14.09.2016 Gibt es typische Infektionskrankheiten bei Geflüchteten? Jürgen Rissland Institut für Virologie/Staatliche Medizinaluntersuchungsstelle Zentrum für Infektionsmedizin Gibt es typische Infektionskrankheiten bei Geflüchteten? Ja! gemäß den Erfahrungen und den bislang vorliegenden Daten… Woher wissen wir das? Antwort 1: aus der Vergangenheit! Ausbrüche in Asyl-UKs nach Erregerhäufigkeit 2001 – 2013 (n = 78) zum Vergleich: 216.741 in Deutschland gesamt Kühne A, Gilsdorf A (2015), Vortrag auf dem BVÖGD-Kongress in Rostock Fälle in Ausbrüchen in Asyl-UKs nach Erregerhäufigkeit, 2001 - 2013 (n=411) Fälle in Ausbrüchen in AsylUK (N=411) Fälle in Ausbrüche in AsylUK in Prozent Windpocken 117 28% Norovirus-Gastroenteritis 63 15% Masern 55 13% Skabies 39 9% Tuberkulose 27 7% Salmonellose 25 6% Rotavirus-Gastroenteritis 24 6% Hepatitis-A-Gastroenteritis 14 3% Giardiasis 12 3% Influenza 12 3% Shigellose 7 2% Übrige 16 4% Kühne A, Gilsdorf A (2015), Vortrag auf dem BVÖGD-Kongress in Rostock Ausbrüche in Asyl-UK nach Erregerhäufigkeit, 2004 - 2014 (n=119) Salmonellosen, Noro-/Rotaviren, Shigellen, HAV, Giardiasis, EHEC Masern, Windpocken, Mumps Kühne A, Gilsdorf A (2016), Bundesgesundheitsbl 59: 570-577 Fälle in Ausbrüchen in Asyl-UKs nach Erregerhäufigkeit, 2004 - 2014 (n=615) Kühne A, Gilsdorf A (2016), Bundesgesundheitsbl 59: 570-577 Woher wissen wir das? RKI (17.08.2016). Bericht über übermittelte, meldepflichtige Erkrankungen bei Asylsuchenden in Deutschland Antwort 2: aus der aktuellen Beobachtung! % 9,4 32,5 31,0 0,85 5,9 0,8 0,4 26,4 4,6 28,6 0,1 8,1 6,2 … 0,3 3,7 100 Woher wissen wir das? Antwort 2: aus der aktuellen Beobachtung! RKI (17.08.2016). Bericht über übermittelte, meldepflichtige Erkrankungen bei Asylsuchenden in Deutschland Woher wissen wir das? Antwort 2: aus der aktuellen Beobachtung! RKI (17.08.2016). Bericht über übermittelte, meldepflichtige Erkrankungen bei Asylsuchenden in Deutschland Auch welchen Herkunftsländern kommen die Geflüchteten? Welche besonderen Infektionsrisiken bestehen dort? Anthrax, Brucellose, Krim-Kongo-Fieber (Set 1) Ø Set 1 + Denguefieber Set 1 + Vogelgrippe Saisonal FSME Chikungunya + Dengue Set 1 Set 1 + Vogelgrippe + Dengue Asylgeschäftsstatistik für den Monat Dezember 2015, BAMF , Referenzhandbuch Impf- und Reisemedizin 2015 Ungewöhnliche Infektionskrankheiten, die bei Asylsuchenden auftreten können Epidemiologisches Bulletin 38/2015 Erstaufnahmeuntersuchung: Empfehlungen des BVÖGD und des RKI (Umfang = Ländersache!) Aufklärung zum Untersuchungszweck und Erhebung von demografischen Angaben Anamnese Körperliche Untersuchung (inkl. Temperaturmessung) vorrangig unter dem Gesichtspunkt von Infektionskrankheiten (Exanthem? inkl. Scabies und Kopfläuse, ggf. Therapie) Ausschluss einer ansteckungsfähigen Tuberkulose: Röntgen-Thorax ab dem (10.?) 16. Lebensjahr ggf. zweite Röntgen-Thorax-Untersuchung, veranlasst über das kommunale Gesundheitsamt bzw. die beauftragte Stelle, 3 bis 6 Monate nach Einreise aus einem Land mit hoher Prävalenz Kinder im Alter unter 10 Jahren können auch nach der Erstaufnahme durch Kinderärzte untersucht werden, da die Übertragungsgefahr gering ist (ausgenommen die Ermittlung bei Fällen). Bei einmaligem Untersuchungskontakt in Erstaufnahmeeinrichtungen empfiehlt sich bei Kindern und Schwangeren der IGRA-Test. Ansonsten wird der Tuberkulin-Hauttest (Mendel-Mantoux) favorisiert. Keine serologischen Untersuchungen, nur bei begründetem Verdacht und nicht im Rahmen einer Impfentscheidung! Stuhluntersuchungen nur bei Symptomen! Grundlage: Übertragungswege, Kontagiosität/Infektiosität und Ressourcen Positionspapier BVÖGD (August 2015), RKI-Empfehlung (20.11.2015) Impfempfehlungen des BVÖGD und des RKI / STIKO (Umfang = Ländersache!) Impfausweiskontrolle: ↔ BVÖGD: nicht prioritär bei Erstaufnahme Epidemiologisches Bulletin 41/2015 Neue diagnostische Tests für intestinale Pathogene Diagnostik zum Nachweis von S. mansoni Stuhlmikroskopie zum Ei-Nachweis • Einfach durchzuführen Am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS) wurden seit Einführung • Hilfreich bei hoher Infektionsintensität (= viele Wurmeier pro Gramm Stuhl) des Urin-Tests zehn Patienten mit Schistosomiasis identifiziert (9 • Unzureichende Sensitivität bei niedrigeren eritreische Migranten, 1 deutsche TouristinInfektionsintensitäten nach Südasien-Reise). Ohne den Urin-Schnelltest wäre die Infektion bei 4/10 Patienten nicht erkannt worden. Ei-Nachweis in Gewebebiopsien Großes Potential zur frühzeitigen Erkennung einer Schistosomiasis •vorInvasive Probengewinnung dem Eintreten von Langzeitkomplikationen! • Wenig sensitiv Nachweis eines spezifischen „circulating cathodic antigen“ (CCA) im Urin • Neuer Test mit deutlich höherer Sensitivität als Stuhlmikroskopie • Ergebnis innerhalb von 20 Minuten • Nachweis eines von Schistosomen produzierten Antigens • In Studien in Afrika Nachweis der verbesserten Sensitivität • Bisher kaum außerhalb der Tropen eingesetzt Gibt es typische Infektionskrankheiten bei Geflüchteten? Ja, gemäß den Erfahrungen und den bislang vorliegenden Daten… v.a. Impfpräventable Krankheiten (VZV, Masern), Skabies und Tbc (aber möglicherweise auch Schistosoma spp.) ERLEICHTERUNG …bezüglich Infektionskrankheiten! Welche Infektionskrankheiten sind im Zusammenhang mit Flüchtlingen epidemiologisch relevant? Infektionserkrankung Ausbruchspotential Impfpräventabel? Hepatitis A mittel Ja Influenza hoch Ja Keuchhusten hoch Ja Masern hoch Ja Mumps mittel Ja Windpocken hoch Ja Noroviren hoch Nein Skabies (Krätze) mittel Nein Tuberkulose mittel Nein Beerman S et al (2015), Deutsches Ärzteblatt; 112 (42): 1717-1720 Neue diagnostische Tests für intestinale Pathogene Schistosomiasis/Bilharziose • Infektion durch den Pärchenegel Schistosoma spp. • Infektion über Kontakt mit Erreger-haltigem Süßwasser • Bis zu 250 Millionen Infizierte weltweit • Schistosoma mansoni = Erreger der Darmbilharziose • Klinik: abdominelle Schmerzen, (blutige) Diarrhoen, Wachstumsstörung bei Kindern • Langzeitmorbidität bei chronischer Infektion: Leberfibrose, portale Hypertension Colley et al. (2014), Lancet Neue diagnostische Tests für intestinale Pathogene Geplante Studie zur Prävalenz von Infektionen durch S. mansoni bei Flüchtlingen • Zielgruppe: Migranten aus dem subsaharischen Afrika (z.B. Eritrea, Somalia, Äthiopien, Sudan, West- und Zentralafrika) • Screening mittels Urin-Schnelltest (+ Stuhlmikroskopie? + Serum?) • Kurzer klinischer Fragebogen (Herkunft, intestinale Symptome, etc.) • Bei positivem Urinschnelltestergebnis weitere Untersuchungen (Stuhlmikroskopie) • Kostenfreie Behandlung positiv getesteter Patienten mit Praziquantel Bitte sprechen Sie bei Interesse an einer Teilnahme Frau Lunardon im Anschluss an diese Veranstaltung an oder kontaktieren Sie uns per E-Mail: [email protected] Vielen Dank für Ihre Unterstützung! Wir wissen, dass wir wenig wissen… Derzeit nur in NRW, HH, HB