sonnenschutz neu definiert

Werbung
Report
* Jan-André Zaba
Gemeindehaus und Raiffeisenbank, Wollerau
SONNENSCHUTZ
NEU DEFINIERT
Am 25. Oktober 2002 wurde das
neue Verwaltungszentrum der
Gemeinde Wollerau offiziell mit
dem Segen der Vertreter beider
Landeskirchen eingeweiht.
Das Gebäude beinhaltet in seiner
äusserlich klaren geometrischen Form
eine hochstehende und raffinierte
Fassaden- und Gebäudetechnik.
Dem noch jungen Luzerner Architekturbüro
von Niklaus Graber und Christoph Steiger,
zusammen mit dem Schwyzer Büro BSS Architekten, ist nach dem bemerkenswerten Oberstufenzentrum in Buttikon SZ ein weiteres
und völlig neues Konzept gelungen.
Am ansteigenden Bahntrassee und der seewärts führenden Strasse in Wollerau steht
exponiert das neue Gemeindehaus, das
gleichzeitig auch Sitz der örtlichen Raiffeisenbank ist. Sie haben je einen eigenen Eingang
auf der Ost- und der Westseite. Das Haus
erscheint als Ganzes, ist jedoch auf allen drei
Ebenen getrennt und über einen gemeinsamen Innenhof geteilt. Die innere Organisation
ist leicht überschaubar und flexibel.
Fassadenkonstruktion
Das thermoaktive Betonkernsystem verlangt
von der vom Boden bis zur Decke bündig verglasten Konstruktion tiefste Wärmeübergangswerte. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, wurde eine Fassade aus
Holz-Alu-Pfostenriegel-Systemelementen und
3-fach-Wärmeschutzglas realisiert. Alternierend zu den fest verglasten Fassadenfeldern
sind Lüftungsflügel für eine natürliche Raumbelüftung eingesetzt.
Die eigentliche Spezialität dieser Fassade ist
aber an den vorstehenden Stockwerksübergängen zu betrachten. Hierbei handelt es sich
um vorgelagerte, stockwerkhohe, bewegliche
Glasflügel aus ESG mit darauf appliziertem
Siebdruck, die den Sonnenschutz gewährleisten. Somit befinden sich vor jedem verglasten Fassadenelement je zwei bewegliche
Flügelelemente.
Eine Unterkonstruktion aus feuerverzinkten
Stahlkonsolen und Längsprofilen aus Winkelstahl bildet die Auflage und die Führung der
Lagerpunkte der beweglichen Glasflügel.
Die Glasflügel sind auf den Hochkanten in
einem speziellen Aufnahmeprofil aus Stahl
eingesetzt und mit dafür geeigneten Silikonen
verklebt. An den Enden befinden sich die
Lagerbolzen, die in einem hochwertigen
Kunststoff (Delrin) mit einem verstellbaren
Klotz geführt werden.
An den oberen Lagerbolzen wirkt ein Hebelmechanismus ähnlich der Lenkgeometrie
eines Autos, jedoch bedingt durch die diagonale Anordnung der Verbindungsstange gegenläufig wirkend. Genau wie bei den Vorderrädern oder bei gegenlaufenden «Scheibenwischern» stehen die Glasflügel in offener
Stellung parallel zueinander.
In geschlossener Position wurde von den
Architekten eine leicht überdeckende Stellung der Flügel in der Mitte gewünscht, so
dass diese unterschiedliche Winkel zur Fassade aufweisen. Diese Überdeckung hat den
Vorteil, dass keine störenden Lichtspalten
entstehen. Des Weiteren ergeben sie ein neues Fassadenbild, das auch bei minimalen
Winkeltoleranzen ein präzises Bild hinterlässt.
1
* Jan-André Zaba
Ing. HTL
Mebatech AG,
CH-5400 Baden
FASSADE FAÇADE 3/2003
•
63
Report
Diese Art von Beschattung folgt einem übergeordneten Signal in eine dafür geeignete
Stellung. Eine individuelle und stufenlose Einstellung des Öffnungswinkels ist durch den
Benutzer jederzeit möglich. Dadurch lässt sich
die gewünschte Atmosphäre einstellen, die
von grosszügigem Ausblick bis zum orientalischen Teehaus bei starkem Sonnenlicht
reicht.
Zusammen mit den Architekten wurde akribisch nach dem geeigneten Siebdruck
gesucht, der nach eingehender und entsprechender Bemusterung gefunden wurde. Man
optierte für vertikale Siebdrucklinien mit
Unterbrechungen und einem 60%-Siebdruckanteil in silbergrauer Farbgestaltung. Somit
wurde ein Gesamtenergiedurchlassgrad (gWert) von ca. 20% erreicht. In Kombination
mit der Verglasung errechnete man einen gWert von < 10%.
Diese Art von Sonnenschutz hat gegenüber
konventionellen Beschattungsanlagen viele
Vorteile. Speziell hervorzuheben ist die robuste, sturmtaugliche und vor Verschmutzung
weniger empfindliche Bauweise.
Als Antrieb dient ein genormter, 230-Voltgespeister Spindelhubmotor mit 750 N Hubkraft, der durch seine Bauart eine grosse Halte- bzw. Druckkraft von 200 kg aufweist. Im
Falle dass sich zwischen den Glasflügeln ein
Hindernis befindet, stellen die Motoren automatisch ab. Die Anlagen sind zu Zweier- und
Dreiergruppen gekoppelt.
Die Flügel sind so angeordnet, dass ein umlaufender Abstand zu den Blechzargen entsteht.
Dadurch wird eine gute Umströmung ermöglicht, die eine Aufheizung und Abstrahlung auf
ein Minimum reduziert. Zur Wartung der
Mechanik ist der gesamte Bereich über die
demontierbare Verkleidung gut zugänglich.
2
3
Technische Daten
Fensterflächen
Das Verhältnis von Fenster zu Bodenfläche
beträgt zwischen 40 und 120% und im Mittel aller beheizten Flächen etwa 47%. (Verhältnis Fensterfläche zu Energiebezugsfläche A/EBF = 39%)
Sonnenschutz (drehbare Glasflügel mit
Siebdruck)
Erwarteter Gesamtenergiedurchlassgrad
(g-Wert) der Glasflügel mit ca. 60%, Siebdruckanteil ca. 20%.
Verglasung (äussere Fassade)
3-fach-Isolierglas mit Ug = 0,5 W/m2K
Lichttransmission ca. 64%
Gesamtenergiedurchlass ca. 42% ergibt in
Kombination mit den Glaslamellen einen
64
g-Wert von < 10%. (Im Wertzonenbereich
mit VSG Widerstandsklasse A3)
Verglasungssystem (äussere Fassade)
Holz-Metall-Pfostenriegelsystem auf der
Basis Raico. U-Wert Rahmen/Flügelkombinationen ca. 1,4 W/m2K.
Verglasung (innere Fassade Hof)
3-fach-Isolierglas mit Sunstop Silver 50,
innen mit VSG für Personenschutz, Ug = 0,5
W/m2K. Klappflügel mit Stufenisolierglas
3-fach.
Verglasungssystem (innere Fassade Hof
und z.T. EG)
Glaselemente unten/oben geführt mit
Stahl-Alu-Profilen mit min. 30 mm Forex
als Isolator. Vertikal mit Stahlpfosten und
CNS-Steg verklebt.
Erdgeschossverglasung
Die Erdgeschossverglasung mutiert äusserlich unbemerkt im Bereich der Banktätigkeit
zur Sicherheitsverglasung. Die zweigeschossige Eingangshalle weist nebst der beschriebenen Holz-Metall-Konstruktion eine aussen
in der Vertikalen rahmenlose Verglasung auf,
die mit den automatischen Schiebetüren ohne
Sonnenschutzanlagen die Logik erkennen
lässt. Die Vordächer sind mit eingespannten
Trägern freitragend ausgebildet. In der Bauhöhe stimmen sie mit dem Stockwerksübergang überein.
Innere Fassadenkonstruktion (Hof)
Eine völlig überraschende Wirkung zeigen die
rahmenlosen Sonnenschutzgläser in dem
FASSADE FAÇADE 3/2003
•
Report
relativ engen Hof. Ziel der Architektur war es,
durch die Verspiegelung dem unterschiedlichen Benutzer die gewünschte Diskretion zu
ermöglichen. Gleichzeitig täuschen die entstehenden Mehrfachreflexionen eine grössere Weite vor. Schmale und stockwerkshohe
Flügel ermöglichen auch hier genügend
Frischluft.
In extremen Situationen können die im
Dachrand integrierten Knickarmstoren von
beiden Seiten her den Hof vollständig beschatten. Der am Boden gepflanzte Schachtelhalm erzeugt, als wohl älteste bekannte
Pflanze, eine mystische Atmosphäre.
4
Transparenz und Reflexion
Bei der Erstellung der neuen Gemeindeverwaltung und der Raiffeisenbank war die
Suche nach der Identität dieses nicht alltäglichen öffentlichen Bauvorhabens im
Rahmen seines dörflichen Umfeldes für
uns Ausgangspunkt. Wie stellt sich der
Neubau zum Bestehenden, wie nimmt er
Bezug dazu oder wo unterscheidet er sich
von seinem Umfeld? Die vorgefundene,
heterogene, von Strasse und Schienen
umflossene Situation verwehrte uns den
Weg einer rein anknüpfenden, integrierenden Architektur, zu unterschiedlich und zu
unruhig war das Vorhandene. Umso mehr
kamen wir zur Überzeugung, dass dieses
Haus sich selbstbewusst, als in sich ruhender Bau, in das Dorf setzen muss und dabei
über die Funktion und deren zeitgemässe
Umsetzung seine Identität, seine Individualität finden wird.
Das Programm eines modernen Verwaltungsbaus wurde so die Basis für die Planung der Gebäudestruktur wie auch der
Fassade: Helle Räume, hohe Flexibilität im
Grundriss, Transparenz, Ein- und Aussicht
waren nur einige der Anforderungen, die
es zu erfüllen gab. Eine feingliedrige Stahlbetonkonstruktion im Innern und eine
mehrheitlich in Glas gefertigte, transparente Hülle sollten diesen Forderungen
gerecht werden.
Die Struktur der gläsernen Fassadenhaut
interessierte uns im Besonderen. Viele
Glashäuser, die wir kennen, überzeugen
bei Nacht, wenn sie Einsicht in das Innere
geben. Bei Tag jedoch funktionieren sie
wie ein grosser Spiegel, der nichts als die
Umgebung reflektiert, in der sie stehen.
Dabei geben sie nichts von sich preis und
entziehen sich dem Betrachter. Aus diesem Grund haben wir nach einer Gebäudehülle gesucht, die einerseits die Qualität
der Transparenz behält und andrerseits
FASSADE FAÇADE 3/2003
•
5
65
Report
6
1 Verwaltungszentrum
Gemeinde Wollerau
Haupteingang Raiffeisenkasse.
2 Seitenfassaden
mit geöffneten
Glaslamellen.
3 Teilansicht mit
geöffneten und
geschlossenen
Glaslamellen.
4 Serigraphiemuster
der Glaslamellen mit
Flügelanordnung im
geschlossenen Zustand.
5 Ansicht der
Glaslamellen im
geschlossenen Zustand.
6 Fassade mit
Lamellen in
Offenstellung.
7 Innenansicht der
stockwerkshohen
Fassadenelemente mit
offenen Lamellen.
8 Blick in den
Innenhof.
9 Vertikalschnitt.
10 Horizontalschnitt.
7
66
! Pfosten-Riegel-Fassadenelement, Holz-Alu
# Glasflügel mit Aufnahmeprofil
" Lüftungsflügel
$ Hebelmechanismus
% Spindelhubmotor
FASSADE FAÇADE 3/2003
•
Report
über einen spezifischen Ausdruck verfügt:
So werden die raumhohen Verglasungen
des Verwaltungsbaus mit aussen liegenden, gläsernen und bedruckten «Fensterläden» verschattet und geben dem Haus seine physische Gestalt und deren optischen,
erfassbaren Charakter. Je nach Witterung
und Besonnung drehen sie sich und verändern den Ausdruck des Hauses. In
geschlossenem Zustand schützen sie die
dahinterliegenden Räume vor der Sonne
und geben trotzdem, da sie nur teilweise
bedruckt sind, den Blick nach aussen frei.
Gleichzeitig entsteht im Gebäudeinnern
eine zauberhafte Stimmung aus Licht und
Schatten. Die wechselnden Atmosphären
im Innern des Gebäudes lassen den Benutzer jede Witterung und die verschiedenen
Jahreszeiten erfahren.
Im Innern des Hauses verfolgten wir eine
gegenteilige Strategie. Ein Innenhof unterteilt das Gebäude in die Gemeindeverwaltung und in die Raiffeisenbank. Da er als
eigentlicher Lichthof dient, wird er ihnen
gemeinsam nutzbar gemacht. Bei der
unmittelbaren Nähe der verschiedenen
Nutzungen stellt sich jedoch ein Problem
der Einsicht und der Diskretion. Im Gegensatz zur äusseren Hülle des Gebäudes wird
hier nicht nur die Transparenz des Glases
genutzt, sondern auch die Möglichkeit der
Reflexion. Eine glatte, leicht verspiegelte
Glasfassade kleidet den schmalen, hohen
Hof aus. Der Blick auf den begrünten
Zwischenraum wird von innen nach aussen ermöglicht, der Einblick aber in die
gegenüberliegenden Räume nur schemenhaft gewährt. Stattdessen spiegelt sich in
deren Fassade der Lichthof selbst und weitet sich praktisch in die Unendlichkeit. Hier
verweist der Bau nur auf sich selbst.
8
Wärmeerzeugung und
Wärmeverteilung
! Holz-Alu-Pfosten/RiegelKonstruktion
" Unterkonstruktion der Glasflügel
# Untere Lagerschalen
$ Obere Lager mit Hebelmechanismus
FASSADE FAÇADE 3/2003
•
% Glasflügel mit Aufnahmeprofil geklebt
& Blechverkleidungen
' 3-fach-Isolierglas
( Thermoaktiver Betonkern
Bereitstellung:
Zum Abdecken des Heizenergiebedarfes sind
ca. 220 000 kWh/Jahr oder äquivalent 22 000
Liter Öl/Jahr notwendig. Die Wärmeerzeugung erfolgt mit zwei kondensierenden Gaswandthermen, welche gleitend nach der grössten verlangten Wärmeanforderung betrieben
werden. Die Kälteerzeugung erfolgt über eine
Kältemaschine.
Verteilung
Die grosse Herausforderung in diesem Gebäude ist das Raumklima im Winter wie auch im
Sommer. Durch den grossen Fensteranteil
werden nicht alltägliche Voraussetzungen
67
Report
9
10
geschaffen. Wichtigster Bestandteil war, das
Gebäude und die Haustechnik aufeinander
abzustimmen.
Der Lösungsansatz liegt im thermoaktiven
Betonkernsystem. Mit in der Decke einbetonierten Rohren wird der Baukörper auf konBautafel
Bauherr
Gemeinde Wollerau und
Raiffeisenbank Höfe
Architekt
Niklaus Graber & Christoph Steiger
Dipl. Architekten ETH
Hirschengraben 40, 6003 Luzern
Bauleitung/Projektsteuerung
BSS Architekten
Hirschistrasse 15
6430 Schwyz
Örtliche Bauleitung
Jürg Gabathuler
Wilenstrasse 47
8832 Wilen bei Wollerau
68
stanter, im Sommer resp. Winter unterschiedlicher Temperatur gehalten.
Heizen/Kühlen
Das Gebäude wird in verschiedene Heizzonen
aufgeteilt. Mit Heizungswasser 25–28°C wird
Bauingenieur
Max Meyerhans + Partner AG
Bauingenieure ETH/HTL
8832 Wollerau
Elektroplaner
Koller, Spörri + Partner
Elektro-Ingenieurbüro SBHI
8835 Feusisberg
Fassadenplaner
Mebatech AG
5400 Baden
Fensterelemente
Erne AG, 5080 Laufenburg
Vorverglasungen/Fassade
Dial Norm AG
3422 Kirchdorf
der Betonkern (Speichermasse) aufgeheizt.
Praktisch mit einem Selbstregeleffekt (bei fallender Raumtemperatur stellt sich eine grössere Temperaturdifferenz ein und somit erfolgt eine grössere Wärmeabgabe) kann eine
konstante Raumtemperatur gehalten werden.
Kühlen
Praktisch mit dem gleichen System, wie
geheizt wird, wird das Gebäude gekühlt. Die
gekühlte Betonmasse kann die durch den Tag
anfallende Wärme aufnehmen. In der Nachtzeit hat das System Zeit, sich zu «erholen».
Die Bereitstellung der Kühlleistung kann so
auch reduziert werden.
Lüftung Bank/
Lüftung innen liegende Räume
Die Bankräume sind mit einer Ersatzluftanlage ausgerüstet. Die Zuluft-/Abluftanlage ist
mit einem rotierenden Wärmetauscher ausgerüstet. Die Zuluftanlage wird auf eine max.
Einblastemperatur von WI/SO 21°C/18°C
ausgelegt. Im Sommer wird die Lüftung zusätzlich für die Nachtauskühlung der Büro!
räume betrieben.
FASSADE FAÇADE 3/2003
•
Herunterladen