgelt. Sein Klavierstudium u.a. bei Alexander Siloti, sowie sein Studium in Komposition bei Sergej Tanejew und bei Anton Arenskij beendete Rachmaninow 1891 bzw. 1892 mit höchsten Auszeichnungen. Mit seiner Abschlussarbeit, der Oper ›Aleko‹ (1893), gab es einen ersten wirtschaftlichen Erfolg. Nach Rückschlägen stellte sich Rachmaninows internationaler Durchbruch mit dem 2. Klavierkonzert op. 18 (1900/01) ein. Mit den einprägsamen, melodischen Themen, der meisterhaften 3 Instrumentierung und den hohen technischen Anforderungen ist es bis heute eines der beliebtesten Solistenkonzerte. 1904 übernahm Rachmaninow die Stelle des Dirigenten am Bolschoj-Theater in Moskau und setzte für das Orchester grundlegende Änderungen durch. Stand der Dirigent bisher vor der Bühne und hatte das Orchester im Rücken, so führte er nun die übliche Sitzordnung ein, mit dem Dirigenten vor dem Orchester. Bei den Proben übernahm er die Korrepetition mit den Sängern selbst, führte Register- und Gruppenproben ein und erreichte mit seiner disziplinierten Haltung musikalisch hochstehende Aufführungen. Den Blechbläsern wurde verboten, bei längeren Pausen ihren Orchesterplatz zu verlassen. Rachmaninow erwies sich als hervorragender Orchestererzieher, der dem Orchester einen eigenen Klang geben konnte. Die politische Situation und Intrigen im Orchester veranlassten ihn, 1906 zu kündigen. Rachmaninow trat als Dirigent nur noch selten in Erscheinung. Als Meister der musikalischen Kleinform komponierte Rachmaninow eine Vielzahl von Klavierwerken und Liedzyklen. Von den umfangreichen Hauptwerken der ersten Schaffensperiode seien im Folgenden einige hervorgehoben: — ›Toteninsel‹, eine symphonische Dichtung nach einem Gemälde von Arnold Böcklin op. 29 (1909) Mit einem großen Spannungsbogen wird die Unentrinnbarkeit vor dem Tod mit düsteren Klangfarben dargestellt. — ›Kolokola‹ (Die Glocken) für Chor, Orchester und Solisten op. 35 (1913) Diese monumentale Chorsymphonie symbolisiert mit vier Arten von Glockenklängen einzelne Lebensphasen und verbreitet eine hoffnungslose Grundstimmung. — 2. Klaviersonate b-moll op. 36 (1913) — ›Nacht-Vigilie‹ für gemischten Chor op. 37 (1915), Rachmaninow verarbeitet hier Texte und Lieder aus der russisch-orthodoxen Liturgie mit meditativer Kraft. „In den Werken der 1910er Jahre erreichte Rachmaninow den Zenit seiner schöpferischen Potenz. Hier gelang eine Synthese von Emotion und Struktur, von Sinnlichkeit und Abstraktion, von Effekt und Maßhalten, die seinen tragischen Visionen von ephemerem Glück und ferner Erlösung bezwingenden Ausdruck verliehen. Zudem zeigen sich bewusste Reflexe der musikalischen Avantgarde und eine bemerkenswerte Aktualisierung des Vokabulars insgesamt.”1 Nachdem sich die Lebensbedingungen durch den ersten Weltkrieg und den folgenden Unruhen in Russland immer mehr verschlechterten, entschied Rachmaninow 1917 mit seiner Familie sein Landgut Iwanowka zu verlassen und für immer ins Ausland zu gehen. Schon 1909 konzertierte Rachmaninow erfolgreich mit seinem 3. Klavierkonzert in den USA. Nun begann er dort eine phänomenale pianistische Karriere und wurde zu einem der begehrtesten und bestbezahlten Pianisten Amerikas. Sein Erfolg ist zu suchen in seiner großen musikalischen Begabung, seinen außerordentlichen manuellen Fähigkeiten mit großen, dehnfähigen Händen und seinem publikumswirksamen Auftreten. Rachmaninow wusste, dass sein Publikum vor allem die Künstlerpersönlichkeit erleben wollte und legte darauf besonderen Wert. Er wird beschrieben als „eine große (1,98 m), diszipliniert wirkende aristokratische Gestalt mit scharfen Gesichtszügen und einem Sträflingshaarschnitt, von dem eine suggestive Kraft ausging”. Rachmaninow verfügte über eine präzise Technik und eine legendäre Gestaltungskraft. 1 MGG, Personenteil 13 – Rachmaninov 4 Als leidenschaftlicher Auto-Fan besaß Rachmaninow schon 1905 ein Fahrzeug der russischen Firma Lessner und nutzte jede Gelegenheit, damit über die noch nicht ausgebauten Straßen zu fahren. 1914 bestellt Rachmaninow ein Fahrzeug von Daimler-Benz zu einem Preis von 13145 Goldmark. Das Fahrzeug wurde ausgeliefert, kam aber nie bei Rachmaninow an. Auch Fahrten mit seinem Motorboot auf dem Vierwaldstätter See zeigen einen Musiker mit Freude an der Technik und sportlichem Ehrgeiz. Es wird berichtet, Rachmaninow habe seine 3. Symphonie (1935/36) geschrieben, da er Geld für ein neues Auto benötigte. Für die umfangreichen Konzerttourneen in Amerika wurden Rachmaninow ein Salonwaggon mit Küche und Koch sowie ein Steinway-Flügel zur Verfügung gestellt. Nach dem Verlassen Russlands komponierte Rachmaninow nur noch wenige Werke. Bei seinen sechs letzten Kompositionen handelt es sich um bedeutende Meisterwerke: — — — — — — 4. Klavierkonzert g-moll op. 40 (1914-1926) Drei russische Lieder für Chor und Orchester op. 41 (1926) Variationen über ein Thema von Corelli (La Folia) op. 42 (1931) Rhapsodie über ein Thema von Paganini op. 43 (1934) 3. Symphonie a-moll op. 44 (1935/36) Symphonische Tänze op. 45 (1940) Aufgrund der politischen Situation verabschiedet sich Rachmaninow 1939 endgültig vom europäischen Kontinent und wird amerikanischer Staatsbürger. Auch Rachmaninows späte Kompositionen enthalten Melodienreichtum mit einprägsamen und ausdrucksstarken Themen und eine ausgeklügelte spätromantische Instrumentation mit prächtigen Orchesterfarben. Seine melancholisch geprägte Musik reicht manchmal bis zur Sentimentalität der amerikanischen Filmmusik. Oft verwendete er auch Eigenzitate. Seine Bedeutung als Komponist lässt sich an der umfangreichen Diskographie im Bielefelder Katalog ermessen. Sein Wunsch, in Russland die letzte Ruhe zu finden, wurde ihm durch die Situation des 2. Weltkriegs verwehrt. Rachmaninow wurde 1943 in der Nähe von New York beigesetzt. II. Niccolo Paganini und das Virtuosentum in der Romantik Zu Beginn des 19. Jahrhunderts trat in Italien ein Geiger auf, der hinsichtlich seiner außerordentlichen technischen Fertigkeiten, seiner musikalischen Phantasie, seinen ansprechenden Violinkompositionen und seiner charismatischen Persönlichkeit sein Publikum begeisterte. Es war der in Genua geborene Niccolo Paganini (1782 – 1840), der bis heute als der berühmteste Geiger verherrlicht wird und der als bekanntester Vertreter des romantischen Virtuosentum gilt. Mit seinen Kompositionen und seinem Spiel erweiterte er die technischen Möglichkeiten des Violinspiels. 5 „Unbegreiflich waren die Doppelgriffe für Terzen-, Sexten-, Oktaven-, Doppeltriller und DezimenPassagen in pfeilschneller Geschwindigkeit, Läufen in Sechzehnteltönen, wovon die eine immer pizzicato, die andere coll’ arco (mit dem Bogen) hingezaubert wurde und dies in spielender Leichtigkeit und reinster Intonation.”2 Paganini bereicherte das Repertoire der Bogenstricharten und kombinierte u.a. Tremolo mit einer Melodie. Sein Publikum begeisterte er mit natürlichen und künstlichen FlageolettTönen, die er auch in Doppelgriffen benutzte. Wahre Begeisterungsstürme erzielte er mit seinen Kompositionen, bei denen er nur die G-Saite benutzte. Immer wieder verwendete er Scordatura, wie in seinem 1. Violinkonzert, das ursprünglich in Es-Dur stand. Dabei stimmte er sein Instrument ½ Ton höher als das Orchester und spielte in D-Dur, einer heller klingenden Tonart. Die Lithografie mit Paganini bei einem Konzert in England im Jahre 1831 zeigt seine ungewöhnliche Spielhaltung und sein effektvolles Auftreten. Paganinis Konstitution kam seiner außergewöhnlichen Spieltechnik sehr entgegen, so zeigten seine Hände eine besondere Spannfähigkeit und seine Arme wiesen eine merkwürdige Biegsamkeit auf. 1828 konzertierte Paganini erstmals außerhalb Italiens und gab beim ersten Auftreten in Wien 14 spektakuläre Gastspiele. Der ihm vorauseilende Ruf als Virtuose mit besonderen technischen Fähigkeiten und die Gerüchte um seine Person versetzten die Wiener Musikfreunde in große Erwartung. Sein Publikum war bereit, die auf das Fünffache erhöhten Eintrittspreise zu bezahlen, um diesen Ausnahme-Virtuosen zu erleben. Mit seinem geheimnisvollen Äußeren und den effektvollen Darbietungen seiner mit Schwierigkeiten gespickten Werke, verstand es Paganini sein Publikum zu gewinnen und in Ekstase zu versetzen. „Niemals in meinem Leben habe ich einen Menschen gesehen, bei dessen Anblick mir das Herz so weh getan, so von Rührung und Mitleid ergriffen worden wäre. Eine hagere Figur, in altmodisch schwarzem Frack und bis auf die Sohlen herabhängenden schwarzen Hosen, die um die dürren Glieder schlotterten, wie um ein bloßes Knochengerüst. Aus den langen herabhängenden Locken und dem stark gekräuselten Backenbart sah ein langes, fleisch- und blutloses Gesicht mit einer langen Adlernase heraus. Von seinen Schultern hingen Pavianarme herab, woran sehr lange dürre, aber schneeweiße Hände befestigt waren.”3 Neben seinen Violinkonzerten demonstrierte er meistens seine Kunst mit eigenen Variationswerken zu bekannten Melodien, die eine Fülle von musikalischen und spieltechnischen Ideen beinhalten. Dabei zeigte Paganini ein feines Gespür, den Geschmack seiner Zuhörer zu treffen. Mit seinen Variationen wie „Maestoso Suonata Sentimentale” für Violine (auf der G-Saite gespielt) und Orchester über das Thema „Gott erhalte Franz den Kaiser” (Deutsche Nationalhymne) oder dem „Carneval di Venezia” über „O mamma mamma ca” („Mein Hut, der hat drei Ecken”) versetzte er sein Publikum in Ekstase. Andererseits konnte er mit langsamen Sätzen das Empfinden der Zuhörer bis an die Grenze strapazieren. „Das Adagio seines Konzerts (aus dem 1. Violinkonzert) bestand aus einer klagenden Melodie. Niemals in meinem Leben habe ich so weinen hören. Über Pauken und Trompeten, die da wirbelten und schmetterten, drang immer wieder die klagend-schöne Melodie; als ob jemand erst allein sein Unglück beklagte und dann, vom Geräusche der Welt unterbrochen, in offene Tränen ausbräche! Was sind alle Töne, die man jemals auf Geigen gehört, gegen dieses Adagio! Ich habe gar nicht gewusst, dass es solche Klänge in der Musik gibt. Er hat gesprochen, geweint, gesungen, und alle Virtuosität ist nichts gegen dieses Adagio. … Der Totaleindruck, den er, sein Erscheinen mit eingerechnet, auf mich gemacht hat, ist kein wohltuender. Es lässt sich ein dämonischer Eindruck ahnen.”4 2 Johann Christian Lobe (Weimar 1829) Johann Christian Lobe (Weimar 1829) 4 Ludwig Rellstab (Berlin, 1829) 3 6 Der überschwängliche Personenkult, der in Wien nach Paganinis Erscheinen einsetzte, äußerte sich auch im Leben der Stadt: die Bäcker boten Paganini-Brezeln an, auf den Speisekarten der Lokale fanden sich Speisen „à la Paganini”, die Damen trugen Locken und halboffene Zöpfe nach seinem Vorbild, sogar in den lokalen Konzerten von Strauß oder Lanner wurden nun Kompositionen über Paganini-Themen aufgeführt. Diese PaganiniEuphorie kam dem Künstler jedoch sehr gelegen. In den kommenden sechs Jahren führten die Konzertreisen Paganinis durch ganz Europa mit einem bisher nicht dagewesenen Erfolg. Dies brachte viele Kritiker auf den Plan, die bemängelten, dass sich die Aufmerksamkeit des Publikums nur mehr auf den Interpreten richtete und der Musik wenig Beachtung schenkte. Sie bezeichneten Paganinis Kunst als geschmacklos und als eine rein mechanische Fertigkeit. „Eine wahre Künstelei ist das Spiel auf der G-Saite. Da er dazu meist nur einen Finger gebraucht, so entsteht durch das unaufhörliche Auf- und Abfahren desselben ein ganz abscheuliches Miauen und Heulen, an welchem Herr Paganini ein besonderes Wohlgefallen zu haben scheint.”5 Paganini spielte ein besonders gut klingendes Instrument von Guarnerius del Gesù aus dem Jahre 1742, das ihm ein Gönner vermachte. Diese Geige besitzt einen großen, vollen Ton und wurde von ihm mit dünnen Saiten bezogen, wodurch dieses Instrument sehr leicht ansprach. Das Instrument schenkte Paganini seiner Geburtsstadt Genua. Von 1828 bis etwa 1834 unternahm Paganini ausgedehnte Konzertreisen durch Europa und wurde überall bewundert und bejubelt. Diese Reisen erbrachten ihm ein riesiges Vermögen, das er teils bei riskanten Unternehmen wieder einbüßte. Wird ihm wohl Geiz unterstellt, so ist bekannt, dass er sich bei Wohltätigkeitskonzerten großzügig einbrachte. Wurde der Begriff „Virtuose” im 18. Jahrhundert für Musiker verwendet, die herausragende kompositorische und praktische Fähigkeiten besaßen, so erhielt der Begriff im 19. Jahrhundert zunehmend eine abwertende Bedeutung. Das aufstrebende Bürgertum bejubelte nun mehr die rein zur Schau gestellten Kunstfertigkeiten der Künstler. Bei Paganini finden wir noch die Personalunion Komponist und Interpret. Neben seinem technischen Können gab er seinem Vortrag „eine Seele, wie Keiner” und ließ seine Zuhörer Musik in bester Weise erleben. War ihm zu Lebzeiten Ruhm beschieden, so wurde ihm, dem „Gottlosen”, eine kirchliche Bestattung verweigert. Bis 1876 dauerte es, bis Paganini auf dem Friedhof in Parma seine letzte Ruhe erhielt. Paganini schrieb seine Kompositionen für den eigenen Gebrauch. Neben den sechs Violinkonzerten und unzähligen, gefälligen Sonaten finden sich viele Werke in Variationsform, in denen Paganini seine technischen Fähigkeiten unter Beweis stellen konnte. Auch als versierter Gitarrist hinterließ Paganini melodienreiche Stücke für dieses Instrument. Es ist auffällig, dass zu Lebzeiten Paganinis nur vier Werke im Druck erschienen. Auf diese Weise verhinderte Paganini, dass andere Geiger seine Kompositionen aufführen konnten. Paganinis Erscheinen und seine Virtuosität mit Erweiterung der technischen Schwierigkeiten auf seinem Instrument, löste auch für das Klavier eine neue Ära aus. Franz Liszt war einer der ersten, der die Technik des Klavierspiels revolutionierte und eine Wende markierte. 5 aus der Kritik einer Wiener Zeitung 7 Paganinis 24 Capricen op. 1 Paganinis bedeutendstes Werk, die ›24 Capricci‹ op.1 per Violino wurden 1817 von ihm fertiggestellt und 1820 veröffentlicht. Es wird angenommen, dass ein Teil der Capricen schon zwischen 1801 und 1807 entstanden ist. Paganini wollte mit dem Erscheinen dieser Sammlung seine Europatournee vorbereiten, die aber wegen Krankheit um 8 Jahre verschoben wurde. Die schnelle Verbreitung der Capricen und die daraufhin erfolgenden Diskussionen erhöhten die Spannung, um den Ausnahme-Virtuosen zu hören. Bei den 24 Capricen handelt es sich einerseits um Übungsmaterial zur Erarbeitung einzelner technischer Schwierigkeiten (z.B. Nr.3 – Springbogen, Nr. 9 – Imitation von Flöten und Horn, Nr.18/19 – Verwendung der G-Saite, Nr. 22 – Dezimengriffe, Nr. 23 – Oktavenglissandi), andererseits sind es gehaltvolle Kompositionen für den Konzertgebrauch. Jede der Capricen hat Paganini in den späteren Jahren Freunden gewidmet (u.a. Nr. 1 – Vieuxtemps, Nr. 3 – Sivori, Nr. 7– Liszt, Nr.15 – Spohr, Nr. 16 – Kreutzer). Nr. 24 hat er sich selbst gewidmet (sepolto pur troppo – um begraben zu sein). Diese Selbstwidmung mag seine besondere Liebe zu dieser Caprice ausdrücken, bleibt jedoch rätselhaft. Angeregt wurde Paganini durch die Capricen von Pietro Locatelli (1695 – 1764). Bis heute gelten Paganinis Capricen als Grundlage beim Geigenstudium und werden von Interpreten gerne zum Besten gegeben. Die 24. Caprice ist die bekannteste Caprice. Sie besteht aus Thema und elf Variationen. N1 Das sehr schnell und leise zu spielende Thema besteht aus zwei Teilen. Im viertaktigen ersten Teil wechseln sich Tonika und Dominante ab, der achttaktige zweite Teil ist sequenzartig angelegt. Bis auf die Abschlusstakte, die Oktavensprünge enthalten, bestehen alle Takte aus einem bewegten Rhythmus. Insbesondere durch dieses Thema wurde eine große Anzahl von Komponisten inspiriert, eigene Variationswerke zu schreiben. Dabei nehmen die Kompositionen für Klavier eine besondere Stellung ein. – Franz Liszt, Études d’exécution transcendante d’après Paganini für Klavier (1838) (Nr.6) – Johannes Brahms, Variationen über ein Thema von Paganini op. 35 (1862/63) – Sergej Rachmaninow, Rhapsodie sur un thème de Paganini für Klavier und Orchester op. 43 (1934) – Witold Lutoslawski, Variations on a Theme by Paganini für 2 Klaviere (1940/41) – Boris Blacher, Variations on a Theme by Paganini für Orchester (1947) 8 III. Rachmaninows Rhapsodie über ein Thema von Paganini für Klavier und Orchester op. 43 in a-moll In seinem neuen, luxuriösen Feriendomizil SENAR (Sergej und Natalja Rachmaninow) in Hertenstein am Vierwaldstätter See komponierte Rachmaninow in den Sommermonaten 1934 die ›Paganini-Rhapsodie‹. Angeregt durch seine Erfahrungen mit den ›Variationen über ein Thema von Corelli‹ d-moll für Klavier op. 42 (1931), dem ebenfalls ein Thema aus der Violinmusik zugrunde liegt (La Folia), beschäftigte sich Rachmaninow nun mit einem umfangreichen Werk für Klavier und großes Orchester. Dabei kommen dem Klavier viele Soloteile ohne begleitendes Orchester zu. Rachmaninow war schon immer von der dämonischen Person Paganini und dessen stupender Technik fasziniert. In seinen 24 Variationen über das Thema der 24. Caprice von Paganini, die an Schwierigkeiten nicht zu überbieten sind, lässt er seine ganze pianistische Virtuosität einfließen. Rachmaninow hat den Ehrgeiz, Paganinis Technik auf dem Klavier noch zu überbieten. Er übernimmt die Originaltonart a-moll. Auffällig ist, dass alle bedeutenden Werke des Komponisten in einer Moll-Tonart stehen. Es ist Rachmaninow letztes und bedeutendstes Klavierwerk. Der in der Werkbezeichnung verwendete Begriff ›Rhapsodie‹ deutet darauf hin, dass er seine Variationen mehr als freie Erfindungen sieht. Die 24 Variationen lassen sich in drei Abschnitte entsprechend der Form eines dreisätzigen Konzerts gliedern. Im Anfangsabschnitt, einer Art Exposition, entwickelt sich das PaganiniThema mit rhythmischer Betonung (Var. I – VI). In der Variation VII tritt das gegensätzliche ›Dies irae‹-Thema” hinzu und führt in den darauffolgenden Variationen zu einer Auseinandersetzung mit dem Paganini-Thema. N2 ›Dies irae‹ -Sequenz Die ›Dies irae‹-Melodie stammt aus der lateinischen Totenmesse und enthält Schilderungen vom Jüngsten Gericht. Seit 1963 (2. Vatikanisches Konzil) wurde diese mittelalterliche Sequenz aus der katholischen Liturgie entfernt, da sie zu düster war und nun mehr die christliche Hoffnung und die Auferstehung in den Mittelpunkt der christlichen Aussage rückte. Dieses Thema fand immer wieder Eingang in die Kunstmusik, so bei Berlioz (›Symphonie fantastique‹), bei Liszt (‹Totentanz‹) oder bei Saint-Saens (›Danse macabre‹). Auch Rachmaninow verwendet ›Dies irae‹ in verschiedenen Kompositionen (u.a. in: ›Toteninsel‹, ›Glocken‹, ›3. Symphonie‹, ›Symphonische Tänze‹) und möchte damit die Auseinandersetzung des Lebens mit den bösen Mächten versinnbildlichen. In einem Brief an den Choreographen Michail Fokin erläutert Rachmaninow seine Vorstellungen zur Rhapsodie: „Sollte man nicht die Legende des Paganini beleben, der seine Seele an den bösen Geist verkauft, um seine Kunst zu vervollkommnen und eine Frau zu erlangen? Alle Variationen mit dem ›Dies irae‹-Thema sind der böse Geist”. Der langsame Mittelteil ist mehr ruhig und lyrisch gehalten (Var. XI – XVIII). Im fulminanten Abschlussteil (Var. XIX – XXIV) treffen die beiden Themen nochmals aufeinander. Für Rachmaninow behalten die Kräfte des Lebens die Oberhand. Als Meister der Kleinkunst kamen Rachmaninow die Variationen gelegen. Hier konnte er sich frei entfalten, seine makellose virtuose Technik demonstrieren und seiner Phantasie freien Lauf lassen. Die klassischen Variationsformen fanden nur wenig Beachtung. 9 Dem Werk ist eine kurze Einleitung (Allegro Vivace) vorangestellt, dabei kommen dem Klavier nur unbedeutende Begleitakkorde zu. Es entsteht der Eindruck, als würde der Pianist zunächst das Klavier erproben. In der 1. Variation (precedente – vorausgehend) sind im Orchester die ersten Andeutungen des Themas zu erkennen. Erst jetzt erklingt das bekannte Thema, unisono gespielt von den Violinen. Im 2. Teils des Themas tritt das Klavier begleitend hinzu. Rachmaninow erzeugt auf diese Weise eine ganz besondere Spannung. HB 1 Thema mit Violinen In Variation II greift das Klavier das Thema auf. N3 HB 2 Klavier mit Thema Die Variationen III – VI behalten Tempo und Tonart bei und werden vom Klavier rhythmisch pointiert und humorvoll dargestellt. In Variation VII tritt das Gegenthema mit der ›Dies Irae‹-Sequenz auf, feierlich vorgetragen vom Soloinstrument und umspielt von den beiden Fagotten. Eine Trauer schleicht sich ein. In den Geigen blitzt immer wieder mit ›saltando‹ (Springbogen) kurz das Thema auf. Anklänge an die russisch-orthodoxe Musik lassen sich ebenfalls erkennen. N4 HB 3 Anfang Variation VII mit ›Dies irae‹-Thema In Variation VIII (Allegro vivace) wird das Tempo schneller und stellt das lebhafte PaganiniThema wieder in den Mittelpunkt. Variationen mit „teuflischer” Virtuosität folgen, u.a. eine jazzig synkopische in Variation IX. N5 10 In Variation X sind die beiden Themen wieder stark in sich verwoben. Mit einem Choral im Soloklavier verdüstert sich die Stimmung. Der Mittelteil der Rhapsodie, mit lyrischen und melancholischen Anklängen, beginnt mit einer Kadenz in Variation XI. In einem Brief an den Choreographen Michail Fokin erläutert Rachmaninow seine Vorstellung, die Rhapsodie für ein Ballettprogramm zu verwenden: „Variation XI ist die beherrschende Stelle für die Liebe. Variation XII – das Menuett – gilt dem ersten Auftreten der Frau, die in Variation XIII ihre erste Unterredung mit Paganini führt. Die Variationen XI bis XVIII sind Liebesepisoden.” In Variation XIII zeigt sich das Paganini-Thema wieder kräftig und vorwärtstreibend in der Form eines Marsches. Mit Fanfarenklängen der Trompeten in Variation XIV, findet das erste Thema eine Übermacht. HB 4 Variation XIV (Ausschnitt) Eingetrübt wird dieser Überschwang durch Gegenbewegungen in den Variationen XVI und XVII. Mit der gefühlvollen Variation XVIII gelang Rachmaninow ein spektakulärer Hit, der auch in vielfältigen Bearbeitungen und als Soundtrack seiner Popularität als Komponist dienlich war. In seinem Soundtrack zu der Filmen ›Somewhere in Time‹ und ›Ein tödlicher Traum‹ verwendete John Barry diese Melodie und bezeichnete sie als ›one oft the best compositions ever‹! Rachmaninow stellt das Paganini-Thema quasi auf den Kopf und gibt der Rhapsodie mit diesem romantisch-gefühlvollen Ohrwurm im weichen Des-Dur einen lyrischen Höhepunkt. HB 5 Variation XVIII (Ausschnitt) Mit Variation XIX beginnt der Abschluss-Teil wieder in der Ausgangs-Tonart a-moll. „Diese Variation stellt den Triumph der Kunst Paganinis dar, sein diabolisches Pizzicato.”6 Das Tempo steigert sich in den folgenden Variationen und gibt dem Paganini-Thema eine besondere Festigkeit. Mit den Blechbläsern, die das ›Dies irae‹-Thema in der letzten Variation nochmals schmetternd wiedergeben, wird ein Höhepunkt erreicht. Virtuos schließt sich eine Klavierkadenz an. Mit zwei leisen Akkorden hat das Klavier das letzte Wort. HB 6 Variation XXIV (Ausschnitt) Mit großem Erfolg fand die Uraufführung der Rhapsodie mit Rachmaninow als Solist und dem Philadelphia Orchester unter Leopold Stokowski im November 1934 in Baltimore statt. Noch im Dezember 1934 entstand eine Schallplatte, die als Werbeträger für die Konzerttournee in Amerika eingesetzt wurde. Nach dem großen Erfolg der Rhapsodie stellte Rachmaninow zusammen mit Fokin drei Szenen für eine Choreographie zusammen, die 1939 im Londoner Covent Garden gefeiert wurde. 6 Rachmaninow im Brief an Michail Fokin 11 Rachmaninow verabschiedete sich von Europa 1939 bei den Luzerner Festwochen mit Beethovens 1. Klavierkonzert und seiner ›Paganini-Rhapsodie‹. Nach Hitlers Einmarsch in Österreich weigerten sich viele Künstler bei den Salzburger Festspielen aufzutreten. Als politische Demonstration wurde deshalb von Toscanini, Casals, Ansermet und Rachmaninow das Luzerner Festival ins Leben gerufen. In seinen letzten Konzerten 1943 in Chicago spielte Rachmaninow nochmals sein europäisches Abschiedsprogramm, mit einem seiner Lieblingsstücke, der ›Paganini-Rhapsodie‹. Unter den wenigen Kompositionen für Klavier und Orchester in Variationsform finden sich neben der Rhapsodie von Rachmaninow nur noch César Francks „Symphonische Variationen” und Liszts „Totentanz”. IV. Unterrichtliche Hinweise 1. Mitspiel- bzw. Musiziersatz M 1 (Paganini-Thema) Der Mitspielsatz bietet sich als Einstieg an, um das Thema der 24. Caprice von Paganini kennenzulernen. Das Thema (1) sollte zunächst mit einem Melodieinstrument (bzw. Klavier oder Violine) wiedergegeben werden. Die Stimmen 2 – 5 sind für Stabspiele bzw. Flöten vorgesehen, dabei eignen sich die Stimmen 4 und 5 für Bassinstrumente. Die Stimmen 9 und 10 sind für versierte Schüler/innen oder für Klavierspieler gedacht. Alle Stimmen sind beliebig miteinander kombinierbar. Sobald der Satz in einem zügigen Tempo gespielt werden kann, können Mitspiel-Versuche mit einer Violinaufnahme bzw. dem Ausschnitt aus der ›Paganini-Rhapsodie‹ unternommen werden. Probleme können sich durch unterschiedliche Stimmungen der Aufnahmen ergeben. 2. Musiziersatz M 2 (Eine feierliche Melodie aus der Totenmesse, ›Dies irae‹) Beim 2. Thema in der Paganini-Rhapsodie greift Rachmaninow auf den Beginn der ›Dies irae‹-Melodie zurück. Die Harmonik in diesem Musiziersatz wurde entsprechend der mittelalterlichen Melodie einfach gehalten. Die Schüler/innen sollen die Schlichtheit, aber auch die Wirkung dieser Melodie erfahren. Bei der Erarbeitung kann ähnlich vorgegangen werden wie bei der Paganini-Melodie (M 1). Die Melodie sollte zunächst wieder gut eingeübt werden. Dies kann auch auf verschiedenen Melodieinstrumenten erfolgen. Die Stimme 4 ist für Bassstäbe vorgesehen. Der Musiziersatz ist um einige Takte erweitert, als von Rachmaninow verwendet. Die Stimmen lassen sich wieder beliebig kombinieren. Durch einen Exkurs über die mittelalterlichen Sequenzen (zu Ostern, Pfingsten, Fronleichnam, Totenmesse) könnte das Thema erweitert werden. Mit der Abfolge ›Paganini-Thema‹ — ›Dies irae‹ — ›Paganini-Thema‹ lassen sich kleine musikalische Einheiten gestalten. 3. Mitspiel- bzw. Musiziersatz M 3 (Die Melodie ›Dies irae‹ und das ›Paganini-Thema‹ treffen aufeinander) In der VII. Variation der ›Paganini-Rhapsodie‹ mit der ›Dies irae‹-Sequenz lässt Rachmaninow Anklänge an das ›Paganini-Thema‹ aufleuchten. Er deutet damit an, dass Paganini sich gegen das ›Jüngste Gericht‹ auflehnt und sich noch nicht geschlagen gibt. Der Musiziersatz ist so aufgebaut, dass zur VII. Variation mitgespielt werden kann. 12 Zugleich wurde die ›Paganini-Melodie‹ so in den Musiziersatz integriert, dass vielfältige Gestaltungsversuche durchgeführt werden können. Der Musiziersatz entspricht den ersten drei Wiederholungen der ›Dies irae‹-Melodie. Durch die Lehrkraft sollte zunächst die Stimme 7 (original nach Rachmaninow) vorgespielt werden. Anschließend werden die Stimmen 1 – 4 und 9 – 11 eingeübt und zusammen mit der Klavierstimme aufgeführt. Die Stimmen 5 und 8 sind für musiziererfahrene Schüler/innen gedacht. Auch hier können die einzelnen Stimmen wieder beliebig miteinander kombiniert werden. Die Schüler/innen können eigene Ideen zur Gestaltung einbringen (u.a. dynamische Abstufungen). Ein Vergleich mit der Originalaufnahme ermöglicht dann Einsichten in Rachmaninows Vorstellungen. Das gemäßigte Tempo der VII. Variation ermöglicht Mitspielversuche mit der Aufnahme. Mit den aufleuchtenden Paganini-Zitaten in der Aufnahme eröffnen sich neue Gestaltungsmöglichkeiten. Ein geschickter Geiger könnte die Stimme 6 übernehmen, mit Phrasen aus dem Paganini-Thema. Als nächstes könnten Spielversuche mit dem Aufeinandertreffen der beiden Themen erfolgen (z.B. 6 + 7; 1 – 4 + 6; 1 – 4, 6 + 7 + 11). Die Violinstimme kann sich auch auf einzelne Töne je Takt, bzw. die Sechzehntel-Abfolge beschränken. Diese Gestaltungsmöglichkeiten bieten ein weites Feld für Variationstechniken. Mit dynamischen Abstufungen kann die bedrohende Stimmung verstärkt werden. Immer wieder sollte eine Rachmaninow-Aufnahme herangezogen und damit Vergleiche angestellt werden. Schließlich kann der Versuch unternommen werden, zum Hörbeispiel der Variation VII (3 Teile) mit einzelnen Stimmen aus dem Satz mitzuspielen, auch mit Anklängen an das Paganini-Thema. 4. An Rachmaninows überschaubaren Variationen lassen sich vielfältige Höraufgaben durchführen: Interessant ist der Beginn des Werks. Nicht das Paganini-Thema steht am Anfang, sondern Rachmaninow beginnt mit einer Introduktion mit Teilen aus dem PaganiniThema und schließt die 1. Variation mit dem harmonischen und rhythmischen Grundmuster des Themas an. Interessant ist, dass in dieser Variation das Soloinstrument mit einfachen Begleitakkorden mitspielt. Von den Geigen wird nun das Thema unisono in Originalform vorgestellt, mit dem Klavier als fast nicht wahrnehmbare Begleitung. Ein Vergleich mit dem Capricen–Thema, gespielt von einer Sologeige, zeigt wie von Rachmaninow das Thema genau übernommen wurde. Allerdings klingt das Thema bei Rachmaninow energiegeladener. Erst in Variation II greift das Klavier kraftvoll in das Geschehen ein. In Variation IV wird die virtuose Seite des Klaviers mit Umspielungen des Themas vorgeführt. Das Orchester tritt völlig in den Hintergrund. In Variation VII verwendet Rachmaninow die ersten acht Takte der ›Dies irae‹Sequenz. Vom Klavier wird diese Melodie vier Mal wiederholt und vom dunklen Klang des Fagotts umspielt (Aufgabe 2 in M 5). Immer wieder taucht kurz ein Teil des Paganini-Themas auf. Herausgearbeitet werden sollte die immer bedrückender werdende Stimmung durch dynamische Steigerung sowie neue harmonische Strukturen. 13 In Variation VIII steht das Klavier mit dem Paganini-Thema wieder kraftvoll im Mittelpunkt. Reizvoll sind die rhythmischen, jazzartigen Anklänge der IX. Variation. Wie im dreisätzigen Konzert findet sich in Variation XI eine Kadenz. Mit Variation XIII steht das Orchester wieder im Mittelpunkt mit einem Marsch, der im Dreiertakt steht, gedacht mit zwei punktierten Vierteln. Das Soloklavier tritt mit Akkorden hinzu. In den beiden folgenden Variationen werden neue musikalische Gedanken eingebracht (u.a. in Variation XIV mit Trompeteneinwürfen), die beiden Hauptthemen sind nicht mehr erkennbar. Neben dem Klavier tritt das PaganiniThema in Variation XVI durch Solooboe und Solovioline auf. Die gefühlsbetonte Variation XVIII im angenehmen Des-Dur hat sich auch außerhalb der Paganini-Rhapsodie zu einem großen Hit entwickelt. Die Schüler/innen könnten aus dem Internet verschiedene Arrangements hierzu sammeln und vergleichen. Anhand einer Wave-Datei auf dem Arbeitsblatt M 5 können Hörerwartungen verbalisiert und mit dem Hörbeispiel verglichen werden. In Variation XIV tritt das ›Dies-irae‹-Thema nochmals deutlich in den Vordergrund. 5. Das Arbeitsmaterial M 4 enthält zwei Texte über die beiden Virtuosen Paganini und Rachmaninow. Die Schüler/innen sollen anhand der Texte die Wirkung der beiden Virtuosen auf das Publikum, ihre besonderen virtuosen Fähigkeiten, ihre Tätigkeit als Komponist und Interpret der eigenen Werke miteinander vergleichen. 6. In M 5 finden sich drei Aufgaben mit Wave-Dateien. In der 1. Aufgabe sollen die Schüler/innen die Dreiteiligkeit des Werks erkennen und die Teile kennzeichnen. Die 2. Aufgabe befasst sich mit der VII. Variation. Es sollen die Teile und die zunehmende Intension erkannt werden. In Aufgabe 3 sollen Verlauf und Besonderheiten der XVIII. Variation verbalisiert werden. 7. Auf dem Arbeitsmaterial M 6 Biographie Sergej Rachmaninow findet sich eine Zusammenstellung wichtiger Daten. Die Schüler/innen erhalten einen Überblick über die Person Rachmaninow, seine wichtigen Kompositionen, seine Tätigkeit als Pianist, Komponist und Dirigent, seine Arbeitsphasen. 14 8. Auf dem Arbeitsmaterial M 7 wurden die einzelnen Variationen in einer Wave-Datei der ›Paganini-Rhapsodie‹ gekennzeichnet um einen Überblick über das Werk zu bekommen. Aus der jeweiligen Intensität der Wave-Datei lassen sich teilweise Aussagen über die einzelnen Variationen machen. V. Ausführende Lise de la Salle, Klavier Lise de la Salle ist in Cherbourg geboren und stammt aus einer musik- und kunstbeflissenen Familie. Sie begann das Klavierspiel mit vier Jahren und studierte ab ihrem elften Lebensjahr am Conservatoire de Paris, zuletzt in der Meisterklasse von Bruno Rigutto. 2000 gewann sie den 1. Preis beim „7. Internationalen Wettbewerb für junge Pianisten” in Ettlingen. Mit 17 absolvierte Lise de la Salle das Abitur und spielte zu dieser Zeit ihre dritte CD in Lissabon ein. Ihr Repertoire umfasst Werke von Bach, Mozart, Beethoven, Chopin, Liszt, Ravel und nicht zuletzt Werke der russischen Komponisten Prokofjew, Schostakowitsch und Rachmaninow. Lise de la Salle gilt bei den Kritikern als „extremes Talent” und gehört bereits zu den international gefragtesten jungen Konzertpianistinnen. Es spielt das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR, Dirigent: Stéphane Denève Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR – gegründet 1945 – ist einer der bedeutendsten musikalischen Botschafter des Landes. Pro Saison spielt das RSO rund 80 Konzerte im Sendegebiet des SWR, es gastiert in nationalen und internationalen Musikzentren und bei Festspielen. Sowohl das klassisch-romantische Repertoire als auch zeitgenössische Musik wird vom RSO gepflegt. Zudem setzt sich das Orchester für die Erschließung anspruchsvoller Musik für ein junges Publikum ein. Seit September 2011 ist der Franzose Stéphane Denève Chefdirigent beim RadioSinfonieorchester Stuttgart des SWR. Denève, der sich ein großes Repertoire klassischer und zeitgenössischer Werke angeeignet hat, pflegt eine besondere Beziehung zur Musik seiner französischen Heimat. Denève ist Nachfolger von Sir Roger Norrington, der von 1998 bis 2011 das RSO Stuttgart leitete und nun Ehrendirigent des RSO ist.7 VI. Quellen Literatur Biesold, Maria: Sergej Rachmaninoff 1873–1943, Zwischen Moskau und New York, Eine Künstlerbiographie, Weinheim 1991 Die Musik in Geschichte und Gegenwart Personenteil 12 und 13, Stuttgart 2004/2005 Korfmacher, Peter: Harenberg Konzertführer Kuhn, Ernst: Sergej Rachmaninow, Zugänge zu Leben und Werk, Berlin 2007 Programmheft des Berliner Philharmonischen Orchesters von 1985/86 7 Ausschnitte aus Programmheft des SWR 15 Reder, Ewald: Sergej Rachmaninow, Leben und Werk (1873–1943), Gründau-Rothenbergen 2007 Wehrmeyer, Andreas: Sergej Rachmaninow, Hamburg 2000 Partitur Rachmaninoff, Rhapsodie on a Theme of Paganini for piano and orchestra, Full Orchestral Score, The Masterworks Library, Boosey & Hawkes, London 2003 Petrucci-Bibliothek: http://imslp.org/wiki/Rhapsody_on_a_Theme_of_Paganini,_Op.43_(Rachmaninoff,_Sergei) Aufnahmen: Yuja Wang, Klavier, Mahler Chamber Orchestra, Claudio Abbado, DG 4779308 (mit Rachmaninow Klavierkonzert Nr. 2 in c-moll op. 18); Bei dieser Aufnahme ist der Zugriff auf die einzelnen Variationen möglich. Denis Matsuev, Klavier, Mariinsky Orchestra, Leitung: Valery Gergiev, Mariinsky Label, SACD MAR0505 (mit Rachmaninow Klavierkonzert Nr. 3 in d-moll op. 30) VII. Unterrichtsmaterial M 1a/b M 2a/b M 3a-c M4 M5 M6 M7 Mitspiel-, Musiziersatz zu Paganini, Thema der Caprice Nr. 24 Musiziersatz zu ›Dies irae‹, 13. Jahrhundert Musiziersatz zu ›Dies irae‹ nach Rachmaninow, Paganini-Rhapsodie, Variation VII Vergleich von zwei Texten zu Paganini und Rachmaninow Aufgaben zu Wave-Dateien der Paganini-Rhapsodie Biographie Sergej Rachmaninow Wave-Datei der ›Paganini-Rhapsodie‹ mit Kennzeichnung der einzelnen Variationen 16 M 1a Mitspielsatz zu Paganini, Thema der Caprice Nr. 24 Satz: Rudolf Schmid Seite 1 17 M 1b Mitspielsatz zu Paganini, Thema der Caprice Nr. 24 Seite 2 18 M 2a Musiziersatz zu ›Dies Irae‹ , 13. Jahrhundert Satz: Rudolf Schmid Seite 1 19 M 2b Musiziersatz ›Dies Irae‹ , 13. Jahrhundert Seite 2 20 21 22 23 M 4 Vergleich von zwei Texten über Paganini und Rachmaninow Bericht des Geigers Johann Christian Lobe über ein Konzert Paganinis in Weimar 1829: „Niemals in meinem Leben habe ich einen Menschen gesehen, bei dessen Anblick mir das Herz so weh getan, so von Rührung ergriffen worden wäre. Eine hagere Figur, in altmodisch schwarzem Frack und bis auf die Sohlen herabhängenden schwarzen Hosen, die um die dürren Glieder schlotterten, wie um ein bloßes Knochengerüst. Aus den langen herabhängenden Locken und dem stark gekräuselten Backenbart sah ein langes, fleisch- und blutloses Gesicht mit einer langen Adlernase heraus. Von seinen Schultern hingen Pavianarme herab, woran sehr lange dürre, aber schneeweiße Hände befestigt waren. Er brachte gewisse Gänge, Sprünge und Doppelgriffe, die man noch von keinem Violinspieler, wer es auch sei, gehört hatte. Er schien mit dem Teufel im Bunde zu stehen. In der ›Sonate militaire‹ ließ er auf der G-Saite vermittelst des Flageoletts beinahe den ganzen Tonumfang aller vier Saiten hören. Das Wundervollste war, dass er mit der linken Hand ein Pizzicato griff, während er das angefangene Spiel fortsetzte. Unbegreiflich waren die Doppelgriffe für Terzen-, Sexten-, Oktaven-, Doppeltriller- und Dezimen-Passagen in pfeilschneller Geschwindigkeit. Dies alles trug er mit spielender Leichtigkeit und reinster Intonation vor. Der Beifall des Publikums stürmte wie brausende Meereswogen durch das Haus. Die Damen legten sich über die Brüstungen der Galerien heraus, um zu zeigen, wie sie applaudierten; Männer stiegen auf Stühle, um ihn zu erblicken und ihm zuzuschreien.” Sergej Rachmaninow (1873 — 1943) in Berichten seiner Zeit: „Rachmaninow war ein bedeutender Komponist, aber noch mehr einer der größten Pianisten. Unsere Epoche kannte keinen anderen Virtuosen, der brillanter oder textgetreuer in der Kunst der Interpretation war. Sein Spiel war dämonisch, wenn er am Klavier saß.”8 Schon 1909 konzertierte der in Russland geborene Rachmaninow erfolgreich mit seinem 3. Klavierkonzert in USA. Er wurde zu einem der begehrtesten und bestbezahlten Pianisten Amerikas. Sein Erfolg ist zu suchen in seiner großen musikalischen Begabung, seinen außerordentlichen manuellen Fähigkeiten mit großen, dehnfähigen Händen und seinem publikumswirksamen Auftreten. Rachmaninow wusste, dass sein Publikum vor allem die Künstlerpersönlichkeit erleben wollte und legte darauf besonderen Wert. Er wird beschrieben als „eine große (1,98 m), diszipliniert wirkende aristokratische Gestalt mit scharfen Gesichtszügen und einem Sträflingshaarschnitt, von dem eine suggestive Kraft ausging”. Neben seinen vier bedeutenden Klavierkonzerten und der Paganini-Rhapsodie komponierte er eine Vielzahl von kleineren Klavierwerken und Liedern, sowie einige Orchesterwerke. Mit musikalischen Kleinformen wie seinem ›cis-moll-Prélude‹ oder der XVIII. Variation seiner Paganini-Rhapsodie erreichte er Weltruhm. Auch als Dirigent war Rachmaninow erfolgreich. Als leidenschaftlicher Auto-Fan brauste er gerne mit den neuesten Sportwagen über die Straßen und erfreute sich an Ausfahrten mit seinem Motorboot auf dem Vierwaldstätter See. Aufgaben: 1. Vergleiche die beiden Persönlichkeiten (Erscheinung, Wirkung auf das Publikum, musikalische Fähigkeiten, Erfolg). 2. Welche Fähigkeiten verlangt das Publikum von einem Virtuosen? 8 aus einem Brief von Marietta Schaginian 24 M5 Aufgaben zu Wave-Dateien der Paganini-Rhapsodie von Rachmaninow 1. Aufgabe: Versuche an der Wave-Datei die Komposition in Abschnitte zu gliedern. Begründe deine Gliederung. Konzerte bestehen meist aus drei Teilen. 2. Aufgabe: Die Wave-Datei zeigt die VII.Variation der ›Paganini-Rhapsodie‹. Höre dir diese Variation an. Gliedere die Wave-Datei und beschreibe die einzelnen Teile. Kannst du das Paganini-Thema heraushören? 3. Aufgabe: Beschreibe die folgende Wave-Datei und vergleiche deine Feststellungen mit dem Hörbeispiel der XVIII. Variation. 25 M 6 Biographie Sergej Rachmaninow 1873 1877 1885 1886 1890 1891 1892 1893 1897 1899 1900 1902 1904 1906 1907 1909 1910 1912 1913 1917 1918 1919 1922 1927 1931 1934 1936 1937 1939 1941 1943 1943 am 1. April auf dem Landgut Semjonowo, (Ilmensee, Russland) geboren von der Mutter erhält er den ersten Klavierunterricht Nikolaj Swerew in Moskau unterrichtet ihn kostenlos in Klavier und übernimmt seine Erziehung Aufnahme ins Moskauer Konservatorium, u.a. Klavierausbildung bei Alexander Siloti, Harmonie und Instrumentation bei Anton Arenskij, Kontrapunkt bei Sergej Tanejev Kompositionsbeginn des 1. Klavierkonzerts op. 1 Besteht sein Klavierexamen mit ›Auszeichnung‹ Debüt als Pianist; Abschlussprüfung in Komposition mit ›Auszeichnung‹; ›Grosse Goldmedaille‹ für herausragende Leistungen als Pianist und Komponist; ›Prélude in cis-moll‹ op.3/2 entsteht Premiere seiner Oper ›Aleko‹ (Prüfungsarbeit) Misslungene Premiere der 1. Symphonie op. 13 in St. Petersburg führt zu einer Schaffenskrise; Anstellung als Dirigent an der privaten ›Mamontowoper‹ in Moskau Erster Auftritt als Dirigent und Pianist in London Psychiatrische Behandlung bei Dr. Dahl in Moskau, dem er das 2. Klavierkonzert op. 18 widmet; konzertiert mit dem Sänger Schaljapin auf der Krim Heiratet seine Cousine Natalja Alexandrowa Satina Rachmaninow erhält den ›Glinka-Preis‹ (500 Rubel) für sein 2. Klavierkonzert op. 18; wird Dirigent am Bolschoj-Theater Rücktritt vom Dirigenten- und Musikinspektorenposten wegen politischer Unruhen und Intrigen am Theater; Umzug nach Dresden In Dresden entstehen 2. Symphonie op. 27 und 1. Klaviersonate op. 28 Fertigstellung der symphonischen Dichtung ›Die Toteninsel‹ op. 29; Rückkehr auf sein Landgut Iwanowka in Russland; erfolgreiche erste Amerika-Tournee mit Uraufführung des 3. Klavierkonzerts op. 30 in New York Aufführung des 3. Klavierkonzerts op. 30 in New York unter Gustav Mahler; umfangreiche Konzertreisen in Europa ›Vokalise‹ op. 34/14 entsteht (Gesangsstück ohne Worttext) Fertigstellung der Symphonie ›Glocken‹ op. 35 Oktoberrevolution; Rachmaninow übersiedelt nach Dänemark; verliert seinen gesamten Besitz in Russland Rachmaninow entscheidet sich für eine Pianistenlaufbahn; erfolgreiche Konzerte in Amerika; Erste Schallplatten- und Rollenaufnahmen für mechanische Klaviere Rachmaninow konzertiert wieder in Europa; Uraufführung des 4. Klavierkonzerts op. 40; Schallplattenaufnahmen mit Fritz Kreisler ›Corelli-Variationen‹ op. 42 für Klavier; Unterzeichnung von Protestschreiben gegen das Sowjetregime; Verbot der Werke Rachmaninows in der UDSSR Bezieht in Hertenstein am Vierwaldstätter See sein luxuriöses Feriendomizil ›SENAR‹ (Sergej und Natalja Rachmaninow); dort entsteht die ›Rhapsodie über ein Thema von Paganini‹ für Klavier und Orchester op. 43 3. Sinfonie op. 44, Uraufführung in Philadelphia Vorbesprechung mit dem Choreographen Fokin bzgl. eines Balletts über die ›PaganiniVariationen‹ Die politische Situation in Europa veranlasst Rachmaninow nach Amerika zu emigrieren; letztes Konzert in Europa bei den Luzerner Festspielen mit Beethoven 1. Klavierkonzert und der › Paganini-Rhapsodie‹ op. 43; Premiere des ›Paganini-Balletts‹ in London Uraufführung der ›Symphonischen Tänze‹ op.45 (letzte Komposition) letztes Konzert mit dem Luzerner Programm in Chicago Rachmaninow stirbt und wird in der Nähe von New York beigesetzt 26