34 Tages-Anzeiger – Donnerstag, 29. November 2012 Wissen «Die Sterne müssen sehr hell sein, denn wir brauchen das Licht» Willy Benz leitet das Projekt Cheops der Uni Bern: Der Satellit erforscht Planeten ferner Sonnensysteme. Der Schweizer Satellit Cheops ­untersucht Exoplaneten, Planeten in fernen Sternsystemen. Auf welche Erkenntnisse hoffen Sie? Unser Ziel ist es, bereits bekannte Exoplaneten zu erforschen, um mehr über sie zu erfahren. Das CH steht für «Charakterisierung» von Exoplaneten – man kann es aber auch so sehen, dass es für die Schweiz steht. Das Center for Space and Habitability der Universität Bern hat für das Projekt den Zuschlag der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) bekommen. Das Zentrum beschäftigt sich besonders mit erdähnlichen Planeten, auf denen Leben möglich wäre. Am Projekt sind aber auch die Universität Genf, das Space Center an der ETH Lausanne, die ETH Zürich und ausländische Partner beteiligt. Planetenforschung hat in der Schweiz Tradition. Weltraumforschung wird am physikalischen Institut der Uni Bern seit mehr als vierzig Jahren betrieben. Weil Leben ­etwas Kompliziertes ist, arbeiten Fachleute verschiedener Richtungen interdisziplinär zusammen, Physiker, Geologen, Chemiker, Biologen. Das weltweite Exoplanetenfieber hat seinen Anfang 1995 mit der allerersten Entdeckung durch die Universität Genf genommen. War das der Auslöser für Ihre Arbeiten? Michel Mayor, der zusammen mit Didier Queloz die erste Entdeckung gemacht hat, war mein Doktorvater. Ich habe in den 90er-Jahren in den USA gearbeitet und mich dort mit Planeten und vor ­allem mit der Entstehung des Mondes befasst. Wenn man sich mit Planeten ­befasst, gehören auch die Exoplaneten dazu, sie sind einfach ein wenig weiter entfernt. Als ich in den Sommerferien 1995 Mayor besuchte, verriet er mir, dass er im Herbst die Entdeckung eines Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems publizieren werde. Ich habe es erst geglaubt, als er mir die Daten zeigte. Letzte Woche hat der Ministerrat das ESA-Budget für die nächsten Jahre verabschiedet. Ist damit auch das Projekt Cheops gesichert? Mit der Projektauswahl im Oktober haben wir bei der ESA einen wichtigen Meilenstein erreicht, im November 2013 muss das Projekt dann noch definitiv ­akzeptiert werden. Die Minister haben letzte Woche zwar das Budget für 2014 bis 2017 bewilligt, das wissenschaftliche Programm allerdings ohne Teuerungsklausel. Das heisst, je länger es geht, desto knapper werden die Mittel. Das Programm wird wohl nicht um Kürzungen herumkommen. Zum Beispiel, indem laufende Missionen verkürzt werden, denn die Betriebskosten betragen 11 Prozent des Budgets. Aber es könnten durchaus auch einzelne Projekte gestrichen werden. Ist Cheops nun ein Schweizer oder ein europäischer Satellit? Der Satellit selber, die Plattform, wird von der ESA zur Verfügung gestellt. Vermutlich werden daran auch Schweizer Firmen mitarbeiten. Das Kontrollzentrum für den Satelliten wird sich in England befinden. Für Entwurf und Bau des Instruments und für die wissenschaftlichen Arbeiten ist ein Konsortium unter der Leitung des Berner Zentrums verantwortlich. Zahlreiche Hochschulen im In- und Ausland werden mitwirken. Ge- Planeten haben mehr Einfluss auf die Sonne als bisher angenommen. Starke Sonnenaktivität lässt sich möglicherweise in Zukunft besser vorhersagen. Dies lassen Erkenntnisse der Forscher des eidgenössischen Wasserforschungsinstituts Eawag und der ETH Zürich hoffen: Sie haben gemeinsam mit Kollegen aus Spanien und Australien für die letzten 10 000 Jahre die Zyklen der Sonnenmagnetfelder aus Eisbohrkernen und fossilen Hölzern rekonstruiert und mit der Wirkung der Planeten verglichen, wie die Eawag gestern mitteilte. «Die Übereinstimmung ist verblüffend und lässt hoffen, dass die Vorhersage von Zeiten mit erhöhter Sonnenaktivität näher rückt», schreiben die Forscher. Dies werde immer wichtiger, weil die Gesellschaft immer stärker von der Technik wie Stromnetzen, Kommunikationsund Navigationssatelliten abhängig sei. Grosse solare Eruptionen können diese Infrastrukturen lahmlegen. Die Sonne vereinigt mehr als 98 Prozent der Gesamtmasse unseres Sonnensystems auf sich und hält mit ihrem Gravitationsfeld die Planeten auf den Umlaufbahnen. Eine umgekehrte Wirkung der Planeten auf die Sonne sei bisher als vernachlässigbar betrachtet worden – «als Verhältnis zwischen einer Mücke und einem Elefanten». Aber es scheine, dass auch ein kleiner Mückenstich am richtigen Ort einen Elefanten in Aufregung versetzen könne. Mit Willy Benz sprach Walter Jäggi Dass das Berner Zentrum, das Sie leiten, für ein ESA-Projekt ausgewählt wurde, ist also kein Zufall? Die Ausschreibung war extrem kurzfristig, man musste innert etwa drei Monaten ein überzeugendes Konzept vorlegen. Von den 26 Projekten, die der ESA eingereicht wurden, ist dann Cheops ausgewählt worden. Es kam uns zugute, dass wir schon seit vier Jahren einen Satelliten dieser Art geplant hatten, sonst hätten wir das nicht geschafft. Zudem liegen wir mit den Kosten im Rahmen dessen, was die ESA vorgegeben hat. Ein neues Bild von der Sonne Wirksames Drehmoment Das internationale Forscherteam zeigt, dass Ähnliches auch mit der riesigen Sonne geschehen könnte. Das Drehmoment der Planeten könnte die Ursache für die langfristigen Zyklen der Sonnenaktivität sein. Die bereits bekannten Perioden stimmen gemäss Wissenschaftlern während der letzten 10 000 Jahre genau mit den periodischen Änderungen des Drehmoments der Planeten überein. Dieses wirkt sich ähnlich aus, so vermuten die Forscher, wie der Einfluss des Mondes auf die Gezeiten auf der Erde. Stimmt die Hypothese der Forscher, so könnten die Beobachtungen mithelfen, zuverlässigere Prognosen für das «Weltraumklima» oder gar das «Weltraum­ wetter» zu machen – was im Hinblick auf längere Weltraumreisen enorm wichtig wäre. (SDA) Nachrichten «Wenn man sich mit Planeten befasst, gehören auch die Exoplaneten dazu», sagt Willy Benz. Foto: Ruben Wyttenbach (13 Photo) leitet wird die Mission von Bern aus, die Auswertung der Messdaten wird das Observatorium der Universität Genf übernehmen. Cheops ist die erste Satellitenmission, die unter Schweizer Leitung stehen wird und mit einem Gesamtbudget von bis zu 150 Millionen Euro das grösste Projekt der Universität Bern. Bei den bis heute mehr als 800 registrierten Objekten sind Sie während Jahrzehnten ausgelastet. Bis Cheops fliegt, im Jahr 2017, werden es noch viel mehr sein. Wir werden die Sterne auswählen, die infrage kommen. Sie müssen sehr hell sein, denn wir brauchen das Licht. Dann müssen die Planeten eine Bahn haben, auf der sie vor dem Stern vorbeiziehen. Wir messen dann, wie viel des Sterns beim Transit des Planeten abgedeckt wird. Dazu müssen wir die Bahndaten kennen, damit wir genau im richtigen Moment hinschauen. Ich rechne damit, dass wir innert etwa drei Willy Benz Astrophysiker Willy Benz (57) ist seit 2002 Direktor des Physikalischen Instituts der Universität Bern und Präsident des wissenschaftlichen Ausschusses des dortigen Center for Space and Habitability. Er studierte in seiner Heimatstadt Neuenburg und in Genf. Bereits seine Doktorarbeit 1984 war der Astrophysik gewidmet. Später arbeitete er als Forscher, Assistenzprofessor und ­Professor in den USA, ehe er 1997 Professor in Bern wurde. Er war Vorsitzender des Science and Technology Committee der Europäischen Südsternwarte ESO. Seit 2010 steht er dem Space Science Advisory ­Committee der Europäischen ­Weltraumagentur ESA vor. Beobachtungsjahren 500 bis 700 Messungen machen können. Das leistungsfähigere, allerdings auch viele Milliarden Dollar teure James-Webb-Satelliten-Teleskop ist bereits im Bau. Wird es Cheops überholen? Cheops fliegt auf einer Höhe von rund 800 Kilometern exakt über der TagNacht-Grenze, sodass die Sonnensegel Licht haben, das Teleskop aber ins Dunkel blickt. Den gesamten Himmel können wir nicht erfassen, dazu sind viel höhere Flugbahnen und damit höhere Kosten nötig. Das James-Webb-Satelliten-­ Teleskop ( JWST) wird 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt positioniert sein. Cheops misst den Radius eines Planeten, das JWST wird das Spektrum des Sternenlichts analysieren können und damit weitere Informationen über die Atmosphäre des Exoplaneten liefern. Wird man am Ende einen erdähnlichen Planeten, auf dem es möglicherweise Leben gibt, mithilfe der Fernerkundung identifizieren können? Fernerkundung kann nicht alles. Die Transitmessungen zusammen mit den Messungen der Radialgeschwindigkeit erlauben Rückschlüsse auf die inneren Strukturen. Die Spektralanalyse erlaubt es, Struktur und Zusammensetzung der Planetenatmosphäre zu erforschen. Aus den Werten für Sauerstoff oder Methan etwa lässt sich ableiten, ob dort Leben möglich wäre. Die Forschung sucht zunächst nach neuen Entdeckungen, nach der Vielfalt dessen, was existieren kann. Auf die Entdeckung folgt dann die physikalische Charakterisierung, die Beschreibung der Eigenschaften. Die Schweiz und die ESA 150 Millionen für die Forschung Gemessen an der Grösse des Landes spielt die Schweiz im Weltraum eine überdurchschnittliche Rolle. Der populäre Raumflugveteran Claude Nicollier war viermal im All unterwegs, öfter als alle anderen europäischen Astronauten und Astronautinnen. In den Jahren 2013 bis 2015 wird die Schweiz zusammen mit Luxemburg den Ministerrat der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) präsidieren. An der kürzlichen Ministerkonferenz konnten die neuen Vorsitzenden bereits ihr Verhandlungstalent demonstrieren. Trotz schwieriger Wirtschaftslage und unterschiedlichen Prioritäten einiger Länder bewilligten die zwanzig Mitgliedsländer für die kommenden drei Jahre ein Budget von gut 10,1 Milliarden Euro. Das jährliche Budget der Schweiz ist mit 150 Millionen Franken bescheiden. Von den ESA-Projekten mussten bei der Budgetverteilung nur ein Vorhaben für die Erforschung des Weltraumwetters und eine (unbemannte) Mondlandemission über die Klinge springen. Die übrigen Projekte wurden in Kompromissen teilweise redimensioniert oder zeitlich gestaffelt, fanden aber Zustimmung. Dazu zählen neue Erdbeobachtungssatelliten, die Weiterentwicklung von Raketen und Raumtransportern, die Entwicklung besserer Fernmeldesatelliten und der weitere Aufbau des Navigationssystems Galileo. Auch beim Betrieb der Raumstation ISS wird Europa weiter mitmachen. ( jä) Genetik Erbgut der europäischen Bevölkerung stark mutiert Das menschliche Erbgut hat sich in den vergangenen 5000 bis 10 000 Jahren erheblich verändert. In diesem Zeitraum tauchten unter anderem viele Mutationen in Genen auf, die möglicherweise zu Krankheiten führen, und zwar häufiger bei Europäern als bei Afrikanern. Dies berichten US-Forscher der Universität von Washington in Seattle im britischen Fachblatt «Nature». Sie vermuten, dass dies unter anderem mit dem schnellen Wachstum der europäischen Bevölkerung in dieser Zeit zusammenhängt, durch das eine wahre Flut von Mutationen entstanden sei. In dem aus evolutionärer Sicht sehr kurzen Zeitraum konnten schädliche Varianten bisher nicht aussortiert werden. (SDA) Landwirtschaft Spinnenseide kann Gemüse vor Schädlingen schützen Käfer meiden Bohnenpflanzen, wenn die Blätter zuvor mit Spinnenseide ­behandelt wurden. Das berichten ­Forscher der Miami University in der Zeitschrift «Biology Letters». Offensichtlich scheuen viele Insekten die Gegenwart der achtbeinigen Räuber. Die Wissenschaftler prüften im Labor und auch in Feldversuchen, wie stark zwei Käfer­ arten der Buschbohne zusetzten. Der ­Japankäfer und der Mexikanische Bohnenkäfer laben sich an den Blättern der Pflanze. In der Studie überzogen die Forscher Blätter der Buschbohne mit ­frischer Seide der Streckerspinne ­Tetragnatha elongata, mit Seide aus dem Kokon des Seidenspinners oder aber gar nicht. Denn grössten Effekt hatte die Spinnenseide. (DPA/FWT)