Freitag, 26. Juni 2015 / Nr. 145 Kultur Neue Luzerner Zeitung Neue Zuger Zeitung Neue Nidwaldner Zeitung Neue Obwaldner Zeitung Neue Urner Zeitung Dieter Ammann, Komponist und Dozent an der Musikhochschule Luzern 9 Die Leidenschaft köchelt weiter «Raum für Individualität» Mit dem Komponisten Dieter Ammann als Dozent hat die Musikhochschule Luzern ein namhaftes Aushängeschild für das Kompositionsstudium. Was dieses in Luzern speziell macht, sagt er mit Blick auf die Werkschau an den New Music Days im Neubad Luzern. NACHGEFRAGT Dieter Ammann, am Dienstag war erstmals im Solistenkonzert der Musikhochschule ein Komponist mit einer Uraufführung vertreten. Signalisiert das einen neuen Stellenwert des Kompositionsstudiums in Luzern? Dieter Ammann: Ja. Erst seit ein paar Jahren bieten wir ein Studium an, das es so nur in Luzern gibt – auf allen Stufen und in allen Stilen, also in Volksmusik, Jazz und Klassik. Auch wegen bedeutender Gastdozenten wie in diesem Studienjahr Wolfgang Rihm wird Luzern – selbst ohne elektronisches Studio – zunehmend für Kompositionsstudenten attraktiver. Am Samstag werden an den New Music Days Werke aus dem Unterricht von Rihm und von Ihnen uraufgeführt. Gibt es da bereits eine individuelle Stilvielfalt? Ammann: Ja, sie ist auch das Ziel des Unterrichts. Die Legitimation für zeitgenössische Musik ist ja, dass sie Raum bietet für ganz individuelle musikalische Ausdrucksformen. So gibt es im Konzert ein Stück, das im Fünfachteltakt durchgroovt. Im Gegensatz dazu erkundet ein anderes Klänge am Rand der Stille. Ein weiteres verbindet Volksmusikelemente mit einer Geräuschmusik, wie man sie von Helmut Lachenmann kennt. Wie beurteilen Sie als Dozent die Qualität solcher Werke – etwa der Uraufführung von Victor Coltea im Solistenkonzert? Ammann: Etwas vom Wichtigsten ist die Frage, inwiefern ein eigener Ton erkennbar wird. Unter anderem dafür bekam Coltea von der Jury die Note 5,6. Der eigene Ton hängt damit zusammen, dass er mit heterofonen Überlagerungen arbeitet, wie man sie aus der Volksmusik seiner Heimat Rumänien kennt. Hören kann man das auch im Abschlusskonzert der New Music Days. An diesen Tagen wird in «ImproJams» sogar improvisiert. Ammann: Das gehört auch dazu, dass in Luzern unterschiedliche Spielkulturen zusammengeführt werden. Ein Experiment ist diesbezüglich das Konzert am Samstag um 22 Uhr, wo Studierende der Hochschule Design und Kunst sowie Musik gemeinsam mit Bildern und Klängen improvisieren. HINWEIS New Music Days der Musikhochschule Luzern, Fr, 26., bis So, 28. Juni, Neubad Luzern. NACHRICHTEN Zwei Millionen für Gurlitt-Bild KUNST sda. Das erste Bild aus der umstrittenen Kunstsammlung von Cornelius Gurlitt ist in London für eine Millionensumme versteigert worden. Die rechtmässigen Erben hatten das als Nazi-Raubkunst eingestufte Gemälde erst vor rund einem Monat zurückerhalten. Das Bild «Zwei Reiter am Strand» von Max Liebermann kam für rund 2,7 Millionen Schweizer Franken unter den Hammer. Kirk’s Patrol um 1966 vor der Rathaustreppe: Jack Gazzo, Kurt «Kirk» Arnold, Werner «Kaktus» Pfäffli, Alexander «Lex» Boss, Ueli Baldinger (v. l. n. r.). PD LUZERN Kirk’s Patrol haben sich vor 50 Jahren zusammengefunden, um Beatmusik zu spielen. Früher klopften schon mal Mädchen an die Türe. PIRMIN BOSSART [email protected] Vor 50 Jahren waren sie sanft aufmüpfige Jungs, die sich vom Beat- und Rhythm-’n’-Blues-Fieber der englischen Musikszene anstecken liessen und im Proberaum mit Gitarren, Bass und Schlagzeug an den damaligen Hits feilten. Heute sitzen sie am Tisch des Restaurants «Grüene Bode» in Kriens und bestellen ihr wohlverdientes Bier, nachdem sie zwei Stunden im Proberaum die gleichen alten Hits und ein paar neue dazu aufgefrischt haben. Die Zeiten fliegen, erst noch kreischten die Mädchen, heute lächeln sie milde. Die Männer. Cola im Rio Aus den Jungs sind Männer im Pensionsalter geworden, immer noch sehr busper und wohlerhalten, gelassen zufrieden und mit eleganten Manieren. Nur manchmal lässt Jack Gazzo einen frechen Spruch fallen, und dann merkt man, dass da noch immer ein Feuer glimmt, das Mitte der Sechzigerjahre in einem Luzerner Milieu gezündet wurde, das zutiefst katholisch und einengend war und dem man irgendetwas entgegensetzen musste, um sich lebendig zu fühlen. 1965 beschlossen die Jugendlichen Kurt Arnold (67, Kirk) und Werner Pfäffli (67, Kaktus) eine Band zu gründen. Sie hingen im Rio herum und tranken Coca-Cola. Das Rio an der Hertensteinstrasse war eines der wenigen Lokale in Luzern, in dem sich Junge trafen und wo man Musik hören konnte. Die beiden waren in der Stifti bei C. J Bucher; Pfäffli als Schriftsetzer und typografischer Gestalter, Arnold als Tiefdruck-Retoucheur. Bandleader Arnold war der Sänger und spielte Gitarre, Werner übernahm die Leadgitarre. Bald fanden sie mit Jack Gazzo einen weiteren Rhythmusgitarristen, Lex Boss wurde Bassist, und Ueli Baldinger sass am Schlagzeug. Das war die Urbesetzung von Kirk’s Patrol. 1966 wurde Baldinger durch den Schlagzeuger Daniel Savarè ersetzt. In der heutigen Formation, die 2009 wiedergeboren wurde, sind mit Arnold, Pfäffli und Gazzo weiterhin die drei Urgesteine dabei. Aufbruchsgefühl Kirk’s Patrol gehörten neben den Thunderbeats (Angy Burri), den Day Flies und den noch immer aktiven Racy Raps zu den Beat-Bands der ersten Stunde in der Innerschweiz. Bands wie The Kinks, Kirk’s Patrol in der aktuellen Besetzung mit Sängerin Nici Deer – wiederum bei der Rathaustreppe. PD The Animals, The Small Faces und natürlich The Beatles und The Rolling Stones waren die Vorbilder, deren Songs eifrig nachgespielt wurden. Da Radio Beromünster unbeirrt auf Schlager und Volksmusik abonniert war, holte man sich die neuen musikalischen Kicks von Radio Luxemburg und später auch von Sendungen wie «Salut les Copains». «Es lag ein Aufbruchsgefühl gegenüber dem Establishment in der Luft. Das erzkonservative Luzern bot für Junge keine neuen Entfaltungsmöglichkeiten», sagt Arnold, der später in der Werbung tätig war und auch zwei Jahre in den USA gearbeitet hatte. Das Aufmachen, das Öffnen, sei wichtig gewesen. «Das ist als Lebensgefühl der damaligen Zeit bis heute unbestreitbar wichtig geblieben.» Es sei nicht nur die Musik gewesen, sondern eine ganze Kultur, die wir eingesogen haben, sagt Pfäffli. Schriftsteller wie Kerouac und Ginsberg oder die Songs und Texte von Bob Dylan sorgten für Inspirationen. Bürgerschrecks? Wie verkorkst die Zeit war, schildert Gazzo an einem Beispiel: «Ich fragte mal im Paulusheim, ob wir ein Konzert geben könnten. Ich war in der Pfadi, kannte einige Leute und rechnete mir eine Chance aus. Aber das wurde kategorisch abgelehnt. Kein Platz für solche Musik.» Dabei waren Kirk’s Patrol alles andere als Bürgerschrecks. «Diese Rolle haben vor uns die Halbstarken und Rocker übernommen. Da waren wir schon moderater», sagt Pfäffli. Auf der Bühne trugen sie Vestons, Pfäffli glänzte mit seinem selbst gemachten Poncho oder dem Military Jacket, und bald kamen auch Flower-Power-Outfits aus den Beständen der Carnaby Street dazu. Man trug die Haare ein bisschen länger, was revolutionär genug war, um die Gemüter der Erwachsenen zu er- regen. Da wurde man im Bus auch schon mal mit «Du Sauhund!» beschimpft oder mit «Zum Glück bist du nicht mein Sohn!» gebrandmarkt. Gazzo, dessen Vater Coiffeur war, winkt ab. «Ich habe mich immer nach den Beatles orientiert und war gerne ein bisschen nett. Die Haare trug ich nicht allzu lange. So bin ich immer gut angekommen bei den Leuten.» Aber als er in die RS musste und ihm der Vater am Vorabend die Haare schnitt, habe er sich so geschämt über seine Frisur, dass er am Montagmorgen auf den Bahnhof gerannt sei, damit ihn ja niemand so sehe. Jeff Beck im Kursaal Wie haben sich Kirk’s Patrol damals von den andern Bands abgehoben? Mit dem Repertoire», sagt Pfäffli. «Wir haben zum Beispiel The Who gespielt, ‹My Generation›», sagt Kurt. «Das hat niemand gespielt.» Die Band kam gut an. In Hettlingen bei Zürich standen sie vor 1000 Leuten auf der Bühne. Zu den Highlights zählten die Konzerte als support act von berühmten englischen Bands. Im Kursaal Luzern traten sie als Vorband von The Creation und 1967 mit der Jeff Beck Group auf. Gazzo grinst. «Da war noch Ron Wood dabei, der später bei The Rolling Stones einstieg.» Genau, nicken die andern. Der Ron. Arnold hat nicht vergessen, dass sie damals vom Veranstalter Hanspeter Jaggy über den Tisch gezogen wurden. «Die versprochenen Gagen haben wir nie erhalten. Immer hiess es: Beim nächsten Auftritt. Das Geld sahen wir nie.» Verbreitet für Bands waren ein- oder zweiwöchige Engagements, etwa im Mascotte in Luzern oder im Hirschen in Zürich. Gazzo: «Unser Manager hatte gute Beziehungen zu Teddy Meier in Zürich. So haben wir oft in Zürich gespielt.» Das hiess: Besammlung im Maihof, mit dem Kleintransporter nach Zürich, spielen bis um 23 Uhr, nach Hause fahren und anderntags wieder in die Stifti. Eine ganze Woche lang. «Da konnten wir nie gross über die Stränge hauen.» 1966 wurden sie ins Hotel Engiadina in Zuoz als Silvester-Band eingeladen. Nachdem der Abend mit den vielen deutschen und holländischen Gästen etwas zäh angelaufen war, gesellten sich am Konzert plötzlich zahlreiche Girls ins Publikum, die mit ihren Eltern in den Ferien waren. Pfäffli schmunzelt: «Dann ging das plötzlich ab, die waren von uns hell begeistert. Nach Mitternacht gingen wir in den vierten Stock in unsere Zimmer. Als es zum ersten Mal an die Türe klopfte, waren das die Mädchen. Wir hatten ein Gaudi. Beim zweiten Mal standen die Väter vor der Türe, die ihre Töchter abholen kamen.» Sixties-Nestwärme Ein Geburtstagsfest vor zehn Jahren wurde zum Anlass, dass sich Kirk’s Patrol nach langen Jahren der Trennung wieder zusammentaten und ein Konzert gaben. «Ich zögerte, aber dann merkte ich das Potenzial und beschloss, mitzumachen», sagt Pfäffli, der musikalisch am aktivsten geblieben ist und auch in Angy Burris Film «The Wolfer» mitgewirkt hatte. Viele der damaligen Stücke sind bis heute geblieben. «Route 66», «I Saw Her Standing There», «Mr. Tambourine Man», «Sunny Afternoon», «Honky Tonk Women», «Walking the Dog», «House of the Rising Sun». Alles Ohrwürmer, die an heutigen Konzerten zum Teil sofort mitgesungen werden. Mit den Jahren wurde das Repertoire stets erweitert, aber nie bis in die Neuzeit gedehnt. Die drei Urgesteine hören zwar auch aktuelle Rockmusik «Aber die Musik der Sechziger- und Siebzigerjahren ist schon unsere Nestwärme», sagt Arnold. Niemand sieht einen Anlass, aktuelle Stücke nachzuspielen. Neu in der Band sind der Bassist Roli Schumacher und der Schlagzeuger Hörbi Haas, der mit der Horwer Band Heaven Street mal den Grand Prix Innerschweiz gewonnen hatte. 2007 sang Leslie, die Tochter von Arnold, bei Kirk’s Patrol, bis sie ihre eigene Band gründete. Die neue Sängerin ist Nicole alias Nici Deer: Sie gewann 2009 den Golden Age Contest in Zug und singt auch regelmässig in Countrybands. Die neu formierte Truppe ist motiviert. Sechs bis acht Gigs im Jahr liegen allemal drin. Diesen Sommer werden sie wieder am Lidogolf Open Air in Luzern auftreten. Letzten Winter spielten sie im Stadtkeller und trauten ihren Augen kaum: Ausverkauft! Dieses Jahr sind sie für den Silvester gebucht. Ob sie dann wohl wieder an die Türe klopfen? HINWEIS Kirk’s Patrol Jubiläums-Gig: Freitag, 26. Juni, 20.00, Bar 59, Luzern