Mathematische Formel für Vielfalt des Denkens

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WISSENSCHAFT & WETTER
Mittwoch, 4. Januar 2006
Mathematische Formel für Vielfalt des Denkens
Kurz notiert
Göttinger Max-Planck-Forscher entwickelt neues Modell für Entwicklung des Gehirns
Pflanzenbau: „Pflanzenbauliche Versuche zur integrierten
Kontrolle von Rhizoctonia solani an Zuckerrübe und Mais:
Einfluss von Sortenwahl und
Fruchtfolge“: Dr. Stephanie
Kluth, Institut für Zuckerrübenforschung, Göttingen. Institut für Pflanzenbau und
Pflanzenzüchtung, Von-Siebold-Straße 8, Kurssaal L02,
um 16.15 Uhr.
Pflanzenpathologie: „Einfluss
einer mehrjährig differenzierten Bodenbearbeitung auf die
Befallsdichte und Populationsentwicklung von Schadinsekten
in Winterrapskulturen“: Claudia Schierbaum-Schickler. Institut für Pflanzenpathologie
und Pflanzenschutz, Grisebachstraße 6, Seminarraum
L07 (Erdgeschoss)um 16.15
Uhr.
Geowissenschaften: Isotope
in den Geowissenschaften“:
Prof. Bent T. Hansen. Geowissenschaftliches
Zentrum,
Goldschmidtstraße, MN 14,
um 17.15 Uhr.
Ringvorlesung Selbstbestimmung
am
Lebensende:
„Recht auf Euthanasie? Die Patientenverfügung zwischen Lebensschutz und Selbstbestimmung“: Prof. Volker Lipp, Juristische Fakultät. Paulinerkirche, Papendiek 14, um 18.15
Uhr.
Neurologie: „Patientenautonomie bei Wachkoma und
fortgeschrittener
Demenz“:
Prof. Hilmar Prange. Klinikum, Robert-Koch-Straße 40,
Hörsaal 55, um 17 Uhr. Mittwoch, 4. Januar 2006, um 18.15
Uhr
Umweltgeschichte: „Die Historisierung der Natur: Zeit und
Raum als Kategorien der Umweltgeschichte. Ein Vergleich
zwischen deutschen und USamerikanischen Forschungsansätzen“: Prof. Ursula Lehmkuhl, Berlin. Institut für Zoologie, Anthropologie und Entwicklungsbiologie, Bürgerstraße
50, Hörsaal, um 18.15 Uhr.
Wirtschafts- und Sozialgeschichte: „Economic History
over the Very Long Run. A
Brief Economic History of the
World“: Prof. Gregory Clark,
University of California. Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Mehrzweckgebäude, Platz der Göttinger Sieben
5, MZG 1616, um 18.15 Uhr.
Die Entwicklung des Gehirns in
den ersten Lebensmonaten ist
abhängig von den Reizen, die
empfangen werden. Der Göttinger Neurophysiker Dr. Fred
Wolf hat eine Gleichung entwickelt, die erklärt, wie die
Gehirnentwicklung zwar strengen mathematischen Gesetzen
folgt und andererseits vielfältig im Ergebnis ist.
as menschliche Gehirn ist
D
bei der Geburt noch ein
sehr unfertiges Gebilde. Es ähnelt einer Baustelle für ein
Haus: Die Baustoffe in Form
von Nervenzellen sind zwar
bereits reichlich vorhanden,
ein Grundgerüst steht auch
schon, aber der Aufbau ist
noch unvollständig, die Statik
provisorisch.
Innerhalb
weniger Monate
entwickelt sich
aus diesem
wackeligen
Gebilde ein
stabiles System, in dem
Dr. Fred Wolf
Milliarden
von Nervenzellen auf vielfältigste Weise
miteinander verknüpft sind.
Wie aber entwickelt sich diese
erstaunliche Architektur? Bislang gab es für diesen Prozess
nur unzureichende Modelle.
Neurophysiker Wolf hat jetzt
erstmals eine Gleichung dafür
entwickelt, die erklärt, wie die
Gehirnentwicklung
zwar
strengen mathematischen Gesetzen folgt, aber trotzdem jedes Hirn anders „gestrickt“ ist.
In seiner Arbeit, die jetzt in
dem Fachmagazin „Physical
Review Letters“ veröffentlicht
wurde, untersucht der Leiter
der Forschungsgruppe Theoretische Neurophysik vom
Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation
in Göttingen die Entwicklung
des visuellen Kortex. In dieser
Hirnregion werden optische
Eindrücke zuerst verarbeitet.
Die dort liegenden Nervenzellen (Neurone) reagieren
besonders auf visuelle Elemente, die Konturen markieren. Jede Nervenzelle ist dabei
auf eine bestimmte Orientierung spezialisiert: Manche
Neurone reagieren auf waagerechte Linien, andere beispielsweise auf Konturen im
30-Grad-Winkel. Damit das
Gehirn aus diesen einzelnen
Eindrücken ein Bild zusammensetzen kann, kommt es
darauf an, wie diese spezialisierten Nervenzellen angeordnet und mit anderen Neuronen verschaltet sind.
Mit bildgebenden Verfahren lassen sich inzwischen
„Landkarten“ des Gehirns er-
sen oder chemischen Reaktionen reagieren bei biologischen
Prozessen die einzelnen Elemente nicht nur mit ihren direkten Nachbarn. „Nervenzellen treten vielmehr über
weite Distanzen miteinander
in Kontakt“, erläutert Wolf.
Unterschiedliche Reize
Landkarte des Gehirns: Kortikale Orientierungskarte im Sehsystem der Katze.
S. Löwel, IfN Magdeburg
stellen, die zeigen, wie diese
Nervenzellen verteilt sind. So
sind Neurone, die auf die gleiche Richtung reagieren, zu
Gruppen
zusammengefügt,
und Bereiche mit einer ähnlichen Orientierung liegen
meist nebeneinander.
Fähigkeit der Nervenzellen
Bisherige
Modelle
der
Hirnentwicklung sagten voraus, dass sich die Anordnung
der Nervenzellen wie bei einem Kachelmuster periodisch
wiederholt. Tatsächlich ist der
Aufbau des Hirns jedoch sehr
viel chaotischer, und die Anordnung und Verschaltung
der Nervenzellen ist von Hirn
zu Hirn völlig verschieden –
selbst bei eineiigen Zwillingen. Um diesen Entwicklungsprozess
realitätsnäher
abbilden zu können, hat der
Göttinger Neurophysiker in
die Modellbildung eine Fähigkeit der Nervenzellen einfließen lassen, die bei den bisherigen Modellen nicht berücksichtigt worden war: Anders
als bei physikalischen Prozes-
Bei den Aktivitäten des Gehirns gibt es gewissermaßen
viele „Ferngespräche“, die
über unzählige Stationen laufen. Deshalb ist die Entwicklung des Hirns auch viel komplexer. Der Selbstorganisationsprozess beginnt bereits in
den ersten Tagen nach der
Geburt. Ständig entstehen
neue neuronale Kontakte und
werden andere wieder gelöst –
eine Baustelle bei laufendem
Betrieb. Da jedes Kleinkind
völlig unterschiedlichen Reizen ausgesetzt ist, ist auch der
Aufbau der Verschaltungen individuell völlig verschieden.
Für diesen verwickelten Prozess hat Wolf nun eine Gleichung gefunden, die eine sehr
große Zahl von Mustern zulässt, deren Entstehung mit
den gleichen mathematischen
Gesetzen vereinbar ist. Die
von ihm gefundene mathematische Formel ermöglicht damit jene Vielfalt, die auch das
menschliche Denken auszeichnet.
Heidi Niemann
Mittwoch, 4. Januar
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