Die Mauern des Tumors durchbrechen

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Natur und Wissenschaft
SE IT E N 2 · M I T T WO C H , 1 0 . JU L I 2 0 1 3 · N R . 1 5 7
Diabetesmittel
Die aktuelle Debatte um die Sicherheit
der neuen Antidiabetika lässt eine andere, mindestens ebenso wichtige Frage in den Hintergrund treten: Wie steht
es eigentlich um den therapeutischen
Nutzen der Inkretin-basierten Therapien? Als ein wesentlicher Fortschritt
der neuen Medikamente gilt, dass sie
den Blutzuckerspiegel schonender regulieren als andere Antidiabetika und das
Körpergewicht zudem nicht erhöhen,
teilweise sogar verringern. Ob sie auch
das erhöhte Infarktrisiko der Betroffenen vermindern, liegt noch im Dunkeln. Laut den vorläufigen Ergebnissen
einer aktuellen Studie scheint dies eher
nicht der Fall zu sein. Zumindest war
der darin untersuchte DPP-4-Hemmer
Saxagliptin nicht in der Lage, Patienten
mit „Alterszucker“ nachhaltiger vor
teilweise tödlichen Herz-Kreislauf-Attacken zu schützen als Placebopillen
(http://news.bms.com). Die Zukunft
wird zeigen, ob die Inkretin-basierten
Therapien mehr können als nur die
Blutzuckerwerte verschönern. Denn
längst nicht alle Arzneien, die aus theoretischen Überlegungen vorteilhaft
sein müssten, sind in der Praxis auch
nützlich. NICOLA VON LUTTEROTTI
eesterne können besser sehen als
bisher angenommen. Das haben
Meeresbiologen um Anders Garm
von der Universität Kopenhagen herausgefunden. Wie schon lange bekannt ist,
verfügen die meisten Seesterne über
Lichtrezeptoren an der Spitze ihrer
Arme. Verglichen mit den Augen etwa
von Wirbeltieren und Insekten handelt es
sich um primitive Organe. Seesternen
traute man daher nur die Fähigkeit zu,
zwischen Hell und Dunkel zu unterscheiden, zumal es ihnen an einem gut entwickelten Zentralnervensystem mangelt.
Dass man die Tiere damit unterschätzt
hat, belegen nun Untersuchungsergebnisse der dänischen Forscher, über die in der
vergangenen Woche auf der Jahrestagung
der Society for Experimental Biology in
Valencia berichtet wurde.
Als Versuchsobjekt diente den Biologen der Blaue Seestern (Linckia laevigata), eine in Korallenriffen des tropischen
Indopazifiks verbreitete Art. Bei den Experimenten setzte man einzelne Tiere mit
oder ohne Augen einen Meter vom Riff
entfernt auf dem Sandboden aus. Dort
drohte ihnen der Hungertod. Seesterne
mit intakten Augen mussten sich aber
S
Sieh mal an: Auch der Seestern
wird unterschätzt
Der Fall Strauer
düpiert die Branche
Gegen den Stammzellforscher und ehemaligen Direktor des Instituts für Kardiologie an der Universität Düsseldorf,
Bodo-Eckehard Strauer gibt es neues
belastendes Material. Seit Monaten
läuft an seiner Universität ein Verfahren wegen Manipulationsvorwürfen.
Es geht dabei um Publikationen der
Gruppe aus den vergangenen Jahren,
in denen gezeigt werden sollte, dass patienteneigene Knochenmarkstammzellen, die den Infarktpatienten über die
Blutbahn verabreicht worden waren,
die Regeneration des Herzens bewirken. Vor etwas mehr als zehn Jahren
waren die Experimente Strauers, ohne
dass damals kontrollierte Versuche und
Kenntnisse über Nebenwirkungen vorlagen, politisch als Argument gegen die
Forschung mit embryonalen Stammzellen verwendet worden. In einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift „International Journal of Cardiology“
(doi:10.1016/j.ijcard.2013.04.152) hat
eine Gruppe um Graham Cole vom Imperial College in London jetzt mehr als
200 „Ungereimtheiten“ in den mehr als
vier Dutzend Artikeln Strauers aufgelistet. Von widersprüchlichen und unklaren Versuchsdesigns bis zu falschen Statistiken und Patientenzuordnungen ist
die Rede. Cole ärgert vor allem, dass
kaum einer der zahlreichen Mängel
von anderen Wissenschaftlern bemerkt
oder jedenfalls erwähnt wurde, obwohl
allein die fünf prominentesten Veröffentlichungen Strauers 2665 mal in anderen Fachzeitschriften zitiert wurden.
Auch in fünf Metaanalysen wurden Widersprüche der Studiendesigns und Ergebnisse nicht beschrieben. Der Fall
wirft ein weiteres Mal ein ungutes
Licht auf die Arbeit von Gutachtern.
Cole: „Die wissenschaftliche Literatur
übernimmt solche Ungereimtheiten offensichtlich immer noch größtenteils
unkritisch.“
F.A.Z.
Frühjahrsgrippe
fördert Frühgeburten
Die Wahrscheinlichkeit einer Frühgeburt ist bei Schwangeren, die im Mai entbinden, offenbar größer als im Rest des
Jahres. Möglicher Grund: Influenzaviren. Weil der Höhepunkt der saisonalen
Grippe in eine kritische Phase am Ende
der Schwangerschaft fällt, komme es
häufiger zu vorzeitigen Geburten, meinen Janet Currie und Hannes Schwandt
von der Princeton-Universität in einer
Studie, die sie soeben in den „Proceedings“ der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht haben (doi: 10.1073/pnas.
1307582110). Die beiden Forscher haben die Geburts- und Gesundheitsdaten
von mehr als 1,4 Millionen Geschwisterpaaren von 647 000 Müttern in New
York, New Jersey und Pennsylvania miteinander verglichen. Die Wissenschaftlerinnen plädieren dafür, mehr Schwangere für die prophylaktische Grippeimpfung zu gewinnen.
F.A.Z.
Verstimmte Sportler
Ein Handbuch zur Depression
Das Schwierigste an einer Depression
ist es, sie frühzeitig zu erkennen. Gerade bei den vermeintlich Gesündesten
in der Gesellschaft. Depression ist ein
heimliches Leiden, wie der Aachener
Psychiater Frank Schneider in seinem
neuen Buch deutlich macht. Er, der
das Thema Depression in den vergangenen Jahren zu einem Schwerpunkt
der klinischen Psychiatrie gemacht
hat, schöpft aus einem gewaltigen Fundus an eigenen Erfahrungen – nicht zuletzt mit vielen prominenten Sportlern, unter denen dieses Leiden allzu
oft ausgeklammert wird. In dem Buch
gibt es viele Checklisten, Erläuterungen und Fallbeispiele, die klar zeigen:
Auch die Leistungswilligsten in der Gesellschaft sind gefährdet und müssen
rechtzeitig gegensteuern.
F.A.Z.
Frank Schneider: „Depression im Sport“, Her-
big Verlag, München 2013. 190 S., 19,99 Euro.
Foto Dan-Erik Nilsson, Universität Lund
Das Auge des Seesterns: An der Spitze jedes Arms
sitzen solche tubusförmigen „Komplexaugen“ mit
Sinneszellen (rot), die Informationen ans vermeintlich primitive Nervensystem weiterleiten.
nicht in dieses Schicksal fügen. Vielmehr
bewegten sie sich wieder auf das nährstoffreiche Riff zu. Ihre Artgenossen
ohne Augen indessen irrten ziellos umher. Die Augen der Seesterne setzen sich
aus zahlreichen lichtempfindlichen Strukturen zusammen. Die Forscher sprechen
von einem Komplexauge, das freilich
nicht mit dem optisch hoch entwickelten
Insektenauge vergleichbar ist.
Für Garm belegen die neuen Versuchsergebnisse, dass das Nervensystem von
Seesternen mehr leistet als bislang vermutet. Es kann offenbar visuelle Informationen verarbeiten und so den Tieren helfen, sich in ihrer Umgebung zu orientieren. Seesterne sind nicht die einzigen
Meeresbewohner, deren Sehvermögen unterschätzt wurde. Das hat Garm zusammen mit anderen Forschern bei früheren
Untersuchungen an Würfelquallen der
Art Tripedalia cystophora gezeigt. In ihrer frei schwimmenden Form, als Meduse, verfügen diese Tiere über 24 Augen.
Einige davon sind darauf spezialisiert,
durch die Wasseroberfläche zu sehen. Mit
ihrer Hilfe navigieren die Medusen zum
Rand von Mangrovenbuchten, ihrem bevorzugten Lebensraum. (R.W.)
Die Mauern des Tumors durchbrechen
Gentechnik kombiniert
mit Immunzelltherapie
gilt seit Jahren als
erfolgversprechender
Ansatz in der Krebsmedizin. Doch es gab
Rückschläge. Woran
lag es?
Vor drei Jahren konnte die Gruppe von
Michael Kalos Blutkrebszellen bei drei
Patienten mit sogenannten „CAR-Zellen“ ausrotten. Ende vergangenen Jahres machte die kleine Emily Whitehead
Schlagzeilen, nachdem sie von einer unheilbaren Akuten Lymphoblastischen
Leukämie (ALL) geheilt worden war,
ähnliche Erfolge meldete vor kurzem die
Gruppe von Renier Brentjens bei fünf an
ALL erkrankten Erwachsenen. Wie
geht es diesen Patienten heute?
Renier Brentjens: Vier der fünf
ALL-Patienten konnten aufgrund der
CAR-Behandlung eine Knochenmarktransplantation erhalten – die Standardtherapie bei dieser Art von Leukämie. Einer verstarb an Komplikationen, drei sind
immer noch in kompletter Remission, das
heißt, bei diesen Patienten lassen sich bis
jetzt keine Tumorzellen nachweisen, fast
zwei Jahre nach der Zellinfusion.
Michael Kalos: Inzwischen haben
wir bereits 14 Erwachsene behandelt. Bei
vier von ihnen bildete sich der Krebs vollständig zurück – was bis heute anhält, für
die ersten drei Jahre nach der Therapie,
bei sechs nur teilweise, bei vier hatten wir
keinen Effekt. Emily geht es prächtig,
doch ein anderes Kind, das wir behandelt
hatten, verstarb, weil Leukämiezellen erschienen, die das Antigen (Anmerkung:
das von den CAR-Zellen erkannte Merkmal) nicht mehr trugen.
Die ersten Versuche an Menschen starteten 2006, jedoch ohne Erfolg. Woran
lag das?
Brentjens: Die Zellen haben sich
im Körper nicht vermehrt und waren
nach einer Woche verschwunden – sie waren nicht lange genug da, um den Krebs
auszurotten. Wir fügten in das Genkon-
Michael Kalos:
„Weil diese
Technik sehr
potent ist, kann
sie auch sehr
gefährlich sein.“
Fotos
Andrea Enderlein
strukt ein Molekül hinzu, das mittlerweile in allen sogenannten „CARs der zweiten Generation“ enthalten ist und das die
Zellen anregt, sich zu vermehren, sobald
sie auf ihr Ziel treffen. Den ersten klinischen Erfolg aber erntete damit die Gruppe von Carl June.
Kalos: Wir beobachten tatsächlich,
dass die Patienten, bei denen die Leukämie komplett verschwindet, diejenigen
sind, bei denen die CAR-Zellen sich am
meisten vermehrt haben. Doch fragen Sie
nicht, warum es bei uns klappte, bei anderen nicht: Lag es an dem Virus, das wir
verwenden, um den Rezeptor in die Immunzellen einzuschleusen, lag es an den
Kulturbedingungen, die wir einsetzen zur
Vermehrung der Zellen vor der Infusion?
Das wissen wir nicht. Und darüber hinaus: Warum funktioniert die Therapie bei
manchen Patienten, bei anderen nicht?
Das versuchen wir gerade in meinem Labor herauszufinden.
In den Neunzigern heilten französische
Forscher erstmals Kinder von einer lebensbedrohlichen Immundefizienz, der
SCID-Krankheit, mittels Gentherapie.
Infolge der Behandlung entwickelten einige eine Leukämie. Sind die Techniken
mittlerweile sicherer?
Brentjens: Wir wissen mittlerweile,
dass es gefährlich sein kann, Blutstammzellen mit Retroviren genetisch zu verändern – die Art von Zellen, die die französische Gruppe damals modifizierte. Bei der
CAR-Therapie verändert man aber keine
Stammzellen, sondern T-Zellen. Es gibt
auch verschiedene Arten von Viren, die
man verwenden kann. Doch genau aus solchen Gründen werden klinische Studien
durchgeführt: um mögliche Nebenwirkungen festzustellen und die Methode besser
zu machen. Falsch wäre hier gewesen, die
Methode bereits bei Erstanwendung ganz
aufzugeben: Weil ein Mensch mit einem
der zuerst gebauten Autos verunglückt,
hört man nicht auf, Autos herzustellen.
Kalos: Mit dem Einsatz von Retroviren und T-Zellen blicken wir mittlerweile
auf mehr als fünfzehn Jahre Erfahrung zurück. Die ersten Behandelten waren HIVPatienten. Aus über vierzig Probanden
Christoph Huber:
„Es braucht eben
nicht nur Geist,
sondern auch
unter anderem
viel Geld.“
wurde kein Fall von Leukämie festgestellt. Auch die unbehandelten HIV-Patienten entwickeln im Prinzip keine Leukämie, obwohl sie das Virus permanent
in sich tragen.
Bis jetzt wurde die Therapie nur bei bestimmten Formen von Leukämie erfolgreich eingesetzt. Was ist mit anderen Tumorarten?
Brentjens: Bei soliden Tumoren haben wir das Problem der Immunosuppres-
sion: Tumore schaffen um sich herum
eine Umgebung, die den Immunangriff regelrecht lahmlegt. Ich glaube nicht, dass
die CAR-Zellen, wie sie im Moment ausgestattet sind, diese Verteidigungslinie allein durchbrechen können. Wir werden
etwas anderes hinzufügen müssen, das
dies erst ermöglicht – oder den Patienten
mit Molekülen vorbehandeln müssen,
die das Terrain vor der Behandlung vorbereiten.
Cedrik Britten:
„Genzelltherapien
sind ohnehin stark
reglementiert
und überwacht.“
Kalos: Eine andere Herausforderung
bei soliden Tumoren ist, dass viele der angreifbaren Antigene auch auf anderen Geweben vorkommen. Mit der CAR-Therapie schaffen wir in dem Patienten eine
neue Abwehr, die das Zielantigen sehr effizient erkennen kann. Wenn dieses sich
auf essentiellen Organen wie dem Herz
oder dem Gehirn befindet, wenn auch
nur in geringen Mengen, kann das dramatische Folgen haben. Weil diese Technik
sehr potent ist, kann sie eben auch sehr gefährlich sein. Die Herauforderung bei anderen Tumorarten wird es also sein, hochspezifische Zielantigene zu identifizieren,
auf die man mit der Therapie ohne große
Nebenwirkungen abzielen kann.
Es scheint, als ob jetzt ein weiterer
Durchbruch in der Zelltherapie aus
Übersee kommt.
Christoph Huber: Die Vorstellung, Innovationen auf diesem Gebiet kämen ausschließlich aus den Vereinigten
Staaten, ist falsch. Gerade die CAR-Technologie kommt ursprünglich aus Israel.
Es war Zelig Eshar vom Weizmann Institute in Rehovot, der sich Ende der achtziger Jahre das Konzept ausdachte und umsetzte. Die Entdeckung der ersten
menschlichen Tumorantigene, auf die solche Techniken, aber auch Krebsimpfungen abzielen, wurde insbesondere von
den Forschern um Thierry Boon in Brüssel und Ugur Sahin und Thomas Wölfel in
Mainz vorangetrieben. Auch an der Geburt des TCR-Transfers (Anmerkung:
eine ähnliche Technologie wie bei der
CAR-Therapie) waren Mainzer Forscher
um Matthias Theobald zusammen mit der
Gruppe von Ton Schumacher in den Niederlanden maßgeblich beteiligt. Innovationen stammen oft aus Europa. Bei der
klinischen und der kommerziellen Umsetzung sind uns unsere amerikanischen Kollegen allerdings meist überlegen. Das
stimmt schon.
Woran liegt das?
Huber: Es braucht eben nicht nur
Geist, sondern auch unter anderem viel
Geld. Als die Europäische Kommission
im Jahr 2004 die Förderung der klinischen Umsetzung unseres TCR-Transferprogramms kürzen musste, versuchten
wir sie mit einer eigenen Firma zu retten
– die wir zwei Jahren später wegen Mangels an Venture-Capital schließen mussten. Ein Großteil der innovativen Produkte in den Lebenswissenschaften stammt
eben aus kleinen und mittleren Biotechnologie-Unternehmen, die hauptsächlich
von Risiko-Kapital leben. Und dieses Kapital ist ungleich leichter in den Vereinigten Staaten erhältlich. Dort ist die Bereitschaft zum Risiko viel größer.
Cedrik Britten: Es ist auch eine Frage der Infrastruktur. Den Schritt in die KliRenier Brentjens:
„Die Zellen haben
sich im Körper
nicht vermehrt
und waren nach
einer Woche
verschwunden.“
nik für aufwendige Zelltherapeutika schaffen vor allem große Zentren, wie die nationalen Gesundheitsbehörden NIH und
NCI, das Memorial Sloan Kettering Cancer Center oder die University of Pennsylvania, die nicht nur einen besseren Anschluss an die Herstellungseinrichtungen,
sondern auch an Forschungsgelder haben.
In Europa sind die Forschungsstrukturen
wesentlich kleiner. Um den Zugriff auf die
notwendige Infrastruktur zu gewährleisten
und die Chancen auf Finanzierungen zu erhöhen, müssen sich Forscher vernetzen.
Das ist eines der Ziele, die CIMT verfolgt:
eine Plattform zu bieten für Vernetzungen, um nicht nur die Grundlagenforschung und die klinische Umsetzung vor-
Vier Namen, eine Organisation: Was die Immuntherapie antreibt
Vor zwei Jahren meldeten amerikanische Forscher die Heilung der ersten
Leukämiepatienten mit einem neuen
gentherapeutischen Ansatz. Seitdem
wurden auch Kinder erfolgreich behandelt. Es gab aber auch in jüngster Zeit
Todesfälle. Im Jahr 2010 etwa meldete
die Gruppe von Steven Rosenberg am
NIH den Fall einer Darmkrebs-Patientin, die kurz nach einer Genzelltherapie-Behandlung an Lungeninsuffizienz
gestorben war. Vor kurzem starben
zwei Patienten nach einer ähnlichen
Therapie, weil die Immunzellen das Gehirn angegriffen hatten.
Vier Experten äußerten sich auf dem
elften Kongress der Association for Cancer Immunotherapy (CIMT) in Mainz
zu Potential und Risiken der hochexperimentellen Therapie: Renier Brentjens
und Michael Kalos forschen in den Ver-
einigten Staaten, Christoph Huber und
Cedrik Britten in Deutschland. Aus
den Gruppen von Renier Brentjens am
Memorial Sloan Kettering Center in
New York und Michael Kalos von der
University of Pennsylvania in Philadelphia kommen die ersten klinischen Erfolge mit der sogenannten CAR-Therapie bei der Behandlung von LeukämiePatienten. Bei der CAR-Technologie
werden dem Patienten Immunzellen
entnommen und diese mit einem gentechnischen Verfahren mit einem sehr
potenten Rezeptor (CAR, chimeric antigen receptor) ausgestattet, der ein bestimmtes Merkmal an der Oberfläche
von Tumorzellen erkennt. Um das Konstrukt – bestehend aus einem Antikörper und dem inneren Teil eines T-ZellRezeptors – in die Zellen einzubringen,
werden meistens degenerierte HIV-ähn-
liche Viren verwendet. Die modifizierten Zellen werden dann im Labor vermehrt und dem Patienten wieder injiziert. Christoph Huber gründete Anfang der achtziger Jahre die frühen
Stammzelltransplantationszentren in
Innsbruck und Mainz. Von 1990 bis
2009 leitete er die Klinik für Hämatologie und Onkologie an der Universität
Mainz. Er ist Mitgründer und Vorstandsvorsitzender des CIMT-Konsortiums. Cedrik M. Britten ist ebenfalls
Mitgründer. Er leitet die Sparte zur klinischen Translation und an der Universität Mainz eine Arbeitsgruppe, die
sich mit der Entwicklung neuer immunologischer Biomarkertests beschäftigt. Zusätzlich ist er bei der Ribological GmbH in Mainz für die industrielle
Entwicklung personalisierter Krebsimpfstoffe verantwortlich. (F.A.Z.)
anzutreiben, sondern auch den Zugang zu
Geldern zu erleichtern.
Ist es auch schwieriger, im eher gentechnikfeindlichen Europa mit solchen Technologien voranzukommen?
Huber: Der Europäer ist grundsätzlich skeptischer, weniger risikobereit als
der Amerikaner. Dies betrifft die breite
Öffentlichkeit und die Medien. Wie im
Fall der SCID-Kinder werden häufig
mehr die Nebenwirkungen erörtert als
die Rettung sonst verlorener Patienten.
Der Patient allerdings – ob amerikanisch
oder europäisch – sieht dies anders. Er ist
ein Vorwärtsstürmender, der viel mehr
an Innovation glaubt und die persönlichen Risiken geringer einschätzt.
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F R A N K F U RT E R A L LG E M E I N E Z E I T U N G
Britten: Genzelltherapien sind ohnehin stark reglementiert und überwacht.
Nicht nur, weil es sich um Gentherapie,
sondern im Fall der CAR-Technologie
sich um eine potente und dadurch auch
teilweise sehr riskante Therapieform handelt. Patienten sind dadurch gestorben.
Das hat das Ganze, regulatorisch gesehen, noch eine Stufe aufwendiger gemacht – gleichermaßen für Europa wie
auch für die Vereinigten Staaten (Anm:
siehe Kasten).
Werden in Europa derzeit Patienten mit
CAR-Zellen behandelt?
Britten: In England werden am University College of London und an der University of Manchester Patienten mit ALL
behandelt, das Erasmus University Medical Center in Rotterdam testet CAR-Zellen bei Nieren-Karzinom-Patienten. Die
Gruppe von Hinrich Abken in Köln will
demnächst eine Studie zur Behandlung
von kutanen Lymphomen starten und die
Firma UniCell GmbH, eine Ausgründung
der Universität Mainz, plant für 2014 eine
Studie bei Ovarialkarzinom.
Huber: Man muss wissen, dass solche
Pilotstudien das Verfahren zuerst an ein
oder zwei Duzend Patienten erproben.
Erst wenn man die Risiken besser verstehen und bewerten kann, und mögliche Nebenwirkungen im Griff hat, wird die ursprüngliche Kohorte in streng kontrollierten Schritten auf ein paar hundert Patienten weltweit erweitert. Der Entwicklungsprozess einer experimentellen Therapie
in der Klinik dauert eben lange.
Die Fragen stellte Emmanuelle Vaniet.
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