Lyrik, Essay, Drama: Kosovo, eine Katastrophenchronik

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Lyrik, Essay, Drama: Kosovo, eine
Katastrophenchronik
Update: 27.02.2012, 16:33 Uhr
Von Hans Haider
Madeleine heißt das Mädchen, nach Madeleine Albright, US-Außenministerin während des
Bombardements von Belgrad. Aus Albanien flüchten Vater, Mutter, Kind nach Deutschland. Nach zehn
Jahren werden sie zurückgeschickt. Weil sie "maxhup" (Zigeuner) sind. Das bestätigt auch die, als Naziamt
zu grob karikierte, Deutsche Botschaft, wo Vater und Mutter in größter Not Unterstützung suchen für die
schwerverletzte Medlin, die in eine ungesicherte Baugrube gestürzt ist.
Sechs Darsteller und zwei Musikanten zaubern mit wenigen Requisiten einen satirisch-komischen und zum
Heulen traurigen Gegenwarts-Alptraum auf den kahlen Bühnenboden. Zu Anfang wird am Scriptbord
gewarnt: Was die Figuren sagen, ist nicht die Meinung des Autors. Magistrat, Polizei, Spitalsärzte zeigen
offen und gemein ihre Verachtung von "maxhup". Der Bauarbeiter redet so feindselig wie der
neokapitalistische Bauunternehmer. Ein Totschlagwort fällt: Auschwitzseifenreiniger. Das
Quotenfernsehen drängt sich in die Unglückszenerie mit der zotigen Wahl einer "Miss Loch". Medlin stirbt.
Für die Fahrt aus der Welt fantasiert sie sich in einen Traumzug, ihr Wunschspielzeug. Über Dampfnebeln
gleiten Waggons auf einer Bildwand ins Nichts.
Kritik an den Zuständen
Am Freitag endeten in Brüssel Serbiens Verhandlungen mit den Kosovo-Albanern mit der längst
überfälligen De-Facto-Anerkennung der abtrünnigen Republik. Für denselben Tag, ein wirklicher Zufall,
plante das Volkstheater in seiner Außenstation Hundsturm die Uraufführung der Tragikomödie "Yue
Medlin Yue" von Jeton Neziraj (Übersetzung: Andrea Grill), im Zusammenspiel von albanischer Botschaft,
Außenministerium und "Kulturkontakt Austria", dem im Wendejahr 1989 gegründeten staatlichen
Maklerbüro zur Förderung vordem in den Transitionsländern unterdrückter neuer Kunst.
Wie seinerzeit für die Dissidenten im Ostblock, so taugt der Kunstrahmen auch hier trotz der offiziellen
Begleitmusik als Vehikel für zugespitzte Kritik an den Zuständen im von internationalen Truppen
überwachten Kosovo.
Der in Deutschland lebende Autor und Journalist Bequë Cufaj stellte der Theaterpremiere einen Essay über
den "Standort Kosovo" voran, eine Katstrophenchronik seit dem Zerfall des Osmanischen Reichs und der
Habsburgermonarchie bis heute.
Der neue Staat fand noch nicht zu sich selbst, blieb noch ein "virtuelles Staatswesen" wie vor der
Unabhängigkeitserklärung von 2008. Es fehlt die moralische Instanz eines Ibrahim Rugova (1934 - 2006),
der als Vorsitzender des Schriftstellerverbands Präsident der damals autonomen Provinz Kosovo wurde und
den Gewaltverzicht predigte. Cufajs klagte weniger über nationalistische Spannungen als über Korruption,
Rechtsunsicherheit, organisiertes Verbrechen. Und zwar so deutlich, dass der Botschafter aus Pristina zu
klatschen vergaß.
Heimat ist nicht überall
Hierzulande hat man in Sachen Information über den Kosovo viel nachzuholen. Realistischer als jeder
Lokalaugenschein von tagweise eingeflogenen Journalisten bilden Schreiber und Theatermacher die
Zwischentöne von Angst, Schmerz und Hoffnungen der kosovarischen Minderheit ab, die gegenüber den
aus Belgrad unterstützten Serben und den "maxhup"-Stiefkindern nicht selten brutal als Mehrheit agiert.
Lojze Wieser in Klagenfurt mit seinem Verlag, Markus Jaroschka in Graz mit der Literaturrevue
"Lichtungen", der Wiener Zsolnay-Verlag, der die Bücher von Cufaj druckt, Karl-Markus Gauß in Salzburg
im Otto-Müller-Verlag: Ihnen ist der Transfer der erhellendsten Texte zu danken.
"Ich bin zurückgekommen", verkündet Ervina Halili, derzeit Writer in Residence in Wien, in ihrem langen
Gedicht "Weit". Und fragt sich selber "Wohin?" Ihre Antwort: "Wo der Mensch Menschenfleisch isst". In
der brillanten Nachdichtung von Zuzana Finger, einer Sudetendeutschen. Heimat, sagt Halili, ist nicht
überall. Heimatliebe trotz allem ist ihr Thema. Ihre Lyrik stimmte in den langen Abend ein. Wohl in den
wichtigsten, zu dem jemals in Wien öffentlich eingeladen wurde - wo die Diplomatie eine Aussöhnung von
Serben und Albanern seit Jahren diskret fördert.
Theater
Yue Medelin Yue
Von Jeton Neziraj
Blerta Neziraj (Regie)
Volkstheater im Hundsturm
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