Neue Wege Virales Marketing Von Jürgen Gietl und Achim Feige Die klassische Kommunikation wird immer teurer und wirkungsloser. Gleichzeitig reden Marketingleute immer häufiger von Viralmarketing: Botschaften vermehren sich wie Viren durch Mund-zu-Mund-Propaganda. Die vorliegende Studie versucht zu ergründen, wie virales Marketing funktioniert, wie es wirkt, wie es geplant werden kann und welches seine Erfolgsfaktoren sind. index 1| 2006 64 I. Hintergrund und Aufbau der Studie 93 Fernsehsender, 233 Radiostationen, 412 Zeitungen, 1781 Zeitschriften und 419 645 Plakatierstellen werben in Deutschland mit 60 000 Kampagnen für 56 000 Marken. Jährlich werden in Europa ungefähr 38 000 neue Marken angemeldet. 27 Mrd. Euro werden jährlich in Europa nur für Fernsehwerbung ausgegeben. 1990 erzielten Werbeausgaben in der Höhe von 8 Mio. Deutsche Mark eine gestützte Erinnerung von 18%, neun Jahre später waren es bei fast doppelt soviel Werbeausgaben in der Höhe von 15 Mio. Deutsche Mark lediglich 2% mehr gestützte Erinnerung. Auf der Suche nach Alternativen zur teuren, immer weniger wirksamen klassischen Kommunikation suchen Werber und Markenmacher nach immer neuen Wegen. Guerilla Marketing, New Communications, Wordof-Mouth sind nur einige der Begriffe, welche die moderne Werbewelt beschäftigen. Mit dem Einzug des Internets ist ein fast in Vergessenheit geratenes Instrument wiederentdeckt worden: Die Mund-zu-Mund-Propaganda, die wegen ihrer epidemischen Verbreitungsart auch «virales Marketing» genannt wird. Seit den Erfolgen von Hotmail mit «send this mail to a friend» sowie den Peer-to-Peer-Empfehlungslisten bei Amazon, den boomenden Freundschaftsnetzwerken wie Friendster und OpenBC oder der Apple-Erfolgsstory iPod und iTunes setzt sich der Siegeszug der viralen Kommunikation fort. Aber virales Marketing ist kein reines Internetthema. Im Gegenteil, wie die Harry-PotterErfolgsgeschichte zeigt: Die jüngste, sechste Ausgabe der Erfolgsautorin Joan K. Rowling hat mit 10 Mio. verkauften Büchern bereits am Erscheinungstag dem im Internetzeitalter «veralteten» Medium Buch zu ungeahnten Rekorden verholfen. Und das vornehmlich ohne klassische Kommunikation. Ist virales Marketing tatsächlich der erhoffte Heilbringer? Oder ist klassische Kommunikation doch effizienter und letztlich effektiver? Können beide Methoden überhaupt gegenübergestellt werden oder ergänzen sie sich vielmehr? Ob virale Markenbotschaften und der Mehrwert von Markenprodukten tatsächlich im Sinne einer strategisch geplanten Markenkommunikation effizient verbreitet werden können, haben wir in einer exklusiven, repräsentativen Studie untersucht. Zudem haben wir untersucht, ob diese Methode wirksamer ist als klassische Kommunikationsinstrumente. Die Studie über die Wirkungsweise der viralen im Vergleich zur klassischen Kommunikation innerhalb eines geschlossenen Systems wurde in Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Marketing der Fachhochschule Nürnberg erarbeitet. Die Versuchsanordnung Zwei Produkte (ein Low-Involvement-Produkt, ein High-Involvement-Produkt), die sich in Deutschland nicht oder noch nicht auf dem Markt befinden, wurden in vier Testunternehmen (> 150 Mitarbeiter) beworben. Dabei wurden beide Produkte innerhalb jedes Testunternehmens gleichzeitig beworben: in einem Unternehmen jeweils das eine Produkt mit Hilfe von klassischer Werbung, das andere mit Hilfe viraler Elemente und umgekehrt. Bei dem Low-Involvement-Produkt handelt es sich um den Süssstoff «Equal Sweetener», der auf Dextrosebasis aus 0 Kalorien besteht und der laut Hersteller wie Zucker schmeckt. Als High-Involvement-Produkt wurde eine Innovation der Firma W. L. Gore & Associates ausgewählt. Es handelt sich hierbei um die «HeliumAir-Laufjacke» der Marke Concurve, die sich durch ein Höchstmass an Wasserdichte und Atmungsaktivität bei gleichzeitig minimalem Gewicht auszeichnet. Für die Untersuchung der Wirkung der viralen Kommunikation wurden in jedem Testunternehmen mit Hilfe eines internen Ansprechpartners 2 bis 4 Personen ausgewählt, die als Überträger (Exchanger) des Kommunikationsvirus «erstinfiziert» werden sollten. Die ausgewählten Exchanger der Concurve-Laufjacke waren Sportler (z. T. in unternehmensinternen Laufgruppen aktiv), Laufbegeisterte oder besonders kommunikative Führungskräfte (z. B. Abteilungsleiter). Die für die virale Verbreitung der Botschaft über das Produkt Equal Sweetener 65 index 1|2006 ausgewählten Exchanger waren Mitarbeiter der Kantine, Führungskräfte oder Diabetiker. Alle Exchanger sollten sich durch ein besonders hohes Interesse an dem und hohe Kenntnis über das Themengebiet des jeweiligen Produktes oder durch eine hohe Kommunikationsfähigkeit auszeichnen. Zur Verbreitung des Kommunikationsvirus wurden die Exchanger mit Hilfe einer Markengeschichte über das viral beworbene Produkt innerhalb eines Exklusiv-Produkttests infiziert. Zusätzlich durften sie ein Produkt zwei Wochen lang testen und zum Test an andere Personen weitergeben. Die Untersuchung der Wirkung der klassischen Kommunikation erfolgte mittels eines Plakates, welches an einem stark frequentierten Platz (z.B. Kantine) angebracht wurde. Nach zwei Wochen Testzeit wurde zwischen Dezember 2004 und April 2005 eine Befragung von 600 zufällig ausgewählten Mitarbeitern des jeweiligen Unternehmens über die Wirkung der klassischen sowie der viralen Kommunikation durchgeführt. Zusätzlich wurden die viral Erstinfizierten mit Hilfe telefonischer Interviews qualitativ befragt. Folgende Kernfragen sollten dadurch beantwortet werden: • Ist die virale Verbreitung von Markenbotschaften plan- und steuerbar? • Wie wirksam ist virales Marketing im Vergleich zu klassischer Kommunikation wirklich? • Was sind die Erfolgsfaktoren viraler Markenkommunikation? • Wie kann ich virales Marketing in mein strategisches Markenmanagement integrieren? • Welches sind die Gefahren der Nutzung viraler Effekte? Der vorliegende Artikel bewertet die Ergebnisse einer repräsentativen Studie, zieht praktische Konsequenzen für die Markenführung und bietet mit dem Viral Branding Concept einen Hinweis für die strategische Planung einer viralen Markenkampagne. index 1| 2006 66 II. Erkenntnisse aus der Studie 1. Virale Kommunikation wirkt schneller Bereits nach zwei Wochen kennen 8,5-mal mehr Personen, also 17% der Befragten, das viral kommunizierte und nur 2% das klassisch beworbene Markenprodukt. Nur zwei Wochen hat es gedauert, bis sich bei 17% der persönlich befragten Personen das viral beworbene Markenprodukt durchgesprochen hat. Obwohl die Reichweite der klassischen Kommunikation über Werbeplakate an stark frequentierten Plätzen in den Unternehmen mit 2320 Kontakten täglich viel höher ist als die 18 infizierten Personen, durch welche die virale Kampagne in Gang gesetzt wurde, konnten sich an das Produkt der klassischen Kommunikation lediglich 2% der befragten Personen erinnern. 2. Virale Kommunikation ist wirksamer Von den viral infizierten Personen konnten 100% der Befragten mindestens eine Eigenschaft des Produktes nennen. 64% der viral infizierten Befragten wussten ungestützt (Mehrfachnennungen möglich), dass die Helium-Air-Jacke besonders leicht ist, 42% kannten ihre besondere Atmungsaktivität. Sogar 71% bzw. 51% dieser Personengruppe nannten ebenfalls ungestützt die Hauptdifferenzierungsfaktoren des Equal Sweetener («0 Kalorien» und «guter Geschmack»). Kein Einziger aus der Personengruppe, die von den Produkten per Plakat erfahren hatte, konnte sich an eine Eigenschaft der beworbenen Produkte erinnern. Besonders bemerkenswert war, dass die erstinfizierten Überträger des Markenvirus sich ausnahmslos an alle der kommunizierten Eigenschaften der Produkte erinnern konnten. Das ist besonders dann von Bedeutung, wenn sich Marketingverantwortliche darüber den Kopf zerbrechen, wie sie in immer teurer werdenden Werbeumfeldern immer komplexere Marken- geschichten und Produkteigenschaften an die potenzielle Käuferschaft kommunizieren sollen. Eine zentrale Rolle fällt hier dem Markenerlebnis zu. In allen vier Testunternehmen konnten die zu infizierenden Personen die Markenprodukte selbst testen und somit die Produkteigenschaften unmittelbar erleben. 3. Klassische Kommunikation: Geringe Wahrnehmung trotz hoher Affinität Die befragten Personen, welche über die Plakate von den Produkten erfuhren, haben mit 50% sogar ein leicht höheres Interesse für die Themen der Produkte (Laufen/gesunde Ernährung) als die viral infizierten Personen (47%). Die Affinität der befragten Personen zum Themenbereich des Produkts hat also keine Auswirkung auf die abgefragte Bekanntheit der Produkte, im Gegenteil. Bei der Frage, ob sie sich für gesunde Ernährung oder Laufen/Outdoorsport interessieren, antworteten 12% der Befragten, die auf klassischem Weg von den Produkten erfahren hatten, mit «Ja, sehr hoch» und 38% mit «hoch». Bei der Frage nach ihrem Interesse an den Themen antworteten dagegen 12% der Personen, die auf viralem Weg von den Produkten erfahren haben, mit «Ja, sehr hoch» und 35% mit «hoch». zu-Mund-Propaganda von dem Produkt erfahren haben, auch ausserhalb ihrer Arbeitsstätte über das beworbene Produkt unterhalten. 5. Auch Unerwünschtes wird verbreitet 21% der viral infizierten Personen nannten «teuer» als eine Produkteigenschaft, die überhaupt nicht kommuniziert wurde. Obwohl bei den Produkttests der Laufjacken von Concurve der Preis der Jacke überhaupt nicht erwähnt wurde, schrieben 21% der viral infizierten Personen bei den Interviews diese Eigenschaft (ungestützt abgefragt) dem Produkt zu. Dieses Phänomen ist seit Kindertagen bekannt. Wer kennt nicht das Spiel «Flüsterpost». Eine Reihe von Kindern sitzt nebeneinander. Der Erste flüstert seinem Nachbarn ein Wort ins Ohr, der flüstert das, was er verstanden hat, seinem Nachbarn ins Ohr, und so geht es weiter, bis zum letzten Kind. Dieses brüllt dann laut heraus, was es von seinem Vorgänger zugeflüstert bekommen hat. Meist hat das nichts mit dem zu tun, was das erste Kind sich ausgedacht und seinem Nachbarn zugeflüstert hat. Ähnlich problematisch kann es sich bei der viralen Kommunikation verhalten. Die Botschaft wird mit der Assoziation des Empfängers vermischt und dann weitergegeben. 4. Das Virus verlässt das geschlossene System 47% der viral infizierten Personen haben sich ausserhalb des Unternehmens über das Produkt unterhalten. Um den Vergleich der beiden Kommunikationsarten messbar zu machen, musste der Test innerhalb möglichst geschlossener Systeme erfolgen. Perfekt erschienen Unternehmen. Dort bewegen sich Mitarbeiter in einem «messbaren Umfeld». Die Mitarbeiter weisen unterschiedlichste Demografien und Wertorientierungen auf. Nach Geschäftsschluss verlassen sie das System Unternehmen und wechseln in das private Umfeld. Virale Botschaften überstehen diesen Wechsel und werden auch im privaten Umfeld verbreitet. So hat sich mit 47% fast die Hälfte der befragten Personen, die durch Mund- 67 index 1|2006 III. Wie können Prinzipien viraler Epidemien für virales Branding genutzt werden? 1. Tarnung als Grundlage der Epidemie Die Testpersonen wussten nicht, dass sie für eine Laufjacke oder einen Süssstoff werben sollten. Sie wurden nur gefragt, ob sie an einem Produkttest teilnehmen möchten. Viren aus der Pathologie verhalten sich ebenso unauffällig. Krankheiten, die nicht sofort und eindeutig zu erkennen sind, haben einen entscheidenden Vorteil. So beispielsweise das Sars-Virus. Getarnt als harmlose Grippe konnte sich die Krankheit über mehrere Monate hinweg ausbreiten, bevor gezielte Tests und Gegenmassnahmen verfügbar waren. Übertragen auf das virale Marketing bedeutet dies, dass virale Kampagnen nicht als solche erkannt werden dürfen. Sonst verlieren sie unter der angesprochenen Community sofort ihre Anziehungskraft, und das Weitertragen der Geschichte wird gestoppt. So dementiert VW bis heute, an der Gestaltung des MPAGSpots für den VW Polo beteiligt gewesen zu sein. Darin wurde moralisch untragbar die Robustheit des beworbenen Volkswagens dadurch zur Schau gestellt, dass sich ein Attentäter vor einem israelischen Restaurant in einem VW Polo in die Luft sprengte. Nach der Explosion stand der Wagen äusserlich unversehrt, aber innen völlig zerstört vor dem ebenfalls unversehrten Restaurant. Der Spot hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Neben der Tarnung kommt eine weitere Grundlage zur Entstehung einer viralen Epidemie bei viralen Markenkampagnen zum Tragen: 2. Regelbrüche und Einfachheit erleichtern die epidemische Verbreitung So wie Viren von Körper zu Körper über Ansteckung wandern, wandern so genannte «Meme», die Träger kultureller Erbinformationen (also auch die Träger von Markengeschichten), von Gehirn zu Gehirn. index 1| 2006 68 Erfolgreiche Meme müssen einfach genug sein, um wiederholt zu werden, aber komplex genug, um interessant zu sein. Nur wenn eine Geschichte prägnant ist, hat sie eine Chance, in das Gedächtnis unserer potenziellen ExchangerWirte einzudringen. Im Zeitalter der Informationsflut haben es regelbrechende Botschaften am einfachsten. Nicht nur, wie im Falle des VWPolo-Spots, moralische Regelbrüche, sondern Regelbrüche aller Art bis hin zur Produktzusammensetzung. So weiss keiner, ob Inhaltsstoffe von Red Bull zur Markteinführung in Deutschland zugelassen waren oder nicht. Allein die Frage nach dem Ob sorgte für Merkfähigkeit und Gesprächsstoff. Ein einziges Niesen genügt, um eine Epidemie in Gang zu setzen. So einfach wie eine virale pathologische Epidemie muss auch eine virale Markenepidemie beginnen. Wie die durchgeführte Studie zeigt, muss die Markenbotschaft aus wenig Worten bestehen und so einfach wie möglich sein. «Gesunder Süssstoff, der schmeckt.» Diese einfache Botschaft wird zu einem unverrückbaren Kern: Je einfacher die Botschaft, desto treuer erfolgt die Wiedergabe. In der Virologie spricht man von einer stabilen Kopie. Je stabiler die Kopie, desto mehr Viren überleben und bilden die Grundlage für eine epidemische Verbreitung. Nun kann jeder Infizierte diese einfache Botschaft mit seinen eigenen Worten, auf seine eigene Art und Weise selbst ausschmücken. Und je einfacher die Botschaft, desto geringer die Gefahr, dass unerwünschte Inhalte kommuniziert werden. 3. Mutation überwindet Grenzen Viren besitzen die Fähigkeit, ihre Form zu ändern, wodurch sie höchst anpassungsfähig sind. Der Grippevirus verändert jedes Jahr seine Form, wodurch alte Impfstoffe wertlos werden und neue an die Virushülle angepasst werden müssen. Eine der wichtigsten Erfolgsfaktoren für die Durchsetzungskraft einer viralen Kampagne liegt in der Flexibilität der Übertragung. Geschichten können über alle Stil- oder Wertegrenzen hinweg durch alle Gesellschaftsschichten erzählt und übertragen werden. Das kann jedoch dazu führen, dass auch unerwünschte Inhalte kommuniziert werden. Anders als klassische Kommunikation, deren Gestalt und Inhalt einmal festgelegt und dann mittels monologer Kommunikation der potenziellen Ziel gruppe vorgeführt werden, kann sich eine Geschichte je nach Erzählstil und Inhalt rund um die zentrale Botschaft abhängig vom Erzähler ändern. Wenn beispielsweise die neueste Handykampagne von T-Mobile auf die Stilistik und den Nährboden der anvisierten potenziellen Käufer abgestimmt ist, kann ein Apple-Fan die Geschichte des iPod auf unterschiedlichste Art und Weise allen möglichen Personen aus seinem Netzwerk erzählen. Die Botschaft bleibt die gleiche. Ob sie ankommt, hängt davon ab, wie sie erzählt wird. 5. Das Internet ist ein Katalysator für virale Kampagnen, aber nicht das Allheilmittel Da Viren nicht allein überleben, sondern Wirte benötigen, über die sie sich verbreiten können, ist es für den Ausbruch einer Epidemie von besonderer Bedeutung, möglichst viele und die richtigen Wirte zu infizieren. Die Studie wurde nicht unter Ausschluss des Internets durchgeführt. Startschuss für die Kampagne war jeweils ein getarnter Produkttest. Ob sich Testpersonen oder Weiterinfizierte dann weiterhin per Internet über die Produkte informiert oder ausgetauscht haben, wurde nicht ermittelt. Was zieht Fans an und was hält sie zusammen? Früher hat man sich am Lagerfeuer, am Abendbrottisch versammelt und hat den Weltsichten und Geschichten der Weisen und Eltern gelauscht. Heute sind Marken Orte und Geschichten der Identitätsbildung und des gemeinsamen Erlebens. Die Geschichten sind Markenbotschaften, 70 Gute Marken geben also den Fans Anlässe und Geschichten zum Weitererzählen und erhöhen den Eigennutz der Erzähler und das Ansehen in ihrer Gemeinschaft. Je besser die Geschichten, Inhalte und Werte, umso grösser die Fangemeinschaft um eine Marke und umso anziehender die Marke. 4. Notwendige Wirte: Fans tragen die Markenbotschaft in ihre Community Am besten sind hierfür Fans einer Marke geeignet. Fans sind der innerste Kreis, die Eingeweihten, die Experten, die für die Marke, das Unternehmen, die Idee glühen. Wie in der Physik entsteht durch ihr Insiderwissen ein energetischer Potenzialunterschied, der anziehend wirkt. Andere Personen möchten von diesem Wissen oder den Erfahrungen der Fans profitieren. Attraktive Fans ziehen Nachahmer an, diese werden wiederum beobachtet und nachgeahmt. Irgendwann ist die Markenbotschaft in der Masse verbreitet. Deswegen brauchen Marken Fans, die virale Kommunikation ist die Energie und der Kitt, die beide zusammenbringt und -hält. Ihre Fans entscheiden über den Erfolg einer neuen Produkteinführung, einer neuen Verpackung, eines neuen Geschäfts. Wenn Sie Ihre Fans nicht gewinnen, gewinnen Sie auch nicht die breite Masse, die Ihnen im Gegensatz zu Ihren Fans heute noch keine Aufmerksamkeit schenkt. index 1| 2006 welche Werte, Versprechen und Ideen einer Marke selbstähnlich in sich tragen. Die grössten Geschichtenerzähler (Kirche, Staat, Eltern) waren die attraktivsten und hatten die Deutungshoheit in der Gemeinde. Heute sind es die grossen Marken wie Tiger Woods, David Beckham, Nestlé, Nike, Starbucks, welche die Mythen des Alltags erzählen und somit die Welt erklären. Sicherlich hat es Blackberry geholfen, dass in der von ihr verschickten E-Mail-Signatur «gesendet durch Blackberry» zu lesen ist. Trotzdem verstärkt diese Studie die Erkenntnis anderer Produktteststudien, dass Menschen besonders dann gerne über Markenprodukte sprechen, wenn sie ein persönliches, positives Erlebnis mit dem Markenprodukt hatten. Dieses Erlebnis kann das Internet nicht ersetzen. 6. Virale Markenkommunikation ist plan-, aber nicht immer steuerbar Wie die Studie zeigt, kann man, wenn man die Instrumente der viralen Markenkommunikation nutzt, eine solche durchaus planen und steuern. Oberflächlich betrachtet glauben Marketing- und Werbeverantwortliche aus Wirtschaft und Agenturen noch immer, es sei dem Zufall überlassen, ob solch ein Ansatz funktioniert oder nicht. Die vorliegende Studie zeigt jedoch sehr wohl, dass sich der Start einer solchen Kampagne steuern lässt und die Ergebnisse messbar sind. IV. Hilfestellung für die Praxis: zählen und in welchen Netzwerken sie aktiv sind. Geben Sie diesen Motiven Nahrung und animieren Sie diese, von Ihrer Marke zu erzählen. Die fünf elementaren Erfolgsfaktoren für den Aufbau einer viralen Kampagne Suchen Sie Unterstützung in den Exchangern. Wer kennt die viral zu bewerbende Marke besonders gut, wer könnte als Verstärker oder Übersetzer genutzt werden? Fachleute wie Trainer oder bekannte Grössen oder Celebrities eignen sich für solche Aufgaben besonders gut. 1. Entwickeln Sie das Markenvirus – machen Sie die Ansteckung einfach! 3. Infizieren Sie die richtige Menge und nutzen Sie die Vernetzung der Menschen Die zentrale Botschaft muss einfach und kurz sein. Werden Sie sich bewusst, was Ihre Marke und Ihr Markenprodukt wirklich ausmacht, wofür Ihre Marke steht. Wenn Sie dies nicht in einen einzelnen Satz mit nicht mehr als fünf Wörtern packen können, ist die Markenbotschaft noch nicht einfach und kurz genug. Berechnen Sie, wie viele Menschen in einem relevanten Markt oder einer Community erreicht werden sollen. Die Studie hat ergeben, dass durch zirka 2–5% Erstinfizierte die gesamte Community erreicht werden kann. Daraus ergibt sich die Menge an Personen, die Sie direkt oder indirekt ansprechen müssen, um in einem relevanten Zeitraum die virale Markenbotschaft an alle anvisierten Personen zu tragen. Regelbruch im Produkt, in der Kommunikationsart, in der Botschaft? Liegt der Regelbruch bereits in der Marke verborgen oder muss erst eine Inszenierung oder eine Story erarbeitet werden, welche die Regel des Gewohnten bricht? Worin liegen die technischen, moralischen, kulturellen Regelbrüche der viralen Kampagne? Entwickeln Sie die Startgeschichte Jede Flüsterpost braucht einen Beginn. Keine 20 Seiten. Am besten erzählen Sie ihre virale Markenbotschaft einem Kind, welches Ihnen diese nacherzählen soll. Wenn das Kind die Geschichte mit möglichst wenigen «Kopierfehlern» wiederholen kann, ist die Geschichte einfach genug. 2. Finden und motivieren Sie die Wirte, nutzen Sie die Fans der Marke! Identifizieren Sie Fans und Exchanger (Kenner, Verstärker, Übersetzer) Ermitteln Sie die Menschen, die eine besonders enge Beziehung zu Ihrer Marke und den dazugehörigen Markenprodukten haben. Lernen Sie die Motive kennen, warum diese Menschen Fans sind und was sie motiviert, von Ihrer Marke zu er- 4. Erobern Sie die Community – machen Sie sich attraktiv! Wählen Sie die richtige Community aus Welche Community an welchen Orten steht den bestehenden oder potenziellen Fans Ihrer Marke am nächsten? Machen Sie Kunden zu Markenevangelisten. Wählen Sie zuerst die richtige Community aus. Folgende drei Kriterien sollten Sie bei der Auswahl der Ziel-Community bedenken: Hoher Markenfit: Wählen Sie bei Ihrer viralen Kampagne die FanCommunity, die zu Ihrer Marke passt. Der grösste Fehler ist eine Community, die Ihre Marke für nicht relevant erachtet. Ihre Marke wird wie ein Antikörper sofort bekämpft und ausgesondert. Grosses Problemlösungspotenzial: Suchen Sie wirklich nach den Knappheiten (Appetenz) und Mängeln Ihrer Community, und bieten Sie nicht übersättigten Menschen ein weiteres Essen an. Vorhandene Multiplikatoren: Je promiskuitiver Ihre Community ist und je mehr potenzielle Multiplikatoren vorhanden sind, 71 index 1|2006 umso grösser ist die Chance der Verbreitung Ihres Markenvirus. Schaffen Sie Ansteckungsplattformen Ist das Virus einmal ausgesetzt, braucht es Plattformen, an denen es sich weiter multiplizieren und neue Wirte, Fans, finden kann. Online-Plattformen: Die weitverbreitsten Ansteckungsorte liegen im Internet. Dort kann man in Klubs, Foren, p2P-Netzwerken, in Boards und in Communities zu jedem Thema seine «Buddies» finden und die neuesten Dinge austauschen. Events: Wichtig sind aber auch physische, erlebbare Anlässe, Wettbewerbe, Messen, an denen sich die Fans mit Beinahefans verbünden und die neuesten Gerüchte rund um die Marke oder das Markenprodukt ausgetauscht werden. Man denke an die legendären Inszenierungen Steve Jobs‘ von Apple oder die jährlichen Harley-DavidsonTreffen in Kärnten/Österreich. Medien: Fanzines und Special-Interest-Magazine sind eine weitere Möglichkeit, Themen, Gerüchte und Viren zu platzieren und zu verbreiten. Man denke an «WIRED», das US-Leitmedium zu Zeiten des Internetbooms. Aber auch die VDI-Nachrichten können sich eignen. 5. Entdecken Sie den fruchtbaren Nährboden – werden Sie relevant! Nährböden sind Sehnsüchte, Wertdefizite, Mängel, Trends in der Gesellschaft bei Konsumenten und in der Industrie. Was sind Nährböden für Ihren Markenvirus in Ihrer Fan-Community? Lebensknappheit: Zentrales Konsummotiv ist die Befriedigung des Mängelempfindens und die Beseitigung von Knappheit. Dies können Aspekte wie Nahrung, Anerkennung in der Gruppe oder die Sehnsucht nach Individualität sein. Eine zentrale Knappheit heute ist beispielsweise die Lebensqualität in den stilbildenden Schichten. Welche Knappheiten hat Ihre Community? index 1| 2006 72 Trends: Trends sind verdichtete Suchbewegungen in der Kultur. Trends handeln vom Umwandeln der Werte. Gestern war Pflichtbewusstsein der Werttreiber der Gesellschaft, heute ist es in der Masse Hedonismus, morgen wird der Spass an der Leistung zentraler Treiber der dominanten Klasse sein. Welche Trends gibt es in Ihrer Community, die Sie nutzen können? Branchenmängel: Geeignete Nährböden sind auch Branchenmängel wie teure Produktion und mangelnde Individualität der Produkte. Das Internet hat gezeigt, wie neue Geschäftsmodelle und Ideen entstehen können. 6. Inszenieren Sie die Markenbotschaft – bleiben Sie adaptiv! Vom Produkterlebnis bis zur inszenierten Geschichte: Passen Sie die Inszenierung an die Gegebenheit Ihrer Marke an. Was passt am besten zu Ihrer Markenbotschaft und Ihrem Markenprodukt? Wie schaffen Sie es, dass man die Botschaft mit allen Sinnen erleben kann? Manchmal reicht ein einfacher Produkttest, manchmal muss es ein Wochenendevent, durchgeführt mit allen Mitteln der Kunst, sein. Holen Sie sich Verstärkung bei Inszenierungskünstlern und Regisseuren, aber bleiben Sie sich selbst treu. «Red Bull verleiht Flügel», nicht umsonst heisst einer der erfolgreichsten Markenevents von Red Bull «Jump & Freeze». Zusammenfassung Ist die virale Verbreitung von Markenbotschaften plan- und steuerbar? Planbar ja, steuerbar nur zum Teil. Zentrale Aspekte sind die Markengeschichte und die Fangemeinde Ihrer Marke. Nehmen Sie sich beider an. Wie wirksam ist virales Marketing im Vergleich zu klassischer Kommunikation wirklich? Die virale Verbreitung von Markenproduktbotschaften kann effizienter und effektiver sein, wenn man richtig damit umgeht. Es sollte aber nie nur auf eine Kommunikationsmethode gesetzt werden. Richtig ist eine zeitpunktgerechte Mischung unterschiedlicher Methoden. Was sind die Erfolgsfaktoren viraler Markenkommunikation? Die richtige Botschaft, die richtigen erstinfizierten Exchanger und vor allem die richtigen Marken und Markenprodukte mit Geschichtenpotenzial. Wenn sich Ihre Marke nicht differenziert, gibt es auch nichts zu erzählen. Studiendesign: Stichprobengrösse und Testgrösse: 600 Mitarbeiter aus vier Unternehmen verschiedener Industrien (Automobil, Banken, FMCG, Service) mit jeweils mehr als 150 Mitarbeitern pro Standort Mitarbeiter aus Fertigung und Verwaltung Wie kann ich virales Marketing in mein strategisches Markenmanagement integrieren? Machen Sie sich der Werte, Potenziale und Talente Ihrer Marke bewusst. Kümmern Sie sich um die besondere Kundschaft Ihrer Marke, um Ihre Fans. Lernen Sie deren Motive kennen, warum sie Fans sind, und beschäftigen Sie sich mit ihren Knappheiten. Dann können Sie zum richtigen Zeitpunkt Ihr «Markenvirus» aussetzen. Kommunikation per Plakat (klassische Kommunikation) und Produkttests (virale Kommunikation) Befragung: Face-to-Face-Interviews, im November 2004 bis April 2005 Die Autoren Jürgen Gietl ist Executive Consultant bei brand:trust, Welches sind die Gefahren der Nutzung viraler Effekte? Sorgen Sie über eine möglichst einfache Markenbotschaft dafür, dass sich nicht Unerwünschtes verbreitet, und bleiben Sie authentisch, dann wird Ihre Geschichte geglaubt und glaubhaft weitererzählt. Brand Strategy Consultants. Er beschäftigt sich seit seiner Studienzeit mit dem Lenken von Marken. Angefangen hat alles mit der Gründung einer studentischen Unternehmensberatung. Dann wechselte er in den strategischen Marketingbereich einer internationalen Automobilzulieferermarke, wo er während mehreren Jahren arbeitete und wertvolle Erfahrungen in der Führung höchst profitabler Marken sammeln konnte. Daneben ist er als Dozent bei Kongressen sowie an der Fachhochschule Coburg tätig. Achim Feige ist Executive Consultant bei brand:trust, Brand Strategy Consultants, und freier Partner des Zukunftsinstituts von Matthias Horx. Sein Beratungsfokus ist die internationale strategische Markenführung mit den Schwerpunkten Strategieentwicklung, Zukunftstrends und wertorientierte Markenführung. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre konzentrierte er sich im Rahmen der Beratertätigkeit auf die Strategieund Unternehmensentwicklung im Mittelstand und trendgestützte Geschäfts- und Markenmodelle im Trendbüro Hamburg. Ab 1998 war er als Member of the Executive Committee bei der Consors Discount-Broker AG u.a. für die Unternehmensentwicklung, Internationalisierung und das Marketing zuständig. Seit 2002 ist er als MarkenstrategieConsultant für brand:trust tätig. 73 index 1|2006