Am 11. Juli 2014 führte Botschafter Dr. Peter Blomeyer ein Abschiedsinterview mit der Tageszeitung Kosova Sot. Lesen Sie hier das vollständige Interview. KS: In wenigen Tagen beenden Sie Ihre diplomatische Mission in Kosovo. Sie verlassen das Land in einer Zeit, wo es einen großen politischen Stillstand gibt. Was denken Sie wäre die Lösung? PB: Wir haben im letzten Jahr erstmals in ganz Kosovo Lokalwahlen und in diesem Jahr Parlamentswahlen erlebt. Beide Wahlen sind sehr gut verlaufen. Das ist ein Zeugnis politischer Reife. Jetzt gibt es einige verfassungsrechtliche Probleme bei der Aufstellung von Parlament und Regierung zu klären. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass es vollkommen normal ist, wenn in einem neuen, jungen Staat wie Kosovo solche Fragen über die Auslegung der Verfassung auftreten, und wenn darum gerungen wird. Die Antworten auf diese Fragen müssen von den zuständigen kosovarischen Institutionen gefunden werden, nicht von außen. Wichtig ist sodann, dass alle die Entscheidungen dieser Institutionen respektieren. Das betrifft die Entscheidung des Verfassungsgerichts, und das wird auch die Entscheidungen der Präsidentin betreffen, die sie auf der Grundlage der Vorgaben des Verfassungsgerichts trifft. Es stimmt mich optimistisch, dass alle Parteien versprochen haben, den Rechtsstaat und die Entscheidungen der zuständigen Institutionen zu respektieren. In diesem Zusammenhang möchte ich einen Appell an alle verantwortlichen Politiker in diesem Land richten. Schauen Sie nicht allein darauf, was Ihrer Partei nutzt. Schauen Sie auch darauf, welchen Beitrag Sie dazu leisten können, dass die Institutionen im Lande funktionieren können, daß es ein arbeitsfähiges Parlament und eine handlungsfähige Regierung gibt. Für das Land Kosovo ist es jetzt immens wichtig, dass es von sich aus, ohne Einwirkung von außen, funktionierende Institutionen entwickelt. Dies sollte über dem Parteiinteresse stehen: Kosovo zuerst. KS: Wie bewerten Sie die Handlungen der politischen Oppositionsparteien LDK –AAK –Nisma, die sich –laut Verfassung- zu einer nicht legalen Koalition nach den Wahlen zusammengeschlossen haben? PB: Ihre Frage enthält eine rechtliche Bewertung, die ich nicht kommentieren möchte. Ebenso habe ich die Handlungen der politischen Akteure in Kosovo nicht zu bewerten. Nur so viel: Der Rahmen für die Politik wird durch die Verfassung gezogen, die wiederum allein vom Verfassungsgericht – und nicht von Politikern, Diplomaten oder Zeitungen – verbindlich ausgelegt werden kann. KS: Könnte man sagen, dass die Handlungen dieser Parteien dafür sprechen, dass die kosovarische politische Klasse sehr unreif ist? PB: Es ist nicht mein Eindruck, dass die kosovarische politische Klasse unreif ist. Ich habe schon auf die gut verlaufenen Wahlen als ein Beispiel verwiesen. Ein anderes Beispiel ist der politische Dialog. Die Regierung ist im Interesse des Landes ein hohes politisches Risiko eingegangen, indem sie das erste Normalisierungsabkommen mit Serbien ausgehandelt hat. Die Opposition – bis auf eine Partei – hat sehr verantwortungsvoll gehandelt, indem sie dies unterstützt hat. Diese Bereitschaft fast aller Parteien, im Zweifel das Allgemeininteresse des Staates Kosovo über das Parteieninteresse zu stellen, ist ein Zeichen politischer Reife. Ich hoffe sehr, dass die Parteien auch in der jetzigen politischen Lage – die übrigens gar nicht ungewöhnlich ist und in unterschiedlichen Formen in vielen Demokratien schon aufgetreten ist – die gleiche politische Reife zeigen und dafür sorgen, dass die verfassungsrechtlichen Institutionen Parlament und Regierung konstituiert werden können. KS: Denken Sie, dass der Wille des Souveränen/des Volkes wichtiger ist, als der Hunger der politischen Parteien nach Macht? PB: Darüber sind wir uns wohl alle einig, oder haben Sie eine andere Meinung? KS: Das Verfassungsgericht gab seine Auslegung bekannt, was die Nominierung anbetrifft. Denken Sie, dass es eine klare Erläuterung war, wie die die Handlungen der Präsidentin auszusehen haben? PB: Ich habe die Entscheidung des Verfassungsgerichts nicht zu kommentieren. Ich darf aber allgemein anmerken, dass der Unterschied zwischen einem Gericht und den politischen Akteuren darin besteht, dass ein Gericht nur zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt seine Entscheidung treffen kann, während die Politiker im Fluss der Ereignisse stehen und auf diese zeitnah reagieren können und sollen. Auch soll ein Gericht den politischen Akteuren keine politische Entscheidung abnehmen, sondern ihnen vielmehr die rechtlichen Kriterien aufzeigen, die sie in der jeweiligen politischen Lage zu berücksichtigen haben. Nach meinem Eindruck ist genau dies hier geschehen. KS: Wenn die Opposition die Gewinnerpartei – PDK- blockt, müsste dann die Alternative, um aus der Krise herauszukommen, tatsächlich der Oppositionsblock sein? PB: Ich sehe keine Krise. Ich sehe eine Lage, in der sich verschiedene politische Kräfte aufgrund des Wahlergebnisses formieren in dem Versuch, eine Regierung zu bilden. Es wird dann Aufgabe der Präsidentin sein zu entscheiden, wen sie zum Kandidaten für das Amt des Premierministers nominiert; ob dieser dann die erforderliche Mehrheit erhält; und wen sie im Falle eines Scheiterns des ersten Wahlgangs zum Kandidaten für den zweiten Wahlgang nominiert. Das ist keine Krise, sondern ein völlig normaler Verfassungsvorgang, wie er auch in vielen anderen Ländern vorkommt. KS: Braucht Kosovo eine Koalition PDK-LDK um standhafte Institutionen zu haben? PB: Es ist allein Sache der Abgeordneten, sich für eine bestimmte Koalition zu entscheiden. KS: Es gab Indikationen, während des Wahlkampfes, hauptsächlich seitens Isa Mustafa, dass Deutschland die LDK unterstützt. Was ist wahr an dieser Geschichte? PB: Deutschland ist in diesem Wahlkampf absolut neutral gewesen, ebenso wie es jetzt bei der Aufstellung von Parlament und Regierung Neutralität wahrt. KS: Werden die Internationalen eingreifen, wenn der Prozess zur Gründung der neuen Institutionen scheitern sollte und die Verhandlungen zwischen den Parteien nicht funktioniert? PB: Kosovo ist seit kurzem ein unabhängiger Staat mit unabhängigen Institutionen. Auch die Zeit der überwachten Unabhängigkeit ist vorüber. Deutschland hat starken Anteil an dieser Entwicklung genommen. Es ist erklärtes Ziel unserer Politik, dass der kosovarische Staat von sich heraus, ohne Einwirkung von außen, funktioniert. Damit wäre ein Eingreifen in den Prozess der Regierungsbildung unvereinbar. Ich würde mir das als Kosovare auch verbitten. KS: Welche sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen der zukünftigen Regierung? PB: Die neue Regierung wird sich mit einer Fülle von wichtigen Aufgaben konfrontiert sehen. Zu den größten Herausforderungen zähle ich die Fortsetzung des Dialogs mit Serbien und die Umsetzung der noch nicht implementierten Teile des ersten Normalisierungsabkommens, insbesondere die Gründung des serbischen Gemeindeverbands und die Zeichnung der bereits ausgehandelten Einigung über Justiz; die Wahlreform, die in der letzten Legislaturperiode leider liegengeblieben ist; die Gründung eines Gerichts zur Aburteilung der von SITF zur Anklage gebrachten Fälle; Zeichnung und Umsetzung des SAA; weitere Erledigung des Fahrplans zur Visaliberalisierung; in diesem Zusammenhang insbesondere Bekämpfung der Korruption; schleunige Entscheidung über die Energiestrategie des Landes, insbesondere über die Kraftwerke; Förderung von Wirtschaftswachstum und insbesondere Produktion und damit Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, insbesondere der besorgniserregenden Jugendarbeitslosigkeit; aktive Arbeit für eine Versöhnung zwischen den Ethnien; und vielleicht an erster Stelle sogar eine Bildungsoffensive, weil die Ausbildung der Jugend die Grundlage dafür ist, die Zukunft zu gewinnen. Und dies sind nur die wichtigsten Herausforderungen ….. KS: Herr Blomeyer während Ihres Mandats als Diplomat in Kosovo haben Sie oft erklärt, dass Kosovo mehr machen sollte um den Rechtsstaat aufzubauen und die Korruption zu bekämpfen. Während dieser Zeitspanne, denken Sie dass es einen Progress in dieser Hinsicht in diesen beiden Bereichen gab? PB: Sicher gab es Fortschritte. Leider gab es aber auch Rückschritte. So ist Kosovo auf Platz 111 des Korruptionswahrnehmungsindex zurückgefallen. Dabei ist Korruption ein gesamtgesellschaftliches Phänomen und durchdringt Kosovo von oben nach unten. Zurecht empört man sich über unerklärlichen Reichtum von Politikern. Ebenso zersetzend ist aber auch die Korruption auf lokaler und auf Bürgerebene. Das Kaufen staatlicher Leistungen muss aufhören, und dabei müssen alle mitmachen: Beamte dürfen für ihre Leistungen nichts verlangen, aber die Bürger dürfen ihnen dafür auch nichts geben. Wir brauchen eine gesamtgesellschaftliche Bereitschaft, diesem Phänomen entgegenzutreten. KS: Die Zivilgesellschaft kritisiert die Gerichte, dass die Justiz nicht politisch unabhängig ist und doch zur gleichen Zeit unfähig ist, um schwerere Fälle zu lösen. Wir befinden uns in einer neuen Phase der Übertragung der Kompetenzen von der EULEX zu den Lokalen. Denken Sie dass die Justiz fähig ist diese Bürde zu tragen? Wobei man weiß, dass die Staatsanwaltschaft sich den Fällen der großen Fische entzogen hat? PB: EULEX wird für zwei weitere Jahre in Kosovo bleiben und in dieser Zeit die Fälle zu einem Ende bringen, die es bereits angefangen hat. Die neuen Fälle werden grundsätzlich von der kosovarischen Justiz behandelt, die dabei natürlich auf die Beratung durch EULEX zählen kann. Ich denke, dass man diese zwei Jahre dafür nutzen sollte, die Kapazitäten der kosovarischen Justiz so weit aufzubauen, dass sie ihre Aufgaben in der darauffolgenden Zeit vollkommen selbständig lösen kann. Dabei kommt es nicht nur darauf an, gut ausgebildete Nachwuchsjuristen zu finden, sondern auch die politische Einflussnahme auf die Justiz zu ächten. KS: Trotz der erreichten Abkommen zwischen Kosovo und Serbien, setzt letzteres das Barrikadenspielchen fort und zeigt keine Bereitschaft die Abkommen umzusetzen, die es selber eingegangen ist. Müssten die Internationalen hier nicht stärker eingreifen, um das Problem zu lösen? PB: Serbien weiß, dass es nicht nur alle Abkommen mit Kosovo umsetzen, sondern dass es die Gesamtheit seiner Beziehungen zu Kosovo normalisieren und damit den politischen Dialog mit Kosovo fortsetzen muss, um mittelfristig seinen Wunsch nach einem EU-Beitritt zu erfüllen. Für Kosovo gilt übrigens das Gleiche. Beide wissen, dass am Ende dieses Normalisierungsprozesses ein rechtlich verbindliches Abkommen stehen muss. In den Verhandlungsrahmen des Beitrittsprozesses mit Serbien wurde eigens ein Kapitel – Kapitel 35 – aufgenommen, das dies sicherstellen soll. Das ist sicher für beide Seiten nicht einfach. Gleichwohl bin ich überzeugt, dass sich die Anziehungskraft der EU auf Serbien wie auch auf Kosovo als stärker als der Hang zur Pflege nationalistischer Rhetorik und kleinlicher Feilscherei um Statusfragen erweisen wird. KS: Kosovo erwartet den neuen Fortschrittsbericht und die Verhandlungen zur Visaliberalisierung. Wann können Kosovaren endlich ohne Visa nach Europa reisen? PB: Kosovo hat einen Fahrplan zur Visaliberalisierung erhalten, in dem die Aufgaben stehen, die es schrittweise abarbeiten muss, damit die Schengenvisapflicht aufgehoben werden kann. Dazu zählen etwa die Verbesserung der Dokumentensicherheit, des Grenzschutzes, die Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität und einiges mehr. Kosovo hat auf diesen Gebieten schon einige Fortschritte gemacht, und es geht weiter voran. Die gute Nachricht ist also, dass es nicht mehr darum geht, ob Kosovaren visumfrei reisen können, sondern nur darum, wann sie visumfrei reisen können. Derzeit wäre es aber unseriös, ein Datum zu nennen. KS: Denken Sie, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Kosovo während Ihres Mandates vertieft worden sind? Was waren die Hauptbereiche der Zusammenarbeit? PB: Die Beziehungen zwischen Deutschland und Kosovo sind schon immer, seit der humanitären Intervention der NATO 1999, ausgezeichnet gewesen. Es gibt eine sehr enge Abstimmung zwischen der kosovarischen und der deutschen Regierung auf allen Feldern der Politik. Während meiner Zeit in Kosovo hat sich dies insbesondere während der Verhandlungen mit Serbien über das erste Normalisierungsabkommen und seine Umsetzung als segensreich erwiesen. Deutschland hat in dieser Zeit auch weltweite Démarchenaktionen zur Förderung der Anerkennung Kosovos durchgeführt; als ich ankam, hatte noch nicht einmal die Hälfte der Staatengemeinschaft Kosovo anerkannt, und heute sind es mit 107 weit mehr als die Hälfte aller Staaten. Wir haben uns für den Beitritt Kosovos zu Regionalorganisationen eingesetzt, und auch auf diesem Feld gab es Fortschritte, zuletzt mit SEECP und der Venedig-Kommission. Wirtschaftlich hat sich auch einiges getan. So gibt es die kosovarisch-deutsche Wirtschaftsvereinigung, die sich die Steigerung des Wirtschaftsaustauschs zwischen unseren beiden Ländern zum Ziel gesetzt hat, und es gibt inzwischen einige mittelständische Unternehmen, die in Kosovo operieren. Gleichwohl reicht dies noch nicht, und es gibt mehr Potential zu erschließen, insbesondere in der großen kosovarischen Diaspora in Deutschland. Enttäuschend war für uns der unerklärliche Fehlschlag der PTK-Privatisierung, nachdem ein deutsch geführtes Konsortium bereits den Zuschlag erhalten hatte. Schließlich hat unsere Botschaft versucht, die kulturelle Zusammenarbeit zu intensivieren. Wir haben auf dem Feld der Musik zu fast allen Festivals, die in Kosovo stattfinden, deutsche Musiker entsenden können; wir organisieren in diesem Jahr die Europäische Sommermusikakademie; wir führen, zusammen mit unseren österreichischen und schweizerischen Freunden die Tage der deutschen Sprache durch, die diesmal fast einen ganzen Monat gedauert haben; wir haben ein neues Sprachlernzentrum in Pristina eröffnet. Schließlich liegt uns die Versöhnung der verschiedenen Ethnien – insbesondere der Serben und Albaner – sehr am Herzen, und meine französische Kollegin und ich haben am deutsch-französischen Beispiel immer wieder in diesem Land versucht aufzuzeigen, wie aus „Erzfeinden“ Partner und schließlich Freunde werden können. Die Bereitschaft zur Aussöhnung mit dem Nachbarn zeichnet den wahren Europäer aus, und ich wünsche allen Kosovaren – ob Albaner, Serben oder andere Ethnien - , dass sie die Kraft finden, sich den anderen gegenüber zu öffnen. KS: Mit welchen Eindrücken verlassen Sie Kosovo und werden Ihnen Ihre Freundschaften, die Sie hier geschlossen haben fehlen? PB: Ich habe sehr gern in Kosovo gelebt. Die Menschen in Kosovo sind mir außerordentlich freundlich entgegengekommen. Die Gastfreundschaft und die überall spürbare Freundschaft zu Deutschland haben mein Leben hier sehr glücklich gemacht. Ich habe in allen Parteien und in allen Ethnien, in der Wirtschaft und der Presse, in Kultur, Musik, Mode und Wissenschaft, spannende und interessante Menschen getroffen und Freundschaften schließen dürfen. Natürlich werden sie mir fehlen. KS: Werden Sie nach Ihrem Mandat weiterhin mit Kosovo verbunden bleiben? PB: Mehr als Sie sich vorstellen können! KS: Welcher wird Ihr nächster Einsatz sein? PB: Ich werde der nächste deutsche Botschafter in Kampala, Uganda, werden.