Die USA in Zeiten des Interregnums Die letzten Zuckungen einer toten Ente Autor: Frank Unger Datum: 19. Mai 2008 Der Nerven zerreißende und inzwischen – muss man leider sagen – auch nervtötende Zweikampf zwischen Hillary Clinton und Barack Obama um die Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der Demokraten für die Wahl im November macht gerade mal eine kleine Pause. Im Hintergrund werden die Bosse und Strippenzieher der Partei vermutlich fieberhaft daran arbeiten, die Familie Clinton dazu zu bringen, endlich ihr Partei schädigendes Verhalten aufzugeben, ihre Kandidatur zurückzuziehen und augenblicklich alle ihre geistigen und körperlichen Ressourcen in den Dienst des Kandidaten Obama zu stellen, um den Sieg eines demokratischen Kandidaten im November nicht zu gefährden. Denn von allein scheint sie ums Verrecken nicht darauf zu kommen. Statt dessen hofft sie unbeirrt und verzweifelt auf eine glückliche Fügung: auf irgendein unerhörtes Ereignis, das dem schon verlorenen Spiel eine Wende bringen würde: ein schwerer rhetorischen Lapsus Obamas vielleicht, oder eine neue »Enthüllung« über Verstrickungen in unamerikanische Umtriebe aus seinen Kindertagen, oder schlicht auf ein natürliches Ausscheiden Obamas, ob nun durch Fremdverschulden oder eigene Entscheidung, genötigt durch Signale seines psychisch schwer belasteten Organismus. Sicher, die Politik auf Gipfelhöhe ist ein brutales Geschäft, aber für gewöhnlich kommen die Angriffe unter die Gürtellinie aus dem Lager des politischen Gegners, nicht aus dem eigenen, auch wenn der Konkurrenzkampf noch so erbittert ist. Jedenfalls ist es schwer vorzustellen, dass Barack Obama nach gewonnener Kandidatur und vielleicht auch gewonnener Präsidentschaft vertrauensvoll mit Clinton-Loyalisten in seiner Partei zusammenarbeiten kann, nach all dem, was sich Hillarys Wahlstrategen bereits an direkten und indirekten Angriffen auf seine politische und menschliche Integrität geleistet haben. McCain und die Republikaner brauchen gar keine eigenen negativen TV-Spots mehr produzieren zu lassen, sie können sich bei Hillarys Wahlkampfteam bedienen. Und einer der Drahtzieher im Hintergrund war und ist der Ehemann und 1|4 Quelle: http://www.rationalgalerie.de/die-usa-in-zeiten-des-interregnums.html Heruntergeladen am 18.05.2017 Expräsident Bill, über den die afroamerikanische Autorin Toni Morrison mal schwärmerisch die Ansicht verbreitet hat, er »sei der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten«! Die gegenseitige Entfremdung und Verbitterung in den beiden Lagern des progressiven Amerika, wenn man so sagen darf, ist inzwischen so groß, dass laut jüngsten Umfragen ein beträchtlicher Teil aus beiden Fraktionen im November eher gar nicht zur Wahl gehen wollen als für den »anderen« Kandidaten aus der eigenen Partei zu stimmen. Während dieses unwürdige Gerangel vor sich geht, ist die Gesellschaft der Vereinigten Staaten langsam aber sicher in ein Stadium des Interregnums übergegangen. Der noch amtierende Präsident Bush wird inzwischen selbst von den bis vor kurzem noch sklavisch kooperierenden Großmedien so gut wie total ignoriert. US-Präsidenten, die kurz vor ihrer Ablösung stehen, werden schon immer mal als »lame ducks« (lahme Enten) bezeichnet, aber im Falle Bush wäre das eine Untertreibung. Denn auch eine lahme Ente kann immerhin noch laufen, wohingegen im Falle Bush ein angemessener Vergleich eher auf eine »tote Ente« zurückgreifen müsste. Inzwischen dämmert es offensichtlich auch den letzten (hoch bezahlten) Klopffechtern in den amerikanischen Medien, dass dieser Präsident nichts, aber auch rein gar nichts Positives in seiner Amtszeit auf die Reihe gebracht hat, dafür aber das Land an den Rand einer wirtschaftlichen, politischen und moralischen Krise. Nun ist zu allem Überfluss auch noch enthüllt worden, dass die Regierung in den ersten Jahren des Irak-Kriegs unter Rumsfeld eine Truppe pensionierter Militärs direkt dafür bezahlt hatte, als vermeintlich unabhängige »Experten« ungefragt oder auf Nachfrage die jeweilige Version des Pentagon über den Stand des Krieges bzw. die Lage im besetzten Irak Medienvertretern gegenüber zu verklickern. Ein solcher Einsatz von Steuergeldern zur propagandistischen Beeinflussung der Öffentlichkeit und des Kongresses bei anstehenden Budget-Entscheidungen ist spätestens seit den frühen fünfziger Jahren schlicht illegal, aber Kongress und Öffentlichkeit in den USA sind inzwischen schon so weit desillusioniert und demoralisiert, dass die Cheney/Bush-Leute wohl auch in diesem Falle ohne eine ernste Abmahnung davonkommen werden. Alle warten nur noch apathisch, dass die Amtszeit dieser Regierung endlich zu Ende geht.Doch solange die «dicke Dame noch nicht gesungen hat«, gehen die Peinlichkeiten erbarmungslos weiter. Die jüngsten Anlässe zum Nur-noch-resigniert-den-Kopf-schütteln gab George W. Bush auf seiner Sightseeing-Tour anlässlich des 60. Geburtstags des Staates Israel. Es gab eine 2|4 Quelle: http://www.rationalgalerie.de/die-usa-in-zeiten-des-interregnums.html Heruntergeladen am 18.05.2017 Zeit, während der erfahrene politische Beobachter ernsthaft geglaubt hatten, dass Bush dazu in der Lage und willens sein könnte, den Friedensprozess im Nahen Osten wirklich auf den Weg zu bringen. Die so genannte »Road Map« konnte seinerzeit mit einigem guten Willen als ein solcher Anfang gesehen werden; und wenn es einem amerikanischen Präsidenten gelingen könnte, die Likud-Israelis zu Kompromissen zu nötigen, dann wäre es theoretisch ein in solchem Maße als »konservativ« ausgewiesener Mann an der Spitze ihrer obersten Schutzmacht. Wir wissen aus der politischen Geschichte moderner Demokratien: Es braucht »linke« Führer, um die »rechten« Dinge zu tun, und umgekehrt »rechte« Führer, um die »linken« Dinge zu tun. Aber diese kühnen polit-psychologischen Hoffnungen sind bitter enttäuscht worden: Nachträglich wird klar: Niemals hatte die Cheney/Bush Regierung auch nur im Geringsten die Absicht, den palästinensisch-israelischen Konflikt im Sinne eines Ausgleichs zwischen den Parteien zu lösen!Der faktisch schon entmachtete Präsident gab nun in Israel einmal mehr ein Bild des Jammers ab. Selbst wenn man davon ausgeht, dass er eben nichts weiter im Sinn hatte, als einmal mehr den Hard-linern in Israel seine Solidarität zu versichern, so tat er das auf eine dermaßen klobige und tollpatschige Art und Weise, dass einem der Mann ob seiner offensichtlichen persönlichen Unzulänglichkeit beinahe schon Leid tun konnte, wenn die Sache selbst nicht zu ernst sein würde.In Jerusalem verkündete Bush seine Vision, dass nach den zweiten sechzig Jahren israelischer Existenz »Al Quaida, Hisbollah und Hamas besiegt sein werden, da Muslime in der ganzen Region die Leere der Vision der Terroristen und die Ungerechtigkeit ihrer Sache erkannt haben werden…« und er fügte hinzu, dass er und seine Landsleute es »als eine große Schande ansähen, dass die Vereinten Nationen routinemäßig mehr Menschenrechts-Resolutionen gegen die freieste Demokratie im Nahen Osten verabschieden als gegen jede andere Nation auf der Welt.«Die groteske Realitätsferne, undiplomatische Einseitigkeit und heuchlerische Ungeheuerlichkeit solcher Sätze, mal abgesehen von der tölpelhaften Einfältigkeit des sprachlichen Ausdrucks, wurde in der deutschen Qualitätspresse natürlich nicht als solche benannt. Um so etwas angemessen kommentiert zu bekommen, muss man in ausländische Blätter schauen, vorzugsweise in solche des imperialen Vorgängers in der Region, des Vereinigten Königreichs. Im Londoner »Independent« z.B. schreibt der in Beirut residierende Nahost-Korrespondent Robert Fisk seit Jahren um Realismus bemühte und von selbstbewusster Unerschrockenheit gegenüber den 3|4 Quelle: http://www.rationalgalerie.de/die-usa-in-zeiten-des-interregnums.html Heruntergeladen am 18.05.2017 amerikanischen Vettern gekennzeichnete Artikel über die Lage in der Region. Er kommentiert die oben zitierte Bush-Bemerkung wie folgt: »In Wirklichkeit ist es immer wieder eine Schande, dass die Vereinigten Staaten weiterhin den Israelis gestatten, palästinensisches Land zu stehlen – was es wiederum zu einer Schande für die USA macht, dass die Vereinten Nationen immer wieder Menschenrechtsresolutionen gegen ihren einzigen wirklichen Verbündeten in der Region verabschieden müssen.«Dem ist nichts hinzuzufügen. Wahrscheinlich reicht ja das Zitieren aus einer britischen Zeitung bereits, um als unverbesserlicher Antisemit ausgemacht zu werden. Dennoch möchte ich, um mich nicht dem Vorwurf auszusetzen, mich hinter britischen Journalisten verstecken zu wollen, dem hinzufügen: Ich teile diese Ansicht von Frisk. Aber ergänzend dazu möchte ich mir die rhetorische Frage erlauben: Hat es in den letzten acht Jahren eigentlich eine Person gegeben, die der Sache des Friedens im Nahen Osten und damit auch den langfristigen Interessen der israelischen Bevölkerung objektiv mehr geschadet hat als der Präsident der Vereinigten Staaten, unter dessen nomineller Führung nicht nur die ganze Region militärisch destabilisiert wurde, sondern durch dessen unbedarfte Rhetorik nun auch der letzte »Muslim in der ganzen Region« klar erkannt haben dürfte, wer Freund und wer Feind ist und dass von dieser Seite Gerechtigkeit nicht zu erwarten ist?PS: Kurz vor Redaktionsschluss erreicht uns die Nachricht, dass Senator Edward Kennedy von seinem Familiensitz in Hyannisport mit dem Hubschrauber in eine Bostoner Krankenhaus transportiert wurde. Es ist also etwas Ernstes. Gerade für die kommenden Auseinandersetzungen innerhalb der Demokraten über die Kandidatur und über die weitere Politik im Falle eines Sieges bei der Präsidentschaftswahl wäre die Beteiligung des großen alten Mannes des liberalen Amerika von außerordentlicher Wichtigkeit. Wir wollen alle hoffen, dass es vielleicht doch nur eine Kreislaufschwäche ist! 4|4 Quelle: http://www.rationalgalerie.de/die-usa-in-zeiten-des-interregnums.html Heruntergeladen am 18.05.2017