Werkstattgespräch am 24. Mai 2016 Fliegerlynchjustiz Gewalt gegen abgeschossene alliierte Flugzeugbesatzungen (1943–1945) Projektnummern: P09-0504 und P14-1844 Projektdurchführung: Dr.in Nicole-Melanie Goll, Dr. Georg Hoffmann Der Vortrag thematisiert mit dem Bombenkrieg ein bis heute emotional diskutiertes Erinnerungsfeld des Zweiten Weltkrieges. Die Zerstörung ganzer Großstädte und das dabei verursachte Leid prägten sich tief in das kollektive Bewusstsein der Menschen ein. Der Bombenkrieg wuchs sich so zu einem Sinnbild gesellschaftlicher Opferwahrnehmung aus, hinter das andere Betrachtungen weitgehend zurücktraten und einzelne Themen gänzlich tabuisiert wurden. Der Vortrag beleuchtet nun diese vergessenen und verdrängten Hintergründe des Bombenkrieges und nimmt dabei besonders jene nationalsozialistischen Reaktionen in den Fokus, die eine bislang kaum beachtete Herrschaftspolitik „unter Bomben“ ausformten. Die beiden Vortragenden stellen dabei drei Forschungsprojekte mit unterschiedlicher thematischer Ausrichtung vor und präsentieren Ergebnisse, die kürzlich in zwei Publikationen („Fliegerlynchjustiz“ und „Missing in Action“) veröffentlicht wurden. Besonders im Fokus des Vortrages steht dabei ein Gewaltphänomen, das bislang weitgehend verdrängt und tabuisiert wurde: Übergriffe und Morde an abgeschossenen alliierten Flugzeugbesatzungen. Die bisherigen Vorstellungen dazu waren und sind vor allem von Deutungen der nationalsozialistischen Propaganda geprägt, die dieser Form der Gewalt den Namen „Fliegerlynchjustiz“ gab. So sollte der Eindruck einer spontanen „Entladung eines Volkszornes“ unmittelbar nach Bombenangriffen erweckt werden, die – als Rache definiert – moralisch legitim sei. Die beiden Vortragenden durchbrechen dieses persistente Bild und durchleuchten dieses Gewaltphänomen erstmals in seiner Ausformung und Dimension, analysieren Hintergründe und versuchen damit ein tieferes Verständnis von nationalsozialistischen Gewaltsteuerungen zu Kriegsende zu erlangen. Zu diesem Zweck wurden das Schicksal von 10.000 alliierten Besatzungsangehörigen und auch über 200 bislang gänzlich unbekannte Verbrechensfälle im heutigen Österreich und Ungarn erfasst. So wird nachgezeichnet, dass diese Form der Gewalt vom NS-Regime lange vorbereitet und mit Mai 1944 sogar als „Regel“ festgelegt worden war. Über moralische Koordinatenverschiebungen wurden dabei Gewaltangebote in die Mitte der deutschen Gesellschaft getragen und gegen das aufgebaute Feindbild der „Terrorflieger“ und „Luftgangster“ ausgerichtet. Die Folge waren öffentliche Gewaltexzesse, die meist vor hunderten Menschen als regelrechte Schauspiele inszeniert wurden. Die Vortragenden analysieren dabei wie sich derartige Situationen entwickelten, wie sich „Täterschaft“ manifestierte und wie diese Form der Gewalt als Instrument einer nationalsozialistischen Herrschaft „unter Bomben“ genutzt wurde. Weiters wird aufgezeigt wie konfliktbeladen die Erinnerung an den Luftkrieg und seiner Protagonisten sowie die Einordung, Wahrnehmung und Tabuisierung dieser Gewalt in ein kollektives Gedächtnis zum Bombenkrieg heute noch ist. Die beiden Vortragenden sind wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für Geschichte (Abteilung Zeitgeschichte) der Karl-Franzens-Universität Graz. Kontakt: [email protected] [email protected]