EMBRYOLOGIE aus Sicht der CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE

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EMBRYOLOGIE
aus Sicht der
CRANIOSACRALEN OSTEOPATHIE
Diplomarbeit
von
Rosmarie Walthert
Schule für Craniosacrale Osteopathie, Rudolf Merkel, Zürich
Embryologie aus Sicht der Craniosacralen Osteopathie
Rosmarie Walthert, Diplomarbeit, CSO-Schule R. Merkel, Zürich, 2005
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis....................................................................................................................... 2
I
Zusammenfassung.......................................................................................................... 4
II
Einführung...................................................................................................................... 5
III
Meine Frage: Wie manifestiert sich der Primäre Atemmechanismus in der
embryonalen Entwicklung des Menschen? .................................................................... 7
IV
Der Primäre Atemmechanismus..................................................................................... 8
IV 1. Zum Begriff des Primären Atemmechanismus (PAM)............................................... 8
IV 2. Die fünf Merkmale des Primär Respiratorischen Atemmechanismus ........................ 9
IV 3. Die Fluktuation der Zerebrospinalen Flüssigkeit ........................................................ 9
IV 4. Die Reziproke Spannungsmembran .......................................................................... 10
IV 5. Die Motilität der Neuralröhre.................................................................................... 12
IV 6. Die Mobilität der Schädelknochen............................................................................ 13
IV 7. Die unwillkürliche Mobilität des Sakrums zwischen den Beckenknochen .............. 13
IV 8. Die Funktion des Primären Atemmechanismus ........................................................ 13
IV 9. Der Rhythmus ........................................................................................................... 14
IV 10. Erklärungsmodelle für den Primären Atemmechanismus......................................... 14
V
Embryologie ................................................................................................................. 16
V 1. Die Bedeutung der Embryologie für die Praxis ........................................................ 16
V 2. Geschichtlicher Überblick über die Untersuchung der Humanembryologie ............ 17
V 3. Der Mensch als Embryo zwischen Himmel und Erde .............................................. 19
V 4. Der Embryo – eine Dokumentation der kinetischen Anatomie ................................ 21
V 5. Die Forschung ........................................................................................................... 21
V 6. Die Kinetische Entwicklungstheorie......................................................................... 22
V 6.1. Materialbewegungen und Stoffwechselfelder........................................................... 22
V 6.2. Grenzgewebe und Binnengewebe ............................................................................. 23
V 6.2.1. Grenzgewebe....................................................................................................... 24
V 6.2.2. Keilepithelien ...................................................................................................... 26
V 6.2.3. Die Bedeutung der Flüssigkeitsräume................................................................. 27
V 6.2.4. Binnengewebe ..................................................................................................... 28
V 6.2.5. Die acht Stoffwechselfelder ................................................................................ 28
V 6.2.6. Kinetische Entwicklungstheorie und der Primäre Atemmechanismus ............... 32
VI
Die embryonale Entwicklung des Nervensystems ....................................................... 34
VI 1. Erste Leistungen des Nervensystems sind Wachstumsleistungen ............................ 34
VI 2. Die Bildung des Neuralrohrs..................................................................................... 34
VI 2.1. Wachstumsleistungen des Neuralrohrs ............................................................... 35
VI 2.2. Wachstumsleistungen von Gehirn und Rückenmark .......................................... 36
VI 2.3. Gliederung des Nervensystems ........................................................................... 39
VII
Der Primäre Atemmechanismus und seine Entstehung in der embryonalen
Entwicklungsphase....................................................................................................... 41
VII 1. Gestaltende Energie oder „breath of life“ ................................................................. 41
VII 1.1. Anfänge des energetischen Aspektes .................................................................. 42
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VII 1.2. Primitivknoten als Organisationszentrum ........................................................... 43
VII 1.3. Die ventrale Mittellinie oder Chorda dorsalis ..................................................... 44
VII 1.4. Die Bildung der Somiten..................................................................................... 45
VII 1.5. Die dorsale Mittellinie oder Zentralkanal des Neuralrohrs ................................. 46
VII 1.6. Abschliessende Gedanken zum energetischen Aspekt........................................ 47
VII 2. Gestaltende Bewegung.............................................................................................. 51
VII 2.1. Blutbildung und Herzkreislauf ............................................................................ 52
VII 2.2. Die Gestaltungsfunktion des Gefässsystems....................................................... 53
VII 2.3. Die Ausgestaltung der Körpergrundgestalt ......................................................... 56
VII 2.3.1. Die laterale Abfaltung ......................................................................................... 57
VII 2.3.2. Die kraniokaudale Krümmung ............................................................................ 58
VII 2.3.3. Embryonales Üben des Primären Atemmechanismus (PAM) ............................ 59
VII 2.3.4. Embryonales Üben der sekundären Lungenatmung............................................ 60
VII 3. Parallelen und Unterschiede von Primärem und Sekundärem Atemmechanismus. . 62
VII 3.1. Wechselwirkungen der Gewebeschichten........................................................... 62
VII 3.2. Relevanz für meine praktische Arbeit................................................................. 62
Bildnachweis: ........................................................................................................................... 64
Literaturangabe: ....................................................................................................................... 65
Embryologie aus Sicht der Craniosacralen Osteopathie
Rosmarie Walthert, Diplomarbeit, CSO-Schule R. Merkel, Zürich, 2005
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I
Zusammenfassung
William Garner Sutherland hat seinem Konzept der cranialen Arbeit in der Osteopathie den Primären Atemmechanismus als inhärente Bewegung von Gehirn und
Rückenmark zugrunde gelegt. Diese Bewegung ist als subtile Bewegung mit entsprechend sensibilisierter Palpationsfähigkeit an den beweglichen Schädelknochen
und als unwillkürliche Bewegung am Sakrum und dank der Verbindung zu den Körperfaszien auch im übrigen Körper wahrnehmbar.
Sutherland hat den Ursprung dieses Mechanismus, entsprechend seiner Funktion
(Pumpe für das venöse Gefässsystem im Schädelbereich, Homöostase im ganzen
Körper) in der embryonalen Phase angelegt. Bis heute bleibt dies Gegenstand von
Diskussionen und Untersuchungen.
Mit der vorliegenden Arbeit hoffe ich, etwas zu dieser Diskussion beitragen zu können.
Das biodynamische Modell der Osteopathie (James S. Jealous, DO) und der craniosacralen Osteopathie (Franklin Sills) spricht von zwei Mittellinien, einer ventralen (Anlage der Chorda dorsalis) und einer dorsalen (Zentralkanal). Beide Mittellinien werden mit dem wandernden Chordafortsatz und Axialkanal induziert. Zuerst entsteht die
Chorda dorsalis (späterer Nucleus pulposus). Wenig später faltet sich die Neuralplatte auf und schliesst sich zum Neuralrohr. Der Zentralkanal in seiner Mitte wird die
dorsale Mittellinie. Beide Linien stehen für ein feinstoffliches Energieprinzip, das für
die Aufrechterhaltung des Organismus während des ganzen Lebens sorgt. In fernöstlichen jahrtausende alten medizinischen Traditionen findet man dieses Prinzip in
Form von zum Beispiel Chi in China oder Prana in Indien.
In der vorliegenden Arbeit stelle ich die These auf, dass der Ursprung dieser Bewegung in der einzigen Krümmungsphase des Embryos liegt. Für diese Krümmung ist
das ungeheure Wachstum des Neuralrohrs verantwortlich, das sich in unmittelbarer
Zusammenarbeit mit der Herz-/Gefässanlage (Blechschmidt) entwickelt. In dieser
Phase geschieht die Organogenese schlechthin. Damit verbunden ist die Vernetzung
des wachsenden Nervensystems mit den Organlagen des ganzen Körpers.
Die Embryologen Jaap van der Wal und Erich Blechschmidt haben mir wichtige Instrumente für meine Schlussfolgerungen geliefert: Von Jaap van der Wal habe ich
das philosophische Empfindungskonzept der „partizipierenden Phänomenologie“ und
von Erich Blechschmidt die Untersuchungsergebnisse seiner Forschungsarbeiten zur
„kinetischen Entwicklungstheorie mit einer raum-zeitlich beschreibenden Gestaltungsanatomie“ kennengelernt.
Der Embryo übt seine körperlichen und seelischen Funktionen voraus.
Vor dem Hintergrund dieser Aussage bin ich zu folgendem Schluss gekommen: der
Embryo übt während der Entwicklungs-Gebärde der Krümmung mit der Wachstumstätigkeit des Neuralrohrs eine alternierende Bewegung gegen den Widerstand der
Herz-/Gefässanlage aus. Es ist das Neuralrohr, das den Bewegungsimpuls setzt
(Flexionsphase). Das Gefässsystem wirkt wachstumshemmend (Extensionsphase)
bis es die nötige Sauerstoffversorgung wieder erbringt. Aus dieser Wachstumszusammenarbeit bleiben später die inhärente zyklische Flexionsbewegung (nach meiner Erfahrung stets deutlicher palpierbar), gefolgt von der (schwächer palpierbaren,
manchmal kürzer dauernden) Extensionsbewegung des Primären Atemmechanismus weiter bestehen.
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II
Einführung
Am Anfang empfand ich die Embryonalentwicklung, wie sie in der Literatur als Beschreibung der bewegungslosen materiellen Ebene einer einzelnen Momentanaufnahme dargestellt wird als Stückwerk. Es schien mir kaum möglich, in irgendeiner
Form einen Bogen schlagen zu können zum sogenannten Primären Atemmechanismus. Der Primäre Atemmechanismus oder „Breath of life“ ist das Konzept wie es Dr.
William Garner Sutherland, Osteopath (1873 -1954), für die Wissenschaft der kranialen Osteopathie geschaffen hat (Kapitel III). Der Sprung zwischen der subtil wahrnehmbaren Eigenbewegung der Gewebe während meiner Arbeit zum extrem detaillierten Stückwerk der anatomischen Fachsprache der Embryologen, die Zustände an
der leblosen Materie beschreiben, erschien mir unüberwindbar.
Eine erste grosse Hilfe und Unterstützung war das Seminar „Der Mensch als Embryo
zwischen Himmel und Erde“ mit Jaap van der Wal, Arzt, Embryologe, Philosoph, Privatdozent an der Universität Maastricht. Kapitel IV, 3. beschreibt seine Auffassung
vom Embryo als Wesen, das sich durch eine ständige Metamorphose seiner Form
verhält. Damit ist gemeint, dass sich das Erscheinungsbild im Zeitverlauf verändern
kann, das eigentliche Wesen aber unverändert gegenwärtig und aktiv innerhalb dieser äusseren Gestalten und Formen bleibt. Sein Plädoyer für die Methode der partizipierenden Phänomenologie im Hinblick auf das Verständnis des embryonalen
Menschen angewandt, bewegt mich sehr. Mit der Haltung einer teilnehmenden
Wahrnehmung der Erscheinungswelt gewinnen die rasch sich verändernden Formen
und Gewebe in der menschlichen embryonalen Entwicklung an Lebendigkeit und an
Sinn. Jaap van der Wal vermag bald schon das Werden und Wachsen von Keimschichten, Geweben, Formen und Gestalt in Bewegung innerlich vorstellbar und
nachvollziehbar werden zu lassen und setzt es in Zusammenhang mit der individuellen Entwicklung des Menschen - seiner Individuation grundsätzlich. Eine unglaubliche Kraft geht von den Embryonen in ihrer aktiven Entwicklungstätigkeit aus.
Ein weiteres prägendes und inspirierendes Erlebnis war der Besuch im anatomischen Institut der Universität Göttingen, wo ich die Blechschmidt-Sammlung der Totalrekonstruktionen von Embryonen besuchte. Herr Prof. Dr. med. Erich
Blechschmidt (1902-1992), von 1942 bis 1973 Direktor des Anatomischen Instituts
der Universität Göttingen, stellte sich in umfangreichen Forschungsarbeiten die Frage, inwieweit eine fruchtbare Synthese von der Leichenanatomie zur Physiologie
möglich ist. Mit dem Studium seines Lebenswerks, seiner Bücher, zahlreicher Veröffentlichungen und der Dokumentation zur Kinetischen Anatomie (Kapitel IV, 4.) des
menschlichen Embryos eröffnete sich mir eine plastische und sprachliche Ausdrucksweise der Morphologie als lebendigem Werdeprozess – in kontinuierlicher
Gestalt annehmender Bewegung, die mich sehr berührt. Erich Blechschmidt begründete die kinetische Entwicklungstheorie (Kapitel V, 6.). Der Aspekt der Bewegung als
Entwicklungsbewegung mit der funktionellen Bedeutung der Gestaltungsfunktion als
Grundfunktion der Organe wirkt extrem elektrisierend auf mich. Ein ungeheurer Wissensdurst wird in mir genährt.
Die Herren Blechschmidt und van der Wal sind beide der gleichen Ansicht, dass die
Gene allein nicht genügen für die Entwicklung. Beide beschreiben sie den Entwick-
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lungsreiz als von ausserhalb in die Zelle eintretend. Die Gene leiten daraufhin den
nächsten Entwicklungsschritt ein. Ohne Gene fehlen die zentralen Angriffspunkte für
die Entwicklungsreize und ohne Entwicklungsreize bleiben Gene bedeutungslos. Im
Wechselspiel zwischen unspezifischem Reiz von aussen und spezifischer Reaktion
im Zellinneren regulieren die hochmolekularen Gene Reizwirkungen, die sonst Störmomente bedeuten würden. Die Kompensationen äussern sich als Entwicklungsschritte. Blechschmidt nimmt als Grundgeschehen von diesen Vorgängen einen intrazellulären Kreislauf von Stoffwechselbewegungen in Richtung von der Zellgrenzmembran zum Zellkern und von da wieder zurück zur Zellgrenzmembran an. Diesen
Kreislauf sieht er als eine Voraussetzung für die Beziehung zwischen den Anlagen im
Inneren der Zellen und ihrem äusseren Erscheinungsbild.
Entgegen der üblichen Anschauung, wonach ein Embryo gerade noch nicht menschlich ist, weil noch nicht alle Organe angelegt sind oder das anatomische Hirnsubstrat
gerade noch nicht ausreichend gereift ist, bejahen beide den Embryo als menschlichen Organismus vom ersten Tag an - aktiv arbeitend am Akt der Differenzierung
„aus seiner Ganzheit heraus“ (Jaap van der Wal) und „wachsend von Anfang an
durch menschlich spezifische Stoffwechselvorgänge, die der Embryo gegen Widerstand, also durch Arbeit leistet“ (E. Blechschmidt). Beide lehnen die darwinsche Evolutionstheorie ab - Blechschmidt mit der Begründung, Darwin habe nicht „exakt genug geforscht“?.
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III
Meine Frage:
Wie manifestiert sich der Primäre Atemmechanismus
in der embryonalen Entwicklung des Menschen?
Die Idee zu dieser Fragestellung hat in Jaap van der Wals Seminar Bestärkung erfahren. Die partizipierenden Phänomenologie anwendend habe ich mir gedacht:
Wenn der Mensch in der embryonalen Phase seine seelischen und seine körperlichen Funktionen vorübt, dann muss es für einen physiologischen Vorgang, wie den
Primären Atemmechanismus auch eine frühe Vorform als Wachstumsgebärde oder
eine Entwicklungsphase geben.
Um eine mögliche Antwort zu finden, musste ich mich viel tiefer greifend mit der Humanembryologie auseinandersetzen und erst einmal viel lernen.
Weil das immer spannender und interessanter wurde, sind die Ausführungen zur
embryologischen Entwicklung aus verschiedenen Blickwinkeln recht umfangreich
geworden.
In Blechschmidt’s Forschungsaufzeichnungen hat sich meine Frage als berechtige
These erwiesen. Er spricht von den Wachstumsfunktionen der Zellen und Organen
als deren Grundfunktion, die als frühe Tätigkeit – Gestaltungsleistungen - die späteren organspezifischen Leistungen einleiten. Warum also sollte das Zusammenwirken
von Gehirn/Liquor/cranialem und spinalem Membransystem und ihre inhärente Bewegung mit den beweglichen Schädelknochen nicht schon in diesem Werdeprozess
anlagemässig gefunden werden können?
Ich gehe der Forschungsarbeit von Erich Blechschmidt so ausführlich nach, wie ich
es für mein inneres Vorstellungsvermögen brauche, bis Werden, Wachsen von Zellen, Geweben und Stoffwechselabläufen innerlich zusammenhängend verständlich
und lebendig werden.
Meine Frage hat ihre Wurzeln in meiner alltäglichen, beruflichen Tätigkeit. Sie ist
verbunden mit Palpation von subtilen Bewegungsvorgängen, hat also mit Sinneswahrnehmung zu tun. Ich nähere mich Blechschmidt’s Forschungsergebnissen in
Schriftsprache ausgedrückt daher in einer eher empfindenden Art und Weise, eher
im Sinn von innerlichem Ertasten und Abtasten seiner Untersuchungen und Gedankengängen. Innerlich abwägend suche ich sie nach Aufschluss, Illustration oder auch
Erklärung zu Ursprung und Beginn dieses physiologischen Vorganges des Primären
Atemmechanismus ab.
Weitere Grundlagen bieten mir die „Funktionelle Embryologie“ und die „Morphologie
des menschlichen Organismus“ von Prof. (em.) Dr. med. Johannes W. Rohen, Anatomisches Institut, Universität Erlangen-Nürnberg sowie Bücher von Prof. Dr. med.
Ulrich Drews, Universität Tübingen, Prof. Dr. med. Thomas W. Sadler, Direktor für
Zellbiologie und Anatomie an der University of North Carolina, USA, und Prof. Dr.
med. Ronan O’Rahilly, Institut für Spezielle Embryologie, Universität Fribourg,
Schweiz.
Weitere Literaturangaben finden sich im Verzeichnis im Anhang.
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IV
Der Primäre Atemmechanismus
Dr. William Garner Sutherland, Doctor of Osteopathy (D. O.), 1873 – 1954 hat anhand langjähriger Studien erforscht, dass den Schädelknochen eine spezifische Eigenbewegung bis ins hohe Alter erhalten bleibt. „Die Annahme, dass der Schädel eine rigide Struktur ist, entspricht der Schlussfolgerung aus trockenen, entfetteten Körpern aus dem Labor. Bei Forschungsexperimenten an lebenden Strukturen ist die
physiologische Präsenz einer normalen, wenn auch minimalen Bewegung oder ihre
pathologische Restriktion ziemlich offensichtlich.“ (Magoun, Osteopathie in der Schädelsphäre).
Der Primäre Atemmechanismus (PAM)
Cranio-rhytmyc-impuls (CRI)
Der Primäre Atemmechanismus (PAM) ist der bildliche Ausdruck, den William G.
Sutherland seinem cranialen Konzept in der Wissenschaft der Osteopathie zugrunde
gelegt hat. Sein Leben war gänzlich der Forschung (Beobachtungen und Experimenten am lebenden Menschen - an sich selbst und später auch an Patienten) gewidmet. 1939 trat er mit einem kleinen Buch „The cranial Bowl“ erstmals an die Öffentlichkeit. Das Buch ist eine wichtige Grundlage für Osteopathen, Therapeuten und
Wissenschafter. Darin ist vom Schädel als einem membranösen Gelenkmechanismus die Rede, welcher die Existenz einer simultan stattfindenden Bewegung in den
Schädelsuturen und im Kreuzbein beschreibt. Schädel und Kreuzbein sind verbunden durch die kraniale und die spinale Dura. Eine muskuläre Ursache für eine derartige Bewegungssynchronisation existiert nicht – die Quelle oder der Motor muss also
woanders gesucht werden, was bis heute Gegenstand von Untersuchungen und Diskussionen ist.
Der Cranio-rhythmic-Impuls (CRI) sollte ursprünglich unabhängig von den Erklärungsversuchen dieses Rhythmus nur die messbare, physiologische unwillkürliche
und rhythmische Expansions- und Retraktionsbewegung am Schädel, insbesondere
am Asterion (Verbindungsstelle von Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptsbein) umschreiben. Der Begriff wurde von den Osteopathen und Psychiatern Woods, J. M.
und Woods, R. H. geprägt, damit andere Ärzte diese Bewegung palpieren und bewerten konnten, ohne mit der Idee des Primär Respiratorischen Mechanismus konfrontiert zu werden.
IV 1. Zum Begriff des Primären Atemmechanismus (PAM)
(Liem, Torsten, Kraniosakrale Osteopathie)
Anstelle von Primärem Atemmechanismus wird häufig auch der Begriff Primärer respiratorische Mechanismus (PRM) gebraucht. Sie meinen beide das Gleiche.
Der Mechanismus wird „primär“ genannt, weil er direkt mit der inneren Gewebeatmung des Zentralnervensystems, das die Lungenatmung und die gesamte Körperfunktionen reguliert, verbunden ist. Dabei ist die Anwesenheit von physiologischen
Zentren am Boden des 4. Ventrikels, die für die Lebensprozesse notwendig sind, für
Sutherland’s Einschätzung von primärer Bedeutung für den gesamten Mechanismus.
Ausserdem tritt der Primäre Atemmechanismus nach Angabe einiger Osteopathen
bereits ungefähr im 5. Fetalmonat auf und ist noch Minuten bis Stunden nach dem
Tod wahrnehmbar. (Liem, Torsten)
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Sutherland selber bezeichnet im Gegensatz dazu die Lungenatmung als sekundär
respiratorisches System, da diese durch die primäre Atmung kontrolliert wird.
Der Mechanismus wird „respiratorisch“ genannt, weil er einen rhythmischen Vorgang darstellt, der mit Austauschprozessen zu tun hat. Er stellt einen Stoffwechsel
dar, der sich zuerst intrakranial abspielt und in Verbindung steht mit dem Nervensystem und dem Liquor cerebrospinalis (LCS). Aber durch die rhythmische Drainage der
gesamten Körpergewebe spielt er auch eine bedeutende Rolle bei der Gewebeatmung des gesamten Organismus. Die Gewebeatmung des Nervensystems wie des
übrigen Körpers verläuft autonom und unwillkürlich.
„Mechanismus“ wird er genannt, da er aus Teilen besteht, die zusammen den Mechanismus oder Motor für den CRI bilden. Der Mechanismus betrifft den ganzen Körper als physiologische Funktionseinheit.
Sutherland beschreibt fünf Phänomene, die ihm zugehörig sind.
IV 2. Die fünf Merkmale des Primär Respiratorischen Atemmechanismus
(Hartmann, Christian, Das grosse Sutherland-Kompendium, Unterweisung der Wissenschaft der Osteopathie)
1.
2.
3.
4.
5.
Die Fluktuation der zerebrospinalen Flüssigkeit (Liquor cerebrospinalis,
LCS)
Die „Funktion der Reziproken Spannungsmembran“, eine Mobilität (Beweglichkeit) der intrakranialen und intraspinalen Membranen
Die „Motilität des Neuralrohrs“, eine angeborene Motilität (inhärente Bewegung) von Gehirn und Rückenmark
Die Mobilität, Beweglichkeit der Schädelknochen
Die unwillkürliche Mobilität (Beweglichkeit) des Kreuzbeines zwischen den
Beckenknochen
IV 3. Die Fluktuation der Zerebrospinalen Flüssigkeit
Sutherland bezeichnet ein unsichtbares Element innerhalb der Zerebrospinalen Flüssigkeit als den Atem des Lebens – eine Art Flüssigkeit innerhalb der Flüssigkeit, etwas, das sich nicht vermischt. Er vergleicht es mit den Meeresgezeiten – ein Hereinkommen und Hinausgehen. Die Fluktuation der Tide ist eine Bewegung, die durch
Inhalation anflutet und durch Exhalation verebbt. Nicht die Wellen, welche der Küste
entlangrollen, sind die Gezeiten. Die Bewegung der Tide ist die Bewegung des gesamten Wasserkörpers namens Ozean. Die Kraft in der Tide nennt Sutherland Potency, Intelligenz in den Gezeiten. Er wollte die Potency, die Intelligenz in der Fluktuation der zerebrospinalen Flüssigkeit verstanden wissen. „Und dass der Atem des
Lebens in diese Gestalt aus Lehm geblasen und der Mensch so zu einer lebendigen
Seele wurde“. Ein Punkt in der Mitte zwischen Inhalation und Exhalation – ein Balancepunkt im Zentrum der Tide wollte er seinen Studenten verständlich machen als
„The Still Small Voice“. Mit Verstehen dieser kleinen ruhigen Stimme sollte es möglich werden, die Reziproke Spannungsmembran an den Balancepunkt hinzuführen.
Das Ventrikelsystem mit dem Liquor cerebrospinalis (LCS) ist besonders schwierig
zu untersuchen, denn beim Öffnen werden die hydrodynamischen Bedingungen, unter denen es normalerweise existiert, verändert.
Trotzdem gibt es nach Liem (Kraniosakrale Osteopathie) Anhaltspunkte, die dafür sprechen,
dass die Flüssigkeit nicht oder nicht nur zirkuliert, sondern vielmehr fluktuiert. Die
Fluktuation kommt durch die rhythmische Füllungs- und Entleerungsphase der
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Ventrikel zustande. Liem beschreibt weiter, dass sich die Fluktuation nicht nur in Gehirn und Rückenmark ausbreitet, sondern durch die Mikrotubuli in den Körperfaszien
im gesamten Körper. Die Mikrotubuli sind hohle Kollagenfasern mit einem Durchmesser von ca. 0.5 µ. Die intrakranialen und intraspinalen Membranen setzen sich
an den Nervenaustrittsstellen des Schädels und der Wirbelsäule in den Nervenscheiden der austretenden Nerven fort. Dabei gelangt auch LCS entlang dieser Nervenscheiden in das extrakraniale System. Von den Nervenscheiden kommt der LCS über diese Mikrotubuli mit den extrazellulären Räumen und sogar der Lymphe in Kontakt.
IV 4. Die Reziproke Spannungsmembran
Mangels einer muskulären Unterstützung für die Bewegung zwischen den Schädelknochen an den Suturen muss die Erklärung für diese Gelenkbewegung anderweitig
gesucht werden. Die knochenverbindende Struktur der einzelnen Schädelknochen
untereinander ist die intrakraniale Dura. Sutherland spricht von ihr einerseits unter
dem Gesichtspunkt der kontinuierlichen Spannung und andererseits aus dem Blickwinkel des Fulkrum. Die Funktion der beiden zusammen stellt das zweite Prinzip des
primären Atemmechanismus dar.
Abb. 1 Kraniale Reziproke Spannungsmembran
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Laboratorische Dissektion geben Falx cerebri und Tentorium cerebelli die Bedeutung
der Grosshirnabstützung, der Abgrenzung vom Kleinhirn und der zusätzlichen Aufgabe der Schockabsorption und Stressverarbeitung. In ihrer lebendigen Physiologie
sollten die cranialen Membranen darüber hinaus als drei untereinander verbundene,
sichelförmige Strukturen betrachtet werden. Um das Gleichgewicht der Membranbewegung und –spannung in allen Richtungen zu gewährleisten, müssen die Membranen von einem Fulkrum, einem Ruhepunkt aus operieren. Dieser Ruhepunkt muss
schwebend aufgehängt sein, um sich automatisch bewegen zu können, damit eine
gleichmässige physiologische Bewegung der Schädelknochen gesichert ist, wenn
Veränderungen auftreten. Er liegt im Verlauf des Sinus rectus, der durch die Vereinigung der Falx cerebri mit dem Tentorium cerebelli und der Falx cerebelli gebildet
wird. Dieser Ruhepunkt wurde zu Ehren ihres Entdeckers „Sutherland-Fulcrum“ genannt. Ein weiterer Begriff dafür ist „automatic shifting suspended fulcrum“.
Die Membranen besitzen sekundäre Anheftungspole an verschiedenen Schädelknochen, um ihre Leit- und Regulierungsfunktion für die kraniale Gelenkbewegung erfüllen zu können. Ihre Anheftungen sind V-förmig, umschliessen die grossen Hirnvenenleiter und können damit die Drainagefunktion im Schädelbereich beeinflussen.
Viele Anatomiebücher illustrieren das.
Die Falx cerebelli erstreckt sich vom Sinus rectus nach caudal zum Foramen magnum und vereint sich hier mit der intraspinalen Membran. „So entsteht die extrem
wichtige Verbindung zwischen dem membranösen Gelenkmechanismus des Schädels und des Kreuzbeins.“ (Magoun, Osteopathie in der Schädelsphäre). Die Verbindung ist wie ein
im Wirbelkanal freihängender Schlauch, der das Rückenmark umhüllt. Dieser
Schlauch ist nur am Foramen magnum, an C2 und C3 sowie ab S2 nach unten fest
verankert. So besteht bei normaler Beweglichkeit der Wirbelsäule nie Verletzungsgefahr für das Rückenmark.
Die intracranialen und intraspinalen Membranen erstrecken sich als Reziproke Spannungsmembran in die Foramina der Schädelbasis und die Foramina intervertebrales
bis in die Scheiden der Nerven und Blutgefässe. Damit ist die Verbindung zum Fasziensystem des übrigen Körpers gegeben.
Sutherland vergleicht die Funktion der Reziproken Spannungsmembran mit dem
Tauziehen von Gruppen an jedem Ende eines Seils. Das Seil stellt die Reziproke
Spannungsmembran dar. Das Seil wird hierhin und dorthin gezogen – und es bleibt
dabei kontinuierlich unter Spannung. Die Gruppen kommen vielleicht vorübergehend
an einen Punkt der Balance, zu einem Punkt der Stille. Dies entspräche dem Fulkrum
einer Waage.
Folgen abnormer duraler Spannungen (Liem, Kraniosakrale Osteopathie)
•
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•
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Venöse Abflussstörungen des Schädels, verminderte Drainage des Gehirns
Vaskuläre Versorgungsstörungen der Hirngewebe
Störungen der Fluktuation der Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit
Kopfschmerzen, intrakraniale und retroorbitale Schmerzen über die sensible Innervation der Duralmembran (Hirnnerve V, X und erste drei Zervikalnerven)
Gesichtsschmerzen, abnorme Spannungen der Kaumuskulatur (Hirnnerv V)
Funktionsbeeinträchtigung aller Hirnnerven und Hirnnervenganglien, z.B. an Durchtrittstellen im Schädel und an den intrakranialen Duralmembranen sowie an den Umhüllungen der Hirnnerven
Bewegungseinschränkungen der Schädelknochen und des Sakrums
Funktionsstörungen der Spinalnerven (Druchtrittsstelle durch die Dura mater)
Beeinträchtigung der Hypophyse (Diaphragma selli)
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IV 5. Die Motilität der Neuralröhre
(Hartmann, Das grosse Sutherland-Kompendium: Unterweisung in der Wissenschaft der Osteopathie, I-30-31; Die Schädelsphäre III-28)
Physiologische Aktivität manifestiert sich als Bewegung der Zellen, die mechanische
Merkmale besitzen, also Motilität – eine inhärente aktive Eigenbewegung. Die Motilität des Neuralrohrs, das heisst, die Motilität von Gehirn und Rückenmark ist eine
wichtige Aktivität des lebendigen Körpers, deren Ursprung sinnvollerweise in der
embryonalen Phase mit der Entwicklung des Neuralrohrs gesucht werden kann (Sutherland). Die Motilität der Nervenzellen, besonders der Gehirnzellen übernimmt im
Ausdruck des Primären Atemmechanismus eine mechanische Funktion. Deshalb hat
das Neuralrohr neben seiner neurophysiologischen Aktivität, der Übermittlung von
Nachrichten, auch eine mechanische Aktivität.
Dies ist eine unwillkürliche rhythmische Bewegung, die sich auch auf das Ventrikelsystem auswirkt. Seine Form ändert sich rhythmisch und beeinflusst so die zirkulierende Aktivität der Zerebrospinalen Flüssigkeit. Diese zirkulierende Aktivität bewirkt
eine Bewegung der Membrana arachnoidea und der Dura mater. Als Reziproke
Spannungsmembran (siehe oben) bewirkt sie eine Mobilität in den Gelenken der
Schädelbasis und des Gesichtsschädels. Auch die Mobilität der direkt aus Kopfmesoderm entstehenden Knochen des Schädeldaches passt sich dieser Motilität innerhalb von Gehirn und Rückenmark und der Fluktuation der zerebrospinalen Flüssigkeit an.
Flexions- und Extensionsphase im Gehirn manifestieren sich aus einer langsamen und rhythmischen Aufund Entrollung der Grosshirnhemisphären. In der einen Phase verkürzt sich ihr
longitudinaler Durchmesser,
während sie sich nach lateral
verbreitern, in der anderen
Phase verlängern sie sich in
ihrem longitudinalen Durchmesser und verengen sich
lateral.
Abb. 2
Das Ventrikelsystem wird in diese rhythmische Bewegung mit einbezogen. Die lateralen Ventrikel expandieren in ihrer widderhornartigen Form. Der dritte Ventrikel expandiert V-förmig und der vierte rautenförmig, während das am Foramen magnum
fest verankerte Rückenmark nach oben gezogen wird und die Zerbrospinale Flüssigkeit innerhalb des Spatium subarachnoidale und den Ventrikeln fluktuiert.
Während der Phase der Exhalation des Rückenmarks entspannen sich die Gyri, die
Ventrikel ziehen sich zusammen, das Rückenmark sinkt abwärts und die Zerebrospinale Flüssigkeit fluktuiert erneut innerhalb des Spatium subarachnoidale und den
Ventrikeln.
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Sutherland beschreibt den Spatium subarachnoidale unterhalb des Gehirns als Wasserbett, auf dem das Gehirn nicht nur ruht, sondern als seine basiläre Wiege schaukelt.
IV 6. Die Mobilität der Schädelknochen
Sutherland hat die Nähte
zwischen den Schädelknochen in ihrer Verschiedenheit aufs Genaueste erforscht und für
jeden Knochen ihm zugehörige
Bewegungen
entlang seiner Nähte definiert. Die unpaaren
Knochen (Sakrum, Okciput, Sphenoid, Os frontale und ethmoidale bewegen sich in der Flexionsphase um eine transversale Achse entlang einer
Mittellinie. Paare Knochen (Ilea, Ossa parietalia, temporalia, Maxillae)
drehen um bestimmte
Drehachsen von der MitAbb. 3 Bewegungsrichtung der unpaaren Knochen in der Inspirationsphase
tellinie weg. In der Extensionsphase bewegen
sich die Knochen zurück.
IV 7. Die unwillkürliche Mobilität des Sakrums zwischen den Beckenknochen
Es handelt sich hier um eine Bewegung, die durch die Reziproke Spannungsmembran vermittelt wird – und nicht um eine haltungsbedingte Mobilität der Beckenschaufeln in Bezug auf das Sakrum. (Abb. 3)
IV 8. Die Funktion des Primären Atemmechanismus
Der Bewegungsausschlag ist zwar minimal, nichtsdestotrotz ist er bedeutend für folgende Funktionen:
• Homöostase, Gleichgewichtsregulation der physiologischen Körperfunktionen
• Optimales Funktionieren der Organe
• Wesentliche Rolle bei der inneren Gewebsatmung
• Rhythmische Förderung des Stoffwechselaustausches in jeder einzelnen Körperzelle
Die Funktionen werden dank den offenen Verbindungskanälen in Schädel- und Wirbelsäulenbereich vom Fasziensystem ins gesamte Körpersystem übertragen.
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Rosmarie Walthert, Diplomarbeit, CSO-Schule R. Merkel, Zürich, 2005
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IV 9. Der Rhythmus
Puls und Atmung beeinflussen die Druckverhältnisse im Gehirn. Es gibt darüber hinaus wellenförmige Bewegungen, die weder mit dem Herz- noch mit dem Atemrhythmus zusammenhängen, sondern konstant ihren eigenen Zyklus beibehalten. Es gibt
unterschiedliche Beobachtungen zum Zyklus des cranio-rhythmic-impuls. Man kann
zwischen 6 – 12 Bewegungsphasen pro Minute zählen. Andere Osteopathen haben
von einer grossen Gezeitenbewegung gesprochen mit einer Frequenz von 6 – 10
Zyklen. James Jealous beschreibt eine Potency Tide (Mid Tide) mit 2.5 Zyklen pro
Minute und die noch langsamere Long Tide mit einem Zyklus von 90 bis 100 Sekunden. Diese letzte Tide ist von Jealous als Manifestation der Dynamischen Stille bezeichnet worden. Er legt sie in der ventralen Mittellinie, der Chorda dorsalis an (vgl.
Kapitel VII, 1.3.).
IV 10. Erklärungsmodelle für den Primären Atemmechanismus
(Liem, Torsten, Kraniosakrale Osteopathie)
Die Motilität entsteht durch die rhythmische Kontraktion der Oligodendrogliazellen. Schon Leland Clark hatte an Tierexperimenten mit Katzen solche Aktivitäten
festgestellt. Andere Forscher haben Neurogliazellen in Gewebekulturen angesetzt
und ihre rhythmische Pulsation beobachtet.
Upledger, John E. räumt diesen Kontraktionen nicht genügend Kraft ein, den
CRI aufrechterhalten zu können. Er hat das Druckausgleichsmodell geschaffen. Es
besagt, dass die Zerebrospinale Flüssigkeit durch den Plexus choroideus im Ventrikelsystem wesentlich schneller erzeugt wird, als die Liquorresorption durch die Arachnoidkörper zurück in den venösen Kreislauf stattfinden kann. Erfolgt die Liquorerzeugung schneller als die Resorption, so entsteht eine obere Druckgrenze. Sobald
der hydrostatische Druck im Schädelinneren die Schädelnähte auf eine bestimmte
Weite auseinander drückt, wird ein Streckreflex in der Knochennaht aktiviert, der dem
Ventrikelsystem des Gehirns befiehlt, die Liquorerzeugung einzustellen. Der hydrostatische Druck sinkt, weil bei unterbrochener Produktion die Resorption weiterhin
stattfindet. Sobald ein unterer Schwellenwert erreicht wird, schaltet sich die Liquorerzeugung wieder ein. Diese rhythmische Druckerhöhung und –senkung verursacht ihrerseits die rhythmische Veränderungen der Grenzen des teilweise geschlossenen
hydraulischen Systems.
B. Cabarel und M. Roques untersuchten die Beziehung des PRM auf die Faszien. Sie stellten eine Hypothese auf über den Einfluss des PRM und der Flexionund Exspirationsphase auf die Bindegewebe und Faszien des Körpers. Danach besteht ein Zusammenhang zwischen dem Elektrolytspiegel in der Grundsubstanz und
der Exspirationsphase, wo der Liquor cerebrospinalis und die extrazelluläre Flüssigkeit aus den extrazellulären Räumen verdrängt wird. Besonders untersucht haben sie
in diesem Zusammenhang Hyaluronsäure und das Enzym Hyaluronidase in der
Grundsubstanz des Bindegewebes und der Gelenkflüssigkeit. Sie beeinflussen Gewebsviskosität und Permeabilität.
Wenn man auf der Entwicklungswachstumsebene nach dem Ursprung der Eigenbewegung sucht, ist es nach Liem das Stirnbein (er meint vielleicht die Dura oder
darin wachsende Ossifikationszentren, Anm. der Verfasserin), das das Wachstum
der Grosshirnhemisphären nach anterior begrenzt, so dass sie sich widderhornartig
nach hinten einrollen und sich in ihrer Entstehung nach superior (Lobus frontalis),
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posterior (Lobus parietalis), inferior (Lobus occipitalis) und nach anterolateral (Lobus
temporalis) bewegen.
Nach Blechschmidt ist es die Dura, die die neuralen Strukturen im Längenwachstum hemmend beeinflusst und sie dazu bringt, sich einzurollen. Ausserdem
führt die langsamer wachsende Anlage von Herz und Arterien dazu, dass das Neuralrohr sich mehr und mehr einrollt. Hier setze ich mit meinen Überlegungen zum Ursprung des Primären Atemmechanismus an.
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V
Embryologie
V 1. Die Bedeutung der Embryologie für die Praxis
Die Embryologie ist für uns Praktiker die Grundlage für das Verstehen vieler struktureller, physiologischer, funktioneller und dysfunktioneller Zusammenhänge, die wir
palpatorisch und therapeutisch erfassen.
Mit dem Verständnis von Eigendynamik des Gewebewachstums und der Entwicklungsdynamik der Gewebe in Wechselwirkung zueinander können strukturelle Dysfunktionen zum Zeitpunkt der Untersuchung in Beziehung zueinander gebracht werden. Strukturelle Funktionsstörungen können aber auch unter dem Gesichtspunkt
des Zeitfaktors verstanden, wahrgenommen und behandelt werden - also der Zeit,
die seit der Dynamik von prä- und postnatal entstehenden Relationen und den jetzigen Verhältnissen der Strukturen vergangen ist.
Die Kenntnis der embryologischen Wachstumsbewegungen gibt dem Praktizierenden
eine Orientierung darüber, wie sich inhärente, eigenständige Bewegungen der einzelnen Strukturen im optimalen Zustand anfühlen. Neben biomechanischen Bewegungsachsen in Gelenken und anderen Strukturen existieren auch embryologische
dynamische Bewegungsachsen. Sie beruhen auf dem jeweiligen Wachstums- bzw.
Gestaltungsprozess der Strukturen und bestehen auch nach Abschluss des Wachstums als inhärente Bewegungen in den Geweben weiter.
So wie in der Psychotherapie traumatische Erlebnisse besonders der frühen Lebensjahre die weitere Persönlichkeitsentwicklung beeinflussen können und durch Bewusstwerdungsprozesse die Einschränkungen aufgelöst bzw. integriert werden können, so ist eine Herangehensweise auch bei der Arbeit mit dem Gewebe grundsätzlich möglich. Indem der Praktizierende seine Aufmerksamkeit auf die inhärenten
Spannungen und Gewebebewegungen richtet, ist er in der Lage, durch nach- oder
vorgeburtliche Einflüsse oder Traumata entstandene Gewebespannungen zu palpieren und sich auflösen zu lassen.
Wenn in der Pränatalpsychologie von pränataler Existenz oder pränataler Erfahrung
gesprochen wird, ist meist die fetale Existenz gemeint, also erst die Phase mit prinzipiell vollständig ausgebildetem Körperplan und angelegten Organsystemen. In der
Pränatalpsychologie geht man davon aus, dass Transformationen oder Variationen
der frühesten pränatalen Erfahrungen in späteren Lebensphasen erneut erlebbar
sind, sogar solche, die stattfanden, bevor unser Nervensystem sich entwickelt hat.
Dabei stellt sich die Streitfrage, ab wann ein Embryo in der Lage ist, „zu erleben“ und
motiviert zu handeln, wenn man konventionellerweise davon ausgeht, dass Seelenleben und Verhalten nur bei einem funktionsfähigen Nervensystem möglich sind.
Biologisch gesehen umfasst das pränatale Leben aber auch die Phase des embryonalen Lebens der ersten 8 – 10 Wochen, das aus Organogenese und Somatogenese
besteht. Ich gehe in dieser Arbeit davon aus, dass der Mensch von Anfang an „bewusst“ seine Entwicklung erlebt und gestaltet. Jaap van der Wal und Erich
Blechschmidt vertreten beide den Standpunkt, dass diese Entwicklung in der embryonalen Phase ausschliesslich eine morphologische ist.
Diese Arbeit zielt nicht darauf ab, Gewebeabnormitäten mit Aethiologie in der embryonalen Phase (Teratologie) aufzufinden oder deren Behandlung zu erklären. Es geht
vielmehr darum, Grundlagen dafür zu sammeln, wie der Primäre Atemmechanismus
als physiologischer Vorgang seine Funktion aufnimmt.
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V 2.
Geschichtlicher Überblick über die Untersuchung der Humanembryologie
Drews, Ulrich, Taschenatlas der Embryologie, Georg Thieme Verlag, 1993
Die Schwierigkeit für die Untersuchung der embryologischen Entwicklung des Menschen stellte das Anschauungsmaterial dar. Erstens war es schwierig zu Einzelexemplaren menschlicher Embryonen zu kommen, zweitens war es noch schwieriger,
sie altersmässig zu bestimmen, weil das Datum der Konzeption meist nicht bekannt
war.
1908 wurde eine erste „Normentafel“ der menschlichen Entwicklung von Keibel et
al. herausgegeben. Es war der Versuch, die damals bekannten Einzelexemplare von
menschlichen Embryonen in einer Entwicklungsreihe anzuordnen.
1914 wurde das „Department of Embryology of the Carnegie Institution of Washington“, benannt nach dem Industriellen und Philanthropen Carnegie, begründet.
Begründer war Franklin P. Mall, ein Schüler von Keibel
1942 G. L. Streeter ordnet die Embryonen der Carnegie-Sammlung in beschriebene
Entwicklungsstadien auf Grund von Gestaltmerkmalen ein. Jedem Stadium wird
entsprechend dem Auftreten von Gestaltmerkmalen ein zeitlicher Bereich zugeordnet. („Developmental Horizons I – XXIII“)
1987 setzte Ronan O’Rahilly diese Arbeit fort.
1999 wurde die Zuordnung mit den neuen Möglichkeiten der Ultraschalluntersuchung
revidiert.
1942 – 1956 wurden auch die frühen Implantationsstadien des Menschen beschrieben. A. T. Hertig, Pathologe und J. Rock, Gynäkologe, begannen in dieser Zeit systematisch die Schleimhaut von 210 aus chirurgischer Indikation entfernten Gebärmüttern sorgfältig nach Implantationsstellen abzusuchen. So konnten sie die CarnegieSammlung um 34 Embryonen erweitern.
Erich Blechschmidt klassifizierte seine Sammlung menschlicher Embryonen nach
den Carnegie-Stadien und fügte seine Exemplare der Carnegie-Sammlung ein.
Abb. 4 zeigt eine Übersicht der Frühentwicklung in der 1. bis zur 3. Woche. Abb. 5
stellt die eigentliche Embryonalperiode bis zur 8. Woche mit den beschriebenen Entwicklungsstadien nach Gestaltmerkmalen dar.
Für meine Diplomarbeit sind folgende Embryonalperioden von besonderer Bedeutung: Ab ca. 15. Tag die Bildung von Primitivstreifen, Primitivgrube, Chordafortsatz,
Axialkanal und die Induktion der drei primitiven Achsenorgane Chorda dorsalis, Somiten und Neuralrohr (Neuralplatte entsteht ca. am 23. Tag, die eigentliche Neuralrohrbildung bis ungefähr am 28. Tag). Mit der Invagination der Ektodermzellen in den
Primitivstreifen entsteht das Mesoderm als dritte Keimschicht. Damit wird eine elementare Funktionsgliederung des späteren Organismus gespiegelt. Schon hier sei
darauf hingewiesen, dass Erich Blechschmidt für seine raum-zeitlich beschreibende
Gestaltungsanatomie wenig von den drei bekannten Keimschichten spricht, weil er
die Wachstumsbewegungen von Zellverbänden direkt in Lagebeziehungen zueinander untersucht.
Besonders eingehen werde ich auf die laterale und die craniocaudale Abfaltung zur
„Körpergrundgestalt“ (nach Seidel) - der damit einhergehenden Anlage aller elementaren Funktionsbereiche des Embryos.
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Abb. 4 Frühentwicklung 1. bis 3. Woche
Abb. 5 Embryonale Entwicklungsstadien
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V 3.
Der Mensch als Embryo zwischen Himmel und Erde
Herr Dr. med. Jaap van der Wal habilitierte an der Universität Maastricht im Bereich
der menschlichen Propriocepsis (Bewegungssinn). In diesem Zusammenhang stellte
sich ihm die Frage: was bewegt uns? Sein Hauptinteresse gilt den Bereichen der
menschlichen Embryologie und angrenzenden Disziplinen wie Genetik, Entwicklungsbiologie und Philosophie der Wissenschaft. Wichtige Quellen der Inspiration
sind für ihn die Anthroposophie von Rudolf Steiner sowie phänomenologische Philosophie und die wissenschaftlich phänomenologischen Arbeiten von Goethe.
Seine Ausführungen kommen von der gängigen Embryologie her. Aber er versucht,
den Blickwinkel zu erweitern zu einer „Embryosophie“. Er führt zu einem mit- und
nachgefühlten Verstehen der Embryonalentwicklung als fortwährend sich änderndem
und metamorphosierendem Zusammenhang von Formen und Formprozessen. Mit
Hilfe der goetheanischen phänomenologischen Anschauungsmethode kann die
„Gestik“ dieser Prozesse als menschliches Verhalten aufgefasst werden.
Einige Aussagen von Jaap van der Wal, die umfassendes Wahrnehmen der Entwicklungsprozesse fördern:
Primär ist die Einheit, sekundär sind die Teile. Das Wissen um die Teile ist reduzierte Kenntnis. Die partizipierende Kenntnis umfasst auch die reduzierte Kenntnis.
Das wissenschaftliche Menschenbild zieht Grenzen, weil es keine Methoden
kennt, über Jenseitiges etwas auszusagen. Es sind einzig konzeptionsmässige
Grenzen, weil die Methoden fehlen. Die Konsequenz daraus ist leider, dass mangels
einer Erfassungsmethode nur richtig sein kann, was innerhalb der Konzeptgrenzen
möglich ist.
„Biologische Systeme benehmen sich“ (Zitat des Biologen Weiss). Die Definition von „sich Benehmen“ als Bezeichnung für Handeln und Tun wird weitergeführt
zu „sich Ausdrücken in ununterbrochen sich veränderndem morphologischem Aussehen“. Das heisst, dass ich die sich ständig verändernde Form in der ganzen Zeit
und in ihrem Ganzen lesen soll. Eine Analogie: Die Rose in der Vase ist nicht wirklich
die Rose. Ich muss den Faktor Zeit in meinem Bild der Rose mit einbeziehen: vom
Samen, zur Pflanze, zur Knospe, zur Blume und weiter zum verwelkenden Stadium.
Erst die Formen all dieser Stadien in ihrer Zeit sind die Rose.
Die Lebenswelt soll nicht nur als Beobachter, also von ihr abgespaltet, betrachtet werden. Man soll ihr nicht gleichermassen nur von aussen zuschauen. Er
fordert auf, an der Realität teilzunehmen, sich herzensmässig mit ihr zu verbinden.
„Nur der partizipierende Körper hat Geist.“ „Ich erfahre, also bin ich“. Oder: „Ich fühle,
also bin ich“ Aus: Damasio, A. R., Descartes’ Irrtum. Die Lebenswelt kann in Verbindung erfahren
werden (primäre Lebenswelt) oder in Abgrenzung beobachtet werden (sekundäre
Lebenswelt). Beides gehört wertfrei zusammen. Die primäre Lebenswelt kennt die
sekundäre, aber die sekundäre Lebenswelt kennt die primäre nicht. Die sekundäre
Lebenswelt ist notwendig aber nicht genügend. Für die Embryonalphase gilt demnach das Beispiel: DNA und Gene sind notwendig aber nicht genügend.
Es ist ein Unterschied, ob ich sage, ich habe einen Körper (und dazu einzelne
Muskeln zu einer Faust spanne) oder ob ich sage: ich bin ein Körper (mit unterschiedlichen Fäusten wie jener aus Wut, Sieg/Triumph oder aus Angst, Machtlosigkeit etc.)
Embryonale Existenz ist eine Art stille, stumme und introvertierte Existenz. Als
erwachsene Menschen drücken wir uns mit unserem Körper aus: Die Welt ist unser
Ziel und der Körper dient dazu, dieses Ziel zu erreichen (zentrifugale Orientierung).
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Der Embryo jedoch drückt sich in seiner körperlichen Organisation aus (zentripetale
Organisation). Die Vorstellung, ein Embryo „tue noch nichts“ oder „handle noch nicht“
ist eine krasse Fehleinschätzung und Abwertung. Die Handlung, die Tätigkeit ist auf
ihn selbst gerichtet, nach innen. Sie stellt menschliche Handlung und menschliches
Verhalten dar.
Das Seelische übt sich in der Embryonalphase voraus. In dieser Phase funktioniert das Seelische morphologisch, dann physiologisch (Wachstumsphase) und
später psychologisch/geistig (Erwachsenenalter).
Nehmen wir ein Anschauungsbeispiel aus der Phase
vom 13. bis 15. Tag.
Der Keimling (Blastocyst) hat sich in der 2. Woche in
der Form des zweischichtigen „Embryoblasten in seinem Mantel, dem Trophoblasten“ in die Schleimhaut
der Gebärmutter eingewuchert und niedergelassen.
Der Trophoblast ist ein Mantel an der Peripherie. Der
Embryoblast ist im Zentrum. Die eine Schicht, das Ektoderm ist dem Dottersack zugewandt. Die andere
Schicht, das Entoderm ist vom Amnion, dem Darmbläschen umgeben. Der Embryoblast ist der Kern. Aus
ihm wird sich der eigentliche Embryo entwickeln. Der
Abb. 6 Hüllen
Mantel ist ebenfalls ein Teil des Embryos, der aber zur
Plazenta, zu Hüllen wird. Trophoblast und Embryoblast sind zuerst miteinander verbunden. Abb. 6: Der dünner werdende Haftstil (H) verlagert sich von hinter dem Amnion zunehmend zum caudalen Ende der Keimplatte hin. Dort entstehen im wachsenden Mesoderm (gelb) erste Blutinseln mit Blut und Gefässen. Erst in der 3. Woche wird der Trophoblast definitiv zum Aussenei und kleidet sich an seiner Innenseite
mit Mesoderm (gelb) aus. Wir organisieren uns aus Einheit in Vielheit, in Organe.
Ohne spezielle Organe dafür zu besitzen, erfüllt der Trophoblast alle Funktionen, wie
sie für einen lebendigen Organismus charakteristisch sind:
• Gasaustausch wie in der Lunge
• Exkretion von Stoffwechselendprodukten und Elektrolyten wie in der Niere
• Resorption von Nahrungsstoffen wie im Magen-Darm-Kanal
• für Wachstum und Entwicklung notwendige Stoffwechselvorgänge wie in Leber
• Endokrine Steuerungsprozesse wie in den späteren sekretorisch tätigen Drüsenorganen
• Blutbildung
• Wärmeregulation
Der Embryo ist gleichsam eingestülpt in seine Hülle, die für ihn Lebens und Steuerungsprozesse übernimmt, wie er sie später mehr und mehr selber wird übernehmen
müssen je mehr Organe er dafür entwickelt.
Nun löst sich der Embryo von seiner ersten Umhüllung, dem Trophoblasten (Abb.6)
und hüllt sich mit der Abfaltung in das Amnion ein, das zur Fruchtblase wird (vg. Abb.
36). Dabei entsteht der Nabel. Von nun an werden die überlebenswichtigen Funktionen über den Nabel sichergestellt - kanalisiert. Der alte Raum (Trophoblast) wird
Mutterkuchen (Plazenta). Eigentlich sollte er Kinderkuchen heissen, denn er ist aus
dem ersten Hüllmaterial der befruchteten Eizelle und nicht etwa aus mütterlichem
Gewebe entstanden. Das Amnion bildet die neue Höhle, die Fruchtblase.
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Dieser Vorgang kann als ein erster Ablösungsprozess oder Trennungsprozess verstanden werden, wie sie dem sich entwickelnden Menschen sein ganzes Leben lang
in seinem Individuationsprozess immer wieder geschehen wird.
Jaap van der Wal spricht daher vom Menschen als Embryo auch im Erwachsenenalter. So wie der Embryo Hüllen abwirft in seiner frühesten Ent-Wicklung, so entwickeln
sich der junge und später der erwachsene Mensch weiter. Im Laufe dieses Prozesses legt er auf verschiedenen Ebenen immer wieder Hüllen ab. Der Mensch bleibt
sein Leben lang in Bewegung und Entwicklung.
V 4. Der Embryo – eine Dokumentation der kinetischen Anatomie
Herr Prof. Dr. med. Erich Blechschmidt (1904 – 1992) entwickelt Anfang der 60er
Jahre die Kinetische Anatomie – eine in Zeit und Raum vergleichende Untersuchung
gleicher Strukturen und Formen von Embryonen in Bewegung – d. h. anhand von
Embryonen kleinstunterschiedlichen Alters.
Während mehrerer Jahrzehnte ging er in aufwändigen Forschungsarbeiten folgenden
Fragen nach: Wie geschieht es, dass bei gleichem genetischem Material in den einzelnen Zellen sich diese verschieden entwickeln, d.h. differenzieren? Welche Vorgänge führen dazu, dass die ursprüngliche Pluripotenz der Zellen eines wenige Tage
alten Blastocysten mehr und mehr abnimmt? Was geschieht eigentlich, dass
schlussendlich aus einer Zelle eine Knorpelzelle aus einer anderen eine Knochenzelle oder Muskelzelle wird und welche Vorgänge sind an der Kapselbildung oder an
der Faszienbildung von Organen beteiligt?
V 5. Die Forschung
In 30 Jahren Forschung ist Erich Belchschmidt durch seine Untersuchungen zum
Schluss gekommen, dass auf dem Weg von aussen durch die Zellgrenzen den
Chromosomen vorgeschrieben wird, welche Gene sie jeweils in den aufeinander folgenden Entwicklungsschritten verwenden sollen. Er geht also nicht davon aus, dass
im genetischen Material gleichsam statisch schon ein Muster für jeden Entwicklungsschritt liegt. Er widerspricht der Annahme, dass ein Zellkern gleichsam schon einen
massstäblich gezeichneten Plan im Sinne einer Vorformung enthält.
Technisches Vorgehen
Aufbauend auf der Lehre der Körpergestalt (Morphologie) nimmt er in aufwändiger
Weise unzählige räumliche und zeitliche Messungen an menschlichen Embryonen
kleinstunterschiedlichen Alters und Grösse vor, um Gestaltungsvorgänge als Bewegungsabläufe aufzuzeigen. Er hält Differenzierungen, also Formveränderungen,
als Veränderungen des äusseren Erscheinungsbildes fest. Dazu wurden Serienschnitte von fast lebensfrisch fixierten und speziell eingefärbten Embryonen einzeln
fotografisch und anschliessend zeichnerisch vergrössert. Nach ihnen wurden für jeden einzelnen dieser mikroskopischen Schnitte Wachsmatrizen geschnitten, die, mit
Kunststoffen ausgelegt, nach Abschmelzen des Wachses zu einem Totalmodell zusammengesetzt wurden.
Im anatomischen Institut an der Universität in Göttingen steht die Sammlung von
rund 70 Schnittserienrekonstruktionen, Totalmodelle von ca. 80 cm Höhe. Erst die
Totalrekonstruktionen erlaubten einen sogenannten regionalen Vergleich, d.h. einen
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anatomischen Vergleich der Strukturen in den verschiedenen Körperregionen untereinander und erst damit die Ermittlung von Entwicklungsbewegungen.
Mit seinen Untersuchungen löst Erich Blechschmidt die räumlich beschreibende Zustandsanatomie mit einer raum-zeitlich beschreibenden Gestaltungsanatomie ab.
Die Frage nach Art und Weise der Differenzierung des menschlichen Körpers sucht
er mit biokinetischen Eigenschaften zu beantworten und nicht mit Chemie oder Geschichte. Dies ist für Therapeuten, die Bewegung und Funktion untersuchen und behandeln ein erfreulich vertrauter Denkansatz in der lebendigen Struktur seitens eines
Wissenschafters.
V 6. Die Kinetische Entwicklungstheorie
Mit der Kinetischen Entwicklungstheorie stellt er ein neues Grundgesetz auf. Es besagt, dass die Eigenart eines Organismus bereits zu Beginn der Individualentwicklung mit der Empfängnis vorausgesetzt sein muss und davon ausgegangen werden
kann, dass die Erhaltung der Individualität auf der Kontinuität eines spezifischen
Stoffwechsels beruht. Der Organismus versucht fortgesetzt während der ganzen
Dauer seiner Entwicklung „zu bleiben, was er schon im Augenblick der Geburt war“.
Die Mittel, mit denen er die Entwicklungsreize kompensiert, sind u.a. die Entwicklungskinetik und Entwicklungsdynamik.
Folgende Aussagen zeigen die verschiedenen Aspekte und die daraus ableitbaren
theoretischen und praktischen Konsequenzen für Morphologie, Physiologie, Biochemie und insbesondere für die Genetik und Embryologie auf (Aus: Die Frühentwicklung des Menschen, Verlag Hogrefe, 1966):
Jedes Organ hat als Bestandteil des Organismus sowohl eine entwicklungskinetisch bedingte Lage, als auch eine entwicklungskinetisch zugehörige Form und
Struktur. Lage, Form und Struktur sind zusammengehörige Eigenschaften. Ohne diese Eigenschaften gäbe es keine Entwicklung, keine Ernährung, kein Wachstum und
keine Fortpflanzung. Keine Verhaltensweisen und keine bewusste Tätigkeit vermöchten sich zu entwickeln.
Organe von Mensch und Embryo lassen sich systematisch als Momentanaufnahme von den drei prägenden Eigenschaften Lage, Form und Struktur als Entwicklungsbewegungen des Organismus untersuchen.
Jedes Organ hat dank seiner Entwicklungskinetik sowohl eine Lageentwicklung (Topogenese), als auch eine von ihr abhängige Formentwicklung (Morphogenese) und eine ihr zugehörige Strukturentwicklung (Tektogenese).
Im Hinblick auf die Bedeutung der Entwicklungsbewegungen ergibt sich aufgrund der
drei voneinander abhängigen Topogenese, Morphogenese und Tektogenese eine
funktionelle Bedeutung:
Die Gestaltungsfunktionen sind die Grundfunktionen der Organe.
Erich Blechschmidt unterstreicht die Individualentwicklung oder Ontogenese des
Menschen und setzt sich von Darwin ab.
V 6.1. Materialbewegungen und Stoffwechselfelder
Die Lageentwicklung der Zellverbände ist eine wichtige Voraussetzung für ihre strukturelle Differenzierung. Der Zellstoffwechsel gestaltet sich unterschiedlich je nach
seiner Lage und Umgebung. Die Aufnahme der Nahrung bzw. Abgabe von Stoffen ist
an der Oberfläche eines Zellverbandes anders als in seinem Inneren. Entsprechend
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unterschiedlich entwickeln sich die Zellen. Die Entwicklung des menschlichen Keims
in der ersten Woche zum Beispiel kann diesen Gedankengang anschaulich verdeutlichen.
Während seiner Reise im Eileiter zur Einnistungsstelle in der Gebärmutterwand
nimmt das menschliche Ei Nahrung von der äusseren Umgebung auf. Zu Beginn liegen alle seine Zellen (Blastomere) noch an der Oberfläche und haben so Kontakt
zum äusseren Raum, dem Tubenraum. Mit fortschreitender Furchung (Unterteilung
des anfangs einzelligen Keims in Teilkörper) liegen immer mehr Zellen in seinem Inneren, in der Tiefe. Die neu gebildeten Zellen halten sich durch gegenseitige Stoffaustausch aneinander (Abb. 7).
Die Abbauprodukte, die beim Verbrauch der Nahrung entstehen, geben die Zellen
zunächst an die Umgebung zurück oder stauen sie im Inneren des Eis (Abb. 7). Der
Blastocyst bleibt bis zur Einnistung gleich gross. Die Grösse seiner Zellen hingegen
nimmt ab, weil die Zellen Flüssigkeit abgeben (Abb. 7). Entsprechend stauen sich im
Interzellulärraum mehr und mehr Abscheidungsprodukte. Weil diese grösstenteils
wasserlöslich sind, vermag die Interzellulärsubstanz durch
Osmose von aussen Wasser aufzunehmen. So entsteht im
Innern des Blastocysten ein Flüssigkeitstropfen, der bei
gleich bleibender Grösse des Blastocysten einen
Wanddruck auf die umschliessenden Blastomere ausübt.
Die Furchung des Blastocysten erfolgt nicht überall gleich
schnell. Deshalb kommt der Flüssigkeitstropfen nicht in der
Mitte, sondern irgendwo am Rand zu liegen. Der Tropfen
ist die erste Ansammlung von Entocoelwasser, dem
Vorläufer des späteren Dottersackinhaltes. Als seine
Abb. 7 submikroskopische
Stoffwechselbewegungen
Umgrenzung zeigt die Wand des Blastocysten am 4. Tag
an ihrer schwächsten Stelle, wo der Druck der Interzellularsubstanz eine besonders
intensive Dehnung hervorbringt, regelmässig eine einzige Schicht abgeplatteter Zellen. Die winzigen Blastomere des gegenüberliegenden dicken Wandabschnitts flachen sich dagegen nicht ab, sondern behalten ungefähr gleiche Dimensionierung in
alle Raumrichtungen. Die Zellen des dicken Wandabschnittes (Eidiskus) dürfen ebenso wie die dünnen Zellen des antidiskalen Pols des Eis als ortsgemässe, lokale
Zellmodifikationen aufgefasst werden. Im Eidiskus sind die Zellen keiner stärkeren
Deformation durch osmotischen Druck ausgesetzt. Sie bewahren die Fähigkeit zu ursprünglicher Eigenart. Hier lassen sich vermehrt Mitosen (Zellteilungen) nachweisen.
Der Vergleich mit späteren Entwicklungsstadien ergab, dass Mitosen sich regelmässig in Gebieten relativ geringer Zelldeformation finden.
V 6.2. Grenzgewebe und Binnengewebe
Die Zellen eines Gewebes sind stets kinetisch durch Materialbewegungen miteinander in Verbindung. Die Zellen nehmen Nahrung aus den Zwischenzellspalten und
aus ihren Nachbarzellen auf und ziehen sich durch diese Materialaufnahme gegenseitig an. Andererseits stossen sie sich durch Abgabe von verbrauchten Stoffen gegenseitig ab (Abb. 7). Das Wechselspiel zwischen Aufnahme und Abgabe ist die
Voraussetzung dafür, dass die Zelle sich in bestimmter Weise anordnen und in Form
halten.
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Zwei charakteristisch verschiedene Gewebe, die man schon sehr früh findet, sind
das Grenzgewebe und das Binnengewebe.
• Das Grenzgewebe grenzt einerseits an Flüssigkeit und andererseits an Binnengewebe.
• Das Binnengewebe ist allseits von Grenzgewebe umschlossen.
Entsprechend ihrer Lage haben die beiden Gewebearten unterschiedliche Bedeutung für das Wachstum.
Die Grenzgewebe (Epithelien) bilden Zellmosaike entlang der Flüssigkeiten. Sie leisten erste Gestaltungsarbeit. Grenzgewebe entnimmt dem unterliegenden Binnengewebe Nahrung und gibt Abbauprodukte in die freie Flüssigkeit ab. Abb. 5 zeigt ein dickes Epithel mit 2 verschiedenen Grenzschichten. Die innere Schicht wird im Flächenwachstum behindert (Pfeile mit Querstrich). Sie verdickt sich durch Nahrungsaufnahme aus dem Stroma (Pfeilköpfe) Die äussere, schlechter ernährte Schicht
wächst langsamer. Mit dem Verbrauch der Nahrungsstoffe ruft das wachsende
Grenzgewebe Stoffwechselbewegungen in Richtung von seiner Basis zur freien Oberfläche und gleichzeitig Materialbewegungen entlang seiner Basis im angrenzenden Binnengewebe hervor. Dies führt zu einem Fluss von Nahrungsstoffen in den Interzellularspalten des Binnengewebes und dort zu feiner Kanalisierung (Vorläufer der
späteren Blutgefässe).
Das Konzentrationsgefälle von Nahrungsstoffen ist ein wichtiger dynamischer Faktor
bei der Entstehung des Blutstroms.
Merkmale von:
Grenzgewebe
Binnengewebe
Abgabe der Abbauprodukte an umge- Abbauprodukte werden zu Zwischenzellbende Flüssigkeit
substanz
Geschlossene Zellschicht, viele Zellen Binnengewebe ist von Grenzgewebe ummit schmalen Interzellularspalten, kein schlossen. Staut Abbauprodukte als ZwiStau von Interzellularsubstanz
schenzellsubstanz
in
Zellzwischenräumen.
Intensives Flächenwachstum entlang der Volumenwachstum: weniger Zellen und
freien Oberfläche
damit weniger Wachstumsfermente
Binnengewebe wächst also langsamer als Grenzgewebe. Das Binnengewebe setzt
dem mit ihm verbundenen Grenzgewebe Wachstumswiderstand entgegen.
V 6.2.1.
Grenzgewebe
Die entwicklungskinetischen Untersuchungen von E. Blechschmidt haben von alten
deskriptiv-anatomischen Erkenntnissen rund ums Epithel fortgeführt zu einem kinetisch-anatomischen Verständnis des Grenzgewebes. Seine Untersuchungen zeigten
regelmässig, dass die sogenannten Epithelien in Wirklichkeit Diathelien, also Durchlassschichten sind. Zur Zeit ihrer Entstehung sind sie nämlich stets Zwischenschichten zwischen freier Interzellularsubstanz (Flüssigkeitsräumen) einerseits und Binnengewebe mit gestauter Interzellularsubstanz andererseits (Abb. 9). An diesen Grenzen
weisen die Diathelien zur Zeit ihrer Entstehung und frühen Entwicklung im Organismus regelmässig entlang der Kontaktfläche mit dem angrenzenden Stroma (Gewebe,
Binnengewebe) ein charakteristisches Flächenwachstum auf, wie es beim Binnengewebe, das genetisch die gleichen Erbanlagen wie das Diathel besitzt, nicht zu beobachten ist. Die von Blechschmidt regional vergleichenden Untersuchungen zeigen,
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dass die Abscheidung von freier Interzellularsubstanz charakteristisch und wahrscheinlich eine Vorbedingung für das Flächenwachstum ist.
Wir unterscheiden dickes und dünnes Grenzgewebe. Regelmässig finden wir Grenzgewebe dort dick, wo es im Flächenwachstum behindert ist, dagegen dort dünn, wo
es im Flächenwachstum gefördert wird.
Wo immer beim Erwachsenen ein Hautbezirk normalerweise relativ dick geworden
ist, war in der Embryonalzeit das Grenzgewebe im Flächenwachstum behindert.
Nachfolgende Beispiele zeugen davon.
Die Oberhaut des wachsenden Handtellers ist im Wachstum behindert und schon
beim Embryo dicker als am relativ grösseren Handrücken. Die charakteristische
schwielige Verdickung des Handtellers für die Greiffunktion ist also schon in der
Embryonalzeit sichtbar.
Ein typisches Beispiel für dicke und dünne Grenzgewebe ist die Epidermis (Oberhaut) im Bereich des
embryonalen Kopfes. Dort finden wir das Epidermis
genannte Epithel über dem schnell wachsenden Gehirn dünn (Pfeil in Abb. 8, dagegen im Bereich der
Schlundfalten sehr dick (punktiert in Abb. 8). Während
der weiteren Entwicklung nimmt mit der Verdickung
des Epithels auch die Dicke des
Abb. 8
unterliegenden Bindegewebes zu. Mit der Verdickung wird der Nahrungsverbrauch
gesteigert. Das Blutgefässsystem wird dichter. Die beim Erwachsenen auffallend
starke Durchblutung des Gesichts wird schon embryonal eingeleitet.
Wo das intensive Flächenwachstum des Grenzgewebes in seiner
Ausbreitung behindert wird, bilden
die Zellen warzenartige Zapfen,
die in das unterliegende Binnengewebe einwachsen
Abb. 9
Im Gegensatz zu dicken Epithelien wachsen dünne Epithelien oft nur einschichtig Sie
werden vergleichsweise häufig durch unterliegende zellreiche schnell wachsende
Organe wie z.B. Gehirn, Leber oder Herz in kurzer Zeit gedehnt und im Flächenwachstum wenig behindert. Sie sind typische Diathelien, d. h. Schichten, die befähigt
sind, Substanzen senkrecht zu ihrer freien Oberfläche hindurchwandern zu lassen.
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V 6.2.2.
Keilepithelien
Die Zellgrenzmembranen von Epithelien
verbinden in der Regel die innere und
äussere Oberfläche auf dem kürzesten
Weg miteinander. Sie stehen also senkrecht zur Basis des Zellverbandes. Da der
menschliche Körper fast nirgends plane
Oberflächen aufweist, haben die Epithelzellen daher fast immer Keilform. Grenzgewebe sind also Keilepithelien (Abb. 10).
Divergente Keilepithelien haben Zellgrenzen, die zur freien Oberfläche hin divergieren. Es sind nach aussen konvex gewölbte Epithelien.
Abb. 10 Keilepithelien
Konvergente Keilepithelien haben Zellgrenzen, die zur freien Oberfläche hin konvergieren. Die freie Oberfläche dieses Epithels ist kleiner als die Oberfläche zum Binnengewebe hin.
Je nach Lage und Form der Keilepithelien sind die wachstumsfunktionellen Bedeutungen ihres Flächenwachstums verschieden. Nachfolgende Beispiele zeigen, wie
spezifische Keilepithelien junge Organanlagen und/oder die Form der späteren Organentwicklung hervorbringen.
Ein Beispiel für konvergentes Keilepithel ist das junge Darmepithel (Abb. 11).
Die wachsenden Zellen üben einen
gegenseitigen
Wachstumsdruck
aufeinander aus. Mit Hilfe des
Wachstumsdruckes
wird
die
Oberfläche des Epithels trotz
Widerstand des Stromas grösser.
Abb. 11
Das Darmlumen erweitert sich.
Ein charakteristisch zur freien Oberfläche divergentes Keilepithel findet sich an den Enden
der jungen Extremitätenanlagen (Abb. 12).
Abb. 12
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Auch hier wächst mit dem Wachstum der Zellen der Wachstumsdruck. Morphologisch erkennt man ihn an der lokalen Wachstumsbeschleunigung. Wieder kommt es
zur Oberflächenvergrösserung – und zwar in Richtung des geringsten Widerstandes,
wie es alle Wachstumsprozesse unter den jeweils verschiedenen Umständen tun.
Die junge Extremitätenanlage wächst nicht mit allen ihren Zellen gleich schnell, sondern an ihrer Wurzel langsam und an ihrem freien Ende intensiv. Das Wachstum am
freien Ende nennt man appositionell.
Eine dritte, besondere Art von Keilepithel findet sich am Boden der Neuralrinne.
Das konvergente Keilepithel arbeitet hier
gegen besonders hohen Widerstand von
Seiten des Stromas und gleichzeitig gegen
Widerstand des seitlich angrenzenden Epithels. Die Basalmembran ist sehr dick. Die
Dura entwickelt sich basal stark aus. Den
Wachstumswiderstand vermögen die Zellen durch eigene Wachstumsexpansion
kaum zu überwinden. Sie bleiben auf engem Raum eingekeilt und enthalten wenig
Flüssigkeit. Ihre Teilungsfähigkeit und damit ihr Flächenwachstum entlang des
ventrikulären Flüssigkeitsraumes (Abb. 13,
1) erlöschen im zweiten Monat. Das embryonale Rückenmark entwickelt sich nicht
völlig eigenmächtig, sondern in engem
funktionellem Zusammenhang mit dem
Abb. 13
Bindegewebe seiner Umgebung.
(Entwicklungsfunktionelle Untersuchungen am Nervensystem, Blechschmidt
E., Zeitschrift für anat. Entwicklungsgeschichte, 1955, 119
(2):112-130). Dieser wachstumsfunktionelle Zusammenhang von neuralem Epithel und
Bindegewebe wird im Kapitel „Gestaltungsfunktion des Gefässsystems“ und „Kraniokaudale Krümmung“ noch eine spezielle Bedeutung bekommen.
V 6.2.3.
Die Bedeutung der Flüssigkeitsräume
Grenzgewebe liegt immer mit der einen Oberfläche zum Flüssigkeitsraum, mit der
anderen zum Binnengewebe. Die Zellen sind alle orthogonal zu einem Lumen eingestellt und lassen Teilchen senkrecht zu seiner Oberfläche permeieren, die des Binnengewebes auch parallel zum Grenzgewebe. Zellteilung erfolgt immer in unmittelbarer Nähe zum Flüssigkeitsraum. Dort erfolgt also das Flächenwachstum – wie wir gesehen haben je nach Organanlage in spezifischer Wachstumsfunktion. Die Zellen
aus der flüssigkeitsnahen Zellvermehrungszone (Abb. 14 a) wandern nun zur nahrungsnahen Zellwachstumszone (Abb. 14 b). Hier erst erfolgt eine Volumenzunahme
und die Körpergestaltung. Flächenwachstum ist die primäre Gestaltungsfunktion. Die
Flüssigkeiten haben in diesem Zusammenhang einen wichtigen Anteil an der Körpergestaltung. Die Diathelzellen (in der deskriptiv-anatomischen Nomenklatur entsprechen sie den Epithelzellen) geben an der Grenze zum Flüssigkeitsraum hin ihre
Abbaustoffe, vor allem Wasser, ab. Dadurch entlastet nehmen sie nun an der Kontaktseite mit dem Stroma intensiv Nahrung auf, ohne wie die Zellen des wachsenden
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Bindegewebes durch Stauung von Abbauprodukten im Inneren des Gewebes in Form von Interzellularsubstanz gehemmt zu werden. Formungs- und
Faltungsvorgänge sind regelmässig Leistungen
von Diathelien - nicht nur bei der Entstehung der
Körperwand und damit der äusseren Körperform,
sondern auch bei der Entwicklung der inneren Organe.
Abb. 14 Querschnitt eines 3.4 mm grossen Embryos. Punktiert: Flüssigkeitsraum bei 1 Neuralrohr, 2 Somit, 3 Wolffscher Gang, 4 Leibeshöhle, 5 Darmrohr, 6 noch paarige Aorta dorsalis. Aussen: Flüssigkeit in
der Chorionhöhle.
V 6.2.4.
Binnengewebe
Binnengewebe entsteht in Stoffwechselfeldern entlang von Grenzgewebe. Dort rücken die Zellen mehr und mehr auseinander, so dass ein netzförmiger Zellverband
entsteht. In den Maschenlücken liegt viel flüssige Interzellularsubstanz. Die Interzellularsubstanz in Auflockerungsfeldern enthält wässerige Abbaustoffe. Die Flüssigkeiten in den einzelnen Gewebevakuolen kommunizieren miteinander. Entlang der Gewebevakuolen weisen die Zellen eine konkave Oberfläche auf. Der Flüssigkeitsdruck
im Interstitium ist also grösser als jener des Zytoplasmas der Zellen. Die Zellen driften divergent auseinander. So etwas ist im epithelialen Gewebe nicht möglich. Dort
fehlen die geeigneten Interzellularräume.
Die Flüssigkeit hat also immer eine wichtige Bedeutung bei der Gestaltung der Zellverbände.
V 6.2.5.
Die acht Stoffwechselfelder
Wie oben erwähnt, gehören Lage-, Form- und Strukturentwicklung für die Entwicklung eng zusammen.
Die submikroskopischen Komponenten dieser Prozesse sind Bewegungen, die wir
Stoffwechselbewegungen nennen.
Die Stoffwechselbewegungen ihrerseits laufen in Stoffwechselfeldern geordnet ab.
Erich Blechschmidt hat Stoffwechselfelder folgendermassen definiert:
Das Stoffwechselfeld ist ein morphologisch abgrenzbarer Bereich mit räumlich geordneten Stoffwechselbewegungen.
Diese Bewegungen sind eine Grundeigenschaft des Entwicklungsgeschehens. Die
Teilchenbewegungen in diesen Feldern erfolgt stets gegen Widerstand von Seiten ihrer Umgebung und sind daher echte Arbeit im biophysikalischen Sinn (s. auch Kapitel
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Grenzgewebe). Die Entwicklung eines Menschen ist seit den ersten Entwicklungsphasen, dynamisch und biologisch gesehen, eine individualspezifische Leistung.
Blechschmidt hat acht Stoffwechselfelder beschrieben, die für verschiedene Körperregionen charakteristisch sind:
1.
Corrosionsfelder
Sobald zwei Grenzgewebe eng miteinander in Kontakt
sind, so dass kein ernährendes Binnengewebe mehr
dazwischen liegt, erlischt die Nahrungszufuhr. Die miteinander in Kontakt stehenden Zellen gehen durch Nekrose
zugrunde. Das ermöglicht den Austausch von Flüssigkeiten
mit darüber liegendem Gewebe.
Beispiele für solche Felder: Die beiden dorsalen Aortenäste
verbinden sich zu einem gemeinsamen Stamm, während
sich die Membran zwischen ihnen zurückbildet.
Die Urnierkanälchen gewinnen durch Korrosion Anschluss
an die Nierenkelche. Wo dies krankhafterweise nicht
stattfindet, entsteht eine sogenannte Cystenniere.
Die embryonale Mundregion ist ebenfalls ein Korrosionsfeld. Hier drängen sich Ektoderm und Entoderm ohne Binnengewebe eng aneinander. Es entsteht die Mundöffnung.
2.
Densationsfelder sind Verdichtungsfelder. Sie
entstehen vorwiegend in der Tiefe der Binnengewebe. Wo
biomechanisch ein Verlust an flüssiger Interzellularsubstanz entsteht und die festen Partikel sich einander nähern,
zeigt das Binnengewebe Verdichtungen. Die jungen Zellen
werden in keiner bevorzugten Richtung auf Druck oder Zug
beansprucht. Sie sind daher kugelig und bilden die Anlage von Knorpelherden (Vorknorpel).
Der Arm ist ein gutes Beispiel für die Entstehung der Densation in der Ontogenese.
Das Ektoderm bezieht die Nahrung aus dem unterliegenden Binnengewebe. Mit der
Nahrungszufuhr entsteht hier im 2. Entwicklungsmonat ein dichtes Netz von Blutkapillaren. Sie ernähren das Ektoderm ebenso wie das unmittelbar anliegende Stroma.
Entsprechend dem osmotischen Druck in den Blutgefässen wird dem Binnengewebe
Flüssigkeit abgesaugt. Dieses Densationsfeld ist das Entwicklungsareal des Armskeletts.
Die Entwicklung der Luftröhre ist ein anderes anschauliches Beispiel. Das Epithel der
Trachea ist auf der Rückseite dicker als auf der Vorderseite. Die an das Epithel angrenzenden Zellen sind länger und tangential angeordnet; aus ihnen werden sich
Trachealmuskeln und die Faserschicht entwickeln. Es wächst schneller als auf der
Vorderseite. Hier werden die Zellen eher zusammengedrückt. Sie werden eher kugelig. Diese Zellen vermehren und verdichten sich zu Knorpelzellen.
Das biokinetische Prinzip der Densationsfelder ist ausserdem für folgende Gebilde
gültig: z.B. für die Rippen, die unter dem Wachstumsdruck der Herz- und Lebermasse entstehen oder für das Nasenseptum.
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3.
Contusionsfelder entwickeln sich im Innern von
Densationsfeldern, wenn eine biomechanische Stauchung
stattfindet. Während ein Densationsfeld eine Zone ist, in
der abgerundete Zellen verdichtet werden, ist ein
Contusionsfeld eine Zone, in der die abgerundeten Zellen
so aneinander gedrängt werden, dass sie sich tellerförmig
abplatten. Diese Tellerform ist typisch für junge Knorpelzellen, also Vorknorpelzellen.
Ein Beispiel für ein Contusionsfeld ist die Anlage der Wirbelsäule (Abb. 15).
Blechschmidt’s Untersuchungen haben ergeben, dass es das Rückenmark ist, das
das Contusionsfeld für die Wirbelsäulenanlage initiiert. Die Seitenwand des Wirbelkanals wird vom wachsenden Rückenmark und seinem flüssigkeitsreichen Bett zirculär gestrafft.
Das gestraffte Gewebe ist die sogenannt harte
Rückenmarkshaut oder Dura spinalis, die zunächst ventral besonders kräftig ist. Ventral wird
sie vom wachsenden Rückenmark gestrafft. Der
Krümmungsradius nimmt zu, die Dura flacht
sich ab. Mit der Abflachung werden die Zellen
an der Aussenseite der Dura gestaucht (Abb.
15 konvergentes Pfeilpaar mit Querstrichen
deutet das entstehende Contusionsfeld 1 an).
Abb. 16
Abb. 15
Der Pfeilkopf in Abb. 16 zeigt die Richtung an, die der Flüssigkeitsdruck der Interzellularsubstanz in der Arachnoidea
(Spinnwebehaut) auf die dorsal und seitlich dünne Dura ausübt. Konturierte Pfeile zeigen die Wachstumsbewegungen des
jeweils jüngsten Teils der Dura. Die Dura begradigt sich zunehmend. Die Haltefunktion der ventral bereits gestrafften,
zugfesten Dura ist mit konvergenten Doppelpfeilen beschrieben. Das konvergente Pfeilpaar mit Querstrichen umschreibt
die Contusion der Zellen an der Aussenseite der Dura.
4.
Distusionsfeld ist ebenfalls
ein Stoffwechselfeld, wie es sich im Skelettsystem findet.
Durch gestaute noch hinreichend grossmolekulare Abbauprodukte bekommen Knorpelzellen einen hohen osmotischen Druck, so dass Wasser aus der Umgebung einströmt. Die jungen Knorpelzellen quellen und zeigen damit
ein sogenanntes Quellungswachstum. Damit üben sie eine
Stemmkörperfunktion in bevorzugter Richtung aus, z.B. bei der Fingeranlage parallel
zur Längsachse.
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Im Hinblick auf die genannte Stemmkörperfunktion stellt das knorpelige Skelett und
nicht etwa die Muskulatur den ersten aktiven Teil des Bewegungsapparates dar. Die
Muskulatur gewinnt erst nach ihrem Dehnungswachstum die Kontraktionsfähigkeit.
5.
Retensionsfeld entsteht dort, wo Binnengewebe
durch einen Wachstumszug gestrafft wird. Das ist so zu
verstehen, dass eine Ansammlung von inneren Gewebezellen, die zunächst undifferenziert waren, langsamer in eine bestimmte Richtung wachsen als das umliegende Gewebe. Der Zellverband leistet mit einem langsamen Wachstum einen biomechanischen Zugwiderstand. Der Wachstumswiderstand führt zur
Straffung des Gewebes. Als Merkmal davon werden die Zellen spindelförmig und die
Zellkerne schlank. Was also schon entwicklungskinetisch gestrafft wurde, wird später
als Halteapparat funktionieren. Auf diese Weise entstehen Sehnen, Bänder und Faszien. Weitere Beispiele für Retensionsfelder sind die bindegewebige Leitstruktur von
Blutgefässen oder der zentrale Teil des Zwerchfells. Dort kommen das rasch wachsende Herz und die sich schnell vergrössernde Leber einander so nahe, dass das
Bindegewebe in dem Raum zwischen ihnen komprimiert und gleichzeitig von seinem
Rand aus gestrafft wird.
6.
Dilationsfeld. Man spricht von Di - lationsfeld, um
zu betonen, dass es sich nicht um einen physikalischen
Begriff handelt (rein mechanischer Zug oder Dehnung),
wohl aber um einen biomechanischen Zug, also Zugwirkungen als Leistung lebender Zellen und Zellverbände. In
diesen Feldern werden Bindegewebszellen passiv gedehnt.
Sie geben ohne grossen Widerstand nach und werden dabei dünner. Solche Zellen
entwickeln sich zu Muskelzellen. Ihre Dehnung ist entwicklungsdynamisch ein passives Geschehen. Muskeln sind daher zuerst der passive Teil des Bewegungsapparates - im Gegensatz zum Knorpel, der mit seinem Quellungswachstum zuerst eine aktive Stemmkörperfunktion auf den Bewegungsapparat ausübt. Die Muskeln durchlaufen also zuerst eine passive Entwicklungsdynamik, bevor sie die Fähigkeit zur aktiven Verkürzung bekommen (s. auch Kapitel VII 1.4. Bildung der Somiten, Myotome).
7.
Detraktionsfeld. Hier wird ein Zellverband unter
Kompression auf einer harten Unterlage entlanggeschoben. Dabei wird im Nahtgebiet Flüssigkeit ausgepresst. Als
Folge davon verhärtet sich die Substanz. Solcherart durch
biomechanische Gleitbewegungen verdichtete Zonen sind
Entstehungsorte von Knochen. Jede Grundlage für Knochenbildung, ob Bindegewebe oder Knorpel oder bereits
verknöcherte Grundlage, die weiterer Knochenbildung dient, beginnt als Gewebeverdichtung mit Wasserverlust und nachfolgender Imprägnation mit schwer löslichen
Calciumverbindungen.
Es gibt eine Vielzahl von möglichen Formen von Knochenherden. Jede macht eine
charakteristische kinetische Entwicklung durch, die immer von einer Ausdehnung unter dem Druck von Interzellularsubstanz begleitet ist.
Ein Beispiel: Mit dem Längerwerden des Gesichts vergrössert sich der Abstand zwischen Gehirn und dem noch bindegewebigen Jochbogen. Er ist seitlich am Rand der
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Augenhöhle geknickt. Hier übt der Jochbogen mit der Abstandsvergrösserung zwischen ihm und dem Gehirn über das Bindegewebe der Schläfe einen Wachstumszug
auf die gestraffte Hirnhaut aus. Durch diesen Zug wird die Dura wachstumsdynamisch in besonderer Weise beansprucht. Mit der Zugbeanspruchung wird die äussere Schicht der Dura von der inneren Schicht lokal abgehoben. In der Zone der Abhebung kommt es zu einer Wasserverschiebung. Die Wasserverschiebung bedeutet eine Entmischung mit lokaler Verfestigung zwischen den Durablättern. Das nunmehr
verdichtete Gebiet ist das Entstehungsgebiet eines Knochenkerns, des knöchernen
Stirnbeines.
8.
Sogfeld ist eine Zone entlang von innerem oder
äusserem Grenzgewebe, in der während des Wachstums
biomechanisch ein Sog entsteht. Solche Zonen entwickeln
sich, wenn sich das Grenzgewebe von dem langsamer
wachsenden Binnengewebe abhebt. Dadurch kann Flüssigkeit einfliessen. Die einfliessende Flüssigkeit lockert den
Zellverband des Binnengewebes auf. Wo die Menge der Interzellularsubstanz zunimmt, verschmelzen die Bläschen miteinander. In ein derartig
aufgelockertes Gewebe können Epithelzellen aus der Nachbarschaft einsprossen,
Stoffe aus der Flüssigkeit aufnehmen und sich auf diese Weise Platz für ihr Vorwachsen schaffen. Solche Epithelsprossen kennen wir als Anlage von Drüsen. Die
grössten Sogfelder stellen die Leber und die Lunge dar.
Zu Beginn der Entwicklung handelt es sich bei diesen aufgelockerten Feldern im Inneren des Mesoderms um Vorstufen der Gefässbildung.
V 6.2.6.
Kinetische Entwicklungstheorie und der Primäre
Atemmechanismus
Folgende Gesetzmässigkeiten, wie Erich Blechschmidt sie für Entwicklungs- und
Wachstumsbewegung und auch für Stoffwechselvorgänge in ihren Grundzügen beschrieben hat, möchte ich hier nochmals hervorheben:
• Die Grundfunktion der Organe ist die Gestaltungsfunktion.
• Jeder Zellverband hat Gestaltungsfunktion.
• Gestaltungsvorgänge sind Bewegungsabläufe.
• Zellteilung erfolgt immer in unmittelbarer Nähe zum Flüssigkeitsraum. Dort erfolgt
also das Flächenwachstum. Flächenwachstum ist die primäre Gestaltungsfunktion. Das gilt auch für die Entwicklung des Neuralrohrs um den mit Liquor gefüllten
Zentralkanal.
• Die Zellen eines Gewebes sind stets kinetisch durch Materialbewegungen miteinander verbunden. Die Zellen nehmen Nahrung aus den Zwischenzellspalten und
aus ihren Nachbarzellen auf und ziehen sich durch diese Materialaufnahme gegenseitig an. Andererseits stossen sie sich durch Abgabe von verbrauchten Stoffen gegenseitig ab. Das Wechselspiel zwischen Aufnahme und Abgabe ist die
Voraussetzung dafür, dass die Zellen sich in bestimmter Weise anordnen, eine
bestimmte Form annehmen und in Form halten.
• Der Embryo wächst von Anfang an durch menschlich spezifische Stoffwechselvorgänge, die er gegen Widerstand, also durch aktive Arbeit leistet.
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In den nächsten Kapiteln werden diese Gesetzmässigkeiten im Zusammenhang mit
der eigentlichen Organogenese verständlicher werden. In der Organogenese von
besonderer Bedeutung im Zusammenhang mit meiner Fragestellung ist die Entwicklung des Nervensystems und der inneren Liquorräume (Ventrikelsystem). Sie haben
für den Primären Atemmechanismus die Bedeutung des Motors. Ihnen ist daher das
nächste Kapitel V gewidmet.
Die Entwicklung des Nervensystems kann nur in engster, wechselseitiger Abhängigkeit mit derjenigen des Herz/Gefässsystems gesehen werden. Dieser Tatsache ist
das Kapitel VII, 2. gewidmet. Im gleichen Kapitel entwickle ich auch die These: die
wechselseitige Entwicklungsabhängigkeit von Gehirn- und Rückenmarksanlage zur
Herz-/Gefässanlage bleibt als weiter bestehende inhärente Eigenbewegung des
zentralen Nervensystems als Antriebsmotor des Primären Atemmechanismus bestehen.
Die übrigen Organe können leider im Rahmen dieser Arbeit, wenn überhaupt, nur
kurz erwähnt werden.
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VI
Die embryonale Entwicklung des Nervensystems
VI 1. Erste Leistungen des Nervensystems sind Wachstumsleistungen
Erich Blechschmidt beschreibt die Entwicklung des Nervensystems als seine erste
Leistung, d.h. als Wachstumsleistung. Diese frühe Tätigkeit, schon zur Zeit ihrer Entstehung, ist die Grundfunktion von Neuralrohr, Gehirn und Rückenmark in der embryonalen Phase. Sie leitet als Wachstumsfunktion die späteren Leistungen des Nervensystems ein. Blechschmidt geht soweit, dass er die nachgeburtlichen Funktionen
des Nervensystems im Vergleich zu den embryonalen komplexen und vielschichtigen
Wachstumsfunktionen als nur noch eng spezialisierte Funktionen im Sinne von Restleistungen einordnet.
VI 2. Die Bildung des Neuralrohrs
Die Entwicklung des Nervensystems nimmt seinen Anfang mit der Bildung der Neuralplatte. Über der Chorda (vgl. Kapitel VII, 1.3.) und dem paraxialen Mesoderm verdickt sich das Ektoderm zur Neuralplatte.
Das Neuralrohr entsteht aus
der Neuralplatte. Das dicke
Ektoderm bildet entlang der
Neuralrinne viele Tochterzellen. Diese wandern der Nahrungsquelle in der Tiefe der
Ektodermschicht entgegen.
Hier wachsen sie zu neuen
teilungsfähigen Zellen heran.
Das wachsende Neuralepithel zeigt entlang der basalen Fläche des Ektoderms
schnellere Oberflächenvergrösserung als im Kontakt
mit der Amnionflüssigkeit.
Dabei entsteht eine Haltefunktion Abb. 17, 2). Die
Neuralrinne vertieft sich und
schliesst sich zum Neuralrohr.
Abb. 17
1)
2)
3)
Flächenwachstum des Ektoderms .
Haltefunktion im Bereich der freien Oberfläche des Ektoderms (Kontaktfläche
mit der Amnionflüssigkeit)
Haltefunktion im Bereich des Axialfortsatzes/Chordafortsatz.
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VI 2.1. Wachstumsleistungen des Neuralrohrs
Die Wand des Neuralrohrs bildet im ersten Monat einen epithelialen Zellverband zwischen der Neuralrohrflüssigkeit im Zentralkanal einerseits und seinem Gefässführenden Bett andererseits.
Das Neuralrohr ist ein Bildungsfaktor der primitiven Meningen und damit indirekt ein
wichtiger Formator des Achsenskeletts. Die Umgebung des Rückenmarks ist während seiner Entwicklung in ein dichtes Gefässnetz eingeschlossen, diese Region wird
zur Pia. Peripher davon entwickelt sich in der gefässarmen Zone des Bindegewebes
ein flüssigkeitsreicher Hof um das piabedeckte Rückenmark. Dieser Hof ist die Anlage der Arachnoidea. Das Volumen der Arachnoidea nimmt regelmässig zunächst
ventral besonders zu. Dadurch hebt sie das Rückenmark von der Basis ab, so dass
es bei Flexion des Rückens nicht gegen die feste Wirbelsäule gepresst wird. (Zeitschrift
für anatomische Entwicklungsgeschichte, 1955, 119 (2); 112 – 130) Eine weitere Folge der Arachnoideabildung ist die Abplattung der darüber liegenden Zellen, die sich zur Dura entwickeln,
indem sie viel Flüssigkeit ausschwitzen. Die Dura wird ein straffes Gewebe (vgl. Kapitel V, 6.2.5. Stoffwechselfeld, Contusionsfeld). Die Begleitbindegewebe des wachsenden Rückenmarks sind dorsal, lateral und ventral verschieden differenziert (Vgl.
Kapitel VII, 1.4. Bildung und Auflösung der Somatomere). Ventral werden sie in die
Bildung des Achsenskeletts einbezogen.
Nur aussen hat das Neuralrohr Kontakt mit den Nahrungsstoffen, die das Blut zuführt. Die Zellkörper und Zellkerne liegen in der Tiefe, also nahe am Zentralkanal. Die
Zellen lassen auf kürzestem Weg Fortsätze nach aussen zur nahrungsreichen
Schicht wachsen. So stehen die Zellfortsätze also regelmässig senkrecht zur Oberfläche des Neuralrohrs. Die Zellfortsätze sind an der Vergrösserung des Neuralrohrumfanges unmittelbar beteiligt, sobald sie Nahrung aus den Blutgefässen aufnehmen. Sie leisten die Hauptwachstumsarbeit an der Aussenseite des Neuralrohrs. In
der inneren Schicht, nahe dem Ventrikellumen, findet nur Zellteilung statt.
Blechschmidt nimmt an, dass die Zellen bei der Mitose Flüssigkeit aus dem Zentralkanal aufnehmen.
Sobald der Umfang des Neuralrohrs zunimmt, wandern Zellen aus der tiefen Schicht
peripherwärts und bilden zwischen weisser und schwarzer Zone die erste sogenannt
graue Substanz. Das gilt für das Neuralrohr sowohl im Rücken- wie auch im Kopfgebiet. Nirgendwo sammelt sich Interzellularsubstanz an.
Die Gliazellen dienen den Neuroblasten als Nahrungs- und Leitstrukturen. Sie wachsen von der Kontaktseite mit dem Mesenchymbett her ins Neuralrohr ein.
Das Neuralrohr ist ventral, wo es der mesodermalen Schicht anliegt, im Wachstum
behindert (vgl. Abb. 8). Es wächst seitlich und dorsal schneller. Sein Wachstum findet
hier weniger Widerstand.
Die Entocystscheibe ist oval und nicht kreisrund. Von dieser Form wird auch die Entwicklung des Neuralrohrs mitbestimmt. So hat das Neuralrohr ein breiteres und ein
schmaleres Ende. Sein Wachstum ist am Kopfende in alle Richtungen freier als im
Abschnitt, wo Somiten, Wirbelsäulen- und Aortenanlage es umgeben.
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VI 2.2. Wachstumsleistungen von Gehirn und Rückenmark
Gegen Ende des ersten Entwicklungsmonats zeigt das dickere Ende des Neuralrohrs
in primitiver Weise bereits zahlreiche Formmerkmale des späteren Gehirns. Die
Grenze zwischen Rückenmark und Gehirn ist noch unscharf. Das Rückenmark ist im
Verhältnis zum Gehirn noch sehr klein.
Legende zu Abb. 18 (26. Tag)
A Haltefunktion des Bindegewebes und der Visceralbogengefässe in den Beugefalten (Viszeralbögen). Zwischen ihnen ist das Entoderm des Kopfdarms als Schlundtasche ausgestülpt und Ektoderm als Halskerben eingezogen.
B Wachstumsdruck des
Neuralrohrs
C
Wachstumsbewegung
(Biegung) des Gehirns
D Fortsetzung der Aorta
1) 1. – 3. Visceralbogen
2) Vorderhirn mit Augenblase
3) Mittelhirn, bildet Scheitelbeuge
4) noch langes Hinterhirn
mit Ohrblase
5) obere Cardinalvene
6) Einmündung in das Herz
7) Grosshirnzügel, gestrafftes Bindegewebe in der
Verlängerung der Aorta
Abb. 18
Das Kopfende weitet die
häutige Kopfwand an seinem breiten Ende und ascendiert gegenüber dem Eingeweidetrakt. Das Nahrung spendende Aortensystem bleibt im Vergleich zu dem Nahrung aufnehmenden Neuralrohr kurz und wird so zum Halteapparat für Letzteres.
Einmal im Nabel (Nabelring) verankert, übt das Gefässsystem mit seiner Gestaltungsfunktion unmittelbar Einfluss auf das Wachstum des Neuralrohrs und des Nervensystems aus.
Sobald das Neuralrohr durch zahlreiche Äste der Aorten an den grossen Gefässstämmen fester verankert ist, passt es sich während des weiteren Wachstums des
Embryo durch eine zunehmende dorsokonvexe Krümmung den kurz bleibenden Aorten an. Das Herz entfernt sich mit zunehmender Krümmung vom Gehirn und deszendiert im Verhältnis zum Gehirn. Es gibt das Hirn damit kranial mehr und mehr frei
zu einer relativ selbständigen Entwicklung. Der Kopfteil des Neuralrohrs wird zunehmend mitosenreicher.
Der Descensus des Herzens lässt dem Hirn immer mehr Raum. Die das wachsende
Hirn versorgenden Blutgefässe spreizen sich von der Anlage der Schädelbasis aus
peripherwärts. Dabei schwitzt das wachstumsleistende Gehirn Liquor in das umgebende Mesenchym aus. Mit der Volumenzunahme der nun sogenannten Arachnoidea strafft sich das ihr peripher angrenzende Bindegewebe und bildet die frühembryonale basale Dura (vgl. Kapitel V 6.2.5. Stoffwechselfelder, Contusionsfeld). Nahe
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der basalen Duraanlage bleiben die herznahen Abschnitte der Hirngefässe als kräftige arterielle Gefässstämme des Gehirns kurz im Verhältnis zum antibasalen weitläufig vernetzten und dünnwandigen vor allem venösen Gefässplexus.
Die Dura strafft sich zunächst in den kurz gebliebenen basalen Abschnitten, wo sie
wahrscheinlich die Pulsstösse der besonders kräftigen Schlagadern des Gehirns auffangen muss. Das gestraffte Gewebe stellt den Hauptteil der desmalen Anlage des
Schädels dar.
Ein Teil der desmalen Schädelanlage setzt rechts und links vom Gehirn das Mesenchymbett der paarigen Aortenanlage in einer geraden Verlängerung bis zur antibasalen Konvexität der Gehirnanlage fort. Diese Fortsetzung bildet hier die sogenannten
Grosshirnzügel (Abb. 18, 7) Sie schnüren das Neuralrohr an seinen Flanken über der
Anlage der Mundspalte von rechts nach links ein. An dieser taillenförmigen Einschnürung grenzt sich allmählich das Diencephalon gegen die Grosshirnhemisphären ab.
Die medialen Seiten der Hemisphären gehen mit den einwachsenden Blutgefässen
eine enge Verbindung ein – die Plexus choroidei stülpen sich in die Ventrikel ein.
Dorsal davon bildet das Mittelhirn die Scheitelbeuge. Der mit dem Gesicht in Verbindung stehende Hirnabschnitt zwischen Mittelhirn und Rückenmark erscheint als Hinterhirn. Es wird zum eigentlichen Gesichtshirn.
Die grossen Hirnnerven N. trigeminus, facialis, glossopharyngeus und
vagus sind in den Visceralbögen
1,2,3 und 4 verankert. Die Visceralbögen sind beim Menschen die ersten oberflächenvergrössernden Teile
der Gesichtsregion. Wegen dieser
Verankerung vermag das Hirn hier im
Laufe des weiteren Längenwachstums nur teilweise vom Gesicht und
von der Schädelbasis abzurücken.
Der lokal besonders fest verankerte
Gehirnabschnitt entwickelt sich zur
Brücke (Pons).
Nur vor und hinter der Brücke wölbt
sich das Gehirn noch längere Zeit
stark antibasalwärts vor, so dass es
hier zur Ausbildung der Scheitel- und
Nackenbeuge kommt (Abb. 21)
Damit ist eine erste Gliederung des
Gehirns beschrieben, die noch keine
funktionelle Differenzierung aufzeigt,
Abb. 19
sondern die durch integrierte Wachstumsvorgänge
hervorgebrachte
wachstumsfunktionelle Bildung beschreibt.
Das Gehirn ist im 2. Monat immer noch ein weitlumiges Hohlorgan, das sich in Faltung befindet und dabei an mehreren Stellen knickt. Das Lumen, also die Ventrikelanlage des noch deutlich rohrförmigen Gehirns ist örtlich verschieden weit.
Die Dura wird durch das Expansionswachstum des Gehirns gestrafft. Sie setzt dieser
Entwicklung zunehmenden Widerstand entgegen, indem sie eine relativ zum Gehirnvolumen kleine Oberfläche anstrebt und sich ihrer Gestalt, der Kugelform, nähert.
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Unter diesen Umständen schieben sich die Gehirnteile allmählich mit verschärften
Knickungen ziehharmonikaartig zusammen: das Gehirn mit seiner vordem mehr wellenförmigen Längsachse erscheint geknickt (Abb.21). Die Rhombenform des Hinterhirns kommt dadurch zustande, dass der Kopf sich mit seiner Hinterhirnanlage früh
über den breiten Herzwulst legt. Dabei vergrössert und verdünnt sich seine antibasale Wand fast ohne Materialzunahme und die im Verankerungsgebiet des Trigeminus
verdickte laterale Wand kippt nach aussen. (Abb. 20)
1) Flächenwachstum des Rautenhirns
2) Liquorausschwitzung in das basale Mesenchym
(Entstehung einer Cysterna basalis)
3) Vorknorpelige Schädelbasis bzw. verdichtete
Körperwand der Unterkieferregion
4) Verdichtungszone im Rumpf für Rumpfteil des
Bewegungsapparates
5) und 6) Haltefunktion der basal besonders kräftig
gestrafften Dura
Im 2. Monat wächst das Vorderhirn besonders
schnell. Mit der Abkugelung der Dura zwängen die
lateralen Abschnitte des Endhirns (die späteren
Grosshirnhemisphären) das Diencephalon zwischen
sich ein und damit teilweise auch den durch zahlreiche Nerven basal verankerten im Wachstum zurückbleibenden Hirnstamm. Hierbei gerät das Diencephalon zwischen den beiden Hemisphären so in
die Enge, dass seine lateralen Wände sich abflachen und an der vergrösserten Kontaktfläche mit
der Ventrikelflüssigkeit vermehrt Mitose bilden Entstehung des Thalamus. Sie wölben sich lumenwärts vor und spannen dadurch das Dach des III.
Ventrikels. Das gestraffte Dach des III. Ventrikels
wächst nur wenig und bleibt dünn.
Die Entstehung
der Basalganglien zeigt ähnliche
EntwicklungsbeAbb. 20
wegungen
wie
sie für den Thalamus gelten.
Die Gehirnoberfläche bleibt bis ca. zum 6. bis 7.
Monat glatt. Erst dann beginnt durch die Zunahme der Zellzahl die Faltung der Oberfläche zu
den typischen Wülsten (Gyri) und Furchen (Sulci).
Diese Reliefbildung ist eine gemeinsame Leistung
von Gehirn und seiner Kapsel. Das gilt für die
Oberflächengestaltung von Grosshirn wie auch
für jene des Kleinhirns.
Embryologie aus Sicht der Craniosacralen
Abb.Osteopathie
21
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VI 2.3. Gliederung des Nervensystems
Faktoren vom dorsalen Ektoderm und solche von der ventralen Chorda dorsalis ausgehend bestimmen die weitere Entwicklung des Neuralrohrs und induzieren eine unterschiedliche Differenzierung der Neuronen zu motorischer Funktion ventral (Grundplatte) und dorsal mit sensibler Funktion (Flügelplatte).
Vor der Entwicklung der Gehirnbläschen ist im Neuralrohr des Kopfes eine metamere
Gliederung zu erkennen, die der Gliederung des Rumpfes in Somitensegmente entspricht. Diese Segmente des Neuralrohrs werden als Neuromere bezeichnet und
spiegeln die primäre Gliederung der Kopfanlage wider, während mit der Ausbildung
der Gehirnbläschen bereits die funktionelle Ausgestaltung beginnt.
Die drei primären Hirnbläschen sind Zentren für die zentralen Sinnesorgane Riechen,
Sehen und Hören. Aus dem Prosenzephalon stülpen sich nach lateral die Augenbläschen aus, die im Oberflächenektoderm die Augenplakoden induzieren. Im Ektoderm
des Stirnfortsatzes induziert das Prosenzephalon die Riechplakoden. Das zweite
Bläschen entspricht dem späteren Mesenzephalon (Mittelhirn). Das dritte Gehirnbläschen ist das Rhombenzephalon (Rautenhirn). Ihm sind beiderseits die Ohrbläschen
zugeordnet, die sich durch Einstülpung der Ohrplakoden aus dem Ektoderm entwickeln.
Abb. 22
Durch das Auswachsen der Endhirnbläschen wird das ursprüngliche Prosenzephalon
als Dienzephalon (Zwischenhirn) zwischen die Endhirnhemisphären eingeschlossen.
Die Endhirnbläschen werden zum I. und II. Seitenventrikel, das unpaare Vorderhirnbläschen zum III. Ventrikel im Dienzephalon. Die Lamina terminalis wird als vordere
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Begrenzung des Prosenzephalons dem Telenzephalon zugerechnet. Die Endhirnbläschen stellen am Anfang nur ein dünnes Häutchen dar. Aber schon von der 5. Woche an beginnen sie mit der Entwicklung der Grosshirnrinde.
Telezenphalon: Die Endhirnhemisphären gehen am Foramen interventriculare vom
Zwischenhirn ab und überwachsen schliesslich den gesamten Hirnstamm.
Dienzephalon: Es ist primär ein Sehhirn, aus dem sich die Augenbläschen ausstülpen.
Mesenzephalon: Hier entwickelt sich die Vierhügelplatte. In den oberen Vierhügeln
wird optische Information, in den unteren Hör- und Gleichgewichtsinformation zu Haltungs- und Blickbewegungen verarbeitet. Das Mittelhirnbläschen verengt sich zum
Aquaeductus cerebri.
Rhombenzephalon:
a) Myelenzephalon (hinterer Abschnitt): Es kann als verlängertes Rückenmark
aufgefasst werden. Es enthält als Schlundhirn die Kerne für die Schlundbogennerven des ersten bis fünften Schlundbogens.
b) Metenzephalon (vorderer, cranialer Abschnitt):Es ist der letzte Hirnabschnitt
oberhalb des Rückenmarks. Es enthält die zentrale Repräsentation des Hörund Gleichgewichtsorgans. Bei der Einknickung des Rautenhirns zur Brückenbeuge werden die Rautenlippen quergestellt und bilden einen Wulst, der
sich in den IV. Ventrikel hinein und über dem Dach der Rautengrube ausdehnt. Die Kleinhirnwülste entstehen in den oberen Lippen der Rautengrube.
Das Kleinhirn dient der Feinabstimmung von Haltungs- und Stellreflexen.
Abb. 23
Abb. 24
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VII
Der Primäre Atemmechanismus und seine Entstehung
in der embryonalen Entwicklungsphase
Der Primäre Atemmechanismus findet seine Anfänge im Embryo auf mindestens
zwei verschiedenen Ebenen, nämlich auf einer energetischen und auf einer bewegungsmässigen.
Immer wieder spannend dabei sind die Ausführungen von Erich Blechschmidt. Für
meinen Wissensstand wird er mit seinen submikroskopischen Forschungen den
grobstofflichen Verhältnissen mehr als gerecht. Aber auch den feinstofflichen, ja sogar den energetischen Überlegungen kommt er mit seinen Ausführungen erstaunlich
nahe. Manchmal kann man sich fragen, was er von traditionellen Medizinkulturen aus
dem fernen Osten gewusst haben mochte.
VII 1. Gestaltende Energie oder „breath of life“
Sutherland hat vom Primären Atemmechanismus auch als „Breath of life“ – Lebensatem - gesprochen. Ausserdem hat er der Fluktuation der zerebrospinalen Flüssigkeit
eine energetische Qualität zugeordnet, die Potency oder Intelligency (Anfangsbuchstabe mit einem grossen I geschrieben). Diese energetische Ebene habe ich im
Werdeprozess der axialen Organanlagen gesucht – im Organisationszentrum Primitivrinne und -knoten.
Interessant in diesem Zusammenhang ist Erich Blechschmidt’s Betrachtungsweise
des Axialfortsatzes. Seine Forschungsergebnisse an fast lebensfrischen Embryonen
stellen nicht nur die Wachstumsentwicklung von Primitivstreifen und Axialfortsatz in lage- und bewegungsmässigen Zusammenhang. Sie sprechen ausserdem
dem Axialforsatz eine ganz spezifische Eigenschaft zu, nämlich die Eigenschaft des
ruhenden Pols in einer extrem komplexen und dichten Entwicklungsphase.
Die Vorherrschaft des Gehirns lässt sich schon nach den ersten beiden Wochen erkennen. Schon hier ist die Entocystscheibe am cranialen Ende breiter als am caudalen Pol. Hier wirkt der Haftstil einengend und wachstumsbremsend, während am anderen Kopfende schnelles Wachstum gegen geringen Widerstand stattfindet. In der
Kopfregion wölbt sich das Ektoderm in den Fruchtwasserraum vor und bildet eine
Expansionskuppe. Im Rumpfteil der Entocystscheibe entsteht im Gegensatz zur Expansionskuppe eine Senke – die Impansionssenke. Die Expansionskuppe geht mit
einem scharfen Rand in die Impansionssenke über. Der wachsende Umbördelungsrand überrollt mehr und mehr die Impansionssenke, so dass eine fingerförmige Einstülpung entsteht, der sogenannte Axialfortsatz. Während sich der wachsende Umbördelungsrand immer weiter über die Impansionssenke schiebt, findet im Inneren
des Axialfortsatzes kaum ein Wachstum statt. Blechschmidt betrachtet deshalb die
Spitze des Axialfortsatzes als das Zentrum, gleichsam den Nullpunkt der Entwicklungsbewegung der ganzen Keimscheibe. Sehr bald verschwindet das Lumen
des Axialfortsatzes. Was bleibt, ist die Chorda.
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VII 1.1.
Anfänge des energetischen Aspektes
Die Anfänge des energetischen Aspektes können in der Anlage der ventralen Mittellinie des Embryos, in der Chorda dorsalis gesucht werden.
Ab dem 15. Tag ist am hinteren Pol des Keimlings der Primitivstreifen als verdicktes
Ektoderm sichtbar. Der Streifen wächst bis zum vorderen Drittel der Keimscheibe
vor. Auf dem Streifen entsteht die Primitivrinne, durch die sich am 16./17. Tag Zellmaterial einrollt und so die Mesodermschicht bildet. Wenn der Primitivstreifen seinen
Endpunkt zwischen der Mitte und dem vorderen Drittel der Keimscheibe erreicht hat,
verdickt sich seine Spitze zum Primitivknoten, durch den sich das Material für den
Chordafortsatz einschiebt.
Am 16./17. Tag beginnt in der Mitte der Keimscheibe durch Zellbewegungen und
Zellteilungen die Entwicklung des Embryonalkörpers. Zellen wandern nach lateral der
Keimscheibe, ordnen sich als paraxiales und intermediäres Mesoderm und verbinden
sich am Rande der Keimscheibe in Form der dünnen Seitenplatte mit dem Mesoderm
der Hüllen (parietale Mesodermschicht mit Amnion und viszerale Mesodermschicht
mit dem Dottersack). Im Inneren der zweiblättrigen Keimscheibe gibt es also jetzt eine dritte Schicht: das Mesoderm. Zellen, die sich durch den Primitivknoten einschieben, wandern als Kopffortsatz auf die Prächordalplatte zu.
Abb. 25 Aufsicht auf die Keimscheibe mit Primitivrinne und Primitivknoten
Heute weiss man, dass jede Schicht (Entoderm, Mesoderm, Ektoderm) einen bestimmten Beitrag zu ganz verschiedenen Geweben und Organen leisten kann.
Jede Keimschicht wird sich mit der benachbarten Schicht vereinigen und verbinden. Sie werden sich gegenseitig durchdringen, um zu wachsen und auch, um
die verschiedenen Teile des menschlichen Körpers mitzubilden.
Das Ektoderm liefert die Anlagen für alles, was später mit Informationsprozessen zu
tun hat (Nervensystem, Sinnesorgane). Es überzieht den Körper und bildet die Epidermis (auch Haare, Nägel, Hautdrüsen, Zahnschmelz).
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Das Mesoderm stellt das Material für die inneren und äusseren Bewegungsprozesse
(Zirkulation, Muskulatur, Bewegungsorgane usw.). Es bildet als Mesenchym embryonales Bindegewebe und leistet seinen Beitrag zu verschiedenen Typen von Bindegewebe: so z.B. Blut, Knorpel-, Knochen- und Muskelgewebe, Aufbau der Blutgefässe, der Körperhöhlen (Perikard, Pleura, Peritoneum), der Nieren und der Gonaden,
Muskel- und Bindegewebsschichten des Verdauungssystems. Thymus.
Das Entoderm stellt das Material für die Stoffwechselorgane. Es liefert die Auskleidung eines Grossteils des Verdauungskanals und der mit ihm vergesellschafteten
Drüsen (Leber, Gallenblase, Gallenwege, Pankreas) sowie die innere Schicht des
Atmungssystems (Tracheobronchialsystem), der Allantois und das innere Blatt der
Kloaken- und Rachenmembran.
Abb. 26 Querschnitt durch die Keimscheibe in Höhe der Primitivrinne. Die Ektodermzellen wandern
nach innen.
VII 1.2.
Primitivknoten als Organisationszentrum
Der Hensen-Knoten, der Ort der Kopffortsatzeinstülpung verschiebt sich kontinuierlich nach hinten, so dass sich die Primitivrinne verkürzt und der Kopffortsatz oder
Chordakanal, also die spätere Chorda dorsalis, sich verlängert.
Der zurückwandernde Primitivknoten ist ein Organisationszentrum, das in
den Keimblättern
die
Ausbildung
der Achsenorgane des Embryos
induziert. Durch
Invagination
in
die Primitivgrube
wird das ZellmaAbb. 27
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terial im Primitivstreifen als Chorda vor dem Knoten niedergelegt. Sich zurückziehend induziert es lateral die Organisation des Mesoderms in Somiten und im darüber liegenden Ektoderm die Neuralplatte und anschliessend zwei aufeinander zuwachsende Neuralfalten, die sich zu einem Rohr, dem Neuralrohr zusammenschliessen. Der Neuralrohrschluss beginnt kranial und folgt wie die Somitenbildung der
Wanderung des Primitivknotens nach kaudal.
VII 1.3.
Die ventrale Mittellinie oder Chorda dorsalis
Sie wird auch Notochord (Urwirbelsäule) oder pirmäre primitive Mittellinie genannt.
Sie ist die erste in der Mitte verlaufende Struktur.
2. Medianschnitt.
Vor dem Primitivknoten verschmilzt der Boden des Axialkanals mit dem Entoderm
und löst sich auf. C) Das
Material des Chordafortsatzes wird in das Entoderm
eingeschaltet und bildet an
dieser Stelle das Dach des
Dottersackes. Die Primitivgrube öffnet sich vorübergehend über den Axialkanal
in den Dottersack hinein
(Pfeil). Der Canalis neutralis
verbindet
vorübergehend
den späteren Zentralkanal
mit dem späteren Darmrohr.
Kranial schliesst sich an den
Chordafortsatz ein verdickter Entoderm-bezirk an, der
als Praechor-dalplatte bezeichnet wird. Auch im Bereich der späteren Kloakenmembran bleiben Entoderm und Ektoderm in direktem Kontakt.
3. Querschnitte durch die
Keimscheibe.
a) Im Bereich des Primitivstreifens gehen Ektoderm
und Mesoderm ineinander
über. Die flache Entodermschicht hat sich etwas abgeAbb. 28
löst. b) Die Primitivgrube im
Primitivknoten setzt sich
nach vorn in den Axialkanal fort. c) Der Axialkanal verläuft als kleiner epithelialer
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Gang im Chordafortsatz. d) Der Boden des Axialkanals im Chordafortsatz löst sich
auf, so dass der Chordafortsatz als Chordaplatte in das Entoderm eingeschaltet ist.
e) Aus der Praechordalplatte entsteht später Kopfmesoderm. Die Notochordaplatte
(Material aus Entoderm und eingewanderten Primitivgrubenzellen) faltet sich bis zum
31. Tag zur fertigen Notochorda. Sie ist die Anlage des primitiven Achsenorgans,
der Chorda dorsalis. Die Chorda dorsalis ist Vorläufer der Wirbelsäule. Herausgelöst
aus dem Entoderm ist sie Entstehungsort des Nucleus pulposus der Bandscheiben.
Das Längenwachstum der Chorda dorsalis verläuft als geradlinige Streckung.
(vgl. Übersicht einer Schnittrekonstruktion eines Embryos weiter unten.) Es ist keineswegs eine Aufrichtung des Embryos.
VII 1.4.
Die Bildung der Somiten
Somiten werden die Segmente genannt, wie sie das paraxiale Mesoderm gegen Ende der 3. Woche im cranialen Abschnitt des Keimlings beidseits vom Neuralrohr bildet (1 und 2). Dem ersten Somitenpaar anschliessend werden in kraniokaudaler
Richtung etwa 3 weitere Somitenpaare pro Tag gebildet. Am Ende der 5. Woche sind
42 bis 44 Somitenpaare vorhanden - vier okzipitale, acht cervicale, zwölf thoracale,
fünf lumbale, fünf sakrale und acht bis zehn kokzygeale Somitenpaare. Das erste okzipitale und die letzten fünf bis sieben kokzygealen Paare bilden sich später wieder
zurück.
Die Funktion der Somiten liegt
in der Ausbildung der Grundform des embryonalen Körpers
und in der segmentalen Gliederung des mesodermalen Anlagema-terials (Wirbelbildung,
Band-scheibe,
Rippenbildung,
Schulter- und Beckengürtel, sowie die Anlage der Extremitäten). Somiten sind embryonale
Organe, die sich ohne zelluläre
Differenzierung wieder auflösen.
Innerhalb der Somiten bilden die
Mesodermzellen vorübergehend
einen 1) epithelialen Zellverband.
Bei ihrer Auflösung wandern zuerst die Sklerotome auf die
Chorda dorsalis zu und bilden
dort das Anlagematerial für die
Wirbelsäule (3), 4), 5)).
Mit zunehmender Länge des
Neuralrohrs vergrössern sich die
Abstände der Aortenäste. Die
Somiten strecken sich dabei in
einer craniocaudalen Richtung
und differenzieren sich dadurch
mehr und mehr.
Abb. 29
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Unter der ektodermnahen, wachstumsaktiven Schicht, die zu Dermatomen (3), 4),
5)) werden, findet sich eine Schicht mit langsamerem Zellwachstum. Diese Zellen
werden durch ihr langsames Mitwachsen gedehnt. Es sind die Myotome (4), 5)), die
sich mit dieser Dehnung dem zunehmend grösseren Abstand zwischen den segmentalen Blutgefässen anpassen – und die ersten Muskelzellen ausbilden (vgl. Kapitel V,
6.2.5. Stoffwechselfeder, Dilationsfeld). Sie bekommen Kontakt mit den auswachsenden Nerven und werden zu Skelettmuskelanlagen.
Die Somiten stellen das Grundelement für die Metamerie dar. Die Somitengliederung
erstreckt sich auf die gesamte Leibeswand. Die Verpflanzung eines Somiten führt
zum Auswachsen eines zusätzlichen Spinalnervs und zur entsprechenden Veränderung des gesamten metameren Musters (Drews, Taschenatlas der Anatomie).
VII 1.5.
Die dorsale Mittellinie oder Zentralkanal des Neuralrohrs
Der Neuralrohrschluss beginnt kranial und folgt wie die Somitenbildung der Wanderung des Primitivknotens nach kaudal.
Das Neuralrohr entsteht aus der Neuralplatte. Über der Chorda und dem paraxialen
Mesoderm verdickt sich das Ektoderm vor dem zurückwandernden Primitivknoten
(Kapitel VI, 1.1. und 1.2.) zur Neuralplatte. Zu Beginn der 4. Woche erfolgt die Aufrichtung der Neuralplatte.
Abb. 30 zeigt verschiedene Phasen
der Neuralrohrbildung:
Die noch offenen Neuropori anterior
und posterior
(a) Die sich aufrichtende Neuralplatte bildet die Neuralrinne.
(b) Die Neuralwülste nähern sich
zum Neuralschluss. Sie enthalten
das Neuralleistenmaterial.
(c) Sobald die Neuralwülste miteinander verschmelzen, werden die
Neuralleistenzellen mobil und wandern aus dem Neuralepithel aus.
Das Neuralleistenmaterial lässt
eine grosse Varietät von Geweben
aus sich hervorgehen. Seitlich wandert es in 3 verschiedene RichtunAbb. 30
gen aus:
1. Zellen wandern in der lateralen
Bahn zur Körperseitenwand für Haut und Muskulatur
2. Einige Zellen bleiben gleich neben dem Neuralrohr liegen und werden zu den Spinalganglien.
3) Andere Zellen wandern in der medialen Bahn zwischen Neuralrohr und Somiten
zum peripheren vegetativen Nervensystem der Organe.
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Abb. 30 a
Von der zweidimensionalen Scheibe
zum dreidimensionalen Körper
VII 1.6.
Abschliessende Gedanken zum energetischen Aspekt
Zusammenfassend möchte ich für das Organisationszentrum Primitivknoten den zeitlichen Rahmen hervorheben. Innerhalb von wenigen Tagen, nämlich vom 16. bis
zum 19. Tag induzieren Primitivstreifen und der in der Längsachse der Keimscheibe
zurückwandernde Chordafortsatz mit Axialkanal und dem nachwandernden Primitivknoten gewaltige Schritte in der Entwicklung. Innerhalb von nur 3 Tagen hat das zurückwandernde Organisationszentrum Primitivknoten die Entwicklung von Chorda
dorsalis, Somiten und Neuralrohr eingeleitet. Hervorheben möchte ich nochmals den
ebenfalls von cranial nach caudal mit dem Chordafortsatz mitwandernden Axialfortsatz, der vorübergehend die beiden Flüssigkeitsräume Amnion (dorsal der Keimscheibe liegend) und Dottersack/Darmbläschen (ventral der Keimscheibe liegend)
miteinander verbindet. Amnion- und Dottersackflüssigkeiten stehen vorübergehend
(ca. 1 Tag lang) im Austausch miteinander.
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Damit werden so viele grundsätzliche Entwicklungsbewegungen induziert, dass dieser Prozess mir als einer der bedeutendsten Entwicklungsschritte in der embryonalen
Phase überhaupt erscheint. Auf den Impuls der einwandernden Zellen beginnen, wie
eben gesagt, gleich auf drei Ebenen Wachstumsbewegungen (Entwicklung der
Chorda dorsalis, der Somiten und des Neuralrohrs). Gleichzeitig wächst eine neue
Gewebeschicht (das Mesoderm) zwischen die beiden schon bestehenden Schichten
Ektoderm und Entoderm. In der Ausdehnung der drei erwähnten Anlagen (Chorda,
Somiten und Neuralrohr) in der ganzen Rumpflänge des Embryos bis in die Kopfregion liegt ein gewaltiges Potenzial. Entlang ihres gesamten Verlaufs organisieren
sich die weitere Entwicklung der Organe und sogar die Gestaltwerdung des Embryos. Der Lauf des Chordafortsatzes zeichnet das Muster der Mittellinie für das werdende Zentralnervensystem, die Grundgestalt des menschlichen Körpers, für SkelettKopf- und Gesichtsbildung. Und durch die Verschmelzung des Axialkanals mit dem
Entoderm hat es Anteil am späteren Darmrohr.
Chordafortsatz und Axialkanal wirken tief in die Keimscheibe ein. Wie ein weicher Malstift prägen sie ein Zeichnungsmuster, in dessen Verlauf die Entwicklung zur Dreidimensionalität angelegt wird. Damit beginnt die räumliche Entwicklung des Embryos. Er bekommt seinen Körper.
Vielleicht kann der Lebensatem - „Breath of Life“, Sutherland - in Zusammenhang
mit diesem embryonalen Entwicklungsschritt gesehen werden?
Das biodynamische Modell der Craniosacralen Osteopathie (Begründer sind unabhängig voneinander Jealous, James, S. (DO) und Sills, Franklyn)
Jealous hebt besonders die ventrale Mittellinie, die Chorda dorsalis hervor.
Sills unterscheidet eine ventrale von einer posterioren Mittellinie. Er ordnet ihnen unterschiedliche Funktionen zu, die ein Leben lang zusammenwirken.
Die primäre oder ventrale Mittellinie ist eine Orientierungsachse für den Bereich der
Zellen und Gewebe. Zeitlebens sorgt die Mittellinie dafür, dass die Organisation der
menschlichen Gestalt aufrechterhalten bleibt. Der Chordafortsatz reicht bis zur Region der Hypophyse (sella thurcica ossis sphenoidalis). Ihr energetisches Prinzip reicht
aber bis ins Os ethmoidale. Ihre Natur entspricht dem Luftigen.
Eine weitere Mittellinie liegt posterior. Es ist die Orientierungsachse für die Flüssigkeitsebene. Sie verläuft im liquorgefüllten Zentralkanal bis in den 3. Ventrikel. Ihre
Natur entspricht dem Flüssigen.
Die beiden Mittellinien sind miteinander verbunden und halten gemeinsam die Organisationsfunktion von Flüssigkeit, Zellen und Gewebestruktur aufrecht.
Die Begriffe Primitivrinne, Chorda dorsalis, Axialfortsatz, und Neuralrohr aus der
Embryologie veranlassen mich, etwas auszuholen.
Fernöstliche Medizintraditionen
Franklyn Sills hat die Arbeit von Dr. Stone im Buch „The Polarity Process“ beschrieben. Er war selber Instruktor für Polarity-Therapie bevor er sich der Craniosacralen
Biodynamik zugewendet hat.
Dr. Randolph Stone, Doktor der Osteopathie, der Chiropraktik und Naturheilkundiger
und Begründer der Polarity Therapie, hatte sich viel mit fernöstlichen Medizintraditionen und Kulturen befasst. In der indischen Tradition, der ayurvedischen Medizin, ist
er mit dem System der Nadis in Berührung gekommen.
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Nadi bedeutet Röhre oder Ader. Die Nadis entsprechen in etwa den Nerven. Sie haben jedoch nicht nur physische, sondern auch feinstoffliche Bedeutung.
Gehirn und Wirbelsäule sind für einen Yogi sehr wichtig. Ein feinstofflicher Strang
führt angefangen beim After in der ganzen Länge des Rückenmarkkanals bis hoch
zum Schädeldach. Der Sanskritname dieses Stranges ist susumna. In seinem Verlauf sind die 7 grössten Chakras (Energieräder) eingeordnet. Auf beiden Seiten dieses zentralen Stranges führt je ein weiterer „Nervenstrang“ (Nadi), der in Sanskrit ida
bzw. pingala genannt wird. Diese beiden Nadis reichen von den beiden Nasenlöchern via Schädelbasis bis zum Steissbein. Ida und pingala sind Begriffe aus der
Yogaphilosophie, die in etwa dem parasympathischen und sympathischen Nervensystem entsprechen. Es gibt insgesamt rund 72000 Nadis im menschlichen Körper.
Yogis beschäftigen sich in Meditation und Atemführung viel mit den nadis und konzentrieren sich auf sie. Besonders wichtig ist susumna, denn zuunterst „schläft“ Kundalini sakti, die schöpferische Energie, die göttliche Natur. Das Ziel des Yoga ist es,
Sakti zu erwecken. Sakti soll durch die Wirbelsäule aufsteigen - bis zum Sitz von Siva. Siva ist reines Bewusstsein und hat seinen Sitz im Schädeldach. Sakti soll zu Siva aufsteigen und sich mit ihm vereinigen. In dieser Vereinigung von Natur und Bewusstsein wird der Mensch frei von Sorgen, Verstrickungen und Problemen im gesundheitlichen, sozialen und psychischen Bereich.
Den Zustand von Freiheit erreicht er durch Reinheit von Körper und Geist, durch richtiges Üben und richtige Atmung und durch die Gnade Gottes. Mit Atmung ist auch die
innere Atmung, die Zellatmung und die feinstoffliche Ebene der Atmung, die Lebensenergie gemeint ist (Yogi Dhirananda (S. K. Ghosh), Yogamrita, die Essenz des Yoga).
Es gibt weitere alte Konzepte von menschlichen Energiefeldern, die sich an der Mittelachse orientieren. So ist das Meridiansystem aus der traditionell chinesischen Medizin ein Beispiel, das ich hier nicht näher bespreche. Das tibetische ist dem indischen System sehr ähnlich.
Dr. W. G. Sutherland hatte, wie schon erwähnt im Zusammenhang mit dem primären
Atemmechanismus vom „Breath of life“ gesprochen. Ich gehe davon aus, dass er mit
diesem Begriff Bewusstsein oder Energie gemeint haben könnte, wie sie oben mit
den Mittellinien oder den Energiekanälen aus östlichen Traditionen beschrieben sind.
Der Gedanke von Energiefluss und Lebenskraft ist dem Westen nicht fremd. Auch
wir kennen in unserer christlichen Kultur Begriffe wie Seele (Inneres des menschlichen Individuums) oder „Heiliger Geist“ (allgemein göttliche oder universelle Ebene).
In der modernen, industrialisierten Gesellschaft sprechen wir aber eher in einem intellektualisierenden, analysierenden Sinn davon und geben der Ebene der erfahrbaren Empfindung keine ernsthafte Bedeutung. Der „Heilige Geist“ kann für den Gläubigen Energiefluss und Lebenskraft sein.
Wir sprechen von Lebenskraft und Energiefluss, ohne nach Instrumenten zu suchen,
wie wir sie verinnerlichen und in unseren Körpern empfindend erlebbar machen
könnten. Von dieser Warte aus wird Gesundheit zum Konsumgut, das von aussen
abhängt. Man kann es an Fachpersonen in Medizin oder im Wellnessbereich delegieren. So suchen wir Heilwerden im Aussen. Der Gedanke, Heilwerden wirklich im Inneren entstehen zu lassen, bleibt uns fremd.
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Überblick einer Schnittrekonstruktion der inneren Organe eines 4.2 mm grossen
Embryos im Stadium 13
Nervensystem: Die Anlage des Gehirns gliedert sich in das Prosenzephalon mit den
Augenbläschen (1), das Mesenzephalon (2) und das Rhombenzephalon (3). Die
Schlundbogennerven N. trigeminus (4), N. facialis (5), N. glossopharyngeus, (6) Ohrbläschen, (7) und N. vagus (8) wachsen aus, ebenso wie die Spinalnerven, Spinalganglienleiste (9) .
Herz und Gefässe: von der Herzschleife ist die Myokardoberfläche dargestellt. Der
Vorhofabschnitt (a), die Kammer (b) und der Bulbus (c) sind durch Furchen gegeneinander abgegrenzt. Vom Venensystem sind sichtbar die V. cardinalis sup. (10), der
gemeinsame Stamm der Kardinalvenen (11), die V. cardinalis inf. (12), die V. umbilicalis und der Plexus der Dottervenen (22). Arteriensystem: Aorta mit Intersegmentalarterien (13) und A. umbilicalis (18).
Darmrohr: Unterhalb der Schlundtaschen sind die Lungenknospe (20) und unter
dem Herzen das Netzwerk der Leberzellbälkchen sichtbar (21), die in die Gefässbahn der Dotter- und Nabelvenen (22) hineinsprossen.
Chorda dorsalis: (15) liegt ventral vom Neuralrohr
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VII 2. Gestaltende Bewegung
Im Primären Atemmechanismus sind zwei verschiedene Bewegungsaspekte angelegt.
Submikroskopische Stoffwechselbewegungen
Der eine Aspekt liegt in seiner späteren Funktion, der Förderung von submikroskopischen Stoffwechselbewegungen. Diese Funktion wird meiner Meinung nach über die
lange Phase der Organogenese des Embryos aufgebaut.
Ich erinnere an den Grundsatz der Kinetischen Entwicklungstheorie, der besagt, dass
die submikroskopischen Elemente der Entwicklungsbewegung Stoffwechselbewegungen sind.
Die Entwicklungsbewegung des Nervensystems als Wachstumsleistung scheint mir
grundlegend zu sein für diese spätere vernetzte Aufgabe. Sie kann aber nur in Abhängigkeit zur Entwicklung der übrigen Organe gesehen werden.
Physiologische Bewegungsrichtung oder inhärente Bewegung des PAM
Der andere Aspekt ist die physiologische Bewegungsrichtung oder inhärente Bewegung, die der Primäre Atemmechanismus (PAM) später über die Anheftungsstellen
der Reziproken Spannungsmembran auf die Schädelknochen ausüben wird (vgl. Kapitel IV).
Erich Blechschmidt’s Kinetische Entwicklungstheorie gibt jeder Entwicklungsbewegung eine funktionelle Bedeutung:
Die Grundfunktion der Organe in der embryonalen Phase ist die Gestaltungsfunktion.
Das Nervensystem kann den Mechanismus des Primären Atems nicht alleine ausführen, sondern nur im Zusammenwirken mit dem umgebenden Flüssigkeitsraum innerhalb der bindegewebigen und knöchernen „Hüllen“. Die Bewegung wird über die
Flüssigkeiten auf die cranialen/spinale Meningen und die knöchernen Strukturen des
beweglichen Schädels und des Sakrums übertragen. Die Bewegung setzt sich im
gesamten Körper fort. Über Austrittsstellen von Nerven und Gefässen durch Öffnungen im Schädelbereich und in den Foramina der Wirbelsäule bestehen Verbindungen
zum Bindegewebe des ganzen Körpers. Tatsächlich bestehen bereits embryonal
ausgeprägte, wachstumsfunktionelle Einflüsse zwischen ektodermaler Hirn/Rückenmarkanlage und mesodermalem Gefässsystem. Das embryonale Rückenmark entwickelt sich alles andere als eigenmächtig. Das Wachstum geschieht in engem funktionellem Zusammenhang mit dem Bindegewebe seiner Umgebung. Immer
wieder hat E. Blechschmidt darauf hingewiesen, dass das Nervensystem (Ektoderm)
schneller wächst als das Gefässsystem (Mesoderm) und dass das Gefässsysstem
das Nervensystem bevorzugt versorgt. Dabei hat das Mesoderm mit seinem Gefässsystem nicht nur eine ernährende Funktion. Es dient dem werdenden Neuralrohr
schon sehr früh auch als Halteapparat.
Die entsprechende Entwicklungsgebärde für diese inhärente Bewegung kann in der
Krümmungsphase des Embryos gesehen werden. Es ist die Zeit, in der der Embryo
die Anlage des Nervensystems entwickelt, seine Körpergrundgestalt annimmt und alle Organsysteme anlegt. Die Krümmungsphase übt die spätere Flexionsphase oder
Inspirationsphase des Primären Atemmechanismus vor.
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Für die Betrachtung der Bewegungsebene möchte ich mit der Bildung von Herz und
Kreislauf beginnen. Die direkte entwicklungskinetische Beziehung des Gehirns zum
Herzen ist für meine Überlegungen von grosser Bedeutung. Das Nervensystem wird
vom Gefässsystem in seinem Wachstum gehemmt.
VII 2.1.
Blutbildung und Herzkreislauf
Die Entwicklung des Herzens, formuliert Blechschmidt, steht im Dienste der Blutversorgung des jungen Gehirns. Mit zunehmender Vergrösserung des Herzens im
Dienste der Blutversorgung des Gehirns entwickelt sich noch im 1. Monat als Hilfe
des Herzens, gleichsam als Vorfilter, die Leber.
Die Differenzierung der Blutgefässe beginnt etwa Mitte der 3. Woche im Mesoderm
vor der Praechordalplatte. Dort und auch im Bereich des Haftstils werden sie als Blutinseln sichtbar. Die Blutinseln bestehen aus Zellnestern, die sich aussen zu Endothelzellen (Angioblasten) und innen zu den Blutzellen differenzieren. Durch Aussprossen der Endothelzellen verbinden sich die Blutinseln miteinander. Eine so kleine embryonale Anlage ist rasch mit Flüssigkeit durchströmt.
Abb. 31
Entwicklungsphasen des Herz-Kreislaufsystems (nach Rohen):
13.-15. Tag Blutinseln entstehen auf dem Dottersack, im Haftstil und im Chorion
17. Tag
Erste Gefässe bilden sich aus
20. Tag
Primitive Herzschläuche entstehen
21. Tag
Die Herzanlage bekommt Verbindung mit den Gefässen
22. Tag
Das Herz beginnt zu schlagen
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Die Herzanlage entsteht am Kopfende in einem Spaltraum zwischen Ekto- und Entoderm (19. -21. Tag). In diese Perikardhöhle lagern sich mesenchymale Gefässinseln zusammen und bilden so den Endokardschlauch. Die frühe Herzanlage (spätere
Ventrikelregion) befindet sich eigentlich ausserhalb der Keimscheibe. Perikard und
Endokardschlauch bewegen sich aber zunehmend nach caudal. Mit der Abfaltung
des Neuralrohres im Kopfgebiet verlagert sich die Herzanlage unter die Gehirnanlage. Die Herzanlage macht insgesamt eine beträchtliche Einwärts- und Abwärtswanderung von aussen nach innen, also vom Umkreis der Keimscheibe zur Mitte des
Embryos. Das bald schon schlagende Herz ist zuerst Brücke zwischen den organischen Funktionsprozessen an der Peripherie (Chorion, Plazenta) und dem sich bildenden Embryonalkörper. Das Gefässsytem aus Dottersack und Chorionzotten (spätere Plazenta) setzt sich in den embryonalen Körper fort.
VII 2.2.
Die Gestaltungsfunktion des Gefässsystems
Am seitlichen Rand der Embryonalanlage, nahe dem Übergang des Ektoderms in
das Amnion, entstehen im Mesoderm die ersten Venen in einer Kanalisierungszone.
Die Venen führen darin Blut aus den Haftstielgefässen zum Herzen. Von dort gelangt
das sauerstoffreiche Blut vor allem zur Gehirnanlage. Aus dem Kopfbereich fliesst
das Blut seitlich am Neuralrohr entlang wieder zum Haftstiel zurück. Dieser Weg ist
entwicklungsdynamisch vorbereitet. Denn sobald sich das Neuralrohr schliesst, gewinnt das Binnengewebe an seinen Flanken Raum. Diese Zone bleibt jedoch nicht
leer, sondern wird von strömender Interzellularflüssigkeit erfüllt. Es entsteht die paarige Aortenanlage (vgl. Übersicht Schnittrekonstruktion weiter oben). Die genannte
Entwicklung ist eine Folge davon, dass schon vor der Bildung des eigentlichen Blutkreislaufs nahrungsreiche Interzellularsubstanz in einem Konzentrationsgefälle in
Richtung Gehirnanlage fliesst. Die Gefässbildungen sind also biodynamisch folgerichtige Differenzierungen.
Die Vorform für die Gefässbildungen sind feine kanalförmige Interzellularsubstanzstrassen im Binnengewebe. Diese Kanalisierungen finden sich regelmässig
dort, wo räumlich Gelegenheit und raum-zeitlich (physikalisch) unmittelbare Veranlassung für ihre Bildung besteht, d. h. wo ein Stoffwechselgefälle wirksam ist.
Auch die zunächst kapilläre Aortenanlage richtet sich nach der prioritären Blutverteilung im Embryo. Ihre Verzweigungen gelten nämlich ebenfalls dem hauptsächlichen
Nahrungsverbraucher, dem Neuralrohr. Hier findet man in regelmässigen Abständen
nacheinander, also metamer, die ersten Rückenäste der Aorten entstehen. Sie unterteilen das Mesoderm in einzelne Segmente. Durch diese Unterteilung entstehen die
sogenannten Somiten oder Körperwandorgane. (Vgl. Kap. VII 1.4.)
Mit dem Wachstum der segmentalen Aortenäste beidseits des Neuralrohrs und der
Unterteilung des Mesoderms in Somiten entstehen Einkerbungen des benachbarten
Ektoderms. Die Einkerbungen sind eine Folge davon, dass am Ende der Gefässe
soviel Nahrung aus ihnen entnommen wird, dass sie selbst zusammen mit ihrem
Gewebsbett im Wachstum zurückbleiben.
Blechschmidt hat regional vergleichende Untersuchungen gemacht, die bestätigen,
dass alle grösseren Gefässe ähnliche Gestaltungsfunktionen haben. Sie wachsen alle relativ langsamer als die Zellverbände ihrer Versorgungsgebiete.
Der Segmentation des Gefässsystems folgt die Segmentation des Nervensystems.
Auch sie ist kinetisch gesehen eine Folge der Somitenbildung (vgl. Kapitel VII, 1.4.).
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Durch das Flächenwachstum der Somiten ist die Bildung der Spinalnerven vorbereitet. Sobald sich ein Somit auf das Neuralrohr „stützt“ und sich gleichzeitig mit seinem
dorsalen Dermatomanteil nach aussen vorwölbt, entsteht eine Schröpffunktion. Folge
davon ist das Auswachsen der ventralen Wurzel senkrecht zur Oberfläche des Neuralrohrs. Ungefähr gleichzeitig entstehen die Spinalganglien. Das Neuralrohr wächst
dorsal besonders schnell, während sein Bett seitlich und ventral kurz bleibt (Anlage
der Dura). Durch das dorsal expansive Wachstum des Neuralrohrs werden die den
Somiten anliegenden Teile des Neuralrohrs in Form der Spinalganglien abgestreift.
So ist die metamere Bildung von dorsaler und ventraler Wurzel der Spinalnerven in
entwicklungsdynamischer Abhängigkeit zu den „Ursegmenten“ Somiten entstanden.
Abb. 32
Wie in Kapitel „Erste Leistungen des Nervensystems“ beschrieben, wird die spätere efferente Leistung eines Neuriten morphologisch bereits hier durch karyofugal
abfliessendes Zytoplasma aus dem Zellkern abgeleitet. Blechschmidt nimmt an,
dass für das dafür notwendige Strömungsgefälle die Wachstumsdehnung der
Muskelanlage im Bereich der Somiten
massgebend ist. Abb. 32 zeigt die Entstehung einer dorsalen und ventralen Wurzel
im Wachstumsfluss (Fluxion). Die verschiedenen Ernährungsbedingungen von
afferenten und efferenten Fortsätzen
zeichnen die Richtungen der späteren Erregungsleitung.
1) langsames Wachstum, daher Widerstand
2) Neurit. Als Vorbereitung der späteren
afferenten Leistung der hinteren Wurzel
hat Blechschmidt eine karyopetale Fluxionsrichtung beschrieben (geschwänzter
Pfeil). 3) Neuroganglion,
4) Dendrit, 5) Neurit, 6) Ausscheidung
von Liquor cerebrospinalis,
7) Ausscheidung von Liquor arachnoidalis.
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Abb. 33 zeigt die Kontaktzonen zwischen
Nerven und Blutgefässen. Durch den Ascensus des Neuralrohrs liegen die Nerven
jeweils am Unterrand der Gefässe. Während das Neuralrohr (punktiert) nach oben
weiter wächst, streift es die Spinalnerven
gleichermassen am Gefässsystem (Vene
grau und Arterie schwarz) ab.
Abb. 33
Der Wachstumswiderstand der Aortenanlage führt dazu, dass das Neuralrohr sich an seinem frei beweglichen Ende (im Kopfgebiet) über den Herzwulst krümmt. Mit dieser Krümmung entstehen Beugefalten das frühembryonale Gesicht. Es verbreitert sich über dem Herzwulst quer. Die Beugefalten bilden quere Bögen, die das Kopfdarmlumen ventral umgreifen (Visceralbögen oder Schlundbögen).
Abb. 35
Abb. 34
Mit der zunehmenden Krümmung des Embryo in der Kopfregion werden die Visceralbögen mehr und mehr verbreitert und das Gewebe in ihrem Inneren dadurch gestrafft und zirkulär zum Kopfdarm ausgerichtet (Abb. 34/35). Das so ausgerichtete
Gewebe wird zur Leitstruktur für grosse Gefässe, die zwischen der kurzen ventralen
Aorta und den längeren dorsalen Aorten Kurzschlüsse herstellen.
Diese Visceralbogenarterien wölben jeweils die Körperwand nach aussen und nach
innen vor. Die Wand wird dadurch bogenförmig dick, bleibt aber zwischen den Bögen
dünn. Im Schnitt entsteht ein Bild wie Abb. 34. Die dünnen Zonen erscheinen aussen
als Kerben, innen dagegen als Taschen (Schlundtaschen).
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VII 2.3.
Die Ausgestaltung der Körpergrundgestalt
Bevor ich die Abfaltungen bespreche, wie sie für die Annahme der Körpergrundgestalt (nach Seidel) wichtig sind, möchte ich die Begriffe Flexion/Extension und Inhalation/Exhalation hervorheben.
Einerseits drücken Flexion/Extension Bewegungsrichtungen des Körpers aus. Dazu
gehören auch die Krümmung von Nacken und Wirbelsäule nach vorne oder hinten.
Die kraniokaudale Krümmungsphase des Embryos wird im Folgenden besondere
Bedeutung bekommen.
Andererseits gelten dieselben Begriffe aber auch für die Bewegungsphasen des Primären Atemmechanismus. Für das Konzept des Primären Atemmechanismus gelten
für Flexion/Extension ausserdem synonym die Begriffe Inhalation/Exhalation.
Die unpaaren Knochen machen in der Flexionsphase des PAM eine Bewegung entlang einer Mittellinie um eine transversale Achse, in der Extensionsphase im umgekehrten Sinn (Abb. 3 Kap. IV 6). Die paaren Knochen machen in der Flexions- oder
Inspirationsphase eine Aussenrotation von der Mittellinie weg, während der Extensions- oder Exhalationsphase kehren sie zurück, machen also eine Innenrotation zur
Mittellinie hin.
Während der Entstehung der Körpergrundgestalt machen die Gewebeschichten der
Keimscheibe zwei verschiedene Bewegungen:
Zuerst kommt es zu einer lateralen Abfaltung, der unmittelbar eine kraniokaudale
Krümmung folgt.
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VII 2.3.1.
Die laterale Abfaltung
Mit einer massiven Entwicklung von Körpersubstanz durch das intraembryonale Mesenchym, Bildung der Somiten und Faltung des Neuralrohres hebt sich der Keim von
der Unterlage ab und wölbt sich zunehmend in die Amnionhöhle hinein vor, die sich
inzwischen ebenfalls stark vergrössert hat. Die Keimscheibe gewinnt an Tiefe, wird
räumlich.
Abb. 36
a) Die Somiten beginnen sich aufzulösen und Mesenchym zu bilden (dünne Pfeile). Die Keimscheibe, bei der sich die Neuralrohrbildung vollzieht (dicke Pfeile), wird voluminöser. Übergang in eine räumliche Struktur (ca. 22. Tag)
b) Der Embryonalkörper beginnt sich vom Dottersack abzuheben (Pfeil) und ein
intraembryonales Coelom (Leibeshöhle) zu entwickeln (23. Tag). Die Körperhöhlen geben Raum für die Entwicklung der inneren Organe. Dottersack und
Entoderm beginnen mit der stufenweisen Faltung des Darmrohrs.
c) Der Embryonalkörepr ist bis auf den Nabelstrang völlig verselbständigt. Die
„Körpergrundgestalt“ (nach Seidel) ist konstituiert (24. Tag). Vom Oberflächenektoderm umhüllt ruht er in seiner Fruchtblase
Das Amnion folgt dieser Körperbildung und formt vorne eine Kopffalte, an beiden
Seiten entsprechende Seitenfalten und hinten eine Schwanzfalte aus, so dass nur
ventral die Verbindung mit dem Dottersack und dem Trophoblasten erhalten bleibt.
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Hier hatte sich schon frühzeitig das sogenannt „extraembryonale“ Mesenchym zum
Haftstil verdichtet. Jetzt bildet sich in diesem Bereich der vom Amnionepithel überzogene Nabelstrang.
Als zweischichtige Keimscheibe bleibt der Embryo gerade. Auch mit der Abfaltung
der Seitenwände und dem Vorwölben in die Amnionhöhle bleibt der Keimling mehr
oder weniger gestreckt. Es wird vermutet, dass die beobachtete Hyperextension bei
den Präparaten möglicherweise deshalb entstanden ist, weil die Spannungsverhältnisse mit Eröffnen des Darmbläschens sich verändert haben.
VII 2.3.2.
Die kraniokaudale Krümmung
Die Abfaltungsbewegung geht am 23. Tag direkt in eine starke ventrale Krümmung
der Embryonalachse über. Die treibende Kraft für diese Krümmung des Embryos ist
das schnelle Wachstum der Neuralanlage. Das Längenwachstum ist dorsal einseitig,
die Krümmung folgt sogleich. Blechschmidt weist nach, dass die Flügelplatte das
Neuralrohrs viel rascher neue Zellen bildet als die Grundplatte. Durch die Volumenzunahme dieser Zellen ergibt sich nicht nur eine exzentrische Wachstumsrichtung in
die Länge, sondern auch eine fortschreitende Krümmung des Neuralrohrs und damit
des Embryos. (Zeitschrift für Anatomie und Entwicklungsgeschichte, Bd. 120 S. 150–172 (1957)).
Die Kopffalte mit den
Hirnbläschen
überwächst die Mundbucht
und den Herzschlauch.
Die Aortenanlage bindet den Embryo in
Beugehaltung zurück.
Die Herzanlage wandert von ausserhalb der
Keimscheibe vor dem
Kopfende nach vorne
unten in die Brusthöhle
ein. Mit dem Eintreten
des Herzens in die
Brusthöhle wird der
Hals schlanker und das
frühe Breitgesicht sichtbar. Vorher ist es völlig
verdeckt vom Herzwulst.
Abb. 37
Was mag es bedeuten, dass die Herzanlage gleichsam von aussen, nämlich von
ausserhalb der Keimscheibe sich unter die Gehirnanlage in den Hals schiebt und
weiter in den Brustraum? Sie wird sogar zum ersten funktionstüchtigen Organ, wenn
sie bereits am 22. Tag mit rhythmischen Schlägen für eine geordnete Strömungsrichtung in den Gefässen sorgt. Es stellt sich die Frage, wieso das Herz als einzige Anlage von aussen kommt? Zu Beginn ist sie tatsächlich zu einem grossen Teil ausser-
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halb des eigentlichen Embryos im Einsatz. Aber es ist doch sehr speziell, dass gerade das Herz von ausserhalb der Keimscheibe einwandert oder eingeholt wird, wo
doch alle anderen Organe aus den eigentlichen Keimschichten selbst entstehen. Zudem steht das Einsetzen des rhythmischen Herzschlags in engem zeitlichem Rahmen zum Anfang der kraniokaudalen Krümmungsphase.
VII 2.3.3.
Embryonales Üben des Primären Atemmechanismus (PAM)
In der ganzen embryonalen Entwicklung gibt es nur diese eine einzige Geste des
Einrollens. Mit Beginn der 4. Woche (1.5 mm) bis ungefähr zum 42. Tag bleibt der
Embryo (10mm) in ausgeprägter Beugehaltung.
Ich erlaube mir die Aussage: Der Embryo übt während seiner Krümmungsphase die
Flexionsphase (Inspirationsphase) des primären Atemmechanismus vor, indem er
mit dem wachsenden Neuralrohr die Herzanlage von ausserhalb der eigentlichen
Keimscheibe umfasst, einholt, „einatmet“, verinnerlicht. Gleichzeitig atmet er die übrigen inneren Organe ein, indem er sie, die Körperwände und Extremitätenanlagen mit
Nervenzellen und –fortsätzen durchsetzt.
Während dieser Geste der Ver-Beugung baut der Embryo schlussendlich mit seinem
Nervensystem Kontakt zu jedem Zellsystem des ganzen Körpers auf.
Das
Nervensystem
bestreitet diese Entwicklungsarbeit
bei
der Ausbildung seiner
Organgestalt
samt
Zentren und Bahnen
nicht allein, sondern
in gemeinsamer Zusammenarbeit
mit
den Organen in der
näheren und weiteren
Umgebung. In diesem Wirkungszusammenhang begrenzen
die Gewebe, in die
das
Nervensystem
eingeschlossen
ist,
durch
Erzeugung
ständig wachsender
Widerstände
allmählich mehr und
mehr den Fortgang
der Entwicklung und
determinieren
so
langsam die EntAbb. 37 a 10 mm Mitte des 2. Monats
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wicklungsmöglichkeiten, das Potenzial des ganzen Embryos gegenüber den Einwirkungen (Reizen) denen der wachsende Organismus ausgesetzt ist (Blechschmidt).
So finden die Wachstumsbewegungen des Neuralrohrs in Länge und widderhornartigen Rückwärtsbewegung (im Bereich der Grosshirnhemisphären) ein Ende am weitestmöglichen „Bewegungsausschlag“ ihrer Entwicklungsmöglichkeit. Diese Phase
entspricht der späteren Inspirationsphase des Respiratorischen Atemmechanismus.
Dort am Umkehrpunkt, Ruhepunkt (Fulkrum?) erfährt die Entwicklungsbewegung des
Nervensystems die Vorform der gegenläufigen Widerstandsbewegung – der Retraktion (Exspirationsphase) als einer Kraft von aussen – der Entwicklungsbewegung des
mesodermalen Herz-/Gefässsystems.
Eigentlich erfährt die Wachstumsbewegung nicht erst am Schluss der Beugungsphase einen Widerstand, sondern fortlaufend. Das Neuralrohr generiert den Bewegungsimpuls für sein Längenwachstum, seine Expansionsphase. Die Wachstumsrichtung
nimmt dabei die Richtung einer Beugung des Neuralrohrs und entspricht der PAMFlexionsphase. Hingegen wirkt das Gefässsystem immer wieder wachstumshemmend auf das Neuralrohr ein, bis es für die nötige Sauerstoffversorgung nachgewachsen ist. Diese Wartephase auf Sauerstoff- und Nahrungsnachschub ist die Extensionsphase der Hirnanlage und entspricht der Extensionsphase des PAM, während welcher der zentrale Flüssigkeitsraum, die späteren Ventrikel „kontrahiert“ (Sutherland) wird. Vielleicht ist es auch ein Nachgeben des Bewegungsimpulses im Sinne von Entspannen und Warten? (Anm. der Verfasserin).
Der Embryo übt mit seinem Neuralrohr also eine „Entwicklungs-Gebärde“ (Walthert).
Innerhalb dieser Gebärde alterniert der neuralrohreigene Bewegungsimpuls mit dem
Hemmungswiderstand der Herz-/Gefässanlage. So wird die spätere alternierende inhärente Bewegung embryonal aufgebaut. Nach meiner Erfahrung ist die Flexionsbewegung stets deutlicher palpierbar als die schwächere Extensionsphase.
Abgeschlossen wird die Entstehungsphase des Primären Atemmechanismus erst mit
Ausgestaltung des Gehirns in der Fetalperiode. Für die vorliegende Arbeit beschränke ich mich aber auf die beiden ersten Lebensmonate des Embryos.
VII 2.3.4.
Embryonales Üben der sekundären Lungenatmung
Dann, am 42. Tag beginnt der Embryo, sich mit der Ausbildung der knorpeligen Wirbelsäulenanlage aufzurichten. Dabei funktioniert das Knorpelskelett mit seinem
Stemmkörperwachstum zunächst als relativ aktiver Teil des Bewegungsapparates
gegenüber der Muskulatur. Die Muskulatur wird, wie überall im Körper, auch hier erst
im Verlauf ihres Dehnungswachstums kontraktil. (Lokalisation der Muskulatur im Dilationsfeld, Stoffwechselfelder, vgl. Kap. V 6.2.5.)
Das Zwerchfell ist lumbal bereits fest verankert. Diese Verankerung übt eine Haltefunktion auf die Zwerchfellkuppe und die Organe aus. Mit zunehmender Aufrichtung
des Embryos deszendieren die Organe von Brust und Hals im Verhältnis zum Kopf.
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Abb. 38 Embryonen von links nach rechts: 4.2 mm; 10 mm; 29 mm
Mit dem Descensus des Zwerchfells erweitert sich der Thorax im Zusammenhang mit
dem Wachstum der Rippen. Die ursprüngliche Leibeshöhle vergrössert sich hier. Es
entsteht Raum für die Entwicklung der Lunge. Das Entoderm stülpt sich in dieses
Sogfeld (vgl. Kap. V 6.2.5.) der Anlage des Respirationstraktes vor. Wie später beim
Atmen die Luft eingesogen wird, so wird jetzt schon das Luftgefäss (Lungenflügel) in
seinem Wachstum eingesaugt. Wachstum in Sogform bereitet die spätere Funktion
vor.
Während der Aufrichtungsphase des Körpers übt das embryonale Diaphragma mit
seiner lumbalen Verankerung und dem Descensus in Bezug zum Kopf die spätere
Einatmung in die Lungen vor. Es erfährt ein Dehnwachstum in die Kuppelform. Später wird es - sich kontrahierend - die Höhe der Kuppel abflachen, die unteren Rippen
anheben und den Thorax in Einatemstellung führen. Weil die Lunge dieser Bewegung folgen muss (Vakuum zwischen den Pleurablättern), wird Luft einströmen.
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VII 3. Parallelen und Unterschiede von Primärem und Sekundärem Atemmechanismus.
Beide Atemmechanismen kennen die Inspirationsphase gefolgt von einer Exspirationsphase. Primärer und sekundärer Atemmechanismus entwickeln sich aber unterschiedlich.
Das Nervensystem wächst aktiv in Inspirationsphase und reagiert passiv auf Widerstandskräfte/Zugkräfte (Exspirationsphase) von aussen, vom nachwachsenden Gefässsystem.
Das Organ Lunge hingegen wird passiv in Inspiration ausgedehnt / eingesogen. Die
Exspirationsphase übt es mit seinen Retraktionskräften aktiv aus.
VII 3.1.
Wechselwirkungen der Gewebeschichten
Ektoderm und Mesoderm sind die beiden Keimschichten, aus welchen die Strukturen
mit Motorfunktion für den PAM hervorgehen. Ein kurzer Seitenblick auf die wechselseitig abhängigen Wachstumsbewegungen von Ektoderm und Mesoderm sei an dieser Stelle erlaubt:
• Während der Krümmungsphase gilt: Das sich rasch entwickelnde ektodermale Neuralrohr wird in seinem Wachstum gehemmt durch die langsamer wachsende mesodermale Herz-/Gefässanlage.
• Die Aufrichtung des Embryos erfolgt nach dem Descensus des Herzens –
erst mit ausreichender Stemmkörperfunktion des Knorpelskeletts - das
Mesoderm übernimmt aktiv die Aufrichtung des embryonalen Körpers.
Für den Primären Atemmechanismus lässt sich daher sagen, dass der Embryo in der
körperlichen Flexionsstellung alle Organanlagen einatmet - das Herz von aussen begleitet von allen anderen, deren Anlage sich im Körperinneren bildet. Wenn er alle
Organe eingeatmet hat, kann er während der körperlichen Aufrichtungsphase des
Knorpelskeletts wieder ausatmen (Extension). Dies entspricht zeitlich der ersten Übungsphase der sekundären Lungenatmung (Descensus des Diaphragmas).
VII 3.2.
Relevanz für meine praktische Arbeit.
Schon Sutherland hatte mit der mentalen Kontrolle und Lenkung des Kranialen Respiratorischen Mechanismus experimentiert (Hartmann, Das grosse Sutherland-Kompendium, Die Schädelsphäre III – 31).
Selbst praktiziere ich Yoga. Yoga bietet wunderbare Instrumente über Atem-, Körperund Meditationsübungen, um auf der energetischen Ebene mit sich selber zu arbeiten (vgl. Kapitel VII, 1.6.). Entsprechend bevorzuge ich, andere Menschen auf dieser
Ebene aus dem Fundus dieser Instrumente für die Praxis im Alltag zu unterrichten.
Vermutlich liegt es daran, dass sich mir die energetische Ebene nicht so leicht erschliesst.
Wenn ich craniosacrale Osteopathie mit Menschen praktiziere, ist mir bis heute die
Bewegungsebene stets deutlicher im Bewusstsein als die energetische. Damit meine
ich die Ebene der Strukturen mit subtilsten Bewegungen und Körperbewegungen von
kleinster bis grösserer Amplitude. Wenn es um den Bauchbereich, Diaphragmaarbeit
und Arbeit in Brustraum, Hals und Kopfbereich geht, ist die Bewegungsebene in
meiner Wahrnehmung vordergründig. Da sind für mich Ausdehnen und Zusammen-
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ziehen der Flüssigkeitsebene, die longitudinale Ausrichtung der Meningen und natürlich die physiologischen Bewegungen der Schädelknochen und die Bewegungen in
Oberkörper und oberen Extremitäten in ihrer Normalität oder Funktionsstörung gut
wahrnehmbar.
Die energetische Qualität tritt im Bereich von Lumbalwirbelsäule und Beckenraum öfter in mein Bewusstsein. Ich kann mir bisher nicht erklären, warum es gerade diese
Körperbereiche sind, die sich mir auf der energetischen Ebene leichter erschliessen
und warum sie mir in anderen Körperbereichen weniger zugänglich ist.
Die sekundäre Lungenatmungsbewegung ist überall deutlich. Und ich instruiere sie
immer häufiger ganz gezielt. Fast regelmässig kann ich die Ebene des PAM leichter
palpieren, wenn der/die KlientIn seine/ihre Aufmerksamkeit auf die sekundäre Atmung lenkt.
Abschliessend muss ich eingestehen, dass dieser Arbeit viel praktische Tätigkeit folgen muss, um das hier zusammengetragene Wissen und die daraus hergeleiteten
Theorien mehr in die Praxis zu integrieren.
Abb. 39
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Bildnachweis:
Abb. 1
Abb. 2
Abb. 3
Abb. 4
Abb. 5
Abb. 6
Abb. 7 - 13
Abb. 14
Abb. 15 - 18
Abb. 19
Abb. 20
Abb. 21
Abb. 22
Abb. 23, 24
Abb. 25 - 27
Abb. 28 – 30
Abb. 30 a
Abb. 31
Abb. 32
Abb. 33 – 35
Abb. 36
Abb. 37
Abb. 37 a
Abb. 38
Abb. 39
Übersicht
Schnittrekonstr.
Hartmann, Das grosse Sutherland-Kompendium
Liem, Torsten, Kraniale Osteopathie
Liem, Torsten, Kraniale Osteopathie
Drews, Ulrich, Taschenatlas der Embryologie
Drews, Ulrich, Taschenatlas der Embryologie
Jaap van der Wal, Seminarunterlagen
Blechschmidt, Erich, Anatomie und Ontogenese des Menschen
Blechschmidt, Erich, Vom Ei zum Embryo
Blechschmidt, Erich, Anatomie und Ontogenese des Menschen
Drews, Ulrich, Taschenatlas der Embryologie
Blechschmidt, Erich, Die Entwicklung des menschlichen Nervensystems
Drews, Ulrich, Taschenatlas der Embryologie
Nach Sills Franklyn, Craniosacral Biodynamics
Rohen, J. W., Funktionelle Embryologie
Rohen, J. W., Funktionelle Embryologie
Drews, Ulrich, Taschenatlas der Embryologie
Blechschmidt, Erich, Der menschliche Embryo
Rohen, J. W., Morphologie des menschlichen Organismus
Blechschmidt, Erich, Die Entwicklung des menschlichen Nervensystems
Blechschmidt, Erich, Anatomie und Ontogenese des Menschen
Rohen, J. W., Funktionelle Embryologie
Sadler, T. W., Medizinische Embryologie
Blechschmidt, Erich, Der menschliche Embryo
Blechschmidt, Erich, Der menschliche Embryo
Drews, Ulrich, Taschenatlas der Embryologie (nach Blechschmidt)
Drews, Ulrich, Taschenatlas der Embryologie (nach Blechschmidt)
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¾Merkel Rudolf, Skript Nr. 1 – 6, Schule für Craniosacrale Osteopathie, Zürich
¾O’Rahilly, Ronan / Müller, Fabiola; Embryologie und Teratologie des Menschen;
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¾Paoletti Serge, Faszien, Urban und Fischer, 2001
¾Rohen Johannes W. / Lütjen-Drecoll Elke; Funktionelle Embryologie; 2. Auflage
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¾Rohen, Johannes W., Morphologie des menschlichen Organismus, 2.
überarbeitete Auflage, Verlag Freies Geistesleben, 2002
¾Sadler W. Thomas; Medizinische Embryologie, übersetzt von Ulrich Drews, 10.
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¾Sills Franklyn, Craniosacral Biodynamics, vol. I, North Atlantic Books 2001
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¾Upledger, John E./ Vredevoogt, Jon D., Lehrbuch der CranioSacralen Therapie, 4.,
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¾Van der Wal, Jaap, www.embryo.nl, [email protected]
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