1 SPIEGEL ONLINE - 14. März 2003, 8:07 Bushs zweite Front Angst vorm Dolchstoß aus der Heimat Von Jochen Bölsche Die "Achse des Bösen", fürchten US-Konservative, ragt tief hinein in God's Own Country. Zur Festigung der Heimatfront forciert das Weiße Haus "schwarze" Propaganda-Aktionen, Terrorismus dient Hardlinern als Vorwand, Dissidenten einzuschüchtern und Bürgerrechte abzubauen. Ex-Präsident Jimmy Carter sieht Amerika schon auf dem Weg in den Unrechtsstaat. What a wonderful war. "Intelligente Waffen" zischen über den Nachthimmel, mit "chirurgischer Präzision" lösen sie schaurig schöne Detonationen aus - Bagdad 1991. Alles Schwindel. Ein Jahrdutzend nach dem Golfkrieg räumt der TV-Sender CNN ein, dass die einst gesendeten Bilder "genau das Gegenteil von dem suggerierten, was sie tatsächlich beinhalteten": 56.000 Tonnen Sprengstoff, rund 70 Prozent der von der Air Force auf den Irak abgeworfenen Bomben, verfehlten ihr Ziel, Zigtausende von Zivilisten kamen um. Selbstkritisch bekennt der Sender auf seiner deutschen Website, damals von den Militärs instrumentalisiert worden zu sein, die das Fernsehen als Waffe entdeckt hatten: Nachdem Horror-Fotos aus dem Vietnamkrieg in den Sechzigern dazu geführt hatten, "dass die 'Heimatfront' in den USA und im Rest der Welt zusammenbrach", habe sich führenden US-Militärs erschlossen, dass fortan "Kriege an den Fernsehern der Nation entschieden werden". Der Nachrichtensender CNN mag seither etwas skeptischer geworden sein im Umgang mit den bunten Kriegsbildern. Dafür nimmt sich der in den USA mittlerweile dominierende Konkurrenzkanal "Fox" des Medienzaren Rupert Murdoch fast aus wie ein Soldatensender. "Fürs Militär sein oder das Maul halten" George W. Bushs Schwarzweiß-Parolen sind dort allgegenwärtig. "Wenn der Krieg beginnt", dröhnt ein Fox-Moderator, "erwarten wir von jedem Amerikaner, entweder für das Militär zu sein oder das Maul zu halten. Amerikaner und auch unsere ausländischen Verbündeten, die aktiv gegen uns sind, gelten dann als Staatsfeinde." Das Weiße Haus operiert mittlerweile raffinierter denn je, um die Kriegsberichterstattung zu beeinflussen. So berief Washington mit der (jüngst aus Gesundheitsgründen zurückgetretenen) PRExpertin Charlotte Beers eigens eine Staatssekretärin für "Public Democracy and Public Affairs", um die "weiße", halbwegs transparente Propaganda zu verstärken. Beers, die einst "Uncle Ben's Reis" beworben hat, verbreitete beispielsweise regierungsamtliche Hochglanzbroschüren mit Halbwahrheiten über den dämonischen Saddam; darin wird etwa dessen einstige Giftkriegsführung gegen die kurdische Minderheit beschrieben, sein damaliger Verbündeter, die USA, aber verschwiegen. Psychoverteidigung in eigener Sache Insbesondere war von Beers erwartet worden, das Ansehen der Vereinigten Staaten in der muslimischen Welt zu stärken - angesichts der Bush-Politik ein Ding der Unmöglichkeit. Als die PRExpertin jüngst aus nicht näher beschriebenen gesundheitlichen Gründen zurücktrat, sahen Kenner der Szene darin einen Akt des Protests gegen den Irak-Kurs. "Sie musste die amerikanische Politik in einem positiven Licht darstellen und hatte doch keine Möglichkeit, diese Politik in einer Richtung zu beeinflussen, dass diese für den Rest der Welt und 2 vor allem für die muslimische Welt besser hätte akzeptiert werden können," zitierte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" einen Sprecher des Rates für Amerikanisch-Islamische Beziehungen. Mehr als von offenen PR-Aktionen versprechen sich Hardliner wie der Pentagon-Chef Donald Rumsfeld offenbar von der "schwarzen" Propaganda. Als erstes allerdings musste sein voriges Jahr gegründetes "Office of Strategic Influence" (OSI) Psychoverteidigung in eigener Sache treiben. "Zerstörung, Degradierung, Leugnung, Spaltung" Nachdem die interne Aufgabenliste ("Zerstörung, Degradierung, Leugnung, Spaltung, Täuschung und Ausnutzung") durchgesickert war und internationale Proteste ausgelöst hatte, wurde die Märchenfabrik geschlossen - und flugs durch einen Bush direkt unterstellten Dienst mit einem weniger verfänglichen Titel ersetzt: "Office of Global Communications“. Ausländische Beobachter meinen die Effekte derartiger Bemühungen bereits wahrzunehmen. In den USA, urteilt der deutsche Journalist und Geheimdienstexperte Hans Leyendecker, seien "Journalismus und Geheimdienst kaum noch von einander zu unterscheiden". Ob von den Schattenkriegern des Pentagon lanciert oder von einem der vielen US-Geheimdienste gestreut - eine Fülle zweifelhafter, nie belegter Meldungen, etwa über angebliche Kontakte zwischen dem Terrorpiloten Mohammed Atta und Saddams Geheimdienst, dienten dazu, im Land eine "ständige emotionale Alarmbereitschaft aufrecht zu erhalten", glaubt der PR-Spezialist und Fachautor Sheldon Rampton. Kritiker werden eingeschüchtert und mundtot gemacht Denselben Effekt haben die diffusen, selten spezifizierten Warnungen vor allzeit drohenden Anschlägen, die Katastrophenübungen in Schulen und Kindergärten oder die Äußerungen über eine militärische Gefährdung der USA durch den Irak - obwohl es "gegenwärtig keine Bedrohung der Vereinigten Staaten durch Bagdad gibt", wie etwa Ex-Präsident Jimmy Carter erklärt, der sich in seinem Urteil im Einklang mit "den Verbündeten und verantwortlichen Politikern früherer Administrationen" sieht. Die vorherrschende Alarmbereitschaft konserviert nicht nur die Zustimmung zum Kurs der BushKrieger, sondern schafft auch ein Klima, das geeignet ist, Regierungskritiker einzuschüchtern und mundtot zu machen - erkennbares Ziel der (weltweit 175) Zeitungen und der TV-Kanäle des Medienzaren Murdoch. "Die PR-Schlacht zu gewinnen ist fast ebenso wichtig wie der militärische Sieg", postuliert Murdochs "Sunday Times". Andere Blätter stellen Skeptikerinnen wie die CNN-Reporterin Christiane Amanpour als "Kriegsschlampe" an den Pranger. Kritischen TV-Fragestellern wird mangelnder Patriotismus unterstellt und das Wort abgeschnitten, Pazifisten werden zu Talkshows gar nicht erst eingeladen. "Hitler's children" für den Frieden "Sind die Medien tatsächlich ein Spiegelbild der Macht, ist die hegemoniale Rolle Amerikas schon jetzt von einer imperialen abgelöst", urteilt Thomas Nehls, Leiter des New Yorker ARDHörfunkstudios, über die Meinungsmache vieler Mainstream-Medien: "Nicht einmal mehr das Freund-Feind-Denken wird thematisiert; die gedanklichen Feinde sind - auch von den Medien - für irrelevant erklärt." Weitgehend weggefiltert oder verstümmelt werden auf diese Weise die Warnungen amerikanischer Mahner wie der Publizistin Susan Sonntag, des Schriftstellers Norman Mailer oder des einstigen 3 Golfkrieg-Generals Norman Schwarzkopf, aber auch abweichende Stimmen aus dem Ausland, nicht nur von nonkonformen Regierungschefs. Fotos von der Berliner Friedensdemonstration, an der 500.000 Menschen teilnahmen, erschienen mit dem Bildtext "Hitler's children". Kommentatoren suggerieren, die widerspenstigen Deutschen seien entweder Nazis oder Saddam-Freunde - jedenfalls Leute, die wieder einmal "einem Mann mit Bart" folgen. Der langjährige US-Diplomat John Kiesling fürchtet, dass die informationelle Selbstabschottung der Supermacht rasch zu ähnlich verhängnisvollen Wahrnehmungsdefiziten führen könnte, wie sie bereits die Machthabenden in Moskau und Tel Aviv befallen haben. Auch die USA, schrieb Kiesling an Außenminister Colin Powell, drohten taub zu werden "wie Russland in Tschetschenien und Israel in den besetzten Gebieten - taub für unseren eigenen Rat, dass überwältigende militärische Macht nicht die Antwort auf Terrorismus sein kann". Strafen für "Give Peace A Chance" Schon wurden vorige Woche in Hollywood Erinnerungen an die McCarthy-Ära Anfang der Fünfziger wach, als eine Art Gedankenpolizei in der Künstler-Szene nach "unamerikanischen Umtrieben" fahndete; schon müssen Jugendliche wegen T-Shirt-Texten wie "Give Peace A Chance" mit Schulstrafen und Hausverboten in Einkaufszentren rechnen; schon melden US-Bibliotheken, Nutzer schreckten aus Angst vor Bespitzelung vor der Lektüre regierungskritischer Bücher zurück überm Horizont steigt schemenhaft ein Orwellscher Überwachungsstaat auf. Hält der Trend an, wäre das ganz im Sinne all der alten Krieger aus der Reagan-Ära, die Bush junior Anfang 2001 in seine Administration geholt hat. Die Hardliner sehen mit Wohlgefallen, dass die von Geheimdiensten und Medien verstärkte Hysterie nicht nur die Aggressionsbereitschaft fördert, sondern auch die Neigung, den Abbau von Bürgerrechten hinzunehmen. Beides ist durchaus gewollt. "Gut und böse, richtig und falsch" Zu den schrillsten Advokaten eines scharfen Rechtskurses zählt der Oldtimer William Bennent, einst Erziehungsminister unter Ronald Reagan, später oberster Drogenbekämpfer unter George Bush senior, jetzt einer der militantesten Kämpfer im neokonservativen "Project For A New American Century" (PNAC) und zudem Präsident eines PNAC-Ablegers namens "Americans For Victory Over Terrorism" (AVOT). Bennents Mitstreiter - darunter Pentagon-Chef Rumsfeld und Ex-CIA-Chef James Woolsey fürchten, dass die nach den Attentaten des Jahres 2001 empor geschnellte Rüstungs- und Kriegsbereitschaft der Bevölkerung irgendwann erlahmen könnte. Dem wollen sie, ganz im Sinne des mächtigen militärisch-petroindustriellen Komplexes, durch mentale Aufrüstung vorbeugen. "Unmittelbar nach den Anschlägen des 11. September erreichte unsere Nation einen Moment der moralischen Klarheit, in dem gut von böse unterschieden wurde, richtig von falsch", sagt AVOTChefideologe Bennent. Fortan gelte es, "diese Klarheit zu bewahren". "Die beste Verteidigung ist ein guter Angriff" Ein Nachlassen der "nationalen Entschlossenheit" könnte dazu führen, dass die Rüstungslobbyisten ihre im AVOT-Gründungsaufruf markierten Ziele verfehlen: "eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts, die Erforschung und Aufstellung eines Raketenabwehrsystems und eine weitere Stärkung des Militärs". Noch mehr Geld für Waffen braucht die seit ohnehin mit Abstand stärkste Militärmacht des Planeten nach Ansicht der PNAC- und AVOT-Streiter schon deshalb, um, notfalls im Alleingang, gleichzeitig mehrere der von Bush angekündigten Vorbeugungs- und Entwaffnungskriege führen zu können (Bennent: "Die beste Verteidigung ist ein guter Angriff") - 4 und um sich der Rache der so Angegriffenen zu erwehren: "Amerika", so das AVOT-Manifest, "muss die militärische Fähigkeit haben, die es uns ermöglicht, uns zu verteidigen, während wir die Terroristen ausrotten." Die Gelegenheit ist günstig, gleich auch noch den Feind im Inneren zu schwächen: die Nestbeschmutzer und Wehrkraftzersetzer, Friedenskämpfer und Querulanten, die aus Sicht gläubiger Bushisten die Achse des Bösen bis weit hinein in God's Own Country verlängern. "America first" kontra "Blame America first" "Die Bedrohungen, denen wir heute gegenüberstehen, sind sowohl äußere als auch innere", formuliert die AVOT. Gefahr gehe bereits von jenen aus, die statt "America first" Losungen wie "Blame America first" (Amerika ist selber schuld) verbreiteten. Dass die Strategie der Hardliner nicht zuletzt auf den Abbau demokratischer Rechte zielt, ist spätestens offenkundig, seit die PNAC- und AVOT-Freunde in der Bush-Administration zwei Paragraphenwerke präsentiert haben, die sich lesen, als kämen sie direkt aus den "Think Tanks" der mächtigen Bush-Förderer: Im Herbst 2001, in den von Panik erfüllten Wochen nach dem grauenvollen WTC-Attentat und den dubiosen Anthrax-Briefen, wurde ein 345 Seiten umfassendes Gesetz ("Patriot Act") durch den US-Kongress gepeitscht, das zum Beispiel Buchhändler zwingt, Fahndern heimlich die literarischen Vorlieben ihrer Kunden preiszugeben und darüber selbst gegenüber ihrem Anwalt Stillschweigen zu bewahren derzeit entwirft die Bush-Regierung einen "Patriot Act II", der es dem FBI erstmals erlauben soll, nach lateinamerikanischem Vorbild US-Bürger als mutmaßliche Terroristen festzunehmen und in Haft zu halten, ohne dass die Angehörigen informiert werden müssen, oder aber Delinquenten mit US-Pass auszubürgern und abzuschieben - etwa in Länder, in denen ihnen verschärfte Befragungen nach Guantanamo-Art drohen "Amerika wird zum Unrechtsstaat" Zeitweise schien es, als würde das "Land of the Free" unwidersprochen hinnehmen, was die "geheime Nebenregierung" der Bush-Freunde produzierte: "Der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung, in den Fängen der Angst, ist das alles egal", notierte die "New York Times". Doch seit der Texaner im Weißen Haus offen einen Angriffskrieg - auch im Alleingang und ohne eindeutige völkerrechtliche Legitimation - gegen den Irak ansteuert, regt sich mehr und mehr Widerstand im Land. "Mittlerweile versucht eine Gruppe von Konservativen, lang gehegte Ambitionen unter dem Deckmantel des Krieges gegen den Terrorismus zu verfolgen", warnte ExPräsident Carter in der "Washington Post" vor dem PNAC-Kurs. Derart "fundamentale Veränderungen" wie der gegenwärtige Abbau von Bürgerrechten in den USA erinnerten Carter an "Unrechtsstaaten, die von amerikanischen Präsidenten in der Vergangenheit immer verurteilt wurden". Stück für Stück stirbt die Demokratie "Die Bush-Regierung nutzt die Terrorgefahr, um den Menschen Angst zu machen. Die Demokratie wird Stück für Stück abgegraben, bis keine Demokratie mehr da ist", konstatierte der Bürgerrechtler Jameel Jaffer von der American Civil Liberties Union vorigen Monat gegenüber SPIEGEL ONLINE und kündigte verstärkte Gegenwehr an. Zwei Programme der Bush-Regierung sind mittlerweile an öffentlichen Protesten gescheitert: das Total Information Awareness, mit dem das Internet kontrolliert werden sollte, und das so genannte TIPS, mit dem der Staat Blockwarte zur Bespitzelung der Nachbarschaft anheuern wollte. 5 Und je mehr Bush sich in Widersprüche über seine Irak-Kriegsziele verwickelt, je häufiger Fälschungen auffliegen, desto rascher wächst das Misstrauen gegen die Regierenden - und die Zahl derer, die auf Friedensdemonstrationen gehen und "We shall overcome" singen.