Thema des Monats BELICHTUNG Wohnen in der Pyramide Wie sich Energieeffizienz und ein gutes Raumklima vereinen lassen, zeigt das »Future Active House« bei Trondheim/Norwegen. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Dachfenster im Walmdach. Text: Barbara Nauerz | Fotos: Velux M it den gängigen Standards für den Bau von Niedrigstenergiehäusern konnte sich der norwegische Bauunternehmer Tore Ligaard nie wirklich anfreunden. Seiner Meinung nach werden beim Bestreben, den Energieverbrauch zu minimieren, viel zu häufig Faktoren wie Tageslicht und Raumluftqualität außer Acht gelassen, die viel zum Wohlbefinden und zur Gesundheit der Bewohner beitragen. Dass es auch anders geht, hat Ligaard mit dem Bau des „Future Active House“ in der Nähe von Trondheim bewiesen: Gemeinsam mit zahlreichen Partnern wurde dort ein zukunftsweisendes Modell-Haus geschaffen, das maximale Wohnqualität mit viel Tageslicht und frischer Luft mit hoher Energieeffizienz bei gleichzeitiger Nutzung von regenerativen Energien vereint. Licht, Luft und Natur Im europäischen Bauwesen vollzieht sich seit einigen Jahren ein tiefgreifender Wandel. Bis Ende 2020 sollen alle Neubauten EU-weit nahezu keine Energie mehr verbrauchen und ihren Bedarf komplett aus erneuerbaren Energiequellen decken. Diese Anforderungen stellen Architekten, Planer und Bauherren vor große Herausforderungen, denn naheliegende Lösungen wie die Minimierung von Wärmeverlusten durch eine sehr dicke Dämmung und die Reduzierung der Fensterflächen können das Raumklima und damit die Wohnqualität negativ beeinflussen. Für den norwegischen Bauunternehmer Tore Ligaard ein unhaltbarer Zustand: „Das steht in krassem Widerspruch zu meiner persönlichen Haltung nach fast 50 Jahren in der Branche. Frische Luft und Tageslicht sind wichtig für Wohlbefinden und mentale Gesundheit.“ Deshalb recherchierte Ligaard nach alternativen Lösungsansätzen und stieß dabei auf die Active House Alliance. Die internationale Initiative hat Leitlinien für die zukünftigen Anforderungen an nachhaltige Gebäude entwickelt. In kurzer Zeit gelang es ihm, ein Team aus Partnern zu versammeln, die seine Ansichten teilen, darunter auch der junge Trondheimer Architekt Geir Brendeland. Dieser entwickelte und gestaltete das im 21 Thema des Monats ▴▴Gelungener Modellversuch: Das »Future Active House« in der Nähe von Trondheim verbindet hohe Wohnqualität mit zeitgemäßer Energieeffizienz nahe gelegenen Stjordal gebaute ModellHaus in Zusammenarbeit mit Energieberatern. „Die Herausforderung bestand darin, ein Haus zu schaffen, das architektonische Qualitäten und Energieeffizienz vereint, ohne natürliches Licht, frische Luft und die Wechselbeziehungen mit der Umwelt zu vernachlässigen“, erklärt Brendeland. zum Tragen kommt. Im Erdgeschoss ist die private Zone mit Schlafzimmern und dem großen Badezimmer angesiedelt. Der Hauptraum liegt im Obergeschoss und spielt für die hohe Wohnqualität eine besondere Rolle. „Dieser Raum ist von traditioneller norwegischer Architektur inspiriert, für die ein großer zentraler Raum mit viel Licht durch eine Öffnung im Dach »Durch den Kamineffekt lässt sich das typisch ist. Dies erHaus besonders komfortabel belüften.« zeugt eine unglaubliche Atmosphäre“, so der Architekt. Die Tradition und Moderne Dachkonstruktion folgt dieser Idee und bilFür das „Future Active House“ ließ sich det eine Pyramidenform, die die traditioBrendeland von Bautechniken aus der Vernelle norwegische Bauweise mit einer expegangenheit und der Gegenwart inspirieren. rimentellen Formgebung verbindet. So wird der größte Teil der Fassade von einer in Norwegen häufig verwendeten HolzGutes Raumklima bekleidung bedeckt. Zugleich erzeugen in Für den natürlichen Lichteinfall im Oberdie Wand integrierte, dunkle Solarthermiegeschoss sorgen die auf allen vier Seiten Kollektoren eine visuelle Spannung. „Wir der Dachpyramide eingesetzten Dachfenswünschten uns ein modernes Haus, das ter von Velux. Sie übernehmen die vertikale von außen einen strengen, nordischen Stil Lichtführung im Obergeschoss und bringen ausstrahlt und innen hell und farbenfroh in Verbindung mit den Fassadenfenstern ist“, erläutert der Architekt sein Konzept, von morgens bis abends viel Tageslicht in das auch im Inneren des Hauses deutlich den Hauptraum unter dem Dach. „Tages- 22 dachbau magazin 12 | 2015 licht ist sehr wichtig. Es ist fantastisch, einen Raum zu schaffen, der den Ausblick in alle vier Himmelsrichtungen bietet und es den Bewohnern ermöglicht, den Lauf der Sonne über den Tag hinweg zu verfolgen“, so Brendeland. Zugleich dienen die Dachfenster als effiziente Lichtspender und reduzieren den Bedarf an elektrischer Beleuchtung deutlich. Zudem gewährleisten sie in Verbindung mit der intelligenten Gebäudesteuerung eine komfortable Belüftung: Sensoren messen Luftfeuchtigkeit, Temperatur und CO2Niveau und sorgen dafür, dass sich die Dachfenster bei Bedarf automatisch öffnen und schließen. Dies ist wichtig, da in dem aus energetischen Gründen luftdichten Gebäude sonst Schimmelbildung durch die Feuchtigkeit in der Luft drohen könnte. „Ein schlecht belüftetes Gebäude gleicht einem geschlossenen Kasten. Durch den Kamin­effekt ist es mithilfe der Dachfenster möglich, das Haus innerhalb weniger Minuten zu lüften“, erklärt der Trondheimer Architekt. Dabei steigt die warme, verbrauchte Luft nach oben und zieht durch die in Überkopfhöhe montierten Dachfenster ab, während von unten frische Luft ▴▴Wohnen in der Pyramide: Die Dachkonstruktion bildet eine moderne Form und sorgt mit Dachfenstern in vier Himmelsrichtungen für viel Tageslicht nachströmt. Diese natürliche Belüftung stellt die Frischluftzufuhr sicher und gewährleistet insbesondere in den Sommermonaten ein gesundes Raumklima. In den Winter­monaten sorgt vorwiegend eine mechanische Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung für den kontinuierlichen Luftaustausch im „Future Active House“. Natürliche Klimatisierung Die natürliche Klimatisierung des Hauses unterstützte der Architekt mit Sonnenschutzelementen: Alle Dachfenster sind außen mit Hitzeschutz-Markisen ausgerüstet, um die Räume an heißen Tagen vor der Hitze zu schützen, und innen mit Rollos, um den Wärmeverlust an kalten Tagen zu reduzieren. Auch hier entscheiden Sensoren durch einen regelmäßigen Abgleich von Sonnenlicht und Außentemperatur selbstständig, ob die Hitzeschutz-Markisen und Rollos geöffnet oder geschlossen sein sollten. Im Sommer ist das Dachgeschoss damit automatisch vor Überhitzung geschützt. Im Winter öffnet das System an sonnigen Tagen automatisch den Sonnenschutz, sodass Licht und Wärme in die Räume strömen können. Der passive Wärmeertrag durch die solare Energie hilft so, die Heizkosten weiter zu reduzieren. Sobald es dunkel wird, senken sich die Rollos und verbessern damit die Wärmedämmung der Fenster. Hohe Energieeffizienz Um den Energieverbrauch des Gebäudes zu minimieren, setzten die Macher des „Future Active House“ auf eine Reihe energiesparender Technologien und die Nutzung erneuerbarer Energiequellen. So drosseln die dicken Dämmschichten in Dach (50 cm Glaswolle, U-Wert 0,10), Wänden (25 cm Glaswolle, U-Wert 0,12) und Fußboden in Verbindung mit einer Niedrigenergie-LEDBeleuchtung und dem modernen Hausautomations-System den jährlichen Energieverbrauch auf unter 79 kWh/m². Dagegen verbraucht ein durchschnittliches frei stehendes Haus in Norwegen jährlich rund 170 kWh/m² − ältere Häuser sogar bis zu 300 kWh/m². Zugleich tragen die Solarthermie-Kollektoren mit einer Fläche von insgesamt 18,5 m² dazu bei, den Energiebedarf im „Future Active House“ für die Warmwasserbereitung zu minimieren. Durch ihre Integration in die Süd-Ost-Fassade und einen Teil des Balkongeländers sind sie auch dachbau magazin 12 | 2015 im langen norwegischen Winter frei von Schnee und nutzen die im hohen Norden eher tief stehende Sonne sehr gut aus. Im Inneren unterstützen zudem ein Holzofen im Untergeschoss und ein Kamin im Wohnzimmer die Heizungsanlage. ■ S TECK BRIEF Objekt/Standort: »Future Active House« N-7500 Stjordal bei Trondheim Bauherr: Tore Ligaard Architekt: Brendeland & Kristoffersen Arktitekter AS, Geir Brendeland N-7010 Trondheim | www.bkark.no Produkte: Integra Elektrofenster mit Elektro-Hitzeschutzmarkisen und Elektro-Rollos Hersteller: Velux Deutschland GmbH D-22527 Hamburg | www.velux.de 23