Organklage der AfD erfolgreich - Thüringer Verfassungsgerichtshof

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verkündet am 6. Juli 2016
gez.: Heß
Amtsinspektorin
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
THÜRINGER VERFASSUNGSGERICHTSHOF
VerfGH 38/15
Im Namen des Volkes
URTEIL
In dem Organstreitverfahren
der Alternative für Deutschland,
Landesverband Thüringen,
vertreten durch den Sprecher des Landesverbandes Stefan Möller,
Am Seegraben 2, 99099 Erfurt,
Antragstellerin,
gegen
den Thüringer Minister für Migration, Justiz und Verbraucherschutz,
Werner-Seelenbinder-Str. 5, 99096 Erfurt,
Antragsgegner,
Verfahrensbevollmächtigter:
Prof. Dr. Christoph Gusy,
Morgenbreede 39, 33615 Bielefeld
wegen Verletzung von Art. 21 Abs. 1 Grundgesetz
VerfGH 38/15
hat der Thüringer Verfassungsgerichtshof durch den Präsidenten Prof. Dr. Aschke
und
die
Mitglieder
Prof. Dr. Baldus,
Prof. Dr. Bayer,
Heßelmann,
Menzel,
Prof. Dr. Ohler, Petermann, Prof. Dr. Schwan und Dr. von der Weiden
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 4. Mai 2016 f ü r R e c h t e r k a n n t :
1. Es wird festgestellt, dass die Medieninformation Nr. 70/2015 des Antragsgegners die Rechte der Antragstellerin aus Artikel 21 Absatz 1
Grundgesetz auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien verletzt.
2. Dem Antragsgegner wird aufgegeben, die Medieninformation Nr. 70/2015
von der Homepage des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und
Verbraucherschutz zu entfernen.
3. Der Freistaat Thüringen hat der Antragstellerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
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Gründe
A.
Die Beteiligten streiten um die Reichweite der Äußerungsbefugnis von Regierungsmitgliedern.
I.
Am 21. Oktober 2015 fand auf dem Domplatz in Erfurt unter dem Motto „Asylkrise
beenden! Grenzen sichern!“ eine durch die Antragstellerin angemeldete Demonstration statt.
Am Tag zuvor veröffentlichte der Antragsgegner die folgende Medieninformation
Nr. 70/2015 auf der Homepage des von ihm geführten Thüringer Ministeriums für
Migration, Justiz und Verbraucherschutz, die dort bis heute abrufbar ist:
Keine Debatte um Sorgen, sondern Schüren von Hass
Thüringens Migrations- und Justizminister Dieter Lauinger (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) warnt angesichts fremdenfeindlicher Demonstrationen, wie auch morgen wieder eine für Erfurt angemeldet ist, vor einem Vermischen von Sorgen, über
die gesprochen werden muss, und Straftaten.
„Es ist ja inzwischen offensichtlich, dass es den Organisatoren solcher Veranstaltungen nicht um die sachliche Debatte, sondern aus politischem Kalkül um das
Schüren von Ängsten geht“, sagt Lauinger. „Die angeblichen Biedermänner haben
sich durch fremdenfeindliche Hetze und Rassismus entlarvt – für beides aber ist
kein Platz in unserer Gesellschaft und auf unseren Straßen.“ Nachdem die Kritik
an Fanatikern auf den Islam insgesamt ausgedehnt wurde, werden bei den Demonstrationen inzwischen alle Fremden und Politikerinnen wie Politiker offen angefeindet. „Simple Parolen werden den komplexen Herausforderungen aber nicht gerecht.“
Lauinger fordert die Bürgerinnen und Bürger auf, genau zu prüfen, ob sie sich für
die Ziele der Demonstrationsanmelder einspannen lassen wollen. „Es geht eben
nicht um die bürgerrechtlichen Ideale des Herbstes 1989, sondern um Abgrenzung
gegen alles Nicht-Deutsche“, sagt Lauinger. „Auch soziale und wirtschaftliche
Themen werden verkehrt und missbraucht, um Hass gegen Menschen aus ande-
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ren Ländern zu schüren – im wahrsten Sinn, denn diese Stimmung führt direkt weiter zu brennenden Flüchtlingsunterkünften.“ Die Zerstörung von Flüchtlingsunterkünften oder Angriffe auf Personen aber haben nichts mit Besorgnis zu tun. „Wer
den Scharfmachern hinterherläuft, macht sich auch für die Folgen der Stimmungsmache mitverantwortlich“, so Lauinger.
Der Minister betont, dass Gewalt keine Form der demokratischen Auseinandersetzung ist. „Sie ist von keiner Seite durch nichts zu rechtfertigen“, sagt Lauinger. Er
macht deutlich, dass es kein Abrücken von rechtsstaatlichen Prinzipien geben
kann. „Selbstverständlich fordern wir von allen Flüchtlingen, dass sie sich an das
Grundgesetz halten“, so der Minister. „Ebenso selbstverständlich gilt dies für alle
anderen. Es ist daher nicht zu dulden, dass diese Regeln ständig in Frage gestellt
werden.“
II.
Der Antrag auf Durchführung eines Organstreitverfahrens ist am 24. November 2015
beim Thüringer Verfassungsgerichtshof eingegangen.
Die Antragstellerin ist der Ansicht, dass die Medieninformation Nr. 70/2015 ihre
Rechte aus Art. 21 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) auf Versammlungsfreiheit und
auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien verletze. Zur Begründung ihres Antrags führt sie im Wesentlichen aus:
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfe ein Landesminister
Öffentlichkeitsarbeit betreiben, habe dabei aber strikte parteipolitische Neutralität zu
wahren. Das Neutralitätsgebot gelte nicht nur für die Zeit des unmittelbaren Wahlkampfes, sondern generell. Zwar sei auch Inhabern eines Regierungsamtes parteipolitische Tätigkeit erlaubt; hierfür dürfe jedoch nicht auf die Ressourcen des Regierungsamtes zurückgegriffen werden. Zudem dürfe nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts eine politische Äußerung die Grenze zur Schmähkritik
nicht überschreiten. Unzulässig seien auch unwahre Tatsachenbehauptungen. Diese
Grenzen überschreite die Medieninformation Nr. 70/2015 des Antragsgegners. Sie
enthalte negative Werturteile, die willkürlich und daher unzulässig seien, und Tatsachenbehauptungen, für deren Wahrheitsgehalt keine Anhaltspunkte in der Medieninformation genannt würden und die falsch seien.
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Die Antragstellerin beantragt,
1. festzustellen, dass die Medieninformation Nr. 70/2015 des Antragsgegners die Rechte der Antragstellerin aus Art. 9 Thüringer Verfassung
i. V. m. Art. 21 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes auf Versammlungsfreiheit und auf Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien verletzt,
2. die Medieninformation Nr. 70/2015 von der Homepage des Thüringer
Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz zu entfernen.
III.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise ihn als unbegründet zurückzuweisen.
Der Antragsgegner hält den Antrag für unzulässig, da die Antragstellerin nicht beteiligtenfähig sei. Das Recht der Parteien auf Chancengleichheit aus Art. 21 Abs. 1 GG
sei auf gleichberechtigten Zugang zu Wahlen und zum Mandatserwerb gerichtet und
bestehe daher nur bis zu dem Zeitpunkt, zu welchem die Partei Mandate erlange und
im Parlament vertreten sei. Danach gehe das Organrecht auf die Abgeordneten und
gegebenenfalls die Fraktion im Parlament über.
Der Antrag sei auch unbegründet. Die angegriffene Medieninformation des Antragsgegners sei bereits ungeeignet, die Organrechte der Antragstellerin zu verletzen, da
die Antragstellerin dort nicht genannt werde. Zudem richte sich die Medieninformation nicht gegen die Antragstellerin, sondern gegen die Art der angekündigten Veranstaltung.
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Jedenfalls handele es sich bei der Medieninformation um zulässige amtliche Öffentlichkeitsarbeit des Antragsgegners. Seine Zuständigkeit folge aus der Zuständigkeit
des von ihm geleiteten Ministeriums für Migration und zusätzlich aus seiner Aufgabe
als Justizminister. Soweit die Medieninformation negative Werturteile enthalte, seien
diese nicht willkürlich, da sie nicht unzutreffend seien bzw. auf einer sachlichen Tatsachenbasis beruhten. Auch die enthaltenen Tatsachenbehauptungen seien inhaltlich richtig bzw. jedenfalls vertretbar.
Die Medieninformation sei auch unter dem Gesichtspunkt der Staatsleitung zulässig.
Eine Regierung, die ihre eigene Politik erläutere und um Verständnis werbe - hier: für
die Aufnahme und Unterbringung von Flüchtlingen in Thüringen -, sei dazu kraft ihres
Auftrages auch dann berechtigt, wenn dadurch zugleich anderslautende Pläne anderer politischer Parteien abgelehnt würden. Insoweit müsse und dürfe eine Regierung
nicht neutral sein.
IV.
Der Verfassungsgerichtshof hat den Thüringer Landtag gemäß § 40 Abs. 2 des Gesetzes über den Thüringer Verfassungsgerichtshof (Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz - ThürVerfGHG) von der Einleitung des Organstreitverfahrens in Kenntnis
gesetzt. Der Landtag hat von einem Beitritt zum Verfahren abgesehen.
B.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Der Antragsgegner hat die Rechte der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 GG auf
Chancengleichheit im Wettbewerb der politischen Parteien durch die Medieninformation Nr. 70/2015 verletzt. Die Antragstellerin kann deshalb die Entfernung der Medieninformation von der Homepage des durch den Antragsgegner geführten Ministeriums verlangen.
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I.
Der Antrag ist zulässig. Insbesondere ist die Antragstellerin im Organstreitverfahren
beteiligtenfähig und antragsbefugt.
Die Antragstellerin macht eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 21 Abs. 1 GG geltend, der als „hineinwirkendes Bundesverfassungsrecht“ Teil der Landesverfassungen ist (vgl. statt vieler: ThürVerfGH, Urteil vom 8. Juni 2016 - VerfGH 25/15 -, S. 13;
Urteil vom 2. November 2011 - VerfGH 13/10 -, LVerfGE 22, 547 [571] = juris
Rn. 136; Urteil vom 18. Juli 2006 - VerfGH 8/05 -, LVerfGE 17, 511 [515] = juris
Rn. 23; BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 2 BvK 1/00- , BVerfGE 103, 332
[352 f.] = juris Rn. 70; Jutzi, in: Linck/Baldus/Lindner/Poppenhäger/Ruffert, ThürVerf,
Art. 80 Rn. 70). Das Recht politischer Parteien aus Art. 21 Abs. 1 GG, am Prozess
der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen, gilt nicht nur im Wahlkampf, sondern darüber hinaus auch für den politischen Meinungskampf und Wettbewerb
2016
im
Allgemeinen
(vgl.
- VerfGH 25/15 -, S. 14 f.;
7. November
2015
z.B.
ThürVerfGH,
ebenso:
- 2 BvQ 39/15 -,
BVerfG,
juris
Rn. 9;
Urteil
vom
Kammerbeschluss
Urteil
vom
8. Juni
vom
9. April
1992 - 2 BvE 2/89 -, BVerfGE 85, 264 [285 f., 297] = juris Rn. 87 ff., 115 f.). Der Umstand, dass die Antragstellerin mit Abgeordneten und einer Fraktion im Thüringer
Landtag vertreten ist, steht weder ihrer Beteiligtenfähigkeit noch ihrer Antragsbefugnis entgegen. Ihre durch Art. 21 Abs. 1 GG vermittelten Rechte als politische Partei
hat sie unabhängig davon, ob sie im Parlament vertreten ist oder nicht.
II.
Der Antrag ist auch begründet.
1. Der Antragsgegner hat in der auf der Homepage seines Ministeriums veröffentlichten Medieninformation Nr. 70/2015 die Bürgerinnen und Bürger aufgefordert, genau
zu prüfen, ob sie sich für die Ziele der Demonstrationsanmelder der am kommenden
Tag, dem 21. Oktober 2015, stattfindenden Demonstration in Erfurt einspannen lasVerfGH 38/15
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sen wollen. Durch diesen Aufruf hat er unter Verletzung seiner Pflicht zur parteipolitischen Neutralität das aus Art. 21 Abs. 1 GG folgende Recht der Antragstellerin auf
Chancengleichheit der politischen Parteien verletzt.
a) Prüfungsmaßstab in diesem landesverfassungsgerichtlichen Verfahren ist, wie der
Thüringer Verfassungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 3. Dezember
2014 (VerfGH 2/14 - LVerfGE 25, 585 [593 f.] = juris Rn. 49 ff.) ausführlich dargestellt
hat, eine bundesverfassungsrechtliche Norm, nämlich Art. 21 Abs. 1 GG. In der
Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte wie auch des Bundesverfassungsgerichts ist anerkannt, dass die Mitwirkung von Parteien an der politischen Willensbildung zu dem in das Landesverfassungsrecht hineinwirkenden Bundesverfassungsrecht gehört (ThürVerfGH, LVerfGE 22, 547 [571] = juris Rn. 136; LVerfGE 17,
511 [515] = juris Rn. 23; BVerfG, Urteil vom 24. Januar 1984 - 2 BvH 3/83 -, BVerfGE 66, 107 [114] = juris Rn. 23; Beschluss vom 9. Februar 1982 - 2 BvK 1/81 -,
BVerfGE 60, 53 [61] = juris Rn. 38; VerfGH RP, Urteil vom 27. November
2007 - VGH O 27/07 -, juris Rn. 9). Der Thüringer Verfassungsgesetzgeber hat dies
zudem durch Art. 9 Satz 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen (ThürVerf) zum
Ausdruck
gebracht
(vgl.
ThürVerfGH,
Beschluss
vom
28. November
1996 - VerfGH 1/95 -, LVerfGE 5, 356 [382] = juris Rn. 134). Das in Art. 21 Abs. 1
GG statuierte Recht gewährleistet die Chancengleichheit für alle politischen Parteien
(vgl. BVerfG, Urteil vom 2. März 1977 - 2 BVE 1/76 -, BVerfGE 44, 125 [146] = juris
Rn. 60).
Die Formalisierung des Gleichheitssatzes im Bereich der politischen Willensbildung
des Volkes hat zur Folge, dass auch der Verfassungssatz von der Chancengleichheit
der politischen Parteien im gleichen Sinn formal verstanden werden muss. Der öffentlichen Gewalt ist mithin jede unterschiedliche Behandlung der Parteien, durch die
deren Chancengleichheit bei Wahlen verändert werden kann, verfassungskräftig versagt, sofern sie sich nicht durch einen besonders zwingenden Grund rechtfertigen
lässt. In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist dabei anerkannt, dass der
Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien nicht nur zu Wahlkampfzeiten und im
Rahmen der Wahlkampfvorbereitung gilt, sondern auch zwischen den Wahlen. So
erstreckt sich das Recht auf Chancengleichheit auch auf den politischen MeinungsVerfGH 38/15
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kampf und Wettbewerb im Allgemeinen und damit letztlich auf die gesamte Tätigkeit
der Parteien (ThürVerfGH, Urteil vom 8. Juni 2016 - VerfGH 25/15 -, S. 14 f.,
m. w. N.). Dementsprechend ist ein Eingriff in die Rechte aus Art. 21 Abs. 1 GG nicht
nur bei einer Beeinflussung der Chancengleichheit bei Wahlen, sondern auch dann
anzunehmen, wenn Staatsorgane als solche parteiergreifend zugunsten oder zulasten einer politischen Partei in den allgemeinen politischen Wettbewerb einwirken.
Aufgrund des auch außerhalb des Wahlkampfs geltenden Neutralitätsgebots haben
die Regierung und ihre einzelnen Mitglieder jede über das bloße Regierungshandeln
hinausgehende Maßnahme, die auf die Willensbildung des Volkes einwirkt und in
parteiergreifender Weise auf den Wettbewerb zwischen den politischen Parteien Einfluss
nimmt,
zu
unterlassen
(vgl.
ThürVerfGH,
Urteil
vom
8. Juni
2016 - VerfGH 25/15 -, S. 21 f.). Die sich aus dem Neutralitätsgebot ergebenden
Auswirkungen für das Handeln von Staatsorganen sind dabei für jedes Staatsorgan
unter Berücksichtigung seiner Stellung im Verfassungsgefüge besonders zu bestimmen. Daher sind die für die Äußerungen des Bundespräsidenten geltenden Maßstäbe auf die Mitglieder der Regierung nicht zu übertragen. Sie sind vielmehr ein spezifischer Ausdruck der besonderen Stellung, die das Grundgesetz dem Bundespräsidenten zuweist (BVerfG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - 2 BvE 2/14 -, BVerfGE
138, 102 [111 f.] = juris Rn. 35). Anders als der Bundespräsident stehen Regierungsmitglieder im unmittelbaren politischen Wettbewerb mit den Vertretern der Oppositionsparteien und haben daher in ihrer amtlichen Funktion die Pflicht zu weitergehender Neutralität als der Bundespräsident (BVerfGE 138, 102 [109] = juris
Rn. 26).
Es ist ferner anerkannt, dass auch öffentliche Äußerungen von Amtsträgern Eingriffe
in das Recht auf Chancengleichheit darstellen können (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom
8. Juni 2016 - VerfGH 25/15 -, S. 21, m. w. N.). Ein Eingriff in die Chancengleichheit
der Parteien kann sich allerdings nur durch eine amtliche Tätigkeit eines Staatsorgans vollziehen. Spricht der Amtsinhaber nicht in amtlicher Funktion, sondern als
Privatperson oder als Vertreter seiner Partei, fehlt es an einem Eingriff durch staatliche Stellen. Eine amtliche Äußerung ist insbesondere gegeben, wenn diese unter
Rückgriff auf die einem Regierungsmitglied zur Verfügung stehenden Ressourcen
erfolgt oder eine spezifische Bezugnahme auf das Regierungsamt vorliegt und damit
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die Äußerung mit einer aus der Autorität des Amtes fließenden besonderen Gewichtung versehen wird (vgl. ThürVerfGH, Urteil vom 8. Juni 2016 - VerfGH 25/15 -,
S. 17; BVerfGE 138, 102 [117 f.] = juris Rn. 49 f., 52 f.).
b) Gemessen an diesen Maßstäben enthält die gegenständliche Medieninformation
einen Eingriff in das Recht auf Chancengleichheit.
Vorliegend ist ein spezifischer Rückgriff auf die mit dem Regierungsamt verbundene
Autorität in der Inanspruchnahme der offiziellen Internetseite zu sehen, die nur dem
Amtsinhaber als Ressource zur Verfügung steht. Es handelt sich auch nach Auffassung der Verfahrensbeteiligten um eine amtliche Äußerung.
Des Weiteren ist die Antragstellerin von dem Aussagegehalt der Medieninformation
in ihrem Recht auf Chancengleichheit betroffen.
Die Medieninformation bezieht sich erkennbar auf eine von der Antragstellerin angemeldete Versammlung. Für das Verständnis einer Medieninformation kommt es
auf die Perspektive eines objektiven Betrachters an. Danach muss die Medieninformation hier so verstanden werden, dass der Aufruf sich nicht auf rechtspopulistische
fremdenfeindliche Versammlungen im Allgemeinen bezog, sondern zumindest daneben auch gegen die damals allwöchentlich durchgeführten Versammlungen der Antragstellerin in Erfurt - insbesondere gegen die für den 21. Oktober 2015 geplante
Versammlung - gerichtet war. Unerheblich ist, dass die Antragstellerin in der Medieninformation nicht explizit genannt wird. Es war nämlich allgemein bekannt, dass
die angesprochenen Demonstrationen ausschließlich durch die Antragstellerin organisiert wurden. So wurde auch in der überregionalen Berichterstattung über die Demonstrationen jeweils die Antragstellerin als Organisatorin benannt (z.B. Thüringer
Allgemeine vom 21. Oktober 2015: „Die AFD-Bundesvorsitzende, Frauke Petry hat
ihren geplanten Auftritt bei der AFD-Demonstration in Erfurt am 4. November abgesagt.“, Thüringische Landeszeitung vom 21. Oktober 2015: „Wenn die AFD am heutigen Mittwoch, um 19:00 Uhr mit Ihrer Kundgebung auf dem Domplatz beginnt, …“;
Deutschlandfunk vom 8. Oktober 2015: „Die Demonstration der AFD-Thüringen gestern Abend beginnt eine halbe Stunde verspätet.“, Frankfurter Allgemeine Zeitung
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vom 28. Oktober 2015: „Die Thüringer AFD hat am Mittwochabend in Erfurt abermals
mehrere tausend Teilnehmer zu einer asylkritischen Kundgebung auf dem Domplatz
mobilisiert.“). Die Antragstellerin war alleinige Organisatorin der Demonstration. Auch
ohne ausdrückliche Nennung war aufgrund der Häufigkeit der durchgeführten Demonstrationen in der Öffentlichkeit bekannt, dass die Antragstellerin für die Durchführung verantwortlich war. Durch die Bezugnahme auf die Organisatoren solcher Demonstrationen, die durch die Antragstellerin angemeldet wurden, lag auch ein Bezug
zur Antragstellerin als Partei vor.
Die Medieninformation enthält zudem die Aufforderung an die Bürgerinnen und Bürger, genau zu prüfen, ob sie sich für die Ziele der Demonstrationsanmelder einspannen lassen wollen. Die Aufforderung wird von einer Reihe negativer Werturteile und
Hypothesen begründet. Sie ist geeignet, die Stellung der Antragstellerin im politischen Wettbewerb negativ zu beeinflussen und potentielle Teilnehmer der Kundgebung abzuschrecken.
c) Die von der Medieninformation ausgehende Beeinträchtigung ist nicht durch einen
besonders zwingenden Grund gerechtfertigt, weder als zulässige Öffentlichkeitsarbeit auf der Grundlage der Kompetenz zur Staatsleitung noch nach dem Prinzip der
streitbaren Demokratie.
Der Regierung obliegt die Aufgabe der Staatsleitung (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss
vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 558/91, 1 BvR 1428/91 -, BVerfGE 105, 252 [270] = juris
Rn. 52 ff.; Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 -, BVerfGE 105, 279 [301 f.]
= juris Rn. 73 ff.; Beschluss vom 15. Juli 1969 - 2 BvF 1/64 -, BVerfGE 26, 338
[395 f.] = juris Rn. 194; Beschluss vom 10. Mai 1960 - 2 BvL 76/58 -, BVerfGE 11, 77
[85] = juris Rn. 20). Ihre Kompetenz zur Staatsleitung schließt als integralen Bestandteil die Befugnis der Regierung zur Informations- und Öffentlichkeitsarbeit ein (vgl.
BVerfGE 105, 252 [270] = juris Rn. 52, 56; BVerfGE 105, 279 [301] = juris Rn. 73,
84). Öffentlichkeitsarbeit von Regierung und gesetzgebenden Körperschaften ist
nicht nur zulässig, sondern auch notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten. Darunter fällt namentlich die Darlegung
und Erläuterung der Politik der Regierung hinsichtlich getroffener Maßnahmen und
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künftiger Vorhaben angesichts bestehender oder sich abzeichnender Probleme sowie die sachgerechte, objektiv gehaltene Information über den Bürger unmittelbar
betreffende Fragen und wichtige Vorgänge auch außerhalb oder weit im Vorfeld der
eigenen gestaltenden politischen Tätigkeit (vgl. BVerfGE 105, 252 [268 f.] = juris
Rn. 53; BVerfGE 105, 279 [301] = juris Rn. 74; BVerfG, Beschluss vom 23. Februar
1983 - 2 BvR 1765/82 -, BVerfGE 63, 230 [243] = juris Rn. 53; BVerfGE 44, 125
[147 f.] = juris Rn. 63 ff.; BVerfG, Urteil vom 19. Juli 1966 - 2 BvF 1/65 -, BVerfGE 20,
56 [100] = juris Rn. 118). Über die reine Verbreitung von Informationen hinaus
schließt die Erfüllung des Informationsbedürfnisses der Öffentlichkeit aber auch die
Möglichkeit staatlicher Empfehlungen und Warnungen ein (z.B. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. August 2002 - 1 BvR 1044/93 -, juris Rn. 6; BVerfGE 105,
252 [271] = juris Rn. 56; BVerfGE 105, 279 [306 f.], = juris Rn. 84; BVerwG, Urteil
vom 23. Mai 1989 - 7 C 2/87 -, BVerwGE 82, 76 [81] = juris Rn. 53). Auch ist der Regierung die kritische Auseinandersetzung mit politischen Parteien erlaubt (vgl.
ThürVerfGH, Urteil vom 8. Juni 2016 - VerfGH 25/15 -, S. 23).
Die Kompetenz der Regierung zur Öffentlichkeitsarbeit besteht jedoch nicht unbegrenzt. Insbesondere darf sie keinesfalls parteiergreifend zugunsten oder zulasten
einer politischen Partei oder von Wahlwerbern in den allgemeinen politischen Wettbewerb einwirken (ThürVerfGH, Urteil vom 8. Juni 2016 - VerfGH 25/15 -, S. 23;
BVerfGE 138, 102 [113] = juris Rn. 38; für den Wahlwettbewerb: BVerfGE 44, 125
[149 f.] = juris Rn. 67, 71 ff.). Eine solchermaßen parteiergreifende Einwirkung ist
stets abzugrenzen von der Wahrnehmung der Informationspflicht und Aufklärung der
Bevölkerung.
Es kann hier dahinstehen, wo die Grenze zwischen zulässiger Öffentlichkeitsarbeit
und unzulässiger parteiergreifender Stellungnahme im Einzelnen verläuft. Jedenfalls
ist diese Grenze überschritten, sobald die Aufforderungen konkret bezogen auf eine
geplante und angemeldete Versammlung auf die Willensbildung der potenziellen
Versammlungsteilnehmer in der Weise einwirken, dass sie - und sei es auch nur aus
Gründen der moralischen Missbilligung - von der Teilnahme an der Versammlung
abgehalten werden sollen.
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Hiermit ist nämlich mittelbar ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit der Antragstellerin nach Art. 10 ThürVerf verbunden. Zwar sind Eingriffe in Grundrechte nicht Streitgegenstand des Organstreitverfahrens nach Art. 80 Abs. 1 Nr. 3 ThürVerf, § 11 Nr. 3,
§ 38 ThürVerfGHG. Doch im Rahmen der Prüfung des Art. 21 Abs. 1 GG als in die
Landesverfassung hineinwirkendes Bundesrecht ist auch Art. 10 ThürVerf zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. November 2015 - 2 BvQ 39/15 -,
juris Rn. 11). Denn die Ausübung der Versammlungsfreiheit stellt ein wesentliches
Werkzeug des politischen Meinungskampfes in besonderem Maße der Oppositionsparteien dar.
Die Versammlungsfreiheit ist Teil des Prozesses der politischen Meinungsbildung,
der sich in einem demokratischen Staatswesen frei, offen, unreglementiert und
grundsätzlich „staatsfrei“ vollziehen muss (vgl. „Brokdorfentscheidung“ des BVerfG,
Beschluss vom 14. Mai 1985 - 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81 -, BVerfGE 69, 315 [343
ff.] = juris Rn. 61 ff., 64). Dieses Recht ist im parlamentarisch-repräsentativen System
grundlegendes und unentbehrliches Funktionselement und zugleich Ausdruck der
demokratischen Ordnung (Lindner, in: Linck/Baldus/Lindner/Poppenhäger/Ruffert,
ThürVerf, Art. 10 Rn. 1). Eingriffe in die Versammlungsfreiheit stellen damit eine besonders intensive Intervention gegenüber dem Wettbewerber und damit einen Eingriff in die nach Art. 21 Abs. 1 GG zu schützende Chancengleichheit dar.
Bei der Aufforderung, an der von der Antragstellerin organisierten Demonstration
nicht teilzunehmen, handelt es sich um einen Eingriff in Art. 10 ThürVerf. Solche Eingriffe können auch in faktischen Maßnahmen gesehen werden, wenn sie in ihrer Intensität imperativen Maßnahmen gleichstehen und eine abschreckende Wirkung entfalten (BVerfG, Kammerbeschluss vom 7. November 2015 - 2 BvQ 39/15 -, juris
Rn. 11).
Die Aufforderung in der Presseinformation an die Bürgerinnen und Bürger, genau zu
prüfen, ob sie sich für die Ziele der Demonstrationsanmelder einspannen lassen wollen, muss im Zusammenhang mit den in der Information vorhandenen weiteren negativen Werturteilen über die Veranstalter dieser Versammlung gesehen werden. Durch
die weiteren Aussagen der Medieninformation ist unmissverständlich klar, dass die
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Teilnahme an Versammlungen dieser Art als negativ beurteilt wird, auch wenn hieran
keine rechtlichen Konsequenzen für die Teilnehmenden geknüpft werden oder geknüpft werden können. Die Organisatoren werden als Scharfmacher bezeichnet. Es
wird festgestellt, dass es ihnen nicht um bürgerrechtliche Ideale des Herbstes 1989
gehe, sondern unter anderem um die Abgrenzung gegen alles Nicht-Deutsche wie
auch das Schüren von Hass gegen Menschen aus anderen Ländern. Dabei handelt
es sich zwar nicht um einen Boykottaufruf im engeren Sinne, die Aussage kommt in
der Dringlichkeit ihres moralischen Appells diesem jedoch nahe. Die negative Bewertung der Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger an dieser Versammlung kann eine
abschreckende Wirkung auf potenzielle Teilnehmer haben.
Rechtfertigende Gründe für den Eingriff in die Versammlungsfreiheit durch den Appell, an der Versammlung nicht teilzunehmen, sind indes nicht in nachvollziehbarer
Form dargelegt worden. Der Antragsgegner bezieht sich zwar darauf, dass in der
konkreten Situation am 20. Oktober 2015, die eingebettet war in eine Reihe anderer
Demonstrationen, unter anderem eine Demonstration am 19. Oktober 2015 in Dresden mit einer hohen Teilnehmerzahl und demagogisch aufgeheizten Reden, möglicherweise Gefahren für Dritte hätten erwachsen können. Doch derartige Aufforderungen stellen keine zulässigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr dar. Die Gefahrenabwehr kann ausschließlich aufgrund des Gesetzes über Versammlungen und
Aufzüge (Versammlungsgesetz - VersammlG) im Rahmen der Grundrechtsschranken des Art. 10 Abs. 2 ThürVerf erfolgen. Versammlungsrechtliche Maßnahmen
durch die zuständige Versammlungsbehörde kommen dann in Betracht, wenn eine
Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht. Dies wäre u.a. dann der
Fall, wenn aus der Versammlung heraus zur Begehung von Straftaten angestiftet
würde (§ 111 Strafgesetzbuch - StGB) oder einzelne Ausführungen der Redner den
Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) verwirklichten. Hierfür bedarf es indes
im konkreten Fall tatsächlicher Anhaltspunkte für die Verwirklichung solcher Straftatbestände (vgl. § 15 VersammlG und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, statt vieler: BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Dezember
2012 - 1 BvR 2794/10 -, juris Rn. 17 m. w. N.). Ist ein solcher Zusammenhang nicht
feststellbar, so sind Eingriffe in das Versammlungsrecht und die Versammlungsfreiheit nicht vorgesehen und auch im Rahmen der Schranken des Art. 10 ThürVerf nicht
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möglich. Die bloße Annahme des Antragsgegners, dass durch die Art der auf den
vorausgegangenen, von der Antragstellerin veranstalteten Demonstrationen gehaltenen Reden eine ausländer- und asylkritische Haltung der Teilnehmer dieser Veranstaltungen erzeugt werden kann, welche unter bestimmten Umständen zu gewalttätigen Übergriffen auf Flüchtlinge oder Flüchtlingsheime führt, reicht für versammlungsrechtliche Maßnahmen nicht aus. Nichts anderes kann dann auch für die Zulässigkeit
von amtlichen Äußerungen der Regierung gelten, mit denen vor der Teilnahme an
Versammlungen gewarnt wird.
Die Unzulässigkeit der Nichtteilnahmeaufforderung hat die Unzulässigkeit des gesamten Textes der Medieninformation zur Folge, und zwar auch solcher Teile, die für
sich genommen selbst von dem Vertreter der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung für sachlich unbedenklich erachtet wurden. Die Medieninformation wird
insgesamt von dem Appell geprägt, an der Demonstration nicht teilzunehmen, während ihre übrigen Elemente in erster Linie dem Zweck dienen, diesen Appell zu untermauern. Für die einheitliche Betrachtung der Medieninformation spricht u.a. die
Äußerung des Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners im Rahmen der mündlichen Verhandlung, wonach nach Auffassung des Antragsgegners diese Medieninformation nur als Gesamtheit gewürdigt werden könne. Eine isolierte Betrachtung
einzelner Aussagen der Medieninformation würde den Sinngehalt und Sinnzusammenhang des Textes insoweit auflösen.
Auch die Grundentscheidung für eine wehrhafte Demokratie (vgl. ThürVerfGH, Urteil
vom 8. Juni 2016 - VerfGH 25/15 -, S. 25 f.; LVerfGE 25, 585 [598 f.] = juris
Rn. 74 ff., m. w. N.) rechtfertigt die Aussage in der Medieninformation nicht.
Zwar ist anerkannt, dass die Grundentscheidung für eine wehrhafte Demokratie
sachlich begründbare und nachvollziehbare negative Werturteile staatlicher Stellen
über Parteien oder etwa die Verteilung von Informationsbroschüren (vgl. VerfGH RP,
Urteil vom 27. November 2007 - VGH O 27/07 -, juris Rn. 14 f.) zu rechtfertigen vermag. Aus der Grundentscheidung für eine wehrhafte Demokratie ergeben sich jedoch im Hinblick auf Demonstrationsaufrufe staatlicher Stellen wie auch für Aufrufe,
an Demonstrationen nicht teilzunehmen, keine über die oben dargestellten Grenzen
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hinausgehenden Befugnisse. Anderenfalls würden unter Rückgriff auf eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung die bislang anerkannten und konsolidierten
Grenzen der Kompetenz zur Öffentlichkeitsarbeit der Regierung und die allenfalls auf
Ausnahmelagen beschränkte Befugnis zu Handlungsaufrufen mit der Folge erweitert,
dass der Staat selbst unmittelbar parteiergreifend tätig werden und seine neutrale
Rolle aufgeben dürfte. Die Grundentscheidung für eine wehrhafte Demokratie lieferte
dann eine Kompetenz der Regierung, selbst als Partei aktiv in den allgemeinen politischen Wettbewerb einzutreten. Dies führte aber zu einer Aushöhlung des Rechts
aus Art. 21 Abs. 1 GG, das allen Parteien gleichermaßen zusteht, solange das Bundesverfassungsgericht nicht über ihre Verfassungswidrigkeit entschieden hat (vgl. so
bereits ThürVerfGH, LVerfGE 25, 585 [599] = juris Rn. 77).
2. Im Übrigen spricht vieles dafür, dass die negativen Werturteile insbesondere im 2.
und 3. Absatz der Medieninformation auch für sich genommen geeignet sind, die
Rechte der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 GG zu verletzen. Der Regierung ist jede Äußerung untersagt, die in anderen Zusammenhängen als „Schmähkritik“ i.S.d.
§§ 185 ff. StGB zu qualifizieren wäre (vgl. BVerfGE 138, 102 [114] = juris Rn. 42).
Bedenken hat der Verfassungsgerichtshof insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen in der Medieninformation, mit denen der Antragsgegner eine Verbindung zwischen den Demonstrationsanmeldern und brennenden Flüchtlingsunterkünften zieht
und eine Mitverantwortung unterstellt. Aufgrund des Umstandes, dass die Medieninformation auch nach dem Willen der Beteiligten als Gesamtheit gesehen werden
muss und in ihrer Gesamtheit bereits wegen des in ihr enthaltenen Aufrufs zur Nichtteilnahme an der Versammlung unzulässig ist, bedarf dies jedoch keiner weiteren
Prüfung.
3. Da die Medieninformation die Rechte der Antragstellerin aus Art. 21 Abs. 1 GG auf
Chancengleichheit verletzt, hat sie auch einen Anspruch gegen den Antragsgegner
auf Entfernung der Medieninformation von der Homepage des durch ihn geführten
Ministeriums.
Die Entscheidung ist, mit Ausnahme der Begründung zu B. II. 2., einstimmig ergangen; insoweit beträgt das Stimmenverhältnis 8:1.
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III.
Das Verfahren ist kostenfrei, § 28 Abs. 1 ThürVerfGHG. Die Entscheidung über die
Erstattung der Auslagen beruht auf § 29 Abs. 1 Satz 1 ThürVerfGHG.
Prof. Dr. Aschke
Prof. Dr. Baldus
Prof. Dr. Bayer
Heßelmann
Menzel
Prof. Dr. Ohler
Petermann
Prof. Dr. Schwan
Dr. von der Weiden
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