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Vier andere Jahre
Am 20. Januar hat die zweite Amtszeit des amerikanischen Präsidenten George W. Bush
begonnen. Seine Wiederwahl im vergangenen November hatte in Europa für viel
Enttäuschung gesorgt. Doch der Rechtsruck geht nicht so weit, wie vielfach behauptet. Die
Entscheidung der amerikanischen Wähler bietet auch Chancen für ein besseres
transatlantisches Verhältnis.
Von Dr. Claudius Wenzel
Der erste Schock saß tief. Wie konnten sie nur? Wie konnten die amerikanischen
Wählerinnen und Wähler George W. Bush wiederwählen nach all dem was er Amerika
angetan hat: fast 1300 gefallene amerikanische Soldaten im Irak und in Afghanistan, viele
von Ihnen gerade 19, 22, 25 Jahre alt, ein Anti-Terrorkrieg der anfängliche internationale
Sympathien in Rekordzeit verspielt hat und ein desaströser Bundeshaushalt mit all den
bekannten Folgen für die Handlungsfähigkeit der Regierung – die Liste ließe sich fortsetzen.
Amerikanische aber auch europäische Medien haben nach der Wahl mit Kritik nicht gespart.
Bei allem Verständnis für die Enttäuschung, dass nun in den nächsten vier Jahren mit hoher
Wahrscheinlichkeit keine neue Ära der Harmonie und multilateralen Zusammenarbeit
beginnen wird – es muss gerade deshalb darum gehen, die transatlantische Verständigung
und eben auch das Verständnis füreinander zu verbessern. Ein vereinfachtes Bild von einem
machtbesessenen, missionarischen und rücksichtslosen Amerika hilft nicht weiter. Es wirkt
allenfalls kontraproduktiv, behindert es doch eine differenzierte Wahrnehmung als
Voraussetzung eines klugen Umgangs miteinander. Zu dieser differenzierten Wahrnehmung
gehört, die aktuellen politischen Verhältnisse und das Wahlergebnis in den USA in das
richtige Licht zu rücken:
Erstens: Ja, das Wahlergebnis erteilt George W. Bush im Gegensatz zu dem umstrittenen
Ergebnis der Präsidentschaftswahlen 2000 ein Mandat, stärkt die Republikaner und
vermutlich auch den rechten Flügel der Partei. Dennoch: die Wiederwahl von Bush Junior ist
keinesfalls ein Beweis für eine neue Dominanz eines religiös-fundamentalistischen
Konservatismus in den USA. Die USA durchleben noch immer eine außergewöhnliche Zeit.
Europa hat in den Monaten nach den grauenhaften Terroranschlägen vom 11. September
2001 viel Solidarität und Mitgefühl gezeigt. Wie tief die Verletzungen des American way of
life jenseits des Atlantiks tatsächlich empfunden werden, ist hier bestenfalls ansatzweise
begriffen worden. Die Amerikaner haben einen Präsidenten wiedergewählt, dem sie
Entschlossenheit und Tatkraft insbesondere in Fragen der inneren und äußeren Sicherheit
zutrauen. Das zu belächeln wäre überheblich. Die Wahl als eine zwischen verschiedenen
Wertewelten darzustellen, trifft ebenfalls nicht den Kern. In Zeiten, in denen inhaltliche
Alternativen schwierig darzustellen sind und eine Bedrohung hoch eingeschätzt wird, ist die
wahrgenommene Integrität der Kandidaten ausschlaggebend. Der Amtsbonus war für
George W. Bush ein erheblicher Vorteil.
Zweitens: Das politische System der USA und die amerikanischen Wählerinnen und Wähler
haben ihre Fähigkeit zu Lernen schon häufiger unter Beweis gestellt – die checks and
balances verdienen Vertrauen. Die republikanische Herrschaft im Weißen Haus und in
beiden Häusern des Kongresses bedeutet angesichts einer eingeschränkten Parteidisziplin
keinesfalls das Ende der Gewaltenteilung, die gerade im amerikanischen System stark
ausgeprägt ist. Die zweite Administration Bush hat keinen Freifahrtschein für ihre politischen
Vorhaben, zumal die Haushaltslage den Kongress in den kommenden Jahren verstärkt
interessieren wird.
Drittens: Die amerikanische Verfassung gestattet dem amerikanischen Präsidenten George
W. Bush nur noch eine Amtszeit. Sein Vize, Dick Cheney, wird alters- und krankheitsbedingt
kaum sein Nachfolger sein können. Die amerikanischen Wählerinnen und Wähler müssen in
vier Jahren also etwas Neues wagen. Dies wird die politische Auseinandersetzung nicht erst
im Wahlkampfjahr 2008 beeinflussen. Die Demokratische Partei wird sich schon bald darauf
vorbereiten. Und auch in der Republikanischen Partei wird spätestens nach den Wahlen zum
Kongress in zwei Jahren, die Frage gestellt werden, was nach Bush kommt.
Viertens: Amerika ist keinesfalls so tief gespalten, wie dies gerne behauptet wird. Das was
amerikanische Experten als cultural divide bezeichnen, lässt sich schwer als Spaltung
bezeichnen. Richtig ist, das sich das Wahlverhalten bestimmter Gruppen (Frauen und
Männer, Alters- und Einkommensgruppen, Regionen) seit einigen Jahren verstetigt hat und
zwischen den Parteien bei wichtigen Fragen eine zunehmende Polarisierung zu erkennen
ist. Doch gerade im Vergleich zu Europa sind die Parteienbindungen traditionell wesentlich
lockerer und Persönlichkeiten spielen eine herausragende Rolle. Bewegung ist und bleibt
deshalb möglich, zumal die beiden Lager nur drei Prozent der Wählerstimmen
auseinanderliegen.
Fünftens und in dieser Phase besonders wichtig: Bei all den beschworenen Gefahren einer
zweiten Amtsperiode von George W. Bush – es lohnt sich die tatsächlichen Entwicklungen
abzuwarten. Vieles spricht dafür, dass George W. Bush seinem politischem Stil treu bleibt:
selbstbewusst und standfest in den eigenen Überzeugungen. Doch auch er wird die Grenzen
des Machbaren mittlerweile stärker realisiert haben, als zu Beginn der ersten Amtsperiode.
Dass militärische Einsätze nach dem Modell Irak allenfalls begrenzt erfolgreich sind und die
eigenen Kräfte lange Zeit binden, hat die Regierung erfahren müssen. Bereits die letzten
Monate haben gezeigt, dass Bush sehr wohl begriffen hat, dass Amerika ohne das „alte
Europa“ an der Seite in der internationalen Politik nicht stärker werden kann. Die früh
angekündigte Europareise des wiedergewählten Präsidenten deutet in dieselbe Richtung.
Das Wandel in acht Jahren Amtszeit möglich ist, haben schon andere amerikanische
Präsidenten gezeigt – nicht zuletzt das Vorbild des George W. Bush: Ronald Reagan.
Kurzum: Die politische Mitte Amerikas hat sich keinesfalls von der politischen Bühne
verabschiedet. Gelassenheit ist auf europäischer Seite deshalb der beste Ratgeber. Die
Devise einer möglichst gemeinsamen, durchaus selbstbewussten europäischen Außenpolitik
gegenüber der Bush-Administration sollte lauten: So viel Kooperation und diplomatisches
Geschick wie möglich, so wenig öffentlich ausgetragene Konflikte wie möglich.
Amerika und Europa werden in Zukunft noch stärker aufeinander angewiesen sein. Das
sollte nicht nur so mancher Amerikaner, sondern auch der ein oder andere Europäer
begreifen. In einer Zeit schwer berechenbarer Chaosmächte wird es nur gemeinsam und
arbeitsteilig gelingen, hard power und soft power so einzusetzen, dass der Nährboden für
den internationalen Terrorismus ausgetrocknet, gewalttätige Konflikte verhindert,
Menschenrechte verwirklicht und nachhaltige Entwicklungen möglich werden.
Meinungsverschiedenheiten, deutliche Meinungsverschiedenheiten, werden nicht
ausbleiben. Stille Diplomatie kann auch gegenüber Freunden und Partnern der richtige Weg
sein, gerade wenn es Gelegenheiten für Neubestimmungen von Positionen gibt. Genau
diese Chance besteht jetzt.
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